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Mittwoch, 6. April 2016

Rätikon / Schweizereck - Anarchist (8a+)

Unsere Begehung der steilen Route Anarchist (8a+) am Schweizereck im Rätikon liegt zwar schon einige Zeit zurück. Aber anstatt die Erinnerungen, Bilder und Filmsequenzen in der Mottenkiste vergessen gehen zu lassen, sollen hier noch einige informative Zeilen darüber geschrieben werden. Nach langen Wochen des Darbens geht's nun schliesslich definitiv dem Frühling entgegen. Auch wenn für solche MSL-Touren noch etwas an der Form gefeilt und vor allem gehörig Schnee geschmolzen werden muss, kommt langsam aber sicher die Jahreszeit, zu welcher es wieder ernst gilt :-)

Die Wand vom Schweizereck im Rätikon mit dem Verlauf der Route Anarchist (8a+).
Unsere Tour beginnt mit der wie immer holprigen Anfahrt zum Grüscher Älpli, bzw. zum Melkplatz oberhalb, sofern dieser nicht von den Älplern genutzt wird. In einer guten halben Stunde erreicht man von dort über den Wanderweg den flachen Boden unter der siebten Kirchlispitze, von wo es über ein steiles Geröllfeld und eine kurze, drahtseilversicherte Steilstufe zum Einstieg geht. Markiert war dieser zum Zeitpunkt unserer Begehung nicht, dank Kenntnis der Nachbarrouten für uns aber doch eindeutig identifizierbar. Ansonsten mögen hoffentlich das Topo und unsere Fotos helfen. Der Einstieg wird ab etwa 12 Uhr von der Sonne beschienen, wir starteten an diesem relativ warmen Tag aber bereits um 9.00 Uhr. Ob der steilen, athletischen und schweren Kletterei hatten wir uns wie so oft entschieden, die Route mit einem Einfachseil zu klettern, und an einem Halbseil einen Haulbag aufzuziehen, was man an einem Tag mit konstant schwerer Kletterei halt so braucht (unterschiedliche Schuhe, Essen, Getränk, warme Kleider für geduldiges Sichern, ...).

L1, 6a: Unten schöne Platte mit eher weiter Absicherung, oben leicht, aber grasig und brüchig.

Hier geht es los, das Foto möge beim Auffinden des nicht näher bezeichneten Einstiegs dienen.
Rückblick von oben auf L1 (6a), von oben sieht's eher wie der verschärfte Teil vom Wanderweg aus.
L2, 6c: Teils gehörig alpin (grasig/brüchig) und knapp gesichert, am Ende ein paar schöne Meter.

Schöne und schon beinahe genüssliche Kletterei am Ende der herbalpinen L2 (6c). 
L3, 7b+: Querung nach links hinaus, bouldrige Crux, das Finish kühn an kniffligem Riss (Film siehe unten).

Auftakt zu L3 (7b+), die orangen Flechten charakteristisch für diesen Sektor. Hinten die Kirchlispitzen.
Nachstieg am nicht zu unterschätzenden Ende von L3 (7b+).
L4, 7c: Gelbe, schiefrig-glatte Wand zu Beginn, scharfe Tropflöcher zur Schaukel am Ende.

Start in die schiefrig-gelbe Wand von L4 (7c), anhaltende Sache gewürzt mit bouldrigen Einzelstellen.
Kletterei an fetzenscharfen, aber leider kaum so richtig griffigen Tropflöchern am Ende von L4 (7c). 
L5, 7b: Steiler und athletischer Auftakt, zum Ende hin erneut ein Riss. Scharf.

L6, 7c: Zum Dach und in sehr schönem Fels (kurzer Boulder) drüber hinweg, super Länge!

Zum Dach hinauf, bouldrig darüber hinweg und dann in supergenialem Fels weiter geht's in L6 (7c). 
L7, 8a: Lang, steil, athletisch und kurvig (Seilzug!). Teils etwas splittrig, Boulderstellen mit Rests.

Besser liesse sich kaum darstellen, wie steil L7 (8a) ist. Der Fels ist aber teils soso, und Achtung Seilzug!
Am Ende von L8 (8a) muss man dann nämlich von athletischem Gebolze auf diffizile Plattenkletterei umstellen.
L8, 7b: Zwingende Plattenstelle zu kleinem Dach, fordernd für den angegebenen Grad! Guter Fels.

L9, 8a+: Relativ wenig steile Kletterei, dafür aber umso kniffliger.

In L9 war der Ofen dann endgültig aus. Haut-, Kraft- und Zeitreserven waren definitiv aufgebraucht, auch wenn bis zum Top noch zwei Seillängen gewartet hätten, Die in L10 folgende 7c+ sah dabei extrem steil und luftig aus, zur 7b-Abschlusslänge kann ich leider gar keine Aussage treffen. Die steile Abseilerei an teils separaten Ständen (siehe Topo im Extrem Ost) erfordert dann nochmals Konzentration, ist aber tiptop zu meistern. Um etwa 18.00 Uhr setzten wir mit müden Gliedern unsere Füsse wieder auf den Boden. Während dem kurzen Abstieg und der längeren Holperfahrt konnten wir philosophieren. Ja, kein Wunder, dass im Anarchist eine komplette RP-Begehung in einem Tag noch immer ausstehend ist! Die Erstbegeher konnten nämlich nur jede Länge einzeln an verschiedenen Tagen punkten. Doch selbst dies ist schon eine sehr hoch einzustufende Leistung. Für den Gesamtdurchstieg muss man dann doch nach reichlich 7bc-Kletterei in L7, L9 und L10 lange, anhaltende und steile Seillängen in den Graden 8a, 8a+ und 7c+ ziehen. Für mich persönlich ein Ding der Unmöglichkeit, und auch für meinen Seilpartner, der mit diesem Projekt geliebäugelt hatte, nach seinen Aussagen zur damaligen Zeit ein zu ambitioniertes Vorhaben. Avis aux amateurs: soweit ich weiss, steht der RP-Gesamtdurchstieg auch heute noch aus. Zum Schluss noch einige animierte Sequenzen (von mässiger Bildqualität), aufgenommen am Ende von L3 (7b+). Rissklettern? Also sowas...



Facts

Rätikon / Schweizereck - Anarchist 8a+ (7b obl.) - 11 SL, 385m - Wolf/Habersatter/Läng 2009 - ***;xxx
Material: 1x60m Einfachseil, 1x60m Hilfsseil, Haulbag, 16 Express (teils lange!), Camalots 0.5-1

Extremroute mit anhaltenden Schwierigkeiten im Bereich 7bc in teils aussergewöhnlich steilem Fels, der vielfach athletische, mit bouldrigen Stellen gewürzte Kletterei bietet. Die Felsqualität empfand ich nicht als überragend, auch nach den mässig schönen Einstiegslängen ist es manchmal etwas splittrig, oder dann wieder sehr scharf. Schöner, strukturierter und griffiger Fels ist eher der Ausnahmefall, aber vielleicht sollte man diesen auch eher in einer Route im 7a-Bereich suchen ;-) Rein von der Schönheit her beurteile ich das als eine ***-Route. Extrapunkte mögen kompetente Aspiranten sicher für die luftige, herausfordernde Linie und die für MSL-Verhältnisse aussergewöhnlich steile, anhaltende und athletische Kletterei vergeben. In dieser Hinsicht ist die Route für Schweizer Verhältnisse wirklich ziemlich aussergewöhnlich. Die Absicherung darf man als gut bezeichnen, die schweren Stellen sind +/- sportklettermässig eingebohrt. Wo es etwas einfacher wird (7ab), darf man sich aber durchaus dem einen oder anderen (ungefährlichen) Runout erfreuen. Das einfache und brüchige Gelände zu Beginn empfand ich für meinen Geschmack als zu spärlich abgesichert. Ein Topo zur Route findet man im Extrem Ost aus dem Filidor-Verlag.

Noch eine wichtige Ergänzung zum Topo, von einem gebrannten Kind: beim zweitletzten Abseilstand beträt die Abseilstrecke gemäss Topo 55m, was definitiv nicht den Tatsachen entspricht. Es sind nur etwa 30m, und der Stand befindet sich noch im steilen Teil der Wand und nicht auf dem Vorbau, bis wohin die Seile problemlos reichen würden. Unten auf dem Vorbau gibt es keinen Stand mehr, wer also im Vertrauen aufs Topo gegen das Seilende hinunterrauscht, wird nicht um eine mühsame Prusikaktion oder das Improvisieren eines Standes an einem Felszacken herumkommen.

1 Kommentar:

  1. Leider kann ich über diese Route keinen Kommentar liefern...sie liegt weit über meinen Möglichkeiten...doch kannte ich Günti Habersatter gut...es war ihm leider nicht mehr vergönnt diese Route zu punkten...sicher hätte er sich über deinen Bericht und die schönen Bilder sehr gefreut...Danke und Gruss Robert

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