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Dienstag, 14. März 2023

Sasso Altis - In direzione ostinata e contraria (7c)

Wir sind für ein Weekend im Tessin, der Auftakt ist uns mit der Radici del Silvio am Pizzo d'Eus hervorragend gelungen. Nachdem die festgefahrene Karre in Eigenregie wieder flott ist, tuckern wir zu Tal, dem Nachtessen und der Bleibe für die körperliche Erholung entgegen. Wo packen wir am nächsten Tag an? Das Entdeckungsfieber lockt wie immer, und so entscheiden wir uns mit grosser Vorfreude für die hier beschriebene Route am Sasso Altis. Dieser gewaltige Gneisdom befindet sich im Valle di Vergeletto, einem Seitental des Valle di Onsernone, das wiederum vom Centovalli abzweigt. Der Sinn dieser genauen geografischen Beschreibung sei es aufzuzeigen, dass wir hier ein wenig vom "Ende der Welt" sprechen. Hinter Russo im Onsernone mit seinem fabelhaften Klettergarten beginnt auch für mich Terra Incognita, ins Vergeletto habe ich (und bestimmt auch viele anderer Kletterer) noch nie einen Fuss gesetzt. So kurven wir gespannt dahin.

Die gewaltige Wand des Sasso Altis, im Vordergrund die Hütten von Partüs / Al Partös.

Bei den letzten Häusern von Vergeletto steht am Strassenrand ein Fahrverbot. Wir interpretieren es so, als dass es zur Seite gestellt ist und damit freie Passage erlaubt. Wäre dies nicht der Fall, so müsste man ab diesem Punkt noch ca. 1h der asphaltierten Strasse entlang ins Tal hinein wackeln, bzw. eben ein Bike mitbringen. Vermutlich aber ist das Verbot nur bei winterlichen Bedingungen aktiv, dann jedoch kann am Sasso Altis sowieso nicht geklettert werden. Als wir dahintuckern, kommt der imposante Gneisdom ins Blickfeld - er lässt schon beinahe Erinnerungen ans Yosemite aufkommen und der Puls schlägt sogleich schneller. Wie es wohl kommt, dass es in der gewaltigen Wand nur gerade eine einzige Route gibt, welche erst im 2007 erschlossen wurde?!? Wir machen uns gerne auf den Weg, um dies näher zu ergründen 😃

Was da wohl kommt? Unsere Frage zum Sasso Altis, genauso wie jene der Steinböcke, die hier kritisch um die Ecke linsen.

Der Ausgangspunkt ein wenig taleinwärts vom P.1049 bei Partüs (nach neuer Schreibweise Al Partös) ist mit den Angaben im SAC-Kletterführer Tessin gut zu identifizieren, auch wenn es nicht ein Kraftwerk, sondern nur eine kleine Elektro-Schaltzentrale hat. Um 8.05 Uhr machen wir uns auf den Weg zu den wenigen Hütten von Partüs. Dahinter geht's den steilen Grashang auf der rechten Seite hinauf und am oberen Ende der Lichtung nach links zum Sporn, welcher zuerst moränenartig gegen das Bachtobel abbricht. Diesem Sporn gilt es zu folgen, vorerst ist er mässig steil und weist noch einige Zeugen (Eisenstangen, Drahtseile) aus alten Zeiten auf. Es gibt keinen Weg, aber trotzdem wenige Fragezeichen, nur das viele Laub und Unterholz stören. Wie wir erst bei einem späteren Besuch am Sasso Altis herausfinden, ist dieser Abschnitt durch das Bachtobel westlich viel weniger beschwerlich und schneller zu begehen. 

Durch dieses trockene Bachbett verläuft der beste Zustieg im unteren Teil - besser als durchs Unterholz!

Ab ca. 1200m wird das Gelände über 45 Grad steil und wir haben uns ziemlich schwergetan. Der beste Weg ist beim ersten Mal schwierig zu finden. Der Untergrund, dürres Gras mit äusserst rutschiger Laubauflage, immer wieder eingelagerte Felsstufen und störendes Unterholz lassen uns auf einer richtigen Dschungelexpedition wähnen. Nach einiger Zeit gelingt uns eine Querung nach rechts, wir stehen nun vor flachen Reibungsplatten am Wandfuss. Der Blick auf die riesige Wand lässt uns die Kinnlade hinunterklappen - wow, das sieht einfach richtig geil aus! Zuerst heisst es aber, im 2./3. Grad über die Platten zu schleichen - sofern diese trocken sind, kein grösseres Problem. Der einfachste Weg führt zu einer grünen Oase mit kleinen Birkenwäldchen. Zum Einstieg muss man ca. 30-40m nach rechts queren. Achtung, es handelt sich um die rechte der beiden Routen, die ca. 20m weiter links startende Linie ist zwar sehr empfehlenswert (Details folgen 😎), aber eben nicht die "In Destinazione...". Die 350hm an Zustieg (ca. T5 mit Stellen II-III) hatten uns 50 Minuten gekostet, um 9.25 Uhr waren wir parat und stiegen ein.

Zustiegsskizze, sie möge bei einem möglichst bequemen Trip zum Einstieg helfen!

L1, 40m, 6b+: Los geht's noch gemässigt schwierig, der hier quer gebänderte Gneis erlaubt gutes Fortkommen. Allerdings müssen sich die Nackenhaare von der zweiten zur dritten Sicherung sträuben, denn da ist der Abstand weit und ein Grounder zu befürchten. Die Crux folgt nach dem fünften BH an einem kleinen Dächli, welches mit sloprigen Leisten überwunden werden will. Auch danach lässt es nicht so richtig nach, delikate Moves über der letzten Sicherung sind gefordert, es bleibt zwingend bis hinauf zum Stand.

Grosszügige, plattige Wandkletterei in L1 (6b+), da ist man gleich gefordert!

L2, 20m, 6a+: Eine kurze Seillänge mit nicht so logischem Verlauf. Die ersten 2 BH erzwingen die Kletterei dem rechten Schuppensystem entlang, wobei es links offensichtlich besser ginge. V.a. muss später dann doch etwas knifflig nach links gewechselt und ein erstes (noch vergleichsweise harmloses) Dornengebüsch passiert werden, bevor man weitgehend griffig den Abschlussboulder erreicht. Dieser erfordert das Kneifen von einigen kleinen Quarzgriffen, bevor man die Standhaken erreicht.

Am Ende von L2 (6a+) wartet noch eine knifflige Plattenstelle.

L3, 25m, 7c bzw. 6c A1: Nun folgt die nominelle Crux der Route über einen eindrücklichen Plattenschuss. Einige Strukturen in Form von Rails sind durchaus vorhanden, so dass die Sache a priori schwierig einzuschätzen ist. Doch die Realität rückt die Dinge rasch zurecht. Schon gleich ist es richtig taff und wenig später geht's dann subito Richtung unmöglich. Die Wand ist zu steil, um sich ohne Griffe rein auf Reibung zu bewegen, die Felsstruktur zu abschüssig um gescheit etwas festzuhalten. Immerhin stecken die Haken genügend nahe, dass man mit dem Einsatz von Trittschlingen weitgehend A0 durchkommt. Dem bedienen wir uns auch ausführlich, von einer freien Begehung sind wir meilenweit entfernt. Über ca. 15 anhaltend schwierige Meter haben wir nicht den Hauch einer Chance. Ob der Grad von 7c passt?!? So wirklich beurteilen können wir es de fakto nicht, das müssen Berufenere einschätzen. Zum Ende der Seillänge muss dann zwingend im 6c-Bereich freigeklettert werden. Abgeschlossen wird die Seillänge mit einem Runout, der in einem Grasbüschel-Boulder in den Stand gipfelt, welcher durch reichlich Dornengebüsch verteidigt wird - uff!

Über diese Platte führt L3 (7c), wobei der Verlauf den logischen Weg entlang der Strukturen nimmt. Auf den ersten Blick sieht's nicht so gravierend hart aus, doch leider täuscht der Eindruck. Um einfach nur hinzustehen ist es definitiv zu steil, und neben den Strukturen ist's einfach total blank.
Die Gegenperspektive auf L3 (7c), im Vordergrund noch der Boulder in die Botanik am Ende.

L4, 35m, 6b+: Eine ziemlich lange Seillänge mit etwas verzwickter Linienführung. An sich nicht so schwierig, doch die kreuz und quer steckenden Haken sorgen für Verwirrung und machen dem Vorsteiger die Sache nicht einfach, da man ohne grosszügige Verlängerungen bald einmal mit heftig Seilzug bezahlt. Auch hier zieren Dornengebüsche die Umgebung des Standplatzes, doch da man sich zum Glück auf einem geräumigen Band befindet, kann man recht gut ausweichen.

Prima Kletterei, aber durchaus mit Anspruch, gerade bei der Platte am Ende von L4 (6b+).

L5, 50m, 7b bzw. 7a A1: Pièce de Resistance, welches uns beinahe das Handtuch werfen liess! Im 6b-Bereich geht's einigermassen griffig los, gefolgt von einem etwas grasigen Riss zu einem Pfeilerköpfchen, von welchem eine Stelle an positiven Leisten zur Crux führt. Darüber wie (und ob) diese frei zu klettern ist, können wir keine Auskunft geben, aber es schien uns absolut unmöglich. Nur schon das schiere Hochkommen war eine grosse Challenge: es erforderte mit Start in einer korrekt abgelängten Trittschlinge nahezu griffloses Aufstehen ohne Wegzukippen auf dem Bolt mit einem Pistol Squat, dies im Steilgelände. Ab ca. 185cm Körpergrösse reicht es dann überstreckt in einen Untergriff, worauf man heikel die Füsse auf Reibung stellt, um schliesslich den Rettungshenkel zu erhaschen. Pfff, das fühlte sich selbst inklusive aller Tricks wie eine 7a, bzw. eher 7b-Stelle an, mit dem erheblichen Risiko aus der Trittschlinge oder beim Aufsteher auf der schlipfrigen Boltlasche sehr unangenehm abzupfeifen. Ein No-Hand-Rest ermöglicht danach ausgiebiges Durchschnaufen, was durchaus nötig ist. Anhaltende Kletterei im 6c/+ Bereich mit vernünftiger, aber zwingender Absicherung führt zur nächsten Dornenbusch-Insel (aka Stand) auf dem breiten Band in Wandmitte - Holladuli!

Ab der Position des Akteurs zeigt sich L5 (7a A1 oder 7b???) bald widerspenstig.

L6, 20m, 6a: Wir waren nicht unfroh darüber, dass uns das Topo nur noch 4 einfachere Seillängen zum Routenende prophezeite. Ginge es nämlich so weiter wie zuletzt, würde das Zeitbudget definitiv explodieren, das Top der Route läge ausser Reichweite. Wie erhofft konnten wir auf diesem Abschnitt aber Zeit gutmachen, er gelang uns zügig. Er ist kurz, die Kletterei an positiven Leisten in stark quarzhaltigem, wenn auch etwas flechtenbewehrten Gestein lässig und angenehm. Nach unserem Empfinden für eine 6a auf der eher schwierigen Seite - oder war es nur das stark angeknackste Selbstvertrauen, das uns die Länge eher als 6a+/6b taxieren liess?

Unterwegs in der schönen, nicht ganz trivialen L6 (6a).

L7, 25m, 6a+: Eine richtig coole, metermässig auch eher kurze Sequenz entlang einer sehr griffigen Rissverschneidung, welche luftig über ein Doppeldach führt. Nachdem sich auch noch an den genau richtigen Stellen optimale Trittrails befinden, bewältigt man mit eleganter Tänzerei Gelände, das rein aufgrund der Anlage auch erhebliche Schwierigkeiten bieten könnte. Zuletzt wiederum über positive, etwas flechtige Quarzleisten zu bequemem Stand. Wer will, kann diese Sequenz bei geschickter Seilführung ziemlich gut mit L6 verbinden.

Kühne Routenführung, dank griffigen Rissen und guten Trittleisten geht's gut (L7, 6a+).

L8, 30m, 5c: Für Abwechslung ist auf dieser Route gesorgt. Unschwierig geht's nach rechts zum ungünstig platzierten, ersten BH, worauf die Herausforderung erst einmal war, unbeschadet das massive, ungestutzt wuchernde Dornengebüsch zu passieren. Das bringt einen an die grosse Schuppe, hinter welcher sich ein Kamin ausgebildet hat. Klemmend, stemmend oder aussen bleibend beschreitet man diesen - für uns mit grossem Schreckmoment, weil eine 2x1m-Schuppe bedenklich wackelte und Leib und Leben zu gefährden schien. Der Versuch, diese im Nachstieg dann effektiv in die Tiefe zu senden scheiterte - immerhin wurde sie dadurch so gut im Kamin verkeilt, dass sie von Menschenhand nicht mehr bewegt werden kann und keine Gefahr mehr darstellt. Im Finish ist der Riss dann auf einer Strecke von ca. 4m üppig mit Dornen bewuchert... man kann aber halbwegs ausweichen und sich schadlos halten. Insgesamt sicher eine Länge, welche nicht die grossen Schwierigkeiten bietet, aber sicherlich jeden 5c-Kletterer weit überfordern würde.

Die Schuppe in L8 (5c) fast schon wie im Yosemite - aber gibt's dort auch Dornengebüsch?

L9, 25m, 6c: Zum Abschluss folgt eine lässige Seillänge mit Wandkletterei an sloprigen Strukturen, welche auch prima mit Bolts abgesichert ist. Es stört einzig die Tatsache, dass das Gestein hier, unter dem Schutz der grossen Abschlussüberhänge zunehmend sandig/brösmelig wird. Die Sache gipfelt schliesslich in einem Walfisch-Mantle auf ein schmales Band, wo die Route abrupt bei einem Chalk-Smiley endet. Die Entscheidung der Erschliesser ist aber nachvollziehbar, über die grossen Dächer ginge es nur in künstlicher Kletterei mit vielen Bolts und das Gestein in dieser Zone lädt wenig zum Weiterklettern ein.

Pressige, sehr schöne Kletterei in der letzten Seillänge (L9, 6c).

Um 15.25 Uhr hatten wir nach ziemlich genau 6:00h Kletterei das Top erreicht. Wir waren froh, es doch noch geschafft zu haben, nachdem die Sache in L5 auf des Messers Schneide stand. Wir machen uns ans Abseilen, was mit 2x60m-Seilen in 5x möglich ist (Top -> 7 -> 5 -> 4 -> 2 -> Boden). Es geht sicher auch mit 2x50m gut, dann dürften wie gemäss Topo im SAC-Führer 6 Manövern fällig sein. Um 16.15 Uhr stehen wir wieder unter der riesigen Wand. Ob das unser letzter Besuch an diesem Berg war? Inzwischen kann ich diese Frage mit Sicherheit mit einem "nein" beantworten. Aber auch damals, unmittelbar nach dem Abseilen steckte die Idee, in dieser gewaltigen Wand eine Route zu erschliessen schon fest in meinem Kopf. Und dementsprechend streifen wir dem Wandfuss entlang und blicken in die Wand hinauf, in gespannter Erwartung was da wohl kommen möge. Es bleibt noch der Abstieg zum Parkplatz. Dazu haben wir zuerst 50m an einer Birke über die Vorbau-Plattenzone abgeseilt. Ab dort sind wir rechtshaltend etwas absteigend durch den steilen Wald gequert. Ein 30m-Abseilmanöver über die steilste Zone (d.h. den Abschlusskamin des Couloirs am Fuss der östlich begrenzenden Felswand) ist jedoch unumgänglich. Unterhalb geht's entlang des Aufstiegswegs retour zum Ausgangspunkt, wo wir um 17.10 Uhr eintrafen.

Abseilerei vom Top, man sieht den gesamten Weg bis ins Tal: Wand, schwarze Plattenzone am Vorbau mit 50m-Abseiler, die steile Waldzone hinunter zu den Hütten von Partüs, die am linken Bildrand sichtbar sind. Der Talgrund erhält um diese Jahreszeit überhaupt keine Sonne, darum hält sich dort bei Schönwetterlagen im Winter Schnee und Eis extrem lange, obwohl es am südlich ausgerichteten Sonnenhang ausnehmend mild ist.

Auf dem Heimweg blieb dann genügend Zeit, um über den Stil der gekletterten und der zu erschliessenden Route zu philosophieren. Wir sind uns einig: ein gewisser Anspruch soll und darf durchaus da sein, aber heikle Stellen mit erheblichem Verletzungspotenzial möchten wir unserer Gesundheit zuliebe doch lieber vermeiden. Wir sind zu diesem Zeitpunkt zuversichtlich, eine Linie zu finden, welche (für uns) komplett in freier Kletterei möglich sein wird. Nun, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Zeilen kennt der Autor das Resultat dieses Projekts bereits. Zwischen der Begehung der hier beschriebenen Route und dem ersten Go in unserer Neutour verging aber ziemlich exakt die Zeitspanne von 365 Tagen. So lange werde ich die Leser dieses Blogs nicht auf die Folter spannen. Um unserer gespannten Erwartung auf die Erlebnisse am Sasso Altis aber ein wenig Rechnung zu tragen, brauchen auch die Leser noch etwas Geduld, bis der Bericht über unsere Neutour am Sasso Altis präsentiert wird.

Facts

Sasso Altis - In destinazione ostinata e contraria 7c bzw. 7a A1 - 9 SL, 270m - T. Salvadori et al. 2007 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Cams 0.2-2

Interessante Kletterei durch eine extrem eindrückliche Wand in einem wenig besuchten Tal. Sie bietet meist guten bis sehr guten Fels, die hin und wieder vorhandene Botanik stört kaum. Während der grösste Teil der Route mit Schwierigkeiten im Bereich 6a-6c gut kletterbar ist, fallen zwei harte Sequenzen aus diesem Rahmen. Ob die dafür angegebenen Schwierigkeiten von 7b und 7c zutreffen, können wir nicht beurteilen. Jedenfalls fanden wir in beiden Fällen keine freie Lösung. Ich würde mal sagen, wer in griffloser Zauberei auf kompaktem Gneis nicht äusserst versiert ist, wird da nur mit Hakenhilfe durchkommen. Die Grundabsicherung mit Inox-BH ist an sich in Ordnung, leider wurde aber hier und da mit den BH eher gegeizt, was einige Stellen mit sportlichem Anspruch produziert. Auch die beiden harten Sequenzen sind nicht sonderlich konsumentenfreundlich gebohrt, so dass auch mit Hakenhilfe maximaler Einsatz zum Hochkommen nötig ist. Zur Ergänzung der Absicherung ist ein Set Cams von 0.2-2 hilfreich. Ein Topo befindet sich im SAC-Kletterführer Tessin. Nachfolgend mein Wandbild mit dem Routenverlauf.

Wandbild des Sasso Altis mit dem Verlauf von 'In destinazione...'. Orange der Start unseres Projekts.

Sonntag, 5. März 2023

Skitour Piz Nair (3059m)

Kurzfristig erhielt ich grünes Licht für eine Tour an einem perfekt sonnigen Samstag, an welchem das Bulletin mit Stufe 1 absolut sichere Bedingungen anzeigte. Warum nicht wieder einmal ins Urnerland? An die Skitouren mit Ausgangspunkt bei der Golzerenbahn im Maderanertal habe ich nämlich exzellente Erinnerungen. Die Touren zum Bristenstock (2008, 2009), zur Gross Windgällen (2009) und zum Gross Düssi (2011) gehören alle zur Crème de la Crème in meinem Palmares. Alle sind sie aber auch sehr lang, mit über 2000hm Aufstieg und alpinen Fussaufstiegen im Gipfelbereich. Ob ich das jetzt immer noch könnte, 10-15 Jahre nach dieser Blütezeit?!? Dem wollte ich auf die Spur gehen und erkor den Piz Nair (3059m) zum Tourenziel. Er war neben dem (noch schwierigeren) Witenalpstock (3015m) der letzte 3000er im Tal, den ich nicht nicht besucht hatte. Viele Infos über die zu erwartenden Schwierigkeiten konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Das SAC-Tourenportal bewertet den Aufstieg über den NW-Grat von der Fuorcla Piz Nair (2830m) als Hochtour mit WS, II+. Auch die Hikr Delta und Schlomsch berichten von ihren Sommertouren keine aussergewöhnlichen Schwierigkeiten am Grat. Mein Fazit war also, dass das auch im Winter gehen sollte - auch wenn das Netz keinerlei Infos über Besteigungen in der kalten Jahreszeit ausspuckte.

Der Piz Nair (3059m) in seiner ganzen Pracht, hier mit Blick auf seine Nordwand. Rechts vom Gipfel die Fuorcla Piz Nair (2830m), der NW-Grat mit dem alpinen Fussaufstieg ist im Profil gut sichtbar. Wer das Foto in voller Auflösung betrachtet, vermag auch meine Abfahrtsspur zu erkennen.

Somit rauschte ich in gespannter Erwartung zum Ausgangspunkt bei der Golzerenbahn (834m). Wobei, was ich schon wusste, war dass mich dort absolut keine Flocke Schnee erwartet. Mit den entsprechenden Karten, Bildern und Webcams ist das ja heute keine Hexerei mehr. Deshalb hatte ich das Schneetaxi (=E-Bike) dabei und hoffte wie immer, dass die Übergangszone zwischen nicht mehr Bike-fahrbar und noch nicht Ski-fellbar möglichst klein wäre. Nach einem Start um ca. 8.20 Uhr ging das auf wie gewünscht. Bis zur Chrüzsteinrüti (ca. 1170m) war die Strasse weitgehend aper, bzw. am Ende auf dünn-kompakter Schneedecke gut fahrbar. Damit war das erste Teilstück zügig und ohne Mühen erledigt. Das Gefährt wurde deponiert, ich ging wenige Schritte durch den folgenden Tunnel, danach konnte ich die Bretter anschnallen. Es lag zwar generell schon sehr wenig Schnee, auf dem Trassee war er aber kompakt und durchgehend. Ziemlich subito wurde ich mir gewahr, dass bis zu den Gipfelzielen noch ein sehr weiter Weg wartete - das störte mich aber nicht, denn es war das erste Mal, dass ich ins Etzlital schritt. So bedeutete jeder Meter Neuland und neue Ausblicke, zudem gewann ich zügig an Distanz und Höhe.

Wenig Schnee hier im Etzliboden - aber alles fahrbar! Hinten Chli und Gross Windgällen.

Bis zur Müllersmatt, dem Boden unterhalb der Etzlihütte, konnte ich der Spur der Hüttencrew folgen. Es war nicht so, dass dies bei der kompakten Schneedecke mit einem Pulverflaum eine wesentliche konditionelle Erleichterung gebracht hätte. Aber so gab es bezüglich der Orientierung null Fragezeichen. Wie sich zeigte, verlief der Parcours durchgehend exakt entlang des Sommerwegs, nur bei üppigerer Einschneiung stehen andere Optionen offen. Die Müllersmatt stellt quasi den Knotenpunkt für alle Touren im Etzlital dar. Während der Piz Nair noch nicht sichtbar ist, präsentieren sich dafür viele andere Gipfel, Couloirs und Abfahrtslinien im besten Licht. Ich schwankte kurz, ob ich meinen Plan anpassen sollte. Vieles lockte, ja einiges aus dieser Perspektive gleich richtig extrem. Aber wie es so ist im Leben, man kann nicht alles gleichzeitig haben. Somit hielt ich an meinem ursprünglichen Plan mit dem Piz Nair fest. Wer weiss, vielleicht ergäbe sich ja auf dem Rückweg noch eine Gelegenheit...

Da gibt es noch zu tun! Ausblick auf den Witenalpstock (3015m) und seine Trabanten.

In flachem Marsch ging es dem Etzlibach entlang nach Hinter Felleli, wo (nun im Angesicht des Piz Nair) der steile Aufstieg in die Fuorcla begann. Erst konnte ich noch von einer älteren Spur profitieren, etablierte mich dann auf der markanten Mittelmoräne bis zum Fuss der Felsen vom Hälsistock. Schon gleich die erste Steilstufe danach war dann ziemlich ätzend: es hatte eine superkompakte Unterlage, darauf lagen 10-20cm kohäsionsloser Schnee, der beständig wegrutschte. Es blieb mir nichts anderes als ein kurzer Bootpack übrig. Bei der nächsten Steilstufe dann dieselbe Situation - ansonsten gelangte ich aber ohne weitere Schwierigkeiten und ohne übermässige Anstrengung beim Spuren unter die Fuorcla Piz Nair (2830m, ca. 12.50 Uhr, 4:30h ab Bristen). Dort wurden die Bretter deponiert, die letzten 10hm in die Lücke sind recht steil, bei ungünstigen Bedingungen würde ein fix installiertes Seil die Sache erleichtern.

Die letzten (ca. 150!) Höhenmeter hinauf zur Fuorcla Piz Nair. Das Gelände ist durchaus steiler, wie es hier auf diesem Foto den Anschein macht. Die Sonne lugt übrigens gerade dort hinter dem Grat bevor, wo sich der steilste Abschnitt mit der Schlüsselstelle befindet.

Von der Lücke war bzw. ist der NW-Grat schwierig einzuschätzen. Er ist wenig scharf geschnitten, alles sieht ein wenig gleichförmig aus. Also hinauf und probieren! Global bleibt man immer in der Nähe der Kante, die sich aber meist mehr in der Form von einem Rücken präsentiert. Ansonsten ist die Routenwahl wohl ziemlich beliebig - der Nase entlang heisst es. Los geht's noch in mässig schwierigem Terrain, bald wird es steiler und noch in der ersten Hälfte folgt die Schlüsselstelle. Eine ca. 25m hohe Felsbastion stellt sich in den Weg - ganz ordentlich steil, luftig-exponiert, aber zum Glück mit so richtig griffigem und solidem Fels. Trotzdem, für eine II+ muss man doch recht zupacken! Danach legt sich das Terrain wieder etwas zurück. Die Neigung ist aber beständig >45 Grad, es geht auf alle Seiten runter, Fehler sind da absolut keine erlaubt - ein Sturz wäre nicht aufzuhalten. Irgendwie hat's mich in der Art fast ein wenig an den Hörnligrat am Matterhorn erinnert. 

Es ist eher schwierig, den Grat gut fotografisch einzufangen. In Bildmitte die Schlüsselstelle.

Um 13.50 Uhr (5:30h ab Bristen) war ich schliesslich am schlichten, eisernen Kreuz angelangt. Südseitig war es angenehm windstill und warm. So konnte ich die Rast geniessen, das fantastische Panorama bestaunen und im Gipfelbuch blättern. Die letzte Begehung war am 1.8.2022 eingetragen, im Schnitt verirren sich ca. 5-10 Tourengänger pro Jahr auf diesen eindrücklichen Kulminationspunkt. Ich war etwas erstaunt, dass anteilsmässig doch ein substanzieller Teil der Begehungen im Winter stattfand. Andererseits hat dies durchaus seine Logik - bei guten Verhältnissen ist der NW-Grat eben nicht bedeutend schwieriger wie im Sommer, zudem ist der Zustieg zur Fuorcla mit den Ski bestimmt viel angenehmer wie im Sommer, wenn man über endloses Geröll gehen muss. 

Cumbre - einfach fantastisch da oben!

So schön es am Top war, irgendwann musste ich wieder aufbrechen. Auch diesbezüglich war das Gefühl ein wenig ähnlich wie auf dem Matterhorn, wo man ja um den anspruchsvollen Abstieg weiss. Schlussendlich ging aber alles gut über die Bühne - auch die Steilstufe konnte ich souverän abklettern. Oberhalb von dieser gibt es einen Stand mit BH und Ring, so dass man ca. 25m Abseilen könnte, sofern man einen Strick mitführt. Um 15.00 Uhr war ich retour in der Fuorcla und machte mich für die Abfahrt parat. Diese war dann von der Marke ganz ordentlich. Sprich meist pulvrig, dazwischen gab es ein paar Zonen mit leichtem bis mässigem Winddeckel, welche vorausschauend erkannt und umfahren werden wollten. Da ich noch über genügend Power in den Beinen verfügte, zog ich auf 2450m östlich zu den Ausläufern des Fellifirns hinaus. Mein Rückweg ins Tal sollte nicht komplett über die Aufstiegsroute verlaufen, ein kleiner Abstecher über den Chli Mutsch passte noch ins Programm.

Panorama von der Fuorcla Piz Nair, links Hälsistock (2965m), rechts Piz Nair (3059m).

Alpinistisch ist dieser kleine Gipfel absolut unbedeutend. Für den begeisterten Skifahrer ist er aber der Wächter über das fantastische NE-Couloir hinunter zur Müllersmatt. Dieses hatte mich schon beim ersten Anblick begeistert - ja ich hätte deswegen sogar meine Pläne mit dem Piz Nair in Frage gestellt. Doch eben, ich konnte ja sogar beides haben. Nur wohl leider nicht mehr mit der First Line, denn zwei von der Etzlihütte kommende Tourengänger hatten ca. 100hm "Vorsprung" auf mich. Naja, es würde sich bestimmt trotzdem noch lohnen, sagte ich mir. Umso überraschter war ich dann, als ich ca. 40hm unter der Lücke auf die beiden Splitboarder traf, die dort wie 2 begossene Pudel Rast hielten. Der Weiterweg sei nicht mehr möglich, sie würden umdrehen, sagten sie mir. Tatsächlich, es gab ab diesem Punkt das mir bereits schon bekannte Problem mit der harten Unterlage mit dem rutschigen Pulver drauf - für sie zusätzlich mit der Schwierigkeit, dass ein Fussaufstieg mit den "Gummischuhen" nicht drin lag. So passierte ich die beiden und erreichte die Lücke im Nu.

Mutsch (2790m) und Chli Mutsch (2592m) in der rechten Bildhälfte, fotografiert von der Müllersmatt (noch am Vormittag im Aufstieg). Im Blick die fantastische NE-Abfahrt von der Lücke zwischen den beiden Gipfeln.

Mit kurzer Kraxelei über ein paar Felstürme am Südgrat konnte ich tatsächlich auch noch den Gipfel des Chli Mutsch (2594m, ca. 16.00 Uhr) mitnehmen. Bald war ich zurück bei den Brettern, schnallte diese unter die Füsse und freute mich auf die bevorstehende Abfahrt. In meinem Rücken nahm ich war, wie die anderen beiden Tourengänger nun meinen Spuren folgend doch noch den Aufstieg wagten - mit einigem Lamento und gegenseitigen Vorwürfen, denn offenbar reute es sie extrem, die First Line verloren zu haben. Naja, ich hatte sie ja nicht gestohlen. Ohne mein Auftauchen hätten sie die Lücke gar nie erreicht. Und sowieso sind das doch alles Luxusprobleme - auch wenn der Zauber natürlich schon nicht derselbe ist, wie wenn alles noch unberührt vor einem liegt! Es ist aber auch so, dass schon vieles zusammenpassen muss, dass man da als Erster bei guten Bedingungen fahren kann. Der riesige, leeseitige NE-Hang mit oben 40-45 Grad Steilheit liegt lawinentechnisch nur bei ausgewählten Bedingungen drin, er darf nicht durch spontane Lawinen in Mitleidenschaft gezogen sein und dann hätte man gerne noch lockeren Powder. Das Ganze einerseits für Tagestouristen extrem abgelegen, andererseits von der Etzlihütte gut einsehbar und relativ rasch erreichbar. Kurzum, wenn man hier eine First Line bei Top-Bedingungen unbedingt wollte, es wäre ein möglicherweise sehr schwierig zu erreichendes Ziel. Mir aber fiel es einfach so in die Hände, welch glückliche Fügung und welch Privileg!

Vor lauter Action habe ich am Chli Mutsch keine Fotos mehr gemacht. Hier nochmals ein Blick auf diese Gipfel während dem Aufstieg, fotografiert bei der Ebene von Gulmen (ca. 1900m).

Dem bewusst stürzte ich mich in die Tiefe. Der Schnee war prima, die Decke absolut solide und so waren die 600hm in die Ebene hinunter ein einmaliger Genuss! Der Rest der Abfahrt ab der Müllersmatt kann da schon rein geländetechnisch nicht mithalten. Schlussendlich war es aber doch besser wie gedacht. Einige Abschnitte musste man zwar im Bereich der Aufstiegsspur fahren, aber doch erstaunlich oft konnte man eine direkte Linie wählen. Dank der auch hier kompakten Unterlage mit Pulverflaum gingen sich trotz generell geringer Schneemenge ganz lässige Schwünge aus. Ab Hinter Etzliboden war dann fertig mit "zöpflen". Dafür ging es in rasanter Schussfahrt zurück zum Bikedepot, wo dem Temporausch weiter gefrönt werden konnte. Wenige Minuten nach 17.00 Uhr war ich retour am Ausgangspunkt. Nein, da musste ich nicht lange überlegen: das war die beste Skitour seit langer Zeit gewesen - ein Erlebnis, welches sich nahtlos in die Reihe der genialen Maderanertouren einreiht. Ebenso freudig war ich über die Tatsache, dass auch 10-15 Jahre nach meiner Blütezeit in dieser Region bei fortgeschrittenem Alter immer noch solche langen Touren möglich sind. Vielleicht bin ich nicht mehr ganz genau gleich schnell unterwegs wie damals, aber was spielt das für eine Rolle.

Facts

Piz Nair (3059m) von Bristen (834m)
2250hm (+200hm für den Chli Mutsch), Ski-Schwierigkeit ZS, Hochtouren WS, II+
Material: Skitourenausrüstung, Steigeisen, Leichtpickel, evtl. 50m-Seil

Samstag, 25. Februar 2023

Skitour Mättlistock (1911m)

Am Vortag hatten wir am Quadrel Rock Rodeo alles gegeben - bis wir daheim und im Bett waren, schlug es schon Mitternacht. Mit einer solchen Megasession im Gepäck ist ein frühes Aufstehen am nächsten Tag nicht unbedingt das Höchste der Gefühle. Zwar verhiess der Wetterbericht in den inneren Alpen durchaus Sonnenschein. Doch wegen dem Mangel an Schnee und dessen miserabler Qualität schien eine Top-Skitour kaum machbar. Auch um in den Genuss von Sonnenschein zu kommen tönte es danach, einen grossen Fahraufwand in Kauf nehmen zu müssen. Also hiess das Motto für den Tag Ausschlafen, gemütlich Frühstücken und Weiterschauen.

Der grandiose Blick vom Mättlistock auf Klöntalersee und die imposante Glärnisch-Nordwand.

Bei diesem letzten Programmpunkt zeigten die Webcams aber sogar im nahen Glarnerland prima blauen Himmel. Also lag mit einem Start am späteren Vormittag auch noch etwas drin. Meine Lust, auf einem zerfurchten Tourenacker aufzusteigen und abzufahren war aber gleich null, somit musste ein etwas exotisches Ziel her. Und dieses fixierte ich im Hinter Klöntal. Über die sehr sonnig exponierten Hänge der Mutteristock-Kette wollte ich starten. Mit einem Ausgangspunkt auf nur 1030m könnte man das im Februar 2023 als hoffnungsloses Unterfangen taxieren. Das war mir natürlich bewusst, deshalb hatte ich das Bike dabei mit welchem ich bis zum Schnee pedalen wollte - in der Hoffnung, dass die Übergangszone zwischen 'nicht mehr Bike-fahrbar' und 'noch nicht Ski-fahrbar' möglichst klein sein würde. 

Pedalend geht's auf gut fahrbarer Alpstrasse dem Schnee entgegen - so geht Skitouren im Winter 23.

Diese Strategie ging schliesslich ganz ordentlich auf. Mit einem Start um 12.15 Uhr gwann ich die ersten 250 Höhenmeter wie gewünscht auf 2 Rädern. Bis zu den Ställen von Ratlis galt es nur einige Mini-Schneeresten zu überqueren, auch danach kam ich noch gut weiter bis zum Bikedepot exakt bei P.1292. Und tatsächlich, ab da konnte ich fellend aufsteigen - mit 2x einige Schritte übers Kies treten konnten die Bretter permanent an den Füssen bleiben. Bis zum P.1554 gewinnt man auf dem Trassee der Alpstrasse durchgehend an Höhe. Ab da geht's dann für 1.5km mehr oder weniger flach hinein in die Kammer des Sulzbachs. Auf dieser Strecke war's mehr eine Skiwanderung - aber eben eine eindrückliche. Das Terrain war unberührt, man befindet sich hier in abgeschieden-einsamer Lage, ohne Talblick zu haben. Ganz alleine auf weiter Flur so zu schreiten ist immer ein eindrückliches Erlebnis und gibt das Mini-Feeling einer Arktis-Expedition. Natürlich, die Zivilisation ist nur ein Katzensprung entfernt, überstrapazieren soll man den Begriff nicht - wobei manchen Zeitgenossen wohl schon so viel an Einsamkeit und Abgeschiedenheit in der Natur viel zu viel wären.

Bei der Alphütte von Unter Längenegg, hinein in die abgeschiedene Kammer des Sulzbachs. Hinten der Sattel ca. 1760m.

Mit wieder etwas mehr Steigung geht's hinauf zur Einsattelung (ca. 1760m) nördlich des Mättlistocks. Und hier wurde ich Zeuge von einem eindrücklichen Naturerlebnis. Dass an den Südhängen vom Chrutlistogg ein Adler über mir kreiste, hatte ich bereits wahrgenommen. Plötzlich stach er im Sturzflug davon, zu den Schattenhängen vom P.1884. Dort attackierte er eine ausgewachsene Gämse, wohl mit der Absicht sie bei der folgenden Flucht zum Absturz im Steilgelände bringen zu können. Diese hatte jedoch ausreichend geländetechnische und körperliche Reserven, so konnte sie den Angriff parieren. Als drei weitere Attacken auch nicht den gewünschten Effekt zeigten, begab sich der Gefiederte wieder in die thermodynamischen Aufwinde - bestimmt um von hoch oben nach einem nächsten, potenziellen Opfer für eine gehörige Mahlzeit zu spähen. Tja, so ist die Natur - verhungern oder gefressen werden, einer muss unweigerlich darben. Da haben wir Menschen es gut, so wie wir uns mit Supermarkt, Krankenhaus und allen Versicherungen von dieser grausamen Umwelt abgekoppelt haben. Oder ist dies nur ein Kartenhaus und wann fällt es zusammen? Über solche Fragen lässt es sich auf einer einsamen Tour hervorragend sinnieren.

Auf dem Mättlistock - mit Blick vom Kreuz zum höchsten Punkt. Sehr schön da oben!

Mir stand noch der Schlussaufstieg über die steilen Nordhänge zum Gipfel bevor. Dieser umfasst eine kurze Passage von 40 Grad Steilheit, die sich nicht umgehen lässt. Dank günstigem Bulletin und in dieser Exposition vernünftiger Schneedecke machte es an diesem Tag keine Sorgen. So gelangte bald das Gipfelkreuz in Sichtweite (14.30 Uhr). Es steht nicht am höchsten Punkt des Berges und wird fast ausschliesslich von einheimischen Liebhabern aufgesucht. Trotz nur 1911m Gipfelhöhe ist es ein spekakulärer Ort. Man hat eine aussergewöhnliche Vogelperspektive zum Klöntalersee zu Füssen, gegenüber präsentiert sich stolz die Glärnisch-Nordwand - da konnte ich mit meinen Touren im Chalttäli und am Ruchenpfeiler in tollen Erinnerungen schwelgen. 

Heimwärts - mehr gemütliches Gleiten als genüssliches Schwingen, passt so bei den aktuellen Verhältnissen.

Nach gütlicher Rast besuchte ich noch den höchsten Punkt vom Mättlistock, schnallte meine Bretter an und machte mich auf den Rückweg. In der Nordflanke durfte man die Tätigkeit durchaus Skifahren nennen, auch wenn es wegen etwas wechselhaftem, meist zähem Schnee kein Highlight war. Hinunter in den Boden der Längenegg war dann Spurfahren angesagt - ob dem feuchten Pflutterschnee kein Verlust. Die Flachpassage erforderte einiges an Stockeinsatz, dann gab es auf dem Alpstrassen-Trassee wieder Geradeausfahrt, die effiziente Strecken- und Höhenmeter-Vernichtung erlaubte. Um die Bretter zu schonen, trug ich diese die letzten 80hm im nur noch knapp schneebedeckten Gelände zum Bikedepot, von wo es in rasanter Fahrt zum Ausgangspunkt ging. Fazit: das war bei kleinem Aufwand ein absolut tolles Naturlerlebnis bei idealem Wetter gewesen - skifahrerisch definitiv kein Highlight, aber ein solches hätte sich in der CH derzeit wohl sowieso kaum finden lassen.

Facts

Mättlistock (1911m) ab Schwändeli (1030m) im Hinter Klöntal

Bis auf den kurz 40 Grad steilen Gipfelhang einfache Skitour in wenig steilem Gelände. Am lohnendsten sicher bei schnellen Frühlingsverhältnissen, d.h. tragend-gefrorener Schneedecke. Bei tiefem Schnee gleicht das Unternehmen über weite Teile mehr einer Skiwanderung - auch das kann natürlich genussvoll sein. Die untersten, stark besonnten Hänge sind üblicherweise bald einmal aper.