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Dienstag, 6. Juni 2017

The Real Deal!

"No big deal", so pflegt Alex Honnold jeweils seine Aktionen zu umschreiben. Understatement pur, dies insbesondere natürlich für die Solo-Begehung von Freerider (~30 SL, ~7c+) am El Capitan im Yosemite National Park. Die Social Media wurden durch Berichte dieser Begehung regelrecht überflutet, ja sogar in den Mainstream-Medien war davon zu lesen. Warum braucht's hier einen weiteren Bericht dazu?

Obwohl ich persönlich absolut keinerlei Ambitionen in Bezug aufs Soloklettern habe, kann ich mich der Faszination dieser Aktion einfach nicht entziehen. Warum? Jeder Kletterer weiss und spürt, welch grossen Unterschied es bereits macht, ob man einen schwierigen Move mit dem Bohrhaken am Bauchnabel ausführt, oder ob die letzte Sicherung bereits schon unter den Füssen entschwunden ist. Und da kommt nun (im Falle von Alex Honnold natürlich nicht ganz überraschend) einer, der Sturzangst und Konsequenzen offenbar selbst ungesichert komplett ausblenden kann. Sein Statement dazu lautet ja ganz lakonisch "being fearful does not help my in any way up there, so I just zoom it out". Wenn das nur so einfach wäre... Somit scheint mir die Solo-Begehung vom Freerider eben doch für jeden Kletterer relevant. Selbst ganz normal am Seil dreht sich im Grenzbereich der persönlichen Möglichkeiten viel darum, seine Nerven und (irrationalen) Ängste im Griff zu haben, um gut zu performen.

The Big Stone. 12 Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal vor Ort war. Viel zu lange...
In den Kommentarspalten liest man natürlich wieder die üblichen Statements über Adrenalin-Junkies, selbstmörderische Absichten und es wird die Frage aufgeworfen, was diese Aktion der Menschheit bringe. Was zwar grundsätzlich eine dumme Frage ist, aber wenn man sich genau in die Sache hineindenken kann, dann meines Erachtens eigentlich sogar sehr viel. Wie viel besser wären wir, bzw. was könnten wir alles Erreichen, wenn wir im entscheidenden Moment frei von Versagensängsten handeln würden, völlig rational entscheiden könnten, usw.. So viel läge drin, das Leben von jedem einzelnen Menschen könnte bereichert werden. Vermutlich lässt es sich sogar ausdehnen auf die Menschheit als Gesamtes. Wäre es allen möglich, so befreit und zielgerichtet zu handeln und nicht auf Gedeih und Verderb zu klammern, so ginge es bestimmt dem ganzen Planeten viel besser. In diesem Sinne finde ich die Aktion eben sehr inspirierend. Selbst unter dem höchstmöglichen Einsatz von Leib und Leben und wenn's mehr denn je darauf ankommt, kann Alex Honnold beim Klettern wie Figura zeigt ungehemmt die volle Leistung bringen.

Der Fels im Yosemite Valley ist vielerorts ausgesprochen glatt und trittarm. An diese sehr spezielle Art der Kletterei braucht es unweigerlich etwas Gewöhnung. Kommt noch hinzu, dass man meist an Rissen klettert, für uns Alpen-Kalkkletterer höchst ungewöhnlich. Schon manch einer ist auf die Welt gekommen, wenn es ums Übersetzen der Schwierigkeitsgrade ging.
In einem zweiten Teil möchte ich noch ein wenig versuchen, die Anforderungen im Freerider zu erklären. Soviel vorweg, ich kenne die Route bis auf die erste Seillänge, welche ich früher einmal als Baseclimb begangen habe, leider (noch) nicht aus eigener Erfahrung. Doch es ist schon ein heimlicher Traum von mir, diesem Stück Fels in einem Vertical Camping Trip eine freie Begehung abzuknöpfen. Vielleicht, wenn die Kinder grösser sind? Ob der Freerider für mich als Rotpunkt-Projekt realistisch ist, bleibe dahingestellt, notfalls wäre ich sicher auch einfach damit zufrieden, unten einzusteigen und oben anzukommen. Somit erstaunt es vermutlich nicht, dass ich mich schon relativ eingehend mit dem Freerider befasst habe und zumindest einige Second-Hand-Infos zuverlässig wiedergeben kann. Soweit mir bekannt ist, gibt es vom Freerider bisher trotz zahlreicher namhafter Versuche nach wie vor keine lupenreine Onsight-Begehung - das sagt ja schon einiges über die Anforderungen aus!

Während die Schwierigkeiten in den unteren Seillängen vor allem in einigen heiklen, irre glatten, grifflosen Plattenpassagen um ~7a liegen, stellen sich weiter oben Risse aller Grössen und Breiten in den Weg. Wobei der berüchtigte und gefürchtete Monster-Offwidth (ein langer, 10-15cm breiter Riss in Grössenklasse Camalot 6 und Bewertung 5.11+, d.h. ~7a) für einen Mann von Honnolds Kaliber jedoch kein Problem sei: "you cannot fall off this thing". Anders sieht's hingegen in der nominellen Schlüsselpassage aus, der sogenannten Huber-Pitch. Seit Griffausbrüchen wartet dort ein harter, knifflig-unsicherer Boulder im 7B-Bereich mit einem Ninja-Kick-Finish, übersetzt auf die französische Routenskala wohl so etwas im Bereich von 7c+ (siehe ab 2:40 im Video, so etwas im Free Solo, wow!). Die zweite Hauptschwierigkeit besteht aus den Enduro-Corner-Risslängen unter dem Salathé-Roof. Diese sind im Solo ohne das Nutzen der Hängestände durchzumoven und bieten so arschglatte Piazkletterei um 5.12+, d.h. ~7c. Siehe ab 5:30 im Video, wem der Hintern nur schon beim Gedanke an eine Solo-Begehung von so etwas mit 800m Luft unter den Füssen nicht auf Grundeis geht, der hat wohl echt Nerven aus Stahl.



Zuletzt, was oft auch gefragt wird: wie gross sind die Risiken einer solchen Begehung und was sind die hauptsächlichen Gefahren? Ersteres lässt sich kaum beantworten, über Zweiteres kann man schon spekulieren. Die Hauptgefahr besteht ganz sicher darin, aus dem Konzept zu geraten und plötzlich einen anderen Blick auf die eigentlich absolut beschissene Lage zu erhalten. Wenn man zu Krampfen beginnt, so sind solche Längen wie das Boulderproblem der Huber Pitch nicht mehr zu machen. Während viele Störfaktoren (Wetter, Griffausbruch, Erinnern der Sequenz, Fitness, ...) durch entsprechende Vorbereitung nahezu ausgeschlossen werden können, so verbleiben doch einige unabwägbaren Gefahren - am höchsten wohl jene, in einen in einem Riss versteckten Frosch, Vogel, Nager oder Schlange zu greifen, bzw. davon erschreckt zu werden. Wie auch immer, schliessen wir diesen Beitrag mit dem Wunsch, dass Alex Honnold ein möglichst langer Genuss seiner Aktivitäten vergönnt sei und widmen wir uns weiter dem Spiel Rotpunkt-Klettern. Dabei geht's ja eigentlich genau darum, die Route so zu meistern, dass man sie theoretisch auch Free Solo überlebt hätte. Dass zwischen Theorie und Praxis Welten liegen, ist klar - für Leute wie mich ist profanes Rotpunkt-Klettern am Seil aber trotzdem ein höchst faszinierender Zeitvertrieb.

Dienstag, 19. April 2016

Die schwierigsten Sportkletterrouten der Schweiz

Wo findet man die schwersten Sportkletterrouten in der Schweiz? Meines Wissens gab es bisher keine vollständige und korrekte Liste, so dass ich die Informationen aus verschiedenen Internet-Quellen erst einmal zusammenklauben musste. Wie die Recherche zeigte, gibt es in der Schweiz inzwischen rund 30 Routen, für welche der neunte Franzosengrad entweder vorgeschlagen oder bestätigt wurde. Um den Aufwand überschaubar zu halten, habe ich mich also auf Routen im Grad 9a oder höher beschränkt. Auch wenn man (wie ich selber) nicht in diesen Graden klettert, so sind die Geschichten um diese Routen und ihre Protagonisten doch für alle Kletterer sehr interessant. In einigen Fällen kennt man viele Details und die Begehungen sind mit aufwändigen Videos dokumentiert. Bei anderen Routen haben sich die Geschehnisse mehr im Obskuren der dunklen Wälder und steilen Felsen abgespielt. An dieser Stelle ein Abriss über die harten Moves der Schweiz, der das enthält, was ich aus vielerlei Quellen zusammenbringen konnte.  

Charmey: Meiose (9b -> 9a+), Chomosome Y (9a -> 8c+), Chromosome X (9a -> 8c+) & Transcription (9a)

Pirmin Bertle, ursprünglich aus unserem nördlichen Nachbarland, lebte während mehrerer Jahre im Kanton Fribourg und bereichte die Gegend mit diversen harten Geräten. Unter anderem mit den vier hier gelisteten Routen im Sektor Tribune bei Charmey, die allesamt an demselben Stück Fels verlaufen und deshalb schlicht und einfach zusammengehören. Die Meiose (9b -> 9a+), nach Bewertung die aktuell schwierigste Route der Schweiz, besteht dabei aus dem Einstiegsboulder von Chromosome Y, der bei Fb 8B eincheckt, einer anschliessenden Fb 7B+ Passage, welche ohne Ruhepunkt in die Crux von Chromosome X weiterführt, die einen weiteren Fb 8B Boulder bereithält. Zur Anmerkung: in einer 7a-Route erwartet man die schwersten Boulderpassagen je nach Ausdauerfaktor bei 6A/6B, in einer 8a-Route bei etwa 7A. Gepunktet wurde die Königsvariante von Pirmin im Herbst 2015 nach rund 150 Versuchen, und zwar an seinem letzten Klettertag, bevor er seine Zelte im Greyerzerland zu Gunsten einer Weltreise definitiv abbrach. Zu erwähnen ist hier auch noch, dass der Rotpunkt schliesslich erst nach einem Gewichtsverlust von ~10kg gegenüber den ersten Versuchen gelang, was wir weiter unten noch einige weitere Male lesen werden. Ende Januar 2018 sicherte sich Adam Ondra im dritten Go die erste Wiederholung von Meiose. Er befand eine Bewertung von  "low end" 9a+ als realistischer, wobei er vor den schwersten Zügen einen Kneebar finden konnte, welcher ein kurzes Schütteln beider Hände ermöglicht (siehe hier). Somit ist der Status von Meiose als schwierigste Route der Schweiz höchstwahrscheinlich passé.

Pirmin Bertle in Meiose (9b). Etwas Schulterkraft scheint doch eher unerlässlich. Bild: lizardclimbing.com
Die erste der beiden Zwillingsrouten, Chromosome Y (9a -> 8c+) besteht dabei aus einem 8B Startboulder, der in einen 7B+ Boulder und eine 15m lange Schlusspassage im Klettergrad 7c+ führt. Speziell an diesen Zwillingsrouten ist auch, dass Pirmin Bertle sie innerhalb von weniger als 2 Stunden im März 2012 gepunktet hat. Das muss wohl ein Tag gewesen sein, wo die Gravitation gerade etwas Pause machte... Die erste Wiederholung fällt Adam Ondra zu, welcher sie im Dezember 2014 im Flash bezwingen konnten, nachdem er sich vom ähnlich grossen Pirmin jede Bewegung genau vorklettern und erklären liess. Im April 2017 sicherte sich der Berner Alex Rohr die dritte Begehung von Chromosome Y. Nach einigen erfolglosen Versuchen im 2016 kam der Erfolg im 2017 sehr schnell, d.h. bereits am zweiten Klettertag. Daher ist sich Alex nicht ganz sicher, ob die Route den Grad 9a wirklich verdient, oder nicht einfach nur eine 8c+ sei. Im März 2019 war dann Samuel Ometz erfolgreich. Er schätzt den Startboulder auf eher nur 8A und die gesamte Route auf 8c+ ein.

Chromosome X (9a -> 8c+) hat einen 7C-Sprung zum Start, gefolgt von einer kleingriffigen 8B-Boulderpassage, dafür ist der Ausstieg für diese Verhältnisse schon fast einfach mit einer 7b+ zu haben. Die Erstbegehung gelang im März 2012 Pirmin Bertle. Die erste Wiederholung machte im November 2018 llya Bakhmet-Smolenskyi im Alter von nur 13 Jahren und 9 Monaten, womit er zu dieser Zeit der jüngste 9a-Begeher gewesen wäre. Er benützte eine komplett unterschiedliche Sequenz als der Erstbegeher. Zwei Wochen später war auch Alex Rohr erfolgreich, der nochmals einen etwas anderen Pfad durch dieses steile Stück Fels wählte. Sein Kommentar "niemals 9a, sondern soft 8c+".

Pirmin Bertle am letzten schweren Zug von Meiose (9b). Bild: lizardclimbing.com
Nach einem 9a-Flash macht Adam Ondra noch nicht Feierabend. Die Zeit wurde genutzt, um den Felsen in Charmey eine weitere Erstbegehung abzuluchsen. Dabei handelt es sich um die Route Transcription (9a), welche den Direkteinstieg über einem schmalen Fingerriss zur Chromosome Y darstellt. In einem 90-minüten Ausbouldern wurde die Route von Adam erst als "unkletterbar", etwas später dann als "harte 9a+" bezeichnet. Nachdem eine kurze Zeit später der Rotpunkt-Durchstieg im zweiten Go gelungen war, gab es dann halt doch nur eine 9a für dieses Teil, das seither in einem unwiederholten Zustand auf weitere Begeher wartet.


Gastlosen: Torture Physique (9a+/9b)

Diese Route befindet sich im fantastischen Sportklettergebiet auf der NW-Seite der Gastlosen. Sie existiert in 3 Versionen, darum wird es etwas kompliziert. Ursprünglich kletterte man die Route mangels besserem Können bis zu einem guten Griff auf 22m Höhe, zwei BH vor dem ersten Stand. Diese Version wurde 1995 von Elie Chevieux als erstem gepunktet und ist eine 8c, gehört also nicht zu den härtesten Routen der Schweiz (wenn man sie überhaupt als Route zählen will). Der zweite Teil umfasst dann einige Meter an zusätzlicher Kletterei zum ersten Stand. Diese beinhalten zwei Boulderstellen in den Graden 7B und 7B+. Der erste Rotpunkt geht auf Pirmin Bertle im Jahr 2010 zurück, welcher eine Bewertung von 9a vorschlug, mit der Bemerkung die Route sei deutlich härter als Cabane au Canada (9a).

Im Sommer 2013 stieg dann Adam Ondra in die Torture Physique ein. Sein Onsightversuch endete erst, nachdem der erste Stand geklippt war. Somit ein (weiterer) 9a-Onsight von ihm? Nein, denn er bewertete den Teil bis zum ersten Stand nur als harte 8c+. Allerdings mit der Bemerkung, dass er von seinem Klippgriff nur den einen, aber nicht beide Standhaken hätte einhängen konnte. Wären noch die beiden zusätzlichen Züge und das Einhängen des zweiten Standhakens nötig, so würde es sich um eine 9a handeln. Das dünkt mich allerdings arg spitzfindig, denn Stand geklippt, Route gepunktet, fertig. Wie auch immer, definitive Aufnahme in diese Liste findet die Torture Physique vor allem aber wegen den 8 zusätzlichen Metern vom ersten zum zweiten Stand. Diese sind stark überhängend und vor allem einfach sauschwer. Der Durchstieg gelang Adam Ondra im Sommer 2013, im fünften Versuch an seinem zweiten Tag in der Route. Er meinte, mit seiner Grösse und seiner Flexibilität würde es sich womöglich "nur" um eine harte 9a+ handeln, für alle anderen dürfte aber der Grad 9b fällig sein. Auf jeden Fall findet man hier sicherlich einige der härtesten Schweizer Klettermeter.

Klettern an den Gastlosen in der Abendsonne, besser geht's kaum. Hier die Torture Physique. Bild: gastlosen.ch

Rawyl: Hyper Finale (9a+) & Super Finale (9a)

Im Juli 2016 konnte kein geringerer als Adam Ondra mit Hyper Finale (9a+) die vom Local Bertrand Marteney eingebohrte Linie rechts von Cabane au Canada (9a, siehe unten) punkten. Es handelt sich dabei um Kletterei im Bereich 9a zu einem guten Rastpunkt, gefolgt von einer knifflig-schweren Bouldercrux, welcher der Meister in simplem 3 Versuchen erledigen konnte. So weit, so gut, doch nun wird's etwas kompliziert: wenige Wochen zuvor hatte auch Jonathan Siegrist sich eine Erstbegehung mit dem Namen Hyper Finale buchen lassen und dafür den Grad 9a ausgeworfen. Er konnte jedoch die finale Bouldercrux nicht lösen und ist deswegen vom Rastpunkt über die Cabane au Canada linkerhand ausgestiegen. Gemäss Adam Ondra sei diese Variante jedoch "unlogisch", und vor allem auch der für die direkte Linie vorgesehene Name Hyper Finale unpassend - wenn's denn überhaupt eine Route bzw. Begehung ist. Zusätzlich gibt's eine weitere Verbindungsvariante, die mit der Hyper Finale startet und dann in Routenhälfte in die Etoile de Maya quert. Sie trägt den Namen Super Finale (9a). Somit wurde die Schweiz hiermit um 2 oder 3 neue 9er-Touren bereichert, wie man's nimmt. Eine erste Wiederholung von Super Finale gelang im Juni 2018 Patrik Aufdenblatten aus Zermatt.


Jansegg: La Barrière (9b), La Cène du Roi Lézard (9a+), Des Scènes Bizarres Dans La Mine d'Or (9a/9a+) & Focus Pocus (9a/9a+)

Alle diese Routen gehen auf das Konto von Pirmin Bertle und weisen gemeinsame Abschnitte auf, siehe das unten abgebildete Topo. Die Scènes konnte er im August 2015 nach einem Aufwand von 16 Tagen punkten. Der Breakdown lautet wie folgt: eine 10m lange Einstiegspassage an schönen Löchern im Grad 8a, abgeschlossen von einem moderaten Ruhepunkt. Danach gilt es einen 6-Zug-Boulder im Grad Fb 8B zu ziehen, welcher zu einem guten Fussklemmer-Ruhepunkt führt. Von diesem wartet ein weiteres, kurzes Fb 8A Boulderproblem, das schliesslich in einen relativ leichten 7b+ Ausstieg führt. Das wären die technischen Daten, die Route ist auch mit einem guten Video dokumentiert. Bei der La Cène (9a+) handelt es sich um eine Einstiegsvariante, welche für die ersten 10m die schwierigere Le Roi Lézard (8c+) benützt und die oben erwähnte Einstiegspassage zu einer 8b/8b+ (anstatt 8a) macht. Ebenso ist anscheinend die letzte Boulderstelle aufgrund eines Griffausbruchs neu eher als 8A+ zu werten (hier das Video zur La Cène). Für diesen Boulder fand schliesslich Cédric Lachat bessere Beta, was zu einer anderen Einschätzung aller Routen geführt hat, welche diese Sequenz benutzen. Nach für seine Verhältnisse langer Arbeit konnte Cédric die La Cène (9a+) wiederholen und man einigte sich auf den Grad 9a+. Pirmin war nicht untätig geblieben und hatte nochmals eine neue Einstiegsvariante geklettert, welche für sich alleine schon im 9a-Bereich sein soll. Direkt ausgestiegen ergibt sich so Focus Pocus (9a/9a+), mit dem querenden Ausstieg heisst die Sache La Barrière (9b) und ist damit derzeit die potenziell schwierigste Route der Schweiz. Dass diese Einstiegsmoves schwierig sind bestätigt Cédric: sie seien so kleingriffig und morpho, dass er sie nicht durchführen konnte.

Verlauf der schwierigen Routen in der Jansegg. Quelle: lizardclimbing.com
Nicht nur mit dieser Route, aber insbesondere mit der Scènes (derzeit 9a/9a+, original 9a+) hat Pirmin in der Szene sehr kontroverse Diskussionen ausgelöst. Dies ist zu einem grossen Teil ihm selber zuzuschreiben. Auf seiner Webseite schrieb er dannzumals in einem inzwischen gelöschten Artikel, seine Tour handle sich um die "drittschwerste der Alpen" und er sei der "dritte Deutsche, der eine ernstzunehmende 9a+ klettert". Nun ja, die Alpen beginnen eigentlich in Nizza und enden so etwa bei Wien und in Slowenien. In diesem Gebiet gab es zur Zeit seiner Begehung mindestens ein Dutzend weitere Routen, welche mit 9a+ bewertet sind, sowie auch drei 9b's. Daher ist das objektiv gesehen doch relativ dick aufgetragen, dass seine 9a+ die drittschwerste ist. Und es sind doch immerhin auch 6 Deutsche, welche vor Pirmin eine 9a+ geklettert sind. Offenbar genügen 4 davon seinen Qualitätskriterien nicht, genaue Namen wurden aber nicht genannt. Diese Aussagen sind natürlich schon reichlich selbstbewusst und auch ungewohnt despektierlich gegenüber anderen Kletterern. 

Tja, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Dieser Fall trifft hier insbesondere zu, da Pirmin's schwerste Routen vorwiegend unwiederholte Erstbegehungen sind, deren Schwierigkeitsgrade bis dato unbestätigt sind. Dazu wird sein Track Record bemängelt, hat er doch "nur" (oder vielleicht auch "immerhin") zwei bestätigte 9a's wiederholt (Jungle Speed und Cabane au Canada), sowie auch 8 Routen im Grad 8c+. Es wurde dann entdeckt, dass dieselbe Situation auch beim Bouldern in noch extremerem Ausmass vorliegt. Dort hat Pirmin mehrmals die weltweiten Spitzengrade 8C+ und 8C für seine Erstbegehungen ausgeworfen, kann aber selber nur eine einzige Wiederholung eines 8B-Boulders vorweisen. Wir können gespannt sein, welche Fortsetzung diese Geschichten nehmen, wenn seine Routen und Boulder irgendwann wiederholt werden. Bis dahin bleiben seine Vorschläge stehen und ich will mich auch nicht zu stark in die Polemik einmischen. Jedenfalls scheint es mir hier durchaus plausibel, dass man als stark gebundender Familienvater vor allem vor seiner Haustür klettert und nicht um die Welt reist, um sich vor den Augen von Zweiflern in anderen Testpieces zu beweisen.

Auftakt zur 8B-Boulderpassage in den bizarren Szenen in der Goldmine (9a+). Foto: lizardclimbing.com

Telli: Licht und Schatten (9a+)

Diese Route wurde von Stephan Schibli nach 3-jähriger Arbeit im November 2015 erstbegangen. Er bezeichnet sie als deutlich schwerste aller von ihm gepunkteten Routen, und das will etwas heissen, hat er doch auch drei 9a's (siehe unten) auf seinem Konto. Allen diesen Routen gemeinsam ist, dass sie sehr kleingriffig und diffizil sind, Stephan ist definitiv ein Master, wenn es um kleinste Strukturen im Fels geht. Obwohl es keinen objektiven Grund gibt, am seinem Vorschlag für Licht und Schatten (9a+) zu zweifeln, so gilt ähnliches wie im Fall von Pirmin Bertle. In der Szene wird bemängelt, dass fast alle Erfolge von Stephan in eigenen, noch unwiederholten Routen zu verzeichnen sind. So hat er gemäss seinem Profil auf 8a.nu oberhalb von 8b+ nur gerade eine Toprope-Begehung von Bain de Sang (9a) und von Duc Power (8c) im Telli an Wiederholungen von bestätigten Routen aufzuweisen. Aber eben, das muss nichts heissen und ist ja gerade auch das schöne am Klettersport. Hier kann man sich ohne das Durchlaufen von Kadern und Selektionen direkt und selbständig auf höchstem Niveau beweisen. Zudem, als berufstätiger Familienvater wie Stephan liegt es nahe, seine allerschwersten Routen an Felsen in der näheren Umgebung zu versuchen. Und das Rumjetten in der weiten Welt zum Ticken der berühmten Sportkletter-Testpieces fällt logischerweise aus. Warten wir doch gespannt darauf, was die Wiederholer einst über diese und seine anderen Routen berichten mögen.


St. Loup: Bimbaluna (9a/9a+)

Die Route Bimbaluna (9a/9a+) stammt von Fred's älterem Bruder François Nicole, welcher sie im Mai 2004 erstbegehen konnte. Sie hat in den Jahren danach 3 Wiederholungen gesehen und der Grad von 9a/9a+ gilt als einigermassen etabliert. Es handelt sich um eine sehr bouldrige Tour, wo sich die Schwierigkeit auf 10 Züge extrem kleingriffige Züge im Bereich von Fb 8B konzentriert. Für Laien und durchschnittliche Kletterer sieht diese Stelle beinahe komplett glatt aus - kleinste Unebenheiten und Löcher wollen für das Fortkommen genutzt sein. Äusserst speziell an dieser Route ist die Tatsache, dass sie eine Frauenbegehung erhalten hat, und zwar durch Josune Bereziartu im Mai 2005. Damit handelt es sich bis dato immer noch um eine der schwersten, wenn sich sogar um DIE schwerste, je von einer Frau gepunktete Route - bis dato hat noch nämlich noch keine Frau eine Route gepunktet, für welche der Grad von 9a+ offiziell bestätigt und akzeptiert ist. Speziell auch die Geschichte von Manolo Zanolla, der sich die Begehung dieser Route als neue persönliche Bestleistung zum 50. Geburtstag schenkte. Für ihn waren dazu 5 Trips nach St. Loup mit je fast 1000km Anfahrt vonnöten - dies zeigt eindrücklich, dass in diesen Schwierigkeiten nichts mehr ohne eine gewisse Verbissenheit geht.

Josune Bereziartu in Bimbaluna (9a/9a+). Bild: baurock.ru

St. Loup: Bain de Sang (9a)

Weltweit bekanntes Testpiece von Altmeister Fred Nicole, bereits 1993 erstbegangen und damit potenziell eine der frühen Routen weltweit in diesem Grad - konkret die dritte weltweit, für welche bei der Erstbegehung eine 9a ausgeworfen wurde. Die Kletterei in der leicht überhängenden, wenig strukturierten Wand spielt sich an mickrigen, rasiermesserscharfen Crimps ab - das hat auch für den Namen der Route ("Blutbad") inspiriert. Die Kletterei ist aufgrund der Trittarmut äusserst technisch und kann in einen ersten Routenteil von ungefähr 8c mit einem 8A Boulder und einen zweiten Teil von nochmals 8c mit einem 8A+ Boulder ganz am Ende aufgeteilt werden, unterbrochen von einem Fussklemmer No-Hand-Rest. Bisher sind knapp 20 Wiederholungen von Bain de Sang (9a) bekannt (Stand 3/2019), darunter diejenige von Josune Bereziartu, welche damit 2002 als erste Frau überhaupt in einer 9a erfolgreich war. Der Grad ist allerdings nicht grundsolide in Stein gemeisselt: einige Wiederholer waren sehr schnell erfolgreich und eine Abwertung auf 8c+ steht im Raum. Am pointiertesten in dieser Hinsicht äussersten sich Dave Graham (welcher nur 3 Versuche für den Rotpunkt) brauchte, sowie Iker Pou. Letzterer meinte, Bain de Sang sei einen Grad einfacher als DIE Referenz-9a schlechthin, nämlich Action Directe. Und wenn sogar er als Spezialist für extreme Lochklettereien à la Action Directe zu diesem Schluss kommt...

Der No-Hand-Rest in der Mitte der Route Bain de Sang (9a). Bild: planetmountain.com

St. Loup: La Chimère des Hauteurs (9a)

Über diese Route ist erstaunlicherweise nur wenig bekannt und sie bleibt auch ohne Wiederholung, obwohl sie sich im selben Sektor wie Bimbaluna (9a/9a+), Bain de Sang (9a) und Ultime Souffrance (9a) befindet. Sie wurde ebenfalls von Fred Nicole erstbegangen, und zwar Dezember 2002. Er selber hat sie als die schwerste Kletterroute bezeichnet, welche er je begehen konnte. Es handelt sich um die Verlängerung einer 8a mit demselben Namen, dürfte sich also um ordentlich harte Moves in üblichen, kleingriffig-messerscharfen St. Loup Style handeln.


St. Loup: Ultime Souffrance (9a)

Nach 4 Jahren Arbeit, nahezu 1000 (!!!) Versuchen in der Route und 30 Paar verbrauchten Schuhen konnte der dannzumals 39-jährige David Hohl im September 2008 die Ultime Souffrance (9a) punkten. Sie befindet sich im gleichen Sektor wie die ungleich bekanntere Bain de Sang (9a) und stellt eigentlich eine Einstiegsvariante mit einem Fb 8A Boulder zur Non à la Bombe (8c+) von Fred Nicole dar. Der Charakter der Route ist jedoch anhaltend, es gibt in der leicht überhängenden Wand keinen Ruhepunkt und auch keine guten Griffe. Einen guten Eindruck davon kriegt man auf dem Durchstiegsvideo. David selber stuft seine Route als deutlich schwieriger ein wie die Bain de Sang, welche er ebenfalls gepunktet hat. Im Mai 2016 wurde die Route vom erst 20-jährigen Berner Alexander Rohr wiederholt und der Grad bestätigt.

David Hohl in Ultime Souffrance (9a). Foto: C. Remy / camptocamp.org

St. Triphon: Amazonie (9a -> 8b+ (?))

Hierbei handelt es sich um ein Langzeit-Projekt von Fred's älterem Bruder François Nicole, welches er im November 2009 schliesslich punkten konnte. Die Route ist kurz, dafür umso (finger)kräftiger und weist einen weiten, dynamischen Zug auf. Die erste Wiederholung geht im April 2017 auf das Konto von Nils Favre. Er identifizierte auf den nur 11 schweren Zügen 3 bouldrige Sektionen, zuerst kleingriffig an scharfen Crimps, dann ein horizontaler Dynamo und zuletzt eine Passage mit einem schlechten Heelhook. Hier sein Original-Posting mit einem kurzen Video auf Instagram. Anfangs 2019 wiederholte Patrik Aufdenblatten in kurzer Zeit verschiedene Toprouten sowie das im Foto unterhalb beschriebene Projekt in St. Triphon und schlug für alle diese Routen deutlich tiefere Bewertungen vor. Im Fall von Amazonie wäre das eine 8b+, im Falle des bisher auf 9a+ vermuteten Projekts eine 8c/+ (siehe Original-Posting inkl. Kommentare). Somit würden natürlich beide Varianten aus dem Kreis der schwierigsten Routen der Schweiz fallen. Die Replik vom Erstbegeher François Nicole beinhaltet, dass er a) eine andere (schwierigere) Sequenz geklettert sei, sich b) die Route im Verlauf der Zeit verändert (vereinfacht, v.a. durch Entstehung eines guten Tritts bei der Schlüsselstelle) habe und c) auch diverse etablierte 9a-Kletterer schon gescheitert seien. Affaire à suivre!

François Nicole in seinem Anschlussprojekt in St. Triphon, welches die Schlusscrux der Amazonie (9a) mit einem noch schwereren Diagonaleinstieg von links her über eine 8b und eine 8c erreicht. Bild: filmic.ch

Rawyl: La Cabane au Canada (9a)

Diese Route im fantastischen Sportklettergebiet von Rawyl ist mit ~20 Begehungen (Stand 3/2019) zusammen mit Bain de Sang die am meisten wiederholte Route im neunten Grad der Schweiz. Zu erwähnen ist hierbei, dass hier auch einige weniger bekannte, lokale Kletterer erfolgreich waren. Es handelt sich um eine rund 30m lange, stark überhängende Ausdauerroute an "guten" Griffen. Ein Fb 7B-Boulder jagt den nächsten, dazwischen gibt es immer wieder Schüttler, aber richtig gute Ruhepunkte sind Mangelware. Sie wurde ursprünglich vom Riss-Spezialisten Didier Berthod als 8c+ eingerichtet, später fügte Lionel Clerc einen schwierigeren, direkten Einstieg hinzu und punktete diese Variante im Jahr 2006 als 9a. Besonders zu erwähnen ist die Onsight-Begehung im Juli 2013 durch Adam Ondra. Es handelt sich damit um die zweite 9a weltweit, die in diesem saubersten Kletterstil wiederholt werden konnte. Eigentlich war Adam diese Performance schon einige Male zuvor gelungen, jedoch wertete er alle diese mit 9a bewerteten Routen nach seiner Onsight-Begehung auf 8c+ ab. Nicht so jedoch hier, wo er Cabane au Canada als Low-End-9a bestätigte. Die meisten anderen Wiederholer verwendeten ebenfalls den Zusatz "soft" im Zusammenhang mit dem Grad 9a, andere meinten sogar, es könnte auch nur eine 8c+ sein. Das allerletzte Wort in Bezug auf die Bewertung ist hier wohl noch nicht gesprochen.

Pirmin Bertle restet in Cabane au Canada (9a). Bild: www.lizardclimbing.com

Charmey: Force du Rapport (9a)

Hierbei handelt es sich um eine weitere 9a von Pirmin Bertle aus dem Sektor Tribune bei Charmey, welcher neben St. Loup definitiv den 9a-Hotspot der Schweiz darstellt. Der rote Punkt fiel hier im April 2010, Wiederholungen sind bisher keine bekannt. Die Route ist eine Ausstiegsvariante zu Rapport de Force (8b+), welche einen Fb 8A-Boulder beinhaltet. Fokussieren wir an dieser Stelle doch noch auf die Art und Weise, wie Pirmin zu den Bewertungsvorschlägen von seinen Routen kommt. Er stützt sich sehr stark auf das sogenannte Time Comparison Grading ab. Das ist eine Theorie die besagt, dass der nächsthöhere Grad (d.h. jedes "+" mehr) die doppelte Anzahl an Versuchen fordert. In seinem Fall sind das grob 2 für 8b, 4 für 8b+, 8 für 8c, 16 für 8c+, 32 für 9a, 64 für 9a+ und 128 für 9b, allenfalls noch korrigiert um einen persönlichen Liegefaktor. Das ist natürlich ein Ansatz, meist ist das blosse, gefühlsmässige Einstufen bei Langzeit-Projekten am persönlichen Limit ja schwer bis unmöglich, weil in der Regel auch die umfassenden Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Andererseits kann man gerade bei sehr schweren Erstbegehungen auch viele Versuche ohne relevanten Fortschritt verbraten. Und sowieso, es gibt einen Punkt, wo Time Comparison Grading nicht mehr aufgeht. Für mich persönlich sind 2 Versuche in etwa bei 7b+ nötig, bis zum Grad 8a (16 Versuche) oder vielleicht auch 8a+ (32 Versuche) funktioniert die Methode auch mehr oder weniger. Ob mich dann allerdings schon 64 Versuche auf 8b, 256 auf 8c oder 1024 auf 9a bringen könnten, ist doch eher zu bezweifeln. Wenn Niveau und Fitness dafür fehlen, so bringen irgendwann natürlich auch unerquickliche Versuche nichts mehr. Aber das sind eh alles Gedankenspiele - die Kletterei spielt sich am Fels ab, und die Wahrheit liegt im Durchstieg von Force du Rapport...

Pirmin Bertle in seiner Route Force du Rapport (9a) im Sektor Tribune bei Charmey. Bild: Serge Zacharias / lizardclimbing.com

Charmey: Le Donjon de Naheulbeuk (9a)

Auch diese Route befindet sich in der Tribune und wurde im April 2009 nach rund 50 Versuchen von Daniel Winkler gepunktet. Ohne Erfahrung mit Routen oberhalb von 8c (welche er auch schon in nur einem Tag klettern konnte) schlug er als Bewertung einfach den nächsthöheren Grad von 8c+ dafür vor, sie wird aber inzwischen als sichere 9a gehandelt. Pirmin Bertle blieb in dieser Route bei über 200 Versuchen der Erfolg bisher (einige Male nur sehr knapp) verwehrt. Die Route braucht sehr viel Maximalkraftausdauer, leitet die 26 Züge lange Crux doch direkt von einem Fb 7C+ Boulder in einen Fb 8A Boulder über. Man kann den Erstbegeher Daniel Winkler auch auf Video in der Route verfolgen.


Tüfleten: Im Reich des Shogun (9a)

Eine mythische Route, die aktuell schwerste im Basler Jura. Der Local Eric Talmadge bearbeitete dieses Stück Fels 13 Jahre lang, bevor ihm im Jahr 2000 nach über 500 Versuchen die erste Begehung gelang. Wobei er auch gar nicht immer in der Tüfleten anzutreffen war. Dem Vernehmen nach beinhalteten seine Vorbereitungen u.a. auch ein striktes Diät-Regime, knallhartes Fingerkraft-Training und das Einüben einer Replika an seiner Kletterwand daheim. An den Fels ging er im Lauf der Zeit nur noch, wenn exzellente Bedingungen auf einen Durchstieg hoffen liessen. Da im Lauf der Jahre verschiedene internationale Klettergrössen (u.a. Fred Nicole, Fred Rouhling, Dave Graham, Iker Pou) trotz erheblichem Aufwand an einer Wiederholung der Route scheiterten, wurde gemunkelt, dass der Grad von 9a womöglich untertrieben sei. Dazu trägt sicher auch bei, dass bereits der erste Teil der Route bis zu einem Zwischenstand inzwischen als harte 8c gilt und die schwersten Moves (ca. Fb 8A) ohne Ruhepunkt erst im zweiten Teil folgen. Die Sache gerade gestellt hat dann Superstar Adam Ondra. Er konnte die Route im 2009 am zweiten Tag in seinem insgesamt nur fünften Versuch punkten und bestätigte den Grad von 9a. Danach wurde es wieder ruhig um dieses Stück Fels, bis der nächste Superstar, nämlich Alex Megos, seine Aufwartung im Tüfleten machte. Ende August 2017 konnte er die Route im dritten Go ziehen - ein untrügliches Zeichen, dass die internationale Spitze heute stärker als früher ist.

Eric Talmadge fokussiert im Reich des Shogun (9a). Bild: legrand8.wordpress.com

Gimmelwald: Alpenbitter (9a) & Jungfraumarathon (9a)

Für diese beiden Routen gibt es nur einen einzigen, gemeinsamen Eintrag, obwohl es sich um zwei verschiedene, unabhängige Touren handelt. Der Grund liegt darin, dass über diese beiden Testpieces lange Zeit nur relativ wenige Informationen vorlagen. Ebenso wurden beide von Simon Wandeler in den Jahren 2007 bzw. 2008 als erstem gepunktet, er hat sich seither vor allem dem Base Jumping verschrieben. In Alpenbitter (9a) bestehen die Hauptschwierigkeiten nach einem Griffausbruch in einer Boulderstelle ("fünf weite Züge an schlechten Zangen"), die auf Fb 8A/+ geschätzt wird. Nachdem über lange Zeit viele Anwärter abgeblitzt sind, hat die Route im Mai 2018 durch Alex Rohr ihre erste Wiederholung erhalten. Damit scheint der Bann gebrochen: nur wenig länger dauerte es, bis Marco Müller sich im Juni 2018 die Drittbegehung von Alpenbitter sicherte. Begehung Nummer 4 fällt im Oktober 2018 Cédric Lachat zu.

Der Jungfraumarathon (9a) wartet mit weiten Zügen an delikaten Zangengriffen auf seine Anwärter. Im Mai 2016 wurde er durch den Amerikaner Jonathan Siegrist wiederholt und die Bewertung als zähe 9a bestätigt. Er lässt sich folgendermassen zitieren: "Nowhere to hide on this one. Power endurance on varied terrain, exhausting until the bitter end. This is one of my favorite sends in years". Im Juli 2016 war der Schweizer Andy Winterleitner im Jungfraumarathon erfolgreich und wenig später (Oktober 2016) startete Adam Ondra einen Onsight-Versuch an dieser Linie. Gemäss seinen Aussagen interpretierte er eine Stelle falsch und stürzte, rein kräftemässig hätte es vermutlich gereicht. Den Rotpunkt holte er sich dann problemlos im zweiten Go. Tja, so geht's, wenn man's drauf hat. Die 5. Begehung fällt im November 2017 dem Schweizer Obed Hardmeier zu, die sechste im Oktober 2018 Cédric Lachat, wobei dieser nach dem Erstbegeher die erste Person mit dem Double ist.

Die Wand von Gimmelwald in der alpinen Szenerie des Lauterbrunnentals. Foto: serious-climbing.blogspot.com

Bilitscher: Passion (9a)

Über diese Route ist nur wenig bekannt - sie befindet sich denn auch in einem geheimen oder zumindest unveröffentlichten Gebiet am Hasliberg. Die Erstbegehung geht auf den Local Hanspeter Bodmer zurück. Er hat sich so lange an der Route versucht, bis er irgendwann ging. Das heisst aber auch, dass er sich danach nicht im Stand fühlte, einen sinnvollen Bewertungsvorschlag abzugeben - eine Emotion, welche mir persönlich nach langem Probieren und einem überraschenden Durchstieg durchaus wohlbekannt ist. Im Jahr 2002 erfolgte schliesslich eine Wiederholung durch Dave Graham. Auf seinem Profil auf 8a.nu hat er die Route zwar mit dem (halboffiziellen) Grad von 8c+ geloggt. Im Berner Oberland wird aber in harter Währung bezahlt, denn Dave's Aussagen zu Folge sei Passion definitiv härter "wie alle 8c+ in den USA". Damit ist eine Tendenz zur 9a kaum von der Hand zu weisen. Die Zeit wird es hoffentlich zeigen...


Bubiwändli: Aragon (9a)

Bubiwändli tönt klein und niedlich, doch das trifft vor allem auf die Grösse der Griffe an dieser Wand zu. Dieses Stück Fels ist steil und arm an Struktur, einige Leisten und vor allem seichte, schlecht zu greifende Tropflöcher müssen fürs Fortkommen ausreichen. Aragon (9a) ist eine Ausstiegsvariante zur Route Denethor (8b+) und beinhaltet am Ende noch einen diffizilen 8A-Boulder an schlechten Griffen. So mag es nicht erstaunen, dass hier Stephan Schibli im November 2008 als Erster zum Erfolg kam. Seither ist nicht über Wiederholungen oder zumindest Versuche bekannt.


Ibergeregg: Pantheon Part 2 (9a), Brissago Extra (9a) & Arcobaleno Direkt (9a).

Nicht, dass ich diese Routen je probiert hätte. Aber ehrfürchtig unter der steilen NW-Wand am Westgipfel des Chli Schijen und damit am Einstieg durchmarschiert bin ich schon etliche Male auf dem Weg zu den schönen (und auch nicht ganz einfachen) Routen auf der sonnigen SW-Seite. Die ersten beiden genannten 9a's wandeln - zumindest teilweise - auf den Spuren von alten Technorouten, welche hier in den 1960er- und 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hineingeklopft wurden und auch heute noch üppig mit blauer Farbe markiert sind. Das Gestein in diesem Sektor scheint (mir) für die Freikletterei nicht ganz so attraktiv. Es sieht teils etwas splittrig aus, Feuchtigkeit kann lange ein Problem darstellen und überhaupt, sehr unangenehm kleingriffig sieht das aus. Nichts für mich, aber dafür ein Segen für den bereits mehrfach erwähnten Nahezu-Local Stephan Schibli, welcher hier 2004 mit Brissago Extra (9a) und 2005 mit Pantheon Part 2 (9a) erfolgreich war. Brissago Extra steigt über den mit 8c+ bewerteten Part 1 von Pantheon ein und benützt den Ausstieg von Feudel des Bösen (8b+). Somit haben die beiden Routen einen wesentlichen Teil gemeinsam; Pantheon Part 2 besteht aus einem kleingriffig-bouldrigen, separaten Ausstieg zu Part 1 - über dessen isolierte Schwierigkeit ist mir leider nichts bekannt. Von Wiederholungsversuchen dieser beiden 9a's weiss ich nichts, weshalb deren Schwierigkeit als unbestätigt anzusehen ist. Im Sommer 2017 kam dann ebenfalls durch Stephan Schibli noch die sehr direkt gekletterte Kleinstgriff-Variante von Arcobaleno (8c) hinzu, welche ebenfalls bei 9a einchecken soll.

Am idyllisch gelegenen Chli Schijen auf der Ibergeregg, die NW-Wand mit den schweren Routen am linken Bildrand.

Amden: L'isola che non c'è (9a)

Boulder oder Route? So restlos klar ist das im Fall von L'isola che non c'è (9a) nicht. Dieses Werk vom unverwüstlichen Boulderkönig Fred Nicole beginnt nämlich mit einem Sitzstart und führt dann über mehrere Meter in Bodennähe aus einer Grotte in der Nähe von Amden hinaus. An deren Ende befindet man sich jedoch so weit vom Grund entfernt, dass das Seil gerne in die paar steckenden Bohrhaken eingeklippt wird. Vielleicht ginge es mit einer Armee von Spottern und dem Platzieren einer Jahresproduktion an Pads auch komplett seilfrei, wer weiss. Speziell erwähnenswert ist auch, dass diese Tour das am längsten währende Projekt von Fred Nicole war - und der hat ja weitherum manches Testpiece hinterlassen. Allerdings war er zum Zeitpunkt der Erstbegehung im März 2009 auch schon ein paar Jahre älter wie zu seinen absoluten Blütezeiten der 1990er-Jahre. Fred selber hat die Route übrigens nicht präzise bewertet, sondern einfach die Aussage "im neunten Grad" gemacht. Die erste Wiederholung erfolgte im November 2018 durch David Firnenburg, der die vermutete Bewertung von 9a übernommen hat - mit Video vom Durchstieg.


Voralpsee: Speed Intégrale (9a)

Die Route Speed wurde 1995 von Beat Kammerlander gepunktet und mit dem Grad 8c+ bewertet. Sie wurde seither schon über ein Dutzend Mal wiederholt, die perfekte, extrem technische Wandkletterei in sehr strukturarmem Fels sucht ihresgleichen. Im 2011 kletterte Cedric Lachat als erster im Anschluss an Speed noch die gut erreichbare Verlängerung der Route Lucy mit dazu. Diese umfasst nur etwa 5m an zusätzlicher Kletterei und erhöht den Grad von Lucy von 7c+ auf 8a+. Ob diese auf Fb 7A geschätzte Boulderstelle auch reicht, um aus einer 8c+ eine 9a zu machen, insbesondere da es vor dieser Verlängerung einen vernünftigen Schüttelgriff gibt?!? Die Meinungen dazu sind geteilt. Cedric Lachat z.B. äusserte sich so, dass der 8c+ Teil von Speed alleine schon so schwer sei, dass er den Grad 9a verdient hätte (und in anderen Klettergebieten auch erhielte) und daher diese kleine Extension für eine 9a ausreiche. Jonathan Siegrist bestätigte den Grad von 9a für den Gesamtdurchstieg ebenfalls, Dagegen steht die Aussage von Nico Favresse, dass man in der Verlängerung niemals scheitern werde, falls der Strom für einen Durchstieg von Speed vorhanden sei. Die Gesamtlinie sei daher auch nur als 8c+ zu werten.

Im Juli 2016 konnte die Speed Intégrale auch vom Local Dani Benz gepunktet werden. Er ist ganz klar der Meinung, dass die Verlängerung den Schwierigkeitsgrad nicht erhöht. Nachdem ich ihn etliche Male in der Tour gesichert und auch ein paar Griffe angefasst habe, dünkt mich das schon stimmig. Am Stand der Speed gibt's einen relativ guten Griff, und die Moves der Lucy-Verlängerung haben einfach niemals die Intensität derjenigen vom unteren Speed-Teil, so grob zwischen dem 2. und 6. Haken. Ende August 2017 sicherte sich auch Alex Megos eine Begehung der Speed Intégrale. Während er den unteren Teil, d.h. die eigentliche Speed am ersten Tag in seinem zweiten Go durchsteigen konnte, gelang die Integralversion erst am zweiten Tag im sechsten Go. Somit war die Verlängerung für ihn offenbar nicht nur Formsache. Rapportiert wurde der Grad 9a, ob er damit einfach dem Mainstream gefolgt ist oder ob es sich um eine fundierte, persönliche Einschätzung handelt, bleibt mir unbekannt. Die bisher neuste Wiederholung geht im Mai 2018 auf das Konto von Babsi Zangerl. In den Medien wurde unisono von einer Route im Grad 9a berichtet. Wie stark diese Einschätzung von der persönlichen Einschätzung der Kletterin abhängt und wie reflektiert die bisherigen Aussagen zur Schwierigkeit dabei wurden bleibt unbekannt. So langsam aber sicher darf man trotz einiger gegenteiliger Meinungen wohl schon fast von einer etablierten 9a sprechen.

Wer Speed will, muss ordentlich Gas geben. Grossgriffig und mit üppigem Trittangebot ist das definitiv nicht. Und eng gebohrt ebensowenig.

Voralpsee: Missing Link (9a)

Ein weiterer Voralpsee-Meilenstein von Beat Kammerlander. Hier fiel der rote Punkt anno 1997. Diese Route hat jedoch nie den Nimbus von Speed erreicht. Das liegt in erster Linie daran, dass sich Missing Link (9a) nicht an der Voralpsee-Hauptwand befindet, sondern etwas oberhalb. Den meisten ist vermutlich nicht einmal klar, wo genau man die Linie findet. Der Einstieg ist nur nach einem heikel-gefährlichen, unbequemen, alpine Ausrüstung erforderlichen Zustieg im Schrofengelände erreichbar, andere Routen gibt es dort oben auch nicht. Beat Kammerlander hat die Route ursprünglich mit dem Grad 11 und damit schwerer als Speed bewertet, ob das jetzt nur eine 8c+/9a oder eine volle 9a ist, sei dahingestellt. Eine Wiederholung und damit Zweitmeinung zur Schwierigkeit gab es lange keine, daher wurde diese Tour nach dem Motto "im Zweifel für den Angeklagten" in die 9a-Liste aufgenommen. Dem Vernehmen nach sollen weite Teile der Route gut kletterbar sein (was immer das genau heisst...), bis eben auf den Missing Link, einer kurzen, extrem kleingriffig-bouldrigen Zone auf dreiviertel Höhe. Im Mai 2016 wurde die Route vom Amerikaner Jonathan Siegrist wiederholt. Seine Erfahrungen hat er auf seinem Blog dokumentiert. Er fand die Route extrem verdreckt vor, konnte sie nach einer ausgiebigen Putzaktion jedoch sehr schnell punkten. Nach seiner (nicht ganz zweifelsfrei formulierten) Meinung checkt Missing Link jedoch eher bei 8c+ ein. An einem bitterkalten Wintertag im Januar 2017 holte sich der Local Daniel Benz mit seinem 21. Versuch die dritte Begehung. Er meinte, die Route sei wohl etwa ähnlich schwer, evtl. einen Tick härter wie Speed (8c+), so dass Beat Kammerlanders ursprünglicher Vorschlag von 8c+/9a ganz gut hinkomme. Hier gibt's ein Video zu seiner Begehung.

Situation am Voralpsee und Lage der Route Missing Link (9a). Das Gelände oberhalb vom Hauptsektor ist sehr steil und unwegsam, der Zusang zu Missing Link nur mit Seilsicherung oder Fixseilen möglich. Falls jemand im Hauptsektor zugegen ist, sollte er nicht angegangen werden, um die Kletterer nicht mit Steinschlag von oberhalb zu gefährden.

Magic Wood: Unendliche Geschichte (9a)

Das ist doch ein Boulder, oder?!? So werden wohl die meisten denken, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Es handelt sich hierbei aber tatsächlich um den berühmten Block am Bach im Magic Wood. Kein geringerer als Chris Sharma hat diesen stark überhängenden Sloper-Quergang an von Hochwasser glattgewaschenem Gestein als Erster gezogen. Für dieses relativ lange Boulderproblem mit seinen rund 17 Zügen gilt ein Bouldergrad von Low-End 8B+. Einziger kleiner Schönheitsfehler dabei: es endet an einem guten Abschlussgriff und nicht auf dem Block. Vom Abschlussgriff, welcher eine gute Rastposition hergibt, bis zum Top sind es dann nochmals ca. 9 Züge, welche als Boulder bei ungefähr 7B+ einchecken. Dieser Teil ist mit 3 BH gesichert, die erste Komplettbegehung wurde im August 2009 von Peter Würth durchgeführt. Er hat den ersten Teil, d.h. den klassischen 8B+ Boulder bis zum Abschlussgriff, seilfrei geklettert und sich dann dort in das bereithängende Seil eingeklippt. Für den Durchstieg wurde der Grad 9a vorgeschlagen, er kann hier auf Video verfolgt werden. Bisher sind zwei Wiederholungen bekannt, und zwar von Anthony Gullsten im Jahr 2014 und von Christof Rauch im Oktober 2017. Ich hege den leisen Verdacht, dass mancher der Top-Boulderheroes, die hier schon vorbeikamen, die Komplettlinie wohl ohne grossen Zusatzaufwand hätten holen können - wahrscheinlich war es den meisten zu wenig wichtig, oder sie hatten schlicht und einfach kein Seil, Klettergurt und Exen dabei. Vermutung vom Spielfeldrand: mit etwas Kühnheit, genügend Pads und Spottern geht auch die Komplettlinie seilfrei - ein schwerer Boulder mit einem deutlich leichteren Highball-Ausstieg. We will see... 

Der Erstbegeher Peter Würth rastet am Ausstiegsgriff der 8B+ Bouldervariante. Es folgen ein paar seilgesicherte Züge zur Kante. Bild: youtube.com

Sonlerto: Coup de Grace (9a)

Diese Route befindet sich an einem 25m hohen Riesen-Felsblock in einem Bachbett bei Sonlerto im Tessin und führt durch dessen massiv überhängende Seite. Sie wurde im Jahr 2005 von Dave Graham erstbegangen und mit dem Grad 9a+ bewertet. Im Jahr 2011 gelang dem Italiener Gabriele Moroni die erste Wiederholung. Er fand eine nach seinen Aussagen deutlich einfachere Lösung auf den ersten Metern (ca. Fb 8A anstelle der Originallösung von Dave Graham, welche er auf Fb 8B einstuft), womit sich der Grad für den Gesamtdurchstieg nach seiner Einschätzung auf 9a verringert. Im Herbst 2015 konnte sich auch der junge Italiener Stefano Carnati eine Begehung krallen. Es war seine erste Route im Grad 9a und ist aktuell auch die einzige in diesem Grad auf der Alpensüdseite. Anfang September 2017 flüchtete Alex Megos von der regnerischen Alpennordseite ins Val Bavona und konnte die Coup de Grace im dritten Versuch bezwingen - er hat sie als 9a bezeichnet. Die fünfte Begehung geht im Oktober 2017 aufs Konto des Italieners Andrea Zanone, der sie vor allem für ihre Schönheit rühmt. Begehung Nummer 6 geht im März 2019 auf's Konto von Marco Zanone, dem Bruder von Andrea (Video). 

Der Block mit Coup de Grace 9a in Sonlerto. Foto: gabriele-moroni.blogspot.com

Weitere Möglichkeiten im Bereich 9a

In dieser Auflistung mit Absicht weggelassen habe ich die Route Fingertest (9a) im Muotathal. Sie ist zwar so und mit diesem Grad im Topo aufgeführt. Ich konnte jedoch keine Informationen auftreiben, ob die Route tatsächlich rotpunkt begangen wurde, und auch nicht, wer für diesen Erfolg verantwortlich sein könnte - was aber natürlich nicht heisst, dass es keinen Erfolg gab. Ebenso fehlt Eau Profonde (Fred Nicole, Oktober 1997) im Kesslerloch bei Schaffhausen. Hier wurde bei der Erstbegehung seilfrei geklettert, somit handelt es sich eher um einen Dach-Boulder mit der Bewertung von Fb 8B+. Rein aufgrund der Länge ist die Kletterei aber schon routenähnlich, weswegen auch ein Routengrad von 9a vergeben wurde. Ähnliches gilt für die Quergangs-Boulder im Lindental, welche alle seilfrei geklettert werden. Hier gibt es Mediomalomania und Minimalomania von Pirmin Bertle mit Routengraden im Bereich 9a+, die berühmte E la Nave va und weitere, welche man aber kaum als Kletterrouten bezeichnen kann. Zuletzt: die Route Finite Infinity (9a) im Lehn bei Interlaken, im Frühling 2018 von Matthias König gepunktet, verdient hier einen eigenen Eintrag - wird bei entsprechend Zeit nachgeholt.

Mittwoch, 23. September 2015

82 Summits

Vom diesjährigen Sommer-Projekt von Ueli Steck, dem Enchainement aller 82 Alpen-Viertausender, haben wohl die Meisten das Wesentliche mitbekommen. Nämlich, dass das Projekt in 62 Tagen erfolgreich abgeschlossen wurde, es jedoch auch von Zwischenfällen nicht verschont blieb. Trotzdem blieben Details aber bisher vage, so war mir z.B. die Sequenz der bestiegenen Gipfel und auch die gewählten Routen bis auf einzelne Ausnahmen unklar. Licht ins Dunkel kommt nun mit einem exzellenten Artikel auf der französischen Seite summits.info, von dem ich an dieser Stelle einige Ausschnitte wiedergeben möchte.

Entstanden ist der erwähnte Artikel bei einem Interview mit Ueli Steck, nachdem er 2 Wochen nach Abschluss seines Projekts am Wettkampf Ultra Trail du Mont-Blanc (53km, 3300hm) teilgenommen und als 22. von über 1200 Teilnehmern abgeschlossen hat. Gemäss seinen Aussagen sei er aber noch nicht erholt von seinem 4000er-Enchainement gewesen, und insbesondere in den flachen Abschnitten langsam gewesen. Wie immer ist alles relativ. Wissenswert vielleicht auch, dass er während seiner 4000er-Tour im Schnitt pro Tag (inkl. der 11 Ruhetage ohne Aktivität) rund 2000hm und 30km Distanz zurückgelegt hat. 

Die Wächten an den Graten von Täschhorn und Dome können heikel sein. Hier anlässlich meiner Besteigung im 2009.
Zur Sprache kommt dann die Vorgeschichte des 4000er-Projekts. Zwei Briten realisierten 1993 das erste, durchgehende Human-Powered-Enchainement, 2007 realisierte eine Slowene alle Gipfel am Stück mit motorisierten Transporten dazwischen, bevor im Sommer 2008 zwei Italiener die 82 4000er in 60 Tagen und ebenfalls komplett Human Powered realisierten. Dazu gab es den Versuch der beiden Franzosen Patrick Berhault und Philippe Magnin, wobei ersterer jedoch auf der Täschhorn-Dom Traverse tödlich abstürzte. Diese war auch für Ueli Steck ein Pièce de Resistance: geplant war ein Raid über die 7 Viertausender vom Dürrenhorn über den gesamten Nadelgrat, Dom und Täschhorn bis zum Mischabelbiwak. Der Abstieg über den Dom-Südgrat war dann Ueli Steck jedoch zu heikel, so dass er über die Dom-Normalroute nach Randa abstieg und den bereits postierten Fotografen am Täschhorn vergeblich warten liess.

Weiter zur Sprache kommt der Unfall seines ursprünglich vorgesehenen Partners Michi Wohlleben. Nachdem die beiden mit der Traverse von Schreckhorn und Lauteraarhorn die Gipfel Nr. 2 und 3 bestiegen hatten, hatte dieser beim anschliessenden Flug von der Schreckhornhütte ins Tal eine Crashlandung zu vergegenwärtigen, welche mit heftigen Prellungen endete. Über zwei weitere Gipfel (Mönch und Jungfrau) konnte er sich noch quälen, danach musste er das Handtuch werfen. Während der Gleitschirm im Hochgebirge ein bequemes Hilfsmittel sein kann, so birgt er natürlich auch Gefahren. Zum Glück war meine persönliche Gleitschirm-Erfahrung am Schreckhorn damals deutlich besser ausgegangen - ein Abenteuer, das ich auch heute noch in bester Erinnerung habe.

Mein persönliches Bergsteiger- und Gleitschirm-Abenteuer am Schreckhorn: hier bei der Hütte auf 2600m.
Ein Effort ganz besonderer Art war es schliesslich, als Ueli Steck zusammen mit dem Zermatter Andreas Steindl die gesamte Spaghetti-Tour mit ihren 18 4000ern an einem einzigen Tag von der Monte-Rosa-Hütte bis aufs Klein Matterhorn abspulen konnten. Rund 30km Horizontaldistanz und über 4000 Aufstiegs-Höhenmeter stehen dabei auf dem Programm - nicht etwa auf Bergwegen, sondern im Schnee und auch hochalpinen, exponierten Graten. Und am Folgetag wurde nicht etwa pausiert, sondern vom Klein Matterhorn rasch der grosse Bruder bestiegen. Nur schon vom Klein Matterhorn bis zur Hörnlihütte ist es ein Stück (das Stück vom Trockenen Steg zur Hütte legte ich letztes Jahr bei meiner Tour durch die Nordwand zurück), doch gelang es den beiden in beinahe unglaublichen 6:29 Stunden nicht nur auch noch zum Gipfel zu gelangen, sondern auch zu Fuss nach Zermatt abzusteigen und mit dem Velo nach Randa zu fahren - Wahnsinn! In dieselbe Kategorie gehört auch die Tour aufs Weisshorn von der gleichnamigen Hütte, über den Ostgrat mit Abstieg über den Nordgrat und via Bishorn nach Zinal mit anschliessender Velo-Fahrt nach Sion in 7:06 Stunden. Nebst Top-Kondition braucht es für solche Efforts natürlich auch eine überdurchschnittliche Rekuperations-Fähigkeit. Trotz ständigem Aufenthalt in der Höhe, bzw. in einfachen Verhältnissen auf Berghütten und im Wohnwagen sowie wenig Schlaf wurde Ueli nie krank und war stets wieder fit für die nächsten Leistungen. Zu futtern gab es gemäss seiner Aussage einfach das, was ihm auf den Hütten serviert wurde, tagsüber ernährte er sich von Riegeln, Bananen und Gels. 

Weisshorn-Nordgrat: Jogging-Gelände für Ueli Steck, wir brauchten etwas länger...
Der tragische Zwischenfall auf dem Rochefort-Grat, als Martjin Seueren in den Tod stürzte, schaffte es bei uns bis in die Print- und Online-Medien. Die Details dazu blieben allerdings lange vage. Offenbar waren Steck und Seueren vorher nicht persönlich bekannt, vereinbarten jedoch, die Traverse der Aiguilles de Rochefort und der Grandes Jorasses wenn auch nicht gemeinsam (Seueren war mit einem Partner unterwegs), dann doch parallel anzugehen. Beim Absturz am Rochefort-Grat war Ueli Steck nicht unmittelbar dabei, da er die beiden vorgehen liess und noch den am Weg liegenden Dent du Géant bestieg. Er traf erst danach auf den ihm alleine entgegenkommenden Partner von Seueren, welcher ihm vom Absturz berichtete. Für Steck folgte danach eine Reflexionspause von 5 Tagen, sowie ein weiterer zweitägiger Unterbruch für den Besuch der Trauerfeierlichkeiten in den Niederlanden.

Chronologische Auflistung aller Touren. Quelle: http://sommets.info/82-4000-des-alpes-lextraordinaire-enchainement-de-ueli-steck/
Ueli Steck entschied sich schliesslich, die Tour fortzusetzen. Inklusive bewegender Momente, da er ja die Überschreitung Rochefort-Grandes Jorasses ebenfalls anzugehen hatte. Weiter folgten gewaltige Ausdauerleistungen mit einer zweimaligen Traverse des Mont Blanc von Süden nach Norden, um jeweils alle Satelliten-Viertausender des grossen Onkels abzuholen. Interessant ist dabei vor allem das Zitat von seinem Begleiter Jon Griffith, seines Zeichens auch ein exzellenter Alpinist und fit wie ein Turnschuh: "Die Beine von Ueli? Wie Baumstämme... Die Alpen sind für ihn nur ein Trainingsparcours, da gibt es für ihn nirgends so etwas wie Schwierigkeiten. Er kann einfach überall rennen, klettern ist das für ihn nicht." Damit ist wohl fast alles gesagt! Gratulation dem Protagonisten und viel Erfolg beim nächsten Projekt mit der Nuptse-Südwand.

Sonntag, 15. März 2015

Die Kontroverse um Ueli Steck

Die ultraschnelle Begehung der Annapurna-Südwand ist sicherlich eine der herausragendsten Leistungen aller Zeiten im Alpinismus. Zumindest, sofern sie sich so abgespielt hat, wie es erzählt wird. Denn bald einmal wurden Zweifel laut, ob der Gipfel überhaupt erreicht wurde. Der Kern der Bedenken liegt beim fehlenden Beweis - ausser dem Wort von Ueli Steck gibt es keinerlei hieb- und stichfesten Nachweis für den Gipfelerfolg. Eine Dokumentation im Sinne von Fotos oder einem GPS-Track fehlt völlig, weder wurde er nachweislich beobachtet, noch gab es im Nachhinein eindeutig sichtbare Spuren. Doch auch gegen ihn spricht nichts Substanzielles, bis eben auf die Tatsache, dass kein Beweis vorhanden ist.

Fantastische Bergwelt im Himalaya - das müsste die Ama Dablam sein!?!
Ein Abriss über die Ereignisse vor Ort und die Geschehnisse danach wurde vor kurzem im Magazin, einer Beilage des Tagesanzeigers publiziert. Das Heft lässt sich hier im PDF-Format downloaden. An dieser Stelle sei gesagt, dass im Artikel keine wirklich neuen Aspekte präsentiert werden, er aber eine prima Zusammenfassung der bereits bekannten Fakten ist. Ob er nun oben war oder nicht? Das weiss ich natürlich auch nicht, und ich habe noch nicht einmal eine klare Meinung dazu. Aber ich hoffe es! Einerseits, damit im Alpinismus weiterhin das Wort gilt. Und vor allem, dass Ueli, den ich im Rahmen von einigen flüchtigen Treffen beim Klettern als sehr sympathischen und geerdeten Typen kennengelernt habe, nicht mit dieser Lüge leben muss.

Blick zu Everest, Nupste und Lhotse. Meine Erfolge im Himalaya waren eher bescheiden...
Also, was kann ich dann ausser dem Link zur Geschichte beitragen? Im Artikel wird Ueli Steck zitiert. Er äussert sich dahin gehend, dass er die Bedingungen am Berg als perfekt wahrgenommen habe und wie in einer Art Tunnel hinauf- und dann auch wieder hinunter gestiegen sei. An die Dokumentation seiner Taten habe er dabei als letztes gedacht. Genau diese Aussagen werden ihm in den Kletterforen nun um die Ohren geschlagen. Ein Profi sollte trotz alledem bei einer solch wegweisenden Begehung noch die Kapazität haben, handfeste Beweise zu liefern.

...am besten sind wohl fast noch die Boulderprobleme, die ich im Khumbu ziehen konnte.
Für mich wirken seine diesbezüglichen Aussagen jedoch stimmig. Ich dokumentiere meine Touren ja sehr gerne mit Fotos aller Art. Wenn ich aber zurückdenke, dann ist es so, dass ich von etlichen kritischen und nervenaufreibenden Momenten überhaupt keine Fotos habe und mir nur das geblieben ist, was ich dort wahrgenommen habe. Auch von meinen grössten Touren gibt es eher nur relativ wenige Fotos und als ich früher noch meine Ski- und Alpintouren mit Tracks dokumentiert hatte, so vergass ich bestimmt bei den grössten und wichtigsten Touren in der Hektik des frühmorgendlichen Aufbruchs, den Log zu starten - was mir bei einer popeligen Voralpentour niemals passiert wäre.

Aber auf über 5000m und fast 7000km weg von daheim war ich mal, das kann ich also beweisen :-)
Und die Sache mit dem Tunnel... wenn ich ans Matterhorn denke, die Beschreibung trifft es wohl ziemlich genau. In dunkler Nacht, nur im Kegel der Stirnlampe stiegen wir aufwärts. Die Verhältnisse waren perfekt, Schritt für Schritt ging es ohne ein Zögern vorwärts - kein links, kein rechts und kein zurück, denn überall dort war es sowieso dunkel. Wie schwierig es damals effektiv war, fällt mir heute auch schwer zu sagen. War es tatsächlich so einfach?! Oder war ich nur in meinem Tun derart absorbiert, dass ich dabei so geklettert bin wie selten sonst?! Die Antwort bleibt offen, genauso wie jene, ob Ueli Steck tatsächlich auf der Annapurna war. Was ich sagen will, ist aber Folgendes: gerade diese Aussagen, welche bei vielen Mitdiskutierenden grösste Zweifel wecken, erscheinen mir durchaus glaubhaft. Bei meinen grössten Touren hatte ich ähnliche Empfindungen, und die Annapurna war mit Sicherheit für Ueli Steck auch eine ganz grosse Tour.

Die in diesem Beitrag abgebildeten Fotos wurden vor längerer Zeit aufgenommen und kommen aus meiner eigenen Schatulle. Bis auf die Tatsache, dass sie aus dem Himalaya stammen, stehen sie in keinem Zusammenhang mit der Annapurna-Begehung von Ueli Steck, sondern dienen hier nur der visuellen Gestaltung.

Montag, 12. November 2012

Warum sind Kletterhallen so teuer?

Der Aufschrei der Entrüstung war gross, als das Kletterzentrum Gaswerk im Jahr 2011 seine Preise erhöhte und den Einzeleintritt auf stolze 36 CHF festlegte. Für viele aus der Szene war das Mass des Zumutbaren damals definitiv überschritten, die Suche nach Alternativen begann und wohl manch einer träumte von einer modernen, grossen und günstigen Kletterhalle in seiner nächsten Umgebung. Mittlerweile kocht die Diskussion nicht mehr auf ganz so heisser Flamme. Dennoch züngelt da und dort wieder die Idee hervor, es doch mit einem eigenen Projekt versuchen zu wollen.

Immer wieder hörte man im Zuge der heiss geführten Diskussion den Vorwurf, dass sich hier jemand auf dem Buckel der Kletternden eine goldene Nase verdienen würde. Doch stimmt das wirklich? Für mich selbst machte ich eine überschlagsmässige Erfolgsrechnung, die mich gleich von allen Illusionen beraubt hat: Kletterhallen sind keine Goldgruben. Und das selbst jetzt nicht, wo der Klettersport unzweifelhaft am boomen ist. Was die Zukunft bringt, ist erst recht unsicher. Jetzt mische man noch das Fakt dazu, dass für den Bau einer Kletterhalle erst Millionen investiert werden müssen. Und fertig ist der Mix, welcher viele Projekte schon in der frühesten Projektphase killt. Machen wir also einmal eine Aufstellung von im Laufe des Jahres anfallenden Kosten und Erträgen:

An einem regnerischen Novembersonntag, 17 Uhr, subjektiv stark frequentiert: wie viele Leute sind wirklich da?
Kapitalkosten und Abschreibung: 350'000 CHF

Der Bau einer Kletterhalle ist teuer, ja sehr teuer. Dem Projekt Wallhouse in Uster ist zu entnehmen, dass für den Neubau einer mittelgrossen Halle mit 2'000m2 Kletterfläche (zum Vergleich: Milandia hat 2'500m2, Gaswerk über 4'000m2) inklusive Infrastruktur (Parkplätze, Garderoben, Bistro, ...) ein Betrag von 5 Millionen CHF nötig ist. Die Investition in eine Kletterhalle ist keine sichere Anlage, sondern ist als Risikokapital zu bewerten. Kapitalgeber werden also einen anständigen Zins wollen. Rechnen wir einmal mit 5%. Somit betragen alleine die Kapitalkosten rund 250'000 CHF pro Jahr. Zudem sollte man die Halle wohl über die nächsten 50 Jahre auf null abschreiben. Somit kommen nochmals rund 100'000 CHF dazu.

Gut, jetzt kann man argumentieren, ein Neubau sei nicht nötig. Ich denke, die Suche nach einem für eine Kletterhalle geeigneten Gebäude an zentraler Lage in den Ballungszentren des Schweizer Mittellandes ist sehr schwierig. Mit Miete, Kapitalkosten für die nötigen Umbauten und der Abschreibung kommt man wahrscheinlich auch nicht wesentlich billiger weg wie die oben erwähnten 350'000 CHF pro Jahr. Und sollte einmal der Mietvertrag nicht erneuert werden, steht man erst Recht vor einem Scherbenhaufen.

Personalkosten: 450'000 CHF

In einer mittelgrossen Kletterhalle kommt man wohl nicht darum herum, ein Zweierteam für Kasse, Empfang und Aufsicht zu beschäftigen. Eine Kletterhalle ist 12 Stunden pro Tag geöffnet, an 7 Tagen pro Woche und in der Regel (fast) 365 Tage pro Jahr. Das ergibt bei 2000 Jahresarbeitsstunden pro Beschäftigten (2*12*365/2000=) rund 4.38 Vollzeitstellen alleine für Empfang, Kasse und Aufsicht. Auch wenn diese Jobs üblicherweise nicht allzu gut bezahlt sind, inklusive Sozialleistungen, etc. sind dafür auch rasch weitere 350'000 CHF pro Jahr notwendig. Darin sind noch keine Personalkosten enthalten für Reinigungspersonal, Routenbau, Administration undsoweiter. Da kann man wohl nochmals gut und gerne 100'000 CHF pro Jahr mit einrechnen.

Diverses: 200'000 CHF

Was fehlt noch, damit die Kletterhalle betrieben werden kann? Strom, Heizung und weitere Gebühren. Neue Griffe wollen ja auch hin und wieder angeschafft werden, Reparaturen sind nötig. Eine Haftpflicht-Versicherung ist ebenfalls fällig. Etwas für Werbung und das Weihnachtsessen für die Belegschaft wollen wir auch nicht vergessen. Wie viel das genau ausmacht, ist für mich nicht ganz einfach abzuschätzen. Sicher sind es nochmals einige Zehntausend CHF pro Jahr, vielleicht sogar noch mehr. Um schön runde Zahlen zu erhalten, rechnen wir pessimistisch mal mit 200'000 CHF pro Jahr.

Insgesamt fallen in einer mittelgrossen, professionell geführten Kletterhalle im Laufe eines Jahres also Kosten von gegen 1 Mio CHF an. Damit die Geschichte nicht defizitär ist, muss dieses Geld mit den Besuchern wieder erwirtschaftet werden. Welche Möglichkeiten bestehen da?

Auch das ist Realität: Nicht immer sind viele Kunden da, die Geld bringen.
Jahresabos: 600'000 CHF

Die Million ergäbe sich z.B. aus 1'000 Jahresabos à 1'000 CHF. Die muss man allerdings erst einmal verkaufen. Schafft man dies, so ist die Halle bereits ziemlich voll. Gehen wir mal davon aus, dass jeder Abobesitzer im Schnitt 2x pro Woche vorbeischaut. Also 2000 Eintritte pro Woche durch Abobesitzer, macht rund 285 pro Tag. Sagen wir mal 200 davon am Abend. Eine mittelgrosse Kletterhalle fühlt sich dann bereits an wie ein Bienenhaus, ist sicher im Vollbetrieb, wenn nicht sogar schon überfüllt!

Jetzt bedenke man, dass also trotz (zu den neuralgischen Zeiten) voll ausgelasteter Kletterhalle und einem teuren Abo von 1000 CHF noch kein einziger Franken verdient wurde, der zu den Reserven gelegt werden kann. Oder dem man dem Geschäftsführer auszahlen könnte, der gemütlich in seiner Villa Däumchen dreht, wenn er nicht gerade seinen Porsche Cayenne ausfährt. Realistischerweise muss man wohl eher von nur 700-800 verkauften Jahresabos und nur 800 CHF Jahregebühr ausgehen. Das macht dann 600'000 CHF.

Einzeleintritte: 365'000 CHF

Der Löwenanteil der restlichen Erträge muss aus Einzeleintritten akquiriert werden. Gehen wir mal von im Schnitt 40 Vollzahlern pro Tag aus. Klar, an einem regnerischen Novembersonntag sind es wohl mehr, aber was ist am sonnigen Samstag in den Schulsommerferien? Von den Vollzahlern nehmen wir 25 CHF, das gibt pro Tag einen Tausender und übers Jahr gesehen 365'000 CHF.

Bistro: 100'000 CHF

Weitere Einnahmen können aus dem Bistrobetrieb und aus allfälligem Sportartikelverkauf generiert werden. Ich wage jetzt mal zu behaupten, dass die Umsätze in diesem Geschäft eher bescheiden ausfallen und daher netto auch nicht allzu viel in der Kasse bleiben wird. Weitere 100'000 CHF pro Jahr liegen aber vielleicht drin?!? 

Den Ausgaben von 1 Mio CHF stehen also Einnahmen von gerade einmal 1.065 Mio CHF gegenüber. So kommt man auf einen bescheidenen Betrag von gerade mal 65'000 CHF, den man zu den Reserven legen kann. Für jene Zeiten, wo sich die Jahresabos mal nicht mehr wie frische Weggli verkaufen, oder wo beständig schönes Wetter die Frequenzen der Einzeleintritte kompromittiert, grössere Reparaturen fällig werden oder gesetzliche Auflagen Umbauten verlangen (Quelle), etc..

Bistro: ausgiebiger Getränkekonsum dürfte vom Betreiber höchst erwünscht sein!
Was tun?

Die Rechnung geht nur knapp auf. Wir brauchen also ein Massnahmenpaket, mit welchem die Kosten gesenkt und die Einnahmen erhöht werden können. Die meisten Kletterhallen wenden wohl einen Mix der folgenden Aktionen an.

  • Kapitalkosten senken: durch Zuwendungen von Gönnern (Alpenvereine, Sportförderung) und zinslose Darlehen versucht man die Kapitalkosten so tief wie nur möglich zu halten. Das klappt vermutlich meistens zu einem gewissen Teil, aber nie vollständig.
  • Personalkosten sparen: die Ausgaben können tief gehalten werden, indem man Kasse, Administration, Routenbau, Reinigung etc. in Personalunion macht. D.h. in schwach frequentierten Zeiten schiebt das Personal keine ruhige Kugel, sondern erledigt die sonst anfallenden Arbeiten. Dies erfordert Idealismus und Einsatzbereitschaft, wahrscheinlich sind bei der Qualität einige Abstriche zu machen. Klappen tut das wohl nur in Kleinbetrieben richtig gut.
  • Jahresabos verkaufen: ideal ist es natürlich, eine grosse Anzahl an Jahresabos zu verkaufen. Die sichere Einnahme ist schon da, ob der Kletterer dann kommt, ist ja egal. Man könnte z.B. auf die Idee kommen, durch geschickte Preispolitik auch Gelegenheitsbesucher in ein solches Abonnement zu drängen. Vielbesucher sind hingegen weniger attraktiv, die (über)füllen bloss die Halle...
  • Kursbetrieb: was oben auf der Einnahmenseite noch nicht erwähnt ist, sind Kurse. Hier kann man, zumindest in Zeiten des Kletterbooms, nochmals einen schönen Obulus einfahren.

Disclaimer

Zum Schluss möchte ich deklarieren, dass die Mathematik und damit die Zahlen zwar meine Welt sind, ich aber in Sachen Betriebswirtschaft kein Spezialist bin. Ebenso wenig habe ich je Einblick in die tatsächliche Buchhaltung einer Kletterhalle gehabt. Sämtliche Zahlen in diesem Artikel beruhen auf im Web gefundenen Informationen (z.B. hier und da) und Schätzungen aufgrund eigener Beobachtungen. Der Artikel ist somit Zahlenspielerei, bildet aber die Realität hoffentlich doch vernünftig ab. Ein Nachtrag: mittlerweile wurde ich bereits von 2 Kletterhallenbetreibern persönlich lobend auf meinen Artikel angesprochen. Beide haben sich für den Beitrag bedankt und dabei bestätigt, dass meine Angaben absolut stimmig seien.

Mein Fazit zum finanziell erfolgreichen Betreiben einer Kletterhalle fällt relativ pessimistisch aus. Ich hoffe, ich halte damit niemand vom Bau einer Kletterhalle ab. Mutige Macher braucht das Land. Wer es schafft, eine grosse, gut funktionierende Kletterhalle aufzubauen, administrativ gut zu führen und die Sache für die Zukunft auf finanziell sichere Beine zu stellen, der hat sicher unser Lob und einen anständigen Zahltag verdient - wohl mehr, als viele andere. 

Falls ich irgendwo einen Fehler gemacht haben sollte, so bin ich dankbar für Korrekturen. Genauere Infos und Kommentare zu diesem Blog sind natürlich ebenso erwünscht: bitte benütze das Kommentarfeld unten!