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Montag, 8. Mai 2023

Bodio / Pilastro Sovriano - Dharmacakra (7b)

Der Pilastro Sovriano, wenige Minuten oberhalb von Bodio in der Leventina, ist das aus dem Norden am schnellsten erreichbare MSL-Gebiet mit Routen oberhalb vom Plaisirbereich. Trotzdem wird da nur selten geklettert. Das liegt möglicherweise daran, dass die Dharmacakra erst 2019 erschlossen wurde und noch wenig bekannt ist. Der Moloch gleich nebenan wurde zwar schon 2008 eröffnet, hat aber wegen seiner knappen Absicherung und den sehr zwingend gehaltenen Schwierigkeiten einen zweifelhaften Ruf erlangt, welcher sicher viele Aspiranten abschreckt. An einem Tag mit nicht einwandfrei klarer Wetterlage, dem vorösterlichen, potenziellen Chaos auf den Strassen und dem Wunsch nach einer zeitigen Rückkehr war der Pilastro für uns das richtige Ziel. Kam hinzu, dass es inzwischen April war, wo die Wand auch vernünftig lange an der Sonne steht - in den Wintermonaten ist es nämlich nur ein kurzes Zeitfenster von 2-3 Stunden.

Unmittelbar in der Nähe des Dorfes Bodio kann man diese anspruchsvolle MSL klettern.

Der Zustieg ist sehr simpel, von Norden kommend eingangs Bodio links abzweigen in Richtung Tennisplatz und Vita Parcours. Nun entweder die öffentlichen Parkplätze da nutzen oder gemäss Skizze im Kletterführer auf einer Naturstrasse links um die Tennisplätze herum zu einer Wiese unter den Wänden. Der Bergweg bringt einen in knapp 10 Minuten zum Klettergarten, welcher durchaus auch einen Besuch verdient hätte. In den steilplattigen, bestimmt technisch anspruchsvollen Touren könnte man sich gut das Rüstzeug für die Tessiner MSL holen. Nachdem wir das dortige Angebot studiert hatten, zogen wir (mit einem gewissen Zögern meinerseits, ich hätte mich mit dem Sportklettern gut anfreunden können) am Wandfuss nach rechts hinaus. Die Trittspur war gut erkennbar und entgegen der Angabe im Topo auch erfreulich wenig überwuchert - das liegt aber möglicherweise daran, dass die Vegetation nach dem Winter erst gerade wieder zu spriessen begonnen hat. Nach der Überquerung einer Bergsturzzone (no problem) geht's nochmals kurz ein paar Meter aufwärts. Der Moloch ist gut sichtbar angeschrieben, die Dharmacakra beginnt in globo am selben Ort (konkret: 1.5m rechts), ihre Aufschrift ist schon reichlich verblasst. Ein paar Minuten nach 10.00 Uhr waren wir bereit und stiegen ein.

Hier (bzw. 1.5m rechts davon) geht's los, auch wenn wir nicht den Moloch geklettert haben.

L1, 35m, 6c: Die Route beginnt am überhängenden Riss in der kleinen Grotte am Wandfuss. Dessen Logik erschliesst sich durch die Tatsache, dass das weniger steile Gelände unmittelbar links bereits durch den Moloch besetzt ist. Wobei, das muss man sagen, sich der Riss wirklich cool klettert und einen gleich mal aufweckt. Was man auf den ersten 20m hingegen vergeblich sucht, sind BH - weder in der Dharmacakra noch im Moloch stecken zu Beginn welche. Selber legen ist Trumpf, was auf den ersten Metern zwar nicht beliebig, aber doch vernünftig möglich ist. Die Dharmacakra zieht dann auf die Rampe rechts, links an der Verschneidung hilft ein sehr dünner Riss bei Fortbewegung und Absicherung. Tja, hier kann man sehen, "was das Leben einem Kletterer wert ist". Viktor steckte hier seine ganze Habe von 5 Microcams, plus Keile und weitere (grössere) Gerätschaften in die Ritzen - das zeigt exemplarisch, dass man a) in diese Pieces irgendwie nicht restloses Vertrauen hat, b) die Kletterei mit marginalen Griffen und den Füssen auf der leicht moosigen Platte tricky und etwas unsicher ist und c) ein 10-15m Bodensturz mit Einkratern in der Blocklandschaft am Einstieg wegen Ausreissen der mobilen Sicherungen ein distopisches Szenario darstellt ☠. Aber gut, zum Klettern ist es nicht mal so extrem schwierig (aus Sicht des Nachsteigers ca. 6b). Auf 20m Höhe folgen dann kurz hintereinander 2 BH und eine schwierige Plattenstelle, meiner Meinung nach die Crux der Länge. Der extrem körnig-raue Gneis bietet hervorragende Reibung, welche aber zwingend zu nutzen ist. Zum Ende folgen dann 10m an athletischem Finale, auch nochmals im 6c-Bereich, wo es vor allem die richtige Beta zu erkennen gilt.

Die rampenartige Verschneidung in L1 (6c), welche an dünnen Rissen mobil abgesichert werden muss.

L2, 25m, 5c: Nach diesem herben Auftakt geht's zwar für eine ganze Seillänge komplett ohne BH, aber trotzdem viel gemütlicher weiter. Man folgt der geneigten Rampe nach rechts, der Spalt zur Hauptwand lässt das Versorgen von Gerätschaften zu. So spaziert man, bis es um die Ecke geht und man kurz darauf die (noch weiter nach rechts ziehende) Rampe verlässt und den breiten Riss gerade hinauf wählt. Auch der klettert sich gutmütig, am meisten stört das an einer Stelle (schon wieder) heftig wuchernde Gebüsch. Immerhin ist es so solide, dass es auch als Griff dient, so ist bald darauf der eher unbequeme Stand erreicht.

Blick auf die Rampe zu Beginn von L2 (5c).

L3, 30m, 7b: Die Fragezeichen bestehen hier nicht in der absolut klar gegebenen Linienwahl, sondern viel mehr darin wie gut bzw. ob überhaupt das (frei) kletterbar ist. Markante Rissspuren leiten zu und über ein ca. 2m ausladendes Dach, wo man erst mal drüberkommen will. Bis unters Dach geht's fast unerwartet easy, auch die geduckte Querung unter diesem zur Schwachstelle rechts macht schlussendlich keine grossen Probleme. Sich am Riss nach aussen zu hangeln ist zwar schon athletischer aber auch noch 'manageable'. 

Blick auf L3 mit dem Crux-Dach (7b), der einzige BH der Länge im Bildzentrum sichtbar.

Dann klippt man den ersten und einzigen BH der Seillänge und sieht sich mit dem Boulderproblem konfrontiert. Schon vom Stand aus lässt sich trefflich über die verschiedenen Herangehensweisen diskutieren und selbst wann man in der Ausgangsposition hängt, stehen noch immer alle Optionen offen. Die spannende Frage, welche davon gehen und welches die 7b-Lösung ist, wird an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet 😎. Auf jeden Fall, wer das Onsight klettern will, muss das nötige Gespür und auch noch reichlich Power haben. Kletterbar ist's aber, ich hab's frei geschafft. Für den Vorsteiger kommt die wahre Crux aber danach. Die dünne Doppelrissspur ist erneut nur mit kleinen Cams und Keilen absicherbar, welche einem nicht so wirklich das Gefühl geben, hier bedenkenlos grössere Flüge hinlegen zu können. Noch dazu sind 2-3m echt knifflig im 6c+/7a-Bereich zu klettern, bevor es wieder nachlässt und der Riss einfacher ausläuft.

Der Riss in L3 (7b) ist gut geputzt, aber knifflig (nicht dieser letzte Teil im Bild jedoch).

L4, 30m, 6b: Einfacher bewertet, aber auch nicht nur ein Giveaway. Gleich zum Auftakt gibt's Piazerei an (erneut) dünner Rissspur. Trotz einem BH zu Beginn heisst es wieder kleines Gear zu platzieren und dann entweder nicht zu fliegen oder darauf zu vertrauen, dass dieses halten würde. Sonst hätte das Band gleich unterhalb locker das Potenzial, für ein frühzeitiges Saisonende zu sorgen. Man biegt dann über eine Wandstufe um die Ecke, dieser Teil ist einfacher zu klettern und mit 3 BH prima geboltet. Nach einer steilen, aber sich prima auflösenden, cleanen Verschneidung wartet noch ein letzter Moving-Boulder (mit BH) auf's Stand-Ledge.

Auftakt-Piaz-Crux in L4 (6b), trotz BH nicht unbedenklich wegen Sturz auf den Absatz.

L5, 30m, 6c: Über zwei, drei Stufen, die aber an griffigen Rissen lässig zu klettern sind, gewinnt man hier den ersten Teil der Seillänge ziemlich mühelos - selber absichern geht auch ganz ordentlich und so kann man den Fokus auf die von unten wahnwitzig scheinende Abschlussplatte legen, die mit 4 BH bestens eingerichtet ist. Aus der Nähe zeigt sich dann, dann die vertikale Wand recht gut mit Leisten bestückt ist. Trotzdem, etwas Athletik und weite Moves sind wiederholt nötig, womöglich ist auch Körpergrösse hier kein Nachteil. Noch dazu sollte man sich hier nicht in mögliche Sackgassen locken lassen, dann steht dem Durchstieg nichts im Wege.

Blick auf L5 (6c) mit der kühnen Abschlussplatte. Aber es hat BH und auch die nötigen Leisten.

Um ca. 15.00 Uhr hatten wir nach fast 5h Kletterei endlich das Top erreicht 🤯 Tja, so kommt es wenn a) keine BH stecken und man b) endlos mit kleinem Gear basteln muss, weil c) die Schwierigkeiten zu hoch sind, um im Komfortmodus easy drüberzusteigen und d) die Konsequenzen bei einem Sturz grob wären. Wobei es gesagt sei, dass wir für L1 und L3 sicher über 3:30h verbraten haben, während der Rest problemlos über die Bühne ging. Meinereiner habe ich beim blossen Anblick von L1 gerne Viktor das scharfe Ende überlassen... Aus meiner Perspektive, nichts gegen das Klettern an mobilen Sicherungen an sich, aber ewig zu Basteln, dem Zeug doch nicht restlos zu trauen und dann im Survival-Mode zu klettern (in Gelände, das eigentlich zu schwierig ist für solches) ist eher weniger nach meinem Gusto - langsam kommt vielleicht das Alter, wo sich diese Sicht durchsetzt, bevor man schon mittendrin steht und nicht mehr zurück kann. Und eines ist sicher, diesbezüglich war meine Einschätzung vom Boden absolut korrekt. Nun ja, einem motivierten Partner und meiner Geduld sei Dank gibt es unsere Begehung und diesen Bericht der Tour trotzdem, wäre 2x Marcel vor Ort gewesen, hätte sich die Seilschaft wohl umgehend auf den Rückweg in den Klettergarten gemacht.

Vista auf Bodio (im Vordergrund) und in die Riviera - trotz nähe zur Autobahn ganz OK.

Schliesslich warfen wir die Seile aus und glitten zurück gen Tal. Den ursprünglich einmal ins Auge gefassten Plan, nach dem Motto "wenn schon denn schon" auch noch den Moloch zu klettern, hatten wir da längst über Bord geworfen - das lag schon nur aus Zeitgründen nicht mehr drin. Da aber einerseits die Beschreibung im SAC-Kletterführer Tessin auf ein Abseilen über diese Nachbartour hindeutet und wir uns diese berüchtigten Runouts so einmal aus der Nähe hätten anschauen können, schien die Linie der Wahl gegeben. Allerdings nur, bis ich an der ersten Station einen indisponierten Stand mit verrotteter Schlinge und ultra-rostigem Schäkel antraf. So wählten wir lieber auch für das Abseilen die Dharmacakra, was in 3 Manövern (5 -> 3 -> (2 oder 1) -> Boden) mit 2x50m-Seilen zügig erledigt ist. Dann machten wir uns (ich mit dem subjektiv doch leicht schalen Gefühl an diesem Tag etwas vorschnell die Flinte ins Korn geworfen und zu wenig Kampfgeist gezeigt zu haben) zurück auf den Weg Richtung Norden - schliesslich war sowieso meine zeitige Rückkehr zur Mithilfe oder zumindest Präsenz beim Büffeln für eine Lateinprüfung gefragt. Immerhin gibt's als Multitasking-Byproduct nun ziemlich zügig einen Bericht und sogar ein schematisches Topo zur Tour 😁

Facts

Bodio / Pilastro Sovriano - Dharmacakra 7b (6c obl.) - 5 SL, 150m - M. Pagani 2019 - ***;(xx-xxx)
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, 1 Satz Microcams (ca. 5 Stück bis Grösse 0.2), 1x 0.3-4, Keile

Talnahe, rasch zugängliche und anspruchsvolle MSL-Kletterei, welche über einen signifikanten Teil des Parcours mobil abgesichert werden muss. Das ist nach unserem Empfinden nicht stets optimal möglich und erfordert zwingend den Einsatz von Microcams und Keilen, welche in genügender Anzahl mitgeführt werden müssen (optimal wären wohl TCUs mit einem möglichst schmalen Kopf). Weil zudem auch die Placements an diversen Orten eher dünn sind und nach unserem Empfinden nicht 'Bomber Gear' liegt, hat die Sache durchaus einen ernsten Anspruch. Echte Tradsters oder sonstige Unerschrockene mögen das problemlos finden, für meine Gemütslage und Risikobereitschaft wäre je ein zusätzlicher BH in den neuralgischen Zonen von L1 und L3 jedoch Gold wert. Die mit BH gesicherten Passagen sind mit Inoxmaterial auf Niveau xxxx geboltet, insgesamt kommt man jedoch wegen den mobilen Passagen (je nach Einschätzung derer Zuverlässigkeit) nur auf xx-xxx. Auch der vom Erschliesser vorgeschlagene obligatorische Grad von 6b dünkt uns zu tief. Stimmt de fakto vielleicht, wenn man in den kritischen Passagen alles an den eher wackligen Cams und Keilen technisch macht, nach unserem Empfinden sollte man aber besser mit einer 6c obl. Erwartung an die Sache rangehen. Die mittleren und grossen Klemmgeräte sind im Vergleich zum kleinen Gear viel weniger wichtig. Trotzdem, einen Satz muss man mitführen. Grösse 4 ist schon einsetzbar, schien uns aber nicht zwingend. Nähere Infos im SAC-Kletterführer Tessin, äquivalent dazu das hervorragende Topo des Erschliessers oder meine schematische Skizze.

Schematisches Topo zu Dharmacakra am Pilastro Sovriano in Bodio.

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