Gegen 20 Jahre muss es her sein, seit ich an der ETH Hönggerberg das Buch "Die 100 schönsten Touren in den Walliser Alpen" von Michel Vaucher als Restposten für 5 CHF erwerben konnte. Das war ganz in meinen Anfangszeiten als Kletterer und Bergsteiger, und jede darin enthaltene Tour stellte für mich einen Traum dar. In diesem Buch enthalten ist auch eine Beschreibung des Hübschhorn NW-Grats, 1913 erstbegangen durch eine Seilschaft um Albert 1er, dem damaligen König von Belgien.
Hübschhorn - die reizende Sicht von unserem Balkon. Der NW-Grat führt gut sichtbar direkt zum Gipfel. |
Nun, die Jahre gingen ins Land und meine bescheidene Alpinkarriere machte auch etwas Fortschritte. Dies hatte auch den Effekt, dass der belgische Grat am Hübschhorn total aus meinem Fokus rückte. Losen Kontakt mit dem Berg hatte ich nur noch auf meinen Gleitschirm-Streckenflügen quer durch das Wallis. Da von oben (wie üblich, selbst an den Wendenstöcken ist dies nicht anders...) auch alles ziemlich schuttig-geröllig aussah, rückte das Hübschhorn auf der Projektliste auch nicht unbedingt nach vorne. Das änderte sich aber schlagartig, sobald wir unsere Ferienwohnung in Blatten ob Naters bezogen. Von Küchentisch und Terrasse, aus dem Schlafzimmer und einfach rundherum erscheint der NW-Grat als DIE Kingline des Oberwallis, so dass ein Versuch geradezu provoziert wird.
Sicht vom Simplonpass, der NW-Grat ist die Linie rechts am Horizont. Auch von hier sehr eindrücklich. |
Eine Hoch- oder Bergtour hatten wir während unseren Ferien tatsächlich auf dem Programm. Bei der Planung zuhause hatte ich eigentlich mit einer Tour im Saastal oder in Zermatt gerechnet. Doch diese Vorhaben wurden aufgrund der Gegebenheiten rasch zur Makulatur, schliesslich muss man mit Auge und Herz bergsteigen, und das sprach klar für das Hübschhorn. Als erstes ging es darum, herauszufinden, ob denn dieser belgische Grat heutzutage überhaupt noch begangen wird. Das war gar nicht so einfach, eine Internet-Recherche brachte nur 2 knappe Berichte (1, 2) zu Tage. Diese waren kurz und wenig informativ, tönten aber positiv, so beschlossen wir, auf Abenteuer statt Massentourismus an den 4000ern zu setzen, und einfach mal selber nachzusehen.
Felsqualität - top Simpiler Gneis mit etwas Flechtenbewuchs, ein richtiges Vierfrucht-Pijama. |
So starteten wir bei Top-Wettervorhersage am Donnerstag um 7.50 Uhr auf dem Simplonpass und folgten auf Wegspuren der regulären Skiroute Richtung Breithorn bis zum grossen, markanten Block. Ab dort ging es nun gerade hinauf, in den grossen Kessel unter der Hübschhorn Nordwand. Auch ohne Wegspuren kann man dort gut aufsteigen. Den ersten Grasvorbau des Grates umgeht man gemeinhin auf der rechten Seite, um dann durch ein wenig ausgeprägtes Couloir den Grat zu gewinnen. Dieses setzt auf einer Höhe von ca. 2550m an, es handelt sich um die offensichtlich einfachste Möglichkeit, die Krete zu erreichen. Nach gerade einer Stunde Aufstieg waren wir dort am Einstieg, und rüsteten uns kletterfertig.
Der Einstieg: hier in Bildmitte über die Felsstufe hoch und weiter geradeaus hoch zum Grat. |
Die erste Felsstufe gibt dann gleich den Tarif durch, es muss richtig geklettert werden, doch der Gneis ist schön fest und griffig. Bald wird das Gelände einfacher, bis zum Grat hoch und an die Sonne sind es vom Einstieg rund 80m (insgesamt ca. T5, II). Der Grat bietet vorerst keine Schwierigkeiten, aber sehr schöne Kraxelei in plattigem Gneis, wirklich ein Genuss. Erfahrene Gänger werden hier eventuell noch seilfrei gehen, wir gingen am langen Seil, bis ich jeweils mein komplettes Friend- und Schlingenset ausgeschossen hatte. Das war jeweils nach 3-4 SL der Fall. Nach zwei solchen Sequenzen stand ich vor einem steileren, kompakten Aufschwung, der einige Kletterzüge im dritten oder vierten Grad verlangt. Hier wechselten wir von den Trekkingschuhen auf die Kletterfinken.
Erster Teil des Grates, super genussreiche Kraxelei mit Top-Panorama. Hinten Bietsch- und Aletschhorn. |
Nach diesen wenigen Plattenmoves geht es bald wieder leichter dem Grat entlang, und man kommt schliesslich auf die grosse Terrasse bei P.2785, wo es eventuell nochmals eine diagonale Fluchtmöglichkeit zum Firn am Fuss der Nordwand gäbe. Hier setzt nun ein Bollwerk aus kompakten Platten an, das man erst auf der linken Seite in schöner Risskletterei erobert. Ist man zurück auf dem Grat, geht es wieder einfacher voran, und man erreicht über schönen, soliden Gneis auf 2950m einen flacheren Geröllplatz. Hier steilt sich der Grat nun endgültig auf. Was aus der Ferne noch sehr unnahbar ausgesehen hatte, eröffnet nun aber doch Möglichkeiten.
Sicht von der Terrasse bei P.2785 auf das Plattenbollwerk mit prima solidem Gneis. |
Blick von oben beim Klettern des Plattenbollwerks. Ziemlich genau in Bildmitte erkennt man Kathrin. |
Der einfachste Weg führt hier links durch - in der Beschreibung steht über "grosse, wenig feste Blöcke". Dieses Attribut hatte mir im Vornhinein durchaus etwas Kopfzerbrechen bereitet und tatsächlich war das dann auch die unangenehmste Stelle der ganzen Tour. Es liegt überall etwas Sand und Dreck herum, die Blöcke sind tatsächlich gross, tönen hohl und sind aufeinander geschichtet. So nach dem Motto "ziehe einen raus, dann stürzt gleich der ganze Berg zusammen". Die Passage ist zwar nur etwa 30m lang, ich würde aber das nächste Mal wohl versuchen, weiter rechts in kompakterem und schwererem Fels zu klettern.
Der Fels ist wirklich meist prima, einige kurze solche Teilstücke gibt es wie bei allen alpinen Touren aber auch. |
Am Ende dieser Passage gibt es einen guten und bequemen Stand. Danach geht's erst wieder etwas einfacher dahin, bis einem die Beschreibung für das Überwinden des nächsten Aufschwungs wiederum in die linke Flanke (Ostseite) schicken will, und dafür das Attribut "brüchig" bereithält. Hier mache ich es nun besser und klettere grob der Kante entlang in schwererem, dafür kompakten Fels. Das geht prima, die Schwierigkeiten gehen sicher nicht wesentlich über das hinaus, was man auch sonst antrifft (ca. 4/4+). Man erreicht ein Art Schulter, wo man ein Steilstück rechts umgeht und dann wieder über schöne, kompakte Platten an den Fuss des letzten Aufschwungs gelangt. Diesen überwindet man in steiler, schöner Risskletterei ziemlich direkt.
Weiter oben dann wieder formidable Kletterei. Um diese Jahreszeit übrigens trotz Nordexposition ständig in der Sonne. |
Direkt aus dem Steilgelände am letzten Aufschwung zieht man sich über die Kante und schwupps, ist auf einmal das Gipfelkreuz in Griffnähe. Zuerst will aber noch ein schmaler Grat überwunden werden, es folgt eine Abkletterstelle, ein letztes Steilwändchen und zuletzt einfacheres Gelände, wo man gemeinsam gehen kann. Um 13.10 Uhr sind wir am Gipfel, somit haben wir für die 650hm Kletterei gerade etwa 4 Stunden gebraucht. Dabei sind wir fast durchgehend simultan am langen Seil geklettert. Will man alles von Stand zu Stand durchsichern und hat gar seine Probleme mit der Kletterei oder der Orientierung/Routenwahl, so kann man hier sicher fast endlos viel Zeit verbraten und eine wahre Odyssee erleben.
Auf dem letzten Aufschwung taucht unverhofft das Gipfelkreuz auf. Von hier noch über Grate und Wändchen bis zum Top. |
Bewusst haben wir den schönsten Tag der Woche, ja wohl gar den bisher schönsten Tag des Sommers, für die Tour ausgewählt und tatsächlich passt das Meteo zu 100%. Kaum ein Wind geht auf dem Gipfel, die Temperatur ist sehr angenehm und der Himmel bis auf einige Kumuli blau und klar. Wir halten Vesper und beobachten die Segelflieger, von denen zahlreiche mit gedrücktem Knüppel heranflitzen, über unseren Köpfen in drei, vier Steilkurven Höhe tanken, und sich wieder von dannen machen. Bis auf 4200m hoch ging es hier, sagt mir der OLC - heute war definitiv auch ein 1a-Tag für die Thermiksportarten.
Kathrin unterwegs auf dem letzten Teilstück in Richtung Gipfel. |
Nach einer Stunde Gipfelrast machten wir uns an den Abstieg. Der Gipfelgrat ist noch schön und luftig, über den Rest verliere ich lieber nicht zu viele Worte. Steine, Steine und nochmals Steine, Blöcke, Geröll und zwar blaue Punkte und Steinmänner, aber keine wirklichen Wegspuren. Na ja, man macht, was man machen muss, und irgendwann ist tatsächlich der Fuss des Berges erreicht, wo man endlich auf Wegspuren zum Simplon Kulm zurückwandern kann. Beim Auto dann der Blick auf die Uhr: 15.50 Uhr, keine 2 Stunden vom Gipfel, obwohl es uns ewig vorkam, und nur 8 Stunden sind seit unserem Aufbruch vergangen.
Et Voilà! Also eigentlich ist Kathrin hier schon auf den ersten Metern des Abstiegs... |
Hübschhorn - NW-Grat - D, 4+ - Albert 1er, A. & B. Supersaxo, 2.6.1913 - 550hm Zustieg, 650hm Kletterei
Etwas abenteuerliche, alpine Kletterei, die komplett selbst abgesichert werden muss. Es steckt kein fixes Material in der Route, zahlreiche Risse bieten aber sehr gute Möglichkeiten zum Legen von Sicherungen. Falls man wie wir vorwiegend simultan klettert, ist ein Set Camalots von 0.3-3 zu empfehlen. Dazu 10-12 Expressschlingen und genügend lange Bandschlingen zum Verlängern der Sicherungen. Klemmkeile hatte ich wohl dabei, jedoch kaum je eingesetzt, obwohl auch dies gut möglich wäre. Empfehlen würde ich ein 50m-Einfachseil, ein längeres ist wohl kaum sinnvoll, mit 40m kommt man bestimmt auch gut durch. Obwohl man auf dem Grat generell recht gut vor Steinschlag geschützt ist, sollte man doch wohl besser nicht ohne Helm unterwegs sein.
Der Abstieg geröllig und nicht gerade ein Hochgenuss. Da erfreut man sich ab diesen Blümchen! |
Im Gipfelbuch habe ich im Verlauf der letzten 10 Jahre 30 Begehungen der Route gezählt. Dabei handelt es sich etwa zur Hälfte um lokale Kletterer, der Rest des Publikums ist dann sehr international und wird gemäss den Einträgen von der geschichtsträchtigen Vergangenheit angezogen. Ich würde die Route als wirklich lohnend und schön bezeichnen. Die Kraxelei ist fast durchgehend sehr schön und genussvoll, beim Fels handelt es sich um soliden, plattigen, von Rissen durchzogenen Gneis. Generell folgt man am besten durchgehend der Gratkante und lässt sich möglichst wenig in die Flanken drängen, besonders die linke (d.h. die Ostseite) hat deutlich schlechtere Felsqualität. Direkt auf der Kante ist man am schönsten, sichersten und elegantesten unterwegs.
Schon fast unten. Die Gegend um den Simplonpass ist landschaftlich ein Bijou mit verschiedenen kleinen Seen. |
Zum Schluss zitiere ich an dieser Stelle noch die (von mir leicht angepasste) Routenbeschreibung aus Michel Vauchers Buch "Die 100 schönsten Touren in den Walliser Alpen". Ich empfand sie als zutreffend und ausreichend. Vermutlich hält auch der SAC-Führer Simplon / Binntal / Nufenen von Roger Mathieu eine Beschreibung. Ich konnte diesen aber hier im Wallis auf die Schnelle nicht auftreiben...
"Vom Simplon Hospiz führen Wegspuren zum grossen Block am Fuss des Grates bei ca. 2340m. Man begeht den Grat nicht von seinem tiefsten Punkt, weil das erste Stück aus losen Felsen besteht, sondern umgeht ihn auf der rechten Seite. Am Fuss der Hübschhorn Nordwand auf ca. 2550m, bei den unteren Firnfeldern, führt ein grasdurchsetztes Couloir zum Grat. Danach folgt man dem Grat, bis zu P.2794 kann man den Schwierigkeiten komplett in der linken Flanke ausweichen [Anmerkung: dies ist wenig empfehlenswert, besser und schöner direkt auf der Gratkante klettern].
Nochmals die Linie links im Profil. Von hier sehen die Aufschwünge richtig steil aus! |
Vom Geröllplatz gewinnt man das Plattenbollwerk durch eine Kaminverschneidung auf der linken Seite und folgt dann der Kante über mehrere Seillängen, bis das Gelände leichter wird. Auf einer Höhe von 2950m wird ein senkrechter Aufschwung links über grosse, wenig feste Blöcke erklettert. Mit Hilfe eines Risses (30m, 4) kommt man nach rechts auf eine Terrasse zurück. Von hier nach rechts über Felsstufen an den Fuss des nächsten Aufschwungs. Das überhängende Gratstück wird links durch eine aus Blöcken bestehende Verschneidung (brüchig) überwunden. So gelangt man auf eine Schulter am Fuss einer überhängenden Wand.
Diese Wand wird durch einen weiten Bogen nach rechts umgangen und überstiegen. Grosse Blöcke führen zum letzten Aufschwung. Dieser wird direkt, bzw. etwas rechtshaltend, erklettert. Kurz vor dem Gipfel befindet sich eine grosse Schulter, die leicht überstiegen werden kann. Über 2 kleine Wändchen erreicht man direkt das Gipfelkreuz.
Abstieg: Man folgt dem Gipfelgrat bis zum Westgipfel P.3187. An der gelben Felswand von P.3055 vorbei über den Westrücken im Geröll in Richtung Simplon Hospiz absteigen, Steinmänner und teilweise blaue Farbmarkierungen".
Bye-bye Hübschhorn, das war echt eine tolle Tour! |