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Dienstag, 19. März 2013

Eisklettern in Braunwald - HSK (WI5)

Pascal aus Quebec war bei Freunden auf Besuch. Er hatte extra sein Eiskletter-Equipment mitgebracht, um in der Schweiz eine Route klettern zu können. So kam die Anfrage zu mir, ob ich ihn denn dabei begleiten würde. Das war mir natürlich ein Vergnügen, und so verabredeten wir uns. Schon als ich beim Treffpunkt seine durch häufigen Gebrauch abgewetzten Eisgeräte sah, war mir klar, dass dies gut kommen würde. Ich hatte verschiedene Optionen vorbereitet, die Wahl fiel schliesslich darauf, in Braunwald an einem bisher undokumentierten Fall einen Versuch zu starten. Ich hatte einige Fotos davon zugesandt erhalten, somit war gewiss, dass Eis vorhanden war und der Fall vermutlich kletterbar.

Sicht auf die Wand unterhalb der Terrasse von Bergeten, wo sich die Route befindet. Hinten das Massiv des Ortstock.
Per Standseilbahn (8 CHF für Retourbillett mit Halbtax) ging es zügig, zusammen mit vielen Skifahrern, hinauf ins sonnige Braunwald. Dort schnallten wir die Skis an für eine kurze Abfahrt zum P.1209 oberhalb des Sanatoriums. Danach wurde angefellt, und über die weiss geräumte Fahrstrasse erreichten wir nach gut 1km den P.1252 bei Unter Stafel. Von dort dann gut 150hm hoch in schönem, sonnigen Tourengelände zum Einstieg bei den Koordinaten 716'760/199'280 auf rund 1420m (siehe Karte). Insgesamt hatten wir von der Bahnstation aus gerade etwa eine Stunde gebraucht, bis wir am Einstieg angelangt waren, wobei uns die Sonne ganz schön eingeheizt hatte. Der angepeilte Fall lag aber komplett im Schatten und versprach gute Bedingungen.

Oft ist es ja so, dass sich bei Eisfällen die Perspektive drastisch ändert, wenn man einmal am Einstieg steht. Das war auch hier ähnlich. Sah der Fall von weitem nur 2 bis maximal 3 SL kurz und eher einfach aus, so wurde sofort klar, dass eine längere Reise anstand, welche im oberen Teil auch nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten bieten würde. Und bereits die erste Seillänge würde eine ausgewachsene 50m-Stufe bereithalten, die von der Senkrechte gar nicht so viel entfernt war. Nachdem wir uns komplett angeschirrt hatten, konnte es um ca. 11.00 Uhr losgehen mit der Kletterei.

Der Fall von nahe, mit der von uns gekletterten Linie.
SL 1, 50m: Ich übernahm fürs erste die Führung. Wir entschieden uns für maximalen Genuss ganz links unten einzusteigen. Bald einmal wurde klar, dass die Bedingungen gar nicht so formidabel waren. Das Eis war teilweise etwas morsch, mit Luft- und Schneeeinschlüssen. Und was von weitem dick und kompakt aussah, war stellenweise eine recht dünne Schale, die nicht immer perfekt mit dem Untergrund verwachsen war. Dennoch gab es genügend Stellen, an denen zuverlässige Schrauben gesetzt werden konnten. Die Steilheit meist so um 75 Grad rum, mit zwei längeren Stellen von 80 Grad. Nach genau 50m erreichte ich die erste Verflachung und machte Stand. Bei den vorherrschenden Bedingungen hätte ich die Länge als einen knappen Vierer eingeschätzt. Bei perfektem Eis evtl. auch etwas leichter, und alternativ könnte man auch ganz rechts aussen/oben einsteigen, so wären Neigung und Schwierigkeiten bestimmt geringer und die Länge wohl nur 30m.

Pascal folgt in SL1, das Topout daselbst etwas zugeschneit.
SL 2, 60m: Nun war Pascal an der Reihe, 20m weit ging es in moderatem, 60 Grad steilem, aber wiederum nicht besonders gutem Eis weiter bis auf das grosse Schneefeld, das mit 35-40 Grad Neigung an den oberen Wandteil hinanführt. Als Bewertung könnte man hier vermutlich ca. WI2 angeben. Stand macht man im Eis am Beginn des oberen Wandteils. Vorsicht auf Eisschlag von oberhalb in den Felsen hängenden Zapfen!

Pascal on lead in SL 2.
SL3, 50m: Diese Länge zum Beginn der Säulen schien von weitem gar nicht sonderlich schwierig. Auch wäre sie grösstenteils mit mehrheitlich 65-75 und vor dem Ausstieg kurz 80 Grad nicht besonders steil. Allerdings war das Eis hier bei den letzten Schneefällen eingeschneit worden und mit dem Spritzwasser von den Säulen anschliessend wieder überfroren. So musste ich diese Kruste in mühsamer Arbeit aufbrechen und abräumen. Das war aber schon möglich, und ich konnte schliesslich am Sockel der mittleren Säule Stand einrichten. Rein aufgrund der Neigung ginge diese SL als WI3/3+ durch, mit den schlechten Bedingungen war es aber gefühlt schon auch sicher WI4-.

Harte Arbeit in SL3. Wobei, nachdem die Kruste mal abgeräumt war, ging es sicher schon viel besser.
SL4, 50m: Und jetzt kam das Pièce de Resistance: auf dem Foto hatte diese Säule popelig ausgesehen. Halt wie ein kurzes, senkrechtes Stücklein, das man rasch macht. Hier war aber nun klar, dass 20 absolut kompromisslos vertikale Meter in röhrigem Eis zu bewältigen waren. Den Plan, die etwas kürzere mittlere Säule zu begehen und mit einer Querung ins einfachere Eis auszusteigen verwarf ich ob den überhängenden Blumenkohlen und Blüten sogleich. Pascal meinte, dass er die Führung gerne an mich abgeben würde. Die Ungewissheit nagte auch an mir, aber mit dem Selbstvertrauen der kürzlich begangenen, steilen Fälle, den neuen Eisgeräten, dem Motto "Schritt für Schritt" und notfalls dem Rasten an Eisschrauben würde es schon gehen. So kämpfte ich die Stufe (ohne an Schrauben zu pausieren) nieder, rammte meine Pickel bombenfest ins Eis, verbrauchte in kraftraubender Arbeit fast mein ganzes Arsenal an Schrauben, um schliesslich den Schock meines Lebens zu erfahren... Als ich zu einem kraftvollen Pickelschlag ansetzte, gab die Säule ein markerschütterndes, sehr lautes "Knack" von sich. Irgendwo war diese 20m hohe, 8m breite und 3m dicke Säule gerissen. An welcher Stelle konnte ich jedoch nicht ausfindig machen. Behutsam kletterte ich weiter, um dann an der ersten geeigneten Stelle einen Abseilpunkt einzurichten.

Sie warten auf ihren Einsatz an der Säule. Aus naheliegenden Gründen gibt es davon keine Action-Fotos...
Das Ende der Tour war nach fast 5 Stunden Kletterei erreicht. Pascal war ob dem Knack die Lust auf ein Nachsteigen gründlich vergangen, er wollte das Risiko nicht herausfordern. Somit bliesen wir zum Heimweg, an einer Mischung von Abalakovs und natürlichen Fixpunkten ging es rasch und problemlos zurück an den Einstieg. Immer wieder stellten wir uns die Frage, warum eine solche, massive und gut verwachsene Säule knacken konnte. Der Teufel liegt wohl im Detail: der am Fels gewachsene Teil oberhalb war etwas hinterspült (was natürlich von unten nicht sichtbar war). Auffallen können hätte einzig, dass die Säule an der Aussenseite trocken, innen hingegen etwas feucht war. Aber naja, nachher ist man natürlich immer schlauer. Um Erfahrungen und ein eindrückliches Erlebnis reicher machten wir uns auf dem Heimweg. In schönem, feuchtem Pulver kurvten wir hinunter zum P.1252, von da ging es, mit erst ganz wenig Stockeinsatz, danach in rasanter Fahrt retour zum P.1209. Kurzer Fussaufstieg zur Station, und da die Lifte eben Betriebsschluss hatten, mit einer Viertelstunde Wartezeit retour nach Linthal. Das Fazit von Pascal war klar. Eisklettern in der Schweiz ist anders als bei ihm zuhause, ja gar scary stuff: hohe Berge, alpine Gefahren, qualitativ mässiges Eis und dann erst die knackende Säule. Trotzdem war es natürlich ein extrem eindrücklicher und auch lehrreicher Tag für ihn.

Schon auf dem Rückweg. Sicht auf den oberen Wandteil, unsere Route führte über die rechte der 3 Säulen.
Facts

Braunwald/Bergeten - HSK - III, WI5, 210m - M. Dettling & P. Blanchette, 24.2.2013

Der Fall ist im Führer Hot Ice - Band Ost (Urs Odermatt, 2012) nicht erwähnt, nur der Bergetenfall ca. 500m südlich davon hat Eingang gefunden. Auch sonst konnte ich keine Berichte von Begehungen in Erfahrung bringen. Allerdings ist der Fall von Braunwald aus ein gut einsehbar und stellt eine logische, gut zugängliche Linie dar. Möglicherweise wurde er bereits früher begangen. Sollte uns dennoch die Ehre zustehen, der Tour einen Namen zu verleihen, so bietet sich "Hopp Schwiiz Kanada" perfekt an. Den richtigen Ton im Ohr dazu findet man hier...

Vom Charakter her könnte man sagen: lohnender 4SL-Fall an schöner Lage mit moderatem Zustieg. Die Ausrichtung ist NNE, in den frühen Morgenstunden etwas Sonne. Wohl meist jeden Winter gute Bedingungen im Januar und Februar. Lawinengefahr droht kaum, die von den Säulen und den am Fels hängenden Zapfen ausgehende Gefahr ist im Text beschrieben. Der Zustieg dauert eine knappe Stunde, Skis sind durchaus zu empfehlen und verkürzen auch den Rückweg ziemlich. Natürlich ist der Anmarsch auch mit Schneeschuhen gut machbar. Eine Vergleichstour in Bezug auf Charakter und Schwierigkeit ist meines Erachtens der Azzurro im Zanai.

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