- -
Posts mit dem Label Tessin werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Tessin werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Dienstag, 5. August 2025

Pizzo d'Eus - Va Pensiero (7b+)

Nach unserem letzten Besuch am Pizzo d'Eus für die Vai con gli Amici hatte ich schon beinahe meine MSL-Ausrüstung verkauft. Denn das war ein haarsträubendes Unternehmen gewesen und irgendwann ist der Zeitpunkt da, wo man seine alten Knochen zu schonen wissen muss. Da mag es schon fast paradox erscheinen, dass ich nur zweieinhalb Monate später schon wieder den Weg ins Val Carecchio antrat. Doch das Tessin bot wettermässig die einzige Möglichkeit an diesem Tag. Zudem sollte die hier beschriebene Va Pensiero besser abgesichert sein und laut Kletterführer auch eine der schönsten MSL im Tessin. Stimmt das?!? Naja, einige Seillängen sind super, andere weniger super und die 7b und 7b+ Längen sind einfach brutal hart. So hart, dass wir stark daran zweifeln, dass die vergebenen Grade korrekt sind.

Mit einem Wandfoto ist es am Pizzo d'Eus schwierig, wenn die Vegetation schon in voller Blüte ist, erst recht. Darum gibt's an dieser Stelle ausnahmsweise kein Bild mit dem Routenverlauf, sondern es werden die Steinhütten der Siedlung Eus gezeigt. Diese bekommt man jedoch nur auf dem Fussabstieg vom Gipfel zu Gesicht.

Will man als Alpennordseiten-Bewohner in einer Tagestour am Pizzo d'Eus klettern, so geht es nicht ohne frühes Aufstehen ab. Noch sehr übernächtigt schälte ich mich um 4.45 Uhr aus dem Bett, um ca. 8.30 Uhr starteten wir schliesslich mit dem Zustieg. Dieser hatte sich noch verzögert, weil wir dummerweise ohne Exen auf dem Parkplatz oberhalb von Lavertezzo standen. Anstatt dass ich es selbst getan hätte, hatte Kathrin hatte die nach dem Sportklettern am Vortag in ihren Rucksack gepackt und dort waren sie noch immer. Immerhin, mit dem Zusammenklauben von allem was in meinem Haulbag und sonst im Kofferraum an Seilresten und Karabinern verfügbar war, hatten wir schlussendlich ein genügend umfangreiches Set beisammen und konnten uns an den Zustieg machen.

Das Foto ist von L5 (7b), soll aber hier unsere Bastelarbeit zum Generieren von ausreichend vielen Exen aus Seilstücken, Schlingen und allerlei Arten von alten Karabinern repräsentieren. Das erste Hindernis auf dem Weg zum Erfolg war so aus dem Weg geräumt.

Eine Flussüberquerung trockenen Fusses schien uns im Mai 2025 schon im Vornhinein unrealistisch. Das bestätigte sich absolut, die Kneippkur im kalten Wasser war unumgänglich. Immerhin stand der Fluss nur mässig hoch und die Strömung war gering, einen Zeitverlust im Vergleich zum Steine hüpfen wie im Winter muss man trotzdem kalkulieren. Wie gewohnt nahmen wir die Abkürzung via Cürt. Mit der spriessenden Vegetation herrschte auf dem ganzen Weg bis zum Wandfuss eine unglaubliche Zeckenplage. Nonstop mussten wir Dutzende dieser Viecher vom Körper entfernen. Nach einer Pause und (da wir auf einen Fussabstieg setzten) dem Anlegen von einem Depot wurde es ca. 10.40 Uhr, bis wir mit der Kletterei starteten. Um den harten Kaltstart in der originalen L1 zu vermeiden, setzten wir für die zugänglichere Variante weiter links. Zwei andere Seilschaften hatten mir von einer ausführlichen A0-Übung in der eigentlichen Startlänge berichtet, da war ich nicht so scharf darauf, diese zu replizieren. 

Zweites Hindernis: obligatorische Kneippkur beim Überqueren des Riale di Pincascia

L1, 45m, 6b (Variante Gege): Sehr schöne Slab mit coolen Strukturen. Die Seillänge ist mit nur 8 BH eher distant gebohrt. Im einfachen Gelände heisst es Marschieren und auch die Crux verlangt hier ein gewisses Committment.

L2 & L3, 40m, 6a (Variante Gege): Auch hier findet man auf der Platte zu Beginn fantastische Strukturen, es handelt sich um eine easy 6a. Man kommt dann zum Stand und kann die nominelle L3 gleich problemlos anhängen. Auf einem Band quert man horizontal nach rechts, klettert an einem antiken Stand vorbei und bewältigt noch eine Wandstelle zum korrekten Stand der Va Pensiero. Eine 6b findet man auf diesem Abschnitt definitiv nicht.

Das Foto gibt stimmungsmässig deutlich mehr her als die "easy 6a" von L2 & L3.

L4, 25m, 6c: Coole und originelle Seillänge. Zuerst geht's entlang einer Fuge nach links, dann kräftig hinauf und zuletzt mit einem Runout (Pendelgefahr im Nachstieg) wieder nach rechts zurück. Insgesamt eine sehr pumpige Sache, wir meinen eher 6c+/7a.

Kräftige Kletterei, erst nach links und dann wieder nach rechts zurück in L4 (6c).

L5, 25m, 7b: Geile und ultrapumpige Seillänge! Zuerst geht's mal knifflig mit einem slabby Boulder aus dem Stand raus. Dann kommen in der athletischen Rechtsquerung zwar mehr oder weniger durchgehend akzeptable Griffe. Aber es ist sehr anhaltend und die Schwierigkeiten nehmen zu. Die Länge ist dicht gebohrt, trotzdem ist es oft recht unklar, was die beste Beta ist (untenrum, obenrum?). Matteo della Bordella hat mir geschrieben, dass er die Länge bei der Erstebegehung mit 7b+ bewertet hätte. Fände ich passender wie 7b. Ich konnte mich bis ca. 2/3 durchkämpfen, dann war der Tank aber leer. Ob ich es im Zweiten einfach so gezogen hätte. Ich zweifle... und bei einer echten 7b in diesem Style gibt es da keine Fragezeichen. 

Das Foto ist wenig repräsentativ für die ultrapumpige L5 (7b). Aus dieser Perspektive habe ich mir erst auch noch gedacht, dass dies wohl nicht so schwierig wäre. Doch schon nur vom Stand in die Position des Akteurs zu kommen erfordert einen taffen Slab-Boulder. Und mit den guten Griffen ist es danach dann bald einmal fertig...

L6, 30m, 7b+: Ganz anderer Charakter, die initiale Crux ist "heinous", d.h. ein bockharter, trittarmer Boulder an feinen Leisten auf Gegendruck, noch dazu sollte man mittendrin auch noch klippen (wie?). Diese Stelle konnten wir nicht freiklettern, ich meine im Minimum 7A bloc, möglicherweise auch mehr. Danach länger im 6c/7a-Bereich über tolle Strukturen, erst das Finish ist dann henklig-easy. Nach der Mitte befinden sich 2 BH recht neben der einfachsten Linie.

Schönes Ambiente im einfachen Finish von L6 (7b+).

L7, 50m, 6c: Eine affengeile Seillänge mit tollen Strukturen und Moves in ihrem ersten Teil. Ein Abschnitt in der Mitte ist wohl länger nass und kurz etwas dreckig - wenn trocken, stört das aber kaum. Das Finish dann einer Schuppe im Trad-Style (Cams zwingend!). Insgesamt eine easy 6c, auch das gibt's hier also. Achtung Seilzug!

Genuss mit Blick bis nach Lavertezzo am Ende von L7 (6c).

L8, 40m, 6a+: Tiefe Bewertung, aber nicht so leicht verdaulich. Zuerst reibungslastig, wobei es schwierige Stellen deutlich über dem Haken gibt, wo man unweit von der Haftgrenze dem Gummi einfach vertrauen muss. Es geht dann (für den Grad alles andere als einfach) über ein Dächli auf die Slab, welche zum Band hochführt. Dieser Teil ist tatsächlich easy (ca. 5a). Dafür stecken keine Bolts. Sofern trocken ok, doch leider sifft es hier häufig. Für uns ging es (nach einer durchaus trockenen Periode) grad so zwischen den Rinnsalen durch. Wenn es grossflächiger nass ist, kommt man da nicht hoch.

Plattige Kletterei mit weiten Hakenabständen charakterisiert L8 (6a+).

L9, 35m, 7b+: Was kann ich sagen?!? Es sieht abschreckend aus und klettern tut es sich nicht viel besser. Über die ersten 4 BH brutal kräftiger Gegendruck auf strukturloser, sandiger Wand. Ich meine, von BH #1 zu #2 min. 7A bloc und die Stelle von #3 zu #4 min. 7B bloc, jedenfalls deutlich oberhalb meiner Möglichkeiten. Wie meine Abklärungen im Nachhinein ergeben haben, wurde diese Länge ursprünglich (zuerst von MdB, danach von Erschliesser FF) nur als 7b+ mit 1pa an #3 gepunktet. Später ist das 1pa aus den Topos verschwunden, warum ist nicht ganz klar. Dem Vernehmen nach wurde sie vom starken Tessiner Nick Vonarburg befreit. Aber, und da bleibe ich dabei: für 7b+ ist das nie und nimmer zu haben. Jedenfalls: nach diesem harten Boulder geht's direkt in einen kolossal grasigen Riss, wo man sich durchs Gebüsch zu kämpfen hat (Cam #3 zwingend!). Einige Meter höher ist der Fels wieder sauber, wenn auch etwas sandig. Es wartet anspruchsvolle Wandkletterei, wobei einige der Schuppen ziemlich dumpf tönen (der Kleber, mit welchem sie befestigt waren, hat leider seinen Dienst quittiert). Zum Ende wartet dann noch eine cleane Untergriffschuppe mit tricky Exit (Cam #2 & #1 zwingend), gefolgt von einer Plattenstelle, wo sich jeder wünscht, einfach noch ein paar Dezimeter mehr Reichweite zu haben (oder die Beine ein paar Grad mehr spreizen zu können). Hinweis: der Teil ab der Grasinsel nach BH #4 ist ca. 7a (und davor heisst's für die meisten wohl A0, auch das ist nicht so easy).

Im Vordergrund die Crux der Route, an deren Ende heisst's ab durchs Gebüsch: L9, 7b++???

L10, 50m, 6c+: Fängt hart an mit einem Mantle und danach einer kniffligen Querung auf Reibung. Die Absicherung ist an sich schon gut, aber die Moves sind zwingend und es gibt irgendwie doch ein ungeschmeidiges Abschmierpotenzial. Die 6c+ passt vielleicht schon, aber halt von der plattig-harten Sorte und im Kopf muss es auch stimmen. Die zweite Hälfte ist deutlich einfacher, und aufgrund der spärlichen Absicherung nicht so einfach zu finden. Der Verlauf tendiert eher etwas nach links. Achtung Seilzug!

L11, 35m, 6a+: Flechtig ist bei dieser Seillänge nur der Vorname! Hat eher den Charakter von einem Überführungsstück Richtung Top, genussreich ist die Kletterei nicht. Auch nicht wirklich schwierig und wenn es sich so anfühlt, dann am ehesten wegen der ungewohnten Unterlage und dem spärlichen Bolting. Kleine und mittlere Cams können etwas Abhilfe schaffen. 

Wildes Ambiente in der sehr flechtigen L11 (6a+).

L12, 25m, 7a: Nein, billig kommt man nicht zur schon nahe wirkenden Wandkante. Sondern es geht mit einem Schlussbouquet durch die rutschig-glatt-flechtige, leicht überhängende Wand mit gerade ausreichend kleinen Crimps und sloprigen Rissen. Schneller als mir lieb ist, befinde ich mich in prekärer Position über dem Haken, was meinen Kampfgeist wieder aufweckt. Mittig folgt ein ziemlicher Abstand und dann wird zum Ende noch geprüft, wie viel Benzin noch im Tank ist. Nachdem zuvor schon wieder gewisse Gedanken ans endgültige Verscherbeln vom MSL-Gear aufgekommen waren, entschädigt dieser Onsight auf dem letzten Blatt doch wieder für die ganzen Mühen. 3x hatte ich mich in letzter Not vor dem Abkippen retten können (1x davon (zumindest gefühlt) weit über dem Haken) - leider geil, kann man da nur sagen! Woher diese Energie noch gekommen ist?!? Das frage ich mich ehrlich gesagt auch...

Taffe Kletterei durch die Schlusswand in L12 (7a), what an experience!

Jedenfalls, um 20.20 Uhr fand diese Kampfbegehung ihr Ende, in 9:40h zähen Ringens hatte sich die Route schliesslich beugen müssen. Da im Moment hatte ich den Eindruck, den Ansprüchen überhaupt nicht genügt zu haben. Mit etwas Distanz bilanziere ich, dass eigentlich nur die Passagen zu Beginn von L6 und L9 nicht freigeklettert waren, und das Pumpgerät in L5 nicht gepunktet. Der Rest ging auf Anhieb, vielleicht erlege ich mir einfach zu strenge Massstäbe auf?!? Wobei, am Anfang hatten wir ja auch noch eine schwierige Seillänge umgangen, von daher verbleibt vielleicht doch eher die Bezeichnung Geschnafel für diese Performance. Eines sei noch erwähnt: im Mai ist es sicherlich oft zu heiss um am Pizzo d'Eus zu klettern. An diesem teilweise bewölkten und windigen, sowie nicht allzu heissen Tag waren die Conditions aber 1a.

Auf dem breiten und flachen Gipfel vom Pizzo d'Eus.

Ganz in Alpinistenmanier liessen wir uns den kleinen Umweg zum Gipfel nicht nehmen (20.35 Uhr), bevor es via die Hütten von Eus (20.50 Uhr) zurück zum Depot beim Abzweig vom Wanderweg ging (21.15 Uhr). Wir sortierten das Gear und liefen dann mit eingeschalteten Stirnlampen zu Tal. Bis nach Hause war es noch ein weiter Weg, um 2.30 Uhr legte ich mich nach fast 22h auf den Beinen noch für ein paar Stunden aufs Ohr, bevor die Pflicht wieder rief. Tja, ohne Fleiss kein Preis, bzw. ohne Einsatz gibt's keine Eus-Route - erst recht nicht, wenn man das von der Alpennordseite als Tagestour angeht. Only for crazy people, some may think...

Facts

Pizzo d'Eus - Va Pensiero 7b+ (7a obl.) - 12 SL, 390m - F. Fratagnoli et al. 2004 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-3

Lange und eindrückliche MSL-Route, welche in der Literatur hoch gelobt wird. Mir hat sie nicht ganz so gut gefallen. Einige Abschnitte sind wirklich sehr schön und verlaufen in hervorragend strukturiertem Gneis. Anderswo ist die Kletterei weniger prickelnd, da es sich um "unmögliche" Boulderstellen handelt, die Unterlage sandig-brösmelig ist, man sich zweifelhaften, dumpf tönenden Schuppe bedient, oder Flechten und sonstiger Bewuchs stören. Vor weiterer Punkt: die schwierigen Stellen sind hammerhart, wer sonst so 7b/+ auch mal Onsight klettert, wird da kaum eine Chance haben. Ebenso wird die Route in den bisherigen Topos als 6b/+ obligatorisch veranschlagt. Das ist für meinen Geschmack deutlich zu tief, man rechne eher mit 7a. Die Absicherung mit rostfreien BH ist meistens durchaus gut und auf Niveau xxxx. Dann aber gibt es einzelne Passagen, die aus diesem Rahmen fallen (im Text erwähnt), weshalb übers Ganze nur xxx vergeben werden können. Die Cams kommen nur relativ selten zum Einsatz, an gewissen clean gebliebenen Stellen sind sie jedoch unverzichtbar. Ein Topo und weitere Infos zum Pizzo findet man im Extrem Sud oder im SAC-Kletterführer Tessin.

Donnerstag, 17. April 2025

Sasso Tròlcia - Il nodo infinito (7b)

Il nodo infinito (12 SL, 7b) am Sasso Tròlcia im Maggiatal ist eine häufig begangene, talnahe MSL-Route im Tessin. Neben dem bequemen Zugang ist es bestimmt auch die sehr gute BH-Absicherung, welche viele Begeher anlockt. Noch viel mehr dürfte es aber die Tatsache der (relativ) schattigen Lage sein, denn allzu viele für den Sommer gut taugliche MSL gibt es im Tessin in dieser Kragenweite nicht. So sparte ich mir die Route ebenfalls lange Jahre auf, um sie an einem im Norden regnerischen, im Süden aber warmen Sommertag zu begehen. Gekommen ist es schliesslich ziemlich unverhofft doch anders. Schon im April griffen wir an, bei eher kühlen und windigen Bedingungen. Wenn man einen Freikletterversuch starten will, so ist dies jedoch durchaus eine sinnvolle Strategie.

Der Sasso Tròlcia im Maggiatal mit dem ungefähren Verlauf der tollen Route Il nodo infinito.

Vor dieser Tour lag ein sehr ereignisreicher Samstag, welcher nach kurzer Nacht mit Aufstehen um 4.30 Uhr begann. Die Schweizer Bouldermeisterschaft stand an, und ich wollte Larina begleiten. Ins Bett kam ich schliesslich erst deutlich nach Mitternacht. Mit Qualifikation und Finalteilnahme dauerte schon nur der Wettkampf, die Feierlichkeiten danach für den SM-Titel von Larinas Teamkollege Levin hielten noch länger an. Vor der Tour war mir so nur eine weitere verkürzte Nachtruhe gewährt. Denn während die hier beschriebene Route am Sasso Tròlcia grundsätzlich unkompliziert ist und mit einem moderaten Zustieg glänzt, so liegt das Maggiatal leider nicht ganz in meinem Vorgarten. Immerhin, auf der Anreise per öV konnte ich noch etwas relaxen. Der gut halbstündige Zustieg ab Someo, über die lange Wackel-Hangebrücke und noch ein paar Dutzend Höhenmetern zum Schluss war dann gerade richtig, um die Lebensgeister wieder ein wenig aufzuwecken. 

Mit der rund 400m langen Hängebrücke wird die Schwemmebene der Maggia überquert.

Der Einstieg in die Route befindet sich direkt am Wanderweg, ist aber relativ unscheinbar. Als einziges Zeichen dient das (ca. 8m lange, verrottete und farblich der Umgebung angeglichene) Fixseil, welches zum ersten BH hinaufführt. Es sei noch erwähnt, dass die Route mehr oder weniger am ersten Punkt startet, wo man lohnende Kletterei in kompaktem Fels vermuten kann. Um 10.52 Uhr hatten wir schliesslich alles parat und stiegen ein. Ideal war es, dass wir uns noch schön an der Sonne vorbereiten konnten, die Kletterei war dann vom ersten bis zum letzten Meter angenehm im Schatten. Dies gilt so für unseren Tourenzeitpunkt anfangs April. Steht die Sonne höher am Horizont, so scheint sie wohl bis gegen 3h länger auf die ersten Seillängen.

Tolle Frühlingsstimmung im Maggiatal, der Fluss selbst an diesem Tag nur ein kümmerliches Rinnsal. Wer Il nodo infinito angehen will, wähle im Idealfall einen Tag mit tiefer Luftfeuchtigkeit nach einer Trockenperiode. Die Kletterei macht bestimmt mehr Spass so. Der Sasso Tròlcia ist übrigens in der Bildmitte sichtbar, die Route verläuft im Bereich, der hier als die rechte Kante des Berges erscheint.

L1, 40m, 6b: Wäre ich da vor Existenz der Route da auf dem Wanderweg vorbeigegangen, ich hätte die Wand und insbesondere die Slab der ersten Seillänge de visu wohl als unkletterbar taxiert. Da gehörte schon eine gehörige Portion Optimismus dazu, in diesem Terrain eine lohnende und frei kletterbare Linie zu vermuten. Aber wie man sieht, solche Eindrücke können täuschen. Und während das Terrain im Plattenschuss zu Beginn schon grossflächig ziemlich blank ist, so mäandriert man den Strukturen entlang und findet wo nötig eine passende Leiste. So geht's hier gut auf, im Kontext der Route nicht die härteste 6b.

Nein, optisch attraktiv sieht es nicht aus. Und gleichzeitig auch noch sauschwer. Eindrücke können aber täuschen, die Kletterei in L1 (6b) ist cool und geht auch erstaunlich gut auf.

L2, 25m, 6b+: Nach rechts querend geht's weiter, vorerst ist das ganz ordentlich gängig. Allzu viel überlegen scheint man nicht zu müssen. In dem dunklen und etwas staubigen Fels sind die Tritte von den zahlreichen Begehungen abgewetzt und farblich markiert - das habe ich noch selten auf eine solch deutliche Art und Weise erlebt. So klettere ich dann etwas gar übermütig in die kurz-aber-heftige Crux hinein und befinde mich plötzlich viel näher als gewünscht an der Abrutschgrenze. Hier hätte mein Versuch der Komplett-Begehung bereits enden können... Glück gehabt.

Cruxmove in L2 (6b+), pas si facile que ça.

L3, 30m, 6b: Nochmals ähnlicher Charakter wie in der Seillänge davor. Plattiges Gelände mit markierten Tritten, über weite Strecken nicht sonderlich schwierig. Aber auch hier wartet eine markante, etwas unangenehm-glatte und strukturarme Crux. Bald lässt es wieder nach, in einfacherem und auch etwas botanischem Gelände geht's zum Stand.

Die dritte Seillänge (6b) ist nicht sehr fotogen, da freut sich das Auge mehr am Blick über das Maggiatal. Im Bildzentrum ist die Ortschaft Someo sichtbar, wo der Zustieg startet. In der linken Bildhälfte sieht man die Sportklettersektoren von Someo, welche auch formidable Kletterei bieten.

L4, 25m, 7b: Irgendwie ein bisschen ein One-Move-Wonder, aber dann doch auch nicht ganz. Der Auftakt führt rechts hinaus auf einer Rampe, dann kommt gleich die Crux an einer steilen Wandstelle. Ich bin die direkt über die Haken mit (wirklich nur) einem brachialen Move geklettert. Viktor (der die Route bereits ein Jahr zuvor geklettert und die Stelle damals ausgebouldert hatte) wählte eine komplett andere Lösung mit einer Rechtsschleife an die Kante - ob einfacher oder nicht sei hier offen gelassen, bestimmt ist sein Approach weniger offen- und übersichtlich. Nach dem Cruxmove heisst's dann noch etwas dranbleiben und die Nerven bewahren (wohl der zwingendste Abschnitt der Route?!), bis wieder geklippt werden kann und man sich nach rechts um die Kante drückt. Da warten dann noch 3 Boulderpassagen, v.a. die mittlere der drei mit einem wackligen Mantle hat es in sich. Auch mit viel Kraftreserven ist diese Stelle nicht vollständig kontrollierbar. Sprich, es verbleibt ein Gamble, wie genau man sich hochdrücken muss, damit man beim Aufrichten nicht wegkippt. Das hat mich einige Nerven gekostet, die Sache hier zu vergeigen wäre doch zu schade gewesen. Doch meine Intuition passte, ich setzte auf die richtige Beta und konnte wenig später mit dem scharf geschnittenen, griffigen Plaisir-Riss das Abschlussbouquet geniessen.

Jetzt geht's gleich looooos! In den folgenden 2 Moves spielt sich die 7b-Crux der Route ab. 

Die Cruxlänge hat aber auch in ihrem oberen Teil noch etwas zu bieten. Hier besteht die Challenge, mehr oder weniger grifflos auf die Leiste zu manteln, welche Viktor in der Hand hält. Wenn man genau weiss wie, dann geht's und ist auch nicht so schwierig. Das Problem besteht aber darin, dass bei der nicht exakt richtigen Ausführung die Gefahr vom Wegkippen wohl sehr gross ist.

L5, 25m, 6a+: Im steilsten Gemäuer der Route findet man fast die einfachste Seillänge. Das liegt daran, dass man hier weitestgehend Rissen und Schuppen zur Fortbewegung nutzen kann. Zu Beginn stecken keine BH, ohne Cams zu legen (0.3-0.5, evtl. 0.75) wäre es ein unangenehmer Runout. Nachher stecken dann BH, vielleicht auch besser so: das hängende Dach in diesem Wandbereich macht nicht den Eindruck, als sei es für die geologische Ewigkeit gemacht. Vermutlich bleibt die Struktur aber noch viel länger da, wie Kletterer bei ihr vorbeikommen und die lässige Turnerei hier geniessen.

Das Foto ist zwar vom Plaisir-Riss am Ende von L4 (7b), dessen Fortsetzung markiert aber auch den Start von L5 (6a+).

L6, 35m, 7a: Kurz im Gemüse nach rechts, dann hinauf in eine seichte Verschneidung, wo eine Mischung von Gegendruck- und Wandkletterei wartet. Meine Piaz-Aversion wird hier nicht allzu sehr herausgefordert: vernünftige Tritte und gute BH-Absicherung machen einem das Leben relativ angenehm. Die Crux kommt zum Ende und erfordert vor allem die Einsicht, wie genau man die Verschneidung nach links zu verlassen hat. Dies ist mässig offensichtlich und vor allem existieren unterschiedliche Lösungsansätze. Der von mir gewählte funktionierte gut, so dass ich der Sache eher eine "petit 7a" attestieren würde.

Das Finish von L6 (7a) mit der Crux. Wie man sieht, Griffe hat es gar nicht so wenige. Oft aber schräg ausgerichtet und sloprig, so dass man sich gut positionieren muss, um nicht wegzurutschen. Gute Bedingungen helfen aber ganz sicher auch.

L7, 20m, 6c: Die aussergewöhnlichste Seillänge der Route, welche entlang von abstehenden Schuppen verläuft. Viktor setzte hier im Vorstieg auf eine Squeeze-Beta - es ist nicht so einfach, überhaupt da reinzukommen und raus sah dann noch viel schlimmer aus. Ich bin die Passage dann geklettert, ohne mich je mit dem Körper zu verklemmen. Das ging gefühlt problemlos bzw. viel einfacher. Zum Ende der Seillänge wartet dann noch eine Wandpassage an Leisten, wo es auch nicht so einfach ist, den richtigen Weg zu erkennen. Es kommt hinzu, dass der unbequeme Stand fast 2m höher steckt als die einfachste, durchgehende Kletterlinie von L7 in L8. Aber egal, geht schon.

Viktor klemmt fest in der Schuppenpassage vom L7 (6c).

L8, 25m, 6c+: Grosso modo Wandkletterei an Leisten. Zu Beginn muss man ein wenig schauen, es geht aber gut und ist auch kräftemässig nicht sehr anstregend. So kommt man hoffentlich mehr oder weniger ungerupft zum "Endgegner". Bei der taffen Boulderstelle an Leisten ist die Griffsequenz relativ einfach zu lesen. Das Problem besteht mehr darin, dass es keine Tritte gibt, bzw. man mit den Füssen auf etwas geneigten Flächen auf Reibung antritt. So kommt dem richtigen Positioning bzw. der Inuition dafür eine entscheidende Bedeutung zu und es ist eben doch tricky und committing (nur taktisch, die Haken stecken hier so nahe, dass alles problemlos A0 gemacht werden kann). Zu guter Letzt wartet dann noch der Final Move hinauf zum Standband - dessen Kante droht mit Sloprigkeit und Abrutschgefahr. Ich hatte zum Glück die Reserven, diese Stelle mit einem Monsterblocker statisch niederknüppeln zu können. Wer da dynamisch ziehen muss, lässt sich unweigerlich nochmals auf ein Gamble ein, gut auszulösen und am Ziel die richtige Stelle zu treffen... aber genau deswegen, eine affengeile Passage! Nach meinem Gusto würde ich dieser Seillänge eher 7a geben, sicher eher jedenfalls als L6.

Das Foto bringt es leider nicht ganz so zur Geltung: am Ende von L8 (6c+ hard) ist Biss und Entschlossenheit nötig, insbesondere für den Move, welchen Viktor gerade ausführt (und dann auch noch die beiden folgenden). Was täuscht ist der Eindruck, dass da unterhalb gute Tritte wären... man steht da nämlich mehr oder weniger im Nichts, bzw. zumindest nur auf Reibung in steilem Gelände.

L9, 25m, 6c: Eine eher technische und weniger physische Seillänge mit zuerst ein paar Balancy-Moves an einem kleinen Pfeilerlein, nachher dann griffige Wandkletterei. Hier konnte ich die Bewertung nicht ganz nachvollziehen - massiv einfacher wie L8, insgesamt sicher eine der Seillängen, die ich am komfortabelsten Klettern konnte. Vielleicht bezieht sich die Einstufung auf den sehr direkten Weg über die Haken?

L10, 30m, 6c+: Hier wartet gleich zu Beginn eine etwas unangenehme Startsequenz linksherum. So viele Haken wie sonst teilweise stecken, doch hier ist der zweite Klipp etwas ungeschmeidig. Klar, in Retrospekt habe ich mich wohl eher doof angestellt, als dass es echt schwierig wäre. Weiter oben folgt dann eine steile Wandpassage mit prima strukturiertem Fels: Leisten, Löcher und recht gute Tritte. Ich hatte mir die Zeit genommen, die beste Sequenz zu lesen. Das gelang insofern, als dass es mir sehr gut aufging und ich die Seillänge im Vergleich zu L8 doch deutlich einfacher empfand. 

Auch wenn der Hakenabstand mit dem Zollstock gemessen nicht weit ist: die Stelle vom ersten zum zweiten Haken in L10 (6c+) ist eine der wenigen der Route, welche sich im Vorstieg etwas unangenehm anfühlt. 

L11, 35m, 6b+: Die Wand legt sich hier zurück, es gibt mehr Botanik und auch aufgrund der eher milden Bewertung der beiden vorangehenden Längen könnte man sich in Sicherheit wiegen und eine zügig-problemlose Etappe in Richtung des Tops vermuten. Das offenbart sich aber nicht wie gewünscht: die Verschneidung präsentiert sich nur zu Beginn griffig und wird nach Auslaufen des Risses heftig knifflig. Man bewegt sich da wieder einmal hart an der Abrutschgrenze, ohne dass es etwas Vernünftiges zum Greifen gäbe. Doch Not macht erfinderisch: keinesfalls wollte ich hier meine Begehung noch vergeigen und so habe ich an der entscheidenden Stelle schliesslich den Truc gefunden, mit welcher sich die Sache doch kontrolliert machen liess - viel Spass bei der Suche nach der 6b+ Beta, oder dann beim Ausführen der 6c+ Alternative 😜

Auf diesem Foto sieht man nur das 5c-Outro, nicht jedoch die Schleuderstelle von L11 (6b+).

L12, 45m, 6a: Offenbar wird diese Seillänge auch gerne ausgelassen. Unlohnend sei es und sowieso, viele andere haben ja auch vorher umgedreht. Naja, nach meinen kurzen Nächten war ich auch müde, aber hier vor dem Top klein beizugeben, das wäre mir dann doch nicht in den Sinn gekommen. Denn entweder war man oben, oder eben nicht. Und ich muss sagen: so schlecht wie ihr Ruf ist diese Länge bei weitem nicht. Der Anfang ist zwar wirklich kurz mal botanisch, aber dann kommt eine Sektion mit sauberer und wirklich cooler Risskletterei, welche mit Cams abgesichert werden muss. Später kommen dann Stemming und ein paar Bolts, mit zwei Wandstufen kommt man schliesslich zum Ende der Route.

Ausblick auf L12 (6a). Der Beginn ist tatsächlich etwas botanisch, geht aber schon. Die Sektion mit der von Rissen durchzogenen Verschneidungen, wo ich mich im Foto befinde, ist dann aber nochmals wirklich lohnend.

Um 17.42 Uhr und damit nach 6:50h der Kletterei hatten wir es schliesslich geschafft. Beide standen wir am Top der Route und beide hatten wir eine lupenreine Begehung geschafft. Nein, als Preis gab es rein gar nichts dafür, selbst die inzwischen schon fast kompostierten Kletterfinken liessen wir gerne vor Ort. Diese komplette Onsight/Flash-Begehung erfüllte mich doch mit grosser Freude und Stolz. Klar, eine 7b zu onsighten ist im Lichte des heutigen Kletterniveaus keine gewaltige Leistung. Doch erstens muss man das am individuellen Massstab messen. Meine OS-Erfolgschance lag 2024 im Grad 7b+ beim Sportklettern bei ca. 50%, so viel Reserve auf den geforderten Grad habe ich also nicht. Mit einem tieferen Kletterniveau wie dem meinigen geht die Wahrscheinlichkeit für einen kompletten OS/Flash-Durchstieg dann wohl bald einmal rapide gegen null. Andererseits gibt es selbst mit einem deutlich höheren Niveau zig Gründe, trotzdem zu scheitern. Zusätzlich zu all den üblichen potenziellen MSL-Problemchen warten einfach sehr viele knifflige Stellen. Auch wenn diese nur mit "Aufwärm-Graden" von 6b oder 6c bewertet sind, geschenkt sind manche davon ganz und gar nicht. Und schliesslich ist "the name of the game": es ist kein einziger Fehler erlaubt, und das den ganzen Tag lang in 7h Kletterei. Wie immer man dazu steht: mir jedenfalls macht diese Art von Herausforderung gewaltig Spass und eine harte Prüfung dann noch zu bestehen natürlich umso mehr.

Inzwischen schon beinahe kompostiert, aber immer noch da...

Tja, dieses Philosophieren hatten wir natürlich auf die Zugfahrt auf dem Heimweg verschoben. Vom Top wollten wir uns hingegen lieber zügig aus dem Staub machen. Ganz so reibungslos wie es sein könnte, präsentierte sich die Abseilfahrt leider nicht. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Stände mässig eingerichtet sind (dünne, rostige Maillons, teils nicht verbunden, schlechtes Stehgelände) und auch die Sequenzen mit 2x50m-Seilen nicht so schön aufgehen. Wir mussten 8 Manöver ziehen:

Top -> S11 -> S10 -> S8 -> S6 -> S5 -> S4 -> separater Abseilstand -> Boden

Mit 2x60m sollte es hingegen in nur 6 Manövern gehen:

Top -> S11 -> S9 -> S7 -> S5 -> separater Abseilstand -> Boden

Und während der Gneis in der Wand zwar ziemlich glatt ist, besteht doch ein erhebliches Risiko für einen Seilverhänger an einem Botanikelement. Dies umso mehr, falls der Talwind oder der Nordwind stark blasen sollte. Bei uns trat zum Glück kein schwerwiegendes Problem auf, trotzdem brauchten wir fast eine Stunde für die paar Manöver (es fühlte sich lange an). Dafür passte es zeitlich gerade, um ohne übertriebene Eile zurücklaufen zu können und den nächsten der im 30-Minuten-Takt fahrenden Busse zu erwischen. Ein solches Intervall nimmt der Rückmarsch an die Haltestelle noch in Anspruch, nachher konnten wir uns zurücklehnen und wurden bequem zurück in die Nordschweiz chauffiert.

Facts

Sasso Tròlcia - Il nodo infinito 7b (6b obl.) - 12 SL, 330m - Glauco Cugini 1995 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (2x60m für Abseilen vorteilhaft), 12 Express, Cams 0.3-0.75

Hier gibt's schon viele treffende Beschreibungen der Route. Ja, von Weitem und eigentlich nicht einmal wirklich aus der Nähe sieht es optisch attraktiv aus. Die Kletterei ist aber so gut wie ihr Ruf. Nach drei plattigen Auftaktlängen wartet leistig-sloprige und recht athletische Gneiskletterei vom Feinsten. Im obersten Teil legt sich die Wand dann wieder etwas zurück und wird etwas grasiger. Auch wenn die Route für Sonne / Wärme / Schatten angepriesen wird: im Juni und Juli "stört" die Sonne bis Mitte Nachmittag und generell sind die Bedingungen bei feuchter Hitze wohl suboptimal. Zum Freiklettern findet man den besten Grip sicher bei kühleren Temperaturen, nach einer Trockenperiode und bei trockenem Nordwind. Die Absicherung mit rostfreien Bohrhaken ist sehr eng gehalten, aber nicht immer ganz homogen. Es gibt viele xxxxx-Passagen, wo alles problemlos A0 gemacht werden kann. Auf ein paar plattigen Abschnitten muss man dann aber im Vorstieg doch ein bisschen was bieten. Nominell sind diese Abschnitte zwar nur im 6b-Niveau, aber der Erschliesser Glauco hat in diesem Terrain etwas drauf und einen strengen Massstab. Zu erwähnen ist, dass es in L5 und L12 zwei Sektionen an Rissen gibt, wo keine BH stecken. Diese sind mit Schwierigkeiten um 6a zwar relativ einfach, ohne Cams 0.3-0.75 aber ungenügend abgesichert. Auf allen anderen Seillängen setzten wir keine Cams ein, bzw. befanden diese nicht als nötig. Stand April 2025 war die Route eher mässig gut zum Abseilen eingerichtet. Die Standplätze mit ein paar soliden Schlingen und (rostfreien!) Maillons oder gleich Kettenständen aufzupeppen wäre wünschenswert. Topos zur Route findet man in diverser Führerliteratur, z.B. im Extrem Sud oder im SAC-Führer Tessin.

Mittwoch, 12. März 2025

Pizzo d'Eus - Vai con gli amici (7b)

Wenn man in der Schweiz im Winter lange und anspruchsvolle MSL klettern möchte, dann ist das Tessin die Destination der Wahl. Und ist man insbesondere auf den Schwierigkeitsbereich um 7b/7c fokussiert, so ist es die fabelhafte Wand vom Pizzo d'Eus. Bereits wieder über 3 Jahre ist es her, seit wir in einem Doppelbesuch die Radici del Silvio und die Magic Rampit geklettert hatten. Nun waren die Bedingungen und der freie Slot im Kalender wieder einmal gegeben. Wie es um die Kletterform stünde, war hingegen eine andere Frage. Klar, gebouldert worden war schon fleissig, aber die Capacity für einen langen und anspruchsvollen MSL-Tag wurde nicht trainiert. Somit würde es wohl gleich einen ziemlichen Hammer geben, aber probieren wollten wir es auf jeden Fall.

Auf einer Klettertour am Pizzo d'Eus sieht man die Wand nur aus einer Bottom-Up-Perspektive und kann kein gutes Wandfoto schiessen. Somit ist das alles, was wir haben. Einen gewissen Eindruck vom Verlauf der Vai con gli amici gibt es aber doch. Die rote Linie beginnt jedoch erst in L4, dann ist der Verlauf bis zu L9 vor dem Band recht gut sichtbar. Ebenso sieht man noch die beiden schwierigen Seillängen, welche nach dem Band folgen.

Zustieg

Ohne Einsatz geht eine Tour am Pizzo d'Eus nicht ab, der Tag startete mit sehr frühem Aufstehen um 3.45 Uhr. Der schöne Nebeneffekt waren komplett freie Strassen Richtung Süden, so dass wir um 7.15 Uhr mit dem Zustieg starteten. Dieser hielt schon bald ein spannendes Element bereit, nämlich die Überquerung des Riale di Pincascia. Hatte diese damals bei der Cacciatori di Pareti eine Kneippkur im eiskalten Wasser erfordert, so ging es im Februar 2022 bequem von Stein zu Stein hopsend. Nun war der Winter 2025 längst nicht so trocken gewesen wie jener drei Jahre zuvor. Was das wohl hiesse? Mehr Wasser im Fluss, das war ganz sicher. Es ging gerade noch, um trockenen Fusses ans andere Ufer zu kommen. Das Fazit war aber: nur noch ein bisschen mehr an Wasser, dann wäre dem nicht mehr so. Sodann wählten wir die 2022 ausgecheckte Abkürzung via Cürt. Natürlich war der Effekt unseres Laubrechens von damals längst verpufft, aber die spärlichen Markierungen waren noch da und der Wegverlauf meist vernünftig erkennbar.

Die potenziell problematische Überquerung des Riale di Pincascia. Zugegeben, so spektakulär sieht das nun nicht wirklich aus. Der Punkt ist mehr der: wenn der Stein, der mit beiden Füssen genommen wird unter Wasser ist, dann geht's eben nicht mehr trockenen Fusses. Und dazu fehlte nicht viel, auf dem Rückweg dann übrigens sogar noch weniger.

So hatten wir keine Orientierungsprobleme und gelangten zügig in knapp 1:20h zum Punkt, wo der Wanderweg am Ende der Ketten über eine Plattenzone gegen die Wand hin verlassen wird. Wir legten ein Depot an, da wir mit Haulbag klettern wollten und die Schuhe für einen möglichen Fussabstieg mitführten. Dann machten wir uns auf zum Wandfuss, wobei noch steiles Schrofengelände (tw. Fixseile vorhanden) bewältigt werden muss. Den Einstieg kannten wir schon von früher, er befindet sich mehr oder weniger dort, wo man im Zustieg an die Wand stösst, bei einer grossen, angelehnten Felsplatte. An deren rechtem Rand befindet sich auf Brusthöhe ein Dübel ohne Plättli, die erste BH-Zwischensicherung auf 3m Höhe ist gut sichtbar (sonst jedoch nichts). Um 9.20 Uhr starteten wir schliesslich mit der Kletterei - rein sonnenbedingt wäre dies sicher schon mindestens 30, möglicherweise sogar 60 Minuten früher möglich gewesen. Zu erwähnen ist noch, dass das Einstiegsgelände wirklich extrem zeckenversucht ist. Trotz "noch Winter" und absenter Vegetation krabbelten bald einige der Viecher an einem herum.

Passt hierher, aber wichtig: die Route ist am Einstieg nicht angeschrieben! Das Foto ist vom Ende von L11, am Beginn des letzten Routenteils auf dem diagonalen Grasband, welches die ganze Wand durchzieht.

Routenbeschreibung

L1, 25m, 6a: Von der angelehnten Platte weg startet man in die leistige Wand. Den ersten BH hat man bald einmal überklettert und weil nichts liegt, droht das Einkratern auf Terra Firma. Das Gelände wird dann zwar einfacher, aber auch etwas gemüsig. Die Felsqualität ist eher soso, die Schuppen tönen alle dumpf. Ein herber Auftakt, "Augen zu und durch" muss das Motto lauten. Der zweite Teil wartet dann hingegen mit echt cooler Kletterei auf. Unter einem Dachriegel quert man im Layback an Untergriffen anstrengend nach links hinauf und muss dabei selber legen. Zuletzt dann über das Dach hinweg (BH). Taffe Sache das, ich sehe die Bewertung (im Kontext der Route) mindestens bei 6a+, eher bei 6b.

Fordernde Untergriffkletterei einem Dachriegel entlang im oberen Teil von L1 (6a hard).

L2, 35m, 6b+: Ein BH ist erst in weiter Ferne erkennbar. Aber immerhin, man sieht den Richtungsweiser und der Weg dahin an Schuppen, Rissen und Verschneidungen ist klar vorgegeben. Super Kletterei, legen kann man gut, wenn auch nicht ganz immer à discretion. Einzig der dumpfe Klang von einigen Schuppen wirft die Frage auf, wie zuverlässig die Sicherungen sind. Vom BH weg wechselt es dann auf formidable Wandkletterei, die sich erst zwar athletisch, aber gutgriffig mit lochartigen Taschen präsentiert. Ein einfacher Runout in gängigem Henkelterrain führt zu einem letzten BH vor dem Grasband-Ausstieg, für längere Zeit der letzte richtig bequeme Stand.

Steile, selbst abzusichernde Kletterei an Schuppen, Rissen und Verschneidungen in L2 (6b).

L3, 30m, 6c: Achtung, die BH direkt oberhalb vom Stand gehören zur Nachbarroute Tempo per respirare. Sie sind aber eh nicht einfach erreichbar und der Weg dem markanten, diagonal nach links ziehenden Fingerriss entlang ist klar vorgegeben, zudem sind die ersten zwei BH erkennbar. Der Riss klettert sich extrageil, es heisst wegen Trittarmut ein paar Mal entschlossen zuzupacken, bevor man zu einer angelehnten Schuppe (etwas spooky) gelangt. An dieser hangelnd oder (wer wagt es?) darauf gehend  zu BH, dann folgt ein weiter Sicherungsabstand mit Wandkletterei an den ortsüblichen, lochähnlichen Taschen - genial! Der folgende BH ist strategisch platziert, man erkenne die Optimallinie. Ziemlich viele tolle Moves sind nötig, um den Ausgangspunkt für den finalen Boulder 3m über dem letzten Bolt zu erreichen. Mitbringen tut man für diesen im Idealfall einen (wirklich kleinen) Microcam plus die nötige Körpergrösse, um ihn am Ansatz der Schuppe platzieren zu können. Weiter braucht es die Körpergrösse dann auch, um einen Seitgriff an der Schuppe zu kriegen, an welchem man seinen rechten Fuss auf Kopfhöhe platziert und sich auf einer Leiste aufrichtet. Für Kleingewachsene könnte diese Stelle eine ziemliche Herausforderung sein.

Erst ein toller Riss, dann folgt in L3 (6c) vorwiegend Wandkletterei.

L4, 25m, 6b+: Der erste BH folgt gleich nach dem Stand, aber er steckt hoch und ist tricky zu klippen. Er sichert einen Wandkletter-Boulder, der an eine kleine Verschneidung führt, in welcher man die nächsten Meter zügig gewinnt. Doch dann folgt das Problem: der nächste BH steckt etwa 4m rechts oben und muss mit einer heiklen Plattentraverse angeklettert werden. Vor Beginn dieser Passage habe ich zwar drei Klemmgeräte gelegt. Die Placements sind aber alle flared und meines Erachtens nicht zuverlässig. Einen Sturz darf man da keinesfalls riskieren: er wäre weit, Faktor >> 1 und das Risiko von einem Zusammenprall aus 10m Höhe mit der Sicherungsperson ist auch da. Die Stelle ist vielleicht schon nur ca. 6a/6a+, aber unangenehm, balancy und (auch mit Kraftreserven) schwer kontrollierbar. Kurzum, ein ziemlicher Mist. Zum nächsten BH geht's dann einfacher, der steckt aber hoch und erfordert einen Umweg. Nachher gibt's dann noch 10m horizontale Plattenquerung "senza fix", aber es kommt mittig noch ein gutes Placement. Im Vorstieg passt's schon, im Nachstieg hingegen ist es recht giftig.

Jetzt bloss nicht stürzen! Es sind hier in L4 (6b+) von der Position des Kletterers nochmals ca. 3m zum nächsten BH und die gelegten Cams sind leider in keinen zuverlässigen Placements. Zudem spielt sich dieser Runout wie man sieht in Gelände ab, welches auch noch feucht/nass sein kann. Dann wäre da eh finito, bei uns hatte die Sonne den während dem Zustieg noch präsenten Wasserstreifen abgetrocknet.

Plattige Querung am Ende von L4 (6b+), für den Nachstieg eher ungünstig abgesichert.

L5, 20m, 6c: Nochmals eine supercoole Seillänge! Wandkletter-Auftakt, wo der eine BH optimal steckt, ein bisschen kann man noch ergänzen. Wenn man die Linie findet, geht's gut auf. Die führt zu einer rissigen Steilstufe, wo zwingend und recht athletisch gejammt werden muss. Für diese Stelle sind Risshandschuhe komfortabel. Der Exit aus dieser Passage erfordert dann die Bedienung des (im O-Ton von Viktor) "grössten Slopers im Tessin". Tricky Sache, zudem auch zwingend mit den Füssen über dem letzten Cam. Man schiebt und stützt sich schliesslich hinauf zu einer letzten Hangelquerung, auch diese will mobil gesichert werden.

Ausblick auf die tolle L5 (6c), welche zur Überhangzone heranführt.

Nochmals anspruchsvolle Sloper Hugging Stelle am Ende von L5 (6c), legen geht erst danach wieder.

L6, 25m, 7b: In dieser Seillänge wird der fette Überhang bezwungen, welcher mittig die Wand durchzieht. Die Sache beginnt mit einem, gängigen, griffig-rissigen Auftakt, wo das Platzieren von ein, zwei Cams nicht verkehrt ist. Nach einer letzten Ruhepause gilt es dann ernst, wobei vorerst Schuppen mit kernigen Henkeln warten, die einen in eine luftige Position bringen. Gegen das Ende hin werden die Griffe trotz bleibender Steilheit kleiner und es folgt die Crux. Nicht einfach zum Onsighten meine ich - doch schon die Angabe vom Grund warum das so ist, wäre zu viel verraten. Immerhin, die Erschliesser haben uns Wiederholern die Sache einfacher gemacht, indem sie im Bereich der härtesten Moves zwei Dübel wieder abgebrochen haben. Somit muss auf dem Cruxabschnitt nur 1x statt 3x geklippt werden 🙄 Kraftsparend also, aber mit entsprechendem Effekt auf die Verpflichtung, die Stelle obligatorisch klettern zu müssen. Zum Stand hinauf gilt es dann noch etwas Rési zu beweisen - fehlt diese, könnte man auch da noch abgeworfen werden.

Im Ausstieg von L7 (7b) ist noch etwas Biss nötig.

L7, 30m, 6c: Ein Abschnitt mit steiler (+/- senkrechter) Wandkletterei, welcher aufgrund der spärlichen Absicherung nur so mässig Freude macht. Den ersten BH erreicht man noch bald einmal, doch dann turnt man direkt über dem Stand eine Weile rum, bis die zweite Sicherung einschnappt. Weitere sind aus dieser Position keine erkennbar. Bzw. jene die etwas rechts erkenn- und erreichbar sind, gehören zur hier nahe verlaufenden Tempo per respirare (8a) und sind die falsche Adresse. Es geht mit einem längeren Abstand gerade hinauf. Im Rückblick ist das schon griffiges, nicht wirklich schwieriges Terrain. Aber ohne dies zu wissen und ohne klare Orientierung ist es einfach ein Mist. Man riskiert aus über 15m Höhe einen Sturz mit Faktor >1 und ob man einen allfälligen Flug am Sicherungspersonal vorbeisteuern könnte ist unsicher. Zum Stand hin dann weiterhin Runout, das Gelände legt sich aber etwas zurück. PS: legen kann man auf dieser Seillänge kaum zuverlässig.

Steile Wandkletterei in toll strukturiertem Fels, aber (zu) knappe Absicherung in L7 (6c).

L8, 25m, 6c: Im gleichen Stil wie in der Länge davor geht es weiter. Die ersten beiden BH kommen bald einmal nach dem Stand (der zweite ist etwas rechts versteckt und könnte übersehen werden). Bis zum Stand gibt's dann nur mehr einen weiteren BH - wobei man sich dank der zurücklegenden Steilheit hier immerhin nur von No-Hander zu No-Hander vorwärtskämpfen muss. Mitten in einem weiten Abstand bietet eine Schuppe ein gutes Placement für den 0.3er Cam. Nur leider tönt sie dumpf/hohl, das Bomber Placement ist es somit leider nicht. Zur Bewertung muss man noch sagen, dass wir die 6c hier nicht nachvollziehen konnten. Nach meinem Empfinden war es bis zu diesem Punkt sogar der einfachste Abschnitt der Route.

Dito L7 kann man hier sagen, wobei: L8 (6c) ist weniger steil und kam uns deutlich einfacher vor.

L9, 40m, 6b+: Vom Stand zum gut sichtbaren ersten BH, nach diesem folgt ein langer, athletischer Move, der etwas Entschlossenheit verlangt. Der wahnwitzig erscheinende Runout zum nächsten Silberling kann tatsächlich nicht mobil entschärft werden. Zum Glück entpuppt sich die Kletterei als gutmütiger wie befürchtet, einfach ein Sturz liegt nicht drin. In diesem Stil geht es auch weiter (relativ einfache, ziemlich griffige Kletterei bei weiten Abständen), bis es zum Schluss plattig und glatt wird. Dieser Abschnitt kann vom Band oberhalb besifft werden - das Hochkommen funktioniert aber u.U. trotzdem, weil die BH da näher stecken. In freier Kletterei ist der Klipp des letzten allerdings tricky, denn auf die Lasche desjenigen darunter zu stehen wäre zwar die bequeme Lösung, gilt aber halt nicht. Wobei man sagen muss, dass da schon etwas knifflig-feine Reibung wartet, für eine Reibungs-6b+ ist es dann allerdings auch wieder relativ gutmütig.

Am Ende von L9 (6b+) wartet ein glatte, knapp strukturierte Platte. Gut gesichert, aber wohl oft nass.

L10, 20m, 4a: Kurz im Fels und dann ins Gras, das ist das Motto. Es geht nicht etwa direkt voraus, sondern rechts über die geneigte Platte. Obwohl die Erschliesser sonst mit den BH eher gegeizt haben, stecken hier in kurzem Abstand zwei Exemplare- wohl weil dieser Abschnitt oft feucht, dreckig und glibberig ist. Bei unserer Begehung traf dies zu und in diesem Zustand war der Abschnitt nicht in freier Kletterei zu bewältigen. Nachher dann geradeaus hinauf zu BH-Stand am Fuss der oberen Wand.

Querung über das Band (L11): easy, aber das verdorrte Gras ist extrem rutschig!

L11, 40m, Gehgelände: Es folgt nun eine Traverse über das Band nach rechts hinunter. Man passiert dabei erst den Stand von Tempo per respirare, dann jenen der Magic Rampit und erst nachdem man etwas um die Ecke gebogen ist, folgt dann jener für die Fortsetzung der Vai con gli amici. Es sind zwei normale, unverbundene Laschen (keine Ringe o.ä.), im März 2025 war der Routenname auch mit Farbe angeschrieben (siehe Foto oben im Abschnitt Zustieg).

Abstieg

An diesem Punkt endete unsere Begehung der Route. Der Routenverlauf im oberen Wandteil mit fünf weiteren, mutmasslich sehr anspruchsvollen Seillängen (6c+, 7a, 7a+, 6a, 5a) lag bereits schon seit einer Weile wieder im Schatten. So drückte die Feuchtigkeit wieder aus den Bändern uns Rissen. Noch viel mehr war uns aber die Zeit davongelaufen. Die Uhr war bereits auf 17.20 Uhr vorgerückt, es blieb nur noch eine knappe Stunde an Tageslicht. An Kraft und Motivation zum Weitermachen hätte es nicht unbedingt gefehlt, doch so machte dies natürlich wenig Sinn: zum Top wären wir höchstens mit einer ausgedehnten Nachtaktion gekommen. Natürlich hatten wir dies bereits am Ende von L9 erkannt, jedoch wollten wir den oberen Routenteil noch aus der Nähe inspizieren und nahmen die Mühsal der beiden gemüsigen Seillängen im Bereich des Bandes auf uns. Nun galt es, diesen Teil wieder rückgängig zu machen. D.h. zurück über das Band, welches zwar gut begehbar ist, doch wegen dem extrem rutschigen, trockenen Steilgras trotzdem gesichert werden sollte. Es folgt dann eine kurze Abseilstrecke zu Stand 9, von wo es dann sehr zügig in 5 steilen und teils sehr luftigen Manövern retour geht (9 -> 8 -> 6 -> separater Abseilstand einige Meter unterhalb von 4 -> 2 -> Einstieg). 

Hier wäre die Fortsetzung. Die Route führt nach einer 6c+ in Wandkletterei über zwei Seillängen (7a, 7a+) in den Rissen unter dem gut sichtbaren Dachbogen weiter. Wobei ein Stück offenbar nicht kletterbar ist und mit einem diagonalen Abseiler erschlichen wird. Maybe another time...

Im letzten Tageslicht stiegen wir entlang der Fixseile über die steilen Schrofen ab. Das war durchaus etwas heikel, denn von der Feuchtigkeit überronnene Granitplatten mit Laubauflage bilden einen sehr heiklen Mix, so dass wir an einer Stelle sogar noch einen kurzen Abseiler von einem Baum zogen. Zurück am Weg verpufften wir unser Material, nahmen einen Vesper ein und liefen dann um 18.50 Uhr im Schein der Stirnlampen los. Über unseren Aufstiegsweg (d.h. die Cinghiali-Abkürzung via Cürt) waren wir in gut 50 Minuten retour beim Parkplatz. Auf Kneippkur und Stahlseilhangeln konnte auch auf dem Rückweg verzichtet werden, die Flussüberquerung trockenen Fusses war aber ein Parcours-Gustostücklein und ging nur knapp. Somit verblieb der lange Heimweg mit ausreichend Gelegenheit zur Kontemplation.

Abseilen über den Grasteil von L10 (4a).

Epilog

Während der Fahrt (und auch jetzt mit distanziertem Rückblick) wurde zwar ein toller und sehr erlebnisreicher Klettertag bilanziert, welcher auch kletterstreckenmässig mit ~300m reich gefüllt war. Jedoch traten auch Fragen auf den Plan, welche die Sinnhaftigkeit vom Klettern solch teilweise (zu) spärlich abgesicherter Routen betraf. Kurzum: zur Zeit sehe ich den Reiz des Klettersports in erster Linie im Ziehen von (für mich) physisch harten und koordinativ anspruchsvollen Moves in einer sicheren Umgebung. Bzw. eben genau *nicht* beim Ausführen von an sich einfachen Bewegungen in einem gefährlichen Environment. Und obendrein: psychisch anspruchsvoll im Sinne von dass man sich zwingend im Kopf zu überwinden hat, muss es auch nicht sein. Was natürlich die Frage aufwirft, ob denn MSL-Klettern mit einer solchen Einstellung überhaupt noch die richtige Tätigkeit ist 🤔 Wobei ich den Reiz vom Klettern in einer hohen Wand mit vielen Seillängen an einem Tag nach wie vor verspüre. Vielleicht muss ich einfach sorgfältiger bei der Auswahl der Routen sein. 

Trotz allem: schön war's! Und wie man sieht: im Tessin ist es auf dieser Höhe nordseitig winterlich.

Noch etwas spezifischer in Bezug auf die gekletterte Route: in der Vai con gli amici könnte ein Sturz am falschen Ort teilweise erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen (weite, schlecht kontrollierbare Stürze, unfreundliches Landegelände, Zusammenprall mit der Sicherungsperson). Und eine gewisse Eintretenswahrscheinlichkeit ist auch mit entsprechenden Können gegeben: klar, ultrahart sind diesen exponierten Runouts schliesslich nie. Aber teilweise eben doch mit 6a/6a+/6b-Kletterei, welche wacklig, gewagt und nicht jederzeit nach Belieben an guten Griffen reversibel ist. Neben dem Risiko wird aber auch die Kletterei so ein ständiger Eiertanz. Neben dem Landschaftserlebnis ist der Kletterflow für mich ein wesentlicher Aspekt vom Reiz der MSL-Kletterei. Und diesen Fluss findet man halt kaum, wenn man beständig nach (dann sowieso wieder kaum brauchbaren) mobilen Möglichkeiten, der Linie oder einer halbwegs stabil-sicher durchführbaren Sequenz sucht und nur im Schneckentempo vorankommt. Der Clou dabei ist auch noch, dass auf den von uns gekletterten 11 Seillängen nur (aber doch) 35 Zwischen-BH stecken. Es bräuchte keine 10 Stück mehr, damit man die Route (inkl. der zuverlässigen mobilen Möglichkeiten) als einwandfrei gut abgesichert taxieren könnte. In diesem Sinne wirkt die Sache irgendwie doppelt schade und wie eine verpasste Gelegenheit...

Facts

Pizzo d'Eus - Vai con gli amici 7b (6c+ obl.) - 16 SL, 465m - Fratagnoli/Petazzi 2012 - ****;xx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots: 1x Micros bis Grösse 0.2, 2x 0.3-0.75, 1x 1-2, Keile

Eigentlich ist schon fast alles gesagt: die Kletterei ist an sich hervorragend und bietet einen Mix von griffiger Wandkletterei und Trad-Moves an Rissen, Verschneidungen und Schuppen, ein paar wenige Slab-Passagen trifft man auch an. Die Felsqualität ist durchgehend prima mit oft erstaunlicher Struktur. Ob den seltenen Begehungen ist die Oberfläche teils etwas sandig-brösmelig, manch eine Schuppe tönt etwas hohl und gewisse (eher kurze, aber u.U. doch entscheidende) Passagen können nach Regenfällen oder im Winterhalbjahr nass sein. Wo mobil gesichert werden kann, stecken so gut wie nie Bohrhaken. Das Problem besteht jedoch mehr darin, dass nicht überall dort wo nicht (zuverlässig) mobil gesichert werden kann, Bohrhaken stecken. Die Crux-Passagen sind vernünftig geboltet und generell kann man sich schon recht gut darauf verlassen, dass dort wo es dann definitiv anspruchsvoll wird, ein BH steckt. Trotzdem, es verbleibt ein substanzieller Rest von Passagen mit nichttrivialer Kletterei, der schlicht und einfach ungenügend abgesichert ist. An Gear sollten ein paar Microcams nicht fehlen, an den Grössen um die 0.4 herum kann man kaum genügend haben (mind. doppelt, dreifach auch nicht verkehrt!). Die grossen Cams kommen nur selten zum Einsatz, die mitgeführte Grösse 3 haben wir sogar gar nie gebraucht (aber Achtung, wir haben die Route nicht bis zum Ende geklettert, evtl. braucht es sie im oberen Wandteil!). Topos und Infos zu den anderen Routen am Berg findet man im Extrem Sud von Filidor oder im SAC-Kletterführer Tessin. Anbei die Toposkizze der Erschliesser, aufgepeppt mit BH-Symbolen und einigen Kommentaren.

Toposkizze der Erschliesser, aufgepeppt mit den Sicherungssymbolen.