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Montag, 29. März 2021

Parete di Cevio - E Viniciolòlavia (7c+)

Im sehr beliebten Klettergarten von Cevio, mit seinen regensicheren Ausdauertouren hatten wir uns in der Vergangenheit schon öfters einen heftigen Pump gegönnt. Die höhere Wand unmittelbar rechts davon hatten wir hingegen noch nie besucht, obwohl sie steil und herausfordernd lockt. Naja, das ist eben nicht mehr familientaugliches Sportklettern, doch ein richtiges MSL-Abenteuer in den Bergen auch wieder nicht, zudem sind die Routen mit 4-7 Seillängen eher kurz. Im März 2021 kam aber der Tag, an welchem ein motivierter Partner für dieses Vorhaben zur Verfügung stand, zudem kamen aufgrund von Wind, Kälte und Restschnee viele alpinere Ziele im Tessin nicht in Frage.

Blick vom Einstieg auf die Parete di Cevio mit dem aus dieser Perspektive komplett verzerrten Verlauf der 'E Viniciolòlavia' (7c+). Nützlich kann dieses Foto auch insbesondere sein, um den Einstieg zu identifizieren. Dieser ist nämlich nicht näher bezeichnet und der moosige Vor-Vorbau ist auch nicht allzu angenehm, um sich darauf hin- und herzubewegen.

Schon ein paar Minuten vor 8.00 Uhr starteten wir mit dem kurzen Zustieg. Ein heftiger Sturm hatte auch hier seit meinem letzten Besuch diverse Bäume umgeworfen, gewisse Erinnerungen an unser Bushwhack-Abenteuer nach der Quarzo keimten auf... aber keine Sorge, in Cevio ist es kein Problem. Der Klettergarten war wenig erstaunlicherweise noch verwaist. Man steigt der Wand entlang hinauf bis etwa zur Mitte des oberen Teils, wo ein schwach ausgeprägter Trampelpfad horizontal ins Gehölz führt (ca. bei der  Eric & Sohn, es hilft dort nochmals ein an Bäumen fixiertes Seil weiter über die Platte hinauf). Schon bald steht man unter der eindrücklichen Parete, die einem aus dieser Perspektive beinahe auf den Kopf zu fallen scheint! Zuerst muss man jedoch den Einstieg lokalisieren, der sich quasi auf dem 'Vorbau des Vorbaus' befindet. Achtung, man muss moosige Platten erklimmen, bei Nässe sicher sehr heikel! Da die Sonne noch nicht zum Vorschein gekommen war, das passiert um diese Jahreszeit erst um 9.15-9.30 Uhr, montierten wir alle verfügbaren Kleiderschichten und präparierten uns für die Kletterei. Die ersten drei einfachen Seillängen würden wir auch so gut machen können. Etwas nach 8.30 Uhr starteten wir mit der Kletterei.

L1, 25m, 6a+: Über den Vorbau gibt's 2 Linien, unsere war die rechte, welche durch eine Verschneidung mit Stufen hinaufführt. De visu sieht es fast nach Turnschuhgelände aus, aber der Eindruck täuscht. Es ist steiler wie man meint, da muss man sich schon festhalten. Auch die üppig scheinende BH-Absicherung relativiert sich, spätestens wenn man sich im Runout über die einfache, aber etwas vegetative, ungesicherte Platte zum Stand befindet.

Sportkletterer auf Abwegen... die moosige Platte am Ende von L1 (6a+) ist nicht das Gelbe vom Ei und wenn auch einfach, (zu) spärlich gesichert.

L2 & L3, 40m, 5c+: Hier erklimmt man zuerst einige treppenartige Aufschwünge in einer Verschneidung, wenig schwierig aber der erste Bolt steckt erst auf ca. 15m Höhe (man könnte wohl legen wenn man möchte und Cams dabei hätte...). Bevor man den BH dann auch wirklich klippen kann, muss man schon fast zur Hälfte in die Crux hinein moven. Gut, in dem Grad muss man das einfach bieten können, dennoch ist es etwas unangenehm. Wieder besser geht auf den Pfeilerkopf voran, wo sich gemäss Topo der Stand befindet. Da ist aber nur 1 BH und man kann sowieso problemlos etwas absteigend auf dem Band 10-15m nach rechts zum eigentlichen Stand (nach L3) weitergehen. Hinweis: vom Pfeilerkopf (Stand nach L2) zieht auch eine (noch nicht fertig gebohrte?!?) in den Topos nicht verzeichnete Linie direkt hoch. 

Viktor kurz nach dem (Topo-) Stand nach L2, der real inexistent ist. Man kann die 15-Querung auf dem Band aber problemlos gleich anhängen, es ist auch kein 3er sondern Gehgelände.

L4, 45m, 7c+: Da sich  L3 quasi 'in Luft aufgelöst hatte' war nun, anders als geplant, Viktor mit dem Vorstieg dran. Die Viniciolòlavia setzt sich erst ganz rechts auf dem Band fort, was wegen dem Seilverlauf eher ungünstig ist :-/ Die ersten beiden BH klippt man noch kommod, aber der dritte ist nicht ganz einfach einzuhängen. Achtung, ein Sturz könnte da auf dem Band enden! Die Stelle danach dann knifflig mit einem üblen Sloper, ca. 7a/+, bevor es in gängigem Terrain zur Crux geht. Über ein paar Meter hat die Natur in dieser überhängenden Sektion keine positiven Strukturen erschaffen, man muss gekonnt technisch und kräftig zugleich an Slopern und vertrackten Seitkanten operieren. Wenn es nur an 3, 4 Stellen gut 'anhängen' würde, so wäre auch diese Stelle nicht mehr wie 7a/+. Tut es aber nicht, als Alternative geht's mit 3x oder 4x p.a. an den eng steckenden BH mühelos. Im Nachstieg (was hier definitiv eher mühsam als von Vorteil ist) kann ich nach einigem Pröbeln eine Lösung entschlüsseln und die Stelle vom No Hand Rest darunter klettern. Wir verzichten aber schliesslich darauf, nochmals für einen Rotpunkt-Go abzuseilen. Irgendwie fühlt es sich nach 'schon erledigt' an, die Länge ist lang/aufwändig und die Crux 'low percentage', somit ist zweifelhaft, ob es dann gleich ginge (<- heieieiei, diese Ausreden... aber so entscheidet man halt als Hobbykletterer). Nach der Crux quert man bei schon reichlich Seilzug noch gute 20m diagonal hinauf bei schöner 6bc-Kletterei. Hinweis: von diesem Stand ist die letzte Rückzugsmöglichkeit, nachher muss man bis zum Top durchsteigen (querender Routenverlauf im überhängenden Gelände).

Am Ende der Cruxsection in L4 (7c+).

L5, 30m, 6c: Was für eine super, supercoole Länge! Dieser ansteigende, extrem luftige und fotogene Quergang unter einem Dach weckt wirklich Assoziationen an die grossen Wände im Yosemite. Schon bald einmal fordert eine erste Stelle, wo es noch mehr hinauf als hinüber geht - obwohl diese Passage sicher nie von Regentropfen erreicht wird, kann hier die Feuchtigkeit rausdrücken, so dass es schwierig werden könnte (war zum Glück nicht der Fall). Danach quert man über längere Zeit auf Gegendruck an der Kante der Verwerfung. Wobei die Moves abwechslungsreich sind, man sogar hin und wieder jammen kann, sehr schön! Die Absicherung mit BH ist gut bzw. genügend, aber eher zwingend. Wer nicht ganz Herr der Lage ist, könnte sich hier gut mit Cams behelfen. Der Stand nach dieser Länge ist wirklich super exponiert, herrlich!

Unterwegs im herrlichen Quergang von L5 (6c), da kommt Yosemite-Feeling auf!

L6, 20m, 6c+: Wow, erneut eine perfekte Seillänge. Nachdem man zum Auftakt an einigen grossen Quarzbollen klettert, folgt nach einem Quergang ein athletisch-gutgriffiger Riegel. Prima geboltet, zum Freiklettern ist etwas Entschlossenheit nötig. Auch die Schlusspassage ist nochmals hervorragend, dank einem wundersamen, für die Wand/Region atypischen Loch geht es ohne allzu hohe Schwierigkeiten auf. Wirklich ein wenig schade, dass es in der 7c+ nicht auch ein solches Feature an der richtigen Stelle hat.

Sehr schöne, athletische und luftige Kletterei in L6 (6c+).

L7, 25m, 6b+: Rein optisch fühlt man das Ende der Wand bereits als nahe und ohne einen Blick ins Topo starte ich in diese Länge, welche ich im Hinterkopf als 5c/6a abgespeichert habe. Aber das ist sie dann doch definitiv nicht! Es wartet nochmals athletische Kletterei, mit bisweilen ziemlich komplizierter Abfolge - will heissen, man muss sich den Weg durchaus suchen, eine echt lässige Sache! Erst zuletzt lassen die Schwierigkeiten nach und man steigt auf eine Art Plateau aus. Als ich schon Stand am dortigen Baum beziehen will, entdecke ich auch noch den gebolteten Stand.

Hier führt L7 (6b+) steil und griffig in die Höhe. Wer zoomt, sieht die Bolts.

Um ca. 12.30 Uhr und damit nach rund 3:30 Stunden Kletterei sind wir am Top, inzwischen scheint die Sonne und es ist auch einigermassen warm. Für den Weg in die Tiefe haben wir auf das Abseilen gesetzt, der mögliche Fussabstieg sei steil, heikel und unwegsam. Allerdings kann man vom letzten Stand der Viniciolòlavia unmöglich abseilen, über die Route schon gar nicht. Doch auch (wie in den Topos verzeichnet) über die 'Vamos a la Playa' geht das nicht. Wirklich die einzige Option ist es, zum Ausstieg der 'Barcollo ma non mollo' zu wechseln, dieser Stand befindet sich etwa 15m weiter drüben und ist immerhin einfach aufzufinden. Da sind es dann 35m, zuletzt in überhängendem Gelände pendelnd, dann gestreckte 50m freihängend auf den Vorbau und nochmals 30m über diesen auf Terra Firma. So machten wir das, Zeit um nach Hause zu gehen war es dann aber noch nicht... über die weiteren Erlebnisse berichte ich aber in einem nächsten Beitrag.

Extrem luftige Abseilerei über die stark überhängende 'Barcollo ma non mollo'.

Facts

Parete di Cevio - E Viniciolòlavia 7c+ (6c obl.) - 7 SL, 185m - Notari/Pagani 2002 - ***;xxx-xxxxx
Material: 2x50m-Seile, 16 Express, evtl. Camalots 0.3-2

Eindrückliche, eher kurze MSL-Tour mit natürlicher Linienführung durch eine sehr steile Wand. Man lasse sich durch die hohe Maximalschwierigkeit nicht abschrecken, nimmt man 3-4 BH zu Hilfe, so ist das Programm auch mit einem Onsight-Niveau von 6c/+ gut zu bewältigen und absolut lohnend. Pluspunkte gibt's für die luftige, spektakuläre und aussergewöhnliche Linie, die letzten 3.5 Seillängen bieten auch echt tolle, immer griffige Kletterei. Die 3 Zustiegslängen sind hingegen eher durchschnittlich und die harte Crux ein wenig ein 'Schönheitsfehler', aber die Natur richtet halt nicht immer alles nach des Menschen Vorstellungen ein. Die Absicherung mit BH ist insgesamt adäquat, im einfachen Zustiegsgelände stecken sie eher knapp, im 6bc-Terrain sportklettermässig (xxxx) und an den Schlüsselstellen sogar noch dichter (xxxxx). Mit Cams kann man sicher hier und da ergänzen, manchmal wäre das womöglich sogar sinnvoll und nützlich. Wir hatten keine mit dabei und kamen gut durch, d.h. es geht auch ohne. Zu beachten ist, dass ein Rückzug nur bis zum Stand nach L4 möglich ist, danach macht der querende Verlauf im überhängenden Steilgelände dies unmöglich. Ein Topo findet man im SAC-Führer Ticino e Moesano oder im Extrem Sud.

Mittwoch, 24. März 2021

Galerie Waldsektor: Update 2021 mit Topo

Der linke Waldsektor ob der Galerie zwischen Amden und Weesen stellt ein sehr beliebtes Ziel für die Kletterei im Bereich zwischen 6c-8b dar, der Schwerpunkt liegt im 7bc-Bereich. Der Sektor hat viele Vorteile auf seiner Seite, u.a. rasche Zugänglichkeit, sonnige Lage, bequemer Wandfuss und natürlich in erster Linie, spannende Routen in leicht überhängender Wand. Gegenüber der letzten, offiziellen Publikation im Extrem Ost von 2013 hat sich doch einiges verändert, 16 von total 38 Routen sind entweder neu, saniert oder mit veränderter Linie, wobei sich der Autor für einen nicht unwesentlichen  Teil davon verantwortlich zeichnet. Inzwischen ist das Potenzial in diesem Sektor erschöpft, mit dem Abschluss meines 'Woozle Goozle'-Projekts war es Zeit, wieder einmal ein aktuelles Topo anzufertigen. Hier ist es zum Download verfügbar, viel Spass am Fels!

Das neuste Projekt von 2021, spektakuläre, athletische Dachkletterei!

Was für mich persönlich mit dem Abstauber (7b) im 2010 begann, fand nun in  diesem Frühjahr mit der  spektakulären, 'unmöglichen Linie' der Woozle Goozle (7c) seinen Abschluss. Dazwischen liegen auch die Erschliessungen von Immigrant (6c), Recherche Inutile (7a), Hamsterkauf (7b), Kappeler Milchsuppe (7b),  Remyelination (7c), Hibernator (7b+) und Stairway to the Stars (7c+). Dazu konnte ich auch schon fast alle anderen Routen in diesem Sektor klettern... naja, ein paar wenige Projekte bleiben noch, um sich daran die Zähne auszubeissen. Somit werde ich dieses Stück Fels sicher auch in der  Zukunft gerne frequentieren! 

Freitag, 19. März 2021

Skitour Häderenberg (1570m)

Der Winter geht in die Verlängerung! Wir hatten uns schon wieder ans Grün, das Sportklettern am steilen Fels und erste MSL-Touren gewöhnt, da fielen die Flocken selbst bei uns vor der Haustür wie im tiefsten Winter. Lamentieren hilft da nichts, sondern es gilt die Bretter aus dem Keller zu holen und schöne Bögen in den Schnee zu zaubern. Das gelang daheim an unserem Hausberg, in der näheren Umgebung des Züri Oberlands und jetzt zuletzt auch noch im Toggenburg.

Perfektes Wetter, perfekter Schnee und (zuerst) eine schon vorhandene Spur für einen zügigen Aufstieg.

Auf meinem After-Work-Tüürli am Vorabend wurde mir glasklar, dass für guten Schnee die Nordhänge gefragt sind. So stellte sich denn die Frage, was ich im Vormittagsfenster, wo die Kids in der Schule sind, lohnendes anstellen könnte. Meine Wahl fiel schliesslich auf den Häderenberg von Stein im Toggenburg. Hier geht's mit beständig 20-30 Grad Neigung und voller Nordexposition rund 700hm auf den Gipfel, das passte perfekt ins Schema. Schon am Ausganspunkt lagen ca. 60cm Schnee und eine Spur, die am Vortag angelegt worden war. So konnte ich zügig an Höhe gewinnen und brauchte irgendwas zwischen 60-75 Minuten bis auf den Gipfel (~700hm). Die beiden Vorspurer hatten sogar etwas vor dem Top aufgegeben, womit mir die Ehre zustand, den letzten Abschnitt zu spuren. Es zeigte sich da, wie anstrengend diese Arbeit im tiefen Schnee gewesen sein musste, am Gipfel lag sicher 1m fluffiger Powder.

Kurz vor dem Gipfel, am Ende konnte ich sogar noch die Aufstiegsspur legen.

Nachdem ich die schöne Aussicht auf die Rückseite der Churfirsten genossen hatte (insbesondere der Selun war schon rege begangen worden, für einmal sah der Gipfelrücken kaum verblasen und richtig lohnend aus!), machte ich mich an die vielversprechende Abfahrt. Im oberen, waldigen Teil wechseln sich Steilstufen und flachere Stücke ab, wobei man es im Steilen ob dieser fast unendlichen Menge an perfektem, softem Schnee voll krachen lassen konnte. Sobald ich auf 1320m aus dem Wald kam, hielt ich mich unmittelbar rechts in den Hang von Schwandbuechen. Hier gab es im Gegensatz zum Terrain entlang des Aufstiegswegs noch überhaupt keine Spuren. Es war einfach genial, ja ganz klar der beste Run des gesamten Winters - solch perfekten Schnee nähmen wir noch öfter!

Der beste Run des ganzen Winters - perfekter Pulverschnee!

In meinem Zeitplan war noch etwas Reserve eingebaut. Angesichts dieser genialen Verhältnisse musste dies nun ausgenutzt und ausgepresst werden. Es gab keine Zweifel, ein Wiederaufstieg bis nach Stofel (1320m, eingangs des Waldes) wäre die Mühe mehr als nur wert. In hohem Tempo absolvierte ich die 450hm an zusätzlichem Aufstieg. Dann ritsch-ratsch die Felle weg, die ebenso geniale Second Line in den Schwandbuechen-Hang legen und ab nach Hause, um den Kindern die Tür zu öffnen und den Zmittag zuzubereiten.

First Line & Second Line, was will man mehr?!?

Facts

Häderenberg (1570m) ab Stein SG
730hm, Ski-Schwierigkeit WS, Expo N mit Hängen von durchgehend 20-30 Grad Steilheit

Dienstag, 16. März 2021

Parete di Solada - Il teorema di Solà (7b+)

Schon seit 20 Jahren gibt's diese Route, zu grosser Berühmtheit hat sie es bisher aber nicht gebracht. Das schöne, sehr sonnig gelegene Felsdreieck der Parete di Solada hatte ich hin und wieder bei der Anfahrt in die oberen Maggiatäler bestaunt, ja einmal waren wir gar beim Ausgangspunkt in Lodano in den Ferien. Aber konkret kurz vor der Realisierung stand ein Trip dort hinauf bisher doch noch nie. Das änderte sich an diesem Märzweekend, wo eine passende MSL-Challenge gesucht war. Mit Sicherheit trocken sollte es sein, genügend warm und unterhalb der Schneegrenze, so wurde schliesslich diese Route zu Rate gezogen. Wir einigten uns auf einen Versuch im Sportkletter-Modus, d.h. mit der Absicht alle Seillängen zu punkten, falls nötig auch mit mehreren Versuchen...

Die Parete di Solada mit dem Verlauf von 'Il teorema di Solà' (7b+). Die ersten beiden sowie ein Teil der dritten Seillänge ist hinter den Kastanien versteckt und auf diese Bild nicht sichtbar. Was man aus dieser Perspektive noch nicht so richtig erahnen kann, ist dass dieser ganze obere Wandteil überhängend ist.

Schon ab ca. 7.30 Uhr gibt's an der Parete di Solada (um diese Jahreszeit) Sonne. Wenn man diese nutzen will und von der Alpennordseite anreist, kommt man um eine alpine Aufstehenszeit nicht herum. Während es oben schon golden leuchtete, starteten wir trotz beinahe unmenschlicher Weckerzeit erst um 7.55 Uhr bei Ronchi (Karte) auf 380m mit dem Zustieg. Auf angenehmen, früher zur Bewirtschaftung angelegten Wegen steigt man durch die Kastanienwälder hinauf und passiert dabei die Steinbauten auf Solada d'Zott und d'Zora, wo dann auch die formschöne Wand wieder ins Blickfeld rückt. Auf dem Hinweg stiegen wir, um die weglose Strecke zu minimieren, bis auf 1010m (Karte) auf, um dann in einer leicht absteigenden Querung den Wandfuss (Karte) zu gewinnen. Das geht gut so, die bessere Variante (unser Rückweg) ist aber wohl schon, schon bald nach den letzten Häusern auf ca. 950m die Querung anzusetzen. Gerade nach 1:00h Gehzeit waren wir am Einstieg, um 9.25 Uhr starteten wir in die Route.

Solada d'Zott mit typischen Tessiner Rustici. Genauso wie die Wege früher zum 'richtig' Leben gebaut!

I love Ticino! Im Zustieg und an der Wand hat man einen sehr schönen Blick auf das Maggiatal.

L1, 25m, 6b+: Unschwierig sieht's aus und die Bolts stecken dicht, kein Problem also. Doch schon die ersten Moves über die moosige Platte sind gar nicht mal so trivial. Griffe hat's dann doch nicht so viele und zum Antreten sind nicht mehr so viele Flecken frei. Nach einer Querung an ein paar Blöcken vorbei geht's dann zur Sache. Die nächste Passage entpuppt sich als betont senkrecht, die Griffe sind von abschüssiger Natur und vor allem hat's doch manch eine Flechte. So brösmelet es zusätzlich noch und ich bin schon voll gefordert. Auch der restliche Weg zum Stand ist nicht so simpel, in Alex Megos' Brushpoint-Manier kann ich schliesslich aber doch durchsteigen. Hier würde es ganz sicher nicht schaden, wenn es (viel) mehr Traffic gäbe oder jemand wieder einmal gehörig mit der Drahtbürste dahinter ginge.

So sieht das ja doch schon ganz ordentlich aus, aber L1 (6b+) ist noch nicht das Gelbe vom Ei. Trotzdem, der Challenge auch diesen Abschnitt sturzfrei, sauber und souverän zu meistern verbleibt. Natürlich ist's in Premium-Fels noch besser, aber mir macht auch sowas Spass.

Nature strikes back... immerhin kann man die Exe noch klippen ;-)

L2, 25m, 6c: Bisschen ähnliches Programm wie in L1, d.h. noch immer geht's über die Platten, die etwas "sporche e lichenoso" sind. Ich fand's hier aber weniger herb wie im ersten Abschnitt, ob's jetzt am Nachstieg, der Gewöhnung oder der wirklich besseren Situation liegt, bleibe dahingestellt. Die klare Crux befindet sich in der Mitte, ohne den beherzten Griff ins Gras wäre das sicherlich schon sehr fordernd, ja deutlich jenseits vom Rahmen einer 6c. Das Spitzgras war zwar dürr und nicht im Saft, bei pfleglicher Behandlung hielt es aber unseren Efforts stand. Zum Glück haben wir von dieser Passage animierte Impressionen, es wäre schade wenn solche Episoden sich verborgen vor den Augen der Menschheit in den Tessiner Wäldern abspielen würden... ich denke, diese Seillänge wäre das ideale Terrain für einen Coiffeur, der weiss wenigstens wie man einen solchen Schopf richtig packt ;-)

Ausblick auf L2 (6c), gleich folgt die Passage an den ominösen und voluminösen Graspolstern links des Akteurs. 
Die Coiffeur-Passage in L2 (6c), ohne das Gras zu berühren wäre es echt schwierig!

L3, 30m, 7b: Ab diesem Punkt folgt nun beste Kletterei der verschärften Sorte, wobei... man nach einem Amuse Bouche noch einen kurzen Runout durch die Dornen bewältigen muss, bevor es dann endgültig giga-gneisig zur Sache geht. Wirklich hammermässig klettert man zuerst an einer kleinen Verschneidung spreizend zu Henkeln, gefolgt von einem fast campusmässigen Abschnitt zu einer Verschnaupause. Mit querender Anplättung erreicht man eine zweite Crux, wo eine ganz kurze Rissspur gejammt wird. Pumpig geht's schliesslich im überhängenden Gelände an sloprigen Seitkanten zum eher unbequemen Stand. Das ist wirklich eine Sequenz in bester Ticino-Manier! Mein Onsight-Go war ziemlich chancenlos, ohne die etwas positiveren Sloperkanten zu kennen, ist das nicht so einfach. Aber so konnte ich diese tolle Länge nochmals geniessen und im 2nd Go souverän punkten.

Giga-gneisige Kletterei in leicht überhängender Wand an grossen, aber oft sloprigen Griffen in L3 (7b).

L4, 30m, 7b+: Vorerst geht's hier über das Dach - links wäre es sicher einfacher, doch da ist ein hohl tönender, nicht sehr gut verankert scheinender Block. So hielt ich mich rechts, geht auch (ca. 7a). Nach dieser Passage erreicht man ein bequemes Band, wohin wir nach dem ersten Auscheck-Go den Stand verlegten (leider nur 1 BH, entweder Cams verwenden oder mit dem nächsten BH Redundanz schaffen). Rechts aussen an einer kleinen Verschneidung heisst es, die Steilstufe zu gewinnen. Erst ist das nur "an guten Griffen athletisch", doch bald wird's knifflig. Mit einer patschigen Kante heisst's kräftig einen sehr hohen Rock-Over auszuführen. Und wenn man das geschafft hat, so wartet das sich zurücklegende, vermeintlich "einfache Gelände" nochmals mit einem kniffligen Boulder auf. Wenn dieses verflixte Sloper-Rail nur etwas besser zu greifen wäre, so könnte man auf die höchst umständlichen Manöver verzichten, um die Füsse auf die so nah erscheinenden Tritte links zu bringen, welche schliesslich die Rettung darstellen. Aber echt genial diese Boulder, mega! Mit ein paar wirklich einfacheren Metern gelangt man schliesslich zur schönen Sonnenterrasse mit dem nächsten Stand. Doch bevor wir diese geniessen konnten, musste die Punktebuchhaltung ins Reine gebracht werden, wobei mir im dritten Go der Durchstieg gelang.

Ein wunderschönes Foto, es sieht fast aus wie ein Gemälde! Allerdings zeigt es nicht die wenig fotogene L4 (7b+), sondern ist ein Ausblick vom Stand nach dieser auf die pumpig-steile L5 (7b+). Dimensionen, Steilheit und die Art der Griffe lässt sich zwar nur sehr schwierig einschätzen auf dem Bild. Aber ich kann versichern, dass diese Länge einfach so richtig gut ist!

L5, 20m, 7b+: Die Pumpkröte schlechthin! Doch das Auge isst mit und vom Stand darunter sieht die Länge deutlich weniger steil aus, als sie es tatsächlich ist. Zusammen mit dem gut strukturierten Fels, hier gibt's Rissspuren, Sloper und auch ein paar gute Incut-Crimps, motiviert mich das für einen ambitionierten Onsight-Go. Ich komme zwar weit, werde dann aber doch total aufgeblasen und entkräftet abgeworfen. Einmal am Stand angelangt, stellt sich die Frage wie weiter. Der Akku vermeldet einen tiefen Ladestand, die Sonne ist inzwischen um die Ecke abgebogen und mit der fühlbaren Brise ist das Ambiente nicht mehr so freundlich. Die Verlockungen von "lassen wir es gut sein und klettern einfach noch zum Top" waren da... und ausreichend Grinta für "ich komme nochmals runter, gib du einen Go und dann versuche ich es nochmals" nötig. Schon die ersten Moves fallen mir beim zweiten Go schwer, in der Crux geht die Beta kräftemässig nicht mehr ganz wie geplant auf. Doch mit improvisierten Moves in höchster Not kann ich mich an den nächsten, länger haltbaren Griff retten. Nun nur noch den Pump und die Nerven im Zaum halten und im weiter ausdauernd-athletisch-griffigen Gelände an den Stand klettern - als der geklippt ist, wird mir beinahe schwarz vor Augen und schlecht vor Laktat - das ging nur mit der allerletzten Faser! Zu erwähnen ist hier noch die mittig in der Seillänge angezurrte, grosse Schuppe. Extrem labil schien sie uns nicht zu sein, besser (und auch schwieriger!) ist es jedoch sicher, sie nicht anzufassen. Denn wenn sie kommt, dann... sieht's nicht gut aus.

Powerige Ausdauerkletterei an Slopern, Rissspuren und Leisten erwartet einen in der steilen L5 (7b+). Aufgrund von diesem Bild kommt man fast nicht um einen Kommentar des prominent abgebildeten Schuhwerks herum... ich habe inzwischen keine anderen Finken mehr wie die Python. Auf MSL trage ich am liebsten ein paar, welches schon richtig gut durchgenudelt (weich und mit dünner Sohle) ist, damit sie a) bequem und b) sensitiv sind. Zusätzlich sind diese hier auch noch wiederbesohlt, wobei ich ein sparsamer Finken-Verbraucher bin: 1 Paar neue und 1 Paar wiederbesohlte reichen mir jeweils für ein Jahr. Anyway, für alle Fälle war im Haulbag auch noch ein neues, präziseres Paar, die waren auf dieser Route aber nirgendwo nötig.

L6, 15m, 7a+: Der Stand vor dieser Länge ist etwas fragwürdig. Dank einem guten Trittblock ist er zwar von der Bequemlichkeit akzeptabel, doch es ist kein richtiger No-Hand-Rest. Nur mit einem Kneebar kann man kurz darunter die Hände rasch lösen... für Puristen wäre es also sauberer, diese 7a+ Sequenz gleich anzuhängen, v.a. auch weil die schwierigsten Moves gleich zu Beginn folgen, so richtig punchy und athletisch sind und mit dem Pump der Länge darunter sicher herausfordernd. Wie in dieser Wand ein wenig üblich bedient man auch hier wieder oft etwas sloprige Seitgriffe und das Erkennen wo diese etwas besser "anhängen" bildet den Schlüssel zum Erfolg. Mit Entschlossenheit kann ich mich im Onsight bis zu dem Punkt vorkämpfen, wo sich das Gelände zurücklegt und die Griffe so gut sind, dass man sie nicht mehr loslässt - allerdings wäre es mir dann doch noch fast passiert, tja der Status wo der Bizeps zu krampfen beginnt und die Finger selbst auf guten Griffen nach ein paar Sekunden aufgehen war definitiv erreicht. Mit einer recht originellen Querung unterhalb der sloprigen Rampe, einem rampfigen Mantle auf selbige und über einen (angesichts der sonst extrem dicht sitzenden Bolts) etwas sinnlosen Runout zum Stand beendet man die Länge im 6bc-Terrain.

Das Main Business von L6 (7a+) ist an dieser Stelle bereits erledigt. Der Akteur erreicht hier in Kürze die Hangelquerung an der sloprigen Rampe, welche mit einem Mantle auf diese abgeschlossen und vom Runout in einfacherem Gelände (Cam legen im Riss hinten vermutlich möglich) zum Stand abgeschlossen wird.

L7, 15m, 7a: Der obere Wandabschluss bzw. die Botanik sind hier schon zum Greifen nah, nur ein kurzes Boulderproblem stellt sich noch in den Weg. Dessen Anschein und die 7a-Bewertung im Topo sind nur schwer in Einklang zu bringen - doch wie so oft in dieser Wand täuscht die Wahrnehmung, es ist steiler wie man meint und die vorhandenen Strukturen bieten einfach nicht so richtig Grip. Ohne 2-3x noch kleine, sloprige Crimps richtig zu zergeln geht's nicht, immerhin kann man sich den Plan vom Stand schon perfekt zurechtlegen - uff, gerade noch hat's gepasst und auch diese Länge ging sich im Onsight aus. Nach 3 Bolts steht man dann wirklich in der Botanik, eine heikle Querung auf dem glitschig-dürren Gras hinüber bildet die letzte Hürde, um den finalen Stand zu klippen.

Naja, von der felsigen Herausforderung in L7 (7a) sieht man hier nichts, die Querung übers dürre, extrem glitschige Gras ist aber eine Bananenschale, auf welche man an dieser Stelle nicht mehr ausrutschen will...

Um 16.45 Uhr und damit nach beinahe 7:30h Kletterzeit hatten wir es geschafft. Das mutet fast astronomisch an für eine solch kurze Route, aber schliesslich hatten wir beide auch 11 und nicht bloss 7 Seillängen geklettert, uns Zeit genommen um die Moves auszuchecken, mit einer Pause auf den nächsten Go vorzubereiten und dann zu reüssieren. Sprich, das war voll und ganz der MSL-Sportklettermodus und nicht einfach eine Allez-Hopp-Affäre gewesen. Aber es hatte sich gelohnt, mir war der Gesamtdurchstieg gelungen :-) Ganz ehrlich gesagt hing der aber bei meinem zweiten Go in L5 (7b+) an einem seidenen Faden. Ohne Marge und auf dem letzten Blatt passierte ich da die Crux, ein weiterer Versuch wäre da höchstens nach einer langen Pause möglich gewesen, wofür wir kaum mehr Zeit und Motivation aufgebracht hätten. 

Schönes Stimmungsbild von der Abseilerei über die steile Wand. Um es zu Replizieren, sind aber ein paar Shenanigans nötig. Unser Erstabseiler verpasste es, den Stand nach L3 korrekt anzupendeln und traversierte ab dem Seilende schliesslich zu einem Stand der Nachbartour 'Cani Sciolti' - möglich aber nicht unbedingt empfehlenswert. 

Nachdem wir uns am Top ein paar Minuten von den Efforts erholt hatten - es gab eine bequeme Sitzgelegenheit und der Wind ging hier oben so gut wie gar nicht, so dass die inzwischen vorherrschende Kälte nicht weiter in die Glieder drang - hiess es an den Heimweg zu denken. Eigentlich wäre es mir an diesem Punkt gerade recht gewesen, zu Fuss abzusteigen. Aber trotz Haulbag hatten wir die Schuhe nicht mitgenommen, somit war das nicht die richtige Variante. Der erste, kurze 10m-Abseiler macht bezwecks reibungsfreiem Seilabziehen sicherlich sehr viel Sinn. Hinweis: wenn man hinunterschaut rechts vom Baum/Gestrüpp halten! Die Vegetation hat hier schon ordentlich gewuchert, viele Besucher kommen da nicht vorbei, aber schlussendlich entdeckt man die nächste, etwas versteckte Station dann doch. Ab dort sind es 45m zum Stand nach L3, wobei man im überhängenden Gelände recht stark pendeln muss und er auch noch etwas fies seitlich versetzt ist. Mit zwei weiteren Strecken via einen routenunabhängigen Stand (dieser ist rechts von Stand nach L2 schon im Aufstieg gut zu sehen) gelangt man zurück auf Terra Firma. 

An diesem knorrigen Gesellen kommt man auf dem Rückweg vorbei - es hat viele, wunderschön knorrige Kastanienbäume in diesem Wald, für Liebhaber der Botanik ergibt sich hier ganz bestimmt ein lohnender Ausflug! Aber nicht nur, auch für uns Fels-Aficionados war es  einfach perfekt!

So blieb uns nur noch, die Sachen zu packen und retour ins Tal zu marschieren. Das war keine grosse Sache mehr und nahm rund 45 Minuten in Anspruch. Sehr zufrieden konnten wir den Tag zum Abschluss bringen. Das war nun effektiv das allererste Mal gewesen, dass ich eine MSL auf diese Art und Weise im Sportklettermodus angegangen hatte, d.h. jede Seillänge unbedingt und wo nötig mit mehreren Versuchen punkten wollte. Und ich muss sagen, das hatte wirklich sehr viel Spass gemacht, natürlich umso mehr mit der Trophäe in den Händen. Zu sagen ist auch, dass diese Route ideal für ein solches Vorhaben ist - sie ist insgesamt eher kurz, noch dazu sind es auch die einzelnen Seillängen, die Absicherung mit Bolts ist hervorragend und die Kletterei in den 3 zentralen Seillängen ist von einer Art und Zuschnitt, dass ich ihr auch im Klettergarten gerne mehrere Versuche zugestehen würde. Tja, 5 Seillängen mit total 9 Go's im 7ab-Bereich, nachher war ich dann doch auch gut bedient... immerhin hatte ich den richtigen Riecher, was den Umfang des Gesamtprojekts betrifft - mehr wäre nach der Winterpause nicht drin gewesen. Oder vielleicht auch generell nicht. Aber mit genau solchen Big Days kriegt man zumindest das Gefühl, dass man richtig hart gearbeitet hat, um sich zu verbessern ;-)

Facts

Parete di Solada - Il teorema di Solà 7b+ (6c obl.) - 7 SL, 160m - Cugini/Ferrari 2001 - ***;xxxxx
Material: 1x60m oder 2x50m, 15 Express, Keile/Friends nicht unbedingt nötig, evtl. Cams 0.5-2

Die Parete di Solada liegt im Maggiatal auf 1000m an sehr sonniger Lage, selbst an den kürzesten Tagen gibt's hier noch ~6h Sonnenschein. Somit haben wir es mit einem Ziel für das Winterhalbjahr zu tun. Die Route beginnt noch wenig berauschend mit 2 SL über flechtige und grasbewachsene Platten, die aber trotzdem oder gerade deswegen kein völliger Spaziergang sind. Das wird aber mit 5 steilen, ja teils deutlich überhängenden Seillängen mit genialer Ticino-Kletterei an den üblichen Slopern, Rails, Crimps und hier und da einer Rissspur belohnt, die sowohl Athletik wie auch Technik abfragen. Die Absicherung mit Inox-Bolts ist sehr generös ausgefallen, vielerorts in Bezug auf die Abstände mehr à la Kletterhalle als à la Klettergarten. Auf den wenigen Metern wo die Kletterei einfach ist, gibt's auch mal einen längeren Abstand. Das empfanden wir im Angesicht der sehr üppigen Absicherung als irgendwie unnötig - womöglich könnte man die eine oder andere dieser Stellen noch mit einem Cam entschärfen. Wir haben ohne genaue Kenntnis der Dinge ein komplettes Set von 0.1-3 mitgenommen, sie blieben aber von A-Z als Ballast im Haulbag. Zur Strategie gilt es zu erwähnen, dass man mit 1x60m-Seil über alle Längen umlenken/ablassen kann. Zum Abseilen sind aber nur die im Topo verzeichneten Stände eingerichtet und ein Rückzug ist zwar bestimmt überall möglich, aber aufgrund vom querenden Verlauf im überhängenden Steilgelände sicherlich teilweise umständlich. Zum Abseilen vom Top sind 2x50m-Seil nötig, alternativ kann man zu Fuss absteigen (Schuhe mitnehmen, kein Depot am Einstieg machen). Ein Topo und weitere Infos findet man im SAC-Kletterführer Tessin bzw. auf dem SAC-Tourenportal.

Mittwoch, 10. März 2021

Skitour Piz Timun (3211m)

Gefahrenstufe 'gering' so etwas sollten wir öfters haben! Wie man allenthalben hören und lesen konnte, war es zwar um das Skivergnügen nicht mehr um das Beste bestellt, aber dafür standen Tür und Tor offen um steile und/oder exotische Ziele anzugehen, was mir dann doch viel mehr bedeutet als ein paar schöne Pulverschwünge. Wetter- und organisationsbedingt sollte es in die Gegend von Mittelbünden bis nach San Bernardino gehen. Selbst ohne lange zu studieren waren subito über 20 interessante Ziele auf der Liste. Tja, wie schon geschrieben, man sollte einfach häufiger dazu kommen, sie auch wirklich abzu'arbeiten'. Quasi in letzter Minute schwenkten wir dann noch auf den Piz Timun als Ziel um, da mein Tourenpartner die ganze Woche in den Bündner Bergen unterwegs gewesen war und in den Nordhängen um besseren Schnee wusste als südseitig. 

Der ideale Ausflug für Sonnencrème-Allergiker!

Unterwegs zum Piz Timun, klassisches Skitourengelände mit steiler Gipfelflanke.

Etwas unterhalb der Hauptstrasse beim Werkhof in Innerferrera stehen ca. 8 kostenlose Parkplätze zur Verfügung, dort startete unsere Tour am Sonntagmorgen bei frischen Bedingungen. Zuerst geht man auf der aperen Strasse über die Rheinbrücke (P.1466) zur Sägerei, wo wir schliesslich um ca. 7.00 Uhr losliefen. Über die ersten beiden Kehren (150hm) war der Alpweg gepfadet und infolgedessen teilweise zur Eisbahn geworden, anderswo auch schon aper. Doch wir konnten, uns wo nötig an den Rand haltend, alles mit den Ski an den Füssen passieren. Zuerst geht's dann weiter durch den Wald aufwärts, ab P.1781 dann auf hartgefrorenem Schnee und etwas rumpligen Spuren ins flache, verlassene Val Niemet. Hier war noch tiefer Winter, auf der Westseite des Berges liefen wir im Schatten, so dass man zusammen mit dem schneidigen Bergwind gerne 1-2 Kleiderschichten mehr als in einem Aufstieg üblich montierte.

Im eher flachen Val Niemet entfernt man sich von der Zivilisation und kommt in eine einsame Gegend.

Nach rund 1.5 Stunden hatten wir die 6km/600hm "Zustieg" geschafft, bei Cuort Viglia (P.2053) war es Zeit für eine Pause und den Abzweiger hinauf Richtung Gipfel, den wir kurz davor auch das erste Mal zu Gesicht erhalten hatten. Die Aufstiegsbedingungen waren weiterhin gut, d.h. die Schneedecke tragend und meist griffig, nur manchmal mit einer rutschigen Pulverauflage bedeckt. Nachdem man mit einem grossen "S" auf 2500m aufgestiegen ist, biegt man auf die lange Zielgerade ein. Durch eine Mulde geht's gegen den verkümmernden Glatscher da Niemet hin, ein sehr attraktives Skigelände. Und während man auf dieser Tour lange viel Strecke aber wenig Berg macht, so ist es dann am Ende genau andersrum. Die Hänge hinauf gegen die Lücke bei 3100m erreichen gute 40 Grad und sind mit Felsstufen durchsetzt. Dank griffigem Schnee konnte ich mit den Harscheisen bis dorthin und noch etwas weiter hinauf zum Skidepot  bei den Felsen am Grat fellen (3130m, ca. 3:45h vom Tal), wo mir endlich das erste Mal die Sonne ins Gesicht schien. Mein Tourenpartner und zwei weitere Tourengänger, die gleichzeitig unterwegs waren, setzten für diese ganze Flanke auf einen Bootpack, was dank trittigem Schnee auch gut ging.

Das Foto ist zwar vom Abstieg, zeigt aber den Gipfelaufstieg mit der nordseitigen Umgehung.

Mit montierten Steigeisen und Pickel zur Hand umging ich die Felsen in der Nordflanke, falls nötig könnte man sie auch direkt erkraxeln (schwieriger, umständlicher). Nachher ist es nur noch ein Katzensprung über den harmlosen Grat hinauf zum mit einem Kreuz geschmückten Gipfel. Dieser liegt ja bekanntlich auf der Landesgrenze, in Bella Italia war es zum Glück angenehm warm - sprich südseitig, vor der zügigen Brise geschützt mit einem sonnengewärmten Fels im Rücken ging sich komfortabel eine längere Gipfelrast aus, wo der vom Aufstieg fehlende Teint im Gesicht nachgeholt werden konnte. Notabene mit sehr schönem Blick ins Valle di Lei und die tollen Hänge des Pizzo Stella, die mir auch schon eine sehr schöne Skitour beschert hatten. Auch sonst wird die Tour mit einem tollen Panorama belohnt, der Piz Timun zählt in Sachen Schartenhöhe und Dominanz je zu den Top 60 der Schweiz, ist also ein ziemlich isolierter Gipfel, ja der höchste Punkt der gesamten südlichen Averser Berge. Um 11.45 Uhr gingen wir talwärts (die Quarantäne beim Übertritt der Landesgrenze schenkten wir uns ;-)). Wenn man unbedingt wollte, so könnte man die Bretter schon am oder unmittelbar unter dem Gipfel anschnallen und direkt über die 45 Grad steile NE-Flanke abfahren. Doch mit dem etwas unregelmässigen Schnee sowie hier und da hervortretenden Felsen versprach das wenig Genuss bzw. nur unnötiges Risiko, denn wegen Felsriegeln in der Flanke wäre ein Sturz definitiv ein ungünstiges Szenario.

Die letzten Meter zum Top auf 3211m sind unschwierig zu begehen.

Da, von weit unten im bewaldeten Tal kamen wir her. Man legt eine beachtliche Strecke zurück!

Bei der Abfahrt vom Skidepot bzw. der Lücke ist das Gelände gutmütiger, aber 40 Grad sind es auch da und die direkte Linie wird von 10m hohen Felsstufen abgeschlossen, sicheres Skikönnen ist  unerlässlich. Doch die Verhältnisse passten und das Selbstvertrauen stellte sich rasch ein. Weiter unten auf dem nun weniger steilen Gletscher kam dann sogar richtiger Fahrgenuss auf. Es gab eine leicht pulvrige Auflage bei kompakter Unterlage. Natürlich kein stiebender 50cm Powpow, aber definitiv ohne Mühsal und mit Spass befahrbar, sprich viel besser wie wir das a priori vermutet hatten. Vom Buckel P.2523 wählten wir dann nicht die lange Querung der Aufstiegsroute, sondern fuhren direkt über die 30-Grad-Hänge nach Cuort Viglia. Für die Abfahrt sicher die bessere Variante, eine kurze Stelle erreicht 40 Grad, aber das ist alles problemlos befahrbar. Nun hiess es noch, das Tal hinauszufahren. Dank noch schnellem Schnee waren nur hier und da ein paar Stockstösse nötig. Nach der (von oben) ersten Kehre auf 1700m hält man sich dann in die Schneise 'Gold il Stretg' hinaus, hier gab's noch schönen Sulzschnee und vor allem vermeidet man so das apere/eisige unterste Strassenstück. Ein paar Minuten nach 13.00 Uhr waren wir sehr happy über die gelungene Tour retour beim Ausgangspunkt. Es blieb nur noch die Aufgabe, ein wenig talaufwärts nachzusehen, ob der Thron schon das zeitliche gesegnet hatte. Das war der Fall, zum Eisklettern kommen wir also frühestens nächsten Winter wieder ins Tal, für Skitouren lohnt es sich aber bestimmt noch mehrere Wochen lang!

Ready to roll - bei der Position des Akteurs befindet sich das logische Skidepot.

Kein Top-Powder, aber doch gute Skibedingungen, egal bei welcher Frequenz & Amplitude.

Facts

Piz Timun (3211m) ab Innerferrera, 1800hm, Ski-Schwierigkeit S
Material: Skitourenausrüstung mit Harscheisen, Steigeisen & Pickel, Sicherungsmaterial nicht nötig

Samstag, 6. März 2021

Speroni di Ponte Brolla - Zombi & Quarzo (6a)

Die Kinder äusserten den Wunsch, wieder einmal ins Tessin zu gehen und insbesondere eine plattige MSL zu klettern. Nun, auch auf der Alpennordseite herrschte bestes Wetter mit idealen Kletter- und Tourenbedingungen. (von der Schneequalität einmal abgesehen...) Doch Argumente à la "wir können jetzt nicht ins Tessin, weil hier schönes Wetter ist und wir Skifahren sollten" hatten vor den Kindern keinen Bestand. Naja, wenn man es sich genau überlegt, sind sie ja auch etwas absurd. Wobei, ganz zu vernachlässigen ist der "Ätsch"-Faktor von einem sonnigen Tessintrip wenn es im Norden Bindfäden regnet ja dann doch auch wieder nicht. Aber wir taten was wir tun mussten und fuhren durch den Gotthard in den Süden. 

Da kommt sie gerade aus der Cruxlänge der Quarzo (L10, 6a), unten die Platten mit dem Routenverlauf gut sichtbar.

Die Quarzo an den Speroni di Ponte Brolla ist sicher eine der bekanntesten und begehrtesten Plaisirrouten in der Schweiz. Sehr homogen im Bereich 5b (mit einer kurzen 6a-Crux, A0 möglich) klettert man hier über 12 Seillängen und 350 Klettermeter in bestem Gneis - unten über strukturierte Platten, oben dann über steilere, gutgriffige Aufschwünge. In meinen Kletter-Urzeiten vor bald 30 Jahren war ich hier schon einmal unterwegs - naja, das ist schon beinahe verjährt. Gerade deswegen wählten wir im unteren Routenteil die unmittelbar benachbarte Zombi (5a), da sich so für mich noch ein zusätzlicher Tick einer MSL- und Plaisir-Selection-Route ergab und die Sache mit Kindervorstieg und begrenztem Nachmittags-Zeitbudget noch etwas schneller vorangehen sollte. 

Auf den Platten der Zombie (L6, 4c), ein langsames Team eben passiert.

Zuerst gilt es jedoch, den Zustieg zu meistern. Der Pfad beginnt unmittelbar bei der markanten Eisenbrücke über die Maggia (vom Ende der Brücke die Strasse überqueren und ca. 20m talauswärts gehen, ca. 12 kostenlose Parkplätze vorhanden). Der deutliche Weg führt zu den Zielscheiben des Schiessstandes hin, hält sich aber unmittelbar davor links. Im Zickzack geht's den Wald hinauf zu einem Strommast, danach kurze Querung und nochmals 30hm weiter hinauf. Das ist alles gut zu finden, erst am Ende ist nochmals etwas Spürsinn nötig, da man auf undeutlichen Spuren nach rechts über ein kleines Bachbett zum Einstieg auf ca. 410m quert - an den tiefsten Felsen ist man richtig (Link für Karte). Für die total 150hm brauchten wir bei gut vorhandenem Auftrieb gerade 15 Minuten. Für alle die gerne mit Karte und GPS navigieren ist noch zu erwähnen, dass die bei SwissTopo eingezeichnete Wegspur sich zu weit links befindet, d.h. nicht korrekt vermerkt ist (Stand März 2021). 

Unterwegs in L1 (5a) der Zombie, die gleich die Crux darstellt - im bewährten Parallel-Stil.

Um 13.30 Uhr hatten wir alles bereit, d.h. die Kinder stiegen in die Zombi (5a) ein. Unser Plan war es, in bewährter Strategie mit 2 Seilschaften parallel/gleichzeitig auf der Route zu klettern. So musste niemand warten und das klappte formidabel. Die erste Seillänge ist mit 5a gleich die schwierigste und auch die steilste. Die Absicherung mit Inox-Bolts ist sehr gut, aber nicht übermässig - die Kids meisterten es perfekt und das Vertrauen in die Reibung und die Fähigkeiten festigte sich zügig. Es folgen nun 6 Seillängen im Grad 4c über die schwarzen Gneisplatten, oft entlang von diagonal verlaufenden Strukturen. Es ist keine langweilige Schleicherei mit stets identischen Bewegungsmustern, sondern es gilt oft, die "richtige" Lösung zu erkennen, wirklich sehr genussvoll. Zu erwähnen ist noch, dass die letzte Zombie-SL (L7) in Sachen Absicherung etwas aus dem Rahmen fällt - hier gibt es 2 längere Runouts von guten 10m, sprich nach dem sonst gesetzten Massstab "fehlen" jeweils 2 Bolts. Die Kletterei ist dort schon etwas einfacher, aber kein simples Gehgelände. Das passt nicht mehr wirklich zu "Plaisir super" und einen Sturz sollte man dort unbedingt vermeiden - dies einfach als Hinweis, wenn wenig routinierte Personen vorsteigen.

Clip & Go in der letzten Länge (L7, 4c) der Zombi, die 2x etwas grössere Abstände aufweist.

Um 16.15 Uhr waren wir am Ende der Zombi. Wegen einer sehr langsamen Seilschaft hatten wir etwas warten müssen und um sie zu überholen, mussten wir auch unseren Parallel-Verbund auflösen. Doch die Kids hatten souverän geführt und es sollte noch Zeit bleiben, um die restlichen 5 Seillängen über die Steilaufschwünge der Quarzo zu klettern. Da aber nur noch 2 Stunden bis zum Einbruch der Dämmerung blieben, änderten wir den Modus leicht. Immer noch Parallel-Kletterei, doch bei der einen Seilschaft übernahm ich den Lead, damit ich Jerome beim Vorsteigen supporten und für grösstmögliche Effizienz an den Ständen sorgen konnte. Der obere Teil beginnt (L8, 5a+) nordseitig mit steiler Wandkletterei an sehr griffigen (bisweilen etwas dumpf tönenden) Schuppen . Wieder auf dem Sporn geht's weiter über griffige Aufschwünge (L9, 5a), wobei man für diesen Grad einige Male rechts gegen die Botanik ausholen muss, ganz direkt ist's etwas schwieriger. Nun folgt die Cruxlänge (L10, 6a): erst an der Kante zu einer geräumigen Terrasse (Zwischenstand zum Abseilen, auslassen!), dann folgt das helle Quarzband. Bei üppigem Bohrhaken- und Griffangebot klettert man elegant durch die Wand zum luftigen Stand, sehr schön! Die folgende Sequenz (L11, 5b) startet mit einem Boulderproblem, bevor es an teils unglaublichen Quarzknubbeln einfacher dahingeht. Zum Schluss (L12, 4b) folgt nach geneigtem Gelände ein kurzer Aufschwung mit griffigen Rissen, gefolgt von einer Querung (Vorsicht, längerer Hakenabstand mit Potenzial für unangenehmen Sturz, tief halten hilft!) zur äusserst bequemen Terrasse am Ausstieg, der sich hier auf ca. 645m befindet.

Der Materialwagen kommt am Ende des Feldes ;-)

Es wäre ein super Platz, um ein wenig zu verweilen, doch die Uhr war bereits auf 18.15 Uhr vorgerückt und das Tageslicht somit langsam aber sicher am Schwinden begriffen. Somit gab's nur einen kurzen Zwipf, ein paar Selfies und den Schuhwechsel, dann hiess es Abmarsch. Die vorhandenen Beschreibungen sind eher rudimentär (z.B. auf dem SAC-Tourenportal, wo auch das Routenende 100hm zu hoch eingezeichnet ist) und man liest online von einem etwas mühsamen Weg durch eine oft nasse Schlucht, wobei sich viele irgendwann abseits der Wegspuren ins Gehölz verkoffert haben. Somit wollte/will ich es versuchen, hier besser zu machen...

Vom letzten Stand über die bequeme Terrasse ca. 15m nach Süden queren und durchs Gras (Wegspuren) ca. 15hm hinauf und bei der ersten sinnvollen Möglichkeit nach rechts hinaus auf den Sporn queren (verblasste, rote Farbpfeile vorhanden). Nun über Felsbänder leicht absteigend südwärts, nach rund 100m kommt man zu Hütten und einem grösseren Haus. Durch diese hindurch (kleiner Wegweiser, Farbpfeile) und weiterhin südwärts querend über oft schlammig-feuchte Stufen absteigen (Wegspuren, teilweise Fixseile) bis man in die beginnende Schlucht kommt (ca. hier). Nun durch diese hinab, zuerst sind eher rechts die besten Wegspuren, später wechselt man auf die linke Seite und verlässt die Schlucht, dort wo sie enger wird sogar nach links hinaus (Wegspuren, teils Steinmänner). Man verbleibt aber immer in der Nähe der Schlucht, bis man schliesslich zum Strommast kommt. Man geht die Treppe runter und folgt dem nun deutlichen Weg (mit nochmals 10hm Anstieg), der zur Via alla Vattagne führt, über welche man zur Hauptstrasse absteigt, Zeitbedarf ca. 45 Minuten.

So hatten wir das bis zum Strommast gemacht... da von dort auch (auf der Karte nicht verzeichnete) Wegspuren direkt hinunter führten und man laut SwissTopo ab dem Reservoir 60hm weiter unten wieder auf einen Weg treffen sollte, wählten wir diese vermeintliche Abkürzung. Es kam wie es kommen musste, die Spuren verloren sich, umgestürzte Bäume und Dornengebüsch stellten sich in den Weg und das schwindende Tageslicht machte es auch nicht einfacher. Starrköpfig gingen wir weiter, navigierten durch das Labyrinth des Windwurfs, verfluchten die Dornen und kletterten im Schein der Lampen über einen kleinen Wasserfall ab, bevor wir schliesslich endlich auf der Hauptstrasse landeten. Tja, da wartete die Plaisirtour am Ende doch noch mit dem Abenteuerfaktor auf. Aber genau das sind doch die Erlebnisse, die wir suchen und die am Ende haften bleiben! 

Und das ist noch "the cherry on the cake" bei dieser Tour! Die Gneisgriffe aus dem Tessin sind zum Trainieren wirklich ideal - Pinches oder wunderbare Leisten, positiv, neutral oder sloprig mit perfekter Textur, d.h. viel mehr Grip wie Plastik- oder Holzgriffe, aber trotzdem keine Hautshredder. Wir haben inzwischen ganz viele davon an unserer Wand, jeder mit einer Erinnerung an eine Tour oder Route verknüpft.

Facts

Speroni di Ponte Brolla - Zombi/Quarzo 6a (5b obl.) - 12 SL, 350m - H. Müller 1989 - *****;xxxx
Material: 12 Express, Seil siehe unten, Keile/Friends nicht nötig & kaum einsetzbar

Weltklasse-Plaisirtour in schöner Umgebung, die unten über strukturierte, schwarze Gneisplatten und oben über helle, griffige Aufschwünge führt. Die Absicherung ist sehr gut, aber nicht übermässig mit soliden Inox-Bohrhaken. Sprich, Potenzial für heikle Stürze gibt es fast nicht, aber um die Route zügig zu klettern, sollte man den Grad 5b doch beherrschen. Die Seillängen sind fast alle ziemlich genau 30m lang. Wer sicher ist, zum Top zu gelangen, kommt mit einem 40m-Einfachseil durch. Um effizienter zu sein, lassen sich mit 60m-Seilen jeweils nach Belieben 2 Längen kombinieren, wobei man dann aber sehr viele Exen mitführen muss, wenn man alle Bolts klippen will. Wobei solche Strategien oft auch durch den erheblichen Andrang an den typischen Ticino-Days bzw. -Weekends ausgebremst werden. Ein Abseilen über die Route ist über eine schlau eingerichtete Piste in 6 Manövern plus etwas Abkraxeln mit 2x50m-Seilen möglich. Bei Andrang ist das aber wenig empfehlenswert und der Fussabstieg ist bestimmt schneller, mit der obigen Beschreibung sollte man ihn nun auch zuverlässig finden. Man beachte aber, dass er nicht am Einstieg vorbeiführt, dort also kein Depot einrichten. Ein Topo findet man im Plaisir Sud, dem SAC-Kletterführer Tessin, dem SAC-Tourenportal und sicher auch in diversen weiteren Quellen.

Mittwoch, 3. März 2021

Sun Rock im Berner Oberland

Für dieses Wochenende war aus speziellem Anlass Damenwahl angesagt. Und diese führte uns ins Berner Oberland an sonnig-warme Felsen. Schon verrückt, diese schnellen Wetterwechsel. Gerade 1 Woche ist es her, seit wir (fast) im Flachland im Eis geklettert sind und von der Haustüre auf Skitouren gingen. Und nun konnte man sich schon den ganzen Tag leicht bekleidet genussvoll am Fels aufhalten, das macht ja dann schon auch richtig Laune. Unsere Destination lautete Interlaken, gelobtes Land mit vielen steilen Felsen, doch für uns leider ausserhalb vom Tagestrip-Range. So konnten wir sogar zwei Gebiete kennenlernen, denen wir bisher noch nie einen Besuch abgestattet hatten.

Brüggetli

Dieses Gebiet befindet sich ca. 350hm über dem Thunersee an sonniger Lage und wurde vor 10-15 Jahren erschlossen. Zugestiegen wird vom Parkplatz der Beatus-Höhlen (5 CHF/Tag, Münzen bereithalten) über den gut markierten Wanderweg. Nachdem man ein Felsband via eine Treppe erklommen hat, geht man noch ca. 50m leicht abwärts weiter, bis ein Trampelpfad steil in den Wald hinaufführt. Ein klapprige Eisenleiter führt auf exponierte, mit Fixseilen gesicherte Bänder, über welche man nach links zum Hauptsektor traversiert (nichts für Kinder!). Auch zum Sichern muss man sich für diverse Routen anbinden, bei andern ist das Gelände grosszügiger und insbesondere gibt's einen bequemen Rastplatz. Das Gebiet ist grundsätzlich sehr sonnig gelegen, einige Routen/Einstiege sind jedoch im Schatten der Bäume, so dass an ganz kalten Tagen vielleicht nicht alle Optionen offenstehen. Geklettert wird in Kalkfels, ähnlich wie man ihn z.B. am Pilatus findet. 

Tolle Stimmung über dem Thunersee am Brüggetli, derweil sich die Sonne hinter dem Niesen verabschiedet.

Angefangen haben wir mit dem Moralapostel (6b+). Der Name kommt nicht von ungefähr, eine Stelle klettert sich an einem flutschigen, gebohrten Loch und auch sonst macht die Route im unteren Teil einen etwas murksigen Eindruck, dafür ist das Finish dann richtig cool. Da war die Fledermaus (6b+) daneben die schönere Aufwärmroute mit abwechslungsreichen Moves an Tropflöchern und einem kräftigeren Finish an einer Seitgriffrippe. Der erste Test folgte in der Vitamino (7a). Hier klettert man anhaltend in einer leicht überhängenden Wand, meist an eher kleinen, dafür positiven Griffen. Diese Prüfung im Onsight bestanden, wagte ich mich in den Drachenzahn (7c). Zu Beginn warten punchy Bouldermoves an Seitgriffen, dann kann man an guten Griffen wieder etwas zu Puste kommen, bevor nochmals ein kniffliger Abschnitt mit weiten Moves an Seitgriffzangen folgt. Im 2nd Go konnte ich durchsteigen und mir den ersten, ambitionierteren Rotpunkt im 2021 sichern.

Schmocken

Dieser schon etwas ältere Klettergarten befindet sich weniger als 1km vom Brüggetli entfernt, aber trotzdem "in einer anderen Welt". Man erreicht ihn vom Beatenberg, konkret vom Altersheim in der Nähe der Niederhorn-Bahn in wenigen Minuten absteigend. Die Beschreibungen vom Zustieg sind gar nicht so präzise, so richtig deutlich Wegspuren gibt's auch nicht, schliesslich gelang es uns aber doch onsight. Der Einstiegsbereich ist richtig bequem (ideal kindertauglich) und sehr sonnig, auch wenn auch hier an ganz kalten Tagen die eine oder andere Route fies im Schatten der Bäume sein mag. Wobei kalte Temperaturen hier nicht schaden: der für die Region typische Kalksandstein wartet mit manch einem glatten Aufleger auf, wo guter Grip sehr hilfreich ist. Berüchtigt ist das Gebiet für seine harten Bewertungen bei überdies gewöhnungsbedürftiger, technisch anspruchsvoller Kletterei. Vielleicht waren wir deshalb fast alleine?

Sandsteinige Formen im Garten von Schmocken am Beatenberg.

Eingeklettert wurde mit Viktors Programm (6b). Die ersten Meter deutlich schwieriger wie es aussieht und bereits ordentlich poliert, später dann lässige, sandsteinige Kletterei. Die Indra (6c) fand ich eine richtige Perle: schieben, stemmen, drücken heisst es in diesem Groove, da kann man wirklich das ganze Bewegungsrepertoire nutzen. Der 7a-Klassiker am Fels ist die Yukon (7a). Auch hier gilt, schon der Start ist deutlich schwieriger, wie man meinen könnte und die Crux fordert dann an runden Seitgriffen und abschüssig-polierten Tritten erst recht. Leider waren zwei entscheidende Seitgriffe noch schlonzig-nass, der Punkt somit leider nicht zu erzielen. Eher unterbewertet kommt das Gloggäspiel (7a) daher: nach gemütlichem Auftakt erfordert die Crux Vertrauen in die Füsse, abgefahrene Moves sowie schlicht und einfach auch Power. Nachher geht's an einer seichten Verschneidung wieder besser voran, bis der Klipp vom Umlenker nochmals tricky ist. Nachdem ich die Griffe in der benachbarten Silester (7c) bereits inspiziert hatte und sie ja eigentlich "gar nicht so schlecht" aussahen, startete ich dort meinen nächsten Go. Der klappte sogleich, 7c im First Go, tolle Sache mit Bouldercrux am markanten Dach.

Epilog

Endlich wieder einmal ausgiebig am Fels, nachdem es für viele Wochen kalt und winterlich mit Bedingungen nur für richtig Hartgesottene gewesen waren! Natürlich, trainiert hatten wir schon daheim und rein nach den messbaren Kriterien wäre eine gute Leistungsfähigkeit durchaus vorhanden gewesen (meinen Test-Score konnte ich jedenfalls gegenüber der letzten Messung erhöhen). Aber trotz langjähriger Erfahrung am Fels schien es mir, dass ich ~2 Monate ohne schwierige Felskletterei dann doch nur schwierig kaschieren konnte. Es fehlt einfach das letzte Quäntchen Effizienz, ein wenig auch das Vertrauen und so verwandelt sich das Plus in den Leistungsparametern rasch in ein Minus in der Gesamtbilanz. Nichts zu klagen jedoch, jetzt kommt ja die Zeit, in welcher man wieder regelmässig Sportklettern kann - so geht's hoffentlich wieder aufwärts :-)