Angesagt war ein sehr sonniger und warmer Donnerstag. Auch der Wetterwechsel war bereits angekündigt, und damit das Ende der goldenen Oktobertage absehbar. Jonas und ich hatten die Möglichkeit für einen freien Tag, und diese Chance wollten wir gebührend nutzen. Nach Abwägen und Diskussion von vielen Vorschlägen entschieden wir uns, den Engelhörnern wieder einmal einen Besuch abzustatten und den Klassiker Kadenz (7a) zu versuchen. Falls danach Zeit, Kraft und Motivation noch ausreichten, stünden vor Ort auch einige sehr lohnende Kurzrouten als Ergänzung bereit.
Um 7.10 Uhr (Sommerzeit) trafen wir uns in Rotkreuz. Das war für die zweite Oktoberhälfte eher zu früh, denn wie sich später zeigte, erreicht die Sonne den Einstieg der Kadenz nicht vor 11.45 Uhr. Ich hatte mir eine frühere Zeit notiert, die gilt aber nur für den Sommer. Das Problem liegt nämlich nicht am Winkel, d.h. daran dass die Sonne erst um die Ecke kommen muss, sondern am Grat, welchen sie erst übersteigen muss. Und dies dauert im Herbst, mit dem tiefen Einfallswinkel, halt einfach länger. Anyway, wir nahmen es gemütlich, und so brachten wir die 4 Stunden zwischen Treffpunkt und Einstieg in die Route durchaus über die Runden.
Rosenlauistock Südwand mit der Route Kadenz. Die oberen SL sind perspektivisch etwas verzerrt. |
Der Zustieg beginnt beim um diese Jahreszeit verlassenen Parkplatz der Gletscherschlucht (P.1360) oberhalb von Rosenlaui. Man folgt dem Weg zur Engelhornhütte, von welchem unmittelbar nach P.1731, nach Überqueren der grossen Platte und zwei rechts-links-Kehren, vor einer Geröllrinne ein direkter Pfad zum Wandfuss abzweigt. Diese Abzweigung verschliefen wir, gingen weiter bis kurz vor die Hütte und wählten dann dort den gut ausgetretenen und in der LK verzeichneten Pfad, der unter der Rosenlauistock NNW-Wand durchführt. Um 10.30 Uhr erreichten wir nach rund 700hm Aufstieg den Wandfuss auf rund 2040m Höhe. Eine Seilschaft war bereits am Werk in der noch schattigen Wand, was ganz offensichtlich zu kalten Fingern führte. Auch ein weiteres Team von 2 Lokalmatadoren war bereits im Anmarsch. So machten wir uns bereit, um etwa 11.15 Uhr ging es los, noch immer ohne wärmende Sonnenstrahlen.
SL 1, 6c, 30m: die ersten 15m präsentieren sich noch eher einfach und vom Fels her noch nicht restlos überzeugend. Danach bietet die Route zwei Optionen: links die originale Linie (7a, nicht saniert), rechts der nachträglich gefundene, einfachere und heutige übliche Weg. Ich wählte letzteren, er bietet spannende Kletterei an guten Tropflochleisten. Es hat nicht allzu viele Griffe, sie liegen etwas weit auseinander, die Sache geht aber perfekt auf. Die Absicherung ist gut, aber nicht allzu üppig (ca. xxx/xxxx), dafür ist die Bewertung im Vergleich zum Rest auf der gutmütigen Seite, so ging das für mich problemlos. Am Stand treffen mich die ersten Sonnenstrahlen, da sind auch die etwas kühl gewordenen Fingerspitzen rasch wieder warm und bis aufs T-Shirt kann ich mich sogleich allen Kleidern entledigen.
Bereits vom Einstieg aus überzeugt das Panorama: Dossen (3138m), Rosenhorn (3689m) und Wellhorn (3191m). |
Dem Schatten entronnen: Jonas folgt in SL 1 (6c), welche in der oberen Hälfte schon perfekten Fels aufweist. |
SL 2, 6b, 30m: auch in dieser SL wurde nachträglich ein neuer Weg gefunden, an guten Griffen geht es in einer Rechts-Links-Schleife nach oben. Die Crux ziemlich athletisch zum Schluss an einem kleinen Wulst, der zwei originelle Löcher bietet.
Griffiger Auftakt in SL 2 (6b). |
SL 3, 6a+, 20m: kurze Seillänge, für die im Lauf der Zeit ebenfalls ein neuer Weg gefunden wurde. Sie startet mit einer sehr gut abgesicherten, etwas gesuchten Rechtsquerung auf einer Tropflochplatte. Danach trifft die Route mit der benachbarten Skalpell zusammen, schliesslich geht es nach links hinaus zum Stand auf einer Art Rampe.
Super Tropflöcher in SL 3 (6a+). |
SL 4, 6a+, 35m: anhaltende und steile Tropflochkletterei, irgendwie streng, gar nicht einfach oder etwa geschenkt. Sicher eine 6a+ der alten Schule, die erste SL fand ich jetzt auch nicht unbedingt schwerer. Vielleicht liegt es daran, dass die Crux gerade bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Skalpell ist, und man nicht so recht weiss, wo man langklettern soll...
SL 5, 6c, 15m: zwar kurze, aber nicht zu unterschätzende 2-Bolt-SL (nicht saniert, aber gut gesichert, xxxx) mit sehr technischer Kletterei an Auflegern und kleinen Tropflochgriffen. In einem schwach ausgeprägten Winkel muss man sich nach oben spreizen, schieben und pressen, der Ausstieg dann noch eine kurze athletische Sequenz an etwas rutschigen Auflegern.
Kurz, aber gar nicht schnurz: SL 5 (6c) |
SL 6, 7a, 30m: original ging es hier in 6b-Kletterei links ums Eck, im Laufe der Zeit wurde die Route aber dann entlang dem überhängenden, gutgriffigen und athletischen Riss gelegt. Nach rund 10m läuft dieser langsam aus, die Crux besteht darin, sich nach Rissende im gepumpten Zustand an mässigen Leisten, Auflegern und Seitgriffen im nicht mehr ganz so steilen Gelände oberhalb zu etablieren. Die Absicherung hier formidabel, wie im Klettergarten (xxxxx).
SL 7, 6a+, 25m: sehr schöne, fotogene und gut abgesicherte Seillänge in allerbestem, grau-rauem und griffigem Fels. Zwar auch kein Geschenk, aber von den Schwierigkeiten her jetzt doch eher etwas gutmütiger als die SL 2-4, fand ich.
Jonas kurz vor dem Top in der sehr fotogenen SL 7 (6a+). |
Um 14.15 Uhr erreichen wir den Ausstieg an der Kante. Das fiel mir irgendwie schwieriger als erwartet, von der erhofften Onsight-Begehung war ich in der Cruxlänge echt meilenweit weg. Warum? am Vortag hatte ich das schöne Herbstwetter noch genutzt, um eines meiner MSL-Projekte voranzutreiben, und dabei wie immer beim Bohren vor lauter Arbeit und Enthusiasmus weder ans Essen noch ans Trinken gedacht. Aus Zeitgründen fiel das Znacht schmal aus, das Zmorge ganz ins Wasser, und aus Vergesslichkeit blieb dann auch noch mein Lunch auf dem Rücksitz im Auto liegen.
Eigentlich esse ich beim Klettern selten viel, normalerweise stecke ich das auch gut weg. Es war auch nicht so, dass ich in diesem Fall extremen Hunger gelitten hätte. Doch dermassen unterzuckert sind die Arme irgendwann einfach kraftlos und die Finger gummig, und dann geht halt auch "nur" 7a nicht, da wird man durchaus auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das soll übrigens keine Ausrede sein, wer weiss, ob ich es mit vollem Tank denn geschafft hätte, denn die Cruxlänge fühlte sich echt nicht einfach an. Es ist aber einen Mahnung am mich selbst, mir die Zeit für einen seriöse Vorbereitung zu nehmen, da sich mangelnde Kalorienaufnahme einfach negativ auf die Leistung auswirkt. Und ein bisschen mehr zu essen um die Performance zu steigern ist ja jetzt nicht der Riesenaufwand...
Entlang der auffälligen Kante führt die Route Schiffsbug (6b) am Breitenbodenturm. Sicher auch ein attraktives Ziel! |
Nun stellte sich die Frage, wie es weitergehen sollte. Für das im Vornhinein anvisierte Ziel, die Zaubernadel (6c+) an der Tannenspitze war ich in diesem Zustand plötzlich gar nicht mehr so motiviert. So wurde das Seil schon in die Abseilverankerung geknüpft, mit der Absicht stattdessen die 4-SL-Tour Schiffsbug (6b) am Breitenbodenturm in Angriff zu nehmen. Bevor es abwärts ging, überlegte ich es mir aber nochmals anders. Das Seil wurde aufgeschossen, nach kurzer Gratkraxelei erreichten wir den Gipfel des Rosenlauistock, und nach einer Traverse waren wir auch schon bald am Einstieg der Zaubernadel. Um etwa 14.45 Uhr ging es los:
SL 1, 6a, 15m: Kurze Traverse nach links hinaus, zu Beginn eher dolomitisch anmutender Klötzlifels, der nach ein paar Metern in scharfen Nadelfels übergeht. Dort wartet dann auch die Crux, welche für den Grad auf der eher harten Seite angesiedelt ist. Die Absicherung mit vielen Bolts tadellos.
SL 2, 6c+, 25m: Die ersten Meter vom Stand weg gehen noch recht gut an prima Leisten, bevor die harte, aber eng gesicherte und nicht obligatorische Crux mit einer kräftigen Rechtsquerung an extrem scharfen Tropflöchern (autsch!) und schlechten Tritten wartet. Danach zweimal etwas Runout bei aber einfacherer 6b-Kletterei, zum Schluss dann noch eine wieder bestens abgesicherte, reibungslastige, Feng-Shui-like 6c-Traverse an den Stand.
Praktisch grifflose Reibungstraverse zum Schluss der Cruxlänge im Zaubernadel - SL 2 (6c+) |
SL 3, 6b+, 20m: Plattiges Gelände in bestem, silbergrauem Fels. Vom Stand aus sieht es echt schwer aus, es entpuppt sich dann aber als gängiger wie befürchtet. Man muss zwar schon mal kurz gut hinstehen, aber alles löst sich prima auf. Insgesamt eine (im Vergleich zum Rest) eher einfache und bestens abgesicherte 6b+. Dafür ist sie sehr fotogen!
SL 3 (6b+): Erst queren... |
...dann steigen - trust it, and it will hold you! |
SL 4, 6b, 30m: Phänomenal sieht sie aus, diese SL, und sie hält was sie verspricht. Achtung, das Anklettern des ersten BH ist echt heikel, er steckt (zu) hoch und ist auch noch mühsam zu klinken. Und wenn es nicht klappt, so stürzt man aus 5-6m Höhe auf das darunter liegende Band. War mir wirklich sehr unangenehm, aber ich habe es geschafft :-) Danach wartet aber hervorragender Henkelgenuss in leicht überhängendem Gelände. Die Abstände hier so, dass man durchaus etwas von der letzten Sicherung wegklettern muss.
Jonas auf den letzten Metern zum Gipfel der Tannenspitze: SL 4 (6b) |
Ich war zu diesem Zeitpunkt so platt, dass mir in der letzten Seillänge selbst an den positivsten 6b-Henkeln mehrmals beinahe die Finger aufgingen, doch auf dem letzten Blatt erreiche ich den Gipfel sturz- und pausenfrei. Jonas steigt nach, um 16.30 Uhr sind wir oben und alsbald machen wir uns ans Abseilen. Unter Ausnützung des ganzen 50m-Seils reicht es, wenn man sich etwas nach Süden Richtung Graspass hält, gerade in 1x runter auf festen Boden.
Über die eben per Abseilen bewältige Wand gäbe es noch eine tiptop aussehende, bestens abgesicherte 2-SL-Tour (6a+, 6c+) die im Sommer 2012 von Sepp von Rotz und Lorenz Wenger aus dem Dornröschenschlaf erweckt wurde. Da aber in 2 Stunden bereits die Dunkelheit hereinbricht, verschieben wir diese auf ein nächstes Mal. Mit der üppig sanierten Route Skalpell (7b) sowie zwei weiteren, vielversprechend aussehenden Neutouren im 7a-Bereich an der Südwand des Rosenlauistock war das bestimmt nicht der letzte Besuch in der Gegend - zumal ich in der Kadenz auch noch eine verbesserte Stilnote erzielen kann.
Abseilen von der Tannenspitze. Die Zaubernadel verläuft +/- links im Profil, ist aber viel steiler, als dass es auf diesem Foto den Anschein macht. |
Nach kurzem Fussabstieg (gut in Kletterfinken machbar) und einem kurzen 22m-Abseiler über den Liftwing (besser und bequemer den Kettenstand im Abstiegssinn rechts benützen!) sind wir bald retour bei unserem Depot am Einstieg der Kadenz. Für den Abstieg nach Rosenlaui wählen wir dieses Mal den direkten Weg, welcher uns mit einigen Kraxelpassagen (ca. T5, I) durch die einsame herbstliche Gegend in ungefähr einer Stunde retour nach Rosenlaui führt. Zufrieden mit dem Tag setzen wir uns ins Auto - war es das wohl mit dem alpinen Sportklettern im 2012, oder gibt es im November noch Nachschlag?
Facts
Rosenlauistock - Kadenz 7a (6b/6b+ obl.) - 7 SL, 185m - Ochsner/Abegglen/Lechner 1984 - ****, xxxx
Material: 12 Express, Keile und Friends nicht nötig
Zu recht ein Engelhorn-Klassiker mit steiler Kletterei in meist bestem Tropfloch-Fels. Die Schlüsselstellen fordern Athletik, aber auch die Technik. Die Absicherung ist im Zuge der Sanierung, bzw. in den neu gelegten Passagen durchwegs sehr gut ausgefallen, ja in den Cruxlängen gar klettergartenmässig. Dort sind die Schwierigkeiten nicht obligatorisch zu meistern. Die Vorstiegscrux befindet sich also wohl in der ersten Länge. Die Crux mag einigermassen zwingend sein, ist aber ein "petit 6c", so dass ich mir erlaube, die obligatorische Schwierigkeit entgegen den Angaben in der Literatur auf 6b/6b+ zu korrigieren.
Tannenspitze - Zaubernadel 6c+ (6b obl.) - 4 SL, 90m - K. & R. Ochsner-Baldinger 1988 - ****, xxxx
Material: 10 Express, Keile und Friends kaum nötig und einsetzbar
Sehr lohnende Kurzroute in bestem Fels, die vom Gipfel des Rosenlauistock rasch erreichbar ist und damit eine gute Ergänzung zu den Routen an jenem Berg bietet. Es wartet ein abwechslungsreicher Mix von Tropfloch-Crimperei, plattigen Passagen und steiler Ausdauerkletterei. Seit der Sanierung durch Ruth Ochsner und Beat Eggler im 2011, mit (gegenüber dem Originalzustand) vier zusätzlichen BH, kann die Absicherung als sehr gut bezeichnet werden, und der obligatorische Schwierigkeitsgrad dürfte sich auf rund 6b verringert haben. Einzig der "stürzen verboten"-Start der letzten SL wegen eines zu hoch steckenden Bolts fällt da leicht aus dem Rahmen.
Ein gutes, frei verfügbares Topo der beiden Routen findet man auf der Toposeite von verticalsport.ch.
Ein gutes, frei verfügbares Topo der beiden Routen findet man auf der Toposeite von verticalsport.ch.
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