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Mittwoch, 23. Februar 2022

Nevado Chachani (6057m)

Man kann sagen, es handle sich um alte Kamellen – stimmt! Meine Besteigung des Nevado Chachani (6057m) datiert aus dem Jahr 2004 und liegt heute schon fast 20 Jahre zurück. Weil die Tour auf meinen bisher höchsten je terrestrisch erreichten Punkt noch nie dokumentiert wurde und mir dieser schon länger getippte Bericht kürzlich wieder einmal in die Hände kam, soll sich dies hiermit ändern - auch wenn's von der Tour selber leider nicht allzu viele Fotos gibt.

Der Nevado Chachani (6057m) im ersten Morgenlicht.

Im Sommer 2004 war ich auf einer 14-wöchigen Tour durch Südamerika unterwegs. Sie startete in Quito (Ecuador) und führte via Peru, Bolivien und Chile an die Enddestination Lima (Peru). Mit dabei waren zahlreiche Wanderungen, Bergtouren und sonstige Abenteuer, zu Fuss und mit anderen Untersätzen. Da ich mit nichtkletternder Begleiterin unterwegs war, standen steile Felsen oder ambitioniertes Bergsteigen nicht auf dem Programm. Ganz grob und mit etlichen Auslassungen der Ablauf:

  • Akklimatisierung in Quito und Umgebung, Cotopaxi
  • Trekkings und Bergsteigen in der Cordillera Blanca ab Huaraz
  • Sightseeing und Touren von Cuzco aus (Macchu Picchu, uvm.)
  • Arequipa und Umgebung mit Nevado Chachani
  • Trekkings am Titicacasee, Bergsteigen in der Cordillera Real
  • Trip in den bolivianischen Dschungel bei Rurrenabaque
  • Touren und Trips: Salar de Uyuni, San Pedro de Atacama
  • Fantastisches Gleitschirmfliegen in Iquique
  • Sightseeing und Touren auf der Rückreise nach Lima

Während es davon noch unzählige Erlebnisse zu berichten gäbe, will ich mich hier auf die Besteigung des Nevado Chachani (6057m) fokussieren. Zum Zeitpunkt der Besteigung waren wir bereits etwa 6 Wochen in Südamerika unterwegs, wovon wir uns praktisch ständig oberhalb von 3000m aufhielten. Vorangegangen waren auch diverse Besteigungen von 5000ern, somit waren wir also gut akklimatisiert. Denn während die Besteigung des Chachani technisch einfach ist, ist eine gute Höhenvorbereitung unerlässlich.

Nicht der Chachani - sondern Vulkanberge im Norden von Chile.

Beim Chachani handelt es sich um einen Vulkanberg, der gut 20km nördlich der Grossstadt Arequipa gelegen ist. Mit einer Schartenhöhe von gegen 2000m und einer Dominanz von über 50km ist klar, dass er ziemlich isoliert in der ariden, peruanischen Hochebene steht. Er gilt als einfach zu besteigender 6000er, was ich als zutreffend bezeichnen kann. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass man bis auf über 5000m mit Fahrzeugen fahren kann, von wo man den Gipfel im Prinzip in einer Tagestour erreicht. Der erste Schritt zur Besteigung ist denn auch die Organisation eines Transportes zum Berg.

Logistik

Wir entschieden uns, den Berg auf eigene Faust anzugehen. Bei den Agenturen in Arequipa werden aber auf Wunsch auch Führer vermittelt. Wer selber über Bergerfahrung verfügt, kommt hier, wo die Wegfindung recht einfach ist, auch gut selber zurecht. Ebenso lassen sich in Arequipa auch Zelt und Schlafsack, sowie Alpinmaterial (Steigeisen, Pickel, Stöcke) ausleihen. Unter Umständen sind sogar Bergschuhe zu kriegen, wobei man sich darauf nicht verlassen sollte. Natürlich sind auch die anderen Dinge qualitativ mässiges, älteres Gebrauchtmaterial – wir selber liehen uns nur je ein paar Steigeisen.

Ja, die Transporte in Südamerika, das war so eine Sache für sich... Wir waren stets mit 'öV' unterwegs, in der Regel stark überladene Jeeps, kleine oder grössere Busse. Pleiten, Pech und Pannen waren an der Tagesordnung und es war eine gehörige Portion Geduld und Gelassenheit nötig. Im Rückblick muss ich auch sagen, dass ich auf den Transporten in Südamerika viel mehr Leib und Leben gefährdet hatte wie auf den dortigen Bergtouren: schlechte Strassen, miserabel gewartete Fahrzeuge, die Fahrer unter dem Einfluss von Alkohol oder sonstigen Drogen... zum Glück ist uns nie etwas Gröberes passiert.

In einer Agentur buchten wir schliesslich den Transport zum Ausgangspunkt, das kostete damals 90 US$. Das tönt nach viel, ist es aber nicht unbedingt: Die Strecke von Arequipa zum Ausgangspunkt betrug nämlich 95km pro Weg, die Fahrzeit war etwa 3 Stunden. Es war eine Piste der übleren Sorte, nur mit einem 4x4 mit Kriechgang und viel Bodenfreiheit befahrbar. Der Fahrer ging natürlich, nachdem er uns abgesetzt hatte, wieder heim und holte uns am Folgetag wieder ab, das heisst, er fuhr für uns 12 Stunden und rund 380km Auto, musste das Benzin noch bezahlen und die Abnützung am Gefährt dürfte auch höher als normal sein. Das gibt schliesslich einen nicht mehr so fürstlichen Stundenlohn.

Symbolbild mit einem der typischen Toyota-Land Cruiser-Jeeps, der uns auch zum Ausgangspunkt der Chachani-Tour gebracht hatten. Wahnsinn, was diese Fahrzeuge jenseits von TÜV und regelmässiger Wartung für Strapazen aushalten. Die Aufnahme stammt aber von einer späteren Tour über den einmaligen, ausgetrockneten Salzsee Salar de Uyuni.

Lager und Übernachtung

Auf einer Höhe von ca. 4950m wurden wir vom Fahrer, am Beginn einer Sandebene, ausgeladen. Von dort stiegen wir zum Lagerplatz auf ca. 5300m auf. Weil wir die Information erhielten, dass absolut kein Wasser aufzufinden sei, nahmen wir 10 Liter mit, dementsprechend schwer war der Rucksack. Es hätte in der näheren Umgebung genügend Schnee gehabt, wir lasen aber auch, dass dieser schweflig sei und daher auch in abgekochtem Zustand nicht verträglich.

Der Lagerplatz selbst war aber prima, mit sandigem, flachem Boden perfekt zum Zelten. Es stellte sich heraus, dass wir die einzige Partie am Berg waren, was uns natürlich erfreute. Am Abend begann es dann aus den wenigen Quellwolken auf einmal zu schneien, es gab doch immerhin ca. 5-10cm Neuschnee und wir fürchteten schon, den Weg vergebens gemacht zu haben. Doch um 22 Uhr hatte es schon wieder den schönsten Sternenhimmel.

Wir stellten den Wecker auf 2 Uhr morgens und legten uns aufs Ohr. Die Nacht war eisig kalt, es war gute 10 Grad unter null. Mit einem warmen Schlafsack (der aber zwingend nötig war) ging das gut, doch das Aufstehen mitten in der Nacht war wie immer der eindeutig unangenehmste Punkt. Leider hatte meine Begleiterin laut ihrer Aussage keine Sekunde geschlafen und fühlte sich generell unwohl. Dennoch wollte sie versuchen, die Tour zu machen.

Vom Camp am Chachani kann ich leider mit keinem Foto dienen. Aber es ist dort auch definitiv weniger schön wie hier, an einem Strand auf der Isla del Sol im auf fast 4000m hoch gelegenen Titicacasee. Zelt und Schlafmaterial hatten wir übrigens unser eigenes mitgenommen - auch wenn wir auf der Reise vielfach in festen Behausungen unterkamen, so war es uns auf vielen Bergtouren und Trekkings dienlich, ja sogar absolut unverzichtbar.

Tourentag

Um 3 Uhr gingen wir los. Die den Transport organisierende Agentur in Arequipa hatte uns geraten, spätestens um 2 Uhr zu starten. Eigentlich finde ich beides deutlich zu früh. Nach einer guten Stunde Aufstieg erreichten wir den Sattel auf etwa 5600m, von wo wir die alpinistische Crux angigen, die Querung der Südflanke (Achtung, Südhemisphäre, dies ist die sonnenabgewandte Seite!) des ca. 5850m hohen Nebengipfels. Diese würde ich als T5 bzw. L/WS einschätzen, sie war jedoch (ohne Spur) bei Dunkelheit sehr unübersichtlich. Es ist sicher kein Nachteil, wenn man dort bereits auf Tageslicht zählen kann.

Das war nicht der Fall und es schien durchaus unheimlich, sich in diesem steilen Gelände zu engagieren. Meine Begleiterin fühlte sich darüber hinaus überhaupt nicht fit und hatte deswegen umso grössere Bedenken. Dies vor allem auch, weil man auf der Traverse einige Höhenmeter vernichtet, die man auf dem Rückweg wieder aufsteigen muss. Kurzum, es fiel die Entscheidung, dass wir nicht gemeinsam weitergehen würden. Ich begleitete sie zurück zum Zelt, wo sie sich in den Schlafsack legte. Die gute Frage war bloss, was ich nun mit dem angebrochenen Tag tun würde.

Eine zweite Tourenchance gab es eigentlich nicht, da wir unseren Rücktransport auf den Abend vereinbart hatten. Ohne jegliche Kommunikationsmittel war eine Verschiebung natürlich unmöglich. Ich zog in Erwägung, die Tour im Alleingang anzugehen und rang etwas mit mir: technische Schwierigkeiten oder gefährliche Gletscher warteten nicht, der Chachani ist eine problemlose Solotour. Dennoch würde ich in bisher nie erreichte Höhen vorstossen und komplett auf mich alleine gestellt sein. Kommunikation unmöglich, Bergrettung inexistent und meine Tourenpartnerin angeschlagen alleine im Zelt, Zweifel konnte man da mehr als genug haben. 

Rückblick vom Gipfel des Chachani auf den Aufstiegsweg. Rechts im Bild der im Text erwähnte Sattel auf 5600m, von welchem man die schattige Südflanke erst etwas fallend, dann wieder etwas aufsteigend quert und sich dabei unterhalb der felsigen Zonen hält. Der weitere Aufstieg ist dann verdeckt, man erkennt erst wieder die verschneiten Wegspuren in der Ostflanke des Vorgipfels Fatima (5970m).

Nachdem mir meine Begleiterin erst wiederholt versichert hatte, einstweilen gut alleine zurechtzukommen und später endlich in wohlverdienten Schlaf gefallen war, entschloss ich mich zum Go – im Rückblick auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Bald war ich wieder im Sattel 5600m angelangt, mit dem Hin und Her war nun auch Tageslicht vorhanden. Für die folgende Traverse zog ich meine Steigeisen an, welche sich als durchaus nützlich erwiesen. Mit einem Eiertanz wäre es aber vermutlich auch ohne gegangen. Zuerst mehr fallend, dann wieder mehr aufsteigend erreichte ich über etwas mühsames, loses, teilweise schneebedecktes und vereistes Gelände nach der Traverse einen weiteren, etwa 5630m hohen Sattel.

Von diesem Sattel galt es, die Ostflanke gegen den Fatima (ca. 5970m) genannten Vorgipfel anzusteigen. Hier waren im Geröll deutliche Wegspuren vorhanden, welche aber meist von bis zu 20cm Neuschnee überdeckt waren. Somit war Schneestapfen gefragt. Doch ich fühlte mich sehr gut und war dank der guten Akklimatisierung trotz der grossen Höhe zügig unterwegs. Der Höhenmeter zeigte beständig Steigwerte von 8-10m/min an.

Die Fatima (d.h. den 5970m-Vorgipfel) umgeht man kurz unter dem Kulminationspunkt linkerhand in einer weiteren, verschneiten Südtraverse. Nun warteten nur noch die letzten 130hm in der sonnigeren und wieder gerölligeren NE-Flanke zum Hauptgipfel, welchen ich schliesslich nach ca. 3 Stunden Aufstieg vom Lager, gemessen ab dem zweiten Aufbruch, um 8:30 Uhr erreichte. Von der Höhe spürte ich nicht viel, bzw. fühlte mich subjektiv dank der guten Akklimatisation nicht wesentlich anders als bei einer Wochenendtour auf einen 3000er in der Schweiz. Eher hatte ich ein Gefühl von „schon oben“ und „das war ja kein Problem“. Ja, wenn da noch „mehr Berg gewesen wäre“, so hätte ich mich sicher die Lust gepackt, auch gleich noch die 7000er-Grenze zu packen.

Cumbre! Die 6000 sind geschafft, das Panorama und die Weite der Landschaft grenzenlos!

Vermutlich wäre ich dann schon irgendwann gebremst worden, aber das ist ja sowieso alles hypothetisch. Da ich bereits zuoberst auf dem Berg stand, war das Ziel erreicht. Es geschafft zu haben war toll, und auch der Ausblick vom Gipfel war speziell. Der Chachani erhebt sich mehr als 3000m aus der umliegenden Ebene und in der Nähe befinden sich ausser dem El Misti (5822m) keine gleich hohen Gipfel. Man ist daher sehr isoliert, dafür fehlen aber auch die uns aus den Alpen bekannten Nahblicke auf weitere, vergangene oder zukünftige Tourenziele. Da ein zügiger Wind ging und es frisch war, machte ich mich nach einer halbstündigen Gipfelrast wieder an den Abstieg.

Dieser ging, im Schnee oder im Schotter, sehr zügig vonstatten. Einzig die Traverse unter dem 5850er-Nebengipfel musste wieder mit Bedacht angegangen werden. Nach 1.5 Stunden Abstiegszeit und somit 5 Stunden nach Aufbruch war ich wieder im Lager und traf auf meine immer noch schlafende Begleiterin, die meine Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte. Die Ruhe hatte ihr gut getan, nach dem Aufstehen waren ihre Lebensgeister wieder zurück. Gemeinsam bauten wir - sie ohne jede Betrübnis über die verpasste Gelegenheit, ich glücklich mit meinem 6000er-Raid - das Lager ab und stiegen zur Sandebene hinab. Sogar vor der vereinbarten Zeit traf unser Transport ein, und brachte uns in 3 holprigen Stunden Fahrt retour nach Arequipa, von wo die Reise weiter ging. Noch an viele Plätze in Südamerika führte sie uns und mein späterer Lebensweg liess mich noch manchen Gipfel erreichen. Allerdings bis dato keinen mehr, der über 6000m hoch ist.

Ein Kontrastbild darf noch sein: das war später auf der Reise im bolivianischen Dschungel, einem Teil des Amazonasbeckens. Da waren wir mit einem einheimischen Führer mehrere Tage völlig isoliert in der Wildnis unterwegs - was für grandiose, unvergessliche Erlebnisse!

Facts

Nevado Chachani (6057m) – Peru - 16°11′29″ S, 71°31′47″ W

Einfacher 6000er-Gipfel welcher über die alte Normalroute je nach Verhältnissen ca. als T4/T5 bzw. als L/WS zu werten ist. Wenn man alleine am ungespurten Berg unterwegs ist, sind gewisse alpin- und orientierungstechnische Kenntnisse unerlässlich. Ebenso ist eine gute Höhenakklimatisation unabdingbar. Ausser wenn man zuverlässige Informationen hat, die dagegen sprechen, ist ein Paar Steigeisen auf jeden Fall anzuraten. Allenfalls ist auch ein Pickel nützlich, sicher hilfreich sind Stöcke. Als Vergleichstour im Alpenraum würde ich das Lagginhorn nennen, auch wenn der Chachani nicht ganz so anhaltend steil ist. Auf C2C finden sich einige weitere Berichte über die Route. Anzumerken ist, dass sich mittlerweile anscheinend ein neuer Weg durch die Nordflanke direkt auf den Hauptgipfel etabliert hat.

Sonntag, 19. Januar 2020

Skitour Schächentaler Windgällen (2764m)

Die Schächentaler Windgällen ist ein klotziger Felsberg über dem Klausenpass, der im Winter nur selten Besuch erhält. Einen einfachen Weg auf den Gipfel gibt es nämlich keinen. Bei günstigen Verhältnissen sind jedoch die bekannten Sommeraufstiege (SE-Flanke, NW-Grat) mit Steigeisen zu klettern. Für die Abfahrt bietet sich das bisher kaum bekannte Canalone auf der Nordseite an. Es ist eine tief in die Felsen eingefressene Schlucht, die eine Extremabfahrt mit Steilheiten im Bereich 45-50 Grad präsentiert. Nachdem ein weiterer, traumhafter Januartag mit einwandfreiem Sonnenschein, milden Temperaturen und stabiler Schneedecke vorhergesagt war, wollten wir eine ausgiebige Rundtour unternehmen.


Unsere Tour startete im Sali (1146m). Der Strasse entlang ging's auf der Glatten-Standardroute nach Unter Stafel. Nun entweder hier bereits WSW queren oder (vermutlich eher besser) noch weiter bis zum Ober Stafel und erst dort zum Lang Boden gehen. Über die 30 Grad steilen Nordhänge erreicht man schliesslich den Übergang der Ruosalper Chulm, wo sich das Panorama öffnet und herrliche Blicke zu Clariden, Schärhorn & Co bietet - ein idealer Platz für eine Pause. Schliesslich gingen wir weiter der Krete entlang nach W, hinauf zum imposanten Felsenzirkus der Läged Windgällen. Um den Einstieg ins Couloir zu finden, welches auf die Hochfläche führt, muss man zuletzt etwas nach links queren. In diesem herrschten perfekte Bedingungen, trittiger Schnee mit guten Stufen, da waren weder Steigeisen noch Pickel angezeigt. Oberhalb vom Couloir können die Skier wieder montiert werden und bald war mit dem Gipfel der Läged Windgällen (2572m) ein nächstes Etappenziel erreicht.

Im Aufstieg nach der Ruosalper Chulm, vor dem eindrücklichen Felsenzirkus der Läged Windgällen.
Die SE-Flanke zur Hoch Windgällen sah ab diesem Ausgangspunkt sehr respekteinflössend aus. Steil, mit herausfordernden Felspassagen und steilen Schneefeldern gespickt. Wenig erstaunlich, dass diese Perspektive manchem Anwärter den Mumm nimmt. Wir waren aber fest entschlossen und wollten uns die Sache aus der Nähe ansehen. Um den hochalpin anmutenden Sattel bei P.2535 zu erreichen, muss man in der Nordflanke mehr Höhe vernichten, als man zuerst denkt - ansonsten sind ein paar Felsrippen zu überqueren. Dann kamen die Ski auf den Rucksack und die Steigeisen an die Füsse. Die Route durch die SE-Flanke ist mit orangen Punkten markiert, welche teilweise sichtbar waren. Ebenso sind stellenweise Drahtseile und Bohrhaken vorhanden, die wir aber kaum resp. gar nicht nutzten. Auch die Route ist an sich offensichtlich - einfach dem logischen Weg folgen. So gelangten wir ohne grössere Aufregung auf die Höch Windgällen (2764m). Die Verhältnisse waren aber auch perfekt - die felsigen Passagen waren aper und dort wo Schnee lag, war dieser hervorragend trittfest, die Januarsonne vermochte ihn noch nicht übermässig aufzuweichen. Vorsicht, später im Jahr heisst es hier, sehr früh dran zu sein!!!

Durch diese Wand geht's hinauf (SE-Flanke der Höch Windgällen, Sommerbewertung T5+, II).

Kletterei mit Steigeisen und ein wenig sperrigem Zusatzgepäck. Ja, sowas macht unsereins Spass!

Gipfel der Schächentaler Windgällen mit schlichtem Kreuz und grossem Steinmann. Die Gipfelbuchbox war leider leer...
Nun wartete der spannendste Teil der Tour, nämlich der Canalone! Er ist, da so tief eingeschnitten, quasi von nirgends her vollständig einsehbar, d.h. auch von den Bergen in der Umgebung her nicht. Landeskarte und auch Luft- bzw. Satellitenfotos geben auch keinen wirklichen Aufschluss darüber, wie die Topografie der Windgällen-Nordseite wirklich ist. Eine genaue Routenbeschreibung würde da jetzt natürlich helfen, doch eine solche hatten wir nicht. Um die Spannung und den Abenteuerfaktor zu erhalten, verzichte ich jetzt auch darauf, hier eine solche zu publizieren. Also: Spürnase auspacken - wer's unbedingt braucht, kann mich ja privat fragen. Unsere Nasen jedenfalls witterten eine fahrbare Linie und so kam's dann auch. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gelände hier durchgängig im Bereich 40-50 Grad steil ist. Einen Sturz oder auch nur einen kleinen Schneerutsch - von einer grösseren Lawine gar nicht zu sprechen - mag es hier nicht leiden. Nach dem Auftakt im engen Steilgelände öffnet sich die Sache unten etwas und die Steilheit geht auch zurück. Hier konnten wir es bis zur 2000er-Höhenkurve über gute 500hm richtig krachen lassen, die Abfahrt im gesetzten Pulver machte enormen Spass.

Durch diese hohle Gasse muss der Skifahrer kommen. Eingang bzw. Ausfahrt aus der Nordschlucht der Höch Windgällen.

Absolute Knaller-Hänge nach der Ausfahrt aus dem Canalone. Hier war auch die Schneequalität noch echt gut.
Wenig später waren wir in der grossen Ebene unter den Hütten von Alplen. Im Aufstieg hatten wir Spuren im Felsenweg durchs Loch gesehen, ebenso im Schnäbeli wie auch in der mittigen Linie via Brätt. Es gäbe also mehrere Möglichkeiten, die Steilstufe hinunter zu Ruosalp zu überwinden. Wir hingegen hielten an unserem Plan fest, zogen die Felle auf und wollten auch noch den Alpler Stock mitnehmen. Dahin sind es mit etwas Auf und Ab netto zwar nur 250hm, aber doch noch ein bisschen Distanz. Doch wir kamen wieder an die Sonne, konnten unsere Blicke über das weite Gelände schweifen lassen und erreichten bald das Top, wo wir eine sehr bequeme Rast halten konnten. Nun wartete noch die Abfahrt nordseitig um den Alpler Stock herum. Auch hier gab's noch einige gute Schwünge. Diese Variante endet beim Gross Gaden wieder auf der Glatten-Normalroute. Zuletzt ging's noch gute 250hm in Lauberhorn-Manier über den Ziehweg hinunter und die Runde hatte sich geschlossen. Das war nun wirklich Skibergsteigen at it's best. Solche Verhältnisse dürfte es gerne noch ein wenig öfter bzw. länger geben!!!

Fantastisches Ambiente auf dem Alpler Stock, wo  wir unsere Runde nochmals gut überblicken konnten.

Facts

Route: Sali (1146m) - Ruosalper Chulm - durchs Couloir zur Läged Windgällen (2572m) - über die SE-Flanke auf die Höch Windgällen (2764m) - Abfahrt durchs Canalone Nord nach Alplen - Alpler Stock (2091m) - via Gross Boden zurück nach Sali. Das ergibt alles in allem gerade gut 2000hm Aufstieg und Abfahrt und dürfte skifahrerisch deutlich lohnender sein, wie wenn man vom Sali direkt zum Canalone geht (bzw. von dort nach Sali abfährt). 

Aufstieg, allfällige Abstiege und Abfahrten erfordern solides alpines Können und eine gute Spürnase für die beste Route. Die Sommerbewertung bewegt sich im Bereich T5+, II und die steilsten Schneepassagen sind wohl je nach Verhältnissen gute 50 Grad. Logischerweise bilden Steigeisen und zwei Eisgeräte auf solchen Touren die Standardausrüstung, auch wenn es bei Top-Verhältnissen vielleicht spartanischer geht.

Donnerstag, 11. Juli 2019

Piz Palü (3901m) - Bumiller (TD+)

Der Bumillerpfeiler ist die imposante Linie inmitten der Nordwand am Piz Palü, an prominenter Lage im Festsaal der Alpen. Somit ist es wenig erstaunlich, dass ich diese Tour schon lange Zeit auf dem Radar hatte. Dennoch blieb es in vielen Aspekten unklar, was einen hier erwarten würde. Der untere Teil wird gemäss Literatur und Web auf zig verschiedenen Routen angegangen. Wenn es in diesem Abschnitt doch so etwas wie einen Standard gibt, so ist es der durch Eisschlag vom grossen Hängegletscher als objektiv sehr gefährlich bekannte Weg durchs grosse Couloir. Vom Felsabschnitt im Mittelteil liest man auch allerhand, die Berichte reichen von ernsthafter, schlecht abzusichernder Steigeisenkletterei bis zu Genusskletterei in Kletterfinken an bestem Fels. Und zum Abschluss ist da noch die Eisnase, welche über die letzten Jahrzehnte zwar beständig abgebaut hat, ihre Morphologie aber auch heute noch von Jahr zu Jahr verändert. Somit blieb unklar, ob uns hier ein grimmiges Nordwand-Abenteuer bevorstünde, oder ob man eher im genüsslichen Bergsteigermodus unterwegs sein könnte...

Im Festsaal der Alpen! Blick von der Diavolezza auf den Piz Palü mit seiner Nordwand und unserer gekletterten Linie.
Überhaupt erst ins Gespräch gekommen war der Bumillerpfeiler in erster Linie als Weg zum einfachen und geräumigen Gleitschirm-Startplatz auf dem Piz Palü Hauptgipfel. Hier kommt man nach Norden, nach Westen und nach Süden problemlos weg, nur Ostwind ist ein ungünstiges Szenario. In den 2-3 Tagen vor der Tour zeichnete sich dann leider langsam ab, dass der Abstieg per Gleitschirm möglicherweise dem zu starken Nordüberdruck zum Opfer fallen würde. Da aber die Bedingungen für den Bumiller perfekt waren, wollten wir am Ziel festhalten. Um sicher noch geflogen zu sein, entschieden wir uns, auf der Anfahrt noch zum Schwendirain aufzusteigen. Bei einer feuchten Affenhitze ein schweisstreibendes Unterfangen! Umso besser, dass wir uns nach der Landung im Hirschlensee gleich wieder frisch machen konnten. Der Preis dieses Ausflugs war dann ein wenig Nervenkitzel, ob wir die lange Fahrt zur Diavolezza noch rechtzeitig beschliessen würden, um die letzte Bahn zu erwischen, oder ob 'Palü by fair means' die Devise wäre. Kurz bevor wir in die Bahn einsteigen konnten, schlug das Herz auf einmal ganz hoch im Hals. Nein, nicht weil wir zeitlich so knapp dran waren. Ein Kollege rief an, sein Tourenpartner sei auf einem Climb & Fly im Hochgebirge verschollen und möglicherweise abgestürzt. Was er nun auch bloss tun solle und ob ich Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen könne. So stellte sich ein wenig die Frage, ob wir die Bahn nun tatsächlich besteigen sollten... glücklicherweise folgte bald die Entwarnung: der Verschollene hatte im Flug beim Fotografieren sein Handy fallen lassen. Zwar war er glücklich im Tal aufgesetzt, nur fehlte ihm leider die Möglichkeit, seinen sich noch am Berg befindenden Kollegen zu erreichen...

Tourenauftakt in der March. Da kam der Ultraleicht-Gleitschirm noch zum Einsatz.
Somit konnten wir doch noch guten Mutes den Abend auf der Diavolezza geniessen. Ich gönnte mir noch einen Spaziergang zum Sass Queder (3066m) und auf den Piz Trovat (3146m), von wo man einen idealen Blick auf den Gletscherzugang zum Bumillerpfeiler hat, den es tags darauf noch im Dunkeln zurückzulegen gilt. Danach genossen wir das edle 5-Gang-Menü, welches zur Halbpension hinzugehörte. Das grösste Fragezeichen in Bezug auf die Tour war nach wie vor das Fliegen. Der Nordüberdruck betrug noch immer gute 5hPa, was man gemeinhin als eine Föhnlage bezeichnet. Tagsüber war der Nordwind mit 35km/h im Mittel und 50er Böen über den Berninapass geprescht - Bedingungen, in welchem man im Notfall gerade noch so landen kann. Aber wenn man's schon weiss, so ist eher Verzicht angesagt. Für den nächsten Tag war eine leichte Besserung prognostiziert, so dass wir den definitiven Entscheid erst unmittelbar vor Aufbruch fällen wollten. Ebenfalls galt es noch zu entscheiden, wie wir den unteren Teil vom Bumiller anpacken wollten. A priori hatte ich die Einstellung, das objektiv gefährliche Couloir auf jeden Fall zu vermeiden und im Fels einzusteigen. Zum Zeitpunkt unserer Tour herrschte da noch ein grosses Wirrwarr an möglichen Routen und viel Unklarheit, welche sich auf meine Fragen und mein Feedback hin nach dem genialen Beitrag von Marcel Schenk der Bergsteigerschule Pontresina nun geklärt hat. Aber auch hier galt: vor Ort nachsehen würde uns die Routenwahl diktieren, auf der Diavolezza war die Entscheidung (Gelände, Bergschrund, Ausaperung) schlicht und einfach nicht zu treffen. Somit wollten wir am nächsten Tag so aufbrechen, dass wir am Fuss des Pfeilers auf jeden Fall bereits Tageslicht hätten.

Der Tag erwacht!
So läutete der Wecker um 3.15 Uhr und wir sassen ans opulente Frühstücksbuffett. Leider war mir ganz und gar nicht ums Essen, doch immerhin konnte ich dafür sorgen, dass ich ausreichend hydriert in den Tag startete. Ein Check auf dem Smartphone zeigte, dass der Nordüberdruck entgegen den Prognosen sogar wieder etwas gestiegen war und auch über den Bernina preschte der Wind nach wie vor. Somit blieb nichts anderes als die unpopuläre Entscheidung zu treffen: die Gleitschirme würden in der Diavolezza auf uns warten - immerhin ist der Fussabstieg vom Piz Palü ja eine ziemlich kurze Sache. So ging's also um 4.00 Uhr los auf dem Normalweg, d.h. die Flanke des Piz Trovat ostseitig mit ein wenig auf und ab queren. Wichtig: man betritt das Eis nicht (mehr) bei der Fuorcla Trovat (P.3017), wo man südseitig unangenehm abstiegen müsste, sondern überschreitet auch noch P.3039, um erst weit 500m weiter hinten bequem den Persgletscher erreichen zu können. Über das Eis ging es nun erst weiter dem Palü Normalweg entlang, den man erst beim felsigen Ausläufer des Piz Cambrena verlässt. Weiter geht's bis auf ca. 2900m absteigend westwärts, um dann wieder gegen den Fuss des Bumiller anzusteigen. Um 5.30 Uhr standen wir schliesslich bei ausreichend Tageslicht unter dem Pfeiler (ca. 3000m) und mussten die Entscheidung fällen, welcher Weg zu wählen sei.

Situation am Pfeilerfuss mit Topo der Einstiegsvarianten. Foto: M. Dettling, Topo: M. Schenk, Go Vertical
Es zeigte sich, dass die angedachte Couloir-Variante (unten grün, oben rot) nicht wirklich eine Option war. Der Schrund war an dieser Stelle unpassierbar und die Rinne auch bereits stark ausgeapert. Es war zwar vorstellbar, weiter links auf den Fels zu gelangen und dann irgendwie ins Couloir zu queren (rot). Informationen über diese Linie lagen uns zum damaligen Zeitpunkt aber nicht vor. Und so stellte sich die Frage, ob wir denn jetzt Experimente eingehen wollten. Auf die als brüchig berüchtigte Linie (blau, Tinner/Schenk), die über ganzen Vorbau links im Fels verläuft, hatten wir wenig Lust. Das Gelände sah doch reichlich wenig einladend aus und so wäre schon der erste Tourenteil ein ziemliches Geschnafel gewesen. So zogen wir etwas nach rechts... es war absolut ruhig, der Schnee perfekt gefroren, im Auslauf des grossen Couloirs waren keine frischen Ablagerungen zu sehen. Irgendwie schien es absolut logisch, nun einfach diesen (im Vornhinein ausgeschlossenen) Weg zu wählen. Also los! Klar, die objektive Gefahr dieses Einstiegsteils darf nicht verharmlost werden. Doch hält man sich erst links am Kegel und quert danach so bald wie möglich nach links auf die Schulter der roten Einstiegsvariante, so hält man sich maximal 10 Minuten im Hauptgefahrenbereich auf. Und bei kleineren Eisabgängen könnte man selbst in dieser Periode nach links ausweichend Deckung finden. Allerdings, sollte oben am Palü gleich die ganze Cremeschnitte abbrechen, so wäre man geliefert - allerdings hätte man bei diesem Szenario möglicherweise auch am felsigen Vorbau oder definitiv weiter oben auf der Tour ein massives Problem... 

Blick von unten, noch während der 'heissen Phase', auf den Weiterweg. Von der Position des Kletterers quert man nun nach links hinaus zur Schulter der roten Route des obigen Fotos und kommt sofort wieder in objektiv sicher(er)es Gelände.
Die Gegenperspektive von oben nach unten. Wie man hier erahnen kann, lässt sich auch der Aufstieg während der 'heissen Phase'  abseits oder zumindest ganz am Rand der Hauptrinne legen und man hätte stets die Möglichkeit, zur Seite hin auszuweichen. Da man sich nur wenige Minuten in diesem (relativen) Gefahrenbereich aufhält... ziehe jeder seine Folgerungen selber und wähle die entsprechende Route. Die Eis- resp. Firnhänge im Vordergrund sind rund 50 Grad steil.
Die Bedingungen waren perfekt zum Steigen, tragender, griffiger Firn. So waren wir bald im Bereich der Schulter der Einstiegsvariante in weniger exponiertem Terrain. Mit etwas Hin und Her hielten wir uns nun am (im Aufstiegssinn) linken Rand des Eisstrom. Einfacheres Terrain wechselte sich mit ein paar steileren Passagen ab, ein längeres Teilstück reichte vielleicht an die 50 Grad heran, die Crux eine kurze Eiskletterei von 60 Grad - in der Summe aber alles gutmütig und wie bereits geschrieben, in perfekten Verhältnissen. So erreichten wir, zuletzt über den schönen Firngrat in einer Stunde vom Einstieg bereits den Start des Felsteils (ca. 3450m). Inzwischen waren wir an der Sonne, die Temperaturen waren angenehm mild und auf einer bequemen, trockenen Terrasse konnten wir uns für die Felskletterei parat machen. Das heisst Wechsel von Bergschuhen und Steigeisen auf die Kletterfinken - wir hatten uns dafür entschieden und ich muss im Nachhinein sagen, das war eine ganz schlaue Entscheidung. Es warten doch Schwierigkeiten bis 5b in teilweise plattigem Granit. Klar, das ist auch mit Bergschuhen machbar, zur Not selbst mit Steigeisen. Aber es wäre Einsatz gefordert und hätte den Charakter von harter, alpiner Kletterei. Viele, die mit Bergschuhen gehen, lassen sich dann auch weiter vom eigentlichen Pfeiler in einfacheres, aber heikleres und viel weniger schönes Gelände abdrängen. Mit den Kletterfinken war es hingegen ein grosser Genuss, über die kompaktesten Felspartien in genussreicher Kletterei hochsteigen zu können.

So gut wie es geht hält man sich danach immer am linken Rand des Eisstroms den Felsen entlang, wo man sich in (relativer) Sicherheit wiegen kann. Der Ausblick zeigt schon den kecken Pfeiler des Felsteils, an welchem sich die ersten 4 Seillängen abspielen.
Fantastische Morgenstimmung beim Aufstieg über den Firgrat zum Felsteil hin. Die Aussicht schier grenzenlos!
Am Firngrat bei perfekten Bedingungen mit tollem Ausblick auf den Felsteil darob!
Rückblick auf den Firngrat - just simply fantastic!
Der Felsteil umfasst total 8 Seillängen à 50m. Zuerst folgen zwei plattige Sequenzen mit relativ freier Linie, welche zum grössten Teil selber abgesichert werden wollen (ca. 4b, bei direkter Linie auch 5a). Die dritte Seillänge führt dann an den Fuss des markanten Gratzackens. Hier ist die Linienführung mehr gegeben, ist die Kletterei doch recht steil und athletisch, ja erfordert das Erklimmen eines veritablen Dachs. Hier steckt etwas an fixem Material, die Schlinge am Dach weist von weither bereits den Weg. Am Stand treffen wir auf zwei deutsche Bergsteiger, welche uns umgehend passieren lassen. Im vierten Abschnitt (ca. 5a) quert man unter dem Gratzacken nach links hinaus und steigt dann diagonal aufwärts. Auch hier stecken Schlaghaken, allerdings wild verstreut. Während man sich nun deutlich unterhalb des Gratverlaufs in einfacherem Gelände halten könnte, wählen wir in der fünften Seillänge eine athletische und etwas wilde Linie in der kein fixes Material steckt zurück zur Gratkante (5b), die man in einer Scharte nach dem Zacken wieder erreicht. Der Gratkante entlang geht's mit einer sechsten Sequenz (5a). Zum Auftakt wartet eine Platte mit einem feinen Riss, die deutlich schwieriger ist, als es den ersten Anschein macht - umso mehr, wenn man nicht mit Kletterfinken unterwegs ist. Der Rest ist dann einfacher zu haben. Es folgen schliesslich zwei weitere Seillängen à 50m mit genussreicher Kletterei aber geringen Schwierigkeiten (3a-4a) zum Fuss der Eisnase, wo wir auf einer bequemen Plattform wieder auf die schneetaugliche Ausrüstung wechseln können. Der ganze Felsteil hat uns ca. 2:30h gekostet.

Calina folgt in L1 (4b) im Felsteil.
Ausblick auf L2 (5a). Tolle, selbst abzusichernde Granitkletterei, bei guten Verhältnissen ein grosser Genuss!
Wow, das ist einfach genial! Yours truly folgt in L2 (5a).
Steile Kletterei mit einem veritablen Überhang in L3 (5b). Oben am Stand die beiden deutschen Bergsteiger.
Umwerfend! Hammermässige Traverse unter dem markanten Gratzacken durch in L4 (5a).
Exposition total am Ende der Traverse unter dem Gratzacken (L4, 5a).

Steil geht's auch in L5 (5b) in die Höhe, hier wollen auch nochmals Überhänge geklettert werden :-)
Die mit einem feinen Riss durchzogene Platte zu Beginn von L5 (5a) hat es nochmals in sich!
Yours truly unterwegs in L7 (4a), die Schwierigkeiten nehmen im letzten Teil des Felsabschnitts ab.
Spot the climber! Calina unterwegs in L8 (3a) unter der drohenden Kulisse der Eisnase - einfach genial!
Tiefblick mit den letzten Metern im Fels, bevor wieder auf die Eisausrüstung gewechselt wird.
Die Eisnase selber erforderte früher steile, seriöse Eiskletterei. Durch den Rückgang des Hängegletschers wurde diese Passage stark abgemildert und kann nun sogar links in moderat steilem Gelände (50-55 Grad) umgangen werden. Wir wollen uns aber nicht lumpen lassen und wählen die ästhetisch-elegante Direktlinie. Die Steilheit erreicht ganz kurz um die 75 Grad, man kann jedoch perfekt schrauben, keine grosse Sache also! Nachher findet sich auch noch Eis, um bei "Seil aus!" einen Stand einzurichten. Ab dort können wir bereits wieder gemeinsam weitersteigen und es ist nur noch eine Konditionsfrage bis hinauf zum Gipfel. Einzig vor Spalten sollte man sich allenfalls in Acht nehmen, wir können jedoch von perfekten Bedingungen profitieren. So bin ich um 10.45 Uhr am Top, das wären rund 5:00h vom Pfeilerfuss oder 6:30h ab der Diavolezza - das ging ja ganz fix! Wir profitieren von den angenehmen Bedingungen. Der Wind präsentiert sich hier auf's erste ganz gutmütig, ein Start mit dem Gleitschirm wäre gut möglich (aber heimtückisch!) gewesen, das Gelände präsentiert sich wie erhofft und recherchiert als perfekt.

Den steilsten Teil der Eisnase eben überwunden! Wer will, kann's rechts noch steiler haben, wäre aber ziemlich gesucht!
Ausstieg aus der Eisnase.
Oben - Zeit zum Geniessen!
Nun denn, unsere Schirme haben wir (richtigerweise!) nicht dabei, also geht's zu Fuss weiter. Die Spur hinüber zum Ostgipfel ist perfekt. Dort können wir noch einen richtig lässigen Tiefblick auf den Ostpfeiler werfen - auch schon 25 Jahre her, seit ich hier raufgeklettert bin! Über den Normalweg geht's dann abwärts. Stellenweise ist die Firnauflage dünn, d.h. das Eis nicht weit weg, aber man kann auch hier von guten Bedingungen sprechen. In der Scharte auf der Ostschulter geht plötzlich ein heftiger Wind, schon beinahe in Sturmstärke. Da wissen wir wieder genau, warum man bei einer Föhnlage nicht Gleitschirmfliegen soll. Wir binden uns wieder ans Seil und steigen über den spaltenreichen Gletscher ab. Noch immer kommen uns viele Leute entgegen, die von der ersten Bahn auf die Diavolezza gestartet sind. Mit dabei sind auch Alleingänger mit völlig unzureichender Ausrüstung - manchmal schon erstaunlich, dass solche Eskapaden wohl doch meist gut ausgehen. Ohne Schwierigkeiten erreichen wir das Ende des Gletschers und nach einer halbstündigen Wanderung um den Piz Trovat herum sind wir um 12.30 Uhr zurück auf der Diavolezza. Macht total 8:30h für die ganze, überaus lässige Runde, die man an diesem Tag gerne zum Genre Plaisirbergsteigen zählen darf.

Luftige Überschreitung vom Hauptgipfel zum Ostgipfel hinüber. Dank perfekten Bedingungen problemlos!
Ciao Amici! Italienische Seilschaft auf den letzten Metern zum Gipfel am Palü Ostpfeiler.

Facts

Piz Palü (3901m) - Bumillerpfeiler (TD+, 5b, 60 Grad, 900hm) - Bumiller et al. 1887 (!!!)
Material: 1x50m Seil, Cams 0.3-2, Keile, Kletterfinken, Steigeisen, Eisgeräte, 4-6 Schrauben

Grandiose Tour auf eindrücklicher Pfeilerlinie mitten durch die Nordwand am Piz Palü an prominenter Lage im Festsaal der Alpen. Nach einem moderaten Zustieg steht man vor der Wahl, den mässig attraktiven Vorbau im Fels zu gehen oder ihn rechts schneller und bequemer durch das grosse, jedoch objektiv nicht sichere Couloir zum umgehen. Danach folgt nur noch genussreiches Bergsteigen. Ein Firngrat, 400m an Kletterei in perfektem Granit, eine steile Eislänge und zum Schluss noch 200hm Gletscherwanderung. Es lohnt sich, auf gute Bedingungen zu warten, d.h. bis die Felslängen aper und sonnengewärmt sind, aber auf dem Rest trotzdem noch überall guter Firn präsent ist. Dann kann man im Fels in grandiosem Ambiente mit den Finken in die Höhe tänzeln und den Rest der Tour zügig erledigen. Trifft man hingegen auf verschneite und/oder vereiste Platten, so bekommt der mittlere Tourenteil eine ganz andere Dimension und Ernsthaftigkeit. Normalerweise trifft man zu Beginn der Sommersaison (Mitte Juni - Mitte Juli) auf die besten Bedingungen.

Sonntag, 7. April 2019

Tödi West: 1-Tages-Skitour durchs Val Russein

Bereits Ende Februar konnten wir nach einer langen Schönwetterperiode diese anstrengende, aber auch sehr lohnende Tour begehen. Das Herzstück dabei ist die Südwestwand, welche sich über 1400m aus dem hinteren Val Russein aufschwingt, im Durchschnitt etwa 47 Grad steil ist und trotz der 'falschen' Ausrichtung eindrückliches 'Nordwandambiente' bietet. Meinen kompletten Bericht kann man auf dem Bächli-Blog nachlesen!


Montag, 3. September 2018

Glärnisch - Ruchen Nordpfeiler (TD, 5c/6a, 1000hm)

'Soll ich, oder soll ich nicht', treffender kann man einen Bericht zum Nordpfeiler am Ruchen (2901m) im Glärnischmassiv nicht beginnen. Unbestritten handelt es sich um eine Kingline in dieser 2000m hohen und 8km breiten Wand. Doch nach einem (bereits sehr alpinen) Zustieg warten noch 1000hm Kletterei am Pfeiler selbst. Diese weisen Schwierigkeiten im 5c/6a-Bereich auf, auf fixe Absicherung kann man nicht zählen, insbesondere gibt es keine eingerichteten Standplätze. Somit ist man bezüglich der Wegfindung herausgefordert, ein Rückzug ist nicht möglich und während es durchaus schöne Kletterstellen gibt, so muss man hier auch mit Bruch, Schotter und Steilgras klarkommen. Wir haben es also mit einer Abenteuerroute durch und durch zu tun, welche in ihren Dimensionen durchaus mit den grossen Nordwänden der Alpen à la Matterhorn, Grandes Jorasses oder Civetta vergleichbar ist. Natürlich ist das nicht etwas für jedermann, trotzdem ist's erstaunlich, dass eine solche Paradetour nur ein paar wenige Male pro Jahrzehnt Besuch erhält!

Die imposante, total 8km breite und 2000m hohe Glärnisch Nordwand mit dem Verlauf des Nordpfeilers am Ruchen. Foto: justus @ hikr.org
Nachdem wir schon seit einem Jahrzehnt in Phasen von höherer oder tieferer Intensität über den Ruchenpfeiler diskutiert hatten, einigten wir uns im 2018 auf einen Versuch nach Ende der Sommerferien. Schliesslich kam der benötigte, warme Schönwettertag mit 0% Gewitterrisiko und mit ihm nochmals die drängende Frage 'soll ich, oder soll ich nicht'. Meine Bedenken lagen weniger an den Schwierigkeiten dieser Route, sondern drehten sich mehr darum, ob die Sache nicht zu heikel-brüchig-gefährlich-haarsträubend sei. Aber irgendwann muss man einfach 'jetzt oder nie' sagen und so einigten wir uns auf einen Treff um 4.00 Uhr am Rhodannenberg. Eine Viertelstunde später schritten wir vom Hinter Saggberg (1040m) bei angenehmen Bedingungen in die dunkle Nacht. Auf der Standardroute geht's ins Chalttäli bis auf 1600m, das konnten wir effizient erledigen. Von dort stellt sich die Frage, wie man zum Einstieg auf Darliegg (bei P.1919) gelangt. Es handelt sich um steilstes Schrofengelände, in welchem es 'die Optimallinie' wohl kaum gibt. Soweit uns bekannt, versuchten die meisten bisher, direkt über die Osthänge zum markanten Gratzug des Darliegg aufzusteigen, mit gewagten Steilgraspassagen bis T6+. Wir wollten uns dagegen viel weiter links über die weniger steilen NE-Hänge versuchen und am Schluss über Bänder zum Einstieg queren. Adrian hatte diesen Weg verdankenswerterweise zuvor rekognosziert, denn um sich auf Experimente einzulassen, wäre es definitiv der falsche Zeitpunkt gewesen. Tatsächlich war's bis hinauf aufs oberste Querband gut machbar, vor der letzten Querung (T6) hatten wir aber beide leer zu schlucken - aber es ging dann doch gut. Nach einer Pause begannen wir um 6.40 Uhr mit der Kletterei, weniger als 2:30 Stunden nach unserem Aufbruch beim Auto.

Kurz vor dem Einstieg in die eigentliche Kletterei muss dieses sehr abschüssige Felsband traversiert werden. Die gute Nachricht: es geht besser,  wie man aufgrund vom Foto befürchten könnte. Die schlechte Nachricht: die deutlich haarigste Stelle ist nicht sichtbar, diese befindet sich im Einschnitt zwischen der Graskanzel im Hintergrund und dem Band. Foto: 3614adrian @ hikr.org
Morgenstund hat Gold im Mund! Wir hatten uns einen wettertechnischen Traumtag ausgesucht (macht absolut Sinn hier!)
Gleich am Einstieg wartet ein erster Test: steiler Fels, mässig solide, schwierig abzusichern, für Vor- und Nachsteiger psychisch fordernd. Doch für uns gab es keine Zweifel, aufwärts sollte es gehen! Danach folgen im Wechsel schwierige und einfachere Passagen, schöne Kletterstellen und brüchiges Gelände, solche die sich gut absichern lassen und andere, wo dies schwieriger ist. Von weitem würde man auch kaum glauben, dass es am Ruchenpfeiler doch auch diverse Abschnitte mit quasi verschärftem Gehgelände gibt (siehe genaue Routenbeschreibung unten!). Dem ganzen Handling von Seil und Absicherung kommt hier eine eminente Bedeutung zu, wenn's ums effiziente Vorwärtskommen geht. Während sich die schwierigen Kletterpassagen entlang von Rissen und Verschneidungen in solidem Fels meist recht gut mobil absichern lassen, so steht man danach in flacheren Zonen oft in schuttigem, wenig solidem Fels, wo es schwierig ist, Standplätze zu bauen. Dasselbe gilt natürlich auch für die einfacheren und oft brüchigen Abschnitte. Es gilt beständig abzuwägen, wann und wo wie gesichert werden soll. Wir haben diverse Teilstücke auch seilfrei begangen, da wir uns so einerseits sicher fühlten, andererseits eine wirklich effektive Sicherung auch nur schwierig machbar gewesen wäre. Schliesslich gelangten wir um Schlag 12.00 Uhr und damit nach 5:20h Kletterei aufs Band, welches den hellen, oft ziemlich soliden Kalk des unteren Wandteils vom oberen, brüchig-braunen Wandteil abgrenzt.

Einfachere und schwierige Abschnitte wechseln sich im unteren Teil des Ruchenpfeilers ab. Eines ist jedoch allen Abschnitten gemeinsam: man klettert in einem grandiosen, wilden Ambiente und der Tiefblick auf den blau-grünen Klöntalersee fehlt nie. 
Ausstieg aus der Seillänge, welche im SAC-Führer als Crux bezeichnet wird. Hier ist der Fels richtig gut und die Kletterei absolut lässig wie auch vernünftig abzusichern. Aus diesem Grund habe ich andere Abschnitte der Route als anspruchsvoller wahrgenommen. Es bietet nämlich schon nicht jeder Meter Plaisir-Kletterei - spannend und interessant ist's jedoch immer.
Vor diesem hatten wir a priori einen grossen Respekt gehabt. Dem Vernehmen nach würden zwar nicht mehr die grossen Kletterschwierigkeiten warten. Dafür aber eben sehr unzuverlässiger Fels und noch schlimmer: es hatte sich aus den bisherigen Begehungen noch keine eindeutige Route herauskristallisieren können. Die einen gingen hier (z.B. alles möglichst dem Grat entlang), die anderen da (z.B. erst in die Schlucht und dann rechts hinaus). Doch eigentlich alle fanden danach, dass es eine bessere Route geben müsse, da ihr Pfad nun doch höchst unangenehm gewesen sei. Man nehme dazu noch die Tatsache, dass es hier oben nun wirklich ein Labyrinth von Schluchten, Graten und brüchigen Felstürmen gibt und fertig ist das Rätsel, wo man nun denn entlangklettern soll. Wir machten uns auf eine Querung nach rechts, um das ominöse Fixseil aufzuspüren. Dieses war schliesslich unschwierig zu finden, er eröffnet den Weg über einen Wulst hinweg zu den Schluchten und Türmen oberhalb. Bei dieser Stelle handelt es sich (freigeklettert) eindeutig um die technische Crux der Route. Es ist schwierig, eine Bewertung für diese Stelle anzugeben. Unter Bedienung aller vorhandenen Griffe wäre es eventuell so im Bereich VI oder VI+. Allerdings bricht das, was am meisten hervorsteht auch am ehesten ab. Weil man an dieser Stelle aber überhaupt nicht absichern kann und ein Sturz nicht drinliegt, beschränkt man sich lieber auf solidere, auflegerige Strukturen. Was dann heisst, dass man vermutlich eher etwas in der Gegend von VII oder VII+ klettert. Oder eben, diese 7-8m am dünnen Fixseil hochhangelt, so lange es noch da und unbeschädigt ist (der Mantel ist an einer Stelle bereits durch und der Kern tritt hervor). Befestigt ist's an einem Profilhaken, das Körpergewicht dürfte es auch weiterhin halten. Ob und wo man diese Stelle umgehen könnte, ist mir nicht restlos klar. Kleinräumig (+/-30m links oder rechts) jedenfalls eher nicht.

Wo geht's weiter?!? Am Sperbern auf dem Band am Ende des hellen Kalks, bevor es in den brüchig-braunen Abschnitt geht. An sich ist die Route durch den Mangel an fixer Absicherung und durch die schieren Dimensionen der Wand kaum vorgegeben und 'die Ideallinie' dürfte hier auch kaum so eindeutig existieren. Trotzdem, für ein geübtes Alpinistenauge (und ein solches ist absolut nötig!) gibt's eben doch einen logischen Verlauf. Foto: 3614adrian @ hikr.org
Unangenehmes Gelände nach dem Wulst mit dem Fixseil. An sich warten keine grossen Schwierigkeiten. Doch der Fels ist brüchig, schuttbedeckt und nur schwierig abzusichern. Konzentriert steigen und keine der seltenen Gelegenheiten auslassen, wo man eine mobile Sicherung oder einen zuverlässigen Haken anbringen kann, heisst die Devise! 
Nach dem Fixseil-Wulst geht's Richtung der Ausstiegsschlucht. Da ja bisher noch niemand in diesem Bereich eine als 'gut' taxierte Linie beschrieben hatte, wollten wir es tatsächlich mitten durch die Schlucht probieren. Dort, wo hin und wieder das Wasser läuft, ist der Fels in der Regel ja eher fester. Trotzdem, es handelt sich immer noch um vogelwildes Gelände, mit einigen höhlenartigen Gufeln und nachfolgendem Steilgelände. Das Gestein auch sehr speziell, da man einer Art Quarz- oder Calcitader folgt. Jedenfalls, nach einer Weile standen wir an einem Geröllplatz und erblickten ein Stück oberhalb von uns die markante Scharte im braunen Grat. Dort mussten wir hin, der Weg schien gangbar, somit hatten wir die Passage durch den oberen Wandteil gefunden. Um etwa 13.45 Uhr hatten wir den Grat schliesslich erreicht. Diesem gegen die Schlusswand hinauf zu folgen war kein grösseres Problem, es handelt sich um einfaches Gelände. Die Schlusswand hingegen sieht aus dieser Perspektive nochmals richtig fordernd aus. Doch wie so oft beim Bergsteigen, was von Weitem abschreckend aussieht, präsentiert aus der Nähe dann doch einen gangbaren Weg. Die ersten 2-3 Seillängen an der Schlusswand sind gutmütig und rasch erledigt. Die letzten 70-80m sind dann aber nochmals fordernd, insbesondere mit einer originellen, athletischen Boulderstelle 30m unter dem Grat. Dann war's aber geschafft, um 15.15 Uhr und damit ziemlich genau 11:00 Stunden nach unserem Aufbruch auf dem Hinter Saggberg konnten wir am Gipfel abklatschen. Das war jetzt wirklich ein grandioses Abenteuer gewesen!

Toller Ausblick aufs Vrenelisgärtli (2904m) auf dem Verbindungsgrat zur Schlusswand.
Daumen hoch, der Gipfel ist erreicht! 11 Stunden nach Aufbruch vom Auto komplettieren wir die letzte Seillänge! Ganz zum Schluss warten nochmals zwei richtige Kletterseillängen mit Schwierigkeiten bis V+, ja sogar ein überhängend-athletischer Boulder stellt sich einem noch in den Weg. Hier in diesem letzten Abschnitt klettert man wieder in hellem und solidem Kalk.  
Nun gut, zu Ende ist die Tour erst, wenn man wieder im Tal ist (oder vielleicht besser, zuhause). Im Falle vom Ruchen ist der Abstieg zwar nicht schwierig, aber dafür ziemlich weit. Ich hatte im Vorfeld hin und her überlegt, ob ich meinen Ultraleicht-Gleitschirm für einen bequemen Abstieg mitführen solle. Bedenken hatte ich einerseits wegen dem Zusatzgewicht - es sind zwar nur 1.7kg für das komplette Flugmaterial, aber für eine solche Kletterei eben doch auch 1.7kg. Andererseits war auch die Windprognose mit der vorherrschenden Richtung aus SW nicht überaus günstig. Ich hoffte darauf, dass der Wind schlussendlich so schwach wäre, dass ich vom Schwander Grat nach NW starten könnte um dann gleich nach rechts übers Chalttäli abzudrehen. So hätte ich retour zum Hinter Saggberg fliegen können. Doch mit den gut 20km/h, die mir am Gipfel aus SW ins Gesicht bliesen wurde dieser Plan zu Makulatur, für diese Windrichtung und -stärke gibt's weder einen geeigneten Startplatz noch Flugweg. So blieb mir nichts andere übrig, als zusammen mit Adrian über den Glärnischfirn bis ins Steintäli auf ca. 2250m abzusteigen. Die Startvorbereitungen dort kosteten mich ob dem steilen Gelände und dem hohen, extrem krautigen Gras wo sich ständig die Leinen darin verhakten zwar auch noch etwas Geduld. Doch schliesslich konnte ich mir doch noch die mühsamen 2/3 des Abstiegs mit einem schönen und bequemen Gleitflug ersparen. Adrian war tüchtig gelaufen, so dauerte es nicht lange, bis wir wieder vereint waren. Nachdem wir uns logistisch gut organisiert hatten, konnten wir uns schon bald auf dem Heimweg machen. Das war jetzt alles wirklich wie am Schnürchen gelaufen - absolut keine Selbstverständlichkeit bei einer solch wilden und anspruchsvollen Tour!

Abstieg über den aperen, im Sterben liegenden Glärnischfirn. Wie dieses Foto zeigt, ist das Ambiente aber auch heute noch super und die Eisfläche nach wie vor gross. Trotzdem, wenn ich es mit meinen Erinnerungen und den Fotos meiner ersten Glärnisch-Besteigung vor 25 Jahren abgleiche, dann ist es erschreckend, wie viel Eis bereits abgeschmolzen ist.
Diese Perspektive auf den Klöntalersee gibt's nur vom Gleitschirm! Nach einigem Abwägen hatte ich mich dazu entschieden, den Ultraleichtschirm (komplett 1.7kg) auf dem Rücken durch die Wand zu tragen. Die Windverhältnisse liessen (nicht unerwartet) einen Start im Gipfelbereich nicht zu. Etwas weiter unten im Steintäli kam ich dann jedoch in die Luft und konnte auf den restlichen zwei Dritteln des Abstiegs bequem die Beine baumeln lassen.

Facts

Glärnisch Ruchen (2901m) - Nordpfeiler (TD, 6a) - ca. 1000hm, 1600 Klettermeter - Fischli/Schindler 1964

Eine reinrassige Abenteuerroute durch die imposante Glärnisch Nordwand. Schon der Zustieg erfordert Können und Mut im Steilgras. Die Kletterei danach weist so gut wie keine fixen Sicherungen auf. Sie bietet einen Mix von stellenweise schönen Passagen in recht gutem Fels mit einfacherer Kletterei an brüchigem Gestein. Ebensowenig fehlen schuttige Abschnitte und Sequenzen im Steilgras. Kurzum eine Tour, bei der man auf alles vorbereitet sein muss.

Rückblick auf die gewaltige Wand. Die Pfeile markieren den Einstieg in den Felsteil und den Gipfel.

Wissenswertes

Seil: mindestens 50m-Seil, damit kommt man durch. Je länger jedoch das Seil ist, desto mehr erhöht man seine Optionen, nach einem geeigneten Standplatz zu suchen, was ja oft nicht einfach ist. Ein Rückzug bzw. Abseilen ist komplett utopisch, daher ist ein Doppelseil kein Muss. Natürlich bietet dieses Vorteile bzgl. Steinschlagsicherheit und Seilverlauf. Andererseits hat das Einfachseil Vorteile im Handling und Gewicht. Also Geschmackssache...

Exen: wie viele Exen man auf solche Trad-Routen mitnimmt ist ja auch immer ein wenig Geschmackssache und hängt davon ab, wie viel man schlussendlich legt und bastelt. Jedenfalls ist die Kletterei selten anhaltend schwierig und sowieso gibt's oft nicht viele Sicherungsmöglichkeiten. So 10-12 Stück sind ausreichend. Alles verlängerbare Alpine Draws, normale Sportkletterexen taugen hier wenig bis nix. Genügend Schlingen o.ä. für den Standplatzbau nicht vergessen!

Der Klettergurt mit allem Material (Exen, Cams, Keile, Hammer, Haken, Schuhe) wog fast 10kg! Das Bild zeigt den Vorstieg an der zweiten Stufe (Schwierigkeit ca. IV). Bild: 3614adrian @ hikr.org
Mobile Sicherungen: wir sind die Route mit 1 Set Camalots von 0.3-4 und einem Satz Keile geklettert. Den Camalot 4 habe ich zwar durchaus ein paar Mal eingesetzt, würde ihn aber im Rückblick nicht mehr mitnehmen. Dafür passt gefühlt der Camalot 1 in jeden Riss an diesem Berg und man könnte ihn ungefähr 27-fach brauchen. Darum die Grössen 0.5-1 auf jeden Fall doppelt, evtl. 0.3, 0.4 und 2 ebenfalls. Die Keile waren immer wieder einmal nützlich.

Hammer und Haken: würde ich auf jeden Fall mitnehmen! Ich habe unterwegs ca. 10-15x einen Haken geschlagen, damit ich an diesen Stellen in weiterem Umkreis überhaupt eine Sicherung anbringen konnte, der Fels akzeptiert bei weitem nicht überall Cams & Keile. Bis auf einen einzigen haben wir alle wieder mitgenommen. Daher hätte es auch die 10 Haken, die ich dabei hatte, nicht zwingend gebraucht, 3-4 Stück wohlsortiert hätten ausgereicht.

Der Standhaken am Fuss des braunen Wulstes mit dem Fixseil ist der einzige, den wir belassen haben. Hier haben wir doch ein paar Minuten und 2 Fehlversuche gebraucht, bis ich einen zuverlässigen Schlaghaken platzieren konnte. Bild: 3614adrian @ hikr.org
Schuhe: total Geschmackssache! Ich bin mit normalen Zustiegsschuhen zum Einstieg gelaufen, war von dort zum Gipfel in Kletterfinken unterwegs. In den schwierigen Seillängen muss man durchaus plattig antreten, was für mich in schweren Schuhen deutlich langsamer, unangenehmer und weniger sicher wäre. Würde ich auf jeden Fall wieder so machen, sonst wird die Route wohl meistens in Bergschuhen geklettert. Für solche habe ich nirgends Bedarf verspürt.

Gletscherausrüstung: braucht es nicht! Der Glärnischfirn hat sich bereits stark zurückgezogen. Im Sommer könnte man an seinem rechten Rand absteigen, ohne das Eis überhaupt betreten zu müssen. Schneller und bequemer geht's jedoch, über das flache und apere Eis zu laufen, was mir jetzt in jeglicher Art von Schuhwerk problemlos scheint. Achtung: einige (problemlos umgehbare) Löcher hat es aber durchaus, wenn noch Schnee liegt herrscht Spaltengefahr!

Blick vom Gipfel auf den ausgeaperten Glärnischfirn. Wenn man wollte, könnte man ihn rechts im felsigen Gelände vermeiden. Bequemer und schneller ist es freilich, wenn man übers flache und apere Eis läuft, was absolut keinerlei Schwierigkeiten bietet. Bild: 3614adrian @ hikr.org
Zeitmanagement: wir brauchten gut 2:00h zum Einstieg und von dort rund 8:30h Kletterzeit zum Gipfel, was mit den Pausen dazwischen 11:00h vom Auto zum Gipfel ergibt. Für den Abstieg ins hintere Klöntal sind dann nochmals 2:30h zu veranschlagen. Man kann sicher sowohl schneller als auch langsamer wie wir sein. Wir haben den Weg überall gut gefunden, uns keine Verhauer geleistet und waren effizient unterwegs. Andererseits haben wir uns auch immer die Zeit genommen, um die Kletterpassagen solide abzusichern und zuverlässige Standplätze zu bauen (was oft einiges an Zeit in Anspruch nimmt!).

Logistik: Start- und Endpunkt der Tour sind nicht identisch! Vom Endpunkt sind es dem See entlang und hinauf zum Hinter Saggberg nochmals 1:30-2:00h Fussmarsch. Es gibt einige wenige öV-Verbindungen (jedoch nicht spät am Abend), man kann evtl. ein Taxi rufen, auf Autostopp vertrauen (spätabends bestimmt nicht mehr so einfach), ein Velo/Auto platzieren oder dann halt doch laufen.

Die Sicht von Vorauen (am hinteren Ende des Klöntalersees) auf den im Profil gut sichtbaren Ruchenpfeiler wirkt fast ein wenig mediterran. Wohl dem, der hier auf die eine oder andere Weise fahrend zurück zum Ausgangspunkt auf dem Hinter Saggberg gelangen kann. Zu Fuss gehend wartet nämlich noch eine ziemlich lange Wanderung. Bild: 3614adrian @ hikr.org
Gleitschirm: auf dem Ruchen zu starten ist eher schwierig, falls kein Schnee mehr liegt, da sehr geröllig. Der beste Startplatz ist bei P.2859 auf dem Schwander Grat, wo man danach rechts ins Chalttäli abbiegen und zum Ausgangspunkt fliegen kann. Das ist jedoch nur bei leichten Wind aus Sektor Nordwest bis Nord möglich. Der Flug über den Glärnischfirn ist vom Gleitwinkel her (zu) knapp. Weiter unten (Steintäli, oberhalb der Glärnischhütte) lässt es sich gut nach SW starten und ins hintere Klöntal fliegen. Zurück zum Ausgangspunkt reicht es so aber nicht.


Routenbeschreibung

Zustieg: vom Hinter Saggberg auf gutem Bergweg via Tschingel und Vorder Schlattalpli nach Mittelstafel. Von hier auf dem horizontal verlaufenden Weg ins Chalttäli queren. Durch dieses weglos hinauf zur Munggenplangge. Zuletzt über Geröll zum Einstieg in den Grasteil, der sich bei den Koordinaten 719'180/208'450 (CH1903) bzw. 47.01639/9.00619 (WGS84) auf 1685m befindet (Kartenlink).

Den Zustieg haben wir noch in dunkler Nacht gemacht. Dank Ortskenntnissen kein grösseres Problem. Unten sind die Lichter im Glarnerland erkennbar. Bild: 3614adrian @ hikr.org
Grasteil: Im Fels hinauf (II), leicht rechtshaltend auf einen ersten, etwas grasigen Rücken (total ca. 30hm). Der folgende Kessel wird deutlich rechtshaltend in felsig-gerölligem Gelände gequert, mit dem Ziel, die markanteste, teils buschbewachsene Grasplangge zu erreichen (ca. 60hm zu Beginn derselben, T5). Über die Plangge hinauf bis ganz an deren oberes Ende (1925m, ca. 150hm, T6). Nun auf dem meist problemlos gangbaren Band horizontal nach rechts (ca. 160m, T5) zu einer markanten Graskanzel. Nun folgt über 40m ein schmales, abschüssiges, schuttig-felsiges Band, das man horizontal traversiert (T6). Dann in Kürze leicht aufsteigend zum Einstieg.

Blick (am 1.8.2018) von kurz vor Mittelstafel auf den Ruchenpfeiler im Morgenlicht. Hier ist auch der von uns gewählte Weg zum Einstieg gut erkennbar und mit den 3 blauen Punkten markiert. Beim Punkt links unten geht's los, über den gut erkennbaren Rücken hinauf zum mittleren Punkt. Dann horizontal nach rechts zum dritten Punkt, wo sich der Einstieg in den Felsteil befindet. Üblicherweise steigt man weiter rechts auf den grasigen Rücken auf und quert dann nach links zum Einstieg. Bild: 3614adrian @ hikr.org 
Eine andere Perspektive auf den Grasteil. Hier erkennt man auch, dass das Gelände weiter rechts noch steiler ist. Bild: 3614adrian @ hikr.org
1. Stufe: vom Einstieg 10m steil und etwas brüchig empor (V, H zu Beginn, dann schlechte Sicherungsmöglichkeiten) zu schwach ausgeprägtem Band mit losen Felsen. Diesem linkshaltend für 40m folgen (I-II), dabei zuletzt eine Rinne überqueren, Stand an der Rippe (schlechte Sicherungsmöglichkeiten). Nun diagonal in einfachem, grasdurchsetztem Gelände nach rechts hinauf an den Fuss der folgenden Steilstufe (ca. 60m, T5-T6, II), zuletzt ein wenig nach rechts queren zu schöner Rissverschneidung.

Kein berauschend gutes Foto. Es zeigt aber den Einstieg in den Felsteil mit der 1. Stufe (hinauf, dann Querung nach links).
Das 'einfache, grasdurchsetzte Gelände (ca. 60m, T5-T6, II)', welches diagonal nach rechts hinauf zur 2. Stufe führt.
2. Stufe: die Rissverschneidung mit guten Sicherungsmöglichkeiten hinauf (IV), bei der Gabelung des Risses nach links und hinauf in schuttbedecktes Gelände und einfach (T5) zur nächsten Felsstufe (ca. 50-55m), Stand an deren Fuss auf bequemem Band.

Adrian folgt im einfachen Gelände nach der 2. Stufe. Es ist oft so, wie es hier ist: man klettert die Stufe in solidem und schön zu bekletterndem Fels und steht dann unvermittelt auf einem grasig-schuttig-brüchigen Hang, wo es schwierig ist, einen Standplatz einzurichten. Hier hat das Seil jedoch bis hinauf zum Beginn der nächsten Stufe gereicht.
3. Stufe: man kann entweder direkt an einem breiten, steilen Riss klettern, oder dann einfacher an der Rissverschneidung, welche 10m weiter rechts ansetzt (IV). An dieser hinauf mit Ausstieg nach links (ca. 30m). Es folgt nun ein einfacherer, teils fast gratartiger Abschnitt, der zum Fuss des nächsten, kompakten Aufschwungs führt (II-III, ca. 70m).

Blick auf die Rissverschneidung der 3. Stufe (ca. IV), die auch gut abzusichern ist.
Das 'einfache, fast gratartige Gelände (II-III, 70m)', das an den Fuss der bereits gut sichtbaren, 4. Stufe führt. Bild: 3614adrian @ hikr.org
4. Stufe: vom bequemen Stand am Fuss in steiler Kletterei an sehr gutem Fels mit athletischen Zügen 20m aufwärts (2H, gute Sicherungsmöglichkeiten, V+). Man gelangt zu einem schwierigen Überhang. Entweder a) diesen direkt an einem Riss erklettern (VI?) oder b) 4m nach links queren und einen etwas weniger ausgeprägten Überhang an Riss ersteigen oder c) 10m nach links queren um dann hinauf auf den Absatz zu steigen, wo man das Frifad erreicht (IV, total 40m).

Ausblick auf die 4. Stufe mit ihrer sehr schönen Kletterei in kompaktem Fels (V+). Die von uns gekletterte Variante c) ist mit den roten Punkten markiert. Man könnte auch schwieriger direkt aufsteigen (Variante a zum blauen Punkt, Variante b zum grünen Punkt). Man landet oberhalb jedoch mit jeder der Varianten wieder am selben Ort.
Steile und kompakte Kletterei an der 4. Stufe (V+). Bild: 3614adrian @ hikr.org
5. Stufe: vom Frifad in einfacherem, gratartigen und grasigem Gelände hinauf (T5, II). Man überklettert eine Stufe aus auffälligen, hellen Felsen (II-III) und gelangt über grasiges Gelände zum Fuss der nächsten Stufe aus dunklem Gestein (total ca. 100m vom Frifad). Entlang einer Verschneidung hinauf (IV), unter der überhängenden Zone über eine kompakte Platte nach links (V, gut absicherbar) und in einfacherem Gelände ans obere Ende der Stufe (50-55m). Erst über Gras, dann über Fels und schliesslich im Schotter an den Fuss der nächsten, eindrücklichen Steilstufe, zuletzt nach rechts querend (total ca. 100m).

Nach der 4. Stufe gelangt man aufs Frifad, ein Band welches die ganze Glärnisch Nordwand durchzieht. Hier folgt zuerst einfacheres Gelände zu den hellen Felsen (II-III), danach die eigentliche 5. Stufe in den dunklen Felsen (V). Weiter oben am Horizont ist auch schon die mächtige 6. Stufe erkennbar.
Die dunklen Felsen der 5. Stufe werden zuerst an der markanten Verschneidung geklettert. Der abschliessende Überhang wird links über die kompakte Platte umgangen, wobei eine feine und luftige Stelle (V) wartet. Bild: 3614adrian @ hikr.org
6. Stufe: dies ist die höchste Stufe, sie wird von rechts nach links auf logischem Weg via eine Art Rampe erklettert. Erst über geneigte, griffige Felsen (IV+, einige Cam-Möglichkeiten), dann kurze Linksquerung in etwas grasiges Gelände und etwas heikel über glatte, ausgewaschene Felsen steil hinauf (V+, schlechter H, bescheidene Sicherungsmöglichkeiten, evtl. besser rechts in kompakterem, auf den ersten Blick schwierigeren Fels klettern?). Man kommt zu einem Band, auf welchem man noch 10-15m nach links zu Stand an 2H quert (total 50-55m). Vom Stand in steiler, schöner und griffiger Kletterei 20m gerade hinauf (V), dann entlang von einem Riss zu einer kleinen Gufel (H), nach links querend plattig aus dieser hinaus (IV+) und über schuttbedecktes Gelände zum Fuss der nächsten Stufe (50-55m).

Ausblick auf das grasige Gelände, das nach der Beschreibung noch zur 5. Stufe gezählt wird, sowie die mächtige 6. Stufe. Man kann den Routenverlauf auf diesem Foto jedoch nicht allzu gut einsehen. Der Einstieg befindet sich ziemlich weit rechts und führt dann diagonal nach links querend empor. Die zweite Seillänge an der 6. Stufe ist hier sichtbar, wenn auch ziemlich stark verzerrt.
In der ersten Seillänge an der 6. Stufe (V+). Zu Beginn kann man noch recht gut für Sicherheit sorgen, bei der Stelle über die letzten 3 roten Punkte hinweg ist dies dann jedoch bei schwieriger Kletterei (V+) in ausgewaschenem Gestein nicht mehr so gut möglich. Dies war für mich definitiv eine der Schlüsselstellen. Eventuell geht's besser, wenn man beim zweiten roten Punkt nach dem Kletterer gerade hinauf steigt. Der Fels ist dort kompakt und steil, dafür aber auch fest, eventuell griffig und möglicherweise besser abzusichern. Bild: 3614adrian @ hikr.org
Nach der 1. Seillänge an der 6. Stufe erreicht man ein bequemes Band, wo sich ein guter Stand einrichten lässt.
7. Stufe: diese nur ca. 10m hohe Stufe wird etwas rechts durch vom Wasser dunkel gefärbtes, griffiges Gestein ersteigen, zuletzt über einen kleinen Überhang hinweg (V, schlechter/alter H, gute Cam-Möglichkeiten). Man gelangt auf ein grosses Schuttband. Darüber hinauf zum Fuss der mächtigen Steilstufe zu Stand an Cams (50-55m, schlechte Kommunikation mit dem Nachsteiger).

Die vergleichsweise niedrige 7. Stufe wartet mit interessanter, griffiger und steiler Kletterei auf (V). Bild: 3614adrian @ hikr.org
8. Stufe: die Überwindung dieser kompakten und mächtigen Steilstufe bildet gemäss den Informationen im SAC-Führer 'den Schlüssel der Besteigung' und erfolgt 'leicht links durch eine abdrängende Rissverschneidung in hellem Gestein'. Während zweiteres absolut zutreffend ist, lässt sich über das erstere diskutieren. Zuerst 15m aufwärts in noch etwas losem, braunem Gestein, dabei einen kleinen Überhang meisternd (H) zu einer Art Höhle (H). Athletisch an guten Griffen im nun hellen Kalk daraus hinaus (H) und dem sich zu einer Verschneidung entwickelnden Riss entlang in sehr schöner Kletterei weiter (gut absicherbar, V+). Standmöglichkeiten nach 40m, 45m oder am besten sehr luftig nach 50m an 2H (wovon 1 mies ist, jedoch gute natürliche Sicherungsmöglichkeiten vorhanden). Weiter in schöner Kletterei der Verschneidung entlang (V, 1 H, gut absicherbar) und zuletzt in graduell einfacher werdendem Gelände hinauf zum Band zu Beginn der braunen, brüchigen Felszone (30m, schlechte Standmöglichkeiten an mobilen Sicherungen, Haken schlagen!). Nachtrag vom 9.3.2023: Daniel hat mir folgende Info zukommen lassen: "Ich bin au dem Band nach der 8. Stufe ein paar Schritte nach links ums Eck gegangen. Dadurch steigt man ein wenig 'nach hinten ab' und könnte vermutlich gut über den Körper nachsichern. Ich habe dort jedoch in etwa 2m Höhe einen guten Haken in soliden Fels schlagen können und diesen belassen. Leider sieht man ihn erst, wenn man die paar Schritte übers Band nach links gegangen ist und auch nur wenn man dann hinauf schaut."

Unser Weg über die 8. Stufe. Im SAC-Führer wird dieser Abschnitt, insbesondere der Überhang am Off-Width-Riss aus der Höhle nach dem 4. roten Punkt als Schlüsselstelle bezeichnet. Wobei diese Stelle einem kompetenten Sportkletterer vergleichsweise einfach fallen wird. Der Fels ist nämlich gut, die Absicherung in Ordnung und es hat ordentliche Griffe, wo man seine PS auf den Fels bringen kann.
Der Höhlenüberhang mit seinem Off-Width-Riss aus der Nähe gesehen.
Auch die zweite Seillänge an der 6. Stufe wartet zu Beginn mit schöner Kletterei in gutem Fels auf (V).
Mit dem Ausstieg aus der 8. Stufe endet die Herrlichkeit im schönen Fels. In diesem Bruch ist es schwierig, einen guten Stand einzurichten. Ohne Schlaghaken, d.h. nur mit Cams/Keilen hätte ich hier keine Möglichkeit gesehen. Man beachte jedoch den Nachtrag im Text oben, bzw. das Foto gleich unterhalb!
Der neue Schlaghaken von Daniel zum Nachsichern am Band nach der 8. Stufe. Um ihn zu finden muss man auf dem Band ein paar Schritte nach links gehen, d.h. quasi 'nach hinten absteigen'. Dort befindet er sich in 2m Höhe, d.h. er fällt nicht auf den ersten Blick auf.

Zum Fixseil am braunen Wulst: auf dem Band quert man 50m gut gangbar nach rechts (T5) und steigt über geneigte Felsen 50m hinauf (II) zum braunen Wulst mit dem ominösen Fixseil, welches sich direkt in Falllinie der Schlucht befindet. Hier haben wir einen Standhaken am Fuss der Steilstufe des braunen Wulsts geschlagen und belassen.

Auf diesem Band quert man nach der 8. Stufe nach rechts. Es ist besser begehbar, wie man aufgrund vom Foto meint (T5).
Brauner Wulst mit Fixseil: die Steilstufe mit dem ca. 8m langen, an einem NH befestigten Fixseil bildet die klettertechnische Crux (VI oder VI+, alternativ A0 am Fixseil). Es bestehen keine weiteren Sicherungsmöglichkeiten, ein Sturz liegt nicht drin und der Fels ist mässig solide. Eine Bewertung ist schwierig, da man sich aus Sicherheitsgründen nicht die besten, sondern die solidesten Griffe auswählen muss (d.h. in freier Kletterei ca. VII obligatorisch!). Oberhalb vom Wulst einfacher in den ausgewaschenen Beginn der Schlucht klettern (IV, keine Sicherungsmöglichkeiten, heikel). Nach 45m Standmöglichkeit an Cams.

Blick vom Ende der Querung nach der 8. Stufe. Zuerst einfache Felsen, die zum braunen Wulst mit dem Fixseil führen. Oberhalb geht es dann in die Schlucht hinein, die vermeintlich zur Scharte zwischen den beiden Türmen leitet. Allerdings hält man sich in einem Kessel dann wieder rechts, der Grat wird erst viel später erreicht.
Der braune Wulst mit dem Fixseil (in voller Auflösung erkennbar) bildet die klettertechnische Crux auf der von uns begangenen Route. Wenn man diese vermeiden möchte, so muss man höchstwahrscheinlich auf dem Band unter dem braunen Wulst nach links queren, bis man über brüchige Felsen (im Profil sichtbar) auf den Turm in der linken Bildhälfte steigen kann.
Durch die Schlucht: nun ca. 100m in einfachem, teils schuttig-brüchigem Gelände durch eine Art Kessel zwischen verschiedenen Türmen durch die hier einfache Schlucht hinaufsteigen (II-III). Zum Schluss steilt sich diese wieder auf und weist mehrere Gufeln und Steilstufen auf (spezieller, kristallhaltiger und einigermassen solider Fels). In einer Seillänge von 50m (V, einige Sicherungsmöglichkeiten) zum Ende dieser Schluchtreihe bei einem Geröllplatz.

Dieses Foto wurde vom im Text erwähnten 'Kessel' aufgenommen. Der braune Streifen mit den dunklen Höhlen markiert den weiteren Aufstieg durch die 'Schlucht'. Hier auf dem Foto sieht's zwar nicht so schluchtmässig aus, in Realität passt der Begriff jedoch schon. Die Steilstufen aus den Höhlen heraus stellen logischerweise die schwierigsten Kletterstellen dar (V). Insgesamt aber schon gut machbar - links und rechts daneben sieht das Gestein schauderlich brüchig aus, einfacher wäre es dort bestimmt nicht.
Am Ende der Schlucht. Hier könnte man über diese Steilstufe nach oben gelangen (wohl ca. IV). Einfacher und vor allem schneller ist es jedoch, diese Stelle rechts zu umgehen. 
Hinauf zum Grat: rechtshaltend 20-30m aufwärts, und a) entweder direkt über die 10m hohe Stufe (V, wenig exponiert aber kaum Sicherungsmöglichkeiten) oder b) diese in einem Rechtsbogen über geneigt-schuttiges Gelände umgehen (III). Nun erst schuttig-lose nach rechts hinauf (I-II), dann rechts der markanten, zur Turmscharte führenden Rinne über eine Art Rippe in braunem Gestein hinauf zum Grat (ca. 100-150m, III).

Hier ist der braune Grat zu sehen. Unsere Aufstiegslinie verläuft über eine Rippe, welche den Grat rechts der Scharte rechts des markanten Doppelturms erreicht (im rechten Bildviertel zu sehen). Wenn man über den Grat geht, so wartet vom Doppelturm entweder eine schlecht eingerichtete Abseilstelle oder eine sehr unangenehm aussehende Abkletterei.
Da, aus dem Schatten, kamen wir her. Andere Seilschaften haben den Grat, der in der Sonne liegt, auch schon komplett begangen. Das ist ganz sicher zeitaufwändiger und wenn man den Beschreibungen glaubt, auf keinen Fall angenehmer oder sicherer wie der von uns gewählte Weg.
Über den Grat: dem Grat folgend in einfacher Kletterei (max. II) und teils in Gehgelände (T5) in 10-15 Minuten (ca. 200-300m) an den Fuss der Gipfelwand, ein etwas schwierigerer Turm wird dabei SE-seitig umgangen.

Das ist der obere, einfachere Teil vom braunen Grat, den wir ebenfalls begangen haben. 
Der letzte Teil vom Grat, der zur Schlusswand führt. Diese haben wir entlang der roten Punkte begangen.
Schlusswand: die wieder aus hellem, solidem Kalk bestehende Gipfelwand wird entlang einer rampenartigen, diagonal nach rechts ziehenden, weniger steilen Zone angepackt. Die ersten ca. 100m ist das Gelände gutmütig (III), geneigt und etwas schuttbedeckt. Man trifft auf einem H, ab diesem folgt eine sehr schöne Seillänge in gutem, rauem Gestein. Zuerst an Rissen und über Wandstellen hinauf (V), zuletzt mit einem Boulder athletisch nach links auf die geneigte Platte (V+, H) zu Stand an Cams (50m). Erneut athletisch über eine Stufe (IV+) und hinauf zum Grat (30m), den man wenig westlich vom Gipfelsteinmann erreicht.

Gutmütiges Gelände zu Beginn der Schlusswand (ca. III).
Gegen oben hin wird das Gelände an der Schlusswand nochmals steil und bietet schöne Kletterei (V).
Der letzte Boulder (IV+) wartet zu Beginn der letzten Seillänge.

Zum Schluss

Diesen Tourenbericht gibt's, was den von mir geschriebenen Text betrifft, identisch auf dem Portal hikr.org (klick!), zusätzlich findet man dort auch noch eine Einschätzung von meinem Tourenpartner Adrian sowie einige zusätzliche Fotos.