Nachdem Hayden Kennedy und Jason Kruk im Januar 2012 am SE-Pfeiler des Cerro Torre in Patagonien eine Variante zur berühmt-berüchtigten Kompressorroute von Cesare Maestri aus dem Jahr 1970 eröffnet hatten, zerstörten sie die Originalroute, indem sie aus ihr 125 Bohrhaken entfernten. Wenig später gelang David Lama auch ohne diese Bolts, wenn auch mit kleinen Abweichungen, die erste komplett freie Begehung eben jener Kompressorroute, wofür er den Grad 8a vorschlug. Diejenigen, die alpine Newssiten frequentieren, sind bereits über alle Details informiert. Wer noch Wissenslücken hat, den verweise ich gerne auf die gute Zusammenfassung im Outdoorblog des Tages-Anzeigers.
Es ist wenig erstaunlich, dass die Tat von Kennedy/Kruk heftige Diskussionen auslöste, ja eine weltweite Kontroverse verursachte. War ihr Vorgehen richtig oder falsch? Auch wenn der Cerro Torre weit weg ist, möchte ich hier meine Meinung darlegen. Denn im Kern existiert das Problem genau gleich bei uns: sind Manipulationen an Routen von Dritten erlaubt? Bzw. welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit dem so ist?
Der Cerro Torre in Patagonien. Der SE-Pfeiler mit der Kompressorroute ist die Linie, die Licht und Schatten trennt. Pic: myknownbuzz.com |
Zuerst einmal gilt es festzuhalten, dass es hier nicht um eine Diskussion pro und kontra Bohrhaken geht. Kennedy und Kruk haben auf ihren Varianten ebenfalls Bohrhaken zumindest zur Sicherung benutzt, und sogar selber welche gesetzt. Ihre Tour "wäre nicht möglich gewesen" ohne diese - dieses Statement zeigt sehr schön, wie subjektiv es immer sein wird, ob ein Bohrhaken nötig ist, oder nicht. Wie erwähnt wollen wir uns hier nicht in diese unlösbare Diskussion verstricken, sondern den Eingriff in fremde Routen thematisieren.
Das weltweite, ungeschriebene Alpingesetz sagt ganz klar, dass a) die Erstbegeher Stil und Absicherung ihrer Route bestimmen, wobei auf lokale Begebenheiten und ethische Gesichtspunkte (die wir hier auslassen) Rücksicht zu nehmen ist. Ebenso wichtig ist b), nämlich dass bestehende Routen nicht ohne Rücksprache mit dem/den Erstbegeher/n verändert werden dürfen. Können die Erstbegeher nicht mehr konsultiert werden, oder haben sie das Interesse an der Sache verloren, so soll man sich auf einen genügend breit abgestützten Konsensentscheid berufen. Fakt ist: Kennedy/Kruk hatten weder die Zustimmung des Erstbegehers Maestri, noch existierte ein breiter Konsens - ihre Tat wurde spontan auf dem Gipfel beschlossen.
Bohrhakenreihe von Maestri am Cerro Torre. Pic: M. Wyser / supertopo.com |
Hier noch Beispiele, warum es ohne die obige Regel b) nicht geht: gälte sie nicht, so dürfte jeder z.B. in der Kennedy/Kruk-Variante oder anderswo zusätzliche Bohrhaken anbringen, sei es weil er diese "nötig" findet, oder die Tour sonst für zu gefährlich hält. Die beiden wären wohl kaum erfreut darüber, und würden sich prompt auf das ungeschriebene Alpingesetz berufen. Andererseits könnte ohne Regel b), am Cerro Torre oder anderswo, auch jeder in Touren unter seinem Niveau jeden nicht benötigten Bohrhaken entfernen, weil "es auch ohne geht". Resultat wäre ein ewiges Hin und Her, eine totale Willkür, und sinnlose "Hakenkriege".
Natürlich ist es so, dass Maestri's Route keine alpinistische Glanztat ist. Aus heutiger, aber auch aus zeitgenössischer Sicht ist sein Vorgehen als falsch zu betrachten - Widerspruch zur Ethik, ein Mord am Unmöglichen. Für die Tat von Kennedy und Kruk gilt aber dasselbe: eindeutig falsch, Missachtung des alpinen Kodex! Ich schliesse diesen Artikel mit einer Wiederholung des für mich zentralen Standpunktes: Hände weg von fremden Routen, d.h. in solchen weder zusätzliche fixe Sicherungen anbringen, noch fixe Sicherungen entfernen. Einzige Ausnahme bildet eine klare Absprache mit dem Erstbegeher, oder falls dieser nicht mehr greifbar ist, ein genügend breiter (!) Konsens.
Als nächstes ist die Bonatti am Capucin dran... Dann folgen die Fixseile an Eiger, Jungfrau und Matterhorn, und zuletzt werden die Seile am Hillary step gekappt - da würden einige recht dumm aus der Wäsche schauen 8-)
AntwortenLöschenGruess Chris
Im Grundsatz schliesse ich mich der Ansicht von Marcel an. Seine Überlegungen finde ich allerdings auch ziemlich überzeugend:
AntwortenLöschenhttp://colinhaley.blogspot.com/2012_02_01_archive.html
Besten Dank für Eure Kommentare, Chris & Patrik!
AntwortenLöschenDen Artikel von Colin Haley habe ich ebenfalls gelesen. Ich finde ihn ebenfalls sehr gut und ausgewogen. Allerdings erkenne ich bei seiner Meinung nicht unbedingt einen direkten Widerspruch zu meinen Zeilen. Vielleicht muss ich etwas weiter ausholen: wenn denn meine Meinung relevant wäre, so kann ich mir gut vorstellen, dass ich FÜR, und nicht gegen die Entfernung der Kompressor-Bolts gestimmt hätte. Wenn, dann allerdings sauber und vollständig, inklusive einem "Patchen" der Bohrlöcher. Und natürlich nach sorgfältigem Abwägen von Pro und Kontra.
Mir ging es bei meinem Beitrag um die Umstände der Hakenentfernung, sprich um die Cowboy-Aktion, die ich falsch fand. Man hätte eben den Diskurs VOR der Aktion führen sollen, und nicht erst danach. Mag ja sogar sein, dass die Tat nicht ganz spontan geschah, sondern im kleinen Kreis gar miteinander debattiert wurde. Aber der Nachhall der Sache zeigt ganz klar, dass jener Kreis (wenn es ihn gab) eindeutig zu klein war. Und damit meine ich jetzt nicht, dass unbedingt ich persönlich hätte befragt werden müssen, sondern "die richtigen Leute": z.B. gestandene Alpinisten wie die Anthamattens, Roger Schäli oder Robert Jasper, welche alle den Cerro Torre via die Kompressorroute in ihrem Palmares führen.
Mein Artikel endet mit der Aussage, dass ohne Erstbegeherzustimmung ein genügend breiter Konsens vorhanden sein muss. Natürlich verschiebt sich dieses Problem nun dazu, was denn "genügend breit" ist. Hierzu wirft der Kommentar von Chris interessante Fragen auf: das Matterhorn wurde ohne Fixseile erstbegangen, bzw. ist ohne diese gut möglich. Es wäre eine anspruchsvolle, hochalpine Kletterei, der heutige Besucheransturm würde deutlich spärlicher sein. Mir wäre es lieber so, anderen vielleicht auch, aber sicher längst nicht allen.
Wer hat denn beschlossen, dass am Matterhorn Fixseile sein müssen? Wurden alle relevanten Stakeholder dabei konsultiert? Es ist eindeutig, "wohl kaum". Während beim Klettern die von mir gewünschte Ethik ("keine Routenveränderung ohne Erstbegeherzustimmung oder Konsens") meiner Meinung nach noch einigermassen funktioniert, wurde und wird gerade bei beliebten Hochtouren emsig Routentuning ohne Konsens betrieben. Auch das ist, aus meiner Sicht, schade.
Das schlechte an der Aktion am Torre ist, dass sich der KKK, Kennedy Kruck Klan vor die super Leistung von David Lama stellt und diese nun auch in Mitleidenschaft zieht. Da David für seine erste freie Begehung mehre male am Torre war und die Bolts von Maestri für das Auschecken vieler Stellen gebraucht hatte. Nun wird kein anderer kletterer in den Genuss kommen technisch auf den Torre zu kommen und dort Moves auszuchecken. Also wird auch die Leistung von David diesbezüglich relativiert. Aber der Torre spielt gerne mit uns Menschen und nun er hat er etwas seinen Stellenwert wieder etwas aufpolliert. Ich war 1991 auf dem Torre und viele der Bolts waren von einer Eisschicht zugedeckt, und nach einer langen Stelle mixed war ich froh wieder einen Bolt auszugraben. Es war mir schon damals aufgefallen, dass bei guten Bedingung der Südostpleiter am Torre frei zu machen wäre. Nun da die Bolts von Maestri weg sind, wird die Sache mit dem Wetter am Torre noch heikler werden, da nun super Bedingungen nötig sein werden den Gipfel zu erreichen. Gut gut, wer das Wetter am Torre für die nächsten 10 Tage braucht: www.annaenrich.ch / patagoniern / Torre weather oder http://sites.google.com/site/meteobariloche/cerro-torre
AntwortenLöschen........................................... Mit den Jahren wird in der Variante vom KKK wieder soviel Schrott anzutreffen sein, dass der Berg wieder technisch mit A2 machbar wird.
Mike Schwitter