- -
Posts mit dem Label Eisklettern werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Eisklettern werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Freitag, 10. Februar 2023

Brunnital - Hydrophobia (WI6-)

Unverhofft kommt... vielleicht nicht allzu oft, aber diese Tour ist uns wirklich ziemlich unerwartet gelungen. Inzwischen sind wir ja eher so etwas wie Eiskletter-Pensionisten, welche die Pickel nur noch selten und zu ausgewählten Bedingungen schwingen. Sehr spontan kam am Vorabend die Verabredung mit Jonas zustande, nach Abwägen der Optionen wollten wir ins Brunnital um zu schauen, was machbar wäre. Dass es mit der Hydrophobia eine der prominentesten Linien im Tal werden würde, konnten wir da noch nicht wirklich auf der Agenda haben. Aber natürlich war dieser Plan im Hinterkopf schon ein wenig verdrahtet, schliesslich war das eine der "Top 10 of Switzerland"-Klettereien von Urs Odermatt, welche uns im Palmares noch fehlte.

* Hinweis: der Bericht ist für diesen Blog unüblich aktuell, d.h. die Tour liegt erst ein paar Tage zurück. Trotzdem ist er kein Tourentipp für die kommenden Tage. Mit den milden Temperaturen und viel Sonnenschein dürfte sich das Begehungsfenster bereits wieder geschlossen haben. 

Hydrophobia - prominent steht dieses eindrückliche Gemäuer am Wegesrand!

Morgens um 7.30 Uhr beim Parkplatz in Unterschächen stellten wir beruhigt fest, dass wir mit grösster Wahrscheinlichkeit als erstes Eiskletterteam des Tages ins Tal pilgern würden. Nur wenige Minuten leichten Anstiegs auf dem hartgepressten Schlittelweg sind es, bis sich die Hydrophobia in ihrer vollen Pracht präsentiert. Es war nicht üppig Eis vorhanden, laut dem Spurenbild waren vorher wohl nur 1 bis max. 2 Seilschaften geklettert, aber sonst standen alle Zeichen auf grün. Wann also, wenn nicht jetzt?!? Schliesslich wird man nicht jünger, es war einfach genau der richtige Zeitpunkt um es zu probieren. Wenn es sich als zu schwierig entpuppen sollte, dann wäre auch nichts verloren gewesen. In wenigen Schritten ist man von der Strasse am Bach unten. Dieser war nicht gefroren, von Stein zu Stein hopsend gelang uns aber eine Überquerung trockenen Fusses. Um ca. 8.30 Uhr hatten wir alles gerüstet und stiegen ein.

Gewaltige Landschaften - los geht's über den Partisanenweg, die direkte Variante heuer unmöglich.

L1, 40m: Laut Topo wurde auch schon direkt über die steilen Säulen gestartet. Eine davon berührte tatsächlich ganz knapp den Boden - aber dünn, fragil, röhrig und äusserst steil, für unsere Begriffe unkletterbar. Wir hatten aber sowieso einen anderen Plan: im Vorbeigehen hatte ich die Hydrophobia schon vielmals studiert und immer den Einstieg über den Partisanenweg als logische Variante erkannt. Dazu nutzt man rechts eine weniger steile Eisspur und quert dann über einen Balkon zur zentralen Hauptsäule. Das ging super, auch die Querung war einfacher wie befürchtet und liess sich mit Eisschrauben gut sichern. Gut geschützter und einigermassen bequemer Stand in der Nische bei der Hauptsäule.

Die Querung über das Band am Ende von L1 dürfte meistens gut möglich sein.

L2, 20m: Nun würde es steil werden, so viel war schon im Vornhinein klar! Als Linie des geringsten Widerstands entpuppte sich nicht die Hauptsäule, sondern der Vorhang rechts daneben. Was auf dem Foto mickrig-fragil aussieht, nahmen wir vor Ort als solide gewachsen und unbedenklich war. Steile, kompromisslose Moves aus dem Stand raus. Bald einmal lässt es nach, über eine Art Rampe steigt man auf den nächsten Boden aus. Hinter der Hauptsäule durch gelangt man zu einem Stand an Schlingen an einem verklemmten Block. Ein erstaunlicher Ort, de visu von der Gegenseite würde man hier nicht einen solch geräumigen Saal erwarten. Aber genau das ist das faszinierende am Eisklettern - die unglaublichen Orte, an welche man gelangt.

Nicht ganz scharf, aber trotzdem eindrücklich - der Saal am Ende von L2.

L3, 25m: "Noch steiler, noch geiler", müsste man fast sagen. Es war schon im Vornhinein klar, dass diese Passage an der Hauptsäule den Schlüssel zu einer erfolgreichen Begehung darstellen würde. Ob wir es uns wohl zutrauen würden?!? Beruhigend war die Tatsache, dass die Säule selbst am Sockel ~3m Durchmesser aufwies und sowohl am Boden wie auch am Fels sehr solide angefroren war. In Bezug auf die Stabilität der Struktur mussten wir also wenig Zweifel haben. Klettermässig geht's zuerst auf der dem Stand zugewandten Backside in lotrechtem Terrain los. Zum Glück war das Eis kompakt und sowohl gut zu schlagen wie zuverlässig zu schrauben. Die Crux bestand im Wechsel auf die Aussenseite - mir gelang es prima, genau an der richtigen Stelle liess sich ein Gerät supersolide versenken. Senkrecht ging es weiter, dank griffigem Eis und vernünftigen Tritten subjektiv ohne extremste Schwierigkeiten. Es sei aber nicht verschwiegen, dass es an dieser Stelle eine heftige Dusche absetzte! Danach lässt es leicht nach und man erreicht einen logischen Standplatz, wo man sich in eine Nische zurückziehen kann.

Das Pièce de Resistance in L3, ab der Stelle um die Ecke zu klettern war die Crux.

L4, 40m: Von der Nische ca. 15m in einem Winkel noch recht steil, aber aufgrund der Eisqualität und Morphologie sehr gut kletterbar hinauf, wo man in flacheres Terrain entlassen wird. Über dieses mit nochmals einer Stufe an den Fuss des nächsten Abschnitts, wo man links, mittig oder rechts perfekte Standplätze in Nischen antrifft. Hier Schutz zu suchen ist durchaus angenehm, hängen doch oberhalb an der Felsstufe zwei riesige, bedrohliche Zapfen (die zudem spätestens ab Mittag in der Sonne sind!). Wenn man es gescheit anlegt, lässt sich die Zeitspanne wo man sich direkt in Falllinie befindet, stark minimieren. Achtung, es ist sicherlich ratsam, nur bei guten Bedingungen (kein "Zapfen-Abhäng-Wetter") und tageszeitlich früh in die Hydrophobia einzusteigen.

Einen gut geschützten Standplatz zu finden ist das A und O beim Eisklettern (der hier nach L1).

L5, 50m: Gleich über die erste Stufe hinauf, dann führt ein flacherer Abschnitt an das letzte Pièce de Resistance, gebildet von einer 15m hohen, +/- senkrechten Stufe. Hätten wir diesen Teil isoliert bzw. zuerst klettern müssen, so hätten wir davor wohl 3x leer geschluckt. Mit dem Selbstvertrauen der bereits bewältigten Steilabschnitte war's aber keine grosse Geschichte mehr, da es schlicht und einfach weniger kompromisslos, breiter, mit perfektem Eis und gutmütiger Morphologie (Ausspreizmöglichkeiten) aufwartete. Danach legt sich das Terrain zurück, in Genusskletterei klettert man zu gut geschütztem Stand bei einer Nische am linken Rand des Falls.

Am Ende von L5 gibt's noch ein paar einfache Meter, ab da genossen wir den Sonnenschein.

L6, 40-50m: Ab hier kletterten wir nun sogar in der Sonne - man muss sich bewusst sein, dass diese schon anfangs Februar relativ zügig kommt und den letzten Abschnitt intensiv besonnt. Nun, wir waren an einem kalten Tag und früh genug unterwegs, so dass wir uns ohne übermässiges Risiko weiterbewegen konnten. Zu Beginn dieser Seillänge hat es immer noch üppig Eis - dass dieses nicht meterdick vorhanden ist, nimmt man am hörbaren Gluckern des Wassers aber durchaus war. Nichtsdestotrotz, auf den nächsten 40-50m wartet eine fantastische Genusskletterei im WI3-Bereich, die auch perfekt mit Schrauben abzusichern war. Zu berücksichtigen: es scheint sehr verlockend, diese Länge gleich bis zum Ende des Falls durchzuklettern. Ich kann nur davon abraten - unbedingt nochmals Stand beziehen, solange es gute Möglichkeiten gibt und solides Eis hat!

Los geht's, dem Ausstieg entgegen! Start in L6.

L7, 30-40m: In Fortsetzung des vorherigen Textabschnitts... gegen Ende des Falls legt sich das Terrain zwar weiter zurück. Gleichzeitig nimmt die Eisdicke ab, erschwerend lag hier auch noch Schnee (und hier war ganz sicher noch niemand vor uns geklettert). Die letzten zehn, durchaus nicht geschenkten Meter lässt es sich kaum mehr sichern und vor allem bietet sich, wenn man dann einmal oben im "flachen" Gelände steht, auch nicht sofort eine Standmöglichkeit. Daher eben nochmals den dringenden Tipp, die letzte Möglichkeit für einen Stand nach L6 nicht zu verpassen - sonst wird es ungeschmeidig. Die einzig vernünftige Standmöglichkeit nach L7 ist ein grosser, toter Baumstamm ziemlich zurückversetzt im Bachbett (ausreichend lange Schlinge(n) nötig!).

Geschafft! Aber wie beschrieben, am Ende von L7 ist es schwierig, einen Standplatz zu bauen.

Nach L7 (wo wir um 14.00 Uhr nach gut 5:00h Kletterzeit waren) ist fertig, oder auch nicht. Nach ca. 50m Fussaufstieg gibt es nochmals eine Steilstufe, die vermutlich auch schon im Eis geklettert wurde?!? Die dortige Säule war nur in Ansätzen vorhanden, bzw. herumliegende Eisbrocken bezeugten, dass diese wohl schon an den Tagen zuvor abgehängt hatte. Wenig erstaunlich, liegt sie doch sehr sonnig in einem Felsenkessel mit nur wenig Auflagefläche oben - das geht wohl nur sehr selten und bei Top-Bedingungen. Vor allem ist es auch nicht zwingend nötig: man kann hinter dem Säulen-Ansatzpunkt hindurchqueren (das würde man wohl sowieso machen) und dann bequem über ein Band auf's Plateau am Ende gelangen. Noch bequemer bzw. einfacher ist ein anderes Band rechts vom Bach, um auf das flache Gelände oberhalb zu gelangen.

Hier könnte man je nach Bedingungen nochmals ein paar Meter klettern. Alternativ hinter dem Sockel durch und über das nach links ziehende Band zum Ausstieg. Was auf dem Foto nicht zu sehen ist: der Zapfen hat nur einen ziemlich mickrigen Anfrierpunkt am Fels, der Rest hängt frei. Da sehr sonnig, hängt der wohl immer wieder ab.

Ob man dies tun soll oder will, bleibe dahingestellt. Wesentliche neue Einblicke erhält man da nicht. Aber die Möglichkeit für einen Fussabstieg. Mit einer aufsteigenden Querung von ca. 150m erreicht man den Pfad nach Fluerütenen (siehe LK), welchen wir damals als Abstieg vom Krümelmonster benutzt hatten. Ich kann es nur einer akuten, geistigen Umnachtung zuschreiben, oder einer absoluten Vorab-Fixierung auf das Abseilen über die Hydrophobia, dass ich nicht vor Ort, sondern erst jetzt im Nachhinein auf diese Option komme. Der Fussabstieg wäre nämlich sicher schneller und bestimmt auch weniger gefährlich. Die Abseilerei über die Hydrophobia ist zwar schon möglich, aber Bequemlichkeit in Form von fixen Standplätzen gibt es nicht. Oberhalb von L7 haben wir links, günstig gelegen an einem Baum, eine Schlinge mit Maillon gefunden und für eine erste 60m-Strecke genutzt. Danach waren 3x Abalakovs für weitere 60m-Strecken zu schrauben. 

Ja, bei einer Eiskletterei bleibt nicht immer alles trocken - auch die Kameralinse nicht...

Mit Schlinge oder nicht?!? Um Plastikabfall in der Natur möglichst zu vermeiden, wäre ein direktes Fädeln des Partieseils angezeigt. Dass einem dies auch zum Verhängnis werden kann, zeigte uns ein brandneues, in einer direkt gefädelten Sanduhr blockiertes Seil im Bereich von L3. Dieses wäre potenziell ein Vielfaches an Plastikabfall im Vergleich zu einer Abalakov-Schlinge geworden. Wir konnten es jedoch befreien und vor dem Verrotten in der Natur bewahren. Wer mehr dazu wissen muss, darf sich gern bei mir per Mail melden. Wir schliesslich standen wohlbehalten zurück am Einstieg. Total geflasht über den unerwarteten Erfolg machten wir uns auf den Heimweg. Auch wenn es uns deswegen wohl nicht viel öfter an die Eisfälle reichen wird - der Tag hat die Motivation dafür nachhaltig aufgefrischt. Es lohnt sich eben wohl doch sehr, diese Spielart der Kletterei nicht völlig aufzugeben. Es scheint auch so, dass wir trotz inzwischen grossen Pausen zwischen den Touren dank (Fels-)Kletterfitness sowie ausreichend Routine und Erfahrung subito auf einem akzeptablen Niveau klettern können - auch wenn wir mit den Schrauben vielleicht lieber nicht so geizen, wie es die richtigen Cracks tun.

Facts

Brunnital - Hydrophobia (WI6-) - 7 SL, 260m - Dollinger/Rathmayr/Wicki 2000
Material: 2x60m-Seile, Eisschrauben, Material zum Abseilen an Abalakovs

Die prominenteste Linie im Brunnital, ein Highlight der Schweizer Eiskletterei. Wegen der eher tiefen und zudem auch noch nachmittagssonnigen Lage leider in den letzten Jahren nur noch selten in guten Bedingungen. Die schwierigste Kletterei folgt gleich zu Beginn, wo es eine gute Passage durch das Labyrinth von steilen Zapfen zu finden gilt. Hat man die ersten 60m einmal bewältigt, wartet dann noch eine grandiose Genusskletterei bis zum Ausstieg. Ein paar Hinweise:

  • Ab Mittag in der Sonne, früh einsteigen!
  • Eisschlaggefahr durch hängende Zapfen beurteilen
  • Es sind keine Standplätze im Fels eingerichtet, Eigeninitiative nötig!
Hier die von uns gekletterte Linie - die Zapfen wachsen aber jedesmal ein wenig anders!


Dienstag, 25. Januar 2022

Kandersteg - Januarloch (WI5)

Die Berichte zum Eisklettern sind rar geworden auf diesem Blog. Das liegt einerseits daran, dass man die gefrorene Materie aktuell und auch sonst meist nur in ein paar verlorenen Ecken der Alpen findet. Mit, aber nicht nur aus diesem Grund ist die Eiskletterei etwas aus meinem Fokus gerückt. So war es auch dieses Mal mehr dem Faktor Zufall zuzuschreiben, dass wir diese sehr schöne Tour am Oeschinensee in Angriff genommen haben. Neben der Beschreibung unserer Ausflugs sollen hier auch ein paar ganz grundsätzliche Gedanken zum Eisklettern erörtert werden. Ja der Faktor Zufall, der beruhte hier in erster Linie auf der Tatsache, dass für eine Truppe von Skispringern dringend ein Fahrer für den Teambus gesucht wurde. So beschlossen Kathrin und ich, aus der "Not" eine Tugend zu machen und das Outdoor-Programm im Berner Oberland zu bestreiten, wo wir ja normalerweise für eine Tagestour nicht hinreisen. Blauer Himmel, milde Temperaturen und sichere Lawinenverhältnisse hätten sowohl Skitouren wie Felskletterei zugelassen. Doch wenn man schon ins Mekka reist, so war wieder einmal im steilen Eis zu pickeln natürlich eine grosse Verlockung. Aber da fangen die Probleme eben schon an: während die Bedingungen in Schnee und Fels aus der Ferne, d.h. mit Webcams und Tourenberichten problemlos einzuschätzen waren, so war dies für die Eistouren nur sehr eingeschränkt möglich. Die Sache beschränkte sich auf ein paar vage Hinweise, dass ein Versuch nicht komplett aussichtslos wäre...

Blick vom Oeschinensee auf den Sektor mit den Eisrouten. Januarloch sieht von hier klein und unbedeutend aus, aber das ist schlicht und einfach der Perspektive geschuldet. Zudem sind aus dieser Ansicht die ersten 1.5 Seillängen nicht erkennbar.

Somit haben wir also die Unsicherheit über die Bedingungen als eine erste, grosse Unbekannte. Denn über Eisfälle auf Tourenportalen oder in den Social Media zu posten haben die meisten aufgegeben. Aus naheliegenden Gründen, denn kann man irgendwo öffentlich lesen, dass die Tour XY in perfekten Bedingungen ist, so weiss man gleich, dass man aufgrund vom massiven Andrang nicht mehr hinfahren muss. Das ist ja sowieso der Fluch an der Eiskletterei... die Auswahl an Touren ist relativ klein und es verträgt genau eine einzige Seilschaft pro Route, sofern man nicht ungebührliche Risiken auf sich nehmen will. Somit besteht, auch wenn man sonst alles richtig macht, das massive Risiko am Ende ohne einen gekletterten Eismeter wieder nach Hause zu fahren. Am Oeschinensee hatten wir diesbezüglich einiges Glück. Wir reisten sowieso schon spät an, Kathrin leitete noch das Aufwärmen der Skispringer und wir beobachteten deren erste paar Sprünge. So war es schon Mittag, bis wir mit der Bahn (11CHF/Person mit Halbtax) hinauffuhren. 

Schon der Zustieg über den See ist ein Erlebnis, für welches normale Touristen in Scharen anreisen.

Eine Traverse bringt einen dann zum gefrorenen See, den wir auf hartgetretenem Untergrund im Skatingschritt überqueren konnten. Für den letzten, kurzen Aufstieg zur Route montierten wir aber dann doch die Felle, was eindeutig die effizienteste Fortbewegungsmöglichkeit war. Sehr eindrücklich war es, als wir die ca. 20-30m dicke Kaltluftschicht über dem See verliessen. Die Temperaturen stiegen schlagartig um wohl ca. 15 Grad an, ein extremer Wechsel. Von Weitem hatte die ganze Ecke hinten am Oeschinensee verlassen ausgesehen und genau so hatte ich dies erwartet, bzw. zumindest erhofft. Wer geht denn schon in diesem verlassenen Winkel in diesem kaum bekannten Routen Eisklettern - ausser vielleicht ein paar Cracks, wenn die NIN (M8+, WI6) 'in condition' ist. Doch einmal näher gerückt zeigte sich dann, dass bereits 3 Seilschaften vor Ort waren, welche wohl dieselben "vagen Hinweise" wie ich interpretiert hatten. Ein Team kletterte im obersten Teil vom Januarloch, die anderen waren angebrannt und hatten sich auf inferiore, nicht in Topos beschriebene Ersatzlösungen in dieser Zone verlegt. Wir hatten insofern viel Glück mit unserer späten Anreise, als dass das Timing perfekt aufging. D.h. bis wir aufgeschirrt waren, hatte die im Fall engagierte Seilschaft das Top erreicht und wir konnten ohne jegliche Wartezeit angreifen. Das war auch nötig, denn sah die Route aus der Ferne noch klein und niedlich aus, so standen wir hier am Fuss einer grösseren und anspruchsvollen Aufgabe. Da würden wir auf die Tube drücken müssen, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu vollenden.

Wie so oft, aus dieser Perspektive ist alles verkürzt und flach...

Über das Januarloch kann an 3 gebohrten Ständen mit Strecken von je ~50m abgeseilt werden. Die Route aber auch in 3 Teilstrecken zu klettern ist vermutlich schon möglich, war aber für uns nicht im Bereich des real Erreichbaren - mit nur 10 Schrauben am Gurt klettere ich keine 60m-Längen in solch steilem Gelände, bzw. bei dieser Schwierigkeit. Während der erste Abseilstand in einer noch relativ moderaten, nahezu 60m messenden Länge direkt erreichbar war, teilten wir die steileren oberen Abschnitte jeweils in 2 Sequenzen auf, was mit einem jeweils vernünftig geschützten Schraubenstand gut implementierbar war. Die Crux folgte in L2, hier klettert man auf rund 15m anhaltend im senkrechten Gelände. Die Bedingungen waren gut im Sinne von schön kompaktem Eis, wo die Geräte gut griffen - dies allerdings zu einem Preis von einer Dauerdusche, wo man quasi bis auf die Unterwäsche durchweicht wurde, mit den üblichen Folgen für die komplett getränkten Handschuhe und einem vaterländischen Kuhnagel. Das ist offensichtlich ein weiterer Nachteil vom Eisklettern - es ist ja schon eher Type II Fun... aber immerhin damit kann ich recht gut leben.

Letztes Foto aus der Route zu Beginn von L2, nachher haben wir die Handys lieber 100% wasserdicht verstaut - was absolut nötig war, anders kann man es definitiv nicht sagen.

Ein weiterer, bedenklicher Punkt ist natürlich das Risiko eines Sturzes. So ertappte ich mich beim Klettern dabei mir auszumalen, wie das jetzt wohl enden würde, wenn das Eisgerät ausbräche. Ein übler Bruch am Knöchel mit Beeinträchtigung einer ganzen Klettersaison (oder auch mehr) wäre wohl nicht grosses Pech, sondern das womit man kalkulieren muss. Wie bitter es doch wäre, deswegen für längere Zeit aufs Klettern verzichten zu müssen... Aber das half nichts, die dunklen Gedanken mussten ob der gestellten Aufgabe auf die Seite geschoben werden. Der Fokus war darauf zu richten, die Geräte so solide wie möglich in die Materie zu versenken und ja immer kontrolliert zu steigen. Natürlich ging's dann, wie bisher immer, ohne den befürchteten Gau. Ab Seillänge 3 wechselten sich steilere Abschnitte mit Ruhepunkten ab. Trocken war es nicht immer, aber anders als in der Crux liess sich das Vollwaschprogramm doch meistens vermeiden. Grandios abgeschlossen wird die Route mit der einmaligen Passage durch den Tunnel - schlicht der Hammer! Bis wir wieder am Boden waren, war das Tageslicht längst verschwunden. Mit dem Vollmond und der Schneedecke war es aber nicht einmal nötig, die Stirnlampe zu zücken. In grandiosem Ambiente begaben wir uns auf eine stimmungsvolle Mondscheinwanderung über den gefrorenen See und fuhren dann über die Skipiste nach Kandersteg. Ja, für heute war es trotz aller Zweifel zwar mit einer späten Rückkehr, sonst aber perfekt aufgegangen und eine einmalige Sache ist eine solche Eisklettertour dann eben doch. Somit ist es nicht ausgeschlossen, dass es mich allen Unbillen zum Trotz doch wieder an die gefrorenen Wasserfälle zieht. 

Auf dem Heimweg im Mondenschein - auch ein spezielles Erlebnis!

Facts

Kandersteg/Oeschinensee - Januarloch WI5 - 5 SL, 180-200m - ****

Relativ wenig bekannt und im Vergleich zu den Klassikern am Oeschinensee wohl nicht eben häufig begangen, stellt diese Route nach meinem Gusto eine der besseren Touren im Bereich WI5 der Schweiz dar. Bis auf die etwas einfachere erste Seillänge wartet recht anhaltende Kletterei, ohne dass die Schwierigkeiten je extrem wären. Eine gute Vergleichstour ist der Pingu im Oeschiwald, das Januarloch ist nach meiner Einschätzung sicherlich ebenso anspruchsvoll und wohl dazu auch noch viel seltener komplett ausgehackt. Wie oft es im Januarloch genügend Eis für eine Begehung hat, kann ich nicht wirklich einschätzen. Der schattige Winkel auf ~1600m zusammen mit dem Kältebecken des Sees garantiert aber wohl doch eher tiefe Temperaturen. Das Gelände direkt oberhalb der Route ist nicht extrem steil, im Grossen und Ganzen befindet man sich aber am Fuss der 2000m hohen Steilwand der Blüemlisalp. Also einem Gebiet mit allen alpinen Gefahren, man berücksichtige dies bei der Tourenplanung entsprechend. Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht auch, dass die Tour wirklich nur von einer einzigen Seilschaft geklettert werden kann. Die gebohrten Standplätze bestehen jeweils aus 2 verzinkten 8mm-BH, an welchen die Korrosion bereits genagt hat. Darüber hinaus ist auch der Fels in welchem sie stecken von eher moderater Qualität. Update: ja kaum zu glauben, eine Woche nach unserem Versuch waren Bekannte im Januarloch unterwegs. Tatsächlich war inzwischen ein BH am zweiten Stand ausgebrochen! Daher kann man nur zu höchster Vorsicht bei der Nutzung dieser Standplätze raten, bzw. muss ein Abseilen mittels Abalakovs im Eis empfehlen. Neuerliches Update: Adrian Vögeli hat inzwischen den ersten Stand saniert und den zweiten neu gebohrt. Er befindet sich etwas rechts der Eislinie, einige Meter tiefer als der bisherige Stand (siehe hier). Vielen herzlichen Dank dafür!

Nach unserer Begehung ausgebrochener Standbohrhaken - Vorsicht! Foto by Andreas H.

Wichtige Anmerkung: wegen der Felssturzgefahr vom Spitzen Stei ist die Begehung der Touren "in den Fründen" sowie im Sektor um den Blue Magic (Rübezahl, Bück Dich, Lochroute, usw.) durch eine Behördenanweisung verboten. Hinten beim Januarloch darf geklettert werden, ebenso alle üblichen Routen rechts vom Bäretritt im Oeschiwald.

Mittwoch, 17. Februar 2021

Eisklettern im Tösstal (Vol. 2021)

Dieser Beitrag kommt mit Verspätung... zeitlich sind 3 Tage zwischen Aktivität und Publikation zwar nicht sehr viel, aber gefühlt hat sich da schon wieder eine Menge getan. Diese kurze Zeitperiode hat gereicht, um die Wiese vor der Haustür von skifahrbar zu grün zu machen und das gesamte Eis im Tösstal den Bach hinunter zu senden. Interessant ist, dass es vor genau einer Woche ebenfalls noch grün und warm war. Dazwischen liegt eine Mini-Eiszeit von gerade einmal ein vier Tagen, während welcher sich im Tösstal kletterbare Bedingungen einstellten.

Larina in Swandive (WI5), die doch schon ein paar Meter senkrechte Kletterei erfordert.

Ob ich an diesem grandiosen Winter-Weekend, während welchem auch Top-Skitourenbedingungen herrschten, wirklich wieder einmal im Eis im Tösstal geklettert wäre (das letzte Mal liegt doch schon 3 Jahre zurück), wenn nicht die Anfrage vom Tages-Anzeiger gekommen wäre, das steht in den Sternen. Doch Helene, Reporterin bei einer der grössten Tageszeitungen der Schweiz, hatte mich mit ein paar Tagen Vorlauf gefragt, ob man am Weekend in der Tössscheidi Eisklettern könnte. Ich war etwas unsicher, vermutete aber doch, dass sich machbare Bedingungen ergeben würden. Schliesslich trat dann die Frage auf den Plan, was für eine Story man daraus konstruieren könnte... tja, das wusste ich auch nicht so genau, das Resultat bestand einfach darin, dass der nicht im Skisprung-Trainingsweekend weilende Teil der Familie Reporterin und Fotografin am Sonntag in die Tössscheidi begleiten würde.

Gut vorbereitet ist halb geklettert... Tooly-Session daheim an der Wand.

Zuerst allerdings ging ich vorsichtshalber am Samstag Abend nach der Skitour noch nachschauen - für mich zum Glück per Bike machbar. Es war zwar alles noch dünn und fragil, doch zum Klettern würde man sicherlich etwas finden - insbesondere da nochmals eine extrakalte Nacht mit zweistelligen Minusgraden folgen sollte. So war es dann auch. Den Zustieg ins Gebiet muss man sich im Moment allerdings etwas verdienen, Parkmöglichkeiten gibt's derzeit nur beim Skilift Steg, alles weiter hinten befindet sich entweder im Park- oder im neuerdings auch wochentags gültigen Fahrverbot. So heisst es entweder, nochmals 20 Minuten zusätzlichen Fussmarsch einzukalkulieren (Zustieg total dann ca. 1h) oder ein Bike mitzubringen.

Dieses Bild ist ein wenig Off-Topic, stammt aber auch von diesem Weekend. Denn neben Eisklettern und Training blieb schon auch noch Zeit, um die grandiosen Tourenbedingungen zu nutzen. Dies nicht für Berge mit klingendem Namen, aber klein ist eben auch fein, insbesondere mit dem Privileg von First Line anstatt von Massenandrang.

Wie schon erwähnt, das Eis hatte über Nacht nochmals deutlich aufgebaut, so dass doch die meisten der klassischen Möglichkeiten begehbar waren. Einige wenige Linien waren sogar schon im Vorstieg safe (d.h. mit genügend und soliden Schrauben) machbar. Oder, und das ist ja der grosse Vorteil an diesem Gebiet, natürlich auch im Toprope. Wobei in der vergangenen Jahren im Zuge von Holerzarbeiten manch ein Baum gestutzt wurde, so dass ein zusätzliches Verlängerungsseil für etliche Touren durchaus vorteilhaft ist. Neben uns waren übrigens auch noch 2-3 weitere Seilschaften im Gebiet, welche sich eine dieser rarer und rarer werdenden Gelegenheiten nicht entgehen lassen wollten.

Sieht doch schon ganz ordentlich aus - schöne Kompakteisstufen zum Einstieg.

Den Auftakt machten wir in moderat schwierigem Gelände, Kathrin und Larina waren ja schliesslich schon eine Weile nicht mehr in diesem Metier aktiv gewesen. Bzw. im Falle von Larina handelte es sich mehr um ein Schnuppern bei früheren Tössscheidi-Besuchen vor doch auch schon wieder 4-5 Jahren (siehe hier und da). Immerhin, pflichtbewusst und smart hatte sie sich entschieden, daheim zuerst noch eine Drytool-Session einzulegen. Dazu musste ich aber auch zuerst die entsprechenden "Griffe" an unserer Wand wieder montieren. Tja, die Kletterei mit den Geräten in Eis und Fels ist auch bei mir etwas in den Hintergrund gerückt, was vermutlich nicht nur am globalen Klimawandel liegt, sondern auch noch andere Gründe hat.

Quelle: Frontseite Tages-Anzeiger am 15.2.2021

Auf jeden Fall, nach drei Routen waren die Fotos im Kasten und alle Notizen gemacht, d.h. wir verabschiedeten die beiden Reporterinnen vor Ort. Unsereins kletterten wir noch ein wenig weiter. Wobei die Sonne das enge Tal in den frühen Nachmittagsstunden definitiv verlässt, was eindeutig zu Lasten von Ambiance und Temperatur ging. So hatten wir nach einer Weile auch genug, schwangen und auf die Räder und düsten im Nu zurück nach Steg. Es verblieb noch Zeit, um die Beine auf einer schönen Züri Oberland Skitour zu vertreten (möglicherweise ja auch eine Saison-Letztbegehung) und dann gespannt auf den Artikel zu harren. Um 18.30 Uhr traf der Entwurf bei mir ein - faszinierend, dass die Endversion schon am folgenden Morgen um 6 Uhr gedruckt im Briefkasten lag! Sogar auf die Frontseite hatten wir es geschafft - natürlich der Verdienst der beiden Reporterinnen, die hier den richtigen Riecher hatten und den Zeitpunkt genau getroffen haben. Herzlichen Dank den beiden für den lässigen Tag und die tolle Zusammenarbeit. 

Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.2.2021

Donnerstag, 4. Februar 2021

Kandersteg - Allmenalpfall (WI4)

Im Eiskletterführer Hot Ice wird der Allmenalpfall auf Position 9 der besten Schweizer Eisfälle aufgelistet. Doch trotz dieser Tatsache und dem Fakt, dass er gut erreichbar quasi mitten in Kandersteg steht, erhält er gar nicht so viel Aufmerksamkeit. Das liegt wohl daran, dass er sich nicht im Epizentrum Oeschiwald befindet, sondern an den sonniger exponierten Osthängen des Tals. Da er ab Mitte Februar in den Morgenstunden tatsächlich schon etwas Sonne erhält, gilt es die Begehung gut zu planen. Belohnt werden die Mühen auf jeden Fall, mir hat die Kletterei exzellent gefallen.

* Ein Bericht von meinem zur Zeit vorletzten Eisklettertag im Februar 2019

Blick aus dem Kessel unter dem Einstieg hinauf zur Route. Wie so oft ist hier alles perspektivisch ziemlich verzerrt. Sprich, der Eisfall sieht kürzer und flacher aus, als er sich dann klettert. Und auch der Weg bis zum Einstieg sieht ziemlich nach sanftem Gelände aus, doch sind diese Hänge zum Schluss tatsächlich an die 45 Grad steil!
Vom Bahnhof geht's westlich der Bahnlinie entlang in Richtung Allmenalpbahn, welche im Winter nicht in Betrieb ist. Über geräumte Strassen erreicht man den Waldrand, dort wo sich auch der Beginn des Kandersteger Klettersteigs befindet. Man verlässt dessen Verlauf aber sofort und muss den Vorbau P.1464 rechts umgehen. Bald geht's steil aufwärts durchs Gehölz, die Orientierung nicht eben einfach und wenn (wie zum Zeitpunkt unserer Begehung) keine Spur liegt, kann das eine anstrengende Sache sein. Eindrücklich, aber noch bunter wird es, wenn man aus dem Wald tritt, um die Ecke biegt und im Kessel unter dem Einstieg steht. Hier kann einem steile Wühlerei drohen und man muss sich nicht nur wegen der Lawinengefahr absolut sicher sein, sondern es drohen bei Tauwetter auch Eis- und Steinschlag aus den Felsen rechts. Das Ambiente ist aber grandios, ebenso wie die Vorfreude auf die Kletterei, welche bereits hellblau leuchtend lockt. Der Weg vom Bahnhof an den Einstieg hatte uns gerade etwa 1 Stunde gekostet, bei guter und vorhandener Spur geht's bestimmt noch mindestens eine Viertelstunde schneller.

Der letzte Abschnitt unserer ersten Seillänge reicht von der Steilheit an die Senkrechte heran.
Die Kletterei am 250m langen Eisfall umfasst 5-6 Seillängen. Nach etwa 20 moderat steilen Einstiegsmetern geht's dann bald zur Sache und es folgt der steilste Abschnitt der ganzen Tour. Auf rund 10 Metern reicht die Steilheit an die Senkrechte heran. Die Eisqualität zum Zeitpunkt unserer Begehung war grundsätzlich in Ordnung, aber mangels Begehungen halt nicht ausgeräumt und ausgehackt. Sprich, das Eis war generell wenig strukturiert und trittarm, an den flacheren Stellen auch stellenweise krustig überschneit. Unter diesen Voraussetzungen fühlte sich die WI4 nicht wesentlich weniger anspruchsvoll an wie die oft begangenen, schwieriger bewerteten Eisfälle à la Pingu, Rattenpissoir oder Haizähne im Oeschiwald. Das ist sozusagen der Preis, den man hier für die Exklusivität bezahlt. Einen guten Stand findet man frühestens nach 50m, ein echtes Flachstück sogar erst nach gestreckten bzw. gar überreizten 60m vom Einstieg. Wir brauchten schliesslich wider besseres Wissen zwei Seillängen, um diesen Punkt zu erreichen.

Ausblick auf die fantastische Eismauer, die wir in unserer dritten Seillänge erklettert haben. 20m oben streift das letzte Licht der Sonne den Eisfall seitlich. Wie beim Eisklettern üblich haben wir keinen einzigen Strahl vom wärmenden Gestirn abbekommen.
Nun wartet eine fantastische, breite und ziemlich homogen um die 75 Grad steile Eismauer von erneut rund 60m Höhe. Es war schlicht ein Riesenspass, sich hier in die Höhe zu pickeln. Eine etwas flachere Sequenz führt schliesslich zum schon von weither sichtbaren Schlussbouquet. Die letzte Seillänge bietet erneut fantastische Eishackerei mit über längerer Zeit 80 Grad Steilheit. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu weit nach links zu halten. Von unten sieht das zwar prima aus, das Eis wird links oben jedoch immer dünner und der Ausstieg ist nur ganz rechts möglich. Über einen kurzen Schneehang gelangt man schliesslich zum ersten, soliden Baum. Erneut sind es gestreckte 60m von der letzten Verflachung unterhalb. Da wie bereits erwähnt die Allmenalpbahn im Winter nicht in Betrieb ist, ist das Abseilen die einzig sinnvolle Option für den Abstieg. Für die ersten beiden Strecken stehen Bäume zur Verfügung, für die beiden folgenden müssen Abalakovs eingerichtet werden. Mit 4 Manövern à 60m reicht's gerade retour zum Einstieg.

Viel Ambiente in unserer dritten Seillänge!
Es verbleibt der Rückweg: durch die steile Rinne geht's im Abstieg freilich deutlich besser wie aufwärts. Im Wald unterhalb war der Schnee während unserem Abstieg bereits heftig angefeuchtet und stollte an den Steigeisen. Noch ganz anders war die Situation am Eisfall selber gewesen: der war nämlich kalt geblieben, die dortige Schneeauflage war sogar noch pulvrig. Noch erstaunlicher war dann jedoch das Klima am Bahnhof: mit einem Kaffee in der Hand setzten wir uns an der Sonne auf die Bank und warten auf den Zug. Hier konnten wir uns gleich etlicher Schichten entledigen, selbst im T-Shirt war's schön angenehm. Gut, wer oft in die Berge geht, kennt diese schnelle Temperaturwechsel ja zur Genüge. Eigentlich hätte es sich gut noch etwas verweilen lassen, um die Eiskletterer-Blässe in einen Skifahrer-Teint umzuwandeln. Freilich stiegen wir dann aber doch ein, als der Zug einfuhr.

Facts

Kandersteg - Allmenalpfall D+ II WI4 - 5-6 SL, 250m - *****
Material: 2x60m-Seile, ca. 14 Eisschrauben, Abalakov-Material

Der Allmenalpfall ist absolut zurecht ein Klassiker, in diesem Schwierigkeitsgrad dürfte es sich um eine der schönsten Routen in der Schweiz handeln. Die Kletterei ist homogen und ohne Flachstücke, zwei Sektionen von je rund 10m reichen an die Senkrechte heran (je nach Eisbildung und Linie). Die breite Eismasse und die Lage in einem wilden Kessel geben der Sache trotz der Nähe zur Zivilisation ein alpines Ambiente. Trotz der hohen Qualität der Kletterei und der Nähe zum Epizentrum Kandersteg herrscht am Allmenalpfall viel weniger Verkehr wie im Oeschiwald. Die Route selber ist nach NE ausgerichtet und erhält bis Mitte Februar nur ca. 1 Stunde seitliches Streiflicht von der Sonne. Die im Aufstiegssinn rechts vom Fall liegenden Felsen und die dort möglicherweise hängenden Säulen, Zapfen oder gleich ganze Eisfälle werden jedoch viel stärker beschienen und sorgen vor allem auf dem Zustieg und kurz vor dem Einstieg für Stein- und Eisschlaggefahr. Daher ist ein gutes Zeitmanagement zentral. Ebenso wenig darf man die Lawinengefahr im teils über 45 Grad steilen Zustiegskessel unterschätzen. Einmal auf der Route sind die objektiven Gefahren durch Eis- und Steinschlag sowie Lawinen dann deutlich geringer.

Freitag, 29. Januar 2021

Wieder einmal im Eis!

Schon fast 2 Jahre ist es her, seit das letzte Mal die Pickel geschwungen wurden, dies am Allmenalpfall (WI4) in Kandersteg und wie ich jetzt wahrnehme, steckt der fertig redigierte Blog dazu schon für eine kleine Ewigkeit im Entwurfsmodus. Naja, das zeigt etwas, welch (nicht)zentrale Stellung diese Disziplin in der vergangenen Zeit genossen hat. Mit Jonas war heute der richtige Partner am Seil und wir stellten uns die Frage, wohin es denn gehen sollte. In meinem letzten Beitrag hatte ich ja noch die Ziele abseits des Mainstream gepriesen. Doch wir waren im Zweifel, ob abseits der Hotspots denn auch gute Bedingungen herrschten, während in Kandersteg augenscheinlich erfolgreich und mit Genuss geklettert wurde. Auf ein Anbrennen aufgrund mangelnden Eises, dem Abräumen von Dezimeter dicker Schneekruste oder dem Herumpickeln auf hohl tönenden Eisschildern wollten wir uns aber nicht einlassen. Im Gegenteil, da waren die gut ausgehackten Kandersteger Fälle gerade das richtige Programm, um wieder in die Gänge zu kommen.

Wie cool, wieder einmal diese Perspektive zu haben - am Fuss vom Pingu (WI5+) in Kandersteg.

Einige Fragezeichen gab es aber doch: in der Woche davor gab es auch in Kandersteg eine Föhnphase,  wo die Temperaturen während rund 48h deutlich im positiven Bereich, ja durchgehend zwischen 5-10 Grad lagen. Für mich tönte das a priori stark abschreckend, doch wir wussten aus sicherer Quelle, dass nach wie vor alles im grünen Bereich und viele Fälle bestens begehbar wären. Natürlich erklären diese Zweifel auch, warum wir in der Wahl des Tourenziels wie oben dargestellt auf Innovation lieber verzichteten, schliesslich hatte ich mit eigenen Augen gesehen, wie z.B. bei uns zuhause im Tösstal das Eis von den Wänden geputzt wurde. Anyway, ich kann an dieser Stelle bestätigen, dass die Bedingungen in Kandersteg tatsächlich einwandfrei waren. Nur nützt das leider auch nicht so viel, mit der aktuellen Regen-Warmfront werden die Karten neu gemischt.

Temperaturdiagramm aus Kandersteg mit der  48h dauernden Föhnphase markiert (Quelle).

Nun denn, wir liefen in den Oeschiwald. Zwar durchaus mit gewissen Absichten, aber genaue Ziele zu haben ist eher schwierig, da jene ja vielleicht schon durch andere Kletterer besetzt sind. Ziemlich genau so entwickelte sich die Lage. Da Kletterer, dort Kletterer, nur im Pingu war gerade niemand zugegen. Diese Route hatte ich bereits im Januar 2013, damit also vor 8 Jahren bei meinem allerersten Besuch in diesem Eisklettermekka, begehen können (siehe Blog). Nun, eigentlich mag ich es deutlich lieber, in meinem Tourenbuch eine noch nie zuvor gekletterte Route hinzufügen zu können, aber nun war das schlicht und einfach die logische und vernünftige Wahl. Zudem ist's im Eis ja weniger entscheidend, weil die Route(n) sich doch jedesmal wieder anders präsentiert. Noch dazu war ich damals noch am Beginn meiner bescheidenen Eiskletter-"Karriere", so konnte ich gerade prüfen, welche Entwicklung sich durch etwas regelmässigeres Pickeln und Toolen gefolgt von 2 Jahren Abstinenz ergeben hatte.

Vorstieg in der ersten Länge der oberen Routenhälfte.

Pingu (III, WI5+, 200m)

Einen Tourenbericht habe ich ja bereits das letzte Mal geschrieben, das wird an dieser Stelle nicht komplett wiederholt. Der Fall war dieses Mal deutlich fetter gewachsen, das Eis solide aber strukturiert und mit bereits vorhandenen Begehungsspuren - vermutlich ist die Route in diesem Zustand näher bei einer WI4+ als bei der offiziellen WI5+. Die erste Seillänge (35m) kletterten wir wieder zum linken Stand, der inzwischen top saniert ist. Im zweiten Abschnitt (50m) war erneut diese rampenähnliche Struktur vorhanden, welche eine elegante Passage von rechts nach links über die Steilstufe erlaubt. Im oberen Routenteil kletterten wir die dritte Seillänge (40m) dieses Mal komplett anders von rechts nach links zu einem BH-Stand am linken Rand. Das folgende, vierte Teilstück (35m) bietet dann anhaltend steile Meter auf ein Plateau, bzw. zu Stand an Baum rechts aussen. Die einfachere Abschlusslänge war tief verschneit und offenbar schon länger nicht mehr begangen worden. Das sah nicht attraktiv aus und so schenkten wir uns diese letzten 30m, obwohl ich sie das letzte Mal als interessante Herausforderung erlebt hatte.

Classic Shot! Nachstieg in der ersten Länge vom oberen Teil.

Der Plan war nun, noch einen zweiten Eisfall zu klettern. Arbonium, Rattenpissoir, Haizähne, Reise ins Reich der Eiszwerge,  alles  wurde bekrabbelt und beklettert - das ist halt der Nachteil davon, in einem Hotspot unterwegs zu sein. Unter dem Strich wäre es wohl das Schlauste gewesen,  die Gelegenheit im gerade verwaisten und mir noch unbekannten Namenlos zu nutzen. Wir aber wollten dem weniger bekannten Bärentritt einen Go geben, insbesondere als wir sahen, dass eine Seilschaft dort gerade mit der letzten Länge beschäftigt war und somit danach freie Bahn herrschen müsste. Für den Zustieg kann ich nur empfehlen, dem Doldenhorn-Hüttenweg möglichst lange/weit zu folgen und auf jegliche direkter erscheinende, abkürzenden oder "dem Wandfuss entlang" Varianten zu verzichten. Das endet nur in unerquicklichem Kondi-Schneegestapfe zwischen den Büschen hindurch. 

Bärentritt (WI5+), mit Kletterer auf den letzten 15m.

Nun denn, die andere Seilschaft hatte nicht eben ein hohes Tempo an den Tag gelegt, doch bis wir parat waren, wäre die Bahn frei gewesen. Aber nun ja, anstatt die Bühne den nächsten, am Einstieg bereit stehenden zu überlassen, entschieden sie sich dann, den Fall ab der Mitte nochmals zu klettern. Kann man natürlich machen, aber ob man unbedingt muss?!? Gehört vielleicht in dieselbe Kategorie wie die ungebührlichen Sitten, auf einer Skitour den Nachfolgenden die Spur zu verfahren (bzw. sie nicht so gut wie möglich zu schonen) oder als Nachfolgender frühzeitig umzudrehen, um den Spurenden die First Line zu stehlen :-/ Naja, deswegen durften wir uns nicht den Tag vergällen lassen - es war alles in allem ein tolles Erlebnis an einem richtig kalten Wintertag gewesen und der Pingu war leicht von der Hand gegangen, das war eine sehr erfreuliche Erkenntnis. Nun hoffen wir, dass die Regenfront nicht alles  Eis schmilzt und die Pickel diese Saison nochmals zum Einsatz kommen.

Donnerstag, 11. Juli 2019

Piz Palü (3901m) - Bumiller (TD+)

Der Bumillerpfeiler ist die imposante Linie inmitten der Nordwand am Piz Palü, an prominenter Lage im Festsaal der Alpen. Somit ist es wenig erstaunlich, dass ich diese Tour schon lange Zeit auf dem Radar hatte. Dennoch blieb es in vielen Aspekten unklar, was einen hier erwarten würde. Der untere Teil wird gemäss Literatur und Web auf zig verschiedenen Routen angegangen. Wenn es in diesem Abschnitt doch so etwas wie einen Standard gibt, so ist es der durch Eisschlag vom grossen Hängegletscher als objektiv sehr gefährlich bekannte Weg durchs grosse Couloir. Vom Felsabschnitt im Mittelteil liest man auch allerhand, die Berichte reichen von ernsthafter, schlecht abzusichernder Steigeisenkletterei bis zu Genusskletterei in Kletterfinken an bestem Fels. Und zum Abschluss ist da noch die Eisnase, welche über die letzten Jahrzehnte zwar beständig abgebaut hat, ihre Morphologie aber auch heute noch von Jahr zu Jahr verändert. Somit blieb unklar, ob uns hier ein grimmiges Nordwand-Abenteuer bevorstünde, oder ob man eher im genüsslichen Bergsteigermodus unterwegs sein könnte...

Im Festsaal der Alpen! Blick von der Diavolezza auf den Piz Palü mit seiner Nordwand und unserer gekletterten Linie.
Überhaupt erst ins Gespräch gekommen war der Bumillerpfeiler in erster Linie als Weg zum einfachen und geräumigen Gleitschirm-Startplatz auf dem Piz Palü Hauptgipfel. Hier kommt man nach Norden, nach Westen und nach Süden problemlos weg, nur Ostwind ist ein ungünstiges Szenario. In den 2-3 Tagen vor der Tour zeichnete sich dann leider langsam ab, dass der Abstieg per Gleitschirm möglicherweise dem zu starken Nordüberdruck zum Opfer fallen würde. Da aber die Bedingungen für den Bumiller perfekt waren, wollten wir am Ziel festhalten. Um sicher noch geflogen zu sein, entschieden wir uns, auf der Anfahrt noch zum Schwendirain aufzusteigen. Bei einer feuchten Affenhitze ein schweisstreibendes Unterfangen! Umso besser, dass wir uns nach der Landung im Hirschlensee gleich wieder frisch machen konnten. Der Preis dieses Ausflugs war dann ein wenig Nervenkitzel, ob wir die lange Fahrt zur Diavolezza noch rechtzeitig beschliessen würden, um die letzte Bahn zu erwischen, oder ob 'Palü by fair means' die Devise wäre. Kurz bevor wir in die Bahn einsteigen konnten, schlug das Herz auf einmal ganz hoch im Hals. Nein, nicht weil wir zeitlich so knapp dran waren. Ein Kollege rief an, sein Tourenpartner sei auf einem Climb & Fly im Hochgebirge verschollen und möglicherweise abgestürzt. Was er nun auch bloss tun solle und ob ich Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen könne. So stellte sich ein wenig die Frage, ob wir die Bahn nun tatsächlich besteigen sollten... glücklicherweise folgte bald die Entwarnung: der Verschollene hatte im Flug beim Fotografieren sein Handy fallen lassen. Zwar war er glücklich im Tal aufgesetzt, nur fehlte ihm leider die Möglichkeit, seinen sich noch am Berg befindenden Kollegen zu erreichen...

Tourenauftakt in der March. Da kam der Ultraleicht-Gleitschirm noch zum Einsatz.
Somit konnten wir doch noch guten Mutes den Abend auf der Diavolezza geniessen. Ich gönnte mir noch einen Spaziergang zum Sass Queder (3066m) und auf den Piz Trovat (3146m), von wo man einen idealen Blick auf den Gletscherzugang zum Bumillerpfeiler hat, den es tags darauf noch im Dunkeln zurückzulegen gilt. Danach genossen wir das edle 5-Gang-Menü, welches zur Halbpension hinzugehörte. Das grösste Fragezeichen in Bezug auf die Tour war nach wie vor das Fliegen. Der Nordüberdruck betrug noch immer gute 5hPa, was man gemeinhin als eine Föhnlage bezeichnet. Tagsüber war der Nordwind mit 35km/h im Mittel und 50er Böen über den Berninapass geprescht - Bedingungen, in welchem man im Notfall gerade noch so landen kann. Aber wenn man's schon weiss, so ist eher Verzicht angesagt. Für den nächsten Tag war eine leichte Besserung prognostiziert, so dass wir den definitiven Entscheid erst unmittelbar vor Aufbruch fällen wollten. Ebenfalls galt es noch zu entscheiden, wie wir den unteren Teil vom Bumiller anpacken wollten. A priori hatte ich die Einstellung, das objektiv gefährliche Couloir auf jeden Fall zu vermeiden und im Fels einzusteigen. Zum Zeitpunkt unserer Tour herrschte da noch ein grosses Wirrwarr an möglichen Routen und viel Unklarheit, welche sich auf meine Fragen und mein Feedback hin nach dem genialen Beitrag von Marcel Schenk der Bergsteigerschule Pontresina nun geklärt hat. Aber auch hier galt: vor Ort nachsehen würde uns die Routenwahl diktieren, auf der Diavolezza war die Entscheidung (Gelände, Bergschrund, Ausaperung) schlicht und einfach nicht zu treffen. Somit wollten wir am nächsten Tag so aufbrechen, dass wir am Fuss des Pfeilers auf jeden Fall bereits Tageslicht hätten.

Der Tag erwacht!
So läutete der Wecker um 3.15 Uhr und wir sassen ans opulente Frühstücksbuffett. Leider war mir ganz und gar nicht ums Essen, doch immerhin konnte ich dafür sorgen, dass ich ausreichend hydriert in den Tag startete. Ein Check auf dem Smartphone zeigte, dass der Nordüberdruck entgegen den Prognosen sogar wieder etwas gestiegen war und auch über den Bernina preschte der Wind nach wie vor. Somit blieb nichts anderes als die unpopuläre Entscheidung zu treffen: die Gleitschirme würden in der Diavolezza auf uns warten - immerhin ist der Fussabstieg vom Piz Palü ja eine ziemlich kurze Sache. So ging's also um 4.00 Uhr los auf dem Normalweg, d.h. die Flanke des Piz Trovat ostseitig mit ein wenig auf und ab queren. Wichtig: man betritt das Eis nicht (mehr) bei der Fuorcla Trovat (P.3017), wo man südseitig unangenehm abstiegen müsste, sondern überschreitet auch noch P.3039, um erst weit 500m weiter hinten bequem den Persgletscher erreichen zu können. Über das Eis ging es nun erst weiter dem Palü Normalweg entlang, den man erst beim felsigen Ausläufer des Piz Cambrena verlässt. Weiter geht's bis auf ca. 2900m absteigend westwärts, um dann wieder gegen den Fuss des Bumiller anzusteigen. Um 5.30 Uhr standen wir schliesslich bei ausreichend Tageslicht unter dem Pfeiler (ca. 3000m) und mussten die Entscheidung fällen, welcher Weg zu wählen sei.

Situation am Pfeilerfuss mit Topo der Einstiegsvarianten. Foto: M. Dettling, Topo: M. Schenk, Go Vertical
Es zeigte sich, dass die angedachte Couloir-Variante (unten grün, oben rot) nicht wirklich eine Option war. Der Schrund war an dieser Stelle unpassierbar und die Rinne auch bereits stark ausgeapert. Es war zwar vorstellbar, weiter links auf den Fels zu gelangen und dann irgendwie ins Couloir zu queren (rot). Informationen über diese Linie lagen uns zum damaligen Zeitpunkt aber nicht vor. Und so stellte sich die Frage, ob wir denn jetzt Experimente eingehen wollten. Auf die als brüchig berüchtigte Linie (blau, Tinner/Schenk), die über ganzen Vorbau links im Fels verläuft, hatten wir wenig Lust. Das Gelände sah doch reichlich wenig einladend aus und so wäre schon der erste Tourenteil ein ziemliches Geschnafel gewesen. So zogen wir etwas nach rechts... es war absolut ruhig, der Schnee perfekt gefroren, im Auslauf des grossen Couloirs waren keine frischen Ablagerungen zu sehen. Irgendwie schien es absolut logisch, nun einfach diesen (im Vornhinein ausgeschlossenen) Weg zu wählen. Also los! Klar, die objektive Gefahr dieses Einstiegsteils darf nicht verharmlost werden. Doch hält man sich erst links am Kegel und quert danach so bald wie möglich nach links auf die Schulter der roten Einstiegsvariante, so hält man sich maximal 10 Minuten im Hauptgefahrenbereich auf. Und bei kleineren Eisabgängen könnte man selbst in dieser Periode nach links ausweichend Deckung finden. Allerdings, sollte oben am Palü gleich die ganze Cremeschnitte abbrechen, so wäre man geliefert - allerdings hätte man bei diesem Szenario möglicherweise auch am felsigen Vorbau oder definitiv weiter oben auf der Tour ein massives Problem... 

Blick von unten, noch während der 'heissen Phase', auf den Weiterweg. Von der Position des Kletterers quert man nun nach links hinaus zur Schulter der roten Route des obigen Fotos und kommt sofort wieder in objektiv sicher(er)es Gelände.
Die Gegenperspektive von oben nach unten. Wie man hier erahnen kann, lässt sich auch der Aufstieg während der 'heissen Phase'  abseits oder zumindest ganz am Rand der Hauptrinne legen und man hätte stets die Möglichkeit, zur Seite hin auszuweichen. Da man sich nur wenige Minuten in diesem (relativen) Gefahrenbereich aufhält... ziehe jeder seine Folgerungen selber und wähle die entsprechende Route. Die Eis- resp. Firnhänge im Vordergrund sind rund 50 Grad steil.
Die Bedingungen waren perfekt zum Steigen, tragender, griffiger Firn. So waren wir bald im Bereich der Schulter der Einstiegsvariante in weniger exponiertem Terrain. Mit etwas Hin und Her hielten wir uns nun am (im Aufstiegssinn) linken Rand des Eisstrom. Einfacheres Terrain wechselte sich mit ein paar steileren Passagen ab, ein längeres Teilstück reichte vielleicht an die 50 Grad heran, die Crux eine kurze Eiskletterei von 60 Grad - in der Summe aber alles gutmütig und wie bereits geschrieben, in perfekten Verhältnissen. So erreichten wir, zuletzt über den schönen Firngrat in einer Stunde vom Einstieg bereits den Start des Felsteils (ca. 3450m). Inzwischen waren wir an der Sonne, die Temperaturen waren angenehm mild und auf einer bequemen, trockenen Terrasse konnten wir uns für die Felskletterei parat machen. Das heisst Wechsel von Bergschuhen und Steigeisen auf die Kletterfinken - wir hatten uns dafür entschieden und ich muss im Nachhinein sagen, das war eine ganz schlaue Entscheidung. Es warten doch Schwierigkeiten bis 5b in teilweise plattigem Granit. Klar, das ist auch mit Bergschuhen machbar, zur Not selbst mit Steigeisen. Aber es wäre Einsatz gefordert und hätte den Charakter von harter, alpiner Kletterei. Viele, die mit Bergschuhen gehen, lassen sich dann auch weiter vom eigentlichen Pfeiler in einfacheres, aber heikleres und viel weniger schönes Gelände abdrängen. Mit den Kletterfinken war es hingegen ein grosser Genuss, über die kompaktesten Felspartien in genussreicher Kletterei hochsteigen zu können.

So gut wie es geht hält man sich danach immer am linken Rand des Eisstroms den Felsen entlang, wo man sich in (relativer) Sicherheit wiegen kann. Der Ausblick zeigt schon den kecken Pfeiler des Felsteils, an welchem sich die ersten 4 Seillängen abspielen.
Fantastische Morgenstimmung beim Aufstieg über den Firgrat zum Felsteil hin. Die Aussicht schier grenzenlos!
Am Firngrat bei perfekten Bedingungen mit tollem Ausblick auf den Felsteil darob!
Rückblick auf den Firngrat - just simply fantastic!
Der Felsteil umfasst total 8 Seillängen à 50m. Zuerst folgen zwei plattige Sequenzen mit relativ freier Linie, welche zum grössten Teil selber abgesichert werden wollen (ca. 4b, bei direkter Linie auch 5a). Die dritte Seillänge führt dann an den Fuss des markanten Gratzackens. Hier ist die Linienführung mehr gegeben, ist die Kletterei doch recht steil und athletisch, ja erfordert das Erklimmen eines veritablen Dachs. Hier steckt etwas an fixem Material, die Schlinge am Dach weist von weither bereits den Weg. Am Stand treffen wir auf zwei deutsche Bergsteiger, welche uns umgehend passieren lassen. Im vierten Abschnitt (ca. 5a) quert man unter dem Gratzacken nach links hinaus und steigt dann diagonal aufwärts. Auch hier stecken Schlaghaken, allerdings wild verstreut. Während man sich nun deutlich unterhalb des Gratverlaufs in einfacherem Gelände halten könnte, wählen wir in der fünften Seillänge eine athletische und etwas wilde Linie in der kein fixes Material steckt zurück zur Gratkante (5b), die man in einer Scharte nach dem Zacken wieder erreicht. Der Gratkante entlang geht's mit einer sechsten Sequenz (5a). Zum Auftakt wartet eine Platte mit einem feinen Riss, die deutlich schwieriger ist, als es den ersten Anschein macht - umso mehr, wenn man nicht mit Kletterfinken unterwegs ist. Der Rest ist dann einfacher zu haben. Es folgen schliesslich zwei weitere Seillängen à 50m mit genussreicher Kletterei aber geringen Schwierigkeiten (3a-4a) zum Fuss der Eisnase, wo wir auf einer bequemen Plattform wieder auf die schneetaugliche Ausrüstung wechseln können. Der ganze Felsteil hat uns ca. 2:30h gekostet.

Calina folgt in L1 (4b) im Felsteil.
Ausblick auf L2 (5a). Tolle, selbst abzusichernde Granitkletterei, bei guten Verhältnissen ein grosser Genuss!
Wow, das ist einfach genial! Yours truly folgt in L2 (5a).
Steile Kletterei mit einem veritablen Überhang in L3 (5b). Oben am Stand die beiden deutschen Bergsteiger.
Umwerfend! Hammermässige Traverse unter dem markanten Gratzacken durch in L4 (5a).
Exposition total am Ende der Traverse unter dem Gratzacken (L4, 5a).

Steil geht's auch in L5 (5b) in die Höhe, hier wollen auch nochmals Überhänge geklettert werden :-)
Die mit einem feinen Riss durchzogene Platte zu Beginn von L5 (5a) hat es nochmals in sich!
Yours truly unterwegs in L7 (4a), die Schwierigkeiten nehmen im letzten Teil des Felsabschnitts ab.
Spot the climber! Calina unterwegs in L8 (3a) unter der drohenden Kulisse der Eisnase - einfach genial!
Tiefblick mit den letzten Metern im Fels, bevor wieder auf die Eisausrüstung gewechselt wird.
Die Eisnase selber erforderte früher steile, seriöse Eiskletterei. Durch den Rückgang des Hängegletschers wurde diese Passage stark abgemildert und kann nun sogar links in moderat steilem Gelände (50-55 Grad) umgangen werden. Wir wollen uns aber nicht lumpen lassen und wählen die ästhetisch-elegante Direktlinie. Die Steilheit erreicht ganz kurz um die 75 Grad, man kann jedoch perfekt schrauben, keine grosse Sache also! Nachher findet sich auch noch Eis, um bei "Seil aus!" einen Stand einzurichten. Ab dort können wir bereits wieder gemeinsam weitersteigen und es ist nur noch eine Konditionsfrage bis hinauf zum Gipfel. Einzig vor Spalten sollte man sich allenfalls in Acht nehmen, wir können jedoch von perfekten Bedingungen profitieren. So bin ich um 10.45 Uhr am Top, das wären rund 5:00h vom Pfeilerfuss oder 6:30h ab der Diavolezza - das ging ja ganz fix! Wir profitieren von den angenehmen Bedingungen. Der Wind präsentiert sich hier auf's erste ganz gutmütig, ein Start mit dem Gleitschirm wäre gut möglich (aber heimtückisch!) gewesen, das Gelände präsentiert sich wie erhofft und recherchiert als perfekt.

Den steilsten Teil der Eisnase eben überwunden! Wer will, kann's rechts noch steiler haben, wäre aber ziemlich gesucht!
Ausstieg aus der Eisnase.
Oben - Zeit zum Geniessen!
Nun denn, unsere Schirme haben wir (richtigerweise!) nicht dabei, also geht's zu Fuss weiter. Die Spur hinüber zum Ostgipfel ist perfekt. Dort können wir noch einen richtig lässigen Tiefblick auf den Ostpfeiler werfen - auch schon 25 Jahre her, seit ich hier raufgeklettert bin! Über den Normalweg geht's dann abwärts. Stellenweise ist die Firnauflage dünn, d.h. das Eis nicht weit weg, aber man kann auch hier von guten Bedingungen sprechen. In der Scharte auf der Ostschulter geht plötzlich ein heftiger Wind, schon beinahe in Sturmstärke. Da wissen wir wieder genau, warum man bei einer Föhnlage nicht Gleitschirmfliegen soll. Wir binden uns wieder ans Seil und steigen über den spaltenreichen Gletscher ab. Noch immer kommen uns viele Leute entgegen, die von der ersten Bahn auf die Diavolezza gestartet sind. Mit dabei sind auch Alleingänger mit völlig unzureichender Ausrüstung - manchmal schon erstaunlich, dass solche Eskapaden wohl doch meist gut ausgehen. Ohne Schwierigkeiten erreichen wir das Ende des Gletschers und nach einer halbstündigen Wanderung um den Piz Trovat herum sind wir um 12.30 Uhr zurück auf der Diavolezza. Macht total 8:30h für die ganze, überaus lässige Runde, die man an diesem Tag gerne zum Genre Plaisirbergsteigen zählen darf.

Luftige Überschreitung vom Hauptgipfel zum Ostgipfel hinüber. Dank perfekten Bedingungen problemlos!
Ciao Amici! Italienische Seilschaft auf den letzten Metern zum Gipfel am Palü Ostpfeiler.

Facts

Piz Palü (3901m) - Bumillerpfeiler (TD+, 5b, 60 Grad, 900hm) - Bumiller et al. 1887 (!!!)
Material: 1x50m Seil, Cams 0.3-2, Keile, Kletterfinken, Steigeisen, Eisgeräte, 4-6 Schrauben

Grandiose Tour auf eindrücklicher Pfeilerlinie mitten durch die Nordwand am Piz Palü an prominenter Lage im Festsaal der Alpen. Nach einem moderaten Zustieg steht man vor der Wahl, den mässig attraktiven Vorbau im Fels zu gehen oder ihn rechts schneller und bequemer durch das grosse, jedoch objektiv nicht sichere Couloir zum umgehen. Danach folgt nur noch genussreiches Bergsteigen. Ein Firngrat, 400m an Kletterei in perfektem Granit, eine steile Eislänge und zum Schluss noch 200hm Gletscherwanderung. Es lohnt sich, auf gute Bedingungen zu warten, d.h. bis die Felslängen aper und sonnengewärmt sind, aber auf dem Rest trotzdem noch überall guter Firn präsent ist. Dann kann man im Fels in grandiosem Ambiente mit den Finken in die Höhe tänzeln und den Rest der Tour zügig erledigen. Trifft man hingegen auf verschneite und/oder vereiste Platten, so bekommt der mittlere Tourenteil eine ganz andere Dimension und Ernsthaftigkeit. Normalerweise trifft man zu Beginn der Sommersaison (Mitte Juni - Mitte Juli) auf die besten Bedingungen.