Vor erst gerade 10 Jahren wurde die schattige Titlis Nordwand als Klettergebiet entdeckt. Zwar ist sie aus dem Tal durchaus gut sichtbar, doch bleibt es von weitem ziemlich unklar, wie es denn mit der Gesteinsqualität aussieht. Rein optisch macht die Zone (auf mich) von weitem jetzt nicht den allerbesten Eindruck. Grund genug, der Sache einmal auf die Spur zu gehen. Auch wenn ich der Wand schon länger einmal einen Besuch abstatten wollte, so kann ich nun konstatieren, dass sich das Warten durchaus gelohnt hat. Nicht etwa, weil die Kletterei unlohnend wäre. Sondern, weil man hier vorzugsweise an Hitzetagen klettert. Etliche Seiten im Netz berichten von vor Kälte tauben Fingern und schlotternden Gliedern. Wir hingegen waren in der Hitzeperiode anfangs Juli 2015 genussreich im T-Shirt am Fels.
Wandansicht mit Verlauf der Route Lochblick. |
Die Tour beginnt für mich leicht wie im falschen Film. Ausgangspunkt ist der Parkplatz bei der Fürenalpbahn und erst läuft man den flachen Weg zum Klettergarten Schlänggen, der mir von vielen Besuchen mit der Familie wohlbekannt ist. Dieser wird aber für einmal links liegen gelassen und bald darauf steigt man steil hinauf gegen die Hütten der Hohfaldalp (P.1439, Brunnen vorhanden). Nachdem man den Wanderweg noch rund 150m nach SSE zum Hundsbach verfolgt, steigt man vor der Brücke, meist auf schwachen Wegspuren, die Wiesenhänge in Richtung Galtigbergboden hinauf. Ist das Gelände erst von den Schafen noch brutal überdüngt und zwingt einem zum Slalom zwischen Brennesselfeldern hindurch, warten nach dem Zaun schönste Magerwiesen mit toller Alpenflora. Nach rund 900hm und 1.5h Zustieg treten wir auf rund 2000m definitiv in der Bann der steilen Wand, bzw. suchen gleich ihren Schatten auf für den Wechsel auf die Kletterausrüstung. Ja, frieren würden wir heute kein einziges Mal!
Auf der Hohfaldalp, unterwegs Richtung Galtigbergboden ins Reich der Titlis Nordwand. |
Eine definitive Wahl für die Route hatten wir im Vorfeld noch nicht getroffen - das ist auch nicht so einfach möglich, da es wegen den zahlreichen losen Steinen auf den Bändern in dieser Wand wenig ratsam ist, hinter einer anderen Seilschaft einzusteigen. Doch wie es sich zeigte, waren wir an diesem Tag zwar nicht als einzige (Süpervitamin und Piccola Spada wurden ebenfalls begangen), jedoch als erste unterwegs und hatten damit freie Wahl. Diese fiel auf die wohl zugänglichste Route der Wand, den Lochblick - mit immerhin 12 Seillängen und Schwierigkeiten bis 7a+ auch ein respektables Ziel. Die Gründe lagen darin, dass wir so auch in unserer 3er-Seilschaft auf ein zügiges Fortkommen hofften, dass für den Abend eine gewisse Gewittergefahr angesagt war, sowie auch dass man ja eigentlich am gescheitesten zuerst die am tiefsten hängenden Früchte erntet und später dann immer noch eine Schippe drauflegen kann. So stiegen wir um ca. 9.30 Uhr von der einfach zu überwindenden Randkluft ein.
Auf geht's! Zwei von drei unserer Seilschaft sind bereits mit der ersten Seillänge beschäftigt. |
L1, 40m, 6c: Schöne Kletterei von eher plattiger Natur an Löchern verschiedener Grösse, gut machbar. Darüber waren wir nicht unfroh, denn der Pfeiler über welchen die Route verläuft, sieht vom Einstieg aus sehr steil und unnahbar aus. Auch eine gewisse Ähnlichkeit zum Genfer Pfeiler am Eiger lässt sich nicht verleugnen. Doch nachdem die 6c der ersten Länge gut abgesichert war und die Kletterei nicht bösartiges an sich hatte, konnten wir uns guten Mutes auf den Weiterweg machen.
Unterwegs in L1 (6c), der steile Pfeiler den es zu erklettern gilt noch weit, weit weg. |
L2, 35m, 6b: Es wartet eine senkrechte Zone mit steiler Wandkletterei. Hier trumpft die Wand ein erstes Mal mit ihrer typischen Struktur auf. Obwohl es von unten nicht den Anschein macht, hat es immer wieder sehr gute, positive Griffe und auch von der Festigkeit her ist es kein Problem. So passiert man diese Zone ebenfalls zügig und befindet sich bald auf der zweiten, etwas einfacheren Hälfte dieser Seillänge.
Auftakt in L2 (6b). Die Wand ist viel griffiger, als es auf diesen Fotos den Eindruck macht. |
L3, 35m, 5b: Einfachere Seillänge ohne nennenswerte Schwierigkeiten, in welcher eine geneigte Plattenzone schräg nach rechts oben an meist guten Griffen und Tritten bewältigt wird.
Bald schon zu warm für den Pulli, doch das nasse T-Shirt wollte erst getrocknet werden... |
L4, 25m, 6a: Grundsätzlich nochmals ähnlicher Charakter wie L3, nur ist die Wand hier bereits wieder etwas steiler und hat auch nicht mehr ganz so viel Struktur. An einer Stelle in der Mitte muss man schon einmal etwas genauer hinschauen, doch insgesamt passiert man auch diese Länge problemlos.
Hans steigt gerade die schwierigste Stelle in L4 (6a) nach. |
L5, 35m, 6b: Nun wird es wieder steiler, und gleich zu Beginn will ein kleines Dächli mit einem athletischen Zug überwunden werden. In schöner Kletterei verfolgt man eine schwach ausgeprägte Verschneidung, die dann scharf nach recht hinaus verlassen wird. Achtung, Verhauergefahr ins brüchige Gelände gerade hinauf. Rechts wartet dann hingegen nochmals ein Dächli, ähnlich schwer wie das Erste.
Hier nun im zweiten Dächli am Ende von L5 (6b). |
L6, 25m, 6c: Gleich über dem Stand wartet eine steile Wandstufe, die mit ein paar athletischen Zügen an guten Griffen überwunden wird. Hat den Charakter von einem ersten, kleinen Testpiece. Bald lassen die Schwierigkeiten aber nach, und zum nächsten Stand ist es nicht mehr weit.
L7, 50m, 7a+: Wie erwartet hatte Robert seinen Vorstiegsjob perfekt erfüllt, und sauber Onsight den sechsten Stand erreicht. Nun wurden die Seilenden gewechselt, und ich hatte gleich in die nominelle Crux der Route zu starten. Dabei will gleich zu Beginn der Seillänge ein Wulst mit ein paar athletischen Leistenzügen überwunden werden. Diese dünkten mich zwar nicht sonderlich schwierig, viel mehr lastete doch der Druck, hier die Onsight-Begehung weiterzuführen auf mir. Etwas verkrampft agierend schaffte ich es dennoch souverän, und war bald in den zweiten Teil der Seillänge entlassen, welche mit der bisher typischen, griffigen Wandkletterei im 6a-Bereich weitergeht.
In der nominellen Crux der Route (L6, 7a+). Falls nötig, so passiert man diese Stelle auch problemlos A0. |
L8, 40m, 6c+: Hatten sich die Schwierigkeiten bisher auf einzelne Moves oder kurze Steilpartien beschränkt, geht es hier für einmal etwas anhaltender zur Sache. Die Linie beinhaltet etwas hin und her sowie ein paar Querungen, Halbseiltechnik ist angezeigt. Die Rechtsquerung in Mitte der Länge ist dann auch gar nicht so einfach, diverse Griffe sind hier ausgebrochen und auch meine Begleiter hatten sich im Nachstieg weiter der Felssäuberung gewidmet. Ein paar kleine, feste und positive Leisten hat es jedoch auch noch, an diesen hatte ich keine Mühe durchzuziehen. Meine Kameraden meinten, dass die angegebenen Grade von L7 und L8 eher zu tauschen seien. Mich dünkten beide Passagen in etwa ähnlich schwer.
Das ist die Schlüsselstelle von L8 (6c+). Man sieht's, die Absicherung ist auch hier sehr eng gehalten. |
L9, 40m, 6b+: Vom Stand weg ein kurzes Dächli und dann ein luftiger Linksquergang auf einer Art Rampe mit nicht immer ganz perfektem Fels (dafür sehr gut abgesichert). Im zweiten Teil sind die Abstände dann etwas grösser, die anhaltende Kletterei an Henkeln in etwas versintertem Fels fand ich grandios.
Der luftige, etwas brüchige Quergang am Anfang von L9 (6b+), jedoch üppig geboltet. |
Obenraus in L9 (6b+) dann tolle, griffige Kletterei mit etwas weiteren Hakenabständen. |
L10 & L11, 55m, 6a+: Steile Wandkletterei an zumeist guten bis sehr guten Griffen. Wenn man 60m-Seile dabei hat, so lassen sich diese beiden Längen auch recht gut verbinden. Zumindest, wenn man die Schwierigkeiten im Griff hat, denn ein Sturz in der Steilzone nach dem Start von L11 ist beim Verbinden wegen dem Band unterhalb eher ungünstig. Aber es hat dort auch viele perfekte Henkel. Was kann ich noch sagen: L11 fand ich trotz gleicher Bewertung klar anspruchsvoller wie L10, und am Stand erreicht man das Deluxe-Wandbuch, hier hat sich Erstbegeher Sämi Speck nicht lumpen lassen. Wir trugen die insgesamt 16. Begehung der Route ein.
Ankunft beim Stand nach L11 mit dem Wandbuch, das Tal weeeiiiit unten. |
L12, 50m, 6b: Zum Start über eine erste Wandstufe empor zu einem Gschirrlade, die nächste Stufe wird von links her über eine einfache Rampe gemeistert. Dann wartet das Herzstück, eine Steilstufe mit etwa 15m an athletischer Leistenkletterei. Zuletzt muss dann in wieder einfacheren, etwas unübersichtlichem Gelände der Weg noch etwas gesucht werden. Die Bolts stecken aber auch hier noch zahlreich, wahrscheinlich lagen meine Orientierungsprobleme eher dran, dass mir hier die Sonne voll frontal ins Gesicht schien.
In der letzten Länge (L12, 6b). Die Crux der Aufschwung gleich oberhalb vom Kletterer. |
Um rund 15.00 Uhr hatten wir nach knapp 5.5 Stunden Kletterei das Top erreicht und konnten den Lochblick vollziehen. Hier eine komplette Onsight- (bzw. Flash-)Begehung anzubringen, hatte mich nun nicht an die Grenzen gebracht. Doch das Routenende mit dem Eindruck zu erreichen, dass auch noch mehr dringelegen wäre, ist auch kein schlechtes Gefühl :-) Bis auf ein paar tolle Tiefblicke nach Engelberg und seinen Golfplatz hat das Routenende aber nicht viel zu bieten, es befindet sich dort, wo die Wand definitiv in eine Geröllhalde der übleren Sorte übergeht. Puh, wenn sich hier ein ordentlicher Gewitterregen ergiesst, so werden bestimmt viele Steine den Weg in die Tiefe antreten!
Der berühmte Blick durchs Loch. Das Gelände hier oben schuttig und gemeinhin wenig solide. |
Auf diesen machten wir uns und fädelten die Seile in den Stand. Schon bei den ersten Abseilern zeigte sich dann klar, warum es an dieser Wand keine gute Idee ist, hinter einer anderen Seilschaft einzusteigen. Da auf den Bändern einfach viel Schutt herumliegt, ist es absolut unmöglich abzuseilen (bzw. das Seil abzuziehen), ohne dass sich dabei Steine lösen. Für einen selbst ergibt sich dabei höchstens eine geringe Gefährung, da die Standplätze entweder recht gut geschützt oder seitlich versetzt liegen. Eine andere, kletternde oder weiter unten abseilende Seilschaft wäre jedoch mit Sicherheit einem massiven Steinschlagrisiko ausgesetzt.
Finde die Kletterer: Seilschaft mit Facebook-Friends in Piccola Spada. |
Da wir 60m-Seile dabei hatten, war nach 8 Manövern der Einstieg wieder erreicht. Das Topo verspricht zwar, dass auch 50m-Seile ausreichen, gerade beim Weg zum routenunabhängigen Abseilstand im oberen Teil blieben uns aber klar weniger als 10m an Restseil übrig. Vielleicht liegt es daran, dass die Seile meines Tourenpartners bereits etwas geschrumpft sind - man sei aber gewarnt, dass man mit älteren (geschrumpften) 50m-Seilen hier in die Bredouille kommen könnte. Nach etwa 1.5h hatten wir (zu dritt) wieder unser Depot erreicht, wo wir an der Sonne bei einer auch hier nur knapp erträglichen Hitze unsere Flüssigkeitdefizite ausgleichen konnten. Bald darauf waren die Schuhe geschnürt und der schwitzige Weg in die Tiefe konnte angetreten werden. Schon nach weniger als 1h marschierten wir am Klettergarten Schlänggen vorbei, wo prompt noch einige bekannte Gesichter damit beschäftigt waren, sich die Finger langzuziehen.
Obwohl's noch letzte Schneereste hat, ist's heiss und durstig hier! |
Titlis Nordwand - Lochblick 7a+ (6b obl.) - 12 SL, 430m - Sämi Speck et al. 2011 - ***;xxxx
Material: 2x50m- (oder vielleicht besser, siehe Text) 2x60m-Seile, 12 Express, Keile/Friends nicht nötig
Lässige Klettertour für Hitzetage! Die von weiten unnahbar erscheinende Wand trumpft mit vielfach griffigem Henkelfels auf und ist auch genügend solide. Nur einzelne Passagen sind etwas brüchig und auf den zahlreichen Bändern liegt reichlich Schutt herum, doch solange man alleine in der Route ist und kein Gewitter niedergeht, bleibt alles im grünen Bereich. Für mich ein klarer Fall einer 3*-Route. Die Absicherung mit zahlreichen Bohrhaken ist prima ausgefallen. An einfacheren Stellen im 4./5. Grad muss man auch mal ein paar Meter über die Haken steigen, sämtliche schweren Stellen sind aber prima mit Bolts in kurzen Abständen gesichert, insgesamt xxxx. Weil diese Schlüsselstellen dazu auch noch eher kurz sind und die Bewertungen vergleichsweise milde ausfallen, ergibt sich über alles gesehen ein ziemlich gutmütiger Routencharakter, mit 6b obligatorisch kommt man sicherlich durch. Das Originaltopo von Sämi kann man hier downloaden, ansonsten gibt's im Extrem Ost oder dem SAC-Kletterführer Zentralschweiz Südwest weitere Infos. Zuletzt: im Frühling und nach Regenfällen nicht zu früh und nur bei warmen Temperaturen anrücken, sonst nass und weniger lohnend. Sofern es am Einstieg noch ein Schneefeld hat (auf dieser Webcam gut ersichtlich), so können bei Hartschnee ein Leichtpickel und taugliche Schuhe rasch ein unverzichtbares Hilfsmittel zum Erreichen des Einstiegs werden.
Danke - wie immer ein schöner und guter (= genauer) Blog. Geniess(t) den Sommer im kühlen Norden!
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