Unverhofft kommt oft! Während ich mit einer Pulver-Skitour in den heimischen Voralpen, oder gar nur mit einer Klettergartensession rechnete, entschied ich mich kurz vor Mitternacht, dass nun die Gelegenheit für den Staldenfirn gekommen sei. Das Angebot, mich an die von Basti zusammengestellte Tourengruppe anzuschliessen, war einfach zu verlockend. Zu bereuen gibt es aber gar nichts, knietiefer, fluffiger Powder lag vom Gipfel bis runter ins Maderanertal.
Für die wenigen, die es nicht wissen: der Staldenfirn bietet eine der am höchsten gelobten Abfahrten der Zentralschweiz, über rund 2500hm führt sie vom Oberalpstock hinunter nach Bristen im Maderanertal. Dennoch hatte ich diese Tour bis dato noch nie gemacht, zu hoch schien mir der Aufwand, nach Disentis anzureisen, mit den teuren Bahnen hochzugondeln, den eher kurzen Aufstieg zu machen und danach endlich diese Abfahrt zu geniessen. Vor allem, weil diese ja doch nur bei wirklich guten Bedingungen die versprochenen Superlative halten kann.
Diese guten Bedingungen dann auch tatsächlich anzutreffen, ist aber nicht einfach. Wegen der Beliebtheit und der leichten Zugänglichkeit ab den Disentiser Bahnen kann man davon ausgehen, dass die Tour nach einem Schönwettertag bereits komplett verspurt ist. Nun gut, dann geht man halt einfach, wenn es gerade eben geschneit hat! Nur leider geht der mit ausreichend frischem Pulver bedeckte Staldenfirn fast immer mit der Gefahrenstufe "erheblich" einher, und gemäss den Angaben in der Literatur und meiner subjektiven, bisherigen Einschätzung erachtete ich die Tour der Steilheit des Geländes wegen eigentlich als ein absolutes No-Go in diesem Fall.
An unserem Tourentag war das nicht anders: das Bulletin zeigte orange, dennoch bezeugte der von Basti für seine Tourengruppe angeheuerte einheimische Bergführer die Machbarkeit, noch dazu aktuelle Unverspurtheit und beste Bedingungen. Das war natürlich Musik in meinen Ohren. Zum Glück ist Basti ein generöser Mensch und offerierte mir sofort, mich seiner Gruppe anschliessen zu können, das Administrative würde er dann schon regeln. Angemerkt sei an dieser Stelle aber, dass erheblich nicht gleich erheblich ist. Umsicht, Erfahrung und Fachwissen sind für den Entscheid zum Go auf jeden Fall erforderlich.
Somit ging es nach kurzer Nacht um 7.27 Uhr in Andermatt los, eine Stunde bis nach Disentis, in einem von Staldenfirn-Aspiranten gefüllten Zug. Bei uns wurde die Taktik für das sich abzeichnende "Rennen" zum P.3163, dem Einstieg zur Abfahrt besprochen. Mir als quasi "blindem Passagier" in der Gruppe wurde eine Assistenten- und Wasserträger-Rolle zugeteilt... Doch erst einmal galt es, sündhafte 52 CHF zu löhnen und in 4 Sektionen zum P.2770 unter dem Piz Ault zu gondeln. Immerhin, wenn man oben am letzten Lift die Karte zurückgibt, so erhält man noch 10 CHF zurück.
Dort trudelten mehr und mehr Touristen ein, welche ihre Felle aufzogen, also galt es, rasch loszukommen und Boden gutzumachen. Die erste Crux der kurze Klettersteig, welcher auf den SE-Grat des Piz Ault hochführt. Für mich hiess das 3x rauf und runter, um den Teilnehmern die Skis hochzutragen, in der Lücke Fell-Demontage-Service und schliesslich ca. 150hm Abfahrt auf den Brunnifirn. Da wird erneut angefellt, und dem Ziel zugestrebt. Für die meisten ist das am heutigen Tag ganz einfach der ominöse P.3163, Einstiegspunkt zum Staldenfirn. Für mich gibt's jedoch den Gipfelgang, es sind nur 165hm extra. Kurz etwas Tempo aufgesetzt, mehr als rechtzeitig bin ich schliesslich retour bei P.3163. Es zeigt sich, dass nebst den 3 Spuren vom Vortag bereits etwa 15 Personen vor uns die Abfahrt angetreten haben. Das ist nicht weiter schlimm, so für gute 50 Spuren bietet der Staldenfirn durchaus Raum.
Gross Düssi (3256m) - gerade ein gutes Jahr ist es her, seit ich ihn an einem absoluten Traumtag mit den Ski begehen konnte (Bericht, Bericht). Die Abfahrt steht qualitativ derjenigen über den Staldenfirn in keiner Hinsicht nach - im Gegenteil, sie ist anspruchsvoller und rassiger. |
Der Einstieg auf den Firn dann problemlos, es war kein Eis und kein Bergschrund sichtbar, die Verhältnisse einfach ein Traum. Achtung, bei ungünstigen Verhältnissen kann man durchaus auf Steigeisen angewiesen sein. Vom ersten Meter weg liegt knietiefer Pulver, das Gelände hat die ideale Neigung - einfach alles wie gewünscht! Traumhang folgt auf Traumhang, am besten vielleicht der lange, konkave Hang der Gemsplanggen. Diesen würde ich lawinentechnisch als die heikelste Stelle einstufen - bis dahin übertrifft man bei geschickter Routenwahl die 30-Grad-Grenze höchsten auf kurzen Abschnitten von 20-40hm. Auch der Gemsplanggen-Hang ist viel weniger steil als die völlig überzogenen Angaben (40 Grad) aus der Literatur - die steilsten 100hm erreichen gerade eben so ideale 32 Grad. Allerdings droht, vor allem wenn man im Hang nach Westen rüber quert, von oben "Saures": das Gelände oberhalb ist sehr steil und felsdurchsetzt, eine hier abgehendes Schneebrett würde einen ins Verderben reissen. Als Pluspunkt in der Beurteilung kann man jedoch werten, dass man hier bereits weit von einer Kammlage entfernt ist.
Bis auf etwa 1700m hinab befährt man danach bei guter Schneelage weitere, sehr schöne Hänge. Danach folgt die Querung in die enge Rinne, welche zur Alp Stössi hinabführt. Das Erreichen dieses Couloirs bietet die Crux, eine exponierte, zwischen 40-45 Grad steile Querung, die häufig hart, oder gar vereist ist. Bei ungünstigen Bedingungen durchaus ein Challenge, wer hier abrutscht, kann sich durchaus lebensgefährliche Verletzungen zuziehen. Dort war auch ein (aufgerolltes) Fixseil vor Ort: bei Vereisung (und wenn es nicht kaputt oder eingeschneit ist) kann es sicher gute Dienste leisten. Bei unserer Tour war das alles null Problemo, auch dort lag nämlich Pulver, und ich befuhr die Steilstufe nicht querend, sondern gleich direkt in Kurzschwung-Technik.
Die Rinne selber bot dann etwas wilden, pulvrigen Fahrspass, bei entsprechendem Können war es aber durchaus ein Genuss - auf solchen Pisten sollten doch eigentlich Skirennen ausgetragen werden, dieses plattgewalzte Zeug ist doch todlangweilig ;-). Nur zu bald waren wir unten im Tal angelangt. Lagen bei Stössi auf 1150m noch gute 1.5m Schnee, so waren dies bei Rüteli (P.1092) nur noch ein knapper Meter, und nach Lägni, wo man auf die Sonnenseite wechselt, wurde das Weiss rapide weniger. Zuletzt, zur Brücke bei P.873 hin war bereits etwas Portage nötig. So endete unsere Tour kurz nach 13 Uhr bei der Golzerenbahn, Zeit für das Fazit.
Fazit
Wie erhofft konnte ich nach langer Zeit des Geduldens die Abfahrt über den Staldenfirn bei durchgehend allerbesten Bedingungen machen. Sie ist wirklich sehr lohnend und darf ganz bestimmt zu den Highlights der Zentralschweiz gezählt werden. Für mich persönlich, als Skitour und auch bezüglich Erlebniswert, ist aber z.B. unsere Tour zum Gross Düssi (Bericht, Bericht), oder auch zur Gross Windgällen (Bericht), in einer ganz anderen Liga. Der harte, entbehrungsreiche 2500hm-Aufstieg, die erste Spur zu legen und zu zweit alleine am Berg unterwegs zu sein ist eben schon unschlagbar toll - es gibt mir so viel mehr als dieses etwas konsumorientierte Hochgondeln, der wohl landschaftlich sehr schöne, aber gleichzeitig etwas übervölkerte Brunnifirn, etc.. Dennoch, das Erlebnis Staldenfirn war super, ich möchte es keinesfalls missen, das war jetzt ein bisschen Jammern auf sehr hohem Niveau. An dieser Stelle auch herzlichen Dank all jenen, welche die Tour für mich möglich gemacht haben.
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