Über die (Un)Sicherheit von Bohrhaken in maritimem Umfeld hatte ich vor rund einem Jahr bereits berichtet. Vor rund einer Woche hat nun die UIAA, der internationale Kletter- und Bergsteiger-Verband ein Dokument veröffentlicht, welches doch schockierende Ergebnisse zutage fördert. Sollen die im Dokument ausgesprochenen Empfehlungen eingehalten werden, so sind in der Kletterszene doch ein gewaltiges Umdenken sowie einschneidende Verhaltensänderungen notwendig. Es ist sehr empfehlenswert, sich den kompletten Bericht (auf Englisch) zu Gemüte zu führen. Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der wesentlichsten Punkte.
Wie in meinem Blog von Dezember 2014 bereits erwähnt wurde, dreht sich das Problem um die schwer erkennbare Korrosion von sogenannt rostfreien Stählen. Leider sind alle diese Materialien im Kletterumfeld nicht zwingend beständig, sondern dem sogenannten Stress Corrosion Cracking (SCC, auf Deutsch Spannungsrisskorrosion) unterworfen. Das Problem betrifft vor allem das maritime Umfeld, d.h. Küstenregionen und bis zu 100km landeinwärts, sowie sonstwie belasteten Standorten (Industrie, Vegetation, ungünstige Mineralien im Fels, ...). Die unsichtbare Korrosion kann die Haken und Laschen so stark angreifen, dass sie bei normalen Sportkletterstürzen oder sogar nur unter Körpergewicht versagen.
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Dieser Haken auf Kalymnos ist garantiert nicht mehr einwandfrei. Wie viel er wohl noch hält? |
Der Bericht enthält eine Liste von Ländern, wo Hakenversagen aufgrund von SCC bereits beobachtet wurde. Die umfasst durchaus populäre Kletterdestinationen wie Thailand, Griechenland mit seinen Inseln, Italien, Sizilien, Sardinien, die balearischen Inseln, undsoweiter. Da die gefährliche Korrosion von rostfreiem Material von Auge nicht erkennbar ist, hat die UIAA eine Reihe von Empfehlungen für Kletterer verfasst. Die meisten davon sind leider zahnlos oder schwer durchzuführen, z.B. man solle das Risiko von SCC bei der Wahl einer Kletterdestination oder -route in Erwägung ziehen und Sicherungspunkte mit mobilem Material, Bäumen oder Sanduhren redundant machen. Wenn man das konkret durchdenkt, so gibt es eigentlich nur 2 mögliche Ansatzpunkte: entweder, man nimmt das Risiko bewusst in Kauf, oder verzichtet bis auf weiteres auf den Besuch von gefährdeten Gebieten.
Eine Untersuchung an einem betroffenen Fels durch Petzl habe gezeigt, dass rund 20% der Sicherungspunkte in einem (ungenannten) Sektor durch SCC dermassen angefressen seien, dass sich bereits bei einer Belastung von 1-5kN versagten (Körpergewicht bis kurzer Sportklettersturz). Ebenfalls wird der bereits von mir dokumentierte Hakenbruch beim Abseilen aus einer MSL-Route in San Vito lo Capo erwähnt. Mir persönlich erscheinen die 20% über alles eine eher hoch gegriffene Schätzung. Wären tatsächlich so viele Haken dermassen schwach, so würden aus den einschlägigen Gebieten sicherlich deutlich mehr Hakenversagen aus der Praxis bekannt. Nützen tut dies freilich wenig, denn auch wenn es nur 2% oder gar 0.2% sein sollten, ein einziger versagender Haken kann nunmal das Ende bedeuten (z.B. bei einem Sturz in den zweiten oder dritten Haken der versagt, mit Grounder in ungünstiges Gelände).
Zündstoff beherbergen vor allem auch die neuen Empfehlungen der UIAA, da diese nun meilenweit strengere Anforderungen stellen, als sie der bisherige Gebrauch im Kletteralltag zeigen. Konkret:
- In küstennahen Gegenden (Meeresnähe, bis 100km Inland, sonstige betroffene Standorte) sollen nur noch Materialien aus dem korrosionsbeständigen Titan oder HCR-Stähle zum Einsatz kommen. Das ist begrüssenswert, in der praktischen Umsetzung jedoch nicht einfach. Titanhaken gibt es nur als Klebehaken, HCR-Laschen bisher gar nicht, zudem kostet ein entsprechender Haken gleich ein mehrfaches wie ein "rostfreier" A4-Bohrhaken von guter Qualität.
- In von SCC nicht betroffenen Gebieten wie z.B. den Alpen bzw. ganz Zentraleuropa soll Outdoor nur noch Material in A4-Stahlqualität (AISI 316 oder die Low-Carbon-Variante 316L) eingesetzt werden. Rostfreie Haken aus A2-Stahl oder gar verzinkte Ware sind zur Verwendung im Klettersport nicht mehr empfohlen! Der Punkt ist nur, dass sogar namhafte Hersteller von Kletter-Hardware nach wie vor kaum Produkte aus A4-Stahl anbieten. Vielerorts wird nach wie vor mit A2-Material saniert, schlimmstenfalls sogar mit noch schlechterem Material wie Zink-Inox-Gemisch wie z.B. meine Beobachtungen an der Grauen Wand von diesem Sommer zeigen.
Der Hammer kommt dann aber zum Schluss. Die UIAA benennt ganz klar, dass die Klettergemeinde hier vor einer riesigen Herausforderung steht. Aktuell stellt sich heraus, dass das in den allermeisten Kletterrouten verbaute Material den Anforderungen nicht genügt, bzw. nicht sicher ist. Dies betrifft nicht nur maritime Klettergebiete, sondern auch ganz viele andere Felsen. In einigen von meinen Reports sind z.B. die Wendenstöcke erwähnt, wo in fast allen Routen die ungünstige Zink/Inox-Mischung steckt, die nun am Ende ihrer Lebensdauer angelangt ist.
Der Bericht schliesst mit der Erkenntnis, dass die Herausforderung von unsicheren Bohrhaken sicherlich nicht von einzelnen Individuen (d.h. guten Seelen) gemeistert werden kann, welche aus eigener Initiative und mit eigenen finanziellen Mitteln als Dienst an der Allgemeinheit Sicherungen warten und ersetzen. Ganz klar auf den Punkt gebracht heisst dies: "the bulk of the climbing population needs to start paying for anchors, whereas in the past most had a free ride". Es wird also nicht gehen, ohne dass sich der gemeine Kletterer finanziell beteiligt - für mich definitiv keine neue Erkenntnis. Ich bin gespannt, wie es in dieser Causa weitergeht...