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Mittwoch, 23. Februar 2022

Nevado Chachani (6057m)

Man kann sagen, es handle sich um alte Kamellen – stimmt! Meine Besteigung des Nevado Chachani (6057m) datiert aus dem Jahr 2004 und liegt heute schon fast 20 Jahre zurück. Weil die Tour auf meinen bisher höchsten je terrestrisch erreichten Punkt noch nie dokumentiert wurde und mir dieser schon länger getippte Bericht kürzlich wieder einmal in die Hände kam, soll sich dies hiermit ändern - auch wenn's von der Tour selber leider nicht allzu viele Fotos gibt.

Der Nevado Chachani (6057m) im ersten Morgenlicht.

Im Sommer 2004 war ich auf einer 14-wöchigen Tour durch Südamerika unterwegs. Sie startete in Quito (Ecuador) und führte via Peru, Bolivien und Chile an die Enddestination Lima (Peru). Mit dabei waren zahlreiche Wanderungen, Bergtouren und sonstige Abenteuer, zu Fuss und mit anderen Untersätzen. Da ich mit nichtkletternder Begleiterin unterwegs war, standen steile Felsen oder ambitioniertes Bergsteigen nicht auf dem Programm. Ganz grob und mit etlichen Auslassungen der Ablauf:

  • Akklimatisierung in Quito und Umgebung, Cotopaxi
  • Trekkings und Bergsteigen in der Cordillera Blanca ab Huaraz
  • Sightseeing und Touren von Cuzco aus (Macchu Picchu, uvm.)
  • Arequipa und Umgebung mit Nevado Chachani
  • Trekkings am Titicacasee, Bergsteigen in der Cordillera Real
  • Trip in den bolivianischen Dschungel bei Rurrenabaque
  • Touren und Trips: Salar de Uyuni, San Pedro de Atacama
  • Fantastisches Gleitschirmfliegen in Iquique
  • Sightseeing und Touren auf der Rückreise nach Lima

Während es davon noch unzählige Erlebnisse zu berichten gäbe, will ich mich hier auf die Besteigung des Nevado Chachani (6057m) fokussieren. Zum Zeitpunkt der Besteigung waren wir bereits etwa 6 Wochen in Südamerika unterwegs, wovon wir uns praktisch ständig oberhalb von 3000m aufhielten. Vorangegangen waren auch diverse Besteigungen von 5000ern, somit waren wir also gut akklimatisiert. Denn während die Besteigung des Chachani technisch einfach ist, ist eine gute Höhenvorbereitung unerlässlich.

Nicht der Chachani - sondern Vulkanberge im Norden von Chile.

Beim Chachani handelt es sich um einen Vulkanberg, der gut 20km nördlich der Grossstadt Arequipa gelegen ist. Mit einer Schartenhöhe von gegen 2000m und einer Dominanz von über 50km ist klar, dass er ziemlich isoliert in der ariden, peruanischen Hochebene steht. Er gilt als einfach zu besteigender 6000er, was ich als zutreffend bezeichnen kann. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass man bis auf über 5000m mit Fahrzeugen fahren kann, von wo man den Gipfel im Prinzip in einer Tagestour erreicht. Der erste Schritt zur Besteigung ist denn auch die Organisation eines Transportes zum Berg.

Logistik

Wir entschieden uns, den Berg auf eigene Faust anzugehen. Bei den Agenturen in Arequipa werden aber auf Wunsch auch Führer vermittelt. Wer selber über Bergerfahrung verfügt, kommt hier, wo die Wegfindung recht einfach ist, auch gut selber zurecht. Ebenso lassen sich in Arequipa auch Zelt und Schlafsack, sowie Alpinmaterial (Steigeisen, Pickel, Stöcke) ausleihen. Unter Umständen sind sogar Bergschuhe zu kriegen, wobei man sich darauf nicht verlassen sollte. Natürlich sind auch die anderen Dinge qualitativ mässiges, älteres Gebrauchtmaterial – wir selber liehen uns nur je ein paar Steigeisen.

Ja, die Transporte in Südamerika, das war so eine Sache für sich... Wir waren stets mit 'öV' unterwegs, in der Regel stark überladene Jeeps, kleine oder grössere Busse. Pleiten, Pech und Pannen waren an der Tagesordnung und es war eine gehörige Portion Geduld und Gelassenheit nötig. Im Rückblick muss ich auch sagen, dass ich auf den Transporten in Südamerika viel mehr Leib und Leben gefährdet hatte wie auf den dortigen Bergtouren: schlechte Strassen, miserabel gewartete Fahrzeuge, die Fahrer unter dem Einfluss von Alkohol oder sonstigen Drogen... zum Glück ist uns nie etwas Gröberes passiert.

In einer Agentur buchten wir schliesslich den Transport zum Ausgangspunkt, das kostete damals 90 US$. Das tönt nach viel, ist es aber nicht unbedingt: Die Strecke von Arequipa zum Ausgangspunkt betrug nämlich 95km pro Weg, die Fahrzeit war etwa 3 Stunden. Es war eine Piste der übleren Sorte, nur mit einem 4x4 mit Kriechgang und viel Bodenfreiheit befahrbar. Der Fahrer ging natürlich, nachdem er uns abgesetzt hatte, wieder heim und holte uns am Folgetag wieder ab, das heisst, er fuhr für uns 12 Stunden und rund 380km Auto, musste das Benzin noch bezahlen und die Abnützung am Gefährt dürfte auch höher als normal sein. Das gibt schliesslich einen nicht mehr so fürstlichen Stundenlohn.

Symbolbild mit einem der typischen Toyota-Land Cruiser-Jeeps, der uns auch zum Ausgangspunkt der Chachani-Tour gebracht hatten. Wahnsinn, was diese Fahrzeuge jenseits von TÜV und regelmässiger Wartung für Strapazen aushalten. Die Aufnahme stammt aber von einer späteren Tour über den einmaligen, ausgetrockneten Salzsee Salar de Uyuni.

Lager und Übernachtung

Auf einer Höhe von ca. 4950m wurden wir vom Fahrer, am Beginn einer Sandebene, ausgeladen. Von dort stiegen wir zum Lagerplatz auf ca. 5300m auf. Weil wir die Information erhielten, dass absolut kein Wasser aufzufinden sei, nahmen wir 10 Liter mit, dementsprechend schwer war der Rucksack. Es hätte in der näheren Umgebung genügend Schnee gehabt, wir lasen aber auch, dass dieser schweflig sei und daher auch in abgekochtem Zustand nicht verträglich.

Der Lagerplatz selbst war aber prima, mit sandigem, flachem Boden perfekt zum Zelten. Es stellte sich heraus, dass wir die einzige Partie am Berg waren, was uns natürlich erfreute. Am Abend begann es dann aus den wenigen Quellwolken auf einmal zu schneien, es gab doch immerhin ca. 5-10cm Neuschnee und wir fürchteten schon, den Weg vergebens gemacht zu haben. Doch um 22 Uhr hatte es schon wieder den schönsten Sternenhimmel.

Wir stellten den Wecker auf 2 Uhr morgens und legten uns aufs Ohr. Die Nacht war eisig kalt, es war gute 10 Grad unter null. Mit einem warmen Schlafsack (der aber zwingend nötig war) ging das gut, doch das Aufstehen mitten in der Nacht war wie immer der eindeutig unangenehmste Punkt. Leider hatte meine Begleiterin laut ihrer Aussage keine Sekunde geschlafen und fühlte sich generell unwohl. Dennoch wollte sie versuchen, die Tour zu machen.

Vom Camp am Chachani kann ich leider mit keinem Foto dienen. Aber es ist dort auch definitiv weniger schön wie hier, an einem Strand auf der Isla del Sol im auf fast 4000m hoch gelegenen Titicacasee. Zelt und Schlafmaterial hatten wir übrigens unser eigenes mitgenommen - auch wenn wir auf der Reise vielfach in festen Behausungen unterkamen, so war es uns auf vielen Bergtouren und Trekkings dienlich, ja sogar absolut unverzichtbar.

Tourentag

Um 3 Uhr gingen wir los. Die den Transport organisierende Agentur in Arequipa hatte uns geraten, spätestens um 2 Uhr zu starten. Eigentlich finde ich beides deutlich zu früh. Nach einer guten Stunde Aufstieg erreichten wir den Sattel auf etwa 5600m, von wo wir die alpinistische Crux angigen, die Querung der Südflanke (Achtung, Südhemisphäre, dies ist die sonnenabgewandte Seite!) des ca. 5850m hohen Nebengipfels. Diese würde ich als T5 bzw. L/WS einschätzen, sie war jedoch (ohne Spur) bei Dunkelheit sehr unübersichtlich. Es ist sicher kein Nachteil, wenn man dort bereits auf Tageslicht zählen kann.

Das war nicht der Fall und es schien durchaus unheimlich, sich in diesem steilen Gelände zu engagieren. Meine Begleiterin fühlte sich darüber hinaus überhaupt nicht fit und hatte deswegen umso grössere Bedenken. Dies vor allem auch, weil man auf der Traverse einige Höhenmeter vernichtet, die man auf dem Rückweg wieder aufsteigen muss. Kurzum, es fiel die Entscheidung, dass wir nicht gemeinsam weitergehen würden. Ich begleitete sie zurück zum Zelt, wo sie sich in den Schlafsack legte. Die gute Frage war bloss, was ich nun mit dem angebrochenen Tag tun würde.

Eine zweite Tourenchance gab es eigentlich nicht, da wir unseren Rücktransport auf den Abend vereinbart hatten. Ohne jegliche Kommunikationsmittel war eine Verschiebung natürlich unmöglich. Ich zog in Erwägung, die Tour im Alleingang anzugehen und rang etwas mit mir: technische Schwierigkeiten oder gefährliche Gletscher warteten nicht, der Chachani ist eine problemlose Solotour. Dennoch würde ich in bisher nie erreichte Höhen vorstossen und komplett auf mich alleine gestellt sein. Kommunikation unmöglich, Bergrettung inexistent und meine Tourenpartnerin angeschlagen alleine im Zelt, Zweifel konnte man da mehr als genug haben. 

Rückblick vom Gipfel des Chachani auf den Aufstiegsweg. Rechts im Bild der im Text erwähnte Sattel auf 5600m, von welchem man die schattige Südflanke erst etwas fallend, dann wieder etwas aufsteigend quert und sich dabei unterhalb der felsigen Zonen hält. Der weitere Aufstieg ist dann verdeckt, man erkennt erst wieder die verschneiten Wegspuren in der Ostflanke des Vorgipfels Fatima (5970m).

Nachdem mir meine Begleiterin erst wiederholt versichert hatte, einstweilen gut alleine zurechtzukommen und später endlich in wohlverdienten Schlaf gefallen war, entschloss ich mich zum Go – im Rückblick auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Bald war ich wieder im Sattel 5600m angelangt, mit dem Hin und Her war nun auch Tageslicht vorhanden. Für die folgende Traverse zog ich meine Steigeisen an, welche sich als durchaus nützlich erwiesen. Mit einem Eiertanz wäre es aber vermutlich auch ohne gegangen. Zuerst mehr fallend, dann wieder mehr aufsteigend erreichte ich über etwas mühsames, loses, teilweise schneebedecktes und vereistes Gelände nach der Traverse einen weiteren, etwa 5630m hohen Sattel.

Von diesem Sattel galt es, die Ostflanke gegen den Fatima (ca. 5970m) genannten Vorgipfel anzusteigen. Hier waren im Geröll deutliche Wegspuren vorhanden, welche aber meist von bis zu 20cm Neuschnee überdeckt waren. Somit war Schneestapfen gefragt. Doch ich fühlte mich sehr gut und war dank der guten Akklimatisierung trotz der grossen Höhe zügig unterwegs. Der Höhenmeter zeigte beständig Steigwerte von 8-10m/min an.

Die Fatima (d.h. den 5970m-Vorgipfel) umgeht man kurz unter dem Kulminationspunkt linkerhand in einer weiteren, verschneiten Südtraverse. Nun warteten nur noch die letzten 130hm in der sonnigeren und wieder gerölligeren NE-Flanke zum Hauptgipfel, welchen ich schliesslich nach ca. 3 Stunden Aufstieg vom Lager, gemessen ab dem zweiten Aufbruch, um 8:30 Uhr erreichte. Von der Höhe spürte ich nicht viel, bzw. fühlte mich subjektiv dank der guten Akklimatisation nicht wesentlich anders als bei einer Wochenendtour auf einen 3000er in der Schweiz. Eher hatte ich ein Gefühl von „schon oben“ und „das war ja kein Problem“. Ja, wenn da noch „mehr Berg gewesen wäre“, so hätte ich mich sicher die Lust gepackt, auch gleich noch die 7000er-Grenze zu packen.

Cumbre! Die 6000 sind geschafft, das Panorama und die Weite der Landschaft grenzenlos!

Vermutlich wäre ich dann schon irgendwann gebremst worden, aber das ist ja sowieso alles hypothetisch. Da ich bereits zuoberst auf dem Berg stand, war das Ziel erreicht. Es geschafft zu haben war toll, und auch der Ausblick vom Gipfel war speziell. Der Chachani erhebt sich mehr als 3000m aus der umliegenden Ebene und in der Nähe befinden sich ausser dem El Misti (5822m) keine gleich hohen Gipfel. Man ist daher sehr isoliert, dafür fehlen aber auch die uns aus den Alpen bekannten Nahblicke auf weitere, vergangene oder zukünftige Tourenziele. Da ein zügiger Wind ging und es frisch war, machte ich mich nach einer halbstündigen Gipfelrast wieder an den Abstieg.

Dieser ging, im Schnee oder im Schotter, sehr zügig vonstatten. Einzig die Traverse unter dem 5850er-Nebengipfel musste wieder mit Bedacht angegangen werden. Nach 1.5 Stunden Abstiegszeit und somit 5 Stunden nach Aufbruch war ich wieder im Lager und traf auf meine immer noch schlafende Begleiterin, die meine Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte. Die Ruhe hatte ihr gut getan, nach dem Aufstehen waren ihre Lebensgeister wieder zurück. Gemeinsam bauten wir - sie ohne jede Betrübnis über die verpasste Gelegenheit, ich glücklich mit meinem 6000er-Raid - das Lager ab und stiegen zur Sandebene hinab. Sogar vor der vereinbarten Zeit traf unser Transport ein, und brachte uns in 3 holprigen Stunden Fahrt retour nach Arequipa, von wo die Reise weiter ging. Noch an viele Plätze in Südamerika führte sie uns und mein späterer Lebensweg liess mich noch manchen Gipfel erreichen. Allerdings bis dato keinen mehr, der über 6000m hoch ist.

Ein Kontrastbild darf noch sein: das war später auf der Reise im bolivianischen Dschungel, einem Teil des Amazonasbeckens. Da waren wir mit einem einheimischen Führer mehrere Tage völlig isoliert in der Wildnis unterwegs - was für grandiose, unvergessliche Erlebnisse!

Facts

Nevado Chachani (6057m) – Peru - 16°11′29″ S, 71°31′47″ W

Einfacher 6000er-Gipfel welcher über die alte Normalroute je nach Verhältnissen ca. als T4/T5 bzw. als L/WS zu werten ist. Wenn man alleine am ungespurten Berg unterwegs ist, sind gewisse alpin- und orientierungstechnische Kenntnisse unerlässlich. Ebenso ist eine gute Höhenakklimatisation unabdingbar. Ausser wenn man zuverlässige Informationen hat, die dagegen sprechen, ist ein Paar Steigeisen auf jeden Fall anzuraten. Allenfalls ist auch ein Pickel nützlich, sicher hilfreich sind Stöcke. Als Vergleichstour im Alpenraum würde ich das Lagginhorn nennen, auch wenn der Chachani nicht ganz so anhaltend steil ist. Auf C2C finden sich einige weitere Berichte über die Route. Anzumerken ist, dass sich mittlerweile anscheinend ein neuer Weg durch die Nordflanke direkt auf den Hauptgipfel etabliert hat.

Freitag, 18. Februar 2022

Quadrel Rock Rodeo 2022

Das Quadrel Rock Rodeo ist ein Wettkampf, der im Februar 2022 das erste Mal auf dem Kalender stand. Das ist wenig erstaunlich, gibt's die famose Boulderhalle in Felsberg doch erst seit 14 Monaten und während der Pandemiephase gab es fast keine solchen Events. Nun denn, die Erwachsenen konnten die teilnehmenden Kinder als guten Grund für eine Präsenz am Wettkampf vorschieben. Da konnte man sich ja nicht lumpen lassen, um auch noch ein wenig die Finger zu strecken. Schliesslich juckt's ja ganz gewaltig, wenn eine fast komplett neu bestückte Halle zur Verfügung steht.

Larina in einem ziemlich athletischen Boulder, Schwierigkeit 5.

Meine Vorbereitung war ja mit den Touren in der jüngsten Vergangenheit (1,2) eher speziell ausgefallen. Alle jenen, denen ich von meinem Bouldertraining auf MSL erzählte, erwiderten meine Aussage mit mindestens einem Schmunzeln. Die einen weil sie meinten, ich hätte einen Witz gemacht. Die anderen, weil sie mir zeigen wollten, was sie von einer derartigen Vorbereitung hielten. Wie viele Körnchen Wahrheit in dieser Sache liegen, ist natürlich eine gute Frage, die ich auch gerne allen zur persönlichen Interpretation offen lasse :-) Beim Wettkampf gab es 2 Kategorien. 'Tifig' war für die Pros gedacht, hier zählten in der Quali die 6 schwierigsten Boulder, es gab einen Final und zahlreiche Athlet:innen aus der Nati waren am Start. Bei 'Patgific' hiess es hingegen, von allen 60 neu geschraubten Bouldern in einem Zeitfenster von 4 Stunden möglichst viele zu klettern. Somit hatte ich bzgl. meiner Vorbereitung schon ein schlagendes Argument auf meiner Seite. Bei wem dauert ein Boulderhallenbesuch schon 4 Stunden und wer greift dabei eine solch hohe Anzahl von schwierigen Problemen an?!? Diese Antwort kann ich präzise geben - so gut wie niemand. Auf den 15 SL im Tessin hingegen hatten wir 8h in der Wand geackert und bestimmt noch viele Boulder mehr gelöst. Somit stand mir am Wettkampf also im Vergleich zu meinen Tessin-Trips ein vergleichsweise gemütlicher Tag bevor ;-)

Jerome in einen Press-/Hüftbeweglichkeitsproblem mit Schwierigkeit 5, kniffliger wie man denkt.

Im Quadrel gibt's wie in manch anderer Schweizer Halle ein 6-stufiges Bewertungssystem. Gezählt wurde bei 'Patgific' so, dass jeder Boulder entsprechend seiner Schwierigkeits-Einstufung zwischen 1 und 6 Punkten gab und diese zu einem Total addiert wurden. Das verlangte also, alle einfachen Boulder zu vernaschen und auch im Sweet Spot der gerade noch flashbaren, resp. in wenigen Minuten zu toppenden Probleme effizient abzugrasen, während Efforts an ganz harten Geräten vergleichsweise mager entschädigt wurden. Für mich der perfekte Modus, mit Ausdauer und Effizienz kann ich deutlich mehr trumpfen wie mit roher Kraft. Wobei mir durchaus einige hoch bewertete Boulder gelangen, sogar zwei 6er (was laut Angabe >= Fb 7C entspricht). Doch wie so oft, die Morphologie entscheidet beim Bouldern vieles und so schwer mir ein kleingriffiges Dach oft fällt, desto besser geht's auf raumgreifenden Platten und wenn man sich geschickt an Volumen positionieren muss oder mit Flexibilität punkten kann. Trotzdem, irgendwann neigte sich die persönliche Batterie-Anzeige gegen unten, ebenso wie auch die verbleibende Zeit gegen null strebte. Der Laufzettel musste eingereicht werden und so konnten wir mit einem kühlen Getränk und einem feinen Nachtessen den Finals der 'Tifigen' beiwohnen und gespannt der Dinge harren, die da kamen. Anlässlich der Rangverkündigung war das ein Quadrel-Kaktus, die Auszeichnung für Platz 1 in der Kategorie 'Patgific' für den Autor :-) Mit grosser Zufriedenheit, tollen Erfahrungen und schönen Preisen im Gepäck machten wir uns auf den Heimweg. Die offene Frage, ob die Kategorienbezeichnung aufgrund vom happigen Programm auch wirklich zutreffend war, konnte am nächsten Tag auf einem Genuss-Skitüürli erörtert werden, welches das Label #patgific dann ganz definitiv verdiente. 

After-Comp-Skitour mit dem Label #patgific, in Einsamkeit und bei noch jungfräulichem Schnee :-)

Freitag, 11. Februar 2022

Pizzo d'Eus - Magic Rampit (7b)

Auf dem Rückweg von der Radici del Silvio (7c), eine Woche zuvor, hatten wir noch darüber sinniert, was es für die Routen am Pizzo d'Eus alles braucht: Fusstechnik, Körperspannung, Beweglichkeit, Power und nicht zuletzt auch eine gute Portion Ausdauer und Mut. Dies gepaart mit der Frage, ab wann man wohl zu alt sein würde, um solche Unternehmungen im Vorstieg zu meistern. Wir schätzten die Guillotine auf grob 60 Jahre und somit war es leicht auszurechnen, dass meine bisherige Frequenz von einem Besuch rund alle 5 Jahre (konkret 3x in 14 Jahren) nicht reichen würde, um dereinst alle 9 relevanten Eus-Routen geklettert zu haben, bevor mir die Zeit davon liefe. Ja die Jugend, mit noch Dekaden des Kletterlebens vor sich, ist ein Privileg welches nicht mehr alle haben. Nachdem die epische Trockenperiode im Tessin sich um eine weitere Woche verlängerte, erneut ein sonnig-milder Wintertag angekündigt war und Viktor ebenso motiviert für einen weiteren Besuch im Val Carecchio war, zögerten wir keine Sekunde - auf zum Pizzo hiess es, um den Eus-Counter auf x <- x+1 zu stellen!

Winter-Genuss im Tessin: vom sonnig-warmen Fels mit milden Temperaturen zu Eis und Schnee vis-à-vis.

Ein wenig Kopfzerbrechen bereitete uns die vielfältige Routenwahl. Alle der 6 verbleibenden geben sehr interessante Projekte her, fordern aber mit Maximalschwierigkeiten im Bereich 7b-7c+, fragen ein 6c obligatorisch ab und weisen substanzielle Kletterlängen im Bereich von 12-15 SL mit rund 400 Klettermetern auf. Somit sind sie für die kurzen Wintertage definitiv herausfordernd, zudem hatten wir  am Wochenende zuvor für die Radici del Silvio mit ihren 9 SL so ziemlich das ganze Sonnen- bzw. Tageslicht ausgenutzt. Unsere Wahl fiel deshalb schliesslich auf die Magic Rampit, da in dieser dank verhältnismässig vieler Bohrhaken die oft zeitraubende mobile Absicherung weniger zentral schien und sie auch noch einige mutmasslich gängige Abschnitte im 6a-Bereich aufweist. Sonst waren aber alle Parameter bereits gesetzt, wir reisten mit demselben Zeitplan an, Weg und Steg hatten wir innerhalb von nur einer Woche natürlich nicht vergessen und da ich diesmal ein Malheur beim Parkieren vermied, ersparte ich mir auch das Ergrauen weiterer Haare.

Auf geht's in das nächste Abenteuer am Pizzo d'Eus.

Somit ging es also vom Parkplatz unterhalb von Cognera (680m) hinunter zum Fluss (Riale d'Agro, 660m), aufgrund vom niedrigen Wasserstand problemlos über die Steine hopsend darüber hinweg, jenseitig wieder hinauf, kurz dem Hang entlang und dann auf die letztes Mal erkundete, direkte Wegvariante via Cürt. Dort hatte in der Woche zuvor abschnittweise tiefes Laub die Passage etwas behindert. Darum führten wir dieses Mal zwei kurze Laubrechen mit, welche wir einst für die darum bettelnden Kinder zur Gartenarbeit angeschafft hatten. Seither hatten sie aber meist ein ungenutzt darbendes Dasein im Schuppen geführt, Jahre später sollten sie aber doch ihren Nutzen beweisen. Den Weg sauber kehrend stiegen wir in die Höhe, ob der Steilheit des Anstiegs (bzw. unserer konditionsbedingt bescheidenen Schrittkadenz) ging das mehr oder weniger nebenbei, d.h. ohne das Tempo wesentlich verlangsamen zu müssen. Wir brauchten schliesslich inkl. der Landschaftspflege genau 1:20h bis zum Einstieg. Um diesen zu erreichen muss unmittelbar nach der Passage der Platten unter der Wand (Ketten, in den Fels gehauene Tritte) bei einem Steinmann links hinauf ins Gehölz gestiegen werden. Etwas linkshaltend geht's entlang von 2 Fixseilen steil hinauf. Sobald man sich der Wand nähert, hält man sich ca. 20m horizontal querend nach rechts zum Einstieg (mit BH markiert, stark verblasste, noch knapp lesbare Aufschrift). Um 9.50 Uhr und somit etwa 20 Minuten nachdem die Sonne den Einstieg erreicht hatte, starteten wir in die Route.

Auftakt in L1 (6c), es geht rechts ums Dach herum!

L1, 45m, 6c: Bevor es los geht, mussten wir noch eine kleine Verwirrung klären: der gut sichtbare BH über dem Dach gehört zu einem Projekt und stellt den falschen Weg dar, die Magic Rampit führt rechts ums Dach herum - mit etwas Zurücktreten sind die BH sichtbar. Am rechten Dachausläufer wartet dann auch gleich die erste Boulderstelle, die sauberes Antreten und die Bedienung von sloprigen Leisten erfordert. Schon mal ein knackiges 'Orange' meinen wir - in der Skala vom Minimum-Boulder in Zürich, wo wir uns während der Woche vorbereitet hatten. Die nächste Steilplattenwand fordert an Leisten etwas Entschlossenheit und prüft mit einem zwingenden Mantle die Intuition des Kletterers - noch dazu kann man die Exe im BH darunter nur in ein kolossal rostiges, dünnes Umkehrmaillon hängen (Leute, hört doch bitte endlich auf mit diesen Maillons und verwendet einen Karabiner!!!). Ein weiterer Plattenboulder macht den Weg dann frei ins letzte Drittel der Länge, welche mit Genusskletterei an lochähnlichen Taschen und einschlussartigen, positiven Leisten aufweist. Nur jetzt im Nachhinein werde ich mir Gewahr, dass ich so bis zum im Topo verzeichneten Abseilstand in Mitte von L2 geklettert bin - den eigentlichen Stand habe ich im Gelände aber nicht wahrgenommen, ich bin unsicher, ob er existiert.

Fels und Kletterei überzeugen gleich von Beginn weg - grosser Genuss in L1 (6c).

L2, 25m, 6a: Sehr schöne und gemütliche Genusskletterei mit aussergewöhnlicher Felsstruktur. Es geht im gleichen Stil weiter wie am Ende von L1: sprich es geben herausgewaschene Löcher hervorragende Griffe her, dazwischen hat es dunkle Gesteinseinschlüsse, die mit positiv-griffigen Leisten hervortreten - super!

Sehr schöner Fels und tolle, gemütliche Kletterei in L2 (6a).

L3, 30m, 6a+: Auf diesem Abschnitt wird man nun schon deutlich mehr gefordert! Das merkt man schon bald nach dem Standplatz, wo eine ausgeprägte Crux doch einen zünftigen Blockierzug an kleinen Leisten erfordert. Später geht's wieder gängiger dahin, die Linie mäandriert und wird mit einem Linksquergang an einem tollen, rostfarbenen Rail zum Stand abgeschlossen.

Auch der Luis Trenker hätte an L3 (6a+) seine helle Freude gehabt!

L4, 35m, 7b: Ein richtiger Knaller, diese Länge! Guten Mutes, top motiviert und mit noch frischen Kräften stieg ich los - wobei das eben im Vergleich zur Betätigung in der Boulderhalle mit gegen 10kg Gear am Gurt natürlich etwas weniger leichtfüssig passiert. Die Länge erlaubt es einem aber, den Flow zu finden. Los geht's nämlich noch vergleichsweise gutgriffig, so war es kein Problem eine Zone mit (trotz langer Trockenheit) ein paar Rinnsalen zu passieren. An Schuppen und Leisten klettert man ungefähr im 7a-Bereich mit komplexen Bewegungen superschön zu einem Rastpunkt, bevor die Länge auf den letzten 10 Metern noch eine Schippe drauflegt. Erst heisst es einen Bauch zu überwinden - in Absenz von guten und positiven Griffen ist ein ausgeprägtes Gespür dafür gefragt, mit welchen Slopern man die Füsse wo auf kleine Unebenheiten draufpresst, um darüber zu kommen. Nach einem kurzen Verschnaufer wartet dann die delikate, schwierig zu lesende Abschlusscrux. Hier musste ich nach einem harten Fight leider noch klein beigeben - sehr schade, das war nahe dran.

Taff, wie man am Ende von L4 (7b) in drückendem Gelände griffarm Moven muss.

L5, 25m, 6a: Relativ kurze und zügig zu erledigende Erholungslänge. Erst geht's im bekannten 6a-Stil an Taschen und Leisten hinauf, bevor ein teilweise fallender Rechtsquergang zum Stand auf einem kleinen Grasband führt. Diese Traverse ist für den Seilzweiten nicht so freundlich abgesichert - aber da werden bestimmt alle Magic Rampit Anwärter darüber stehen.

L6, 25m, 7a: Auf dem Band wenige Meter nach rechts zu kleiner Birke und hinein in das plattige Vergnügen. Während der grosse Teil dieser Sequenz als zügig kletterbar im 6bc-Bereich daherkommt, stellt sich mittig eine deutliche Crux in den Weg. An mickrigen Slopern und Untergriffen gilt es, den Fuss hoch zu kriegen, balanciert aufzustehen und vor dem Wegkippen die Finger in eine vertikale Schuppe zu krallen. Das wäre jetzt wohl Schwierigkeit 'blau' im Minimum und auch wenn solche Moves extrem schwierig in eine Halle zu transportieren sind, dann können sie es mitunter dort noch am besten. Eine kleine Challenge gibt's noch kurz vor Schluss, das geht aber schliesslich gut von der Hand.

Bouldrige Plattenkletterei in L6 (7a), an deren Ende muss man auch nochmals parat sein.

L7, 25m, 6a: Wiederum eine gemütliche Länge, welche aber doch eine etwas knifflige Crux an einem kleinen Löchlein bereithält. Es ist aber wirklich nur ein Move, der Rest ist mit guten Rails ausgestattet und bringt einen zügig voran. Achtung, nach den ersten 2 BH geht es markant nach links hinaus, die BH gerade hinauf stellen einen Verhauer dar! Die tief abgespaltene und nur auf kleinem Raum mit der Wand verbundene Schuppe (whoah, crazy!) lässt sich meist gehend überquerend, ist aber sehr eindrücklich, weckt Erinnerungen ans Yosemite und wäre ein idealer Platz für eine Pause - eine solche können wir uns aber nicht gönnen, der Weg zum Top ist noch weit und die Zeit drängt.

Die riesige, kaum an der Wand verankerte Schuppe am Ende von L7 (6a).

L8, 25m, 7b: Unweigerlich geht's hier nun über den grossen Überhang, welcher aus allen anderen Eus-Routen so einschüchternd und abweisend aussieht. Einmal kurz davor, ist man froh darüber, dass der Weg durch eine grob strukturierte Zone verläuft. Wie so oft sieht diese aus der Perspektive auch gar nicht mal so steil aus... der Eindruck ändert aber subito, nachdem man sich vom Stand in wenigen Metern diesem Riegel genähert hat. Es geht ans Eingemachte und dies schon gleich zu Beginn! Ein initialer Boulder mit ein paar kleinen Leisten und Seitgriffen, dafür ohne Tritte und an unangenehm glattem Fels will überlistet werden. Wer das packt, darf dann den Turbo zünden: was folgt ist Power-Kletterei der ersten Güteklasse. Gutgriffig ist's zweifellos, doch so mancher Topf entpuppt sich als abschüssig und die Art Rampe, durch welche man diagonal hochklettert, ist irgendwie zu klein, als dass man sich kraftsparend platzieren könnte. Das einzige Glück: es lässt gegen oben eher nach und bis zum Stand ist es auch nicht allzu weit.

Ich kann nur sagen, dieses Foto aus L8 (7b) täuscht - extrem sogar. Was da visuell nach einem bequemen Rastpunkt aussieht, ist eine Position, die schon ziemlich anstrengend zu halten ist. Und der ganze Rest ist dann gleich nochmals zäher, das eben folgende Dach fordert durchaus Entschlossenheit und einen kräftigen Blockierzug. Die Crux befindet sich aber gleich am Anfang, in der glatten Zone an der rechten, unteren Bildecke.

L9, 25m, 6b: Nach links und hinauf, entlang von griffigen Rissen bzw. Verschneidungen gewinnt man in prima Kletterei recht kommod an Höhe. Während die Cams bisher gar nicht zum Einsatz kommen konnten, sollte sie hier nun aber der Vorsteiger mitnehmen. Gebraucht werden sie jedoch auch erst nach dem letzten BH für die auf den ersten Blick wahnwitzige Rechtsquerung zum Stand. Doch schau genau, auf dem richtigen Parcours löst es sich gut auf, in der Mitte von diesem Runout findet sich auch noch ein Placement, für welches die Erschliesser auf dem Originaltopo einen Friend 3 (=Camalot 2) empfehlen. Der würde da tatsächlich prima passen, man kann aber auch einen kleinen Cam (0.3) gut legen.

Super Ambiente und für den Nachsteiger chillige Kletterei in L9 (6b).

L10, 45m, 6b+: Eine geniale Seillänge mit toller, anhaltender Kletterei entlang von prima Strukturen. Erst griffig hinauf an Schuppe mit Fixfriend, gefolgt von einer zum Nachdenken anregenden Plattenstelle... entweder direkt delikat schleichen oder mit einem grösseren Umweg den Strukturen folgen?!? Was einfacher sein dürfte, ist auf den ersten Blick klar. Ich kann euch aber sagen, man bezahlt dafür mit einem wackligen Mantle, ziemlich weit über der letzten Sicherung. Naja, vielleicht dehnen sich einfach die Distanzen jenseits des letzten Bohrhakens, liegt vermutlich an der Einstein'schen Relativitätstheorie. Um diese können die Gedanken aber nicht ewig kreisen, denn zum Ende der Länge muss noch ein genial zu kletternder Riegel überwunden werden. Am Ende folgt dann der botanische Ausstieg auf's grasige Mittelband, wo man gerne noch Cams platziert (in meinem Fall konkret 0.4 und 0.75). Den gut sichtbaren Abseilstand vor dem Band kann man, muss man aber nicht zwingend nutzen, auch wenn der Seilzug beim Mantle in die Botanik schon etwas lästig ist.

Lässige Schuppenkletterei am Anfang von L10 (6b+), welche ein tolles Feuerwerk von Kletterstellen bietet.

Etwas vor 15.30 Uhr und somit nach 5:30h Kletterei waren wir auf dem Mittelband, bei fordernder aber toller Kletterei der ersten Güteklasse. Damit waren wir natürlich noch nicht ganz zufrieden - eine MSL-Route wird bis zum letzten Meter geklettert, sonst gilt es nicht. Ebenso bewusst waren wir uns aber der Tatsache, dass wir nur noch mit ca. 1:30h Sonnenschein und maximal einer zusätzlichen Stunde bis zum Schwinden des Tageslichts rechnen konnten. Dass dies bei 5 noch zu kletternden Seillängen ambitioniert war, musste uns niemand vorrechnen. Dennoch, wir wollten es auf jeden Fall probieren. Es war aber klar, dass es nun zügig gehen musste und wir den Rotpunktgedanken vielleicht etwas in der Hintergrund zu schieben hatten.

L11, 30m, 7a+: Gleich einmal ein etwas plattig-wackliger Auftakt vom Band weg, der auf eine ansteigende Rampe führt. Hier können/sollen zum letzten Mal die Cams zum Einsatz kommen, wobei es das vermeintlich wahnwitzige Freesolo (über dem Mittelband) so doch nicht gibt. Der weit entfernt sichtbare Sicherungspunkt ist eben der dritte, der zweite versteckt sich sehr gut hinter einem Grasbüschel (Tipp: der Rampe entlang im Fels bleiben, nicht links ins Gemüse ausweichen, dann findet man ihn). Ab BH #3 beginnen die Schwierigkeiten: ein krass weiter Move zwischen Henkeln geht nur mit Dynamik UND perfekter Fussarbeit - der Challenge liegt darin, genügend aus den Sohlen zu drücken, ohne dass diese auf der Platte wegflutschen. Doch damit nicht genug: der Dachriegel ist erst kräftig und der Mantle darüber hinweg sackeknifflig. Zum Dessert gibt's dann noch einen Reibungsquergang und eine delikate Palming-Sequenz zum Stand - ein happiges Menü!

Mysteriöser Mantle in L11 (7a+) - den Schlüssel nicht gleich gefunden, für mehr blieb keine Zeit.

L12, 25m, 6a+ A0: Schade, schade, schade, hier hat die Natur leider ein wenig mit ihren Reizen gegeizt. Sprich während gewisse Abschnitte dieser Länge hervorragend mit klein-positiven Mikroleisten gespickt sind und vergleichsweise gängig mit 6a+ dahergehen, so ist der Fels in anderen Teilstücken entweder blank oder dann zu spärlich mit weit distanten Knobs ausgestattet. Nachdem bisher niemand diese Länge freiklettern konnte, schien es unwahrscheinlich, dass es gerade uns gelingt und da wir sowieso auf dem letzten Zeitdrücker waren, wurde ohne zu Zögern an den Bolts gezogen. Wie erwähnt müssen 2, 3 Abstände zwingend freigeklettert werden, anderswo geht's nur mit Trittschlinge und dem einen oder anderen freien Move aus dieser raus - eher A1 als superbequemes A0.

So geht das in L12 (6a+ A0): die untere Exe kräftig melken und weit an die nächste heppen (im Vorstieg nur mit Trittschlinge machbar).

L13, 45m, 7a+: Diese Länge weist gleich vom Stand weg die Crux mit einem dynamischem Move an eine weit entfernte Leiste auf, nachher geht's zwar nicht völlig simpel, aber doch besser dahin. In der Mitte beschreibt der Verlauf eine deutliche Rechtsschleife, bevor es am bzw. über dem Dachwulst nach links geht. Der dortige BH steckt sehr im Schilf und muss stark verlängert werden (am besten eine 120er-Schlinge). Nachher folgen dann stark geneigte Reibungsplatten, über welche es sich mit viel Seilzug nämlich nur mässig angenehm schleicht. Der Stand dann etwas rechts ausserhalb vom Routenverlauf leicht zu übersehen.

Die Golden Hour ist schon angebrochen, als Viktor die Ausstiegsplatte von L13 (7a+) klettert.

L14, 20m, 5b+: Definitiv nicht das Filetstück der Route. Ein erster Haken steckt 2-3m links auf Höhe des Standes, wenig später folgt nochmals einer. Doch dann erblickt man zwar die Standhaken 15m höher oben, dazwischen aber viel mühsam-heikles Gebüsch und es bleibt völlig unklar, welchen Weg man wählen soll. Wir sind schliesslich stark rechtsherum mehr im Fels als in der Botanik gestiegen. Sicherungen gibt es aber keine, die Sache ist zwar unschwierig aber definitiv expo.

L15, 30m, 5c: Hier ist der Fels nun nochmals steiler und grösstenteils frei von der Vegetation. Eine lässige Abschlusslänge mit griffiger Kletterei und ziemlich guter BH-Absicherung, auch wenn sie etwas inhomogen verteilt sind. Falls es nötig sein sollte, Zeit zu sparen kann man die letzten beiden Längen auch mit 50m-Seilen linken, auch wenn der Stand dazwischen durchaus sinnvoll ist.

Lichterlöschen ist inzwischen schon erfolgt... im Vordergrund die mühsame Buschzone von L14 (5b+), während Viktor bereits im letzten Abschnitt (L15, 5c) dem Top entgegen turnt.

Um 17.20 Uhr waren wir mit einer Gesamtzeit von 7:30h am Top. Für die 5 SL ab dem Band hatten wir tatsächlich nur noch 1:50h gebraucht, die Speed-Strategie war dementsprechend aufgegangen. Naja, eigentlich weiss man ja genau, dass es deutlich schneller geht, wenn man ohne lange zu fackeln an den Haken zieht... andererseits hatten wir ausser in der A0-Länge nur gerade am Dach von L11 und beim ersten Move von L13 davon Gebrauch gemacht. Aber es zeigt umso besser, wie viel Effort für das jeweilige Ausbouldern der Cruxen draufgeht. So glücklich wir waren, Zeit um den Erfolg zu zelebrieren blieb keiner. Es galt jetzt möglichst schnell vom Berg zu kommen. Die Feststellung, dass es gar nicht mal so schlecht gewesen wäre, rückseitig zu Fuss absteigen zu können, half uns auch nicht viel weiter. Und es ist halt immer ein Dilemma: mit den Schuhen ist nochmals mehr Gewicht am Gurt, was das Freiklettern weiter erschwert. Dem könnte man mit einem Haulbag begegnen, was für das Handling aber auch einige Zeit beansprucht, 30 Minuten zusätzlich sind bei 15 Seillängen sicher das absolute Minimum, das dafür zu kalkulieren ist.

Ambiente am Top - zum Geniessen blieb nicht so viel Zeit.

Anyway, wir warfen die Seile aus und glitten subito in 3 Manövern (Top -> 13 -> 12) hinunter aufs Band. Von dort, wo man dieses berührt muss zum nächsten Abseiler der Magic Rampit wieder etwa 20m aufgestiegen werden. Ein potenzielles Abseilen über die Magic Rampit beinhaltete die Unsicherheit, wie gut sich der Dachriegel auf dem Weg in die Tiefe erledigen liesse. Bequem ginge es nur, wenn man von Stand 8 direkt zu Stand 5 käme. Mit 2x60m dürfte dies auf jeden Fall möglich sein, aber ob's mit 2x50m auch geht, waren wir uns nicht restlos sicher. Somit bestand die Gefahr, im Halbdunkel am zu kurzen Seil zu baumeln, die Alternative mit einem mühsam diagonal-überhängenden Abseiler L8 im Abstieg zu machen war ebenso wenig erbaulich. Die am besten scheinende Option war es, über die Vai con gli amici in die Tiefe zu seilen. Natürlich behaftet mit der Schwierigkeit, bei einbrechender Dunkelheit die Standplätze in einer unbekannten, steilen und teils mobil abzusichernden Route finden zu müssen.

Für ein Foto der im oberen Wandteil typischen Eus-"Shotholes" musste es beim Abseilen noch reichen!

Der Stand auf dem Band, ca. 10m links von Magic Rampit war problemlos zu finden. Zuerst ist eine 15m-Strecke bis unters Band nötig, da es sonst wohl schwierig mit dem Seilabziehen würde. Etwas seltsam gab's da allerdings keinen richtigen Stand, sondern nur einen Einzelbolt, der mit einem 10m langen Fixseil an den Bäumen oberhalb hintersichert war. Ab da brachten uns 2 Strecken an den Stand oberhalb vom grossen Überhang. Viel Sicht hatten wir nicht mehr, aber dass die Seile ohne Felsberührung im Leeren baumelten, konnten wir gerade noch erkennen. Mit viel Herzklopfen und Pendelschwung glitt ich in die Tiefe und tatsächlich: als ich mich dem Seilende näherte, war da der Stand, welchen das Topo versprochen hatte. Eine gewisse Erleichterung machte sich breit. In zwei weiteren zügigen Manövern erreichten wir den Boden (18.15 Uhr). Wir packten unsere Sachen und machten uns im Schein der Stirnlampen auf den Abstieg. Der von uns frisch vom Laub freigekehrte Weg war nun sehr angenehm zu begehen, nach 50 Minuten des Weges waren wir am Ausgangspunkt. Nun bleibt nur zu hoffen, dass der nächste Nordföhnsturm nicht wieder alle Blätter auf das Trassee zurück geweht hat. Mit einer ebenso grossen Portion Zufriedenheit wie Müdigkeit machten wir uns auf den Heimweg und diskutierten schon, welche Route am Pizzo wir wohl als nächste angehen könnten.

Facts

Pizzo d'Eus - Magic Rampit 7b A1 (6b+ obl.) - 15 SL, 410m - Petazzi/Pantini/Giuliani 2001 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams 0.2-0.75, evtl. 1 & 2

Die als erste erschlossene Route mitten durch die gewaltige Südwand am Gneisdom des Pizzo d'Eus. Auf den ersten 10 Seillängen bis zum Band bietet sie hervorragende Kletterei von 5*-Qualität. Es wird einem viel Abwechslung mit typischer Gneiskletterei, aber auch sehr athletischen Passagen geboten. Die Felsstrukturen sind teilweise sehr aussergewöhnlich und einfach fantastisch. Im letzten Drittel ab dem Band ist die Kletterei immer noch lässig, wenn auch nicht mehr überragend und eher auf 3* Niveau; noch dazu kommt der Wermutstropfen einer nicht frei kletterbaren Seillänge. Die Absicherung mit rostfreien BH ist an den schwierigsten Stellen ab ca. 6c sehr gut (xxxx), darunter passt es auch (xxx), es ist jedoch durchaus etwas Engagement gefordert und 6b+ ist schon in L1 zwingend in Form eines wackligen Aufstehers zu meistern. Cams haben wir nur in L9-L11 eingesetzt. Dort sind sie an jeweils einer Stelle der Seillänge +/- unverzichtbar. In Retrospekt wäre es mit einem kleinen Set von 0.2-0.75 prima gegangen, mehr braucht es definitiv nicht. Ein Topo findet man im SAC-Kletterführer Tessin oder im Extrem Sud.

Samstag, 5. Februar 2022

Pizzo d'Eus - Le radici del Silvio (7c)

Man muss die Gelegenheiten so packen, wie sie sich einem bieten! Und diese bestanden aus einem motivierten Kletterpartner, einer langen Trockenperiode und mildem Winterwetter. Somit durften wir am gewaltigen Gneisdom des Pizzo d'Eus im Val Carecchio, einem Seitental vom Valle Verzasca im Tessin, perfekte Kletterbedingungen erwarten.  Die ideal nach Süden ausgerichtete Wand steht selbst Ende Januar für gute 7 Stunden im Sonnenschein und gipfelt auf nur 1700m. Um sicher genügend Zeit zu haben um bis ans Top zu gelangen, wählten wir fürs Erste aus den ausnahmslos anspruchsvollen Routen eine der etwas kürzeren auf der rechten Seite der Wand. Mit 290 Klettermetern, Schwierigkeiten bis 7c und der Verpflichtung, immer wieder mobil abzusichern war die 'Radici del Silvio' aber trotzdem ein durchaus ambitioniertes Programm. 

Winterimpressionen 2021/2022 aus dem Tessin - die Schneelage ist minimal!

Die frühmorgendliche Anfahrt verläuft glatt und zügig - bis ich die Karre am Ende der Strasse unterhalb von Cognera platzsparend abstellen will und sie dabei einen Absatz übersehend terminal festsetze. F#$*ck, das wird uns noch etwas kosten! Wir könnten uns den Tag definitiv vergällen, indem wir uns gleich auf die Behebung des Malheurs fokussieren. Bestimmt wäre es dann zu spät, um noch eine MSL zu klettern. Also beschliessen wir einstimmig, uns mit der Kletterei erst einmal ums Wesentliche zu kümmern und die Unannehmlichkeiten später zu regeln... Somit spazieren wir um 8.10 Uhr hinunter zum Fluss (Riale d'Agro), dessen Überquerung das letzte Mal eine Kneippkur und einiges an Zeit erfordert hatte. Natürlich war uns bewusst, dass wir nun im Januar, inmitten einer epischen Trockenperiode im Tessin, gute Karten für eine Passage trockenen Fusses haben würden. Doch dass es dermassen problemlos wäre und man nur ein paar Schritte von Stein zu Stein machen müsste, hatten wir uns nur in kühnen Träumen ausgemalt. Somit konnten wir also unverzüglich bergan schreiten.

Überquerung des Riale d'Agro - an diesem Tag problemlos, kaum zu glauben, dass wir da auch schon hüfthoch durchs eiskalte Wasser waten mussten. 

Dieses Mal wollte ich unbedingt die auf der Karte verzeichnete, direktere Wegspur via Cürt aufspüren. Vor Ort war mir diese bisher nie aufgefallen und tatsächlich beginnt sie sehr unscheinbar. Trackt man aber auf einer Kartenapp, so passt es schon. Auch im weiteren Verlauf ist die Wegspur nur schwach, jedoch mehr oder weniger durchgehend sichtbar. Teils sind weisse Markierungen vorhanden und auch  einige Reflektoren weisen an neuralgischen Punkten den Weg. Der erste Teil bis zu den Steinhütten auf 970m verläuft im Wald (wo teilweise lästiges, glitschiges Laub lag), in der langen Querung danach ist das Gelände offener - dafür herrscht während der Vegetationsperiode aber vermutlich ein Farndickicht. Insgesamt ist dieser Weg aber eine gute und wohl ca. 10 Minuten schnellere Option, definitiv empfehlenswert für 'Cinghiali'. Ab P.1029 geht's auf besser ausgetretener Spur unter die gewaltige Wand. Es folgt eine Passage über Platten mit in den Fels gehauenen Tritten, welche mit Ketten gesichert ist. Navigiert man danach genau nach der exzellenten Skizze im Extrem Sud, so lässt sich das Einstiegsband gut lokalisieren.

Bei der Passage über die Platten mit den in den Fels gehauenen Tritten wird der gewaltige Felsdom des Pizzo d'Eus das erst und einzige Mal so richtig sichtbar. Für ein Foto, auf welchem man die Route einzeichnen kann, reicht es aber dennoch nicht. Eine Gesamtperspektive findet man aber z.B. auf diesem oder jenem Foto bei hikr.org.

Um 9.20 Uhr, somit nach 1:10h und damit 15 Minuten schneller wie beim letzten Besuch waren wir da (Kartenlink zum Einstieg auf 1350m, ~700hm Aufstieg). Die Sonne beschien die Wand wegen dem fiesen Grat des Pizzo Vogorno erst einige Höhenmeter über uns, was noch etwa 20 Minuten so bleiben sollte. Zur exakten Lokalisierung der Routen gilt es anzumerken, dass diese zwar mit Farbe angeschrieben sind, der Lack jedoch stark abgeblättert ist. Im Moment reicht's gerade noch um sich sicher zu sein, aber bestimmt nicht mehr für lange. Dann helfen die BH der Vai col blues (7c+) sicher immer noch, der Start der Radici (7c) befindet sich ca. 15m weiter links, mehr oder weniger am linken Ende des bequemen Einstiegsbandes. Ausser der Aufschrift ist er nicht näher bezeichnet, der erste BH steckt erst 25m 'off the deck' und braucht entsprechende Sehschärfe, um ihn zu erkennen. Um ca. 9.45 Uhr fiel der Startschuss zur Kletterei. 

Der weise Mann sorgt am Einstieg schon einmal für eine gewisse Vordehnung von Wade und Achillessehen - offensichtlicher kann es ja nicht sein, dass diese Körperteile in der Radici eine ausserordentliche Beanspruchung erfahren werden :-)

L1, 35m, 6a+: Im Gesamtkontext die einzige relativ gemütliche Länge, aber zum Aufwärmen doch ein Brocken. Wie erwähnt muss man zu Beginn selber um die Absicherung besorgt sein. Tatsächlich geben Schuppen und auch ein paar lochähnliche Rissspuren immer wieder ein Placement her und die Kletterei ist griffig und gut kontrollierbar. Die Crux folgt am Ende vom einzigen BH weg, da werden die Reibungsgeister gleich einmal geweckt. Und der Mantle auf's Standband 5m über eben diesem BH könnte durchaus für erste Adrenalinausschüttungen sorgen.

Auftakt in die Route in L1 (6a+) entlang von einigen Schuppen, wo mobil abgesichert werden muss. Die Crux folgt an der kleinen Verschneidung oberhalb vom Kletterer, wo der erste und einzige BH dieser Seillänge steckt.

L2, 40m, 6c: Am Anfang richtig schwierig, am Ende ebenso und dazwischen... ist es auch nicht wesentlich einfacher. Alles in allem eine Knallerlänge mit knapper, mobil aufzubessernder Absicherung, welche eine Bewertung mit 7a sicher nicht gestohlen hätte. Geboten wird einem das komplette Programm, von prekärer, fusstechnischer Kletterei über kräftige Gegendruck-Elemente bis hin zu kniffligen Boulderproblemen. Wirklich super, aber sehr fordernd!

Man sieht's, viel Raum, relativ wenig Struktur und die Haken sind auch spärlich (L2, 6c/7a).

L3, 35m, 7a: In ähnlichem Stil wie davor geht's weiter, wobei sich die Hauptschwierigkeiten auf zwei relativ kurze Bouldersequenzen beschränken. Wie so oft sind diese ohne Vertrauen in die Füsse, einem guten Bewegungsplan und der nötigen Entschlossenheit, diesen konsequent umzusetzen nicht zu meistern. Diese Länge ist ziemlich gut mit BH abgesichert, man muss nicht viel Gear legen - nach unserem Empfinden daher eher gutmütiger wie L2.

Knifflige Steilplattenkletterei mit Bouldersequenzen wartet auch in L3 (7a).

L4, 40m, 6c: Zwei nahe steckende BH folgen gleich nach dem Stand, da gibt es keine zwei Fragen, was es geschlagen hat. Natürlich geht's gleich los mit den bereits bekannten, bouldrigen Bewegungsproblemen, wo die Füsse mit Untergriffen, Slopern und ein paar falsch ausgerichteten Leisten so an den Gneis gepresst werden wollen, damit sie haften bleiben. Nach ca. 10m legt sich das Gelände zurück und man steigt über plattiges Gelände bei (zu) weiten Abständen und inexistenten mobilen Möglichkeiten unter die Dachzone hinauf - mit natürlich nochmals einer Bewegungsaufgabe vor dem Stand.

Schieben, drücken, pressen und den Füssen vertrauen heisst es über weite Strecken, wie auch hier am Ende von L5 (6c). Einfach so vom einen zum nächsten Griff ziehen wie in der Kletterhalle kommt kaum je vor. Sprich, manch einem dürfte diese Art der Kletterei schwer fallen, erst recht mitten im Winter, wo man sich noch mehr als sonst an den farbigen Bobbeln bewegt. Aber das ist genau richtig so, denn eigentlich soll Klettern ja in erster Linie in Skill Sport sein und nicht einfach ein Athletiktest.

L5, 25m, 6b: Am linken Ausläufer der enormen Dachzone geht's jetzt in die Vertikale! Auftaktstufe mit BH, dann viel Gelände, aber Haken folgt da keiner. Kühn ist dieser Abschnitt, doch auf der richtigen Linie geht's tatsächlich recht gut. Achtung, keinesfalls rechts an die markante (lockere) Schuppe klettern, sondern ein paar Meter links in der Wand. Unverhofft kommen da noch zwei Placements, bevor BH zum und übers Dach leiten. Gutgriffig ist's, ja - aber auch sehr athletisch, kein Geschenk für eine 6b. Danach henklig und steil weiter, zuletzt nach rechts zu Stand auf der luftigen Kanzel.

Ausblick nach dem Stand von L3 auf die plattige Boulderpassage zu Beginn von L4 (6c) im Vordergrund, der obere Teil dieser Länge bleibt aus dieser Perspektive verborgen. Die rote Linie zeigt dann den Verlauf von L5 (6b) in die Dachzone hinein, sowie auch L6 (6c), welche wieder aus diesem grossen Überhang hinausführt.

L6, 20m, 6c: Kurze, aber wiederum sehr athletische Seillänge. Der erste BH gut sichtbar, den zweiten im Dach kann man erspähen. Von dort etwas unlogisch rechts weiter, es kommt nochmals ein Bolt und die Crux, wo Crimps an einer dünnen Rissspur heftig zugedübelt werden müssen - fordernd und unübersichtlich (naja, mit diesem Text vielleicht nicht mehr so ganz). Zuletzt gibt's noch eine kleine, weitgehend problemlose Boulderaufgabe in den Stand. Auf dieser überhängenden Seillänge darf man das Zusatzgewicht der Cams auch dem Nachsteiger anhängen.

Dachluft und sehr athletische, dafür gutgriffige Kletterei in L6 (6c).

L7, 35m, 6b: Heieiei, es lässt nicht lugg! Bolts sind keine zu erspähen, aber es gibt einzig den Weg einer Schuppe mit dünnem Riss entlang. Wohl dem, der ausreichend kleine Cams eingepackt hat! Erst passt nämlich nur Grösse 0.2 und kleiner, es ist die Crux mit unsicherer Kletterei und gewagten Moves. Da versorgt man gerne ein paar Klemmgeräte. Später dann nach links und über eher plattiges Gelände mit weiten BH-Abständen hinauf, liegen tut nicht mehr viel. Originell die Tropflöcher im plattigen Teil, welche im Gneis ja doch sehr selten auftreten.

Gutmütige Kletterei, jedoch mit weiten Abständen im oberen Teil von L7 (6b). Im Vordergrund gut zu sehen die einzigartigen Gneis-Tropflöchli, die im Gegensatz zum Kalk in diesem Gestein nur sehr selten auftreten.

L8, 40m, 7c: Eine 40m lange 7c mit nur gerade 5 BH, davor hatten wir den ganzen Tag gebibbert. Noch dazu folgt der erste keine 2m nach dem Stand für die popelig aussehende, aber nicht restlos triviale Auftaktstufe, bevor eine Platte an den wenige Meter hohen Steilriegel mit 3 BH und der Crux heranführt. Erst geht's noch, kräftig an guten Incut-Leisten, aber dann... bremst uns der Schlüsselzug aus. Es ist tatsächlich nur ein einziger Move, welcher die Schwierigkeit ausmacht, aber der hat es in sich: über eine ca. 15mm breite Sloper-Minileiste muss man weit zum nächsten Henkel blockieren, und zwar ohne dass man schlau Schwung holen und dynamisch etwas erreichen könnte oder das Problem mit geschickter Positionierung und Fusseinsatz zu entschärfen wäre. Wer ausreichend Fingerstrom hat, der zwickt das möglicherweise weg und sagt "7c, so what?!?". Aber wie so oft auf selten begangenen MSL, ob sich dies tatsächlich je so abgespielt hat, oder ob die Bewertung bloss eine über den Daumen gepeilte Schätzung à la "müsste-sollte-könnte gehen" ist, bleibt im Reich der Spekulationen. Eines ist aber sicher, wir verfügen nicht über die nötige Souplesse und somit scheitert unsere freie Begehung der Radici tatsächlich wegen einer einzigen Bewegung. Immerhin, mit A0 geht's problemlos zu Henkel und Klipp. Aber von diesem letzten Bolt im Steilgelände weg wartet dann doch nochmals etwas, der Mantle auf die Platte darob ist nicht geschenkt und 100% zwingend. Weniger Freude machen dann die 25m Vierer-Abschlussplatte zum Stand. Es steckt nix mehr, mobil geht auch kaum etwas und zu was ein Fehler bald einmal führen würde, lässt sich leicht ausmalen :-/

Warten auf Erleuchtung... auch wenn's optisch kaum danach aussieht, dieser ca. 5m hohe Steilriegel bietet die Crux der Route in L8 (7c-Einzelzug). Wenn's nur einen einzigen, akzeptablen Griff mehr hätte, oder ein Tritt an der richtigen Stelle mithelfen würde, so wäre die Schwierigkeit rasch nur mehr im 7a-Bereich.

L9, 35m, 7a: Das Abschlussfeuerwerk bietet eine (sehr) gesuchte Linie, aber eben auch coole Kletterei. Rechts könnte man die Wandkante unschwierig erreichen, doch mit einer kleinen Schleife geht's an einen massiven Überhang heran. Der ist gespickt mit griffigen Schuppen, aber dermassen athletisch, dass die 7a durchaus passt. Nach einer Pause wartet dann noch eine erst vertrackte Kante, bevor diese rissdurchzogen wird und man selber absichernd zum Top gelangt.

Aus dieser Perspektive kommt die enorme Steilheit der Abschlusswand in L9 (7a) nicht so richtig zur Geltung. Dank der diagonalen Schichtung des Gesteins gibt's hier aber viele scharfkantige Schuppen und Risse, die so richtig zum Zupacken einladen.

Um 16.30 Uhr und damit nach 7:10h Kletterei waren wir am Top angekommen. Während der ganzen Zeit hatte die Sonne vom blauen Himmel gelacht und uns mit ihren wärmenden Strahlen erfreut. Klar, es war mitten im Winter und selbst so herrschten nicht Temperaturen wie am Badestrand, aber die Bedingungen für eine solche Route waren wirklich perfekt gewesen - bei Wärme wäre es ganz bestimmt eine Tortur. Eben schnell waren wir mit Blick auf unsere Zeit nicht unterwegs. Doch einerseits ist die Kletterei in manchen Längen tüftelig, andererseits ist die Absicherung oft knapp und erlaubt nicht einfach ein Durchmarschieren, bzw. erfordert Zeit für mobile Aufbesserung. Und nicht zuletzt ist es natürlich immer entsprechend zeitraubend, wenn man versucht an beiden Seilenden eine freie Begehung zu erzielen - was eben wegen diesem verflixten einen Move in L8 (7c) nicht gelungen war. 

Die letzten, wieder mobil abzusichernden Meter zum Top der Route in L9 (7a).

Während es möglich wäre, rückseitig die Steinhütten von Eus zu erreichen und zu Fuss abzusteigen, hatten wir von Anfang an zwecks Minimierung des Gepäcks auf ein Abseilen gesetzt. Dieses verläuft dank dem steilen und absatzlos plattigen Gelände sehr speditiv. Mit 2x50m-Seilen sind 7 Manöver nötig, bringt man die 60er-Stricke geht's sogar in nur 5 Sequenzen (Top -> 7 -> 6 -> separater Abseilstand Mitte L4 -> 2 -> Boden). Schon um 17.00 Uhr waren wir zurück am Einstieg, wo wir unsere Sachen packten und noch einen Vesper einnahmen. Trödeln durften wir aber nicht, wenn wir den Abstieg noch bei Tageslicht bewältigen wollten. So machten wir uns rund eine Viertelstunde später auf den Weg und schafften es tatsächlich im letzten Licht, aber noch ohne die Stirnlampen zu aktivieren, in etwas weniger als einer Stunde zurück zum Parkplatz. Auch im Abstieg wählten wir die Cinghiali-Variante via Cürt, was tipptopp klappte.

Die Abseilerei geht sehr zügig und wie man sieht, auf den Gneisplatten auch prima barfuss. Man muss schon sagen, für die Füsse ist der lange Tag in den Finken mit viel extremer Kletterei auf Reibung und kleinen Tritten anspruchsvoll. Ich wage mir gar nicht auszumalen, wie dies bei Wärme wäre...

Damit war die Sache aber noch nicht erledigt. Wir mussten jetzt versuchen, die festsitzende Karre wieder flott zu kriegen oder sonst einen Pannendienst mit Kran rufen. Vermutlich wäre dies ja auch mit viel Wartezeit verbunden gewesen und so beschlossen wir, es erst einmal mit unseren Engineering-Skills und Baumaterial aus dem Wald zu versuchen. Fast wie beim Klettern, mit einem sauberen Plan und dann Schritt für Schritt ging es tatsächlich und wir brauchten schlussendlich nur eine Dreiviertelstunde dafür. Klar, ohne Wagenheber wäre es nicht möglich gewesen, aber einen solchen führe ich glücklicherweise immer mit. Auf einem Holzfundament bauten wir Steinpodeste für diesen und das im luftleeren Raum hängende Rad. Schliesslich hatten wir die nötige Höhe erreicht. Eine herumliegende Eisenstange sollte es ermöglichen, vom Podest wieder auf festen Grund zu fahren. Mit sehr viel Herzklopfen setzte ich mich ans Steuer, liess gehutsam die Kupplung kommen - und tatsächlich, Bruchteile von Sekunden später war das Problem definitiv gelöst :-) What a day, what an adventure, kann man da nur sagen!

Saudummes Problem: Wagen muss 30cm angehoben und 30cm nach links verschoben werden...

Einmal gelöst, sieht es fast trivial aus. Es war aber sehr unsicher, ob es klappen würde. Wir hatten insofern Glück, dass wir einen Wagenheber hatten, die nötigen Baumaterialien wie stabile Hölzer, flache Steine und sogar Eisenstangen in der nahen Umgebung herumlagen und der Wagen an einem Ort blockiert war, wo wir entsprechend zu arbeiten beginnen konnten.

Facts

Pizzo d'Eus - Le radici del Silvio 7c (6b+ obl.) - 9 SL, 290m - Fratagnoli/Petazzi 2006/2007 - ***;xx(x)
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, ca. 3-4 Microcams bis Grösse 0.2, plus 1 Set 0.3-2, Keile verzichtbar

Sehr schöne Route im rechten Teil des gewaltigen Gneisdoms vom Pizzo d'Eus. Bis auf die kurze und A0 losbäre 7c-Crux sind die Schwierigkeiten nicht extrem, aber doch sehr anhaltend im Bereich 6b-7a. Die Kletterei ist über weite Strecken sehr technisch und eher griffarm. Sprich, straighforward pulling gibt es nur wenig, es müssen sehr viele Boulderprobleme gelöst werden und den Füssen muss man zu 100% Vertrauen. Wer diese Art von Kletterei mag, kommt aber voll auf seine Kosten. Die Absicherung darf man als OK bezeichnen. Die schwierigen und nicht selber absicherbaren Stellen sind solide mit rostfreien Haken eingebohrt. Das Legen von mobilen Sicherungen nimmt aber schon einen wesentlichen Platz ein. Wenn's irgendwie mit (Micro-)Cams geht, dann stecken keine Bolts. Die Placements sind aber nicht sehr üppig vorhanden, d.h. man muss diese erkennen und dann auch wirklich nutzen können. Ein wenig ein Dorn im Auge sind einige einfachere Plattenpassagen im vierten und fünften Grad, wo nichts liegt und (fast) nichts steckt. Diese muss man einfach sicher klettern können, gefährliche Stürze sind dort möglich. Eher stark generalisierte Topos findet man im Extrem Sud und im SAC-Kletterführer Tessin. Da die Linie aber entweder logisch den Strukturen folgt (in den cleanen Abschnitten) oder sonst genügend Bolts stecken, reichen die schon aus.