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Donnerstag, 29. März 2012

Courtes NE-Wand / Couloir de l'Aiguille qui Remue

Endlich hatte es nun geklappt mit einer Frühjahrestour nach Chamonix. Das Wetter war einfach perfekt, die Bedingungen geeignet, freie Zeit vorhanden und Plätze im Refuge d'Argentière konnten ergattert werden. Fehlte nur noch eine passende Begleitung. Nach diversen Absagen konnte ich schliesslich den frisch verheirateten Christoph zu einer "Hochzeitsreise" motivieren. Mit gepackten Rucksäcken machten wir uns um 4.30 Uhr auf den Weg, welcher uns zur Talstation der Bahn von Argentière nach Grandes Montets führte.

Aiguille Verte mit dem Couloir Couturier und oben, der Vivagel-Route
Dort waren wir ziemlich froh, an einem Wochentag unterwegs zu sein. Schon da herrschte eifrig Gedränge, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das jeweils am Weekend zu und her geht. Trotz allem gab es für uns Plätze auf der ersten Bahn, so dass wir mit wenigen Minuten hinaufgondeln die Tour auf 3295m, direkt im Hochgebirge, starten konnten. Die erste Abfahrt zum Argentière-Gletscher gingen wir gemütlich an. Der Rucksack wog schwer, die Tourenpiste bucklig-hart, sogar einige Spalten waren vorhanden, und aber vor allem, ich konnte mich kaum sattsehen an den Nahblicken in die Ostabstürze der Aiguille Verte.

Die Nordwand der Droites, mit dem aktuell viel begangenen Klassiker 'Ginat'.
Schliesslich waren wir aber unten, fellten an und stiegen über eine Spur vom Typ "doppelspurige Autobahn" gegen Süden. Unser Ziel war die Nordwand der Courtes (3856m). Ich hatte damit geliebäugelt, die dortige Schweizerführe in einem Paukenschlag gleich am Anreisetag anzupacken. Bis wir schliesslich direkt darunter standen, war 10.30 Uhr bereits vorbei, und weil der Abstieg über die aktuell blanke NE-Flanke als sehr zeitraubend und Abalakov-abseilintensiv beschrieben wurde, war ziemlich klar, dass wir uns wohl besser eine Alternative suchen würden, wollten wir noch bei Tageslicht die Tour beschliessen.

Die Nordwand der Courtes, die Schweizerführe prominent im Bild.
Somit gingen wir weiter über den Gletscher nach Süden, mit dem Ziel, eine attraktive Eisroute anzupacken. Von diesen gibt es im Argentière-Kessel ja mehr als genügend. Erstaunlich war aber, wie wenige Schnee und Firn in den Wänden lag, alles war blank vereist. Und es fiel auch auf, wie sehr die Vergletscherung und Vereisung gegenüber dem "Neige, Glace et Mixte"-Führer von Damilano aus dem Jahre 2005 bereits abgenommen hat - den Eisrouten setzt die Klimaerwärmung ganz massiv zu!

Courtes NE-Wand, mit 'unserer' Eiszunge im Colouir de l'Aiguille qui Remue.
Bald fiel uns eine attraktive Eiszunge in der NE-Wand der Courtes auf. Zum Glück hat in Chamonix jeder noch so kleine Felszahn einen Namen, und so führt diese genauer zur Aiguille qui Remue hoch. Ob dem Anblick waren die Pläne bzgl. der bereits besetzten Petit Viking oder einer anderen Tour im Talschluss rasch vergessen. Wir bogen ab, erreichten den Bergschrund auf 3160m und begannen um etwa 12.15 Uhr zu klettern.

'Unsere' Eiszunge in Bildmitte, direkt zum kecken Zahn der Aiguille qui Remue.
Die Überwindung des Schrundes war gar nicht so einfach, denn es gab da ein gähnendes Loch und die Bergseite bestand aus überhängendem Schnee, in welchem die Pickel nicht recht griffen. Schliesslich ging es dann doch, und über Firn erreichte ich nach 60m blankes Eis, wo ich Schrauben setzen und Nachsichern konnte. Dann konnte es weitergehen: was von unten als Katzensprung aussah, entpuppte sich als weiter, weiter Weg! Seillänge um Seillänge ging es im anhaltend 55 Grad steilen, blanken Eis dahin. Hin und wieder gab es etwas Schneeauflage, diese Stellen nützte ich dem bequemeren Steigen wegen jeweils dankbar.

Die gesamte Courtes NE- und N-Wand. Unsere Eistour in der linken Bildhälfte sichtbar.
Gegen oben hin wurde die Sache noch anspruchsvoller, das Eis erreichte eine Neigung von 65-70 Grad. Wir gaben alles, was wir hatten, die Zeit rannte, und der verflixte Grat wollte einfach nicht so rasch näher kommen, wie wir es gerne gehabt hätten - zum Ausstieg sind es nämlich ganze 12 Seillängen! Insgesamt erinnerte mich die Tour sehr an den unteren Teil der Grandes Jorasses Nordwand - Neigung und Art der Kletterei waren sehr vergleichbar. Aber klaro, der obere, wesentliche Mixed-Teil vom Crozpfeiler war hier nicht anzutreffen.

Christoph im Nachstieg - Nordwandatmosphäre à discretion!
Nach 16.30 Uhr machten wir uns schliesslich ans Abseilen - bereits im Aufstieg hatte ich die Stände (fast) durchgehend mit Abalakovs ausgerüstet, um uns einen raschen Rückzug nach unten freizuhalten. Dennoch, ein Dutzend Abseilmanöver macht man auch nicht in 5 Minuten und am Wandfuss war längst klar, dass wir die Nachtessenszeit von 18.00 Uhr im Refuge doch deutlich strapazieren würden. So stellten wir uns zügig auf die Skis, der erste Hang zum Gletscher hinunter war in etwas gedeckeltem Pulver noch vernünftig zu befahren. Der Gletscher selber bot dann absolut grauslichen Schnee, hart, decklig, mit Windgangeln, ein Horror. Aber zum Glück kann man alles geradeausfahren, so waren die 3km bis unter die Hütte im Nu erledigt.

Steiles Stück in hartem Blankeis - mir hat es gefallen! Unten werden die Schatten schon länger...
Zuletzt warteten noch die 100hm Aufstieg zur Hütte. Müde, ausgepumpt und mit schweren Beinen waren wir langsam, meine Zeit will ich gar nicht wissen, angefühlt hat es sich wie eine kleine Ewigkeit. Die kleine Ankunftsschelte vom Hüttenwart konnten wir mit unserer Kletterstory in bestem Schulfranzösisch (war ja immer klar, dass dies einmal für etwas gut sein wird...) rasch entkräften. So stand schon bald ein Cola, eine dampfende Suppe und eine Riesenportion Chili con Carne auf unserem Tisch, und wir konnten unsere hungrigen Mäuler stopfen, merci! Den Service im Refuge d'Argentière empfand ich übrigens als super.

Goodbye - langes Abseilen wartet, dazu viele Abalakovs fädeln... bis auf 1x (fast vergeigt) aber immer super getroffen :-)
Nach der Mahlzeit legten wir uns dann bald in die feinen Duvets der Hütte - schliesslich wartete am nächsten Tag das nächste Abenteuer (über welches hier berichtet wird...). Beim Reflektieren über den Tag kamen wir rasch zur Einsicht, dass das, was zuerst eine Ausweichtour war, eine stattliche Eiswand mit rund 600m Höhendifferenz ist - bzgl. Dimension und Steilheit können da z.B. in Bergsteigerkreisen durchaus reputierte Touren wie die NNE-Wand der Lenzspitze, die N-Wand des Obergabelhorns, die Mönch NE-Wand und so weiter, nicht wirklich mithalten.  

Unsere Tour nochmals, leicht links der Bildmitte, vor der eindrücklichen Nordwand der Grandes Jorasses.
Facts:

Courtes (3856m) - Couloir de l'Aiguille qui Remue - III - D+ - 700m

Steile Eiszunge in der NE-Wand der Courtes. Bei raren, sehr guten Bedingungen möglicherweise fast eine reine Firntour, meist jedoch zumindest an den steilen Stellen, die im direkten Ausstieg 65-70 Grad Steilheit erreichen, Kletterei in blankem Gletschereis. Die im Damilano-Führer erwähnte Bewertung von AD ist bei solchen Verhältnissen deutlich zu tief angesiedelt, ein D+ dürfte da aktuell schon eher passen. Je nach Situation kann auch der Bergschrund erhebliche Probleme bereiten. Der Abstieg kann sich bei guten Trittschnee-Bedingungen über den NE-Hang des Col des Cristaux vollziehen (auch gegen 50 Grad steil), zu bevorzugen ist aber ein Abseilen an Abalakovs (selten bereits eingerichtet) über die Tour.

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