Wenn man in der Schweiz im Winter lange und anspruchsvolle MSL klettern möchte, dann ist das Tessin die Destination der Wahl. Und ist man insbesondere auf den Schwierigkeitsbereich um 7b/7c fokussiert, so ist es die fabelhafte Wand vom Pizzo d'Eus. Bereits wieder über 3 Jahre ist es her, seit wir in einem Doppelbesuch die Radici del Silvio und die Magic Rampit geklettert hatten. Nun waren die Bedingungen und der freie Slot im Kalender wieder einmal gegeben. Wie es um die Kletterform stünde, war hingegen eine andere Frage. Klar, gebouldert worden war schon fleissig, aber die Capacity für einen langen und anspruchsvollen MSL-Tag wurde nicht trainiert. Somit würde es wohl gleich einen ziemlichen Hammer geben, aber probieren wollten wir es auf jeden Fall.
Zustieg
Ohne Einsatz geht eine Tour am Pizzo d'Eus nicht ab, der Tag startete mit sehr frühem Aufstehen um 3.45 Uhr. Der schöne Nebeneffekt waren komplett freie Strassen Richtung Süden, so dass wir um 7.15 Uhr mit dem Zustieg starteten. Dieser hielt schon bald ein spannendes Element bereit, nämlich die Überquerung des Riale di Pincascia. Hatte diese damals bei der Cacciatori di Pareti eine Kneippkur im eiskalten Wasser erfordert, so ging es im Februar 2022 bequem von Stein zu Stein hopsend. Nun war der Winter 2025 längst nicht so trocken gewesen wie jener drei Jahre zuvor. Was das wohl hiesse? Mehr Wasser im Fluss, das war ganz sicher. Es ging gerade noch, um trockenen Fusses ans andere Ufer zu kommen. Das Fazit war aber: nur noch ein bisschen mehr an Wasser, dann wäre dem nicht mehr so. Sodann wählten wir die 2022 ausgecheckte Abkürzung via Cürt. Natürlich war der Effekt unseres Laubrechens von damals längst verpufft, aber die spärlichen Markierungen waren noch da und der Wegverlauf meist vernünftig erkennbar.
So hatten wir keine Orientierungsprobleme und gelangten zügig in knapp 1:20h zum Punkt, wo der Wanderweg am Ende der Ketten über eine Plattenzone gegen die Wand hin verlassen wird. Wir legten ein Depot an, da wir mit Haulbag klettern wollten und die Schuhe für einen möglichen Fussabstieg mitführten. Dann machten wir uns auf zum Wandfuss, wobei noch steiles Schrofengelände (tw. Fixseile vorhanden) bewältigt werden muss. Den Einstieg kannten wir schon von früher, er befindet sich mehr oder weniger dort, wo man im Zustieg an die Wand stösst, bei einer grossen, angelehnten Felsplatte. An deren rechtem Rand befindet sich auf Brusthöhe ein Dübel ohne Plättli, die erste BH-Zwischensicherung auf 3m Höhe ist gut sichtbar (sonst jedoch nichts). Um 9.20 Uhr starteten wir schliesslich mit der Kletterei - rein sonnenbedingt wäre dies sicher schon mindestens 30, möglicherweise sogar 60 Minuten früher möglich gewesen. Zu erwähnen ist noch, dass das Einstiegsgelände wirklich extrem zeckenversucht ist. Trotz "noch Winter" und absenter Vegetation krabbelten bald einige der Viecher an einem herum.
Routenbeschreibung
L1, 25m, 6a: Von der angelehnten Platte weg startet man in die leistige Wand. Den ersten BH hat man bald einmal überklettert und weil nichts liegt, droht das Einkratern auf Terra Firma. Das Gelände wird dann zwar einfacher, aber auch etwas gemüsig. Die Felsqualität ist eher soso, die Schuppen tönen alle dumpf. Ein herber Auftakt, "Augen zu und durch" muss das Motto lauten. Der zweite Teil wartet dann hingegen mit echt cooler Kletterei auf. Unter einem Dachriegel quert man im Layback an Untergriffen anstrengend nach links hinauf und muss dabei selber legen. Zuletzt dann über das Dach hinweg (BH). Taffe Sache das, ich sehe die Bewertung (im Kontext der Route) mindestens bei 6a+, eher bei 6b.
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Fordernde Untergriffkletterei einem Dachriegel entlang im oberen Teil von L1 (6a hard). |
L2, 35m, 6b+: Ein BH ist erst in weiter Ferne erkennbar. Aber immerhin, man sieht den Richtungsweiser und der Weg dahin an Schuppen, Rissen und Verschneidungen ist klar vorgegeben. Super Kletterei, legen kann man gut, wenn auch nicht ganz immer à discretion. Einzig der dumpfe Klang von einigen Schuppen wirft die Frage auf, wie zuverlässig die Sicherungen sind. Vom BH weg wechselt es dann auf formidable Wandkletterei, die sich erst zwar athletisch, aber gutgriffig mit lochartigen Taschen präsentiert. Ein einfacher Runout in gängigem Henkelterrain führt zu einem letzten BH vor dem Grasband-Ausstieg, für längere Zeit der letzte richtig bequeme Stand.
Steile, selbst abzusichernde Kletterei an Schuppen, Rissen und Verschneidungen in L2 (6b). |
L3, 30m, 6c: Achtung, die BH direkt oberhalb vom Stand gehören zur Nachbarroute Tempo per respirare. Sie sind aber eh nicht einfach erreichbar und der Weg dem markanten, diagonal nach links ziehenden Fingerriss entlang ist klar vorgegeben, zudem sind die ersten zwei BH erkennbar. Der Riss klettert sich extrageil, es heisst wegen Trittarmut ein paar Mal entschlossen zuzupacken, bevor man zu einer angelehnten Schuppe (etwas spooky) gelangt. An dieser hangelnd oder (wer wagt es?) darauf gehend zu BH, dann folgt ein weiter Sicherungsabstand mit Wandkletterei an den ortsüblichen, lochähnlichen Taschen - genial! Der folgende BH ist strategisch platziert, man erkenne die Optimallinie. Ziemlich viele tolle Moves sind nötig, um den Ausgangspunkt für den finalen Boulder 3m über dem letzten Bolt zu erreichen. Mitbringen tut man für diesen im Idealfall einen (wirklich kleinen) Microcam plus die nötige Körpergrösse, um ihn am Ansatz der Schuppe platzieren zu können. Weiter braucht es die Körpergrösse dann auch, um einen Seitgriff an der Schuppe zu kriegen, an welchem man seinen rechten Fuss auf Kopfhöhe platziert und sich auf einer Leiste aufrichtet. Für Kleingewachsene könnte diese Stelle eine ziemliche Herausforderung sein.
Erst ein toller Riss, dann folgt in L3 (6c) vorwiegend Wandkletterei. |
L4, 25m, 6b+: Der erste BH folgt gleich nach dem Stand, aber er steckt hoch und ist tricky zu klippen. Er sichert einen Wandkletter-Boulder, der an eine kleine Verschneidung führt, in welcher man die nächsten Meter zügig gewinnt. Doch dann folgt das Problem: der nächste BH steckt etwa 4m rechts oben und muss mit einer heiklen Plattentraverse angeklettert werden. Vor Beginn dieser Passage habe ich zwar drei Klemmgeräte gelegt. Die Placements sind aber alle flared und meines Erachtens nicht zuverlässig. Einen Sturz darf man da keinesfalls riskieren: er wäre weit, Faktor >> 1 und das Risiko von einem Zusammenprall aus 10m Höhe mit der Sicherungsperson ist auch da. Die Stelle ist vielleicht schon nur ca. 6a/6a+, aber unangenehm, balancy und (auch mit Kraftreserven) schwer kontrollierbar. Kurzum, ein ziemlicher Mist. Zum nächsten BH geht's dann einfacher, der steckt aber hoch und erfordert einen Umweg. Nachher gibt's dann noch 10m horizontale Plattenquerung "senza fix", aber es kommt mittig noch ein gutes Placement. Im Vorstieg passt's schon, im Nachstieg hingegen ist es recht giftig.
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Plattige Querung am Ende von L4 (6b+), für den Nachstieg eher ungünstig abgesichert. |
L5, 20m, 6c: Nochmals eine supercoole Seillänge! Wandkletter-Auftakt, wo der eine BH optimal steckt, ein bisschen kann man noch ergänzen. Wenn man die Linie findet, geht's gut auf. Die führt zu einer rissigen Steilstufe, wo zwingend und recht athletisch gejammt werden muss. Für diese Stelle sind Risshandschuhe komfortabel. Der Exit aus dieser Passage erfordert dann die Bedienung des (im O-Ton von Viktor) "grössten Slopers im Tessin". Tricky Sache, zudem auch zwingend mit den Füssen über dem letzten Cam. Man schiebt und stützt sich schliesslich hinauf zu einer letzten Hangelquerung, auch diese will mobil gesichert werden.
Ausblick auf die tolle L5 (6c), welche zur Überhangzone heranführt. |
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Nochmals anspruchsvolle Sloper Hugging Stelle am Ende von L5 (6c), legen geht erst danach wieder. |
L6, 25m, 7b: In dieser Seillänge wird der fette Überhang bezwungen, welcher mittig die Wand durchzieht. Die Sache beginnt mit einem, gängigen, griffig-rissigen Auftakt, wo das Platzieren von ein, zwei Cams nicht verkehrt ist. Nach einer letzten Ruhepause gilt es dann ernst, wobei vorerst Schuppen mit kernigen Henkeln warten, die einen in eine luftige Position bringen. Gegen das Ende hin werden die Griffe trotz bleibender Steilheit kleiner und es folgt die Crux. Nicht einfach zum Onsighten meine ich - doch schon die Angabe vom Grund warum das so ist, wäre zu viel verraten. Immerhin, die Erschliesser haben uns Wiederholern die Sache einfacher gemacht, indem sie zwei Dübel (welche sie zum Hockommen nutzten) wieder abgebrochen haben. Somit muss auf dem Cruxabschnitt nur 1x statt 3x geklippt werden 🙄 Mit entsprechendem Effekt auf die Verpflichtung, die Stelle obligatorisch klettern zu müssen. Zum Stand hinauf gilt es dann noch etwas Rési zu beweisen - fehlt diese, könnte man auch da noch abgeworfen werden.
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Im Ausstieg von L7 (7b) ist noch etwas Biss nötig. |
L7, 30m, 6c: Ein Abschnitt mit steiler (+/- senkrechter) Wandkletterei, welcher aufgrund der spärlichen Absicherung nur so mässig Freude macht. Den ersten BH erreicht man noch bald einmal, doch dann turnt man direkt über dem Stand eine Weile rum, bis die zweite Sicherung einschnappt. Weitere sind aus dieser Position keine erkennbar. Bzw. jene die etwas rechts erkenn- und erreichbar sind, gehören zur hier nahe verlaufenden Tempo per respirare (8a) und sind die falsche Adresse. Es geht mit einem längeren Abstand gerade hinauf. Im Rückblick ist das schon griffiges, nicht wirklich schwieriges Terrain. Aber ohne dies zu wissen und ohne klare Orientierung ist es einfach ein Mist. Man riskiert aus über 15m Höhe einen Sturz mit Faktor >1 und ob man einen allfälligen Flug am Sicherungspersonal vorbeisteuern könnte ist unsicher. Zum Stand hin dann weiterhin Runout, das Gelände legt sich aber etwas zurück. PS: legen kann man auf dieser Seillänge kaum zuverlässig.
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Steile Wandkletterei in toll strukturiertem Fels, aber (zu) knappe Absicherung in L7 (6c). |
L8, 25m, 6c: Im gleichen Stil wie in der Länge davor geht es weiter. Die ersten beiden BH kommen bald einmal nach dem Stand (der zweite ist etwas rechts versteckt und könnte übersehen werden). Bis zum Stand gibt's dann nur mehr einen weiteren BH - wobei man sich dank der zurücklegenden Steilheit hier immerhin nur von No-Hander zu No-Hander vorwärtskämpfen muss. Mitten in einem weiten Abstand bietet eine Schuppe ein gutes Placement für den 0.3er Cam. Nur leider tönt sie dumpf/hohl, das Bomber Placement ist es somit leider nicht. Zur Bewertung muss man noch sagen, dass wir die 6c hier nicht nachvollziehen konnten. Nach meinem Empfinden war es bis zu diesem Punkt sogar der einfachste Abschnitt der Route.
Dito L7 kann man hier sagen, wobei: L8 (6c) ist weniger steil und kam uns deutlich einfacher vor. |
L9, 40m, 6b+: Vom Stand zum gut sichtbaren ersten BH, nach diesem folgt ein langer, athletischer Move, der etwas Entschlossenheit verlangt. Der wahnwitzig erscheinende Runout zum nächsten Silberling kann tatsächlich nicht mobil entschärft werden. Zum Glück entpuppt sich die Kletterei als gutmütiger wie befürchtet, einfach ein Sturz liegt nicht drin. In diesem Stil geht es auch weiter (relativ einfache, ziemlich griffige Kletterei bei weiten Abständen), bis es zum Schluss plattig und glatt wird. Dieser Abschnitt kann vom Band oberhalb besifft werden - das Hochkommen funktioniert aber u.U. trotzdem, weil die BH da näher stecken. In freier Kletterei ist der Klipp des letzten allerdings tricky, denn auf die Lasche desjenigen darunter zu stehen wäre zwar die bequeme Lösung, gilt aber halt nicht. Wobei man sagen muss, dass da schon etwas knifflig-feine Reibung wartet, für eine Reibungs-6b+ ist es dann allerdings auch wieder relativ gutmütig.
Am Ende von L9 (6b+) wartet ein glatte, knapp strukturierte Platte. Gut gesichert, aber wohl oft nass. |
L10, 20m, 4a: Kurz im Fels und dann ins Gras, das ist das Motto. Es geht nicht etwa direkt voraus, sondern rechts über die geneigte Platte. Obwohl die Erschliesser sonst mit den BH eher gegeizt haben, stecken hier in kurzem Abstand zwei Exemplare- wohl weil dieser Abschnitt oft feucht, dreckig und glibberig ist. Bei unserer Begehung traf dies zu und in diesem Zustand war der Abschnitt nicht in freier Kletterei zu bewältigen. Nachher dann geradeaus hinauf zu BH-Stand am Fuss der oberen Wand.
Querung über das Band (L11): easy, aber das verdorrte Gras ist extrem rutschig! |
L11, 40m, Gehgelände: Es folgt nun eine Traverse über das Band nach rechts hinunter. Man passiert dabei erst den Stand von Tempo per respirare, dann jenen der Magic Rampit und erst nachdem man etwas um die Ecke gebogen ist, folgt dann jener für die Fortsetzung der Vai con gli amici. Es sind zwei normale, unverbundene Laschen (keine Ringe o.ä.), im März 2025 war der Routenname auch mit Farbe angeschrieben (siehe Foto oben im Abschnitt Zustieg).
Abstieg
An diesem Punkt endete unsere Begehung der Route. Der Routenverlauf im oberen Wandteil mit fünf weiteren, mutmasslich sehr anspruchsvollen Seillängen (6c+, 7a, 7a+, 6a, 5a) lag bereits schon seit einer Weile wieder im Schatten. So drückte die Feuchtigkeit wieder aus den Bändern uns Rissen. Noch viel mehr war uns aber die Zeit davongelaufen. Die Uhr war bereits auf 17.20 Uhr vorgerückt, es blieb nur noch eine knappe Stunde an Tageslicht. An Kraft und Motivation zum Weitermachen hätte es nicht unbedingt gefehlt, doch so machte dies natürlich wenig Sinn: zum Top wären wir höchstens mit einer ausgedehnten Nachtaktion gekommen. Natürlich hatten wir dies bereits am Ende von L9 erkannt, jedoch wollten wir den oberen Routenteil noch aus der Nähe inspizieren und nahmen die Mühsal der beiden gemüsigen Seillängen im Bereich des Bandes auf uns. Nun galt es, diesen Teil wieder rückgängig zu machen. D.h. zurück über das Band, welches zwar gut begehbar ist, doch wegen dem extrem rutschigen, trockenen Steilgras trotzdem gesichert werden sollte. Es folgt dann eine kurze Abseilstrecke zu Stand 9, von wo es dann sehr zügig in 5 steilen und teils sehr luftigen Manövern retour geht (9 -> 8 -> 6 -> separater Abseilstand einige Meter unterhalb von 4 -> 2 -> Einstieg).
Im letzten Tageslicht stiegen wir entlang der Fixseile über die steilen Schrofen ab. Das war durchaus etwas heikel, denn von der Feuchtigkeit überronnene Granitplatten mit Laubauflage bilden einen sehr heiklen Mix, so dass wir an einer Stelle sogar noch einen kurzen Abseiler von einem Baum zogen. Zurück am Weg verpufften wir unser Material, nahmen einen Vesper ein und liefen dann um 18.50 Uhr im Schein der Stirnlampen los. Über unseren Aufstiegsweg (d.h. die Cinghiali-Abkürzung via Cürt) waren wir in gut 50 Minuten retour beim Parkplatz. Auf Kneippkur und Stahlseilhangeln konnte auch auf dem Rückweg verzichtet werden, die Flussüberquerung trockenen Fusses war aber ein Parcours-Gustostücklein und ging nur knapp. Somit verblieb der lange Heimweg mit ausreichend Gelegenheit zur Kontemplation.
Abseilen über den Grasteil von L10 (4a). |
Epilog
Während der Fahrt (und auch jetzt mit distanziertem Rückblick) wurde zwar ein toller und sehr erlebnisreicher Klettertag bilanziert, welcher auch kletterstreckenmässig mit ~300m reich gefüllt war. Jedoch traten auch Fragen auf den Plan, welche die Sinnhaftigkeit vom Klettern solch teilweise (zu) spärlich abgesicherter Routen betraf. Kurzum: zur Zeit sehe ich den Reiz des Klettersports in erster Linie im Ziehen von (für mich) physisch harten und koordinativ anspruchsvollen Moves in einer sicheren Umgebung. Bzw. eben genau *nicht* beim Ausführen von an sich einfachen Bewegungen in einem gefährlichen Environment. Und obendrein: psychisch anspruchsvoll im Sinne von dass man sich zwingend im Kopf zu überwinden hat, muss es auch nicht sein. Was natürlich die Frage aufwirft, ob denn MSL-Klettern mit einer solchen Einstellung überhaupt noch die richtige Tätigkeit ist 🤔 Wobei ich den Reiz vom Klettern in einer hohen Wand mit vielen Seillängen an einem Tag nach wie vor verspüre. Vielleicht muss ich einfach sorgfältiger bei der Auswahl der Routen sein.
Trotz allem: schön war's! Und wie man sieht: im Tessin ist es auf dieser Höhe nordseitig winterlich. |
Noch etwas spezifischer in Bezug auf die gekletterte Route: in der Vai con gli amici könnte ein Sturz am falschen Ort teilweise erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen (weite, schlecht kontrollierbare Stürze, unfreundliches Landegelände, Zusammenprall mit der Sicherungsperson). Und eine gewisse Eintretenswahrscheinlichkeit ist auch mit entsprechenden Können gegeben: klar, ultrahart sind diesen exponierten Runouts schliesslich nie. Aber teilweise eben doch mit 6a/6a+/6b-Kletterei, welche wacklig, gewagt und nicht jederzeit nach Belieben an guten Griffen reversibel ist. Neben dem Risiko wird aber auch die Kletterei so ein ständiger Eiertanz. Neben dem Landschaftserlebnis ist der Kletterflow für mich ein wesentlicher Aspekt vom Reiz der MSL-Kletterei. Und diesen Fluss findet man halt kaum, wenn man beständig nach (dann sowieso wieder kaum brauchbaren) mobilen Möglichkeiten, der Linie oder einer halbwegs stabil-sicher durchführbaren Sequenz sucht und nur im Schneckentempo vorankommt. Der Clou dabei ist auch noch, dass auf den von uns gekletterten 11 Seillängen nur (aber doch) 35 Zwischen-BH stecken. Es bräuchte keine 10 Stück mehr, damit man die Route (inkl. der zuverlässigen mobilen Möglichkeiten) als einwandfrei gut abgesichert taxieren könnte. In diesem Sinne wirkt die Sache irgendwie doppelt schade und wie eine verpasste Gelegenheit...
Facts
Pizzo d'Eus - Vai con gli amici 7b (6c+ obl.) - 16 SL, 465m - Fratagnoli/Petazzi 2012 - ****;xx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots: 1x Micros bis Grösse 0.2, 2x 0.3-0.75, 1x 1-2, Keile
Eigentlich ist schon fast alles gesagt: die Kletterei ist an sich hervorragend und bietet einen Mix von griffiger Wandkletterei und Trad-Moves an Rissen, Verschneidungen und Schuppen, ein paar wenige Slab-Passagen trifft man auch an. Die Felsqualität ist durchgehend prima mit oft erstaunlicher Struktur. Ob den seltenen Begehungen ist die Oberfläche teils etwas sandig-brösmelig, manch eine Schuppe tönt etwas hohl und gewisse (eher kurze, aber u.U. doch entscheidende) Passagen können nach Regenfällen oder im Winterhalbjahr nass sein. Wo mobil gesichert werden kann, stecken so gut wie nie Bohrhaken. Das Problem besteht jedoch mehr darin, dass nicht überall dort wo nicht (zuverlässig) mobil gesichert werden kann, Bohrhaken stecken. Die Crux-Passagen sind vernünftig geboltet und generell kann man sich schon recht gut darauf verlassen, dass dort wo es dann definitiv anspruchsvoll wird, ein BH steckt. Trotzdem, es verbleibt ein substanzieller Rest von Passagen mit nichttrivialer Kletterei, der schlicht und einfach ungenügend abgesichert ist. An Gear sollten ein paar Microcams nicht fehlen, an den Grössen um die 0.4 herum kann man kaum genügend haben (mind. doppelt, dreifach auch nicht verkehrt!). Die grossen Cams kommen nur selten zum Einsatz, die mitgeführte Grösse 3 haben wir sogar gar nie gebraucht (aber Achtung, wir haben die Route nicht bis zum Ende geklettert, evtl. braucht es sie im oberen Wandteil!). Topos und Infos zu den anderen Routen am Berg findet man im Extrem Sud von Filidor oder im SAC-Kletterführer Tessin. Anbei die Toposkizze der Erschliesser, aufgepeppt mit BH-Symbolen und einigen Kommentaren.
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Toposkizze der Erschliesser, aufgepeppt mit den Sicherungssymbolen. |
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