Mir persönlich war die Lust aufs Eisklettern ob dem Tau- und Regenwetter gründlich vergangen. Vermutlich ist's auch besser so, an hinterspültem und losgelöstem Eis zu klettern, dürfte dem Wohlergehen nicht in jedem Fall dienlich sein. Dem Föhn sei Dank stiegen die Temperaturen bereits locker wieder auf zweistellige Plusgrade, zusammen mit viel Sonnenschein fühlte sich das definitiv bereits schwer nach Frühling an. Speziell war, dass ich ein Uralt-Projekt gleich zum Saisonauftakt bodigen konnte. Schon seit Jahren hatte ich dort sporadisch den einen oder anderen Versuch gegeben, gereicht hatte es bisher nie. Die Route ist ausgeprägt vom Typ Fitnesskletterei. 40m lang, ca. 8m überhängend. Sehr kontinuierlich an kleinen, meist positiven Leisten. Bewertet mit dem Grad 8a, obwohl der nicht ganz unumstritten ist. Gerade deshalb möchte ich hier einige generelle Gedanken zum Sportkletter-Bewertungssystem spinnen.
Aussergewöhnlich an der Route ist, dass es einerseits keine einzige, wirklich verzweifelt schwere Stelle gibt, andererseits aber auch keinen einzigen, wirklich guten Rastpunkt. Wobei beide Aussagen im letzten Satz natürlich auch schon wieder diskutabel sind, da schlicht und einfach vom Auge des Betrachters abhängig. Die Einzelstellen konnte ich schon seit jeher gut klettern, der Durchstieg gelang mir in früheren Jahren trotzdem nie. Die kontinuierlich steile Wand ging an die Substanz, richtige Schüttler konnte ich keine identifizieren und wenn der Pump einmal kam, dann war Ende Gelände. Auch die elende Klipperei saugte mir immer bös am Strom, immerhin will das Seil 18x eingehängt werden, und dies eigentlich nie aus entspannter Position.
Das war einmal! Im Rückblick muss ich konstatieren, mir fehlte nicht die Fitness, sondern das Kraftniveau. Heute ging's besser. Mehr Maximalstrom sei Dank gehen alle Moves auf einem etwas tieferen Anstrengungsniveau. Plötzlich ist viel mehr Ruhe in der ganzen Begehung drin. Ich muss plötzlich nicht mehr dem Pump davonklettern, sondern kann an jedem etwas besseren Griff diesen wieder aus den Armen schütteln. Mit mehr Übersicht und Reserven lassen sich plötzlich auch die Füsse noch besser einsetzen. Beim Seilklippen bestehen plötzlich auch deutlich mehr Optionen, was den Kraftverpuff nochmals reduziert. So, dass man sich danach schliesslich fragen kann, ob es denn wirklich überhaupt so schwierig war?!?
Meine These: bei solchen Fitnessrouten hängt die Bewertung vom Niveau des Begehers ab. Irgendwie ein Widerspruch in sich, das heisst ja, dass unser Bewertungssystem gar nicht wirklich funktioniert. Ist aber so, wie folgendes Gedankenexperiment zeigt: man nehme eine anstrengende, ausdauernde aber doch nicht extrem pumpige 7a. Ein Idealbeispiel für mich wäre der Pizzabuuch auf der Galerie. Stellen wir uns einen Begeher vor, der die Route ganz knapp nicht punkten kann. Wie schwierig käme ihm die Sache vor, wenn er die Route 3x am Stück übereinander, ohne Pause und ohne wirklich guten Rastpunkt klettern müsste? Ich behaupte, mindestens 7b, wenn nicht noch schwerer. Und ein Durchstieg wäre völlig utopisch. Aus meiner persönlichen Perspektive ist das anders. Es wäre für mich keinen Deut schwieriger wie 7a. Die Moves im Pizzabuuch kann ich aus dem Effeff und sowieso kommen ja immer mal wieder gute Griffe, wo ich einen aufkommenden Pump gut unter Kontrolle halten könnte. Wenn's sein müsste, ginge das wohl auch 10x hintereinander.
Darum: Fitnessrouten fühlen sich "hard for the grade" an, wenn man das Niveau dafür nicht hat. Dafür sind sie soft für alle diejenigen, welche über der Schwierigkeit stehen. Bewertet werden sie am besten von den Kletterern, die sie gerade so knapp durchsteigen können - das ist schlicht und einfach der sinnvollste Ansatz. Die Diskussion beschränkt sich übrigens nicht auf mein hypothetisches Beispiel und meine Tour von heute - selbst im Spitzenbereich, z.B. in Bezug auf die Era Vella (9a) in Margalef findet sie genau so statt. Verbleibt noch die Frage, wie schwierig denn das Vehikel von heute ist. Hm, das weiss ich eigentlich auch nicht so genau... ;-)
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