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Freitag, 10. Februar 2023

Brunnital - Hydrophobia (WI6-)

Unverhofft kommt... vielleicht nicht allzu oft, aber diese Tour ist uns wirklich ziemlich unerwartet gelungen. Inzwischen sind wir ja eher so etwas wie Eiskletter-Pensionisten, welche die Pickel nur noch selten und zu ausgewählten Bedingungen schwingen. Sehr spontan kam am Vorabend die Verabredung mit Jonas zustande, nach Abwägen der Optionen wollten wir ins Brunnital um zu schauen, was machbar wäre. Dass es mit der Hydrophobia eine der prominentesten Linien im Tal werden würde, konnten wir da noch nicht wirklich auf der Agenda haben. Aber natürlich war dieser Plan im Hinterkopf schon ein wenig verdrahtet, schliesslich war das eine der "Top 10 of Switzerland"-Klettereien von Urs Odermatt, welche uns im Palmares noch fehlte.

* Hinweis: der Bericht ist für diesen Blog unüblich aktuell, d.h. die Tour liegt erst ein paar Tage zurück. Trotzdem ist er kein Tourentipp für die kommenden Tage. Mit den milden Temperaturen und viel Sonnenschein dürfte sich das Begehungsfenster bereits wieder geschlossen haben. 

Hydrophobia - prominent steht dieses eindrückliche Gemäuer am Wegesrand!

Morgens um 7.30 Uhr beim Parkplatz in Unterschächen stellten wir beruhigt fest, dass wir mit grösster Wahrscheinlichkeit als erstes Eiskletterteam des Tages ins Tal pilgern würden. Nur wenige Minuten leichten Anstiegs auf dem hartgepressten Schlittelweg sind es, bis sich die Hydrophobia in ihrer vollen Pracht präsentiert. Es war nicht üppig Eis vorhanden, laut dem Spurenbild waren vorher wohl nur 1 bis max. 2 Seilschaften geklettert, aber sonst standen alle Zeichen auf grün. Wann also, wenn nicht jetzt?!? Schliesslich wird man nicht jünger, es war einfach genau der richtige Zeitpunkt um es zu probieren. Wenn es sich als zu schwierig entpuppen sollte, dann wäre auch nichts verloren gewesen. In wenigen Schritten ist man von der Strasse am Bach unten. Dieser war nicht gefroren, von Stein zu Stein hopsend gelang uns aber eine Überquerung trockenen Fusses. Um ca. 8.30 Uhr hatten wir alles gerüstet und stiegen ein.

Gewaltige Landschaften - los geht's über den Partisanenweg, die direkte Variante heuer unmöglich.

L1, 40m: Laut Topo wurde auch schon direkt über die steilen Säulen gestartet. Eine davon berührte tatsächlich ganz knapp den Boden - aber dünn, fragil, röhrig und äusserst steil, für unsere Begriffe unkletterbar. Wir hatten aber sowieso einen anderen Plan: im Vorbeigehen hatte ich die Hydrophobia schon vielmals studiert und immer den Einstieg über den Partisanenweg als logische Variante erkannt. Dazu nutzt man rechts eine weniger steile Eisspur und quert dann über einen Balkon zur zentralen Hauptsäule. Das ging super, auch die Querung war einfacher wie befürchtet und liess sich mit Eisschrauben gut sichern. Gut geschützter und einigermassen bequemer Stand in der Nische bei der Hauptsäule.

Die Querung über das Band am Ende von L1 dürfte meistens gut möglich sein.

L2, 20m: Nun würde es steil werden, so viel war schon im Vornhinein klar! Als Linie des geringsten Widerstands entpuppte sich nicht die Hauptsäule, sondern der Vorhang rechts daneben. Was auf dem Foto mickrig-fragil aussieht, nahmen wir vor Ort als solide gewachsen und unbedenklich war. Steile, kompromisslose Moves aus dem Stand raus. Bald einmal lässt es nach, über eine Art Rampe steigt man auf den nächsten Boden aus. Hinter der Hauptsäule durch gelangt man zu einem Stand an Schlingen an einem verklemmten Block. Ein erstaunlicher Ort, de visu von der Gegenseite würde man hier nicht einen solch geräumigen Saal erwarten. Aber genau das ist das faszinierende am Eisklettern - die unglaublichen Orte, an welche man gelangt.

Nicht ganz scharf, aber trotzdem eindrücklich - der Saal am Ende von L2.

L3, 25m: "Noch steiler, noch geiler", müsste man fast sagen. Es war schon im Vornhinein klar, dass diese Passage an der Hauptsäule den Schlüssel zu einer erfolgreichen Begehung darstellen würde. Ob wir es uns wohl zutrauen würden?!? Beruhigend war die Tatsache, dass die Säule selbst am Sockel ~3m Durchmesser aufwies und sowohl am Boden wie auch am Fels sehr solide angefroren war. In Bezug auf die Stabilität der Struktur mussten wir also wenig Zweifel haben. Klettermässig geht's zuerst auf der dem Stand zugewandten Backside in lotrechtem Terrain los. Zum Glück war das Eis kompakt und sowohl gut zu schlagen wie zuverlässig zu schrauben. Die Crux bestand im Wechsel auf die Aussenseite - mir gelang es prima, genau an der richtigen Stelle liess sich ein Gerät supersolide versenken. Senkrecht ging es weiter, dank griffigem Eis und vernünftigen Tritten subjektiv ohne extremste Schwierigkeiten. Es sei aber nicht verschwiegen, dass es an dieser Stelle eine heftige Dusche absetzte! Danach lässt es leicht nach und man erreicht einen logischen Standplatz, wo man sich in eine Nische zurückziehen kann.

Das Pièce de Resistance in L3, ab der Stelle um die Ecke zu klettern war die Crux.

L4, 40m: Von der Nische ca. 15m in einem Winkel noch recht steil, aber aufgrund der Eisqualität und Morphologie sehr gut kletterbar hinauf, wo man in flacheres Terrain entlassen wird. Über dieses mit nochmals einer Stufe an den Fuss des nächsten Abschnitts, wo man links, mittig oder rechts perfekte Standplätze in Nischen antrifft. Hier Schutz zu suchen ist durchaus angenehm, hängen doch oberhalb an der Felsstufe zwei riesige, bedrohliche Zapfen (die zudem spätestens ab Mittag in der Sonne sind!). Wenn man es gescheit anlegt, lässt sich die Zeitspanne wo man sich direkt in Falllinie befindet, stark minimieren. Achtung, es ist sicherlich ratsam, nur bei guten Bedingungen (kein "Zapfen-Abhäng-Wetter") und tageszeitlich früh in die Hydrophobia einzusteigen.

Einen gut geschützten Standplatz zu finden ist das A und O beim Eisklettern (der hier nach L1).

L5, 50m: Gleich über die erste Stufe hinauf, dann führt ein flacherer Abschnitt an das letzte Pièce de Resistance, gebildet von einer 15m hohen, +/- senkrechten Stufe. Hätten wir diesen Teil isoliert bzw. zuerst klettern müssen, so hätten wir davor wohl 3x leer geschluckt. Mit dem Selbstvertrauen der bereits bewältigten Steilabschnitte war's aber keine grosse Geschichte mehr, da es schlicht und einfach weniger kompromisslos, breiter, mit perfektem Eis und gutmütiger Morphologie (Ausspreizmöglichkeiten) aufwartete. Danach legt sich das Terrain zurück, in Genusskletterei klettert man zu gut geschütztem Stand bei einer Nische am linken Rand des Falls.

Am Ende von L5 gibt's noch ein paar einfache Meter, ab da genossen wir den Sonnenschein.

L6, 40-50m: Ab hier kletterten wir nun sogar in der Sonne - man muss sich bewusst sein, dass diese schon anfangs Februar relativ zügig kommt und den letzten Abschnitt intensiv besonnt. Nun, wir waren an einem kalten Tag und früh genug unterwegs, so dass wir uns ohne übermässiges Risiko weiterbewegen konnten. Zu Beginn dieser Seillänge hat es immer noch üppig Eis - dass dieses nicht meterdick vorhanden ist, nimmt man am hörbaren Gluckern des Wassers aber durchaus war. Nichtsdestotrotz, auf den nächsten 40-50m wartet eine fantastische Genusskletterei im WI3-Bereich, die auch perfekt mit Schrauben abzusichern war. Zu berücksichtigen: es scheint sehr verlockend, diese Länge gleich bis zum Ende des Falls durchzuklettern. Ich kann nur davon abraten - unbedingt nochmals Stand beziehen, solange es gute Möglichkeiten gibt und solides Eis hat!

Los geht's, dem Ausstieg entgegen! Start in L6.

L7, 30-40m: In Fortsetzung des vorherigen Textabschnitts... gegen Ende des Falls legt sich das Terrain zwar weiter zurück. Gleichzeitig nimmt die Eisdicke ab, erschwerend lag hier auch noch Schnee (und hier war ganz sicher noch niemand vor uns geklettert). Die letzten zehn, durchaus nicht geschenkten Meter lässt es sich kaum mehr sichern und vor allem bietet sich, wenn man dann einmal oben im "flachen" Gelände steht, auch nicht sofort eine Standmöglichkeit. Daher eben nochmals den dringenden Tipp, die letzte Möglichkeit für einen Stand nach L6 nicht zu verpassen - sonst wird es ungeschmeidig. Die einzig vernünftige Standmöglichkeit nach L7 ist ein grosser, toter Baumstamm ziemlich zurückversetzt im Bachbett (ausreichend lange Schlinge(n) nötig!).

Geschafft! Aber wie beschrieben, am Ende von L7 ist es schwierig, einen Standplatz zu bauen.

Nach L7 (wo wir um 14.00 Uhr nach gut 5:00h Kletterzeit waren) ist fertig, oder auch nicht. Nach ca. 50m Fussaufstieg gibt es nochmals eine Steilstufe, die vermutlich auch schon im Eis geklettert wurde?!? Die dortige Säule war nur in Ansätzen vorhanden, bzw. herumliegende Eisbrocken bezeugten, dass diese wohl schon an den Tagen zuvor abgehängt hatte. Wenig erstaunlich, liegt sie doch sehr sonnig in einem Felsenkessel mit nur wenig Auflagefläche oben - das geht wohl nur sehr selten und bei Top-Bedingungen. Vor allem ist es auch nicht zwingend nötig: man kann hinter dem Säulen-Ansatzpunkt hindurchqueren (das würde man wohl sowieso machen) und dann bequem über ein Band auf's Plateau am Ende gelangen. Noch bequemer bzw. einfacher ist ein anderes Band rechts vom Bach, um auf das flache Gelände oberhalb zu gelangen.

Hier könnte man je nach Bedingungen nochmals ein paar Meter klettern. Alternativ hinter dem Sockel durch und über das nach links ziehende Band zum Ausstieg. Was auf dem Foto nicht zu sehen ist: der Zapfen hat nur einen ziemlich mickrigen Anfrierpunkt am Fels, der Rest hängt frei. Da sehr sonnig, hängt der wohl immer wieder ab.

Ob man dies tun soll oder will, bleibe dahingestellt. Wesentliche neue Einblicke erhält man da nicht. Aber die Möglichkeit für einen Fussabstieg. Mit einer aufsteigenden Querung von ca. 150m erreicht man den Pfad nach Fluerütenen (siehe LK), welchen wir damals als Abstieg vom Krümelmonster benutzt hatten. Ich kann es nur einer akuten, geistigen Umnachtung zuschreiben, oder einer absoluten Vorab-Fixierung auf das Abseilen über die Hydrophobia, dass ich nicht vor Ort, sondern erst jetzt im Nachhinein auf diese Option komme. Der Fussabstieg wäre nämlich sicher schneller und bestimmt auch weniger gefährlich. Die Abseilerei über die Hydrophobia ist zwar schon möglich, aber Bequemlichkeit in Form von fixen Standplätzen gibt es nicht. Oberhalb von L7 haben wir links, günstig gelegen an einem Baum, eine Schlinge mit Maillon gefunden und für eine erste 60m-Strecke genutzt. Danach waren 3x Abalakovs für weitere 60m-Strecken zu schrauben. 

Ja, bei einer Eiskletterei bleibt nicht immer alles trocken - auch die Kameralinse nicht...

Mit Schlinge oder nicht?!? Um Plastikabfall in der Natur möglichst zu vermeiden, wäre ein direktes Fädeln des Partieseils angezeigt. Dass einem dies auch zum Verhängnis werden kann, zeigte uns ein brandneues, in einer direkt gefädelten Sanduhr blockiertes Seil im Bereich von L3. Dieses wäre potenziell ein Vielfaches an Plastikabfall im Vergleich zu einer Abalakov-Schlinge geworden. Wir konnten es jedoch befreien und vor dem Verrotten in der Natur bewahren. Wer mehr dazu wissen muss, darf sich gern bei mir per Mail melden. Wir schliesslich standen wohlbehalten zurück am Einstieg. Total geflasht über den unerwarteten Erfolg machten wir uns auf den Heimweg. Auch wenn es uns deswegen wohl nicht viel öfter an die Eisfälle reichen wird - der Tag hat die Motivation dafür nachhaltig aufgefrischt. Es lohnt sich eben wohl doch sehr, diese Spielart der Kletterei nicht völlig aufzugeben. Es scheint auch so, dass wir trotz inzwischen grossen Pausen zwischen den Touren dank (Fels-)Kletterfitness sowie ausreichend Routine und Erfahrung subito auf einem akzeptablen Niveau klettern können - auch wenn wir mit den Schrauben vielleicht lieber nicht so geizen, wie es die richtigen Cracks tun.

Facts

Brunnital - Hydrophobia (WI6-) - 7 SL, 260m - Dollinger/Rathmayr/Wicki 2000
Material: 2x60m-Seile, Eisschrauben, Material zum Abseilen an Abalakovs

Die prominenteste Linie im Brunnital, ein Highlight der Schweizer Eiskletterei. Wegen der eher tiefen und zudem auch noch nachmittagssonnigen Lage leider in den letzten Jahren nur noch selten in guten Bedingungen. Die schwierigste Kletterei folgt gleich zu Beginn, wo es eine gute Passage durch das Labyrinth von steilen Zapfen zu finden gilt. Hat man die ersten 60m einmal bewältigt, wartet dann noch eine grandiose Genusskletterei bis zum Ausstieg. Ein paar Hinweise:

  • Ab Mittag in der Sonne, früh einsteigen!
  • Eisschlaggefahr durch hängende Zapfen beurteilen
  • Es sind keine Standplätze im Fels eingerichtet, Eigeninitiative nötig!
Hier die von uns gekletterte Linie - die Zapfen wachsen aber jedesmal ein wenig anders!


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