Hinweis vom 14.6.2021: Der Deckel der Wandbuchdose hat leider das Zeitliche gesegnet (das Buch selber ist z.Z. noch intakt)! Vielleicht ergibt es sich ja, dass jemand eine neue Dose oder einen Deckel mitnimmt. Material könnte bei mir bezogen werden, bzw. ich kann Infos geben was in die Verankerung passt (--> mdettling@bluewin.ch).
Die 7 Churfirsten zwischen Walensee und Toggenburg sind mit ihrer pultartigen Struktur ein besonderes und einprägsames Gebirge. Den Kletterer sprechen dabei natürlich die steilen Südwände an. Es handelt sich um ein landschaftlich sehr eindrückliches Gebiet, das fantastische Tiefblicke offeriert. Auch wenn der Fels leider nicht an allen 7 Gipfeln von bester Qualität ist, so finden sich dennoch zahlreiche lohnende Kletterfahrten. Der Gipfel in der Mitte, der Zuestoll, bietet dabei die schönste und homogenste Wand. Seine steilen Routen in meist hervorragendem Kalk werden oft begangen und können punkto Erlebniswert und Kletterei mit Wendenstöcken und Rätikon mithalten.
Die Zuestoll-Südwand nimmt dabei in meiner Kletterkarriere einen besonderen Platz ein. Schon früh wurde ich in den eher abenteuerlichen Tippel Tappel mitgenommen, bald darauf war die Chico Mendez meine erste, steile alpine Sportkletterroute im Grad 7a. Jahr für Jahr statteten wir der Wand unsere Besuche ab, so dass ich eine um die andere Route kennenlernen konnte. Ein für mich wichtiges Kapitel konnte ich anno 2009 mit der Rotpunkt-Begehung der Chico Mendez abschliessen. Dafür aber ging auch ein neues auf: die Idee für eine Neutour durch den zentralen Teil der Wand hatte sich nach und nach herauskristallisiert. Allerdings dauerte es dann doch noch bis im Frühling 2011, bis ich der Sache auf den Grund ging. Beim Abseilen über die Wand, unter Benützung bereits vorhandener Stände, konnte ich mich von der Qualität und Machbarkeit der Linie überzeugen. Zum Haken setzen bin ich an diesem Tag nicht mehr gekommen, doch 2 Tage später wurde das Projekt gestartet.
Die Südwände von Brisi (links) und Zuestoll (rechts). Bild von HBT @ hikr.org. |
Einerseits aus der Überzeugung heraus, hier genau meine Linie in meinem Stil erschliessen zu wollen, andererseits in Ermangelung an geduldigen und alpintauglichen PartnerInnen, die hier nur zum Sichern mitkommen wollten, reifte die Idee, die Route im Alleingang einzurichten. Das mag verwegen tönen, ist aber schliesslich halb so schlimm. Selbstverständlich wird dabei seriös gesichert - dank doppelter und dreifacher Redundanz ist das Risiko in diesem Stil womöglich sogar geringer als in Seilschaft. Zu meinem Vorteil war natürlich die Tatsache, die aktuelle Vortriebsstelle jeweils bequem vom Gipfel her kommend erreichen zu können, und so auch bereits Kenntnis über den weiteren Verlauf bzw. Rhythmus und Schwierigkeiten der Route zu haben. Gebohrt wurden die Haken im selbstgesicherten Vorstieg, zumeist aus der Kletterstellung, eher selten einmal unter Zuhilfenahme eines Cliffhangers.
Nochmals ein Blick auf die ebenmässige Zuestoll-Südwand. Fantastisches Klettergelände! |
Mit Anfahrt, Zustieg und den ganzen Seilmanövern war mein Vorankommen natürlich höchst eingeschränkt und es gelang mir kaum, an einem Tag mehr als eine Seillänge zu erschliessen. Und wie es dann so geht, mit anderen Prioritäten, Projekten und Schlechtwetter zog die Zeit ins Land. Über 2¼ Jahre verstrichen schliesslich, bis ich die letzten Haken einbohren konnte. Schon tags darauf wurde dann zur Rotpunkt-Begehung geschritten. Unsere Freunde Manuela & Basti wollten parallel die Alte Süd begehen. Nach zweimaligem Besuch von Grosseltern, um alle Kinder in Obhut zu geben, wurde es schliesslich 11.15 Uhr, bis wir am Einstieg bereit waren. Ich war natürlich super gespannt, die ganze Tour einmal komplett und relaxt mit bereits montierten Bohrhaken begehen zu können. Andererseits spürte ich auch einen gewissen Druck, ja keine Fehler zu machen. Schliesslich kommt man hier oben nicht alle Tage für einen Rotpunkt-Versuch vorbei, und um in den Seillängen zweite, dritte und vierte Go’s anzubringen war die Zeit knapp, denn ich wollte ja meine Freunde nicht warten lassen, zudem waren für den Abend auch einige Schauer angesagt.
Routenverlauf mit Schwierigkeitsgraden |
SL 1, 40m, 3a: der Vorbau ist den meisten Südwandrouten gemeinsam. In etwas grasigem, nicht immer zu 100% solidem Fels geht es hinauf auf den Pfeiler. Während man hier früher mit 1 BH und 1 NH auskommen musste, stecken seit den Sanierungen der Südwandrouten nun 5 BH, so dass es deutlich weniger herb ist.
SL 2, 25m, 6b: nach wenigen noch etwas rustikalen Metern geht es los. Erst steile Kletterei an Löchern und sonstigen coolen Griffformen, welche auf eine Platte überleiten. Die Reibung dort hervorragend, so dass man sich auf kleinen Noppen, Löchlein und Leistlein höher schieben kann. Hier dürften je nach Talent für solche Kletterei ziemliche unterschiedliche Bewertungen ausfallen. Schwerer wie 6b nach Plattenmassstäben ist’s aber kaum.
Kompakte Plattenkletterei in SL 2 (6b). |
SL 3, 20m, 7a: vom Stand weg hinauf einem Riss entlang, der durch die Platte zieht. Nach einem Rastpunkt an dessen Ende zieht man an Untergriffen anstrengend nach rechts hinaus, die Füsse per Gegendruck auf der Platte. Mit zwei, drei weiten Moves leitet man die entscheidende Passage über den Wulst hinauf ein, an ein paar Seitgriffen und mit guter Fussarbeit wird er überwunden. Ich denke, dass diese SL eine leichte 7a sein könnte, womöglich ist es auch nur 6c+, vermutlich aber nicht sehr onsightfreundlich.
In der Crux von SL 3 (7a) |
SL 4, 20m, 6c: nach kurzem Auftakt wartet ein 1m-Dach: ist der Henkel einmal gefunden, bietet es sich ideal zum Cliffhanger-Stunt an. Dabei aber nicht zu viele Kräfte verschiessen, denn es wartet nochmals eine knifflige Stelle. Nach dem nächsten BH klettert man nicht in die etwas unschöne Verschneidung hinein, sondern links hinaus auf die Platte (den nächsten BH kann man nur von dort klippen, die Kletterei ist auch nicht schwerer!). Zuletzt ein athletischer Wulst und kurze Querung nach links. In Summe gibt das 6c, oder vielleicht auch nur 6b+?!?
Am 1m-Dach in SL 4 (6c), die optimale Stelle für eine Cliffhanger-Pose |
SL 5, 30m, 6b+: vom Stand weg wasserzerfressenen Fels nützend hoch, dabei ist bis unters erste Dach hoch eine knifflige Stelle zu überwinden. Dann griffig über dieses Dach hinweg und unter den nächsten, steilen Wulst hoch. Hier die athletische Crux, gewusst wie geht die gar nicht schlecht, sie hat aber auch Sackgasse-Potential. Hat man diese Stelle geschafft, geht es in gerader Linie weiter, nochmals steil aber gutgriffig und für einmal etwas kühner. Ich schlage 6b+ vor, unter Umständen mit Tendenz zu mehr.
Kathrin folgt im oberen Teil von SL 5 (6b+) |
SL 6, 25m, 6c: einige einfache Meter führen zum schmalen Band, wo die 'Alte Süd' gequert wird. Danach geht's gleich zackig-athletisch los, in der leicht überhängenden Wand benützt man erst Seit- und Untergriffe, danach eine Rissspur in der seichten Verschneidung. Zuletzt dann eine kleine Zusatzaufgabe in bestem Fels nach links hinaus - wäre doch schade, wenn man hier ins Gemüse der 'Alten Süd' auskneifen würde, möglich wäre es aber. Durchaus etwas fordernd, daher Vorschlag 6c, solide.
Bester Fels in SL 6 (6c), der Stand dann auf einem bequemen Grasband. |
SL 7, 35m, 6b: hier ist man nun auf der Höhe der 'fantastischen grauen Mauer' der Chico Mendez. Und diese Seillänge 10m daneben ist wohl (fast?!) ebenso gut. Die Kletterei hier für einmal von eher technischer Natur und nicht besonders kraftraubend. Könnte man auch als 6a+ bewerten, wenn da nicht die coole Stelle am letzten BH wäre. Man kann sie vermutlich (weniger schön!) links umgehen, was ich aber nicht empfehlen würde.
Super Kletterei in SL 7 (6b), Kathrin klettert hier die finale Crux dieser Länge so wie es gedacht ist. |
SL 8, 35m, 6c: es wartet eine stark überhängende, athletisch-ausdauernde Passage. Erst grossgriffig, dann an Untergriffen und entlang von einem griffigen Riss gewinnt man an Höhe. Nach kurzem Verschnaufen nochmals kurz steil, dann mal fein und schliesslich erstaunlich einfach rechts der Chico-Mendez-Cruxzone vorbei. Ganz am Schluss in einfacher Kletterei nach rechts an den Stand, hier auf 2-3m nicht ganz bombiger Fels. Vermutlich eine solide 6c.
Unterwegs in SL 8 (6c). Bis auf die allerletzten Meter eine geniale Seillänge. |
SL 9, 40m, 6b: nicht nur zum Stand hin, auch vom Stand weg ist der Fels über ein paar Meter nicht von bester Qualität, aber doch griffig, genügend solid und problemlos. Aber bald ist's wieder einwandfrei. Über einen Henkel-Wulst hinweg gewinnt man schliesslich die Verschneidung, wo es einfacher dahin geht, bevor zum Schluss noch eine senkrechte Platte wartet. Die einfachste Linie grüsst hier kurz den 'Patriot', man kann es aber auch direkt klettern.
Kurz vor dem Ausstieg in SL 9 (6b), die Tiefblicke zum Walensee sind fantastisch! |
SL 10, 25m, 5b: zum Gipfel ist es nun nicht mehr weit, und rechtshaltend über Schrofen (T6, 3a) wäre man auch bald da. Direkt voraus ist aber auch noch ein Wändchen aus dem Kalksandstein der Garschella-Formation. Dieses ist jetzt nicht superduper, aber meiner Meinung nach dennoch eine nette, gut kletterbare Länge und damit der lohnendste Weg, um zum Gipfel zu gelangen.
Zum Schluss noch das Wändchen über die Garschella-Formation: SL 10 (5b) |
Um 16.15 Uhr hatten wir den Gipfel erreicht. Das mit der Rotpunktbegehung hatte bestens geklappt :-), somit war das Projekt bis auf das Zeichnen des Topos und das Schreiben des Berichts abgeschlossen. Nach einem Vesper hielten wir uns nicht lange auf und machten uns auf den Fussabstieg über den Nordrücken, die Kinder warteten ja schliesslich schon auf uns.
Facts
Zuestoll - Solitaire 7a (6b obl.) - 10 SL, 295m - Marcel Dettling 2011-2013 - ****; xxxx
Material: 10 Express, Keile und Friends nicht nötig
Tolle alpine Sportklettertour mit direkter Linie zum Gipfel, die sehr gut und vollständig mit Inox-Bohrhaken abgesichert ist. Es überwiegt steile, griffig-athletische Kletterei bei homogener Schwierigkeit, plattige Passagen sind rar. Der Fels ist generell rauh, griffig und von bester Qualität. Das Topo zur Route kann man hier downloaden.
Ab sofort kann man sich auf den Weg in die Solitaire machen! |
- Zustieg: den Einstieg erreicht man am besten von der Palisnideri, d.h. dem Sattel zwischen Zuestoll und Brisi, indem man auf exponierten Bändern horizontal durch die Wand quert (T5, 15min ab Palisnideri, die heikelsten Stellen sind mit BH und Fixseilen ausgerüstet). Zur Palisnideri gelangt man über nicht bzw. nur teilweise markierte Bergpfade entweder von Süden, d.h. Schrina Hochrugg P.1290 (T5, 75-90min) oder bequemer von Norden, d.h. von Langlitten P. 1579 auf der Alp Selamatt (T4, 45-60min, 10 CHF Taxe für die Zufahrt per Auto).
Die Querung über die Bänder zum Einstieg ist krass exponiert, aber gut gesichert und daher eigentlich problemlos. |
- Abseilen über die Route: ist problemlos möglich! Es geht sogar mit nur 1x70m-Seil, allerdings muss dann jeder Stand benützt werden. Mit 2x60m-Seilen gelangt man hingegen in nur 5 gestreckten Manövern (Stände 10/8/6/4/1) wieder zurück zum Einstieg. Natürlich kann man auch mit 2x50m-Seilen wieder über die Route zum Einstieg gelangen, allerdings ist dann je nach Alter bzw. Länge/Dehnbarkeit des Seils und der Bereitschaft dieses bis zum letzten Zentimeter auszunützen die Nutzung von weiteren Standplätzen notwendig.
- Andere Abseilstrecken: falls in der Route noch Gegenverkehr herrscht, so empfiehlt sich natürlich die Benutzung einer anderen Abseilroute. Dafür existieren gleich mehrere Möglichkeiten: 1) direkt vom Gipfel via Chico Mendez und einige separate Abseilstände (Topo), 2) etwa 15m westlich vom Gipfel im Bereich der Route Zauberspiegel (Topo) und 3) gibt es natürlich noch viele weitere 'Freestyle'-Möglichkeiten, die zahlreichen Standplätze in der Wand zu einer Abseilroute zu kombinieren.
- Taktik: für die meisten ist der Zugang von Norden am schnellsten und bequemsten. In diesem Fall kann man das Gear gleich beim Parkplatz montieren, läuft zum Einstieg, klettert inklusive der Zustiegsschuhe durch die Wand und steigt dann über den Wanderweg auf dem Nordrücken ab. Oder: doch einen Rucksack/Haulbag für Schuhe/Kleidung etc. mitnehmen und am Hilfsseil aufziehen, was in der steilen Wand gut möglich ist. Nachsteigen mit schwerem Rucksack ist in dieser steilen Route jedenfalls sicher wenig genussvoll. Steigt man von Süden her zu und muss nach dem Klettern zurück zur Palisnideri, so ist es am schnellsten und bequemsten, am Einstieg ein Depot zu machen und über die Wand abzuseilen.
Anstatt abzuseilen, kann man auch gemütlich über den Nordrücken zurück in Richtung Selamatt wandern. |
- Vergleich zur Chico Mendez: jene Route ist ja der Sportkletterklassiker in der Wand, ist sicher vielen bekannt und verläuft gleich nebenan. Felsqualität und Kletterei sind in der Solitaire ebenbürtig, die Absicherung einen Tick besser. Die Schwierigkeiten sind in der Solitaire homogener im 6bc-Bereich, während man in der Chico Mendez auch über längere Teilstücke im Bereich 6ab klettert. Zudem ist die Solitaire steiler und athletischer, was sich auch in der Crux auswirkt: die 7a der Solitaire ist für viele bestimmt deutlich zugänglicher als die kleingriffige Balance-Schlüsselstelle der Chico Mendez.
- Die hier vorgeschlagenen Bewertungen sind der Konsens von 4 Personen: neben meiner selbst sind dies Kathrin, und das erste Wiederholerteam Dani/Ilja. Während ich 190cm bin, ist Dani <170cm, Kathrin und Ilja sind beide knapp 180cm. Die Bewertungen haben natürlich nicht den Anspruch, zu 100% korrekt zu sein. Trotzdem sei gesagt, dass wir alle +/- zur gleichen Einschätzung kamen. Es ist übrigens so, dass Dani die Route problemlos onsight klettern und auch alle Bohrhaken gut einhängen konnte - dies nur um allfälligen Kommentaren in Richtung Körpergrösse vorzubeugen.
- Mein Tourenpartner Hans hat einen schönen Bildbericht zur 5. Begehung der Route geschrieben. Er beschreibt zwei Ausbrüche, welche meiner Meinung nach dem Faktor 'Pech' zuzuordnen sind. Der Fels ist in diesen zwei Seillängen (wie auch im ganzen Rest der Route, mit Ausnahme der kurzen, einfachen Zone bei Stand 8) sehr kompakt, und Ausbrüche sind auch ohne jegliche Vorsichtsmassnahmen beim Klettern sehr unwahrscheinlich. Den erwähnten Griff in SL 2 habe ich übrigens nie benutzt - ich denke, die einfachste Sequenz an jener Stelle kommt ohne diese Schuppe links aussen aus.
- Der erwähnte Bericht von Hans hat dann einen anonymen Schreiberling dazu veranlasst, auf gipfelbuch.ch einen negativ gefärbten Eintrag zu verfassen, welcher ohne jede Grundlage ist. Der dort erwähnte Versuch hat mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden. Folgende Indizien sprechen dafür: a) von der Erstbegehung bis zum Tag des Eintrags gab es genau 3 Tage mit trockenem, für den Zuestoll tauglichem Wetter. An jedem dieser Tage war eine Seilschaft in der Solitaire unterwegs, welche mir danach Bericht erstattet hat. Der abgebrochene Versuch wurde nie beobachtet. b) hätte der Autor die Route Zauberspiegel tatsächlich begangen, dann wüsste er, dass dafür weder Friends noch Keile nötig sind, bzw. überhaupt erst eingesetzt werden können. Brauchte man diese früher noch für den Ein- und Ausstieg über die Neue Süd, sind sie seit deren Sanierung nun vollkommen obsolet. c) befinden sich natürlich weder im Gipfel- noch Wandbuch Hinweise auf die erwähnte Zauberspiegel-Begehung. Mein Fazit: es handelt sich um einen Eintrag, der frei erfunden wurde, jeder Grundlage entbehrt und nur verfasst wurde, um mir ans Bein zu treten.
Das ausführliche Topo mit allen Detail-Informationen steht hier als PDF-Download zur Verfügung: klick!
Hiermit wünsche ich allen Wiederholern viel Spass! Ich freue mich natürlich über jede gelungene Begehung der Route!!!