In meinem Beitrag zu den Geschehnissen in San Vito hatte ich ja schon über die Gefahr der Hakenkorrosion in Meeresnähe geschrieben. Darauf hin ergab sich ein sehr interessanter Austausch mit Josef Werderits. Er befasste sich beruflich mehr als dreissig Jahre lang mit Fragestellungen zu Festigkeit und Sicherheit, unter anderem von Verankerungen und bei der Werkstoffwahl. Diese Mails habe ich dann zu diesem Beitrag verarbeitet. Auch wenn einiges daraus etwas technisch daherkommen mag und Hintergrundwissen erfordert, so ist es sicherlich für alle Kletterer dennoch sehr lesenswert.
Am wichtigsten jedoch dies: rostfreier Stahl korrodiert anders, als dies bei gewöhnlichem (verzinktem) Stahl der Fall ist. Es tritt nämlich in aller Regel keine üppige Rostschicht auf, sondern die sich ausbildende Schutzschicht auf dem rostfreien Material wird nur punktuell angegriffen und die Korrosion schreitet dann von dort aus fort. Man spricht in diesem Zusammenhang (wissenschaftlich ungenau) auch von "Lochfrass" oder "Spaltfrass". Somit ist die Sache äusserst heimtückisch und für Nicht-Experten nur schwerlich zu beurteilen. Was die Route Collina dei Conigli am Monte Monaco betrifft, so hat mir ein Schweizer Bergführer mitgeteilt, dass er die Route wenige Tage vor dem Hakenbruch noch geklettert habe, und diese rein optisch noch in einem vernünftig guten Zustand schienen.
Rostfreier A2-Bohrhaken von Raumer, der auf Capo Caccia / Sardinien beim Reinsitzen gebrochen ist. |
Hakenbrüche aufgrund von Korriosion durch die salzhaltige Meeresluft sind ja zum Glück nicht ein alltägliches Szenario, aber doch auch nicht ganz so selten wie man vielleicht denken könnte - selbst am Mittelmeer, und nicht nur in den Tropen. Auf Planetmountain ist z.B. der korrosionsbedingte Bruch eines rostfreien Klebehakens in der Grotte von Bidiriscottai bei Cala Gonone/Sardinien dokumentiert. Weiter hat mir ein anderer Kollege (ebenfalls ein Schweizer Bergführer) von einem glimpflich ausgegangenen, durch Korrosion verursachten Bruch eines Inox-Dübels in der Route Daytona am Capo Caccia, ebenfalls in Sardinien berichtet. Dies passierte ohne Sturz, einzig durchs ins Seil sitzen am zweiten Bohrhaken der Route. Dank aufmerksamer und gekonnter Sicherung sowie einem Einzelkarabiner im ersten Haken konnte der resultierende Sturz kurz vor dem Boden aufgefangen werden...
Nun aber zu den Angaben von Josef, editiert und vervollständigt vom Autor:
(1) Als wesentlichste Aspekte sehe ich den verwendeten Werkstoff und die „Formgebung“ (Typ, konstruktiver Aufbau) – die Themen „Felsausbruch“ und „Setzen der Haken“ sind nicht spezifisch für meeresnahe Gebiete; ich werde hier darauf auch nicht eingehen.
(2) Zum Werkstoff: Speziell möchte ich die Werkstoffproblematik am Beispiel der als Haken am häufigsten verwendeten „Spreizanker“ (manchmal auch „Spreizdübel“ oder ganz korrekt „kraftkontrolliert spreizende Dübel“) erläutern – bei diesem System ist das Thema Werkstoff auch am brisantesten.
Spreizanker-System von Petzl aus hochwertigem Material (A316L), jedoch bedenklich kurzem Anker. |
(3) Spreizanker aus rostfreiem Standardwerkstoff A2 werden in Thailand in Meeresnähe nach kurzer Zeit unter Sturzbelastung brechen (man braucht dabei keine „Experten“ vor Ort zur Erforschung der Ursachen). Solche A2-Bolts (Werkstoff ist meist 1.4301, teils 1.4306 oder 1.4307) stecken zu zig-tausenfach rund ums Mittelmeer. Während Jahren bis Jahrzehnten hat man mangels besserem Wissen und mangels Verfügbarkeit anderer Materialien damit eingerichtet oder gar saniert. Am Mittelmeer ist das Klima zwar nicht ganz so aggressiv wie in Thailand, aber...
A2-Inoxdübel im Sektor Odyssey auf Kalymnos. Solche Haken stecken auf der Insel zu Tausenden, noch scheinen sie zu halten... |
(4) Der gleiche Haken aus A4-Stahl (1.4401/A316 bzw. 1.4404/A316L) wird länger halten, je nach lokalen Gegebenheiten sehe ich aber durchaus noch Bruchrisiko. Entscheidend dafür sind vor allem Feuchte, Chloridgehalt (Meerwasser), Einwirkungsdauer und Temperatur(!). Anmerkung des Verfassers: Genau, und wir Kletterer führen quasi ein Feldexperiment durch, wo ausprobiert wird, wie viel es braucht und wie lange es dauert, bis die Haken brechen. Rund ums Mittelmeer ist aber noch kein Versagen von A4-Haken bekannt!?!
A4-Anker mit A2-Plättli unmittelbar nebenan im Odyssey auf Kalymnos, die beiden Borhaken sind genau gleich alt. |
(5) Seit relativ kurzer Zeit sind Spreizanker aus hochkorrosionsbeständigem Stahl (HCR, High Corrosion Resistant) als Standardprodukte erhältlich. Diese können aus Duplex-Stählen (siehe EN 10088) oder aus Superausteniten (z.B. 1.4539 - Rolex macht seine Oyster-Modelle daraus - oder 1.4547) hergestellt sein. Von Fischer und Hilti gibt es solche Anker, gemäss den in den technischen Zulassungen angegebenen Bemessungslasten handelt es sich wahrscheinlich um Superaustenite. Abgesehen von sehr wenigen (zumeist theoretischen) Fällen sollten diese Anker aus im tropisch-maritimen Umfeld dauerhaft Sturzbelastungen standhalten. Eine brauchbare Grösse der für uns relevanten Beständigkeit ist der PREN-Wert (Pitting Resistance Equivalent), der in Normen oder in den Herstellerangaben zu finden ist.
(6) HCR-Anker sind das eine, dazu sind jedoch auch HCR-Laschen notwendig! Alle Bestandteile an einem Bohrhaken müssen aus ein und demselben Werkstoff gefertigt sein, sonst stellt einem die galvanische Korrosion ein Bein - wiewohl, in freier Wildbahn findet sich die metallurgisch ungünstige Kombination von verzinkten Ankern und rostfreien Laschen ziemlich oft, wobei sich hier im Laufe der Zeit das weniger edle Material (d.h. der nicht sichtbare Anker) geschwächt wird. Nun, Laschen sind etwas aus dem Kletterbedarf, und es gibt aktuell meines Wissens noch keine HCR-Laschen zu kaufen. Duplex und Superaustenite sind jedoch als Bleche erhältlich, die Herstellung geeigneter Laschen ist damit (mit entsprechendem Wissen/Können) kein Problem.
(7) Zur Formgebung der Haken: Kritisch unter korrosiven Umgebungsbedingungen (Meeresnähe, durchaus auch Nähe zu bestimmten Industrieanlagen) sind Kerben, Kontaktstellen und Spalte. „Spreizdübel“ (siehe oben) weisen genau all diese Elemente auf – Korrosionsversagen ist damit natürlich besonders kritisch. (In Kommentaren wird fallweise nur von „Spannungsrisskorrosion“ gesprochen. Tatsächlich ist das Thema wesentlich komplexer – Spannungsrisskorrosion ließe sich in unserem Fall mit geringem Aufwand vermeiden, das Bruchrisiko würde dadurch allerdings nur geringfügig verringert!).
(8) Haken ohne die oben genannten „kritischen Formelemente“ sind wesentlich weniger anfällig bezüglich Korrosionsversagen, das Werkstoffthema damit auch weit weniger kritisch (als nur ein Beispiel die Haken in vor kurzem sanierte Routen im rechten Sektor der „Cala Luna“ – sehr saubere unkritische Formgebung, über den Werkstoff weiß ich leider nicht Bescheid). Unkritische Formgebung bedeutet also Klebehaken. Gelungene Lösungen sind aus meiner Sicht die geschmiedeten Anker von Petzl (BATINOX 14mm, COLLINOX 10mm). Nach meinem Wissen aus A4 bzw. A316L. Ob diese im tropisch-maritimen Umfels bei hoher Salz- und Temperaturbelastung "dauerhaft sicher" (Grössenordnung 50 Jahre) sind, kann ich nicht beurteilen. Die Klebehaken (ebenfalls aus A4) einiger anderer Hersteller halte ich aufgrund der Formgebung für den Einsatz in maritimer Umgebung für grundsätzlich nicht geeignet.
Klebehaken Petzl Collinox 10mm. Quelle: petzl.com |
(9) Bei den Vorteilen von Klebehaken in Bezug auf die Korrosion des Stahls muss aber natürlich auch der Kleber in Betracht gezogen werden. Auch dieser muss "dauerhaft sicher" sein, was in aggressivem Klima längst auch nicht bei jedem Produkt gegeben ist. Zumindest will kein Hersteller eine Lebensdauer oder gar Garantie für den Einsatz am Fels im maritim-tropischen Umfeld abgeben. Somit beackert die Klettergemeinschaft hier ein weiteres Experimentalfeld.
Wer sich bis hier durchgekämpft hat, hat nun vielleicht mehr Fragen als zuvor. Immerhin sei an dieser Stelle versichert, dass Josef nichtsdestotrotz (mehr oder minder) seit über vierzig Jahren den Haken im Fels vertraut. Genau so würde ich das selber ebenfalls unterschreiben, auch wenn mir die wesentlichen Inhalte der obigen Zeilen nun schon ein paar Jahre bewusst sind. Es schadet sicher nicht, eine gesunde Vorsicht walten zu lassen. Kritisch ist beim Sportklettern oft der Bereich zwischen dem zweiten und dem vierten/fünften Haken, wo das Versagen einer einzigen Sicherung oftmals zu einem Bodensturz führen würde. Beim Umlenker ist darauf zu achten, dass zumindest zwei zuverlässig (!!!) verbundene Fixpunkte vorhanden sind, zum Topropen hängt man besser noch die obersten 1-2 Zwischenhaken ebenfalls ein. Achtung auch beim Abbauen durch Ablassen von stark überhängenden Routen (z.B. in der Grande Grotta auf Kalymnos) - irgendwann verhindert meist auch nur noch 1 Haken einen potentiell fatalen Pendler in den Boden, zudem wird die Sicherung dort auch noch ungünstig axial belastet. Im Zweifelsfall lässt man besser die letzten 2 Exen drin und holt diese kletternd raus.
Links
Forumsbeitrag von Alan Jarvis, Delegierter der Sicherheitskommission der UIAA
Dokument von Hilti zu Korrosion und Materialien (PDF)
Auf planetmountain.com gibt's ganz frisch einen Artikel zum diesen Thema: klick!
AntwortenLöschenAuch hier wird das Thema noch einmal aufgegriffen: SaferCanyoning. Insbesondere wird hier die Verwendung von Titan für Haken diskutiert.
AntwortenLöschenI'm personally a big fan of mdettling blog. Thanks for sharing this post.
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