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Mittwoch, 27. Juli 2022

Wendenstöcke - As de Coeur (7a A0)

Die gewaltige Arena des Reissend Nollen, das ist eine der Felswände in der CH, die man einfach einmal gesehen und beklettert haben muss. Seit meinem ersten Besuch für die Caminando anno 1999 hat es mich immer wieder dahin gezogen, um die gewaltigen Eindrücke und Tiefblicke aufzusaugen. Umso empfänglicher war ich natürlich für die Nachricht, dass die Route As de Coeur im 2019 mit modernem Material saniert wurde. Sie wurde 1986 als erste Linie in diesem Sektor in kühner Manier erschlossen und sollte dem Vernehmen nach mit erstklassiger Kletterei von typischen Wenden-Zuschnitt aufwarten - nur eben war sie mit einem Mix von stark veralteten, handgebohrten 8mm-Spits und Schlaghaken kaum mehr zugänglich. Nachdem die Sanierung vor Kurzem erneut kommuniziert wurde, liess sich Viktor in das Vorhaben einspannen und los ging's.

Die gewaltigen Felsmauern des Reissend Nollen mit Routenverlauf und Zustieg von As de Coeur.

Der Tag begann mit Aufstehen um 5.00 Uhr, einem Kaffeestopp unterwegs und gewissen Bedenken bei der Anfahrt über den Sustenpass. Es stand nämlich schon erste Quellbewölkung an den Kämmen, die weder in meinen Plänen noch in den Prognosen am Vortag ersichtlich war (immerhin gab Meteoschweiz die Fehlprognose zu). Für mich stellte sich die Frage, ob wir deswegen nicht ein alternatives Ziel an den Wendenstöcken oder gar an einem anderen Massiv wählen sollten. Doch die Kugel war schon ins Rollen geraten. Wir parkierten wiederum als einziges Auto auf der Wendenalp und schlugen um 7.50 Uhr den Weg taleinwärts ein. Tja, nicht nur die Tatsache, dass wir nun schon 2x einzig-allein kletterten zeugt von wenigen Besuchern - die Pfadspur nach Chalchstein war mühsam krautig zugewachsen, da würden ein paar zusätzliche Passanten definitiv nicht schaden. Zudem war das Gras auch noch nass, die Schuhe glichen bald einer Badewanne. Ab dem Abzweiger vor dem grossen Schneefeld waren die Spuren dann dank weniger Vegetation wieder besser sichtbar. Am Einstieg der Zambo vorbei ging's links hinaus und auf den letzten, abenteuerlichen Teil des Zustiegs durch die felsige Arena, was einige Kletterzüge im 2./3. Grad erfordert. Den Einstieg erreichten wir nach 1:30h Gehzeit, er ist dank verblichener Aufschrift und einem Stand mit altem und modernem BH gut auszumachen. Um 9.45 Uhr starteten wir mit der Kletterei.

Frisch geduscht (äh nein, natürlich nicht) und frohen Mutes (das hingegen schon) geht's dem Reissend Nollen entgegen.

L1, 60m, 6a, 5 BH: Haken sind ab dem Start keine zu sehen, es geht aber erst mal rechtshaltend über eine Art Rampe aufwärts in Richtung des nullten Standes von Millenium. Eine (rote) Reepschnur in 2 SU nach ca. 15m markiert den eigentlichen Start in As de Coeur, wer nur 50er-Seile hat, muss hier nochmals Station machen. Linkshaltend klettert man dann über sehr schöne, tief eingeschnittene Wasserrillen. An sich nicht so schwierig, der Grad von 6a passt und die 5 BH gab's vor der Sanierung vermutlich auch noch nicht. Dennoch, üppig gebohrt fühlt es sich nicht an, die Crux befindet sich am Ende zwischen den Haken, das Seilgewicht stört durchaus schon etwas und wie ein Sturz in diesem messerscharfen Gestein enden würde, will man sich gar nicht erst ausmalen. Mit grossen Cams (#2-4) könnte man evtl. zusätzlich absichern.

Super schöner Wasserrillenfels in L1 (6a), die Kletterei eher schwieriger wie das Foto suggeriert.

L2, 45m, 6a, 5 BH: Im ähnlichen Stil wie zuvor geht's weiter, hier warten die anspruchsvollsten Passagen auf der ersten Hälfte der Seillänge. Die Absicherung auch hier mit Blick auf die Perspektive nach unten knapp genügend. Der zweite Teil dieses Abschnitt führt dann in einfacheres Gelände. Man folgt einer Art Rampe (Seitenwand des Pfeilers) mit etwas brüchigem Gestein aufwärts mit einem grossen Runout bis zum gut sichtbaren Stand.

Erste Hälfte schöne Wasserrillen, zweite Hälfte etwas chossy heisst es in L2 (6a).

L3, 40m, 6c, 10 BH: Ab hier geht's los mit der Hauptwand, die Steilheit legt merklich zu und der Fels ist von einer unglaublichen Kompaktheit und Güte. Etwas links hinaus führt die Linie zuerst und man nimmt sogleich wahr, dass die Sanierer sämtliche Bolts neu positioniert haben. Schon ab dem ersten Meter ist man hier gefordert und über kurz oder lang stellt sich einem eine heftige, mit der neuen Absicherung zu 100% zwingende Stelle in den Weg. Es heisst, sehr mutig auf abschüssigen (aber extrem rau texturierten) Reibungstritten anzutreten und minimale Schüppli und Sloper zu bedienen. Diese Passage hätten wir als die Crux von L3 bezeichnet, aber es lässt auch danach fast keinen Millimeter lugg. Die Kletterei ist durchgehend fordernd, sehr tüftelig und zeitraubend. Meist denkt man zuerst "jetzt geht's definitiv nicht mehr", bevor man dann doch wieder für ein paar Zentimeter Fortschritt sorgen kann.

Fantastische Kletterei in einer unglaublich kompakten Wand mit Fels der Extraklasse: L3 (6c).

L4, 45m, 6c, 11 BH: Exakt im gleichen Stil wie in L3 geht's weiter. Superkompakter Fels, fordernde Kletterei, zwingende Absicherung. In diesem Abschnitt präsentieren sich zu Beginn einige Löcher, die ziemlich gute Griffe hergeben. Aber irgendwann ist damit definitiv fertig und man bedient sich wieder minimalen Schlitzen, Tropflochkratzern und rauen Slopern. Nach einer Weile gingen mir Raum- und Zeitgefühl völlig verloren, so eingetaucht war ich in diese Welt. Den Fokus auf das 'Vorwärts' zu legen ist bei dieser Art der Kletterei aber durchaus zentral. Klar, die Route ist saniert, 11 BH auf 45m sind nach Wenden-Massstäben vielleicht sogar üppige Absicherung. Aber würde man in einem Klettergarten diese Hakenzahl bei dieser kontinuierlich schwierigen Art der Kletterei auf der Hälfte der Distanz finden - niemand würde es als übertrieben bezeichnen. Anyway, die Klimax dieser Länge kommt gegen das Ende hin - so richtig taff, wie schon L3 nach modernen Massstäben wohl eher bei 7a als 6c. Der Stand dann auf einem leidlich bequemen, schuhbreiten Band, weniger Meter links befindet sich eine Station von Dingo. Zu erwähnen ist noch, dass die Route hier bis knapp an den markanten (bei Schneeschmelze und nach feuchten Perioden aktiven) Wasserstreifen zentral an der Wand heranführt. Für die Moves vom letzten BH zum Stand nutzt man dann auch Griffe, die dunkelgrau gefärbt und etwas staubig sind, d.h. bei ungünstigen Verhältnissen feucht sein könnten.

Next Level an kompaktem Fels - kaum zu glauben, dass das frei geht und das dann auch noch für nur "6c" 😂.  Animierte Impressionen aus diesem Abschnitt mit einem am Limit kämpfenden Viktor und dem Originalton des Autoren gibt's in diesem Reel auf Instagram (Ton einschalten!). 

L5, 30m, 6a+, 6 BH: Grosse Querung, die über den Parcours von Millenium hinweg führt. Erst geht's rechts hinaus, dann über 4 BH aufwärts. Die alte Linie führte wohl einige Meter links der Bolts in zwar einfacherem Gelände, das aber wirklich echt brüchig ist. Denke hier ist es absolut sinnvoll, in direkter Linie über die Haken zu klettern, was dann aber den Rahmen einer 6a+ sprengt. Nachher quert man dann horizontal bzw. sogar wieder etwas absteigend nach rechts und hält sich dabei unterhalb vom Stand der Millenium an die schönen, rostfreien Bolts. Auch diese Querung hat es in sich und ist zumindest eine (UIAA 7-) à l'ancienne, oder vielleicht auch mehr.

Gut festkrallen zwingend nötig - auch in L5, die nur mit "6a+" bewertet ist.

L6, 40m, 6b, 10 BH: Wow, da wartet nochmals eine richtige Erlebnisreise! Der Fels ist hier ganz speziell mit vielen dunklen, extrem scharfkantigen Einschlüssen. Diese Mikrokratzer sind zwingend als Griff und Tritt zu nutzen - sie (auch deutlich über den Haken!) voll zu belasten erfordert etwas Nerven, da solche kleinen Strukturen ja auch gerne abbrechen. Das scheint hier aber anders, wirklich jede noch so kleine Winzigkeit hielt der Belastung stand. Die Kletterei ist über weite Strecken auf der fordernden bis sehr fordernden Seite - für uns per nullo einfacher wie in L2/L3 und ich war mir unterwegs eigentlich sicher, dass wir die Position der Standplätze auf dem Topo fehlinterpretiert hatten und dies definitiv schon die 6c+ sein müsse. Tja, so kann man sich täuschen - selbst an den Wenden (und das will etwas heissen) figuriert diese Länge unter den Top-Kandidaten für die härteste "6b" 😳.

Hier sind die schwarzen Einschlüsse, die so typisch für den Sektor sind, gut sichtbar (L6, 6b).

L7, 30m, 6c+, 9 BH: Das (=ein Irrtum im Lesen des Topos) war dann aber doch nicht der Fall, die nominelle 6c+ kommt wirklich erst hier und zeichnet sich gegenüber vorher durch zunehmende Steilheit aus. Ebenso wechselt der Fels etwas seinen Charakter. Bis dato gab's nach den Wasserrillen ja durchgehend die graue, vertikale Wand, neu säumt eher gelbes Gestein mit scharfen Kanten und Tropflöchern den Weg. Hier ist die Absicherung nun etwas enger, bis auf einen Runout in einfacheren Terrain mittig und zum Stand hin ist sie sportklettermässig. Die Hauptschwierigkeiten konzentrieren sich auf eine heftige Einzelstelle, der Rest kam uns für die ausgegebene Bewertung nicht gleich hart vor wie die Längen davor.

Den Cam am Ende von L7 (6c+) habe ich gerne platziert - da heisst es nochmals Einsatz zeigen!

L8, 25m, 7a A0 (oder 7b+ ???), 7 BH: Tja, dann also hinein ins Vergnügen. An dieser Position stellt sich eine deutlich überhängende Wandpartie in den Weg, welche zusätzlich auch noch mit eher suboptimalem Gestein aufwartet. Der erste Zwischen-BH ist direkt ab dem Stand zu klippen, danach heisst es aber erst mal Klettern! Mit einer grossen Linksschleife erreicht man den nächsten, crumbly feet, abschüssig scharfe Sloper und ein heikler Mantle gehören ins Programm - diese Stelle ist absolut zwingend zu klettern, A0/A1 geht da gar nichts. 6b?!? Maybe, aber sehr hart und psychisch, es droht ein grösserer Pendler fast direkt in den Stand. Ist einmal Bolt #2 erreicht, so geht's von Haken zu Haken erst noch passabel voran. Zum Klettern wäre es schwierig und in schiefrig-glattem Gestein unschön, bald einmal in direkter Hakenlinie de visu auch nahezu unmöglich. Ich wage zu behaupten, dass es mit Klippen aller BH niemals als 7b+ zu haben ist - evtl. wenn man über links, abseits der Haken an ein brüchiges Dach ausweicht, aber das ist dann definitiv nix für Otto Normalverbraucher. Der hat hoffentlich sowieso Kraft gespart, denn schon zum letzten BH heisst es wieder ein paar Züge zwingend zu klettern und von diesem Weg warten dann noch 5-7m zum Stand. Die Moves vom letzten Silberling weg haben es dabei gehörig in sich, es wartet eine harte Passage, bis endlich ein Henkel und ein Riss (Cams nützlich!) erreicht sind.

An etlichen Standplätzen in der As de Coeur wurde nur 1 neuer BH gesetzt, einzig die Abseilstellen im oberen Teil der Route selber sind mit 2 neuen, verbundenen BH ausgestattet. Im unteren Teil der Route nutzt man dann beim Abseilen teils Stationen von Millenium oder separate Abseilstände, welche mit älterer Ware (verzinkte Anker, rostfreie Laschen) ausgerüstet sind und wo eine Erneuerung auch kein Fehler wäre.

An diesem Punkt endet unsere Begehung. Es ist schon 18.30 Uhr abends, die Zeit würde sowieso knapp. Vor allem aber ist die Haut durch, so dass man die Griffe schon fast nicht mehr berühren will, die Kraftanzeige steht definitiv auf 'low' und bereits reichlich unterzuckert gibt's auch ein ziemliches Stimmungstief: Schnauze voll vom ewigen Hängen an den unbequemen Ständen, vom Frieren wegen dem lästigen thermischen Aufwind und einfacher würde es laut Topo und den visuellen Eindrücken auch nicht werden, nochmals eine "6b" und eine 7b A0 wären bestimmt nicht billiger zu haben wie die unteren Seillängen. So fädeln wir halt die Seile, gleiten innert Kürze pendelnd über die überhängende L8 hinunter, die uns im Aufstieg viel Überwindung, eine kleine Ewigkeit und zig Anläufe gekostet hat. Nachher geht's dann super zügig, mit nur gerade mal 4 bis ans Seilende ausgereizten 60m-Manövern ist man zurück am Einstieg. Ab da wartet eine kurze, exponierte Abkraxelstrecke, den Vorbau seilen wir in 3x50m über Spasspartout ab (Zugang zu dieser Abseilstelle auch bequem mit einem weiteren Manöver vom Stand zum Beginn des Schlussteils von Zambo möglich, siehe das dortige Topo). 

Am 'abegwaggle' im Bereich des mühsam hohen Krauts, immerhin war es nicht mehr so feucht.

Einmal am Wandfuss angekommen, ramisieren wir unsere Ware zusammen, verpassen der Zambo-Aufschrift noch etwas neue Farbe und trotten dann müde dem Tal entgegen. Es ist uns gerade recht, dass der Abstieg von da deutlich leichter zu haben ist wie jener vom Mähren. In der Gegend von 21.00 Uhr sind wir zurück am Parkplatz und beraten noch eine Seilschaft, welche am nächsten Tag ihre Wenden-Première in Excalibur plant. Es bleibt uns nur noch das Heimfahren, etwas Essen und nach Mitternacht dann, für ein paar Stunden ins Bett, bevor am nächsten Morgen bald wieder der Wecker schellt und die Pflichten für Familie und Arbeit rufen. Ja, so ein Wendentag ist schon immer eine taffe Sache und vor allem hat er auch wieder einmal die persönliche Grenze ausgelotet. Allerdings, so viel ist gewiss: es hat enorm Spass gemacht - das Feeling beim Durchstieg von L3 und L4 war so genial, diese enorm kompakte Wand mit gerade so viel bzw. eben wenig Struktur, dass es noch möglich ist, dieser Fokus auf den Moment und den Weg nach oben - hm ja, eigentlich könnte man dafür ja auch wieder einmal anreisen. Ebenso war übrigens das Wetter bzw. die Wolken schlussendlich weniger ein Faktor wie befürchtet - dennoch war es wieder mal ein Wenden-Tag, wo man (wie so oft) mehr gefroren als geschwitzt hat.

Facts

Wendenstöcke/Reissend Nollen - As de Coeur 7a A0 (6c obl.) - 11 SL, 420m - ****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-0.75 (evtl. 1-4 für SL 1 & 2)

Eine Route aus der frühen Sportkletter-Erschliessungsgeschichte (P.A. Steiner, F. Studemann, 1986), die durch die Sanierung (S. Chatelan, B. Studemann, 2019) aus dem Dornröschenschlaf geholt wurde. Die Sanierer charakterisieren sie als "grandiose Route, die sich zum Wenden-Klassiker entwickeln könnte und möglicherweise sogar oberhalb von Caminando einzuordnen ist". Tatsächlich bietet die Route absolute Perlen von Seillängen, die auch alpenweit herausragend sind. Andere Abschnitte sind weniger schön und/oder erfordern für den Normalverbraucher A0-Gehampel. Die Route ist absolut nicht zu unterschätzen: einerseits sind die Bewertungen sehr hart bis unrealistisch tief, die Sache ist sehr anhaltend und trotz nur 11 Seillängen warten stolze 420 Klettermeter. Mit einer 6b obl. kommt man in dieser Route sicher nicht durch, auf mindestens 6c obl. (oder mehr?) muss man sich auf jeden Fall einstellen - die Route ist anspruchsvoller wie Caminando und Millenium und (in Bezug auf eine komplett freie Begehung, nicht die Absicherung) sogar wie die Tsunami. Die Absicherung wurde bei der Sanierung komplett neu konzipiert. Während in den einfachen, früher gefährlichen Seillängen mehr Sicherungspunkte gesetzt wurden, nahm deren Zahl auf den schwierigen Seillängen ab. Die Route dürfte gegenüber dem Originalzustand also wesentlich weniger gefährlich, dafür aber anspruchsvoller sein. Das Bolting ist solide, aber immer ziemlich zwingend gehalten - hin und wieder gibt's auch die Emotion, dass man 1-2m über dem letzten Haken steht und ein Klipp durchaus angenehm schiene. Aber da gibt's dann halt nur die alte, nicht mehr nutzbare Bohrkrone, zum nächsten Silberling muss man sich nochmals für 1-2m in den Hintern kneifen. Kleine Cams (0.2-0.75) fanden wir an diversen Stellen durchaus hilfreich, für die ersten beiden Wasserrillen-Seillängen würden grosse Exemplare evtl. helfen, um die Abstände zu verkürzen (nachher braucht man diese sicher nicht mehr). Topo, Wandbild und Text von der Sanierung findet man bei rebolting.ch. 

Hinweis: man interpretiere meine Zeilen keinesfalls als Kritik an den Sanierern und ihrer Arbeit. Es ist ihnen ein sehr grosser Dank auszusprechen für den enormen Einsatz, den sie geleistet haben. Als Wiederholer ist es dann sehr leicht, mit gutgemeinten Vorschlägen zu kommen oder über schlechtes Bolting zu schimpfen. Das liegt mir absolut fern - das Sanierungsziel, aus der As de Coeur eine solide abgesicherte, aber homogen anspruchsvolle Route im typischen Wendenstyle zu kreieren wurde sehr gut erfüllt. Mein Text besagt einzig, dass es sich auch mit den neuen Haken um eine anspruchsvolle Sache handelt.

Freitag, 22. Juli 2022

Zervreilahorn - Alphornklänge (6a)

Dieser Bericht ist die Nachspeise zu einer grösseren Geschichte, nämlich unserer Erstbegehungs-Trilogie mit Nightcrawler, Holy Smoke und Maverik, welche sich alle rechts neben der hier beschriebenene Route befinden. Sonst hätte ich vermutlich für die in diesem Beitrag beschriebene Route den langen Weg ans Zervreilahorn nämlich ehrlicherweise kaum gemacht. Das heisst aber nicht, dass sie unlohnend wäre - nein, man kann in ihr den wohl einfachsten Wanddurchstieg auf diesen eindrücklichen Klettergipfel haben, die Gegend ist umwerfend schön und so wird man auch mit diesem Ziel ganz sicher ein tolles Erlebnis mit nach Hause nehmen. Wir aber nutzten sie tatsächlich mehr als Nachmittagsaktivität am Anreisetag und natürlich zur Erkundung des Geländes im Hinblick auf die Neutouren.

Die Zervreilahorn SE-Wand mit dem Verlauf der Route Alphornklänge (6a).

Die ganze Geschichte begann mit organisatorischen und logistischen Hindernissen. Schlussendlich lief der Hase so, dass wir a) zuerst Jerome in sein Trainingslager verabschiedeten, wir dann b) zu viert nach Zervreila reisten und am Nachmittag die 'Alphornklänge' kletterten, sich danach c) Kathrin dem Heimweg und am Folgetag ihrer Arbeit widmete und d) wir zu dritt (Larina, Viktor, Marcel) nach einer Nacht vor Ort mit dem Bohrer in der Holy Smoke unterwegs waren. Das nächste Hindernis bestand mit dem Anmarsch zum Berg mit Unmengen an schwerer Ausrüstung - zum Glück war Kathrin dabei, welche die negative Tragebilanz der Tochter wieder halbwegs ins Reine zu bringen vermochte... auch Bikes hatten wir nur 3 Stück mitnehmen können, doch für den mehrheitlich abwärts führenden Hinweg konnte Daddy das Klettertaxi spielen (don't tell the police, though!). Auch die Schlepperei brachten wir mit noch frischen Kräften einigermassen zügig und ohne grosse Lamenti über die Bühne. Nichtsdestotrotz waren wir froh, auf dem Boden unter dem Zervreilahorn die schwere Last endlich deponieren zu können (nähere Infos zum Zustieg bis dahin, siehe hier).

Das Zervreilahorn in Griffweite - einfach jedes Mal ein erhabener Anblick!

Vom Depot gibt es nun 2 Möglichkeiten, zum Einstieg der 'Alphornklänge' zu kommen. Einerseits den üblichen Weg zum Wandfuss hinauf und dann durch das erste Couloir (normaler Zustieg zum NE-Grat) mit etwas leichter Kraxelei auf das SE-Wandband hinauf. Das Band muss dann nach links gequert werden, auch hier muss manchmal noch Hand angelegt werden, meist aber hat es Wegspuren, welche sich spätestens nach dem Einstieg der Braveheart jedoch verlieren. Nun weglos über etwas steilere Grasplanggen weiter nach links, bei Trockenheit kein Problem. Der Einstieg befindet sich bei den tiefsten Felsen, bei einer markanten Platte, ein BH mit Irniger-Lasche markiert den Start, angeschrieben war die Route im Sommer 2020 jedoch nicht. Alternativ (unsere Variante, eher besser und schneller) kann man vom Depot nach links queren, man ersteigt eine Moräne und folgt dieser, um schliesslich in der Falllinie der Einstieg von Braveheart und Maverik über Geröll an die Wand hochzusteigen. Die Stufe lässt sich da mit ein paar Kletterzügen gut bewältigen (zusätzlich Reepschnur und Fixseil vorhanden). Bald ist man auf dem Band und nach kurzer Linksquerung am Einstieg. Wir gingen die Tour in 2 Seilschaften an, Viktor und Kathrin kletterten vor uns, während ich mich mit Larina einband. Um 14.45 Uhr stieg ich schliesslich los.

L1, 45m, 5a: Zu Beginn stark geneigte Plattenkletterei, der eher abschüssig strukturierte, teils auch etwas sandige Fels und die nicht allzu üppige Absicherung erheischen aber trotzdem sorgfältiges Steigen. Weiter geht's über ein Art Pfeiler, zum Ende dann in etwas grasigem Gelände zum Stand.

Tiefblick auf die pfeilerartige Struktur in der zweiten Hälfte von L1 (5a).

L2, 45m, 5b: Zuerst ein steiler Auftakt an henkligem Fels durch eine gestufte Verschneidung, dann über einige Stufen hinweg in griffigem Gelände, trotz teilweisem Bewuchs eine schöne und genussreiche Länge, gut mit BH abgesichert.

Ausblick auf L2 (5b), die mit griffig-steiler Kletterei aufwartet.

L3, 35m, 5b: Hier quert man zuerst in einfachem Gelände stark nach rechts um die Ecke, bevor es dann an einer Verschneidung bzw. mehr in der liegenden Wand links davon aufwärts geht. Hier ist die BH-Absicherung eher knapp ausgefallen und mobile Sicherungen kann man zwar legen, die Placements dünkten mich aber nicht restlos überzeugend.

Darum waren wir gekommen! Ja, auch für die Tiefblicke, aber vor allem um die Wand von links her lesen zu können.

L4, 35m, 6a: In einem grossen spiegelverkehrten 'S' geht's weiter. Erst über eine Art Rampe aufwärts, dann griffig an einem Riss, der zu einem Graspodest leitet. Nun folgt die nominelle Crux der Route mit einer etwas kniffligen Traverse an einem feinen Riss in plattigem Gelände nach links, die sich aber schlussendlich doch recht easy auflöst und auch sehr eng mit BH abgesichert ist. Zuletzt noch 'gewusst wie' nach links zum Stand, originell auf einer Kanzel.

Familie Dettling in Aktion in L4 (6a). Mama zieht gerade einen (wenn nicht den) schwierigsten Move der Route, Daddy gerade zu Beginn der nominell schwierigsten Passage der Route und selbst die Tochter sieht man noch als kleines Pünktchen am Standplatz.

L5, 45m, 5c+: Nach links hinaus und fotogen die steile Wand hinauf, ein paar optimal platzierte Strukturen lassen dies ohne grosse Schwierigkeiten zu und die gut gesetzten BH lassen keinen Stress aufkommen. Danach wird das Gelände einfacher und gestuft, die Absicherung ist eher spärlich - Vorsicht, hier sind keine Fehler erlaubt!

Die fotogene Querung am Anfang von L5 (5c+), hinten das Furggeltihorn (3042m).

L6, 40m, 5c+: Der Auftakt über eine steile, griffige Stufe mit kleiner Verschneidung muss selber abgesichert werden. Kein grösseres Problem und auch nicht allzu schwierig, allerdings gleich über dem Standband, man sei sich dessen bewusst. Nun geht's über Bänder an eine steile Wandstufe heran, wo man in einen Piaz gelangen muss - dies fand ich fast die schwierigsten Moves der ganzen Route, zudem steckt der erste BH recht hoch und davor lässt es sich auch nicht ganz optimal sichern - Vorsicht!

Das Gelände am Anfang von L7 (5b) sieht imposant und schwierig aus, umso mehr wenn noch kein Kletterer so entspannt dasteht. Es löst sich aber alles sehr gut auf, Griffe, Tritte, ja ganze Bänder sind da und erlauben eine mühelose Passage.

L7, 50m, 5b: Eine vermeintlich schwierige Querung in kompaktem Gelände nach rechts oben steht nun an, jedoch sind die sehr griffigen Risse und Schuppen vom Stand nicht einsehbar. Schlussendlich geht's dann rechts neben einer grossen Verschneidung gerade hinauf zum Ausstieg, über ziemlich wildes Terrain mit abstehenden Schuppen, teils liegt auch loses Gestein herum. Gut machbar, trotzdem ist die nötige Vorsicht angezeigt, um keine Ware in die Tiefe zu senden.

Zum Ende hin (L7, 5b) wird das Gelände ziemlich wild und alpin, d.h. grosse abstehende Schuppen wollen erklommen werden, ebenso liegen sowohl grössere Blöcke wie auch kleinere Steine im gebänderten Gelände. Es ist einiges an Umsicht in Bewegung und Seilführung nötig, damit keine Steine gelöst werden. Immerhin ist der Standplatz unten ausserhalb der Schusslinie.

Um 17.45 Uhr hatte Larina als letzte unseres 4er-Trupps den Ausstieg erreicht, macht also gerade rund 3:00 Stunden für die Kletterei. Wir stiegen auf's Gipfelplateau aus, um noch ein wenig die Aussicht und die Abendsonne zu geniessen. Ab rund 16.00 Uhr war die Wand nämlich in den Schatten getreten und während es zwar nicht allzu kalt und gut erträglich war, so merkte man doch, dass die 3000er-Grenze nicht allzu weit entfernt war. Natürlich wollten wir über die Route abseilen, um so noch mehr Blicke ins Terrain, insbesondere in die nach links offenen Verschneidungen unseres 'Holy Smoke'-Projekts werfen zu können. Vom Ausstiegsstand geht's 50m runter zu einem routenunabhängigen Stand, der schon im Aufstieg von Stand 6 gut erblickt werden kann (Vorsicht, teils etwas 'gschüderigs' Gelände!). Nun sind es nochmals 50m direkt hinunter zu einem weiteren, routenunabhängigen Stand. Zumindest mit 2x60m reicht es ab da zu Stand 3 und mit einem Zwischenstopp bei Stand 1 retour an den Einstieg, d.h. 5 Manöver sind nötig. Vom Einstieg kann man einen weiteren Abseiler direkt hinunter ins harmlose Gelände unter der Wand ziehen (nur 1 BH mit dünnem Maillon vorhanden) oder man wechselt hinüber zum Fixseil, das vom Einstieg der Braveheart zum Abseilen genutzt werden kann.

Top of Zervreilahorn!

So hatte uns Terra Firma wieder. Für Kathrin stand nun eine längere Heimreise an, erst zu Fuss, gefolgt von einer ausgiebigen Velotour (das Valsertal und das Lugnez hinaus geht ja alles bergab, oder?) und der Fahrt nach Hause, was schlussendlich in einer kurzen Nacht resultieren sollte. Wir blieben zwar stationärer in der Lokation, allzu lange schlafen konnten wir aber auch nicht. Um 6 Uhr am nächsten Morgen war Tagwache, so dass wir pünktlich mit der 'Arbeit' am eigentlichen Projekt beginnen konnten. So viel sei jetzt schon verraten, unsere Erstbegehung gelang am Folgetag, im üblichen Zervreila-Semi-Trad-Stil konnten wir die Linie an einem Tag vollenden und erreichten spätabends den Gipfel. Sodann stand auch uns eine lange und anstrengende Heimreise bevor. Von den vielen mitgeführten Bolts hatten wir nur relativ wenig gebraucht und das Material verteilte sich beim Abstieg auf nur noch drei Schultern - läck so kaputt wie nach diesen 2 Tagen war ich schon länger nicht mehr! 

Wunderschöne Abendstimmung auf Zervreila!

Facts

Zervreilahorn - Alphornklänge 6a (5c obl.) - 7 SL, 300m - M. Illien, A. & S. Schweizer, D. Zürcher - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-2

Der vielleicht einfachste Wanddurchstieg am Zervreilahorn bietet schöne Kletterei, weitgehend im fünften Franzosengrad und steht darum auch weniger stark kletternden Akteuren offen. Trotzdem stellt die Route gewisse Anforderungen in Bezug auf Routenfindung und alpine Fähigkeiten. Die Absicherung mit BH ist an den schwierigen Stellen gut, in den einfacheren Passagen gibt es auch weitere Abstände. Teils ist die Absicherung auch etwas inhomogen, so dass der Vorsteiger im Bereich 5bc doch einigermassen souverän unterwegs sein sollte. An einigen Stellen kann/muss auch mit Cams ergänzt werden, ein Set von 0.3-2 reicht jedoch gut aus. Zu beachten ist auch, dass die Route teils Bänder mit losen Steinen quert und es einige lose Schuppen und Blöcke am Weg gibt. Mit dem nötigen Sachverstand kein Problem - aber wie erwähnt, Grundkenntnisse im alpinen Klettern sind hier schon nötig, ein reinrassige Plaisirroute für alpine Einsteiger ist es nicht. Das absolut empfehlenswerte Originaltopo kann man hier herunterladen (vielen Dank!), die Route ist auch im SAC-Kletterführer Graubünden verzeichnet (der jedoch die SE-Wand des Zervreilahorns leider mit diversen Fehlern behaftet beschreibt!!!) .

Donnerstag, 14. Juli 2022

Zervreilahorn - Nightcrawler (6c, 7 SL, Erstbegehung)

Jetzt ist es soweit: mit der Publikation von Nightcrawler wird unsere Neutouren-Trilogie in der Zervreilahorn SE-Wand definitiv abgeschlossen. Mit der Erschliessung der hier beschriebenen Route haben wir im 2020 begonnen und sie im 2021 abgeschlossen und mit der Rotpunkt-Begehung gekrönt. Wie ihre beiden Schwestern (oder Brüder ;-)) handelt es sich um eine Linie im Semi-Trad-Stil. Sprich, über weite Strecken kann und muss die Route mit mobilem Material selber abgesichert werden. Um diese Abschnitte in lohnender Kletterei miteinander zu verbinden führt die Route über einige Wandpassagen, welche ebenso wie die Standplätze mit soliden, rostfreien BH eingerichtet wurden. Viele eindrückliche Kletterstellen erwarten euch auch auf dieser Route, geht hin und geniesst es!

Erschliessung

Die Geschichte unserer Trilogie begann im Sommer 2019 mit einem langen Tag, an welchem wir die Maverik komplett begehen und einrichten konnten. Schon gegen den Herbst hin waren wir vor Ort, um die Maverik rotpunkt zu klettern. Danach blieb Zeit, um mit der ersten Seillänge unserer nächsten Linie, der Holy Smoke zu beginnen. Der Winter kam dazwischen, die Fortsetzung erfolgte im Sommer 2020, wo wir zusammen mit Larina an einem erneut sehr langen Tag die Holy Smoke bis zum Gipfel klettern konnten. Die noch offene Rotpunkt-Begehung holten wir uns Mitte September 2020. An diesem Tag hatten wir erneut das schwere Gepäck mit dabei, denn den Plan für eine weitere Linie links der Holy Smoke hatten wir bereits früher ausgeheckt und dazu wollte an diesem Tag bereits der Startschuss gelegt werden.

Immer wieder ein erhabener Anblick, das Zervreilahorn vom Ausgangspunkt bei der Kapelle gesehen.

Erschwert wurde dies vorerst einmal durch einen Regenschauer, den wir mehr schlecht als recht am Wandfuss aussitzen mussten. Tja, am Wandfuss des Zervreilahorns gibt's leider nicht üppig Überhänge und Grotten. Zum Glück war die Sache von relativ kurzer Dauer und die Radar-Animation gelobte für den Rest des Abends trockenes Wetter. Den logischen Einstieg in den Nightcrawler hatten wir bald gefunden, er war auch gut mobil abzusichern. Im oberen Teil der ersten Seillänge waren die durchaus vorhandenen Risse jedoch mit Vegetation gefüllt. Sollte es schnell und 'billig' entlang dieser vorwärts gehen? Oder war hier der Weg über die kompakten Platten mit BH-Absicherung und qualitativ hochwertiger Kletterei die logische Wahl? Wir erwogen die Argumente und entschieden uns gegen die grasigen Strukturen, auch wenn uns dies einige Bohrhaken kostete - im Rückblick war es der absolut richtige Entscheid. Nach zwei Seillängen ging uns das Tageslicht aus, in der schon dunklen Dämmerung seilten wir ab und kehrten in stockfinsterer Nacht nach Zervreila zurück.

Regenschauer aussitzen am Wandfuss nach dem RP in Holy Smoke und vor dem Start in Nightcrawler.

Zur Fortsetzung kam das Projekt erst nach einem weiteren Winter am 14. August 2021. Um 7.00 Uhr brachen wir wie immer mit den Bikes von Zervreila auf und hievten die schweren Säcke mit doppeltem Camset, Bohrer und ausreichend vielen Haken an den Einstieg. Um 9.00 Uhr hatten wir das Material sortiert und die Kletterfinken geschnürt, es konnte losgehen. Die erste Aufgabe bestand darin, die beiden bereits eingerichteten Seillängen zu klettern, ja nein so richtig zu geniessen und ihnen auch gleich einen Rotpunkt-Durchstieg abzuknöpfen. Bei Schwierigkeiten im 6b-Bereich gelang uns dies ziemlich mühelos und bald hatten wir die Vortriebsstelle erreicht, von wo es ins Ungewisse weiterging. Durch einen etwas versteckte, kaminartige Verschneidung liess sich eine steile Wand bezwingen, eine Wandpassage mit 3 BH brachte mich zu einem schönen Riss an den Fuss einer langen Verschneidung mit Splitter Crack im Grund, die wir schon von Weitem als die Ideallinie identifiziert hatten.

Start in den langen Erstbegehungstag am 14. August 2021 - hier auf den allerersten Metern in L1 (6a+).

So war's dann auch, ohne den Bohrer zu zücken liess sich dieses Prunkstück einwandfrei absichern und onsight klettern, so war bald der nächste, bequeme Stand am Fuss einer steileren Wandpartie erreicht. Der logische Weg zur Überwindung dieses Hindernisses war mit einer Verschneidung vorgegeben. Wie sich zeigte, war der zu Beginn vorhandene Riss bald geschlossen, die Seitenwände schienen sehr glatt und zudem machte ein hängender Block den weiteren Weg durch diese Struktur unangenehm. Einigen Henkeln sei Dank liess sich in der Wand rechts eine in jeder Hinsicht bessere Alternative finden. Zwei Bohrhaken mussten an dieser Stelle platziert werden, bald geht's jedoch wieder mobil sichernd weiter. Nach Platzierung der Bolts liess ich mich nochmals zum Stand ab, um die Seillänge gleich Punkten zu können. Sie brachte uns zu einer markanten Schuppe in einer orangen Wand, die wir auch schon vorab als ein Prunkstück unseres Projekts identifiziert hatten.

Die Kletterei an der cleanen Schuppe in L6 (6b) ist ein wahrer Leckerbissen dieser Route!

Genau so war es dann auch - die Schuppe bietet eine super kühne Linie, lässt sich komplett mobil absichern und ist ein richtiger Trad-Leckerbissen. Bei einer Schwierigkeit um 6b gelang uns auch hier die Onsight-Erstbegehung der Seillänge. Diese führt in einen gestuften Bereich unter dem finalen Wandabschnitt. Auch hier waren wir uns rasch einig: durch mässig attraktive Rinnen hätte man das Gipfelplateau zügig und einfach erreichen können. Doch wir wollten unserer Route ein richtiges Schlussbouquet verpassen und die attraktivst-mögliche Linie zum markanten Turm wählen. Etwas Kraxelgelände brachte mich an die Wand, welche wie erhofft so richtig gute Kletterei bot. Auch da liegt viel mobiles Gear, Wandstellen dazwischen erforderten allerdings die Installation von 4 BH. Da wir bis zu dieser Stelle alles gepunktet hatten, musste ich mich ranhalten. Eine Onsight-Erstbegehung der Länge war das Ziel. Dieses konnte ich gut erreichen, dank dem die Haken aus jeweils guten Positionen gebohrt werden konnten. Um 18.15 Uhr abends hatten wir es nach gut 9:00 Stunden geschafft - der Nightcrawler war geboren und sogar auch schon komplett gepunktet!

Geschafft! Auch die letzte Seillänge bietet nochmals tolle Kletterei mit steilem Riss zum Abschluss!

Wir gönnten uns eine gütliche Rast auf dem Gipfelplateau und machten Kassensturz über die verbrauchten Bohrhaken. Genau 17 Stück hatten wir auf den 7 Seillängen als Zwischensicherung verwendet und waren damit exakt im selben Rahmen wie in Maverik (18 Stück) und Holy Smoke (17 Stück) geblieben (als informative, nicht wertende Angabe sei erwähnt, dass in der Braveheart doppelt so viele Zwischenbolts vorhanden sind). Schliesslich machten wir uns dann ans Abseilen über unser Werk. Es gab noch diverse Verbesserungsarbeiten an den Standplätzen zu erledigen, an einigen Stellen nahmen wir Reinigungsarbeiten vor und bis die Route am Einstieg auch noch angeschrieben war, war es längst dunkel. Erneut bei Nacht schlichen wir zurück nach Zervreila, mit viel Zufriedenheit im Herzen. Über den Routennamen mussten wir aufgrund der beiden nächtlichen Rückkehraktionen nicht lange nachdenken, da waren doch einfach zwei richtige Nightcrawler am Werk :-)

Zustieg

Per Auto oder öV auf kurvenreicher Strasse von Chur via Ilanz nach Vals und weiter nach Zervreila zum Parkplatz bei der Kapelle (P.1984). Nun der mit Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten Schotterstrasse entlang ca. 2.7km zum Beginn des Wanderwegs nach Furggelti, dabei vernichtet man rund 130 Höhenmeter. Es ist sehr empfehlenswert, für diesen Abschnitt ein Bike zu verwenden. Die Zeitersparnis auf dem Hinweg beträgt ca. 30 Minuten, auf dem Rückweg ca. 15-20 Minuten. Dann zu Fuss dem Wanderweg entlang bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt.

Da kommt Vorfreude auf - euer Sack hoffentlich nicht ganz so schwer wie der mit Bolts und Maschine gefüllte des Autors ;-)

Die Pfadspur zum Zervreilahorn ist ganz am Anfang nicht sehr ausgeprägt, wird aber bald deutlicher. Sie verläuft später am Fuss des markanten, diagonal verlaufenden Felsbands - im Zweifel einfach in diese Richtung gehen. Man erreicht schliesslich den flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2420m und wenig später übers Geröllfeld den Fuss der Wand. Von dort auf Pfadspur links aufwärts und über den Graskegel zur Kraxelstelle, die aufs grasige Einstiegsband leitet. Auf diesem noch ca. 200m nach links, man passiert dabei die Einstiege von Medea, Nanouk und Braveheart. Ca. 25m links der letzteren befinden sich die angeschriebenen, unmittelbar beieinander liegenden Einstiege von Holy Smoke (links) und Maverik (rechts) auf einer etwas erhöhten Terrasse, ein Fixseil führt dahin. Man quert unterhalb davon durch, um ca. 35m links vom Braveheart-Einstieg den Start vom Nightcrawler (mit BH und Aufschrift) zu finden. Alternativ und einen Tick schneller kann man auch unterhalb der Wand gut begehbar übers Geröllfeld queren und erst hinten über die Stufe direkt zum Einstieg der Braveheart hinauf (Fixseil vorhanden). Unser totaler Zeitbedarf von der Kapelle bis zum Start der Route belief sich jeweils (mit Bike, zügiges Gehen, inkl. der Bohrausrüstung im Gepäck) auf ca. 1:15 Stunden. In der Literatur steht 2:30h, man kalkuliere also selbst.

In dunkler Nacht frisch gestrichen :-)

Routenbeschreibung

Zervreilahorn - Nightcrawler 6c (6b obl.) - 7 SL, 250m - Marcel Dettling, Viktor Wegmayr 2021

L1, 35m, 6a+: Der Einstieg ist mit einem einzelnen BH markiert und zudem angeschrieben. Über einige Stufen hinweg geht es, Cams in Querschlitzen platzierend, gegen ein Dacherl hinauf. Unterhalb von diesem befindet sich der erste BH. Hat man diese Zone passiert, so führt die Route nicht hinauf in die grasigen Risse, sondern zieht rechts hinaus in die plattige Wand mit ihren 'Grattons' (kleine Strukturen). Über einige Meter heisst es sorgfältig Moven, bevor die Schwierigkeiten nachlassen und man hinauf zu bequemem Stand auf einer Terrasse klettert.

Viktor folgt auf dem Plattenrücken in L1 (6a+), definitiv besser wie grasgefüllte Risse zu klettern!

L2, 35m, 6b: Auch hier entschieden wir uns für den direkten Weg. Entlang von einer wenig ausgeprägten Schuppe mit eher runden Griffen und dürftigem Trittangebot klettert man mit ziemlich kniffligen Moves über 3 BH, bis man in eine einfachere Zone entlassen wird. Die restlichen Meter im 5ab-Bereich bis zum Stand sind nicht das Filetstück der Route. Es steckt ein weiterer BH zur Orientierung, den Rest kann man gut mit Klemmgeräten absichern.

Viktor im Auftakt zu L2 (6b), der eher schwieriger zu klettern ist, wie es das Foto den Anschein macht.

L3, 35m, 6b: Achtung, links über die Platte mit gut sichtbaren BH führt die Route Alphornklänge. Der Nightcrawler führt gerade hinauf, der selber abzusichernden, kaminartig abstehenden Schuppe entlang. An deren Ende folgt mit BH gesicherte Wandkletterei, die dank ein paar Leisten super aufgeht. Nach der zweiten fixen Sicherung folgt man dem Pfad des geringsten Widerstands, d.h. nach links um die Ecke (weiterer BH). Auf einem Band angelangt, präsentieren sich zwei Risse. Der linke ist durchaus kletterbar und sogar einfacher wie der rechte, jedoch nur mässig gut absicherbar. Wir empfehlen ganz klar den rechten Splitter, der einige Jams erfordert und Cams in der Grösse 0.75 willig aufnimmt. Auf dem nächsten Band dann kurze Querung nach links zum Stand.

In L3 (6b) klettert man zuerst an einer kaminartig abstehenden Schuppe. Rechts am Bildrand führt übrigens die cleane L3 (6c) der Holy Smoke durch die Verschneidung, der Standplatz ist am rechten Bildrand sichtbar.

L4, 30m, 6b: Hier gibt es keine Fragen zum Routenverlauf - der kleinen Verschneidung geht's auf der ganzen Strecke entlang. Dank diverser Risse ist eine einwandfreie Absicherung mit ausschliesslich mobilem Material nötig. Nach genialer Turnerei erreicht man den nächsten Stand erneut auf einem bequemen Band.

Die tolle, cleane Verschneidung in L4 (6b) - Viktor auf Onsight-Erstbegehung :-)

L5, 30m, 6c: Steiler Auftakt, erst noch an Gear, dann zu BH. Nach diesem in Wandkletterei nach rechts aus der Verschneidung raus zu weiterem BH. Achtung, in der Verschneidung drin sitzt ein wackliger Block - diesen vorteilhaft nicht berühren (allerdings liess er sich von uns nicht entfernen, sein wahres Gefahrenpotenzial dürfte daher nicht sehr gross sein, zumal er gut erkennbar ist und nicht genutzt werden muss!). Man gelangt zu einem steilen Riss, der mit kleinem Gear mobil gesichert werden muss, v.a. der Fontainebleau-Mantle auf die nächste Terrasse ist ziemlich zwingend und erfordert etwas Zutrauen! Auf der Terrasse geradeaus zum nächsten Riss, ein paar Meter hinauf, dann horizontal nach rechts zur Rampe und hinauf zum Stand - das ist der günstigste und am besten absicherbare Weg (diese Stelle rechtsrum zu umgehen ist nicht empfehlenswert, Seilzug und schlechte Absicherung!)

Der obere Teil von L5 (6c) - herrliche, cleane, rissige Kletterei an orangefarbenem Gestein.

L6, 35m, 6b: Eindrückliche Passage, denn die Wand ist steil, die markante Schuppe wirkt sehr herausfordernd und es muss die ganze Länge mobil gesichert werden! Es stehen aber optimale Placements zur Verfügung und die besten Griffe sind genau da, wo es sie am meisten braucht. Es braucht aber zwingend grosse Cams (bis Grösse 3, Grösse 2 am besten doppelt). Ist man dem steilen Gelände einmal entstiegen, so halte man sich nicht fälschlicherweise nach links an den Abseilstand von Alphornklänge. Die richtige Station vom Nightcrawler befindet sich etwas rechts oberhalb von einer Stufe.

Geniale Clean-Kletterei entlang einer Schuppe durch die steile orange Wand in L7 (6b).

L7, 45m, 6b+: Über die Terrasse geht's an den Fuss der Schlusswand, welche vorerst mit interessanter Leistenkletterei wartet. Diese Stelle ist mir 2 BH gut gesichert, ob dem flachen Gelände darunter ist trotzdem Umsicht geboten. Nachher kommen die Cams wieder zum Zug, bevor ein weiterer kompakter Wandabschnitt bouldrig überwunden werden will. Über einen Block geht's heran an den finalen, orangen Turm. Athletische Moves führen an einen steilen Riss, der nochmals mobil gesichert wird. Der Stand befindet sich unmittelbar am Gipfelplateau. 

Herrliche Kletterei in L7 (6b+), abzusichern mit einem Mix von Bolts und Cams.

Abseilen

Hierzu gibt es verschiedene Optionen. Man kann direkt über die Route abseilen, allenfalls im unteren Teil mit Nutzung von Standplätzen der benachbarten Holy Smoke. Da viele der Seillängen gerade so um die 35m-Marke messen, kann man jedoch kaum Stände überspringen und braucht 6-7 Manöver. Alternativ kann man - und falls andere Seilschaften in der Route bzw. im Sektor sind sogar sinnvollerweise - über das Gipfelplateau zu grossem Steinmann absteigen und dort die Piste über die Fahnenroute bzw. Nanouk benutzen. Dort kommt man mit 2x50m-Seilen in 5 Manövern wieder auf den Boden und es ist sogar möglich, in 10x22m mit einem Einfachseil abzuseilen.

Blick aus der Wand zum Zervreilasee, mit einer Seilschaft am zweiten Stand von Maverik.

Material

Unverzichtbar ist 1 Set Cams 0.1-3, dazu 1 weiteres Set 0.3-3 und ein Set an kleinen bis mittleren Klemmkeilen. Im Topo haben wir angegeben, welche Grössen in welchem Abschnitt der Route bevorzugt zum Einsatz kommen. Wie immer sind solche Angaben natürlich ohne letzte Gewähr (à la "da steht 0.3-0.5, ich habe aber ein super Placement für einen 1er gefunden"), sondern mehr zur groben Planung und zur Vermeidung von bösen Überraschungen gedacht. Seile sind  2x50m nötig. Mit 10 Exen (wovon mind. 4 verlängerbare Alpine Draws) sollte man gut durchkommen, wenn man dort wo durch geraden Seilverlauf möglich/sinnvoll die Cams direkt und ohne Exe klippt. Risshandschuhe sind ab L3 durchaus bequem, wenn auch nicht zwingend erforderlich.

That's why we do weighted deadhangs - Gewicht vom Gurt auf Erstbegehung gegen 15 kg ;-)

Topo

Hier gibt's rein visuell Wandbild und Topo als Bilddatei, letzteres kann man auch als PDF runterladen. Zusätzlich gibt es auch ein PDF mit der Gesamtdokumentation aller 3 von uns erschlossenen Routen inkl. der Infos zu Zustieg und der Seillängen. Zuletzt der wichtige Hinweis: der Nightcrawler ist genau so wie Maverik und Holy Smoke nur dort mit BH gesichert, wo es keine mobilen Möglichkeiten gibt. Es müssen zwingend Cams gelegt werden, auch an schwierigen Kletterstellen, einzelne Seillängen sind sogar komplett clean. Kenntnisse und Erfahrung im Umgang mit mobiler Absicherung sind unerlässlich, ebenso wie die nötige Erfahrung fürs Klettern in alpinem Gelände. Ist beides vorhanden, ist die Route aber sehr gut gesichert und ein Genuss! Zu erwähnen ist auch noch, dass es sich beim Nightcrawler mit einer Bewertung von maximal 6c nominell um die einfachste unserer drei Routen handelt. Das erklärt sich v.a. durch die Absenz von bouldrig-kurzen 7a-Einzelstellen wie in L2 von Maverik und L1 bzw. L4 von Holy Smoke. Die Gesamtanforderungen der drei Routen sind ansonsten vergleichbar (wobei die Holy Smoke wohl das härteste Gerät darstellt).

Topo von Nightcrawler, für bessere Auflösung das PDF herunterladen!
Routenverlauf vom Nightcrawler.

Montag, 11. Juli 2022

Poncione di Ruino - Musique gaie pour un demain triste (7a)

In einem ersten Beitrag habe ich erklärt, wie wir an einem im Norden quellwolkigen Tag den Poncione di Ruino als formidables Kletterziel ausgewählt und die Via Danielli-Pohl als erste Route geklettert hatten. Am frühen Nachmittag waren wir zurück am Wandfuss und hatten noch gut Zeit, um eine zweite Route anzupacken. Attraktiv sind sie alle, in der Literatur wird die Musique gaie... aber in den höchsten Tönen gelobt, ebenso soll sie eine sehr gute BH-Absicherung aufweisen. Ein Check des Ladestands in Unterarmen und Bizeps gab für dieses Vorhaben grünes Licht und so konnte es nach wenigen Schritten des Dislozierens von unserem Sitzplatz zum Einstieg gleich losgehen.

Auf dem morgendlichen Weg zur bereits sichtbaren Wand des Poncione di Ruino.

Die Route beginnt unmittelbar links vom tiefsten Punkt der Wand und ist dort ziemlich unscheinbar mit blauer Farbe angeschrieben. Charakteristisch sind auch die BH-Laschen der Marke Eigenbau, wie man sie sonst nicht antrifft. In der Gegend von 14.00 Uhr waren wir wieder in die Finken geschlüpft und startbereit. Tja, das mit den Kletterschuhen ist so eine Sache. Ein neues Paar einzuklettern ist mir ein solcher Graus, dass ich dies auf nachlässige Weise weiter und weiter hinausgeschoben hatte. Plötzlich war es soweit, die alten Treter hatten ein massives Loch in der Sohle und taugten rein gar nichts mehr. Ein alternatives Paar gab's nicht und wie angenehm es ist, im Hochsommer mit neuen Finken auf MSL zu gehen, kann man sich ja vorstellen. Seit einigen Jahren nutzte ich ja ausschliesslich das Modell Python von La Sportiva. Um in dieser speziellen Situation über einen möglichst schnell bequemen und sensitiven Schuh zu besitzen, habe ich mir mit grossen Hoffnungen einen Satz Dragos von Scarpa angeschafft. Immerhin ging diese Strategie zu meiner vollen Zufriedenheit auf - bin gleich auf der ersten Tour ohne schmerzende Zehen und mit guter Sensibilität geklettert! Dass der Hersteller selber diesen Schuh mit einer Bewertung von 1/5 als nicht tauglich für MSL bezeichnet, ist dann allerdings eine Sichtweise ;-)

L1, 40m, 6c+: Gleich am ersten Aufschwung steckt ein BH unmittelbar neben einem perfekten Cam-Riss, was das Motto dieser Sportklettertour gleich von Beginn weg klarstellt. Interessant und genussreich zu beklettern sind schon die ersten Meter. Diese leiten über in einen eher plattigen Abschnitt, aber der Fels ist auch hier mit der nötigen Struktur gespickt. Wieder steiler und griffiger geht's an einer Art Pfeiler in die Höhe und man erreicht die Klimax am Schluss. Die Wand ist da deutlich überhängend, die Risse lassen sich vorübergehend nur mehr mit dem ersten Fingerglied greifen und das Trittangebot wird auch schmal. Athletisch und powerig geht's zur Sache, der Weg zum letzten BH ist auch einigermassen zwingend (perfekt gesichert aber, ideales Sturzgelände obendrein).

Kräftige Kletterei an schönen, ergonomischen Griffen zum Abschluss von L1 (6c+).

L2, 25m, 7a: Vom Stand sieht die folgende Passage in einer Ecke nicht nach der Crux aus. Es gibt Struktur für die Füsse, Griffe scheinen auch vorhanden und übermässig steil wird es nicht. Wir vermuten schon, dass die Schlüsselstelle erst in der plattigen Linksquerung am Ende der Länge wartet. Aber ich werde bald eines besseren belehrt. Die Sache ist nicht einfach wegzustehen wie es den ersten Eindruck macht, die Griffe sind zwar ok aber eher seitlich ausgerichtet und die Neigung ist deutlich auf der ungünstigen Seite der Vertikalen. Ich kann aber den erforderlichen Biss und die nötige Rési an den Tag legen und onsight passieren, yay! Schliesslich tauchen dann bessere Griffe auf, in der Mitte der Länge geht's sogar gut voran und während die Plattenquerung am Schluss durchaus nochmals Planung der Moves verlangt, so ist sie echt schwierig dann eben doch nicht.

Die plattige Querung am Ende von L2 (7a) verlangt nochmals etwas Aufmerksamkeit...

L3, 25m, 6b+: Eine tolle Seillänge, welche mit einigen Piazrissen aufwartet. Der erste folgt bald einmal nach dem Stand. Die Bolts stecken hier (sinnvollerweise) in gerader Linie - wer (indoor) gelernt hat, dass man seine Bahn nicht verlassen darf, der muss sich hier auf etwas einstellen ;-) Eine zweite Cruxy-Sektion folgt gegen das Ende hin. Jonas meint "ohne einen etwas mutigen Zug geht das nicht", was ich ihm im Nachstieg absolut bestätigen kann. Ganz am Ende folgt noch ein etwas längerer Hakenabstand, den man gerne mit einem Camalot 1 entschärft.

Fantastische (Piaz-)Risskletterei wartet in L3 (6b+).

L4, 25m, 6b+: Gegen ein Dächlein hinauf geht's los, dieses passiert man auf seiner rechten Seite, stets gutes Griffmaterial in der Hand haltend. Später folgen superschöne Splittercracks. Die sind so schön, dass es offenbar auch die Erschliesser als einen Frevel empfanden, BH zu setzen - an 2 Stellen ist es mehr oder weniger zwingend, einen Cam zum Einsatz zu bringen. Ich legte die Grössen 1 und 0.4, aber anderes Gear in ähnlicher Kragenweite bringt man sicher auch unter. Die Crux erfolgt dann etwas unerwartet gegen das Ende hin. Die Stelle sieht irgendwie banal aus und gibt einem den Eindruck, dass man sich bloss blöde anstellt... vielleicht war es ja auch so. Zu erwähnen ist, dass der Fels hier im Schlussabschnitt etwas flechtig ist, einer der wenigen kleinen Makel an dieser Route.

Auch ihm gefällt's am Poncione di Ruino!

L5, 20m, 6b+: Die Schlusslänge gehört eigentlich zur früher erschlossenen Nuovi Orizzonti, aber freiwillig weglassen tut die sicher niemand. Der Ausblick auf die orangene, rissdurchzogene Wand wird jeden Granitliebhaber mit Vorfreude erfüllen. Gut, Traditionalisten werden wohl durch die zahlreichen Bolts abgeschreckt, wenn es doch auch clean ginge... Item, gleich aus dem Stand wartet ein etwas heikler, trittarmer Piaz-Schritt - nachher geht's beständig kräftig und ausdauernd, aber nie wirklich schwierig voran. Je nach Fitnessstand ist sind die einen möglicherweise froh darüber, dass das Ende der Wand und damit der Stand bald schon kommt, die anderen werden es eher bedauern.

'Stupenda la fessura dell' ultimo tiro' - einfach auf's Bild schauen, dann kann man das auch ohne Italienischkenntnisse übersetzen. In L5 (6b+) zündet die Route nämlich noch ein richtiges Abschlussfeuerwerk, einfach genial!

Noch vor 16.30 Uhr und somit nach ca. 2:15h Kletterei waren wir am Top - wow, das hatte sich nun wirklich sehr gelohnt. Daselbst gibt's aber nicht viel zu holen, Food & Getränke waren auch am Einstieg geblieben, somit haben wir gleich die Seile eingefädelt. Das Abseilen geht ob der steilen Wand schnurstracks vonstatten, in 3 Manövern ist man zurück auf dem Boden (5 -> 3 -> 1 -> Boden). Bei nach wie vor bestem Wetter und schönstem Sonnenschein packten wir mit aller Ruhe unsere Sachen und liefen dann ohne jede Eile zurück ins Tal. Erst da wurde uns bewusst, wie weit die Wanderung an den Einstieg doch eigentlich gewesen war. Schliesslich kam der Talgrund dann doch näher und das ersehnte Tourenabschlussgetränk stand in der Beiz in All'Acqua auf dem Tisch. Ja, das war nun ein richtiger Knüller gewesen, das Meteostudium und die daraus resultierende Gebietswahl hatten sich voll ausbezahlt. Besonders freute mich auch, dass ich an diesem Tag wieder so richtig den Flow beim Klettern gefunden hatte. Auf den zuletzt sehr schwierigen MSL (1,2,3) war dies doch eher weniger der Fall gewesen. Und das Mojo ist beim Alpinklettern eben schon sehr zentral - man merkt es jeweils erst, wenn es nicht mehr so wirklich da ist. 

Facts

Poncione di Ruino - Musique gaie pour un demain triste 7a (6b+ obl.) - 5 SL, 140m - Devanthey/Monnet 1996 - ****;xxxx

Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-1

"Wenn diese Route doppelt so lang wäre, so würde sie mit Sicherheit zu den Top Ten der MSL-Routen in der Schweiz gehören" konstatierte mein Seilpartner Jonas am Ende der Schweiz. Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Die athletische Granitkletterei in bestem Gestein ist wirklich herausragend schöne. An Rissen, Slopern und Leisten geht's mit abwechslungsreichen Moves in die Höhe, oft heisst es sich geschickt zu Platzieren und auf die Füsse zu stellen. Der einzige Makel den die Route hat ist tatsächlich, dass sie nach nur 5 Seillängen schon zu Ende ist. Somit heisst es dann halt Abseilen und in einer der benachbarten Touren erneut anzugreifen. Die Musique gaie... trumpft mit einer prima BH-Absicherung auf. Dort wo die Kletterei schwierig ist, stecken die BH +/- klettergartenmässig. Hier und da könnte man Cams platzieren, so wirklich nötig erschien uns dies nur in L4, wo es an zwei Splitter Cracks längere Abstände gibt, die man fast mobil sichern muss. Ich legte da die Cams 0.4 und 1, anderes Gear in ähnlicher Grösse findet aber sicher auch Unterschlupf. Daher die Materialempfehlung für ein Set Cams 0.3-1. Zu erwähnen ist, dass leider nur verzinkte Dübel (mit rostfreien Laschen) stecken. Dank dem sauberen, praktisch vegetationsfreien Fels sehen sie trotz Baujahr 1996 (zumindest äusserlich) noch gut im Schuss aus. Auch die Standketten sind von Marke Eigenbau und sehen eigentlich solide aus. Sollte allerdings eine der Schweissnähte versagen, welche bei diesem System sicher die Schwachstelle sind, so gäbe es konstruktionsbedingt leider keine Redundanz. Aber es wird ja schon halten... Ein Topo zur Route findet man im SAC-Führer Tessin, im Extrem Sud oder im Topoguide Band II.