Gedanklich hatte ich mich schon auf ein ruhiges Familienweekend eingestellt, als am Donnerstag die Anfrage von Walter in der Mailbox steckt: „Suche einen Partner für die Nordwand der Grandes Jorasses, Crozpfeiler mit Sloweneneinstieg – bist du dabei?“. Nun, wenn ich mich in meiner Alpinkarriere bisher überhaupt durch irgendwas ausgezeichnet habe, dann sicher nicht als Nordwandnase. Dennoch, als alpiner Allrounder reizte mich eine solche Tour natürlich enorm.
Erst kürzlich hatte ich nach einer Diskussion mit Jonas etwas Internet-Research über die hier angedachte Tour gemacht: "Éperon Croz avec départ Slovène" - das sah wohl alles super aus, aber mit Schlüsselstellen, wo ich im Vorstieg wohl nicht über die für eine solche Unternehmung nötigen Reserven verfügen würde. So teilte ich mich dann Walter mit: „Habe Zeit, bin super gerne dabei, Kondition passt und ich kann das alles zügig nachsteigen. Für die Schlüsselstellen liegt die Verantwortung aber bei dir.“ Damit war er einverstanden, wir hatten von Beginn weg klare Verhältnisse und nach etwas Last-Minute-Shopping ging es los.
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Sicht von Montenvers aufs Mer de Glace. Hinten ist die Grandes Jorasses Nordwand halb verdeckt. |
Nach der üblichen „Was packen wir ein“-Session auf dem Parkplatz tuckerten wir als einzige neben einer französischen 3er-Seilschaft (mit Ziel „No Siesta“) mit der letzten Bahn nach Montenvers. Während diese erst mal eine letzte Siesta an der Bahnstation genossen, d.h. dort biwakierten, machten wir uns auf in Richtung Refuge de Leschaux. Runter über die Leitern aufs erst apere Mer de Glace, nach dem Abzweiger auf den Glacier de Leschaux dann schuhtief verschneit, teilweise ziemliches Geröll-Geholper. Auf jeden Fall, die angegebenen 2.5 Stunden Hüttenweg konnten wir gerade einhalten und waren um 19.00 Uhr dort, aber da mussten wir uns echt ranhalten.
Gespannt öffneten wir die Hüttentür: zwei Spanier sind am Kochen, zwei Franzosen bereits in ihren Schlafsäcken, also ist für uns noch genügend Platz. Auch wir nehmen unseren Gaskocher in Betrieb, führen viel Flüssigkeit und etwas Nahrung zu, und legen uns dann noch etwas aufs Ohr. Um 1.30 Uhr soll der Wecker läuten, und der lange Tag losgehen. Nach wenig und unruhigem Schlaf tut er das dann, wir trinken nochmals ausgiebig und schirren uns an, um 2.15 Uhr gehen wir los und gehen über den Klettersteig runter auf den Gletscher.
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Köcherlen im nicht grad super geräumigen Winterraum der Leschaux-Hütte: Walter und ein Spanier |
Da es Neumond ist, ist es wirklich zappenduster. Leicht ungünstig für eine solche Tour um diese Jahreszeit mit den bereits kurzen Tagen, aber wenn alles andere passt, kein Grund zu verzichten. Nach kurzer Suche am Gletschereinstieg erwischen wir eine Spur aus den Vortagen, welche noch genügend gut erkennbar ist, und uns, bereits um einige tiefe Löcher herum und über abenteuerliche Brücken hinweg, Richtung Grandes Jorasses leitet.
Doch diese Seilschaft ist im linken Teil der Wand anscheinend in der Gousseault-Route engagiert, und wir müssen einen guten halben Kilometer weiter rechts einsteigen. Was trivial tönt, ist in Realität alles andere als einfach: da ist ein labyrinthischer Eisbruch, es liegt schuh- bis knietief Pulverschnee und es wollen noch happig Höhenmeter überwunden werden. Hier ist es meine Aufgabe zu führen, und es ist anstrengend! Zweimal nehmen unsere Bemühungen ein Ende, weil wir vor einem nicht überwindbaren Gletscherschlund stehen.
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Die Grandes Jorasses Nordwand aus der Nähe der Leschaux-Hütte: die Pointe Croz, unser Gipfel, ist die kleine Erhebung genau in der Mitte des Berges. |
Unverhofft taucht die Franzosen-Seilschaft von der Hütte auf. Die wollen auch links in die „Gousseault“, doch für ein „vous savez par ou ça passe pour la Croz?“ und einem „je pense plus près de la paroi“ reichts. Wir nehmen also einen dritten Versuch etwas weiter links. Tatsächlich kann man da stellenweise eine fast schon komplett verwischte Spur noch erkennen, das ist doch schon mal „good news“. Tatsächlich stehen wir dann um 6.20 Uhr an einem Bergschrund, wo offensichtlich die Vorgänger auch darüber hinweg stiegen. Und es könnte der richtige Einstieg der Slowenenroute sein. Der Konjunktiv darum, weil es immer noch „tunkel wie inära Chue“ ist, und man den Berg über uns nur erahnen kann. Und ja, rund 4 Stunden statt der angegebenen 3 Stunden haben wir für den Zustieg gebraucht. Aber man sei gewarnt: in dunkler Nacht und ohne Spur sind 3 Stunden eher unrealistisch – ich finde, mit unseren 4 Stunden waren wir sogar gut bedient!
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Situation am Bergschrund: happiger Einstiegsboulder, und immer noch stockdunkel. |
Sofort steigen wir ein: der Schrund ist etwa 2m hoch und überhängend, ein Einstiegsboulder quasi. Immerhin, auf den (Slowenian) Sitzstart verzichten wir. Nach einigen Metern Schnee wartet eine kurze, erste 85°-Stufe im Eis, dann geht’s mit 65° weiter. Als sich Walter in die 2. Länge aufmacht, beginnt es langsam zu tagen, und ich habe das Vergnügen, ihn bei seinem „Struggle“ mit 75-80° steilem, schlechtem Eis zu beobachten. Es war dort sehr porös, luftig und morsch, kaum zu schrauben, aber die einzige Stelle mit schlechtem Eis auf der ganzen Route. Danach Schlaghaken-Stand an den linken Begrenzungsfelsen.
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Rückblick nach 4 SL in der Wand, hier die einzige, nur kurze, einfache Passage, 50° steil. |
Danach folgen ca. 100m in Firn/Schnee, etwa 50° steil, nach links in einer Rinne hoch. Hier ist man am Beginn eines grossen Eisfalls. Nun nicht nach links hoch, in die Kamine gegen den markanten ersten Turm des Crozpfeilers, sondern geradeaus in den Eisfall. Diesen verfolgt man über 6-7 homogene Seillängen hinweg, die Steilheit stets so 60-75°. Das Eis war wohl alt und hart, aber von prima Schlagqualität, d.h. überhaupt nicht spröde. Da es aber wenig strukturiert war und kaum Tritte bot, stand man beständig auf den Frontzacken, was entsprechend an die Kondition geht. Leicht mühsam ist die Tatsache, dass es in diesem Rinnensystem keine geschützten Standplätze gibt, und man am Stand unweigerlich den vom Vorsteiger gelösten Eisschollen ausgesetzt ist – ganz ohne Treffer geht das nicht ab.
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Super Eiskletterei im unteren Wandteil, hier kurz vor dem 2. Eisfeld. |
Nach dem (sogenannten) „zweiten Eisfeld“, d.h. einer markanten Verbreiterung anstatt der üblichen Rinnen, schliesst ein Felsriegel den Weiterweg ab. Nach links gegen den Pfeiler hoch zieht aber eine enge, vereiste Rinne, mit wohl häufig eher dünnem Eis. Hier ist man nun auf der Originalroute am Crozpfeiler unterwegs, und es war die erste Stelle, wo einige Mixed-Moves nötig waren. Und es konnte auch nicht mehr beliebig mit Eisschrauben gesichert werden. Doch insgesamt war das (im Rückblick auf die Tour) doch eher noch gutmütig.
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Walter engagiert sich in der Mixed-Rinne, welche erstmals nach links auf den Pfeiler führt. |
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Rückblick auf die Crux dieser Mixed-Länge. Nicht viel Eis, dafür aber sehr gutes, überhaupt nicht sprödes. |
Vom Schlaghaken-Stand am Pfeiler geht’s weiter mit einer anspruchsvollen Seillänge über vereiste Platten. Das Eis war gerade genügend dick, um komplett in ihm klettern zu können. Hin und wieder dengelte man den Pickel auf den Fels, aber na ja, Material im Extremeinsatz. Die Absicherung ist auch auf der anspruchsvollen Seite, einige im Fels befestigte Schlingen ragten noch raus, mit gutem Beobachten ging auch die eine oder andere 13er-Schraube fast ganz rein.
Nach dieser Länge kommt man aufs „dritte Eisfeld“. Das Eis wieder dicker und breiter, und man zieht hoch, rechts am steilen Felsturm vorbei, wobei man nach etwa zwei Drittel des Eisfeld, also klar vor dessen Ende, nach links in eine Rinne hochzieht. Hier waren wir kurz etwas unsicher, ob wir richtig unterwegs sind, doch die erste Möglichkeit nach links in eine Goulotte abzuzweigen ist korrekt. Die Rinne war auf den ersten 100m nicht breit, aber gut vereist und gängig. Doch dann geht’s los, die letzten 50m zur markanten Scharte im Pfeiler bieten anspruchsvolles, kaminartiges Mixed-Klettern bei nicht ganz einfacher Sicherung.
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Abzweiger vom 3. Eisfeld in die Goulotte, welche in die markante Scharte am Pfeiler führt. |
In der Scharte Stand an Zacken, 10m weiter über den Grat hat es 2 BH-Stände unmittelbar nebeneinander. Wohl von einer Rettungsaktion, da sie für unsere Tour weder als Stand, noch als Zwischensicherung wirklich brauchbar waren, und auch keine andere Route dort durchführt. Es sind zudem die einzigen Bohrhaken, die auf der ganzen Tour stecken, und auch Schlaghaken gibt es auf der ganzen Route nicht viel mehr als 10 Stück.
Die nach der Scharte folgende Seillänge ist wohl fast immer Dry, ca. 4. Felsgrad, und je nach Belieben mit oder ohne Eisgeräte zu klettern. Danach folgen dann anspruchsvolle Meter gegen den letzten Turm am Crozpfeiler. Erst Mixed mit etwas lottrigem Fels, dann dünnes Eis mit 30m ohne gute Sicherungsmöglichkeit. Am Turmfuss Standmöglichkeit, ein Fixfriend ist auch dort. Wer meint, er habe die Tour nun in der Tasche, hat sich getäuscht!
Nach links hoch zieht der Originalausstieg des Crozpfeilers, der kaum mehr gemacht wird. Denn einfacher gehe es rechts rum, und wenn das unter „einfacher“ läuft, na dann prost auf dem Originalweg! Vom Stand am Turmfuss geht es Dry weiter einem Riss/Verschneidung entlang diagonal aufwärts. Der Fels eher plattig, mit oder ohne Geräte kletterbar. 2 NH stecken und es kann gut noch dazugelegt werden, erst die letzten Meter zu Stand an 3 schlechten Schlaghaken sind etwas heikel.
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Der vielleicht beste Standplatz der Route, so komfortabel ist's sonst nirgends. |
Und dann, die Nemesis der Route. Zweitletzte Seillänge, ein übler Stopper. Hier müssen Psyche und Können passen, sonst wird es prekär. Vom Stand weg geht’s im Fels 5m nach rechts in eine Rinne mit etwas plattigem Fels. Und die war auf den ersten 15m nur leicht vereist. Es wartet Mixed-Kletterei von der gröberen Sorte, und ohne vernünftige Sicherungsmöglichkeiten: run it out, dude! Man kann hier seinem Vorsteiger genau zusehen und mitbibbern. Und das war ganz eindrücklicher Alpinismus, den ich zu sehen bekam. Voll gefordert, nicht ganz sorgenfrei, aber kontrolliert und souverän, Chapeau Walter, wie du das gepackt hast! Etwa so wie M6+ sei es auf jeden Fall, meinte er.
Für mich ist klar, dass ich diese Stelle niemals im Vorstieg geschafft hätte. Und da ein Rückzug von dieser Stelle praktisch nicht durchführbar ist, wird der Helikopter, wenn es mit dem Raufkommen nicht klappt, schnell mal die einzige Alternative. Immerhin hat’s (wie in der ganzen Wand) Handyempfang. Offenbar hat es zu Beginn dieser Rinne manchmal mehr Eis. Zwar selten so viel, dass wirklich gesichert werden kann, doch zum Klettern reichts. Und 15m ohne Sicherung im 80°-Gelände sind doch viel eher denkbar als im M6+.
Wenn das Eis dann einmal anfängt, so warten noch etwa 80m super Eiskletterei bis zum Ausstieg. Die Rinne ist stellenweise nur einen halben Meter breit, das Eis war aber schön plastisch und man konnte nochmals richtig Tempo machen. Was auch nötig war, denn langsam war das Tageslicht am Schwinden. Nach 12 Stunden Nonstop-Kletterei waren wir oben. Schneller war einfach nicht drin, wir haben keine Minute vertrödelt. Auch „mussten“ wir wegen dem harten Eis fast alles von Standplatz zu Standplatz sichern und stiegen nur auf wenigen, kurzen Stücken gemeinsam am langen Seil.
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Sicht auf die Südwand, über welche wir in Dunkelheit, ungefähr in Bildmitte, abgestiegen/abgeseilt sind. Es ist steiler, als es auf dem Bild aussieht. |
Dementsprechend machen wir uns am Top rasch vom Acker, um das letzte Licht für die Abseilfahrt über die Südwand auszunützen. Zwei Abseiler gingen sich noch aus in der Dämmerung, dann bremst uns ein übler Seilsalat aus, und es hilft definitiv nur noch die Stirnlampe weiter. Hin und wieder lässt sich auch so ein Schlingenbündel finden – Abseilpiste ist für dieses Ding übrigens ein komplett falsches Wort: die Stände sind alle improvisiert, mit Schlingen um meist etwas dubiose Felszacken, und das Gelände ist zum Abseilen mässig bis schlecht tauglich (flach, schuttig, blockdurchsetzt).
Zuletzt muss ich dann sogar noch einen Haken schlagen, um eine vernünftige Verankerung zu erzeugen. „Tschäng, däng, däng, däng, däng“ in immer hellerem Ton, schallt es. Normalhaken schlagen ist schon viel spannender und kreativer als das etwas monotone Setzen von Bolts. Und dieses Placement war jetzt definitiv „bomber“, gutes Auge gehabt. Wir seilen nochmals ab, und stehen schliesslich auf einem ziemlich steilen (50°) Firn-/Eisfeld. Natürlich ist es inzwischen schon wieder stockdunkel, also runter, runter! Bald kommt ein Bergschrund, welcher sich mit etwas Suchen und Eisschraubensicherung gerade so überwinden lässt.
Wir kommen in ein Gletscherbecken, von welchem es nun den Rocher du Reposoir zu gewinnen gilt. Leider wird der Zugang dorthin durch eine Seraczone versperrt. Und natürlich ist niemand kürzlich an dieser Seite der Grandes Jorasses unterwegs gewesen, so dass absolut keine Spuren vorhanden sind. So gehen wir vor und zurück, hinauf und hinunter, aber wir finden keinen Durchschlupf. Um 22 Uhr, nach 20 Stunden „on the move“ ohne eine einzige Pause setzt sich schliesslich die Erkenntnis durch, dass die Sucherei wohl nichts mehr bringt und wir die Nacht hier, und nicht in der Boccalatte-Hütte verbringen werden.
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Der Biwakplatz - super Sicht auf den Sonnenaufgang am Mont Blanc |
So richten wir uns auf ca. 3700m, an einem Abwind- und Kälteseetechnisch günstig gelegenen Ort ein. Die Daunenjacke ist dabei, ebenso ein Notbiwaksack und ein Gaskocher. So gibt es erst einmal eine gepflegte Nudelsuppe, und danach den Versuch zu „schlafen“, d.h. 8 lange Stunden bis zum nächsten Tageslicht zu überbrücken. Meine Routine umfasste liegen (jeweils ca. 30-45 Minuten), rumgehen und Gymnastik (jeweils ca. 30 Minuten), Tee kochen und möglichst heiss trinken (15 Minuten). So gehen rund 1.5 Stunden rum, also 5x dieses Programm, dann ist die Nacht vorbei. Und was für schöne Wege ich auf meinen Aufwärmtouren alles in den Schnee getreten habe! Geschlafen habe ich nicht wirklich, vielleicht mal ein paar Minuten eingenickt. Kalt war es, nicht zum Erfrieren kalt, aber zu kalt um zu schlafen.
Um 8 Uhr am nächsten Morgen machen wir uns schliesslich auf den Weg. Und tatsächlich ist das Erreichen des Felssporns sehr kompliziert. Man steigt im zentralen Kessel weiter ab als eigentlich gedacht, klettert dann im 60°-Eis wieder eine Seillänge diagonal hoch, quert ein Plateau, überwindet eine Randkluft und einige Felsmeter, dann ist es geschafft. Ohne Spur oder genaue Ortskenntnisse bei Dunkelheit nicht wirklich zu finden, das Aufgeben unserer Suche war durchaus vernünftig.
Die Reposoir-Felsen bieten einen schönen und luftigen Grat, dessen Begehung genussvoll ist. Zuletzt seilt man dann 2x an BH-Ständen ab (40m, 60m, viele improvisierte Zwischenstände vorhanden) und steht auf dem Gletscher. Ausser einigen hier nun problemlos zu umgehenden Spalten ist das Gelände nun endlich trivial. So geht’s am Rognon de la Bouteille vorbei zum Gletscherende, und über Kugellager-Geröll zur hart am Abgrund gelegenen Boccalatte-Hütte. Um 11 Uhr sind wir da, 3 Stunden vom Biwakplatz.
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Kurz chillen vor der Boccalatte-Hütte, die an einem sehr eindrücklichen Ort gelegen ist und einen spannenden Hüttenweg aufweist. |
Niemand ist zugegen, so machen wir uns bald an den Abstieg ins Tal. Gut 1200hm sind noch zu überwinden. Das Gelände ist mit Kletterstellen bis zum 2. Grad gewürzt, und auch die Müdigkeit ist nun gut spürbar, so dass wir dafür nochmals 2 Stunden brauchen. Dafür sind wir „just in time“ zum Zmittag unten, und da man in Planprecipieux gleich an der Kneipe vorbeigeht, stehen bald 4 Dosen Cola und je eine Portion Pasta al Pomodoro auf dem Tisch – welch eine Wohltat!
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Sicht von Planprecipieux auf die Hänge, über welche wir von der Grandes Jorasses abgestiegen sind. |
Der Rückweg nach Chamonix erfordert dann wegen nicht mehr fahrender, bzw. ausfallender Verbindungen des öffentlichen Verkehrs das Trampen. Doch sowohl im Val Ferret, wie auch in La Palud vor dem Mont-Blanc-Tunnel müssen wir je nur wenige Minuten warten, bis wir mitgenommen werden. So sind wir in einer guten Stunde retour beim Auto. Da wartet noch die grosse Überraschung: die Kombination von weichen, flexiblen Leder-Bergschuhen und rigiden Eiskletter-Steigeisen hatte sich bisher auf kurzen Steileis-Touren sehr bewährt. An der Grandes Jorasses im Prinzip auch, hätte es da nur nicht immer etwas auf meine Ferse gedrückt. Im Abstieg war die „Blase“ dann durchaus etwas störend. Beim Nachsehen war es dann nicht mehr wirklich eine Blase, sondern einfach eine geschälte Ferse. Aber sowas gehört einfach zum „General Suffering“, welches bei solchen Touren irgendwie integraler Bestandteil ist. Dazu gehören auch die 2 Nächte mit total etwa 3 Stunden Schlaf, und 30 Stunden Bewegung mit hoher Intensität. Eines ist klar, gegen dies war meine
Wägital-Rundtour, trotz deren vieler Höhen- und Distanzmeter, nichts als ein blosses Spaziergängli...
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Et voilà! Wolltest du es wirklich so genau wissen? Auf jeden Fall, nach 38h nonstop in den Bergschuhen... |
Höchst zufrieden machen wir uns auf die Heimfahrt, die glatt verläuft. Natürlich bleibt Zeit, um zu philosophieren. 1935 wurde der Crozpfeiler erstbegangen, ohne Ankerpickel, ohne Eisschrauben, ohne vernünftige Steigeisen, Funktionsbekleidung, Handy, Wetterbericht und einsatzbereitem Hubschrauber. Unser Respekt vor diesen Pionieren ist unermesslich, einfach unglaublich diese Leistung, Vision und Kühnheit. Irgendwann treffen wir zuhause ein. Dankbar, dass auch in unserer Zeit noch solche Abenteuer möglich sind, verabschieden wir uns, und hoffen, bei Gelegenheit wieder einmal eine Tour dieser Art gemeinsam anzupacken.
Facts
Grandes Jorasses – Nordwand – Crozpfeiler mit Sloweneneinstieg – AS, WI4, M6+, 1200m
Als die vielleicht einfachste Tour in der Nordwand der Grandes Jorasses bekannt, ist das alles andere als leichtverdaulich. Bei guten Bedingungen, d.h. umfassender Vereisung wohl fast komplett in reiner Eiskletterei zu machen, mit nur 2-3 Seillängen im nicht extrem schwierigen Fels. Einige Passagen sind aber notorisch schwach vereist, so dass man dort oft auf anspruchsvolle und nicht immer einfach abzusichernde Mixed-Kletterei trifft. Während der untere Teil anhaltend nichttrivial, aber nie extrem schwer ist, warten die Schlüsselstellen erst kurz vor dem Ausstieg, von wo ein Rückzug kaum mehr möglich ist. Daher besser nur mit den entsprechenden Reserven einsteigen. Mein Tourenpartner empfand die Route im angetroffenen Zustand auch als anspruchsvoller wie die von ihm bereits begangen klassischen Nordwandrouten an Eiger und Matterhorn. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Tageslänge im Winterhalbjahr für eine Begehung nicht üppig bemessen ist. Zu- und Abstieg sind im Dunkeln und ohne Spur schwierig zu finden. Biwakplätze in der Route gibt es keine brauchbaren. An zwei Ständen (auf dem Pfeiler nach dem 2. Eisfeld, in der Scharte nach dem 3. Eisfeld) kann man einigermassen gut nebeneinander stehen, alles andere ist zum Übernachten völlig untauglich.
Material:
- 8 kurze Eisschrauben
- Keile, Camalots 0.3-3, Mikrofriends
- 10 Express, Schlingenmaterial
- Notbiwakausrüstung
- bei nicht üppiger Vereisung ein Set Schlaghaken
- 2x60m-Seil nicht zwingend, aber bequemer als 2x50m
Topo:
Wie schwierig die Tour (für mich) war, zeigt sich am eher rudimentären Topo, und auch am Fotomaterial, welches nicht auch dem üblichen Standard ist. Während ich auch auf anspruchsvollen Klettertouren die Zeit finde, um die Speicherkarte zu füllen, und um mir Notizen zu machen, blieb hier beides auf der Strecke - zu viel zu tun die ganze Zeit...
Nachtrag:
Einige zusätzliche Bilder und Links zur Tour gibt es in meinem Folgebeitrag:
klick hier!
Ein später angefertigtes Topo und den Link zum Tourenbericht von Walter gibt es hier:
klick
Einen prima Bericht, mit Zusatzrunde am Grande Pilier d'Angle, im Bergzeit-Magazin:
klick
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Topo der Crozpfeilers mit Sloweneneinstieg, so wie wir die Route angetroffen/geklettert haben. |
Ausblick:
Wie beschrieben, das war die erste derartige Tour, aber sicher nicht die letzte. Ich freue mich auf weitere derartige Abenteuer. Die Sicht auf den Peuterey-Grat im Abstieg war schon fantastisch, und an diesem tollen Stück Fels (siehe unten) sollte man sich vielleicht sputen, um die Amerikanische Direkte zu klettern, bevor sie eines Tages weggebröckelt ist...
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Tolle Sicht von Montenvers auf die Drus (3754m) |