'Land ohne Herren' - diese bekannte Route des illustren Erschliesserduos Ruhstaller/Rathmayr hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Das Problem war bloss, dass mir das Anforderungsprofil für eine Onsight-Session mit 6a, 6c, 2x 6c+, 7a, 7a+, 2x 7b und einer 7c selbst in der Kletterhalle die Unterarme zum Explodieren bringt. Normalerweise kann man sich bei einer MSL immerhin auf das Argument zurückziehen, dass die Kletterei weniger steil und physisch anstrengend wie Indoor ist. Nicht jedoch bei dieser fast permanent überhängenden Route am steilsten Stück Fels im Titlismassiv. Da aber Alexandra (➡ Trainerin von Larina) sich wieder einmal auf eine MSL wagen wollte um vom "Experten" einige First-Hand-Tipps in Erfahrung zu bringen, war ich mir einer kompetenten Ropegun sicher. Denn für sie ist das oben erwähnte Programm nach wie vor just an easy day...
Die Titlis Nordwand mit dem Zustieg übers Band (gepunktet) und dem Verlauf von Land ohne Herren. |
Da ein Hitzetag prognostiziert war, wir eine zeitige Rückkehr präferierten und vor allem nicht hinter einer anderen Seilschaft klettern wollten, brachen wir früh auf - Weckerzeit um 4.30 Uhr klassifiziert da definitiv dafür. Immerhin, der Benefit war einer der wenigen verbleibenden Gratis-Parkplätze bei der Fürenalpbahn. Um 6.45 Uhr zockelten wir da los, gingen am um diese Zeit logischerweise verwaisten Schlänggen vorbei und nahmen den mir bestens bekannten Pfad via Hohfaldalp zum Galtigbergboden. In etwas weniger als 1:30h hatten wir die 900hm erledigt und standen nahe der Rampe, welche zum Band inmitten der Wand führt. Obwohl es noch früh war, hatte die Sonne beim Zustieg bereits eingeheizt und wir begaben uns gerne in den Schatten, um das Gstältli zu montieren und den Helm aufzusetzen. Die Querung übers Band bis ganz hinüber unter die Nase nimmt dann noch einiges an Zeit in Anspruch. Das Gelände ist teils exponiert und man muss sich an Fixseilen hinüberhangeln. Während die ersten Seile bis zur Piccola Spada neuwertig sind, so sind schon jene hinüber zur Süpervitamin marode und teils zu kurz. Danach ist es nur noch schlimmer (Stand Juli 2023). Es wäre schön, wenn jeder Titlisgänger ein Stück Seil mitführt (15-20m reichen) und auf einem Teilabschnitt einen alten Strick ersetzt (Update vom September 2023: inzwischen hat sich die Situation bis zur Süpervitamin verbessert, siehe Kommentar unten).
Der Einstieg war für mich als Beinahe-Ortskundiger (die LoH war zu diesem Zeitpunkt meine sechste Route in der Titlis Nordwand) relativ schnell aufzufinden. Vom Ende der horizontalen Fixseilquerung zum Bereich des Piz dal Nas geht man noch 10m nach links, über eine 3-4m hohe Stufe hinauf und befindet sich dann auf dem wieder breiteren Band unter der Nase. Hier nun leicht rechts ein paar Meter hinauf auf ein höheres Band, wo man den rot lackierten Einstiegs-BH (Fixé-Plättli) findet. Mit der Gear-Montage und der Querung waren nochmals 30 Minuten draufgegangen, so dass wir ziemlich genau 2:00h nach Aufbruch am Einstieg waren. Wir trödelten nicht herum, sondern schlüpften zügig in die Finken und starteten wohl ein paar Minuten nach 9:00 Uhr mit der Kletterei. Bis auf eine Seilschaft die drüben im Lochblick aktiv war und einer, die später noch zur Süpervitamin kam, waren wir alleine im Sektor unterwegs.
L1, 20m, 4c: Verschärfter Teil des Zustiegs sozusagen, ohne fixe Absicherung und Legemöglichkeit, eher brüchiges Gelände. Die Seilsicherung dient dem Vorsteiger nur der Totalschadenbegrenzung (Absturz zum Wandfuss).
L2, 35m, 6c: Der erste überhängende Wulst folgt sogleich nach dem Stand und schon heisst es das erste Mal zupacken (bei auch noch nicht 1a-Felsqualität). Gut abgesichert jedoch. Nachher hat es über weite Strecken meist gute Leisten, dafür stecken die Bolts eher weiträumig. Eine kurze Stelle im letzten Drittel fordert nochmals mehr.
Meist - aber halt eben nicht immer - findet man in L2 (6c) gute Leisten. |
L3, 35m, 7a+: Warnung, wer in der Nacht vor der Tour ruhig schlafen will, liest die folgenden Zeilen vielleicht lieber nicht... Der erste BH steckt hier etwas hoch und so schaffte es Alexandra sogar, in einer Rissspur links einen 0.75er-Cam zu versorgen - den einzigen der ganzen Tour. Das ist aber noch nicht das Problem. Sondern, dass der Abstand zwischen dem zweiten und dritten BH etwa doppelt so gross ist wie die übrigen Distanzen. Und nein, die Kletterei da ist eben nicht einfach, sondern es ist die Crux der Länge! Eher feine Leisten, relativ trittarm und ziemlich unübersichtlich - es braucht Mut und Kletterkönnen. Definitiv kann man da einen gehörigen Abflug hinlegen und wohl recht hart und unangenehm stürzen. Echt gefährlich ist es aber nicht, die Wand ist da leicht überhängend und der Sturzraum ist frei. Kommt noch hinzu, dass mich diese Sektion eher schwieriger dünkte wie die beiden 7b weiter oben - bisschen schade diese Hartmacher-Passage, irgendwie suboptimal auf der sonst eigentlich durchgehend top abgesicherten Route. Sonst ist die Länge aber echt cool, super Kletterei in scharfem Tropflochfels, mich hat es sehr an die Eiger-Nordwand (Deep Blue Sea) erinnert.
L4, 25m, 6a: Ein nochmals relativ gutmütiges, wohl nicht einmal ganz senkrechtes Überführungsstück, bevor es dann definitiv ans Eingemachte geht. Schöne, griffige und gut kontrollierbare Kletterei, da wird es einem trotz nur 2 BH und einer Lotter-Sanduhr nicht Angst und Bange.
L5, 30m, 7b: Keine Frage, ab jetzt wird es echt steil. Als Nordwand-Kenner weiss man ja, dass damit auch unweigerlich die guten Griffe kommen. Und genau so ist es dann auch, so dass man vorerst gut an Terrain gewinnt und den Pump unter Kontrolle halten kann. Die Crux dieser Länge besteht aus einer kurzen Boulderpassage mit "gewusst wie"-Faktor. Leider sind da die Griffe oft nass und weder sonderlich scharf noch positiv. Hat man den Schlüssel gefunden, so darf man die genussreiche Henkelei wiederum frohgemut fortsetzen.
L6, 25m, 7c: Ohlalalala, man hält es kaum für möglich, aber die Steilheit legt gleich nochmals eine Schippe drauf. Schon nach den ersten Moves wird es gleich powerig und anhaltend geht's im "Vorglühen" (und hoffentlich nicht "Verglühen")-Modus bis zu einem Schüttler, wo man sich vor der relativ kurzen, bouldrigen "gewusst wie"-Crux etwas mehr (oder je nach Fitness weniger) Übersicht verschaffen kann. Für die Schlüsselstelle braucht man entweder einen guten Plan, oder dann die Fähigkeit, das nächstbeste Kleinmaterial an für einmal eher stumpfen Griffen zu nutzen. Mich hat es da leider rausgeputzt - alter Klempner, schade! Nachher wird dann wiederum "nur noch" die Ausdauer gefordert, um erfolgreich zum Stand zu klettern - und die war sogar bei mir in genügendem Ausmass vorhanden, also wird da bei starken Leuten kaum mehr etwas anbrennen.
Alexandra in der Crux (L6, 7c) - souverän wie gewohnt, das war bester Anschauungsunterricht! |
L7, 25m, 6c+: Die Wand legt sich etwas zurück, gutgriffig bleibt's. Gleich aus dem Stand raus heisst es ordentlich festhalten, dann folgt eine etwas öttelige Stelle über eine Art Nase hinweg, bevor das etwas komisch gebohrt wirkende Ende folgt - naja, die Bolts leiten einen schliesslich doch auf die richtige Fährte und man kommt zum Standplatz unterhalb der Nase - von unten würde man nicht glauben, dass es da diese Flachzone gibt, wo sogar ein paar Grasbüschel wachsen.
L8, 15m, 7a: Ein kurzes 2-Bolt-Rüteli wartet hier. Hinüber zum steilen Pfeiler, da athletisch an Leisten hinauf, am Ausstieg kurz etwas dranbleiben und sobald man wieder in Gelände steht, wo man sich erholen kann, findet sich auch schon der Standplatz vor Beginn der nächsten Steilzone.
In der kurzen 7a-Länge (L8) mit Blick auf das erstaunliche, grasig-schottrige Band unter der Nase. |
L9, 20m, 7b: Spätestens hier kann man endgültig konstatieren, dass es rechtsherum einfacher und weniger steil ginge. Das Kredo der Erschliesser lag jedoch darin, die steilstmögliche und homogen schwierige Linie zu wählen und so geht's hier nochmals in ein überhängendes Brett hinein. Dieses bietet durchgehend Material, das mindestens als "gute Griffe" zu bezeichnen ist, ja teilweise auch formidable Henkel. Dranbleiben und athletisch moven muss man trotzdem - es ist durchaus ein Test, wie viel Strom der Akku noch hat.
L10, 20m, 6c+: Mit einer Rechts-Links-Schleife wird nochmals alles an steilem Terrain ausgenutzt, was die Nase zu bieten hat. Natürlich erneut alles an grossem und positivem Griffmaterial. Selbstverständlich geht's langsam an die Substanz, aber hoffentlich reichen die Kräfte für den finalen Mantle auf die geneigte Abschlussplatte mit 400m Luft unter dem Pürzel - wäre schade es da noch zu vergeigen (ist uns aber nicht passiert).
Die Erschliesser haben bis zum Ende immer die steilstmögliche Linie gewählt (L10, 6c+). |
Ein paar Minuten vor 14.00 Uhr und damit nach nicht einmal 5:00h Kletterei hatten wir das Top erreicht, eine sehr fixe Zeit! Aber Kunststück, mit einer Ropegun welche das alles mit einer unglaublichen Souveränität und Leichtigkeit klettern konnte. Mir war es auch ganz ordentlich gelaufen, für einen Komplettdurchstieg heisst es aber wiederkommen. Und erst noch etwas Suppe zu essen, das könnte auch noch nützlich sein. Am Routenende, d.h. auf der Kanzel der Nase kann man sich frei bewegen. Und noch ausserordentlicher, an die Kante sitzen und die Beine im Leeren baumeln lassen. Bis zum Wandfuss pfeift es da 400hm überhängend runter, das ist schon sehr, sehr aussergewöhnlich.
Wie schon damals bei der Duracell... oben am Routenende an die scharfe Kante der Nase zu sitzen, die Beine ins Leere baumeln zu lassen und unter sich 400hm Leere bis zum Wandfuss zu haben ist Pflicht! |
Der massiven Steilheit wird man sich auch alsbald bewusst, wenn man abseilend wieder zu Tale gleiten möchte. Die Seilenden hängen da zig Meter von der Wand entfernt im luftleeren Raum. Man überlege sich also gut, wie man den Fels wieder erreicht. Auch das Handling an den Abseilständen will wohl durchdacht sein und mit Redundanz versehen werden. Einmal das falsche Seil loslassen bedeutet da die üble Arschkarte, da braucht es wirklich nicht viel, um mitten in der überhängenden Wand blockiert zu sein. Bei uns ging aber alles gut, uff! Eine etwas weniger extreme Option wäre das Abseilen über die Duracell, was wohl auch steil, aber nicht ganz so beständig massiv überhängend ist. Es macht jedoch wohl nur dann Sinn, wenn man diese Route kennt. Um 15.30 Uhr machten wir uns vorsichtig auf den Rückweg übers Band, um 17.00 Uhr schloss sich der Kreis bei der Fürenalpbahn, wo eine Affenhitze herrschte. Wow, das war nun eine richtig eindrückliche Sache gewesen. Und obendrein die richtige Destination für diesen Hitzetag. Ich hatte den ganzen Tag in Shorts und T-Shirt agiert und weder je gefroren noch geschwitzt - perfekt. Herzlichen Dank an Alexandra für diesen tollen Tag!
Facts
Titlis Nordwand - Land ohne Herren 7c (7a+ obl.) - 10 SL, 250m - Ruhstaller/Rathmayr 2006 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 10 Express, Cams/Keile kaum einsetzbar
Steil, steiler, Land ohne Herren! Ich wage die Behauptung, dass wir es hier im siebten Franzosengrad mit der steilsten MSL-Tour in der Schweiz zu tun haben. Die Kletterei ist wirklich äusserst spektakulär und aussergewöhnlich, eine absolute Must-Do-Route für all jene, die es draufhaben. Darum vergebe ich auch gerne 5 Sterne, selbst wenn die Felsqualität nicht auf jedem Meter top ist (im einfacheren Gelände ist es bisweilen auch mal etwas schottrig, teils ist der Fels etwas belagig/staubig). Abstriche könnten "Logiker" allenfalls für die ab L6 etwas gesuchte Linie durch die steilsten Zonen machen, etwas rechtsrum ginge es da beständig deutlich einfacher. Aber das entspricht natürlich nicht dem Konzept dieser Route, das nach meiner Ansicht absolut stimmig ist. Die Absicherung mit erst rot (später auch gelb und blau oder gar nicht) lackierten, verzinkten Haken ist an den schwierigen Stellen (>6b) bis auf den im Text erwähnten Hartmacher-Runout in L3 immer sehr gut (Niveau xxxx, bis auf die Stelle in L3 ist die Route auch nur ca. 6c+ obl). Wenn das Gelände leichter ist, so werden die Abstände deutlich grösser, was aber im gutgriffigen Fels kaum je ein Problem darstellt oder psycho ist. In den Topos werden die Friends 1.5 und 2 empfohlen (entspricht Camalot 0.75 und 1). Wir haben nur am Anfang von L3 den 0.75er ein einziges Mal platziert (mässig nötig/sinnvoll), sonst haben wir keine relevanten Einsatzmöglichkeiten für mobile Absicherung gesehen. Infos zur Wand/Route findet man im Filidor extrem Ost, dem SAC-Führer Zentralschweizer Voralpen Südwest und im Engelberg Outdoor Guide. Anbei das Fototopo der Erschliesser (vielen Dank!), wenngleich mit relativ schlechter Auflösung.
Fototopo zu Land ohne Herren an der Titlis Nordwand von den Erschliessern. |
Hallo Marcel
AntwortenLöschenFreut mich sehr, dass euch die Route so gut gefallen hat! Danke für den Hinweis mit dem Ficseil. Marcel Frank hat mittlerweile das Fixseil zur Süpervitamin ersetzt. Herzlichen Dank. In der 3. Sl. am Anfang passt der Cam 0,75 wirklich perfekt. Der Runout zwischen dem 2. und 3. Bh ist in meiner Erinnerung nicht so wild. Er wird einfacher, je weiter man vom Bh wegklettert. Viel Spass und danke für deine Super Berichte.
Reto Ruhstaller
Ciao Reto,
LöschenVielen Dank für deine Zeilen!
Und besten Dank auch an Marcel für das Ersetzen des ersten Fixseils.
Lg, Marcel