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Mittwoch, 27. Juli 2022

Wendenstöcke - As de Coeur (7a A0)

Die gewaltige Arena des Reissend Nollen, das ist eine der Felswände in der CH, die man einfach einmal gesehen und beklettert haben muss. Seit meinem ersten Besuch für die Caminando anno 1999 hat es mich immer wieder dahin gezogen, um die gewaltigen Eindrücke und Tiefblicke aufzusaugen. Umso empfänglicher war ich natürlich für die Nachricht, dass die Route As de Coeur im 2019 mit modernem Material saniert wurde. Sie wurde 1986 als erste Linie in diesem Sektor in kühner Manier erschlossen und sollte dem Vernehmen nach mit erstklassiger Kletterei von typischen Wenden-Zuschnitt aufwarten - nur eben war sie mit einem Mix von stark veralteten, handgebohrten 8mm-Spits und Schlaghaken kaum mehr zugänglich. Nachdem die Sanierung vor Kurzem erneut kommuniziert wurde, liess sich Viktor in das Vorhaben einspannen und los ging's.

Die gewaltigen Felsmauern des Reissend Nollen mit Routenverlauf und Zustieg von As de Coeur.

Der Tag begann mit Aufstehen um 5.00 Uhr, einem Kaffeestopp unterwegs und gewissen Bedenken bei der Anfahrt über den Sustenpass. Es stand nämlich schon erste Quellbewölkung an den Kämmen, die weder in meinen Plänen noch in den Prognosen am Vortag ersichtlich war (immerhin gab Meteoschweiz die Fehlprognose zu). Für mich stellte sich die Frage, ob wir deswegen nicht ein alternatives Ziel an den Wendenstöcken oder gar an einem anderen Massiv wählen sollten. Doch die Kugel war schon ins Rollen geraten. Wir parkierten wiederum als einziges Auto auf der Wendenalp und schlugen um 7.50 Uhr den Weg taleinwärts ein. Tja, nicht nur die Tatsache, dass wir nun schon 2x einzig-allein kletterten zeugt von wenigen Besuchern - die Pfadspur nach Chalchstein war mühsam krautig zugewachsen, da würden ein paar zusätzliche Passanten definitiv nicht schaden. Zudem war das Gras auch noch nass, die Schuhe glichen bald einer Badewanne. Ab dem Abzweiger vor dem grossen Schneefeld waren die Spuren dann dank weniger Vegetation wieder besser sichtbar. Am Einstieg der Zambo vorbei ging's links hinaus und auf den letzten, abenteuerlichen Teil des Zustiegs durch die felsige Arena, was einige Kletterzüge im 2./3. Grad erfordert. Den Einstieg erreichten wir nach 1:30h Gehzeit, er ist dank verblichener Aufschrift und einem Stand mit altem und modernem BH gut auszumachen. Um 9.45 Uhr starteten wir mit der Kletterei.

Frisch geduscht (äh nein, natürlich nicht) und frohen Mutes (das hingegen schon) geht's dem Reissend Nollen entgegen.

L1, 60m, 6a, 5 BH: Haken sind ab dem Start keine zu sehen, es geht aber erst mal rechtshaltend über eine Art Rampe aufwärts in Richtung des nullten Standes von Millenium. Eine (rote) Reepschnur in 2 SU nach ca. 15m markiert den eigentlichen Start in As de Coeur, wer nur 50er-Seile hat, muss hier nochmals Station machen. Linkshaltend klettert man dann über sehr schöne, tief eingeschnittene Wasserrillen. An sich nicht so schwierig, der Grad von 6a passt und die 5 BH gab's vor der Sanierung vermutlich auch noch nicht. Dennoch, üppig gebohrt fühlt es sich nicht an, die Crux befindet sich am Ende zwischen den Haken, das Seilgewicht stört durchaus schon etwas und wie ein Sturz in diesem messerscharfen Gestein enden würde, will man sich gar nicht erst ausmalen. Mit grossen Cams (#2-4) könnte man evtl. zusätzlich absichern.

Super schöner Wasserrillenfels in L1 (6a), die Kletterei eher schwieriger wie das Foto suggeriert.

L2, 45m, 6a, 5 BH: Im ähnlichen Stil wie zuvor geht's weiter, hier warten die anspruchsvollsten Passagen auf der ersten Hälfte der Seillänge. Die Absicherung auch hier mit Blick auf die Perspektive nach unten knapp genügend. Der zweite Teil dieses Abschnitt führt dann in einfacheres Gelände. Man folgt einer Art Rampe (Seitenwand des Pfeilers) mit etwas brüchigem Gestein aufwärts mit einem grossen Runout bis zum gut sichtbaren Stand.

Erste Hälfte schöne Wasserrillen, zweite Hälfte etwas chossy heisst es in L2 (6a).

L3, 40m, 6c, 10 BH: Ab hier geht's los mit der Hauptwand, die Steilheit legt merklich zu und der Fels ist von einer unglaublichen Kompaktheit und Güte. Etwas links hinaus führt die Linie zuerst und man nimmt sogleich wahr, dass die Sanierer sämtliche Bolts neu positioniert haben. Schon ab dem ersten Meter ist man hier gefordert und über kurz oder lang stellt sich einem eine heftige, mit der neuen Absicherung zu 100% zwingende Stelle in den Weg. Es heisst, sehr mutig auf abschüssigen (aber extrem rau texturierten) Reibungstritten anzutreten und minimale Schüppli und Sloper zu bedienen. Diese Passage hätten wir als die Crux von L3 bezeichnet, aber es lässt auch danach fast keinen Millimeter lugg. Die Kletterei ist durchgehend fordernd, sehr tüftelig und zeitraubend. Meist denkt man zuerst "jetzt geht's definitiv nicht mehr", bevor man dann doch wieder für ein paar Zentimeter Fortschritt sorgen kann.

Fantastische Kletterei in einer unglaublich kompakten Wand mit Fels der Extraklasse: L3 (6c).

L4, 45m, 6c, 11 BH: Exakt im gleichen Stil wie in L3 geht's weiter. Superkompakter Fels, fordernde Kletterei, zwingende Absicherung. In diesem Abschnitt präsentieren sich zu Beginn einige Löcher, die ziemlich gute Griffe hergeben. Aber irgendwann ist damit definitiv fertig und man bedient sich wieder minimalen Schlitzen, Tropflochkratzern und rauen Slopern. Nach einer Weile gingen mir Raum- und Zeitgefühl völlig verloren, so eingetaucht war ich in diese Welt. Den Fokus auf das 'Vorwärts' zu legen ist bei dieser Art der Kletterei aber durchaus zentral. Klar, die Route ist saniert, 11 BH auf 45m sind nach Wenden-Massstäben vielleicht sogar üppige Absicherung. Aber würde man in einem Klettergarten diese Hakenzahl bei dieser kontinuierlich schwierigen Art der Kletterei auf der Hälfte der Distanz finden - niemand würde es als übertrieben bezeichnen. Anyway, die Klimax dieser Länge kommt gegen das Ende hin - so richtig taff, wie schon L3 nach modernen Massstäben wohl eher bei 7a als 6c. Der Stand dann auf einem leidlich bequemen, schuhbreiten Band, weniger Meter links befindet sich eine Station von Dingo. Zu erwähnen ist noch, dass die Route hier bis knapp an den markanten (bei Schneeschmelze und nach feuchten Perioden aktiven) Wasserstreifen zentral an der Wand heranführt. Für die Moves vom letzten BH zum Stand nutzt man dann auch Griffe, die dunkelgrau gefärbt und etwas staubig sind, d.h. bei ungünstigen Verhältnissen feucht sein könnten.

Next Level an kompaktem Fels - kaum zu glauben, dass das frei geht und das dann auch noch für nur "6c" 😂.  Animierte Impressionen aus diesem Abschnitt mit einem am Limit kämpfenden Viktor und dem Originalton des Autoren gibt's in diesem Reel auf Instagram (Ton einschalten!). 

L5, 30m, 6a+, 6 BH: Grosse Querung, die über den Parcours von Millenium hinweg führt. Erst geht's rechts hinaus, dann über 4 BH aufwärts. Die alte Linie führte wohl einige Meter links der Bolts in zwar einfacherem Gelände, das aber wirklich echt brüchig ist. Denke hier ist es absolut sinnvoll, in direkter Linie über die Haken zu klettern, was dann aber den Rahmen einer 6a+ sprengt. Nachher quert man dann horizontal bzw. sogar wieder etwas absteigend nach rechts und hält sich dabei unterhalb vom Stand der Millenium an die schönen, rostfreien Bolts. Auch diese Querung hat es in sich und ist zumindest eine (UIAA 7-) à l'ancienne, oder vielleicht auch mehr.

Gut festkrallen zwingend nötig - auch in L5, die nur mit "6a+" bewertet ist.

L6, 40m, 6b, 10 BH: Wow, da wartet nochmals eine richtige Erlebnisreise! Der Fels ist hier ganz speziell mit vielen dunklen, extrem scharfkantigen Einschlüssen. Diese Mikrokratzer sind zwingend als Griff und Tritt zu nutzen - sie (auch deutlich über den Haken!) voll zu belasten erfordert etwas Nerven, da solche kleinen Strukturen ja auch gerne abbrechen. Das scheint hier aber anders, wirklich jede noch so kleine Winzigkeit hielt der Belastung stand. Die Kletterei ist über weite Strecken auf der fordernden bis sehr fordernden Seite - für uns per nullo einfacher wie in L2/L3 und ich war mir unterwegs eigentlich sicher, dass wir die Position der Standplätze auf dem Topo fehlinterpretiert hatten und dies definitiv schon die 6c+ sein müsse. Tja, so kann man sich täuschen - selbst an den Wenden (und das will etwas heissen) figuriert diese Länge unter den Top-Kandidaten für die härteste "6b" 😳.

Hier sind die schwarzen Einschlüsse, die so typisch für den Sektor sind, gut sichtbar (L6, 6b).

L7, 30m, 6c+, 9 BH: Das (=ein Irrtum im Lesen des Topos) war dann aber doch nicht der Fall, die nominelle 6c+ kommt wirklich erst hier und zeichnet sich gegenüber vorher durch zunehmende Steilheit aus. Ebenso wechselt der Fels etwas seinen Charakter. Bis dato gab's nach den Wasserrillen ja durchgehend die graue, vertikale Wand, neu säumt eher gelbes Gestein mit scharfen Kanten und Tropflöchern den Weg. Hier ist die Absicherung nun etwas enger, bis auf einen Runout in einfacheren Terrain mittig und zum Stand hin ist sie sportklettermässig. Die Hauptschwierigkeiten konzentrieren sich auf eine heftige Einzelstelle, der Rest kam uns für die ausgegebene Bewertung nicht gleich hart vor wie die Längen davor.

Den Cam am Ende von L7 (6c+) habe ich gerne platziert - da heisst es nochmals Einsatz zeigen!

L8, 25m, 7a A0 (oder 7b+ ???), 7 BH: Tja, dann also hinein ins Vergnügen. An dieser Position stellt sich eine deutlich überhängende Wandpartie in den Weg, welche zusätzlich auch noch mit eher suboptimalem Gestein aufwartet. Der erste Zwischen-BH ist direkt ab dem Stand zu klippen, danach heisst es aber erst mal Klettern! Mit einer grossen Linksschleife erreicht man den nächsten, crumbly feet, abschüssig scharfe Sloper und ein heikler Mantle gehören ins Programm - diese Stelle ist absolut zwingend zu klettern, A0/A1 geht da gar nichts. 6b?!? Maybe, aber sehr hart und psychisch, es droht ein grösserer Pendler fast direkt in den Stand. Ist einmal Bolt #2 erreicht, so geht's von Haken zu Haken erst noch passabel voran. Zum Klettern wäre es schwierig und in schiefrig-glattem Gestein unschön, bald einmal in direkter Hakenlinie de visu auch nahezu unmöglich. Ich wage zu behaupten, dass es mit Klippen aller BH niemals als 7b+ zu haben ist - evtl. wenn man über links, abseits der Haken an ein brüchiges Dach ausweicht, aber das ist dann definitiv nix für Otto Normalverbraucher. Der hat hoffentlich sowieso Kraft gespart, denn schon zum letzten BH heisst es wieder ein paar Züge zwingend zu klettern und von diesem Weg warten dann noch 5-7m zum Stand. Die Moves vom letzten Silberling weg haben es dabei gehörig in sich, es wartet eine harte Passage, bis endlich ein Henkel und ein Riss (Cams nützlich!) erreicht sind.

An etlichen Standplätzen in der As de Coeur wurde nur 1 neuer BH gesetzt, einzig die Abseilstellen im oberen Teil der Route selber sind mit 2 neuen, verbundenen BH ausgestattet. Im unteren Teil der Route nutzt man dann beim Abseilen teils Stationen von Millenium oder separate Abseilstände, welche mit älterer Ware (verzinkte Anker, rostfreie Laschen) ausgerüstet sind und wo eine Erneuerung auch kein Fehler wäre.

An diesem Punkt endet unsere Begehung. Es ist schon 18.30 Uhr abends, die Zeit würde sowieso knapp. Vor allem aber ist die Haut durch, so dass man die Griffe schon fast nicht mehr berühren will, die Kraftanzeige steht definitiv auf 'low' und bereits reichlich unterzuckert gibt's auch ein ziemliches Stimmungstief: Schnauze voll vom ewigen Hängen an den unbequemen Ständen, vom Frieren wegen dem lästigen thermischen Aufwind und einfacher würde es laut Topo und den visuellen Eindrücken auch nicht werden, nochmals eine "6b" und eine 7b A0 wären bestimmt nicht billiger zu haben wie die unteren Seillängen. So fädeln wir halt die Seile, gleiten innert Kürze pendelnd über die überhängende L8 hinunter, die uns im Aufstieg viel Überwindung, eine kleine Ewigkeit und zig Anläufe gekostet hat. Nachher geht's dann super zügig, mit nur gerade mal 4 bis ans Seilende ausgereizten 60m-Manövern ist man zurück am Einstieg. Ab da wartet eine kurze, exponierte Abkraxelstrecke, den Vorbau seilen wir in 3x50m über Spasspartout ab (Zugang zu dieser Abseilstelle auch bequem mit einem weiteren Manöver vom Stand zum Beginn des Schlussteils von Zambo möglich, siehe das dortige Topo). 

Am 'abegwaggle' im Bereich des mühsam hohen Krauts, immerhin war es nicht mehr so feucht.

Einmal am Wandfuss angekommen, ramisieren wir unsere Ware zusammen, verpassen der Zambo-Aufschrift noch etwas neue Farbe und trotten dann müde dem Tal entgegen. Es ist uns gerade recht, dass der Abstieg von da deutlich leichter zu haben ist wie jener vom Mähren. In der Gegend von 21.00 Uhr sind wir zurück am Parkplatz und beraten noch eine Seilschaft, welche am nächsten Tag ihre Wenden-Première in Excalibur plant. Es bleibt uns nur noch das Heimfahren, etwas Essen und nach Mitternacht dann, für ein paar Stunden ins Bett, bevor am nächsten Morgen bald wieder der Wecker schellt und die Pflichten für Familie und Arbeit rufen. Ja, so ein Wendentag ist schon immer eine taffe Sache und vor allem hat er auch wieder einmal die persönliche Grenze ausgelotet. Allerdings, so viel ist gewiss: es hat enorm Spass gemacht - das Feeling beim Durchstieg von L3 und L4 war so genial, diese enorm kompakte Wand mit gerade so viel bzw. eben wenig Struktur, dass es noch möglich ist, dieser Fokus auf den Moment und den Weg nach oben - hm ja, eigentlich könnte man dafür ja auch wieder einmal anreisen. Ebenso war übrigens das Wetter bzw. die Wolken schlussendlich weniger ein Faktor wie befürchtet - dennoch war es wieder mal ein Wenden-Tag, wo man (wie so oft) mehr gefroren als geschwitzt hat.

Facts

Wendenstöcke/Reissend Nollen - As de Coeur 7a A0 (6c obl.) - 11 SL, 420m - ****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-0.75 (evtl. 1-4 für SL 1 & 2)

Eine Route aus der frühen Sportkletter-Erschliessungsgeschichte (P.A. Steiner, F. Studemann, 1986), die durch die Sanierung (S. Chatelan, B. Studemann, 2019) aus dem Dornröschenschlaf geholt wurde. Die Sanierer charakterisieren sie als "grandiose Route, die sich zum Wenden-Klassiker entwickeln könnte und möglicherweise sogar oberhalb von Caminando einzuordnen ist". Tatsächlich bietet die Route absolute Perlen von Seillängen, die auch alpenweit herausragend sind. Andere Abschnitte sind weniger schön und/oder erfordern für den Normalverbraucher A0-Gehampel. Die Route ist absolut nicht zu unterschätzen: einerseits sind die Bewertungen sehr hart bis unrealistisch tief, die Sache ist sehr anhaltend und trotz nur 11 Seillängen warten stolze 420 Klettermeter. Mit einer 6b obl. kommt man in dieser Route sicher nicht durch, auf mindestens 6c obl. (oder mehr?) muss man sich auf jeden Fall einstellen - die Route ist anspruchsvoller wie Caminando und Millenium und (in Bezug auf eine komplett freie Begehung, nicht die Absicherung) sogar wie die Tsunami. Die Absicherung wurde bei der Sanierung komplett neu konzipiert. Während in den einfachen, früher gefährlichen Seillängen mehr Sicherungspunkte gesetzt wurden, nahm deren Zahl auf den schwierigen Seillängen ab. Die Route dürfte gegenüber dem Originalzustand also wesentlich weniger gefährlich, dafür aber anspruchsvoller sein. Das Bolting ist solide, aber immer ziemlich zwingend gehalten - hin und wieder gibt's auch die Emotion, dass man 1-2m über dem letzten Haken steht und ein Klipp durchaus angenehm schiene. Aber da gibt's dann halt nur die alte, nicht mehr nutzbare Bohrkrone, zum nächsten Silberling muss man sich nochmals für 1-2m in den Hintern kneifen. Kleine Cams (0.2-0.75) fanden wir an diversen Stellen durchaus hilfreich, für die ersten beiden Wasserrillen-Seillängen würden grosse Exemplare evtl. helfen, um die Abstände zu verkürzen (nachher braucht man diese sicher nicht mehr). Topo, Wandbild und Text von der Sanierung findet man bei rebolting.ch. 

Hinweis: man interpretiere meine Zeilen keinesfalls als Kritik an den Sanierern und ihrer Arbeit. Es ist ihnen ein sehr grosser Dank auszusprechen für den enormen Einsatz, den sie geleistet haben. Als Wiederholer ist es dann sehr leicht, mit gutgemeinten Vorschlägen zu kommen oder über schlechtes Bolting zu schimpfen. Das liegt mir absolut fern - das Sanierungsziel, aus der As de Coeur eine solide abgesicherte, aber homogen anspruchsvolle Route im typischen Wendenstyle zu kreieren wurde sehr gut erfüllt. Mein Text besagt einzig, dass es sich auch mit den neuen Haken um eine anspruchsvolle Sache handelt.

Dienstag, 28. Juni 2022

Wendenstöcke - Vreneli (7c)

S'Vreneli, z'schönstä Meitschi im Tal

Diese epochale Route (22 SL, 7c) der Gebrüder Remy aus dem Jahr 1989, welche zentral durch die gewaltige Südwand am selten besuchten Mähren führt und laut ihren eigenen Aussagen zu den schönsten von ihnen erschlossenen Routen gehört, hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Ich habe ein wenig in meinen Mails und Chats gestöbert und tatsächlich hatte ich sie seit 15 Jahren schon immer wieder aufs Tapet gebracht, wenn es darum ging ein Kletterziel auszuwählen. Natürlich waren es manchmal Wetter, Bedingungen und Zeitbudget, die es nicht zuliessen, meist aber zeigten die Seilpartner kein Interesse, sich an dieser Route zu versuchen. Dieses Mal war es anders, Viktor war bis in die Haarspitzen motiviert und so konnte ich nicht der Bremsklotz sein. Gewisse Zweifel meinerseits rührten daher, dass die auch nicht schwieriger bewertete Hakuna Matata am Weekend davor mit nur gerade 8 anstatt 22 Seillängen unser ganzes Vermögen gefordert und sämtliche Energiereserven erschöpft hatte...

Gewaltig die Wand des Mähren (Bildmitte), der Pfaffenhuet (rechts) wirkt schon fast klein dagegen!

Ein weiterer Faktor waren die als rekordhoch angesagten Temperaturen. Im Flachland wurden schlussendlich bis zu 37 Grad gemessen. Ob man da an den Wenden-Südwänden nicht gegrillt würde? Meine Vermutung war nein und die entpuppte sich durchaus als richtig. Einerseits spielt sich der Grossteil der Kletterei im Vreneli in Höhen von 2500-3000m ab, zusammen mit dem thermischen Aufwind wird es einem da nicht so schnell zu heiss. Zudem hatten wir in der Hakuna Matata bei auch schon >30 Grad Wärme im Flachland gerne noch die Daunenjacke montiert. Anyway, der Tag begann früh um 4.00 Uhr und ich hatte erhebliche Mühe, in die Gänge zu kommen. Das intensive Kletterweekend davor, Arbeit und sonstiges Programm während der Woche schienen ihren Tribut zu fordern. So montierte ich aufgrund der tropischen Affenhitze im Flachland reflexmässig die kurze Hose und es ging los, ohne langes Beinkleid im Gepäck. Nun ja, an den Wenden kommt man mit solcher Nachlässigkeit höchst selten davon - dieses Mal aber schon. Diese Hose, ohne geeignete Tasche fürs Handy ist aber der Grund für die meinerseits eher bescheidene Ausbeute an Fotos - zum Glück hat Viktor ein paar gute Bilder gemacht!

Close-Up der rechten Hälfte der Mähren Südwand mit dem Verlauf von Vreneli (22 SL, 7c). 

Wenige Minuten nach 7.00 Uhr starteten wir auf der Wendenalp (1600m), erneut war niemand zugegen (später waren dann drei, vier Autos parkiert). Wir nahmen den Wanderweg Richtung Tällihütte bis kurz vor die östlichen Alphütten von Mettlenberg (1740m), bald einmal die Morgensiesta einer stattlichen Kreuzotter störend. Der Zustieg zum Mähren unterscheidet sich gegenüber den anderen Wenden-Sektoren dadurch, dass es wirklich überhaupt keine Spuren gibt. Ich will mir nicht anmassen zu behaupten, ich wisse wo der beste Weg durchführt - beschreibe aber trotzdem, wo entlang wir stiegen, nur schon damit ich es für ein nächstes Mal selber noch weiss. Zuerst einmal aufwärts in sehr krautigem Gras, wo man nicht sieht wohin man seine Füsse setzt - mühsam, aber da sind die Hänge noch moderat steil. Ab ca. 1900m konnten wir dann diesem Bachgraben mit teilweise etwas Kraxelei folgen, was viel angenehmer war. Auf 2080m trifft man dann auf eine Felsbarriere, die wir im Aufstieg westlich "durch die Gasse" und nachfolgender 2er-Kletterei über die Stufe, im Abstieg einfacher östlich bewältigten. Oberhalb davon dann "der Nase nach" Richtung Einstieg, wobei wir diese Entwässerungsrinne so gut wie möglich nutzten. Es gibt hier ein wenig von allem, Felsen, hartes Geröll, dünnes Gras, man suche die beste Passage.

Abschüssiges, kaum gestuftes, heikles Terrain mit dünnem Gras - am besten geht's im offenen Fels. Hier steige ich gerade in der oben im Text verlinkten Entwässerungsrinne auf. 

Der Einstieg ins Vreneli befindet sich bei einem 1989er-Mammut-Ringbohrhaken grob in Fallinie der rechten Kante des Pfeilers, ca. 30m östlich des höchsten im Gras erreichbaren Punktes zentral am Pfeiler (wo bei einer Sanduhr unterhalb einer kleinen Grotte Kooianisquazi und Letzter Mohikaner beginnen). Aufgrund des langen Tages, der uns bevorstand, hatten wir entschieden in einem Haulbag genügend Verpflegung und aufgrund der warmen Temperaturen v.a. Getränke mitzuführen. Kurz vor 9.00 Uhr war dieser gepackt und auch sonst alles startbereit, wir stiegen ein. 

Hinweis: ich verwende in diesem Bericht die Bewertungen aus dem (schlecht lesbaren) Originaltopo (wer hat eine bessere Version davon, ich wäre sehr dankbar?!?). Diese Bewertungen sind so auch im Arrampicare in Svizzera von Matteo Della Bordella (welcher die Route selber geklettert hat) abgebildet. In den Filidor-Führern (Extrem West 2010, Schweiz Extrem 1994) stehen tiefere Einstufungen. Woher diese kommen, weiss ich nicht - möglicherweise ein Oberländer Beef gegen die auswärtigen Erschliesser?!?

Der Ausblick zentral unter dem Mähren-Pfeiler - da gibt es keine Fragezeichen, eine Menge an steilem Fels wartet auf jeden Anwärter. Da kann das Motto nur lauten: Are you ready for a good time? Etwas Hard Rock in Ohr und Geist kann für diese Routen nicht schaden... So ('Hard Rock aux Mähren') lautet übrigens auch der Titel des Artikels, den Claude Remy über die Erschliessung der Route im SAC-Heft Die Alpen geschrieben hat. Er ist im Archiv zugänglich - denjenigen, die dem Französischen einigermassen mächtig sind, empfehle ich die französische Originalversion, die deutsche Übersetzung bringt für mich nicht in jedem Satz den richtigen Spirit rüber.

L1, 6b: Auf los geht's los, schon die ersten Meter sind etwas knifflig und erfordern zwingend das Platzieren eines Cams. Nachher folgt typische Wendenkletterei von eher plattiger Natur mit den charakteristischen, oft etwas staubigen Querstrukturen bei eher weiträumig gehaltener Absicherung. Die Crux dann am Ende über den etwas brüchigen Wulst hinweg, die letzte Sicherung 2m unter den Füssen und mit etwas Seilzug - ein etwas herber Auftakt.

L2, 6c: Mit L1 hat man sich dem steilen, ja massiv überhängenden Teil des Pfeilers angehnähert, sprich es wird nun unweigerlich zur Sache gehen. Die Fortsetzung findet man aber auf der linken Seite, wo sich die Route so gut wie möglich im senkrechten, schönen Tropflochgelände hinaufschleicht. Den eigentlichen Überhang bezwingt man dann in einer +/- horizontalen Traverse nach rechts. Der Fels ist da grossgriffig, aber nicht von bester Qualität. Die letzten Meter zum Stand sind dann wieder schön. Wir befanden, dass es bis auf einen kniffligen Move in der Traverse eine gutmütige 6c war.

Viktor on lead in L2 (6c), die mit einem Linksbogen eine überhängende Zone bezwingt.
Schöner Tropflochfels auf den letzten Metern von L2 (6c).

L3, 7b: Eine tolle Seillänge mit durchgehend bestem, wasserzerfressenem, strukturiertem, leicht überhängendem Fels. Erst geht's rechts ausholend noch gut dahin, dafür sind die Abstände zwischen den Sicherungen noch respektabel. Auf der zweiten Hälfte werden diese deutlich enger, mindestens klettergarten-, ja teils sogar hallenmässig. Die Hauptschwierigkeiten findet man im letzten Drittel, zuerst mit einer Boulderpassage und der Stelle über den letzten Bolt hinweg, wo dann auch noch ein zwingender 4m-Abschnitt bis zum Stand wartet, für welchen man sich besser einige Körner und mentale Energie aufspart.

Spätestens ab hier müssen die Unterarme auf Betriebstemperatur sein (L3, 7b)!

L4, 7b: Der Start in diese Länge scheint verwirrlich, stecken doch in ca. 5m Höhe zwei BH fast 5m horizontal versetzt. Laut Topo ist erst der linke anzuklettern. Vor Ort fragt man sich aber, ob der direkte Weg zum rechten nicht auch eine Option wäre... ich wollte mich schliesslich nicht auf das Experiment einlassen und bin es auf dem angedachten Originalweg geklettert. Die Steilplattenkletterei ist vorerst super in prima strukturiertem, scharfem Fels und auch von der Schwierigkeit her im zugänglichen Rahmen. Die Cruxzone ist relativ kurz und wird durch einen gleichzeitig griff- und trittarmen Abschnitt markiert. Alpiner präsentiert sich hingegen das Finish der Länge. Plötzlich präsentiert sich noch viel Gelände, aber keine Sicherungspunkte mehr. Das Topo verspricht zwei weitere Bolts, die jedoch nirgends sichtbar sind. Das ist v.a. deshalb etwas störend, weil man in diverse Himmelsrichtungen weiterklettern könnte. Ich ging dann mal geradeaus... liegen tut nichts und das Gelände wird etwas brüchig. Tatsächlich, oberhalb von einem Wulst fand ich tatsächlich erst einen NH und dann einen BH. Mich leicht machend schlich ich bei weiter abnehmender Felsqualität zum Stand.

Yours truly on lead in L4 (7b), die zu Beginn mit bestem Fels auftrumpft, aber eine etwas verwirrliche Linie hat.

L5, 7a: Querend dem logischen Weg auf den Pfeiler hinaus folgen zu NH, dann griffig aufwärts, was gut mit BH abgesichert ist, zuerst jedoch etwas Lotterfels aufweist. Das bessert sich bald wieder und die Seillänge bietet einen interessanten, ziemlich zwingenden Schlussabschnitt in schönem Fels, bald einmal ist auch schon der Stand erreicht.

Tolles Ambiente und Felsfarbe am Ende von L5 (7a).

L6, 7c, 7b 4 p.a. oder 6c A0: Während wir den ganzen Rest der Route (wie eigentlich immer) freizuklettern versuchten, haben wir hier für einmal nicht lange "Federlesis" gemacht. Eine 7c geht im Optimalfall beim Sportklettern und in der Halle onsight, aber auf einer Alpintour mit dem ganzen Geraffel am Gurt, schon ein paar Seillängen in den Armen und vor allem noch vielen weiteren auf dem Programm dann doch eher nicht. Kommt hinzu, dass dieser Abschnitt mässig attraktiv wirkt. Der Fels ist zwar an sich solide, aber bietet nur extrem viele kleine, extrem scharfe Struktur, wo bei Belastung gerne die Spitzen brechen, die Sache extrem unübersichtlich ist, usw.. Somit also unmittelbar der Griff ans Textil, was dank eng steckender BH vorerst problemlos möglich ist. Ich frohlocke schon über meinen mühelosen "Durchstieg" - aber nein, es kommt tatsächlich eine Stelle, wo man entweder richtig klettern oder eine Trittschlinge zücken muss. Die wahre Herausforderung kommt aber sowieso erst nach Ende der Cruxpassage. Die Bolts hören auf, um die Ecke findet man einen selbst abzusichernden, ca. 7m langen Riss und an dessen Ende noch eine 6c-Wandpassage in nicht ganz einwandfreiem Fels, die man über den letzten mobilen Sicherungen zu klettern hat. Der Stand dann in der bequemen Grotte mit SU und BH.

L7, 6a: Man verschiebt sich fotogen nach rechts an die Kante und erklettert dann direkt hinauf in relativ leichtem aber etwas lottrigem Gelände einen Pfeiler. Weiter oberhalb wird's dann kompakter und auch etwas schwieriger. Dort, wo man den breiten Riss erreicht und gerne den 2er-Cam platziert, muss man sich nach links darüber hinweg halten und durch die Wand zum von unten nicht so gut erkennbaren Stand klettern.

Die zweite Hälfte von L7 (6a) bietet wieder schöne Kletterei in kompaktem Gestein.

L8, 7a: Eine relativ kurze Länge, welche die eigentliche Kletterei am ersten Pfeiler beschliesst. Es handelt sich um technische, teils etwas pressige Moves and Seit- und Untergriffen in senkrechter Wand, gut und sportklettermässig abgesichert. Zuletzt kurz über Schrofen zum Stand.

L9, T5: Über die Schrofen nach links hinauf zum Grat, oben befindet sich nochmals ein Stand zum Nachnehmen, der vor allem später zum Abseilen nützlich ist.

Ausstieg aus L8 (7a) am Ende des ersten Pfeilers - eigentlich wäre es nur schon bis hier eine absolut sehr respektable MSL.

L10, Gehgelände: Übergang über den problemlos begehbaren, kaum exponierten Kamm an den Fuss des nächsten Aufschwungs, wo zur Identifikation des Weiterwegs ein BH steckt. Idealerweise späht man vor Erreichen dieses BH nach dem Weiterweg - denn einmal am Start des Aufschwungs angekommen, sieht man die Haken nicht. 

L11, 5b: Die Route folgt hier nicht dem einfachsten Weg in eine kraxlige Verschneidung hinauf, sondern steigt zuerst gerade bzw. leicht linkshaltend hinauf über kompakte, teils wasserrillige Platten. Die BH stecken in grossen Abständen, die Kletterei ist aber gutmütig und es gibt Möglichkeiten zur mobilen Sicherung.

Rückblick auf die Combo L11/L12 (5b, 6a) welche wir zu einer einzigen Seillänge verbunden haben. Mit einem (neuen) 60m-Seil reicht es gerade so knapp nicht. Wer zur Zeitersparnis einen Link-Up machen möchte, verbindet sicherlich besser L12 und L13, das sollte nach meiner Einschätzung sogar mit einem 50er-Seil machbar sein. Das Gelände hier am zweiten Aufschwung wie das Foto zeigt nicht leid, aber auch nicht begeisternd schön.

L12, 6a: Erst einer Verschneidung entlang, wo der Fels nicht ganz so schön ist. Hier stecken keine Bolts, mobil aber recht gut absicherbar. Zum Ende der SL wird der Fels wieder kompakter und es folgt  ziemlich hübsche, plattige Wandkletterei mit 3 BH.

L13, 6a: Relativ kurze Länge von moderater Schönheit, die kniffligste Stelle folgt gleich am Anfang, nachher lässt die Schwierigkeit bald nach. Der Stand befindet sich noch vor dem Ausstieg auf das zweite Geröllband. Diese Länge lässt sich ziemlich problemlos mit L12 linken.

Auftakt in L13 (6a) mit ihrer Crux, das Gelände auch hier nur moderat schön.

L14, Gehgelände: Die Idee wäre hier vermutlich, gerade hinauf an die obere Wand zu steigen und dort beim Einstieg in den oberen Teil des letzten Mohikaners an einem BH zu sichern. Das war mir nicht klar, somit habe ich diesen Bolt nicht gefunden bzw. genutzt und bin gleich weiter.

L15, 2a: Querung von ca. 30-40m nach links zur Fortsetzung am dritten Aufschwung. Vom Pfeilerkopf am Ende des zweiten Aufschwungs sieht es so aus, als ob eine tiefe Querung die beste Option wäre. Das ist aber ehrlich gesagt ein kompletter Mist, keine Möglichkeiten für Zwischensicherungen, unsicheres Gestein und lose, herumliegende Steine machen das heikel. Die richtige Variante ist es hier, ganz oben an der Wand zu queren - das Gelände ist dort steiler aber ein Band erlaubt eine ziemlich problemlose Traverse (zwischensichern kann man allerdings auch dort nicht).

Schau genau - Blick von Stand 13 zum Climber, der sich am Start von L16, d.h. dem Beginn des dritten Wandteils befindet. Dazwischen liegt eine etwas heikle und kaum absicherbare Querung über einen veritablen Gschirrlade, wobei ich da vermutlich abseits der Ideallinie gestiegen bin (siehe Text). Die Wasserfälle waren übrigens den ganzen Tag in Betrieb, beeinträchtigen uns bis auf ein paar willkommene Sprizter aber nicht. Bei windigen Verhältnissen könnten jedoch allenfalls auch Passagen vom Vreneli stärker benetzt werden.

L16, 6c: Mmmhhh, jetzt waren wir an diesem gelobten, obersten Wandteil angekommen der dem Vernehmen nach mit perfektem Fels glänzen sollte. Nun, von hier sah das vorerst nicht so wirklich danach aus. Klar, die Länge in griffigem Fels ist nicht so übel, aber erste Güteklasse dann doch bei Weitem nicht. Kommt hinzu, dass die Bolts etwas kreuz und quer sowie am Ende dann spärlich stecken. Im oberen Teil der Länge wartet eine etwas knifflige Stelle in einer V-Verschneidung, gefolgt von einem ca. 10m langen, nicht wirklich zu entschärfenden Runout in 6a+/6b-Wandkletterei zum sehr ungünstig platzierten und äusserst unbequemen Stand :-/

Viktor gut getarnt 'on lead' in der ersten Länge am dritten Aufschwung - wildes Gelände (L16, 6c).

L17, 6c: Keine wirklich Besserung in Sicht, was die Qualität von Fels und Kletterei betrifft. Die Crux befindet sich gleich am überhängenden Wulst zu Beginn. Die zwei Haken ebenda wurden bestimmt aus der Trittschlinge eingebohrt, sind also nicht weit auseinander und erlauben A0 - sie aus der Kletterstellung zu klippen ist andererseits reichlich schwierig und heikel zugleich, da ein Sturz unweigerlich auf der Rübe des Sicherungspartners endet. Kommt hinzu, dass die Kletterstelle sauschwer ist und die Bedienung von einem sehr ausbruchsgefährdeten Klötzli erfordert. Definitiv (viel) schwieriger wie 6c, evtl. sind da schon entscheidende Griffe ausgebrochen. Nachher erst einfacher in durchschnittlich schönem 6a-Terrain, oben nochmals knackige Wandstelle an teils fragwürdigen Strukturen. Der Stand schliesslich auf einem bequemen Geröllplatz.

Nachstieg in der V-Verschneidung von L16 (6c). Man kann es schon auf dem Foto deutlich erahnen, nach der letzten Zwischensicherung wartet noch viel Gelände bis hinauf zum Stand (heikler, ca. 10m langer Runout in 6b-Gelände).

L18, 7a+: Vom Stand erst ca. 8m nach links abwärts gehen, dann henklig-athletisch über den Überhang hinweg. Trotz vorerst enger Absicherung besteht aufgrund vom Seilverlauf die Gefahr von einem Bodensturz. Wer sich im sich zurücklegenden, hier schön zu kletternden Gelände in Sicherheit wähnt liegt damit in Bezug auf das Gefahrenpotenzial richtig, jedoch nicht was den Onsight der Länge betrifft. Griffe und Tritte schwinden nämlich, die Hakenabstände werden zwingend - wohl dem, der hier noch genügend Strom in den Armen hat. Das Finish dann wieder einfacher im Lotterfels und etwas heikel. Der Stand befindet sich auf 13 Uhr vom letzten BH, unscheinbar rechts einer kleinen Grotte. Die gut sichtbaren, offensichtlichen Standhaken auf 11 Uhr gehören hingegen zur Infinite Jest - leider habe ich das erst gemerkt, als ich schon eine ganze Weile weitab der letzten Sicherung im Bruch nach einer Lösung für die letzten Meter dahin gesucht habe - Joggel, besser früher mal genau aufs Topo geschaut!

L19, 6c: Vom Stand horizontaler Quergang nach rechts, die Felsqualität auch hier nicht überzeugend. Über eine Wandstufe erreicht man einen teils etwas brüchigen Riss (an dessen Beginn den wenig offensichtlichen BH rechts nicht übersehen!). Dieser ist an sich nicht sonderlich schwierig zu klettern (6a+/6b), aber über 10-15m selber abzusichern (Placements für Cams von ca. 0.5-2). An dessen Ende ein BH, wo man leider nur die Gammelschlinge klippen kann und dann heisst es richtig parat sein. Ab dieser Stelle folgt nun bester, fetzenscharfer Tropflochfels, die Rechtstraverse ist aber tough und der Weg zum nächsten Haken weit. Noch viel mehr gilt das für die 10m vom letzten Silberling zum Stand. Klar, nach einer gewagten 6bc-Stelle 3m über dem Haken wird es dann schon etwas einfacher und geht mit der richtigen Beta recht gut auf - die Möglichkeit sich in schwierigeres Gelände zu versteigen gibt's aber definitiv - krasse Sache jenseits der Wohlfühlgrenze!

Mega Ambiente am Ende von L19 (6c), wo man nun endlich auch in bestem, zerfetzig scharfem Tropflochfels klettert. Auch hier wartet vom letzten BH zum Stand ein weiter Abstand mit anhaltend fordernder Kletterei.

Nach L19 stellte sich die Frage, ob wir Abbrechen oder Weiterklettern sollten. Wer auf diesem Blog mit Interesse mitliest, der weiss genau, wie ungern ich MSL-Touren vor dem letzten Meter beende. Das sprach für weiter, keine Frage. Andererseits war aber klar, dass wir bei einem Weiterklettern bis zum Top sicher in die Dunkelheit kämen, entweder schon beim Abseilen oder spätestens beim Abstieg. Eine Lampe hatten wir zwar dabei, doch die steile Abseilerei über die uns unbekannte Letzte Mohikaner sowie der weglose, unübersichtliche und nicht einfach zu findende Weg über die exponierten Gras-Zustiegshänge war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinzu kam, dass solche Wahnsinns-Runouts wie zuletzt schon bei noch vorhandenen Reserven alles andere als ohne sind - solange man aber über genügend Reserven zum Schauen, Planen und notfalls auch einige Moves Zurückklettern verfügt, noch halbwegs zu verantworten sind. Wenn aber aufgrund von schwindender Kraft in solchem Gelände nach dem Motto "hopp oder flop" gestiegen werden muss, so wird es richtig unangenehm und das Gefährdungspotenzial in diesen Runouts steigt massiv an. Ganz ehrlich, auch wenn der Entscheid zur Umkehr 100% vernünftig und rational gesehen die einzig richtige Entscheidung war - mich fuchst es immer noch, dass wir nicht weitergestiegen sind. Andererseits könnte ich es mir noch viel weniger verzeihen, den "point of return" bewusst überschritten zu haben und so ein Unglück provoziert zu haben. Die Kunst es ist eben, nie verfrüht aufzugeben und dennoch immer zum richtigen Zeitpunkt das Handtuch zu werfen. Ob das hier nun so war - irgendwie gibt es noch immer zwei Seelen in meiner Brust, die nicht identisch darauf antworten.

Auf dem Heimweg, im Bild die unangenehme Traverse zwischen zweitem und drittem Aufschwung, welche auf dem Rückweg zurückgeklettert werden muss. Sicherungsmöglichkeiten gibt es leider keine, ein Sturz ist wie man sieht an beiden Seilenden eine bedenkliche Perspektive.

Somit also abseilend runter an den Fuss des dritten Aufschwungs (19 -> 17 -> 16 -> 15). Ab da mussten wir mit Seilsicherung zum Top des zweiten Routenteils zurück klettern. Zwei weitere Manöver (13 -> 11 -> 10) führten ins Gehgelände oberhalb des ersten Aufschwungs, wo wir die Seile aufnahmen und zum Ende der Routen am ersten Pfeiler (Squaw, Kooianisquazi, Letzter Mohikaner) abstiegen. Deren letzter Stand lässt sich relativ einfach auffinden und seilfrei erreichen, allerdings besteht er aus altem Material (SU plus 1 BH). Nachdem wir die Gammelschlingen rausgeschnitten und durch ein neues Seilstück ersetzt hatten, warfen wir die Seile aus. Als ich mich eingeklinkt hatte und über die Kante blickte, so hingen diese frei im luftleeren Raum neben der westlichen Pfeilerbegrenzung. Möglicherweise hätte es mit Pendeln oder Bolts klippen schon gereicht, um einen nächsten Stand zu erreichen, aber es war unsicher. Wir zogen es daher vor, oberhalb der Abbruchkante 20m quer über Schrofen ostwärts zum Stand 8 vom Vreneli zu seilen. Von dort geht's freihängend, aber tatsächlich in mehr oder weniger gerader Linie runter zu Ständen von Letzter Mohikaner und Kooianisquazi. In einigen weiteren Manövern an meist (teil)sanierten Verankerungen gelangten wir zurück zum Einstieg. Mehr oder weniger unserem Aufstiegsweg folgend, stiegen wir vorsichtig über die haltlosen Geröll- und Grashänge ab. Unterhalb der Felsstufe kraxelten wir vorerst wieder noch halbwegs angenehm durch einen Graben ab, bevor dann der im Abstieg noch mühsamere Teil im hohen Kraut wartete. Aber auch das wurde erledigt, mit schwindendem Licht wanderten wir von Mettlenberg retour auf die Wendenalp, wo wir um 22.00 Uhr nach einem 15-Stunden-Tag reichlich müde aber komplett wohlbehalten eintrafen. 

Facts

Wendenstöcke / Mähren - Vreneli 7c (6c obl.) - 22 SL, 500m (+200m Gehgelände) - Y. & C. Remy 1989 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-2, evtl. kleines Keilset

Gewaltige, eindrückliche und abenteuerliche Route durch die nur selten besuchte Südwand des Mähren. Ob sie wirklich eine der schönsten Routen der Gebrüder Remy bzw. an den Wendenstöcken ist?!? Nach meiner Meinung definitiv nicht. Rückblickend war ich vom ersten Aufschwung positiv überrascht. Dieser bietet viele tolle Meter, auch wenn es einige (meist leichtere) Abschnitte mit weniger schönem Gestein gibt. Der erste Aufschwung wäre auch für sich alleine ein lohnenswertes, gut abgesichertes Ziel. Abwegig ist das sicher nicht, z.B. beim Sonnenkönig beschränken sich ja auch fast alle auf den ersten Drittel der Route. Der zweite Aufschwung vom Vreneli ist nichts Besonderes, weder in Bezug auf den Fels noch die leichte Kletterei. Am meisten enttäuscht war ich vom hochgelobten dritten Aufschwung. Dessen erste 4 Seillängen sind alle teils etwas brüchig und bieten höchstens einzelne Stellen in gewohnter Wenden-Qualität. Erst ganz am Ende wird der Fels dann super, hoffentlich kann man es dann noch entsprechend geniessen. Die Absicherung hinterlässt einen etwas inhomogenen Eindruck. Einerseits wird sie generell je höher desto spärlicher, andererseits sind die schweren Passagen (>6c) oft eng behakt auf Niveau xxxx-xxxxx, während es im einfacheren Gelände heikle Runouts geben kann (x-xx). Das Material ist auch in die Jahre gekommen. Zu Beginn wurden teils noch (mit der Maschine gesetzte !?) Kronenbohrhaken verwendet, weiter oben sind es dann verzinkte Anker mit rostfreien Plättli. Das alles steckt seit z.Z. 32 Jahren und hat deutlich gealtert, auch die Standplätze sind eher nur spartanisch eingerichtet, es wirkt alles ziemlich sanierungsbedürftig. Einige clean gebliebene Abschnitte an Rissen und Verschneidungen müssen zwingend mobil gesichert werden, dafür braucht es m.E. mindestens ein Set Cams von 0.2-2 plus allenfalls ein Keilset. Weitere Infos findet man im Extrem West von Sandro von Känel oder im Arrampicare in Svizzera von Matteo della Bordella. Unten dank herzlicher Mithilfe von René das Originaltopo aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen. Hier sind der Routenverlauf und die ideale Abseilstrategie am besten wiedergegeben. Eigentlich schade, dass man diese Trouvaille beim SAC weder im Archiv noch im Tourenportal auffinden kann.

Originaltopo von Vreneli aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen.

Dienstag, 21. Juni 2022

Wendenstöcke - Hakuna Matata (7b+)

Vor 25 Jahren, genau genommen am 7. Juni 1997, war ich das erste Mal an den Wendenstöcken. Die Begehung von Sonnenkönig hatte uns einen denkwürdigen Tag beschert und das Fundament für viele weitere Abenteuer am heiligen Gral des MSL-Kletterns in der Schweiz gelegt. Damals war ich noch nicht ganz halb so alt wie heute und kann damit konstatieren, dass ich "mehr als mein halbes Leben" mit Klettern von Routen an den Wendenstöcken verbracht habe ;-) Logischerweise lag nichts näher, als das Jubiläum mit einem Besuch im Gebiet zu feiern. Und zwar nicht etwa mit einer Nostalgietour im Sonnenkönig, sondern es sollte etwas Neues und mir noch Unbekanntes werden. Das (Luxus)problem ist nur, dass mir nach mittlerweile 40 gekletterten Routen überwiegend nur noch solche übrig bleiben, die schwierig, anspruchsvoll gesichert und/oder kaum bekannt sind. So wollten wir es mit der zwischen Zahir und Ben Hur gelegenen Hakuna Matata (Lechner/Pitelka 1999, 8 SL, 7b+) versuchen, auf welche die genannten Attribute durchaus zutreffen. Aufgrund der berühmt-berüchtigten Wenden-Urgesteine als Erschliesser und den uns schon bekannten Nachbartouren machten wir uns auf ein happiges Programm gefasst...

Blick auf den steilsten Sektor der Wendenstöcke mit dem Verlauf von Hakuna Matata.

Der Wecker schellte um 5.00 Uhr morgens - eigentlich eine normale Aufstehzeit für eine Tour an den Wenden. Doch für mich hiess es erst, Larina zum Treffpunkt mit ihrem Team zu fahren. Sie nahm im Magnet an einem Swiss Youth Climbing Cup teil. Wieder daheim legte ich mich nochmals etwas hin, um später um 7.00 Uhr auch noch Jerome zum Treffpunkt für sein Trainingsweekend zu chauffieren. Das einmal erledigt, war mein Weg frei für die Fahrt Richtung Wenden - zumindest bis ich im Urnerland auf einen üblen und unerwarteten Gotthardstau traf, der für weitere Verspätung sorgte. Gut Ding will Weile haben, kann man da nur sagen. Erst um 10.30 Uhr und damit unüblich spät brachen wir von der Wendenalp auf. Dank garantiert gewitterfreiem Wetter, warmen Temperaturen und den langen Junitagen sollte es aber trotzdem noch gut für die geplante Tour reichen. Sehr erstaunlicherweise war gar nix los, mausbeinallein waren wir vor Ort - ob ich wohl das neue Kletterverbot für die Wenden verpasst hatte?

Bleib einfach da, wo du bist! Eindrücklicher Serac auf halber Strecke am Zustieg.

Auf dem wohlbekannten üblichen Zustiegsweg ging es in die Höhe. Vorsicht erheischte ein riesiger Lawinenkolk mit einigen scheinbar absturzbereiten Blöcken, der noch oberhalb der Verzweigung Pfaffenhuet / Gross Wendenstock herumlungerte. Doch mit schlauer Routenwahl und einer tifigen Querung mit gespitzten Ohren liess sich der Aufenthalt im Gefahrenbereich auf ein Minimum reduzieren. Schnee betreten musste man aber keinen mehr und der Weg war in gutem Zustand. Wie immer geht's auf der richtigen Fährte gut bis zum Einstieg des Elefantenohrs. Das letzte Stück hinauf zur Hakuna Matata gehört dann definitiv ins T6-Reich, wobei dieses Mal ein Fixseil etwas Währschaftes zum Festhalten bot. Beim rechten Befestigungspunkt des Seils (welches nach links zum Einstieg von Zahir weiterführte) befindet sich der Start (2 BH, die markanten Schuppen von L2 sind oberhalb gut identifizierbar). Ca. 5-7m höher befindet sich auf einem schmalen, weniger bequemen Band nochmals ein Einstiegsstand, aber man kann gut und gerne den unteren nutzen. In der Gegend von 12.00 Uhr hatten wir uns gerüstet und stiegen ein.

Sicht vom Einstieg - auf dem Foto wirkt es nicht ganz so, aber die Wand fällt einem gefühlt wirklich auf den Kopf wenn man da steht!

L1, 35m, 4a-5c+: Unwesentliche, eher plattige Vorbaulänge ohne fixe Absicherung. Wobei, eigentlich gab es mal 2 BH, welche an den genau richtigen Stellen steckten. Doch deren Plättli wurden entfernt und die Dübel eingeschlagen. So folgt halt nur der Nachsteiger dem schönsten und kompaktesten Fels (ca. 5c+), während die Vorsteigerin mit einigen Umwegen in durchzogenem Gelände und wenigen, windigen Cams die kaum etwas hielten eine Art am Seil angebundenes Freesolo im T6+ Terrain hinlegt. Gehört halt offenbar einfach dazu sowas, geht schon (naja, muss auch).

Mmhm, so nützt der richtig viel :-/

L2, 35m, 7a: Ab diesem Punkt ist die Route bis zum Ende von L8 nun durchgehend überhängend - natürlich nicht jeder einzelne Klettermeter, aber in der Summe befindet sich jede Seillänge jenseits der Vertikalen, was sehr speziell und eindrücklich ist. Mit einer Linksschleife geht's an die Wand und an der ersten Schuppe aufwärts. Der gelbe Fels ist griffig strukturiert, aber nicht überall bombensolide. Eine fordernde Stelle folgt beim Überhang, der zur zweiten Schuppe mit ihrer Rissverschneidung führt. Zwar mehr eindrücklich als schwierig und mit einem Cam 0.5 gut mobil zu sichern - die Frage ist nur, ob der Block hinter welchen man ihn legt, denn auch halten würde. Das ist sicherlich ungeprüft, weil an dieser Stelle noch nie jemand gestürzt ist (den Cam gelegt haben aber sicher alle). Nun klettert man erst in der Wand links der Verschneidung in scharfem Tropflochfels. Später führt der einfachste Weg wohl zumindest kurz über den etwas brüchigen Riss, wobei der folgende, letzte BH wieder weit links scheinbar unlogisch in der Wand steckt. Man suche seinen Weg, die Sache ist ziemlich anhaltend und schon das erste Mal richtig pumpig.

Kletterei in scharfem Tropflochfels knapp neben etwas brüchiger Schuppe in L1 (7a).

L3, 35m, 7b+: Nun geht's so richtig zur Sache - dies in gelb-orangem, teils etwas schiefrig-glattem Fels (es muss dort vor langer Zeit einen grossen Ausbruch gegeben haben). Zu Beginn geht's gut abgesichert pumpig an Leisten zu einem Dächlein, dessen trittarme Überwindung bouldrig-knifflig und zwingend zu meistern ist. Anhaltend geht's weiter, vieles lässt sich mit einer guten Fingerkraft und Ausdauer erledigen, doch eine zweite, ziemlich blanke Stelle erfordert einen weiten Boulderzug und an deren Ende gute Nerven für die etwas wacklige Sequenz zum nächsten Klipp.

Anpumpen in speziellem Fels in L3 (7b+), am Dächlein heisst's dann hopp-zack!

L4, 25m, 7b+: Hier ist der Fels vorerst grau-orange und wasserzerfressen-scharf, ziemlich unübersichtlich und mit manchmal brechenden Spitzli. Im 7a-Gelände geht's recht fordernd dahin, inklusive einer "Mut-Stelle" vom zweiten zum dritten BH. Näher steckende Haken in aufsteilendem Fels lassen die Crux vermuten und liefern sie. Diese Sequenz fanden wir echt tough und konnten nicht alle Moves zusammenhängen - man bedient sich trittarm an winzigen, fragilen Seitgriffschüppli, was sich unangenehm anfühlte. Notfalls hilft hier auch A0 recht gut weiter und auch für das prinzipiell einfachere Finish der Länge stecken die Bolts recht dicht - was aber auch nötig scheint, denn der Fels ist hier eher splittrig. Vermutlich hält das Gestein mehr, als es optisch danach aussieht... so richtig angenehm ist dieser Abschnitt jedoch nicht. Der Stand dann im Siffloch, die letzten Meter waren nicht nur nass, sondern auch noch dreckig-schlammig - eine rustikale Passage.

Optisch sieht's richtig gut aus in L4 (7b+), zum Klettern ist es nicht ganz so überzeugend. Rechts im grossen Wasserstreifen sieht man in voller Auflösung übrigens noch die Relikte der Techno-Route Lochstreifen (6 A3) von Chäppi Ochsner selig.

L5, 25m, 7b: Aus dem Loch geht's recht raus, der Fels auch hier erst noch auf der fragil-splittrigen Seite und nach unserem Gusto unschön zu beklettern. Dies ist auch gleich die hart aussehende Crux. Wir profitieren von den beiden eng steckenden Bolts und fokussieren auf die unmittelbar darauf folgende, zwingende Sektion mit einer Rechtsschleife, wo man dann doch wieder unangenehm ins Geschirr scheppern kann. Hat die dritte Exe eingeschnappt, wartet dann aber echt coole Kletterei in bestem, griffigem Fels bei relativ zugänglichen Schwierigkeiten im 6c/7a-Bereich. Den Stand links aussen könnte man fast verpassen, da oberhalb direkt die nächste Länge in logischer Fortsetzung weiterführt.

Am Ende von L5 (7b) gibt's mal ein paar Meter 'halb gratis' - man nimmt sie gerne!

L6, 30m, 7a+: Pumpige Ausdauerkletterei, ein geniales Gerät und noch dazu in äusserst luftiger Position. Zuerst folgt eine Querung nach rechts, die vom Fels her noch nicht so tolle ist. Bald folgt aber prima Gelände mit den typischen Wenden-Suppenschüsseln an einer herrlichen Kante. Man identifiziere dabei jene Stellen, wo es besser anhängt und weniger sloprig ist, wobei Fitnesszustand und Laktatpegel vorgeben, wie effizient die Suche gestaltet sein muss. Zum Ende dann einfacher an einer Verschneidung mit Cam-Möglichkeit zum Stand. 

Die einfache und nicht mehr berauschende Verschneidung am Ende von L6 (7a+) ist wenig repräsentativ für diese pumpige, gutgriffige Ausdauerlänge - so sei es. Aber warum es auf dieser extrem luftigen und ausgesetzten Route selbst nach L6 auf den Fotos immer noch danach aussieht, als sei der Boden nur 20m entfernt, das ist mir auch nicht klar.

L7, 30m, 7a+: De visu legt sich das Gelände etwas zurück - das stimmt vielleicht sogar auch, wenn man mit dem Neigungsmesser nachprüfen würde. Pumpig, kräftig und überhängend ist es aber immer noch. Während die ersten Meter griffig daherkommen, wird's an einem Wulst unverhofft knifflig und unübersichtlich. Mir fehlte da der Power, um noch ewig rumzutasten - aber die Crux ist einigermassen zwingend. Es sei einem hier insbesondere der (Standard-)Tipp ans Herz gelegt, die Bolts ja nicht verfrüht aus suboptimaler Position klippen zu wollen ;-) Diese Hürde gemeistert, tauchen wieder gute Griffe und Henkel auf - nur lief ich da schon längst auf Reserve. Erst nach einem letzten Wulst führt eine Verschneidung easy zum Stand.

Echt tolle Wendenkletterei in L7 (7a+).

L8, 30m, 6c: Die obere Wandbegrenzung ist scheinbar zum Greifen nah und wäre etwas links durch eine kaminartige Rinne möglicherweise easy zu erreichen. Doch es gibt hier kein Schonprogramm, die Linie führt wirklich durch das steilste, krasseste verfügbare Stück Fels. Nach ein paar Auftaktmetern folgt ein formidabel henkliger Überhang - noch dazu "nur 6c", aber mit inzwischen komplett leeren Armen eine Challenge. Das liegt auch an der suboptimalen Absicherung, ist der erste BH doch tief und erst noch doof unter dem Überhang und der zweite ein Stück weit entfernt mit Potenzial für einen sehr, sehr unangenehmen Sturz. Die "schöne Sanduhr" (Zitat von obsig.ch) ist leider ein solches Miniobjekt, dass ich ihr nicht einmal das Körpergewicht anvertrauen würde - zudem muss man auf einen gefädelten Schnürsenkel zählen, da ist nämlich unmöglich etwas aus der Kletterstellung reinzufummeln. Hat man den zweiten Silberling unbeschadet erreicht, führt die Route entlang von einem Pfeiler zum Stand, wobei auch nur noch SU-Schlingen den Weg säumen.

Eine weitere "schöne" Sanduhr - es handelt sich nicht um das im Text erwähnte Exemplar in L8 (6c) - wobei ich mich in die abgebildete definitiv lieber hängen würde (Gammelschlinge zum Trotz, kein Witz!). Diese Sanduhr hier ist mit der Bohrmaschine erschaffen und dient an Stand 6 als "Verstärkung". Vermutlich stammt sie aus der Zeit der Erschliessung der Route Koo-i-noor, mit welcher die später eingerichtete Hakuna Matata an jener Stelle kreuzt oder zusammentrifft.  

Um ca. 18.30 Uhr waren wir am Ende unserer Kletterei - jedoch nicht ganz oben (ist man ja eh nie an den Wenden ;-)). Das Topo verspricht noch eine 5a-Länge von 55m in zunehmend schrofigem Gelände mit einem improvisierten Stand ohne BH am Ende, die man wohl gescheiter vom Topo löschen würde ;-) Wir seilen ab, was ein sehr eindrückliches Erlebnis vermittelt: die Seile baumeln nämlich einfach im leeren Raum. Da die Stände seitlich versetzt sind und die Route in einigen Querungen verläuft, kann man nicht einfach Bolts klippen, sondern muss zwingend und anspruchsvoll pendeln. Doch Herzklopfen hatte ich nicht nur deswegen. Inzwischen lief am Swiss Cup nämlich der Final und es wurde Zeit für den Auftritt von Larina. Schon noch speziell, von den Wenden quasi live dabei zu sein. Sie machte ihre Sache toll und holte sich auch in der Finalroute das Top. Da aber zu einfach geschraubt wurde, reichte ein sauberes TOP-TOP-TOP-"Notenblatt" nicht für den Sieg, sondern es entwickelte sich ein Speed-Lead-Wettkampf, wo am Ende die Kletterzeit über die Platzierung entschied. Während ich in dieser Hinsicht der Meinung bin, dass auch jene Person gewinnen könnte, die sich am längsten an den Griffen festhalten kann, sehen das die Regelmacher anders. Immerhin war Larina tifig genug, um auf Platz 3 zu klettern und sich so den allerersten Podestplatz an einem Swiss Cup zu sichern - bravo!

Zwischen Kletterwettkampf verfolgen am Handy und einer der krassesten Abseilstrecken die ich schon durchgeführt habe. Dieser Stand ist echt nicht einfach zu erreichen, mehrere Meter überhängend und mehrere Meter seitlich versetzt. Direkt ging's nicht, aber irgendwann konnte ich den ersten Zwischenbolt von L6 einlochen.

Nach einiger Zeit hatte uns der Wandfuss wieder. Vom Einstieg konnten wir das intakte und auch vom Handling her akzeptable Fixseil zum Abseilen über den obersten Abschnitt nutzen. Somit war der heikelste Teil überwunden, aber auch danach ist noch ein vorsichtiger Abstieg nötig. Geschwind schlüpften wir an den immer noch absturzbereiten Seracs vorbei und waren um ca. 20.45 Uhr retour auf der Wendenalp. Es wartete der Heimweg, der sich mit dem E-Auto wie geplant ohne Nachladen machen liess. Witzigerweise hatte ich den Use Case "Wendenalp retour" bei der Evaluation für das neue Fahrzeug durchaus in Betracht gezogen ;-) Mittlerweile weiss ich zwar, dass ein kurzer Stopp von wenigen Minuten am Schnelllader an der Gotthardautobahn kein Problem wäre und subito 100km Reichweite in die Batterie pumpen würde, aber "wenn's längt dann längt's" - umso besser. Der Tag war mit der Heimkehr noch nicht zu Ende. Weit nach Mitternacht wurde es, bis ich Larina am Treffpunkt abholen konnte, erst einige Zeit später hatten wir unsere wichtigsten Eindrücke des Tages ausgetauscht und legten uns nach einem langen, aufregenden Tag in die Federn.

Für mich ist das definitiv ein Teil dieser Tour :-)

Facts

Wendenstöcke - Hakuna Matata 7b+ (7a obl.) - 8 SL, 200m - Lechner/Pitelka 1999 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-2

Eindrücklich steile und ausgesetzte Route, die nach L1 konstant überhängendes Gelände bietet und vor allem aus diesem Grund sehr aussergewöhnlich ist. Der Fels und die Kletterei überzeugen nicht auf jedem Meter. Es gibt auch schwierige Stellen, die etwas murksig sind, wo der Fels splittrig ist, anderswo ist das Gestein seltsam glatt oder dann wiederum extrem scharf mit etwas Bröselei und brechenden Spitzli. Natürlich gibt's auch viele lässige Meter, generell hat's mir ab dem Quergang in L5 bis zum Schluss am besten gefallen. Alles in allem empfinde ich so 3-4 Sterne. Die Absicherung übertraf mit ihrer Bolt-Dichte unsere (aufgrund des Erschliesser-Duos) tiefen Erwartungen. Über weite Strecken stecken die Bolts ähnlich wie in einer modernen Sportklettertour, vergleichbar z.B. mit der Ben Hur. Ein paar zwingende (aber gut gesicherte, schwierige) Passagen gibt's durchaus, ebenso wie heikle Stellen in einfachem Terrain an Anfang und Ende. Alles in allem xxx mit der Verpflichtung, ein Set Cams mitzuführen. Entgegen den anders lautenden Angaben im Topo (das man auf obsig.ch findet), haben wir sie nur in L3-L5 gar nicht benutzt.