Wieder einmal ist es Zeit für meinen traditionellen Jahresrückblick. Hatte ich mit Blick aufs 2014 vom besten Bergjahr meiner Karriere gesprochen, so kamen zwar im 2015 wiederum tolle, alpinistisch beinahe gleichwertige Erlebnisse und Klettereien mit hohen Schwierigkeitsgraden mit hinzu. Was im 2015 hingegen fehlt, ist eine ganz grosse, renommierte Tour von überragender Strahlkraft wie damals die Matterhorn Nordwand. Mit Blick auf das über lange Zeit ideale Bergwetter, wo viele grosse Touren ganz hoch auf meiner Wunschliste ideale Verhältnisse aufwiesen, hinterlässt das etwas den Geschmack von "es wäre mehr möglich gewesen". Doch meist hatte ich zum Zeitpunkt X andere Verpflichtungen, oder wenn es kurzfristig einmal passte, so fehlte garantiert der nötige Seilpartner. Nimmt man mein 2015er-Palmares als Massstab, so kann man diese Feststellung zwar als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen. Trotzdem, wenn man es in einem wettertechnisch mässigen Jahr schafft, die besten Tage rauszupicken und aussergewöhnliche Touren zu realisieren, stellt sich automatisch das Gefühl von "alles richtig gemacht" ein. Ist man hingegen daheim oder bei der Arbeit gebunden und muss auf den Social Media konstatieren, dass andere gerade bei besten Verhältnissen Hammertouren realisieren, so verbleibt manchmal schon ein Wermutstropfen. Im beinahe beständig schönen 2015 wird das aber so manchem gleich ergangen sein...
Sportklettern
Deutlich am häufigsten mit ungezählten Ausflügen widmete ich mich im 2015 der Kletterei im Klettergarten. Mit dabei waren nebst vielen Ausflügen an in der Nähe gelegene Felsen Trips ins Tessin (2x), Interlaken, Frankenjura, Norwegen, Kalymnos und an den Comersee. Meine Bemühungen waren durchaus erfolgreich, gelang es mir doch im Jahresverlauf fünf Routen und damit so viele wie bisher nie im Grad 8a zu punkten. Mit hinzu kommen 4x 7c+ und 12x 7c, sowie viele weitere Routen im siebten Franzosengrad. Nachdem ich vor kurzem ein Projekt realisieren konnte, an welchem ich mir über lange Zeit hinweg die Zähne ausgebissen habe, kann ich konstatieren, dass ich selbst nach 25 Jahren Klettern nochmals stärker geworden bin. Nicht um Welten natürlich, von aussen möglicherweise kaum sichtbar, aber für mich persönlich doch spürbar. Den Grund sehe ich in meinem weitgehenden Verzicht, in kommerziellen Hallen zu klettern, und stattdessen so oft wie möglich draussen oder an meiner kleinen, aber sehr effektiven Wand im Keller zu klettern. Ein weiterer Aspekt liegt meines Erachtens in der Losung "fatigue has no place in strength training" - d.h. weniger Versuche, kürzere Trainings, dafür aber mit 100% Leistung, Konzentration und rechtzeitigem Beenden des Trainings. Mal sehen, wie ich in einem Jahr über diesen Ansatz denken werde. Die Kehrseite meiner 2015er-Erfolge besteht etwas darin, dass eine 8a inzwischen für mich nicht mehr eine "once in a lifetime opportunity" oder einen "once in a lifetime dream" darstellt. Es wäre also an der Zeit, im 2016 den schon lange angestrebten Grad 8b zu realisieren - ob es wohl gelingt?!?
Wie so oft, unterwegs zu einem tollen Sportklettertag mit Familie. |
Mein Auftakt fand dieses Jahr erst am 7. Juni statt, dafür dauerte die Saison dann aufgrund der schneefreien Verhältnisse bis Ende Dezember. Insgesamt ergaben sich 27 MSL-Touren sowie 2 Trad-Klettertage in Schweden, welche in dieser Rubrik trotz nicht allzu langen Routen am besten eingeordnet sind. Wegen dem heissen Wetter boten sich dieses Jahr so oft wie selten die Nordwände oder hochalpine Klettereien an. Oder auch ein Trip nach Norwegen, wo wir diesen Sommer meist warm eingepackt im Granit kletterten, während die Schweiz unter einer Brutofenhitze litt. Die 2015er-Highlights in diesem Bereich waren für mich die Süpervitamin in der Titlis-Nordwand, welche ich in einem epischen Fight onsight niederringen konnte. Mit der Sacremotion und dem Eisbrecher ergaben sich auch zwei mit Schönheitssternen hoch dotierte Routen am Furkapass. Im Kalk erwähne ich an dieser Stelle insbesondere den Zischtigsclub, die Wätterhäx und den Mauerläufer als Routen, die mir besonders viel Spass bereitet haben. Besondere Erwähnung verdienen auch meine Schnupper-Begehung vom Extremklassiker Kein Wasser kein Mond als Seilzweiter und die erste längere und seriöse MSL-Tour, welche wir gemeinsam mit unserer Tochter angehen konnten.
In einem bisher noch undokumentierten MSL-Projekt mit provisorischem Grad 8b. |
Im 2015 ergab sich die Erstbegehung von 3 Klettergartenrouten und einer Mixed-Tour im Urnerboden, über welche hier in nächster Zeit einmal noch ausführlicher berichtet werden soll. Auch ins Einrichten eines klein-feinen Drytooling-Gebietes habe ich etwas Zeit investiert, bin damit aber noch nicht soweit gekommen, dass dies publikationswürdig wäre - affaire à suivre. Die Königsdisziplin beim Bohren ist jedoch das MSL-Genre: mit der Maschine am Gurt ins Unbekannte losklettern und schauen, wie es wohl am besten weitergeht. Dieses Jahr erzeugte ich zusammen mit Erich Rütsche aus den zwei etwas verlorenen Seillängen des Element of Slime eine lohnende 7-SL-Tour in der Westwand vom kleinen Bockmattliturm. Ein absolutes Highlight für mich war das Einrichten und Punkten meiner ersten Tour mit Namen Zambo an den hochgelobten Wendenstöcken, welche moderat schwere aber sehr schöne Kletterei bietet. Zusammen mit Werner Küng könnte ich an der Schafbergwand auf dem Trassee der ehemaligen Galoschen des Glücks einen neue, alpine Sportklettertour mit guter Absicherung legen. Auch wenn es sich dabei technisch gesehen bloss um eine Sanierung handelt, so entsprach das Erlebnis für mich eher einer Erstbegehung von unten. Erwähnt seien an dieser Stelle auch noch offene Baustellen mit substanziellem Fortschritt und vielversprechenden Aussichten: solche gibt es in der Eiger Nordwand und im Rätikon. Wie bisher immer mangelt es auch nicht an weiteren Ideen und Visionen.
Der bequeme Rückweg ins Tal nach einem Bohrtag am Eiger, die letzte Bahn ist schon lange abgefahren... |
In der näheren Umgebung stellten sich im Winter 2014/2015 leider nie geeignete Bedingungen fürs Eisklettern ein. So ergaben sich schliesslich total 8 Tage im Eis. Besonders herausragend sind dabei die Touren, welche ich in Kandersteg unternehmen konnte. Der Auftakt gelang dabei schon fantastisch mit der Lochroute und den Haizähnen, kurz darauf konnte ich mit Bück Dich eine begehrte Mixedroute begehen, die ich noch kurze Zeit davor als kaum erreichbar eingestuft hätte. Und zum Abschluss dieser Phase ergab sich dann noch die fett gewachsene Alphasäule an der Breitwangflue, eine Tour welche dem berühmten Crack Baby in kaum einer Beziehung nachsteht. Ein Meilenstein für mich war auch die Vorstiegs-Begehung der Jasper-Route Midnight Express (M8-) im Urnerboden. Die ist zwar nur 25m lang, dafür ohne Bohrhaken und auch von der Linie her einigermassen kompromisslos. Hier hatte ich das Glück, mit kompetenten Seilpartnern unterwegs sein zu können und von ihnen den notwendigen Support im Sinne von "du kannst das!" zu erhalten. So war es dann auch, und diese Begehung eröffnete für mich persönlich schon neue Horizonte. Beim Mixed-Klettern würde mit entsprechendem Training noch viel drinliegen. In der Begeisterung wurden sogar Fernziele wie die berühmte Flying Circus (M10) ins Auge gefasst. Mit ein bisschen Üben schafft man vielleicht sogar das?!?
No-Hand-Rest in Midnight Express am Urnerboden, bevor die finale Crux nochmals vollen Einsatz verlangt. |
Obwohl es wie erwähnt eigentlich viele Gelegenheiten zum seriösen Bergsteigen gegeben hätte, kann ich hier nur die Schweizerführe in der Nordwand der Courtes als so richtig klassische Aktivität in diesem Genre auflisten. Diese in sauberem Stil und mit einem angenehmen Zeltbiwak auf dem Argentière-Gletscher bewältigte Tour war dafür ein richtiges Highlight. Speziell ist meine 2015er-Beziehung zur Eiger Nordwand. Sowohl im Frühjahr wie im Herbst gab es längere Fenster mit guten Bedingungen für die Heckmair. Zweimal sass ich sogar auf gepackten Koffern, beide Male platzte die Sache aber in letzter Minute aufgrund äusserer Umstände. Ein drittes Mal ging es dann los und wir machten uns bei unbekannten Conditions auf den Weg. Aber wie man schon gelesen hat, im mit trockenem Pulver belegten Fels ging da gar nichts. Sozusagen als Frustbewältigung konnte ich dann die sehr schöne Tour durchs SW-Couloir der Silberplatten klettern. Auch ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es für lohnendes Bergsteigen nicht unbedingt grosse Namen, bekannte Berge und weite Anreisen braucht. Ebenfalls in diese Kategorie ordne ich vier Ausflüge im Alpinwander-Bereich ein, welche ich mehr als konditionelle Trainingstouren begangen habe, als meine Finger gerade zu müde zum Sportklettern waren.
Der Autor unterwegs in der Courtes-Nordwand. |
Wie schon in den vergangenen Jahren habe ich meine Skitouren-Aktivitäten (vor allem im Vergleich zu früher) aufgrund der vielen Klettereien in Fels und Eis sowie dem Pistenskifahren mit den Kindern stark eingeschränkt. Im Januar und Februar lag bei uns daheim auch eine gute Schneedecke, so dass ich praktisch von der Haustür weg einige Touren unternehmen konnte. Später in der Saison nutzte ich dann noch einige Sportkletter-Regenerationstage für längere Ausflüge, so dass bis zur letzten Tour am 17. Mai insgesamt 14 Stück zusammen kamen. Der beste Ausflug der Saison war ganz eindeutig jener auf die Scherenspitzen des Piz Forbesch, die Touren zum Pizzo Ferrè und zum Pizzo Stella waren auch tolle Erlebnisse. Als absolutes Novum seit Beginn meiner Skitourenkarriere war ich von Sommer bis Ende Jahr wegen Schneearmut und warmem Kletterwetter auf keiner einzigen Tour - ein Zustand, der bis dato anhält, mich aber auch nicht in Rastlosigkeit verfallen lässt.
Morgens vor der Arbeit rasch im Züri Oberland anspuren gehen, das ist meistens keine schlechte Sache! |
Nun schliesse ich diesen Jahresrückblick nach 2 tollen Wochen Festtagsferien. Fast jeden Tag konnte man nach draussen, dabei sind wir im Eis geklettert, im steilen Fels konnte ich eine 8a punkten und zwei weitere pfannenfertig brutzeln, es wurde bei sommerlich angenehmen Bedingungen MSL geklettert, es ergaben sich sogar zwei tolle Skitage mit den Kindern bei idealen Verhältnissen und das Feiern mit Freunden und Familie kam auch nicht zu kurz. Um den Bogen zum Vorspann zu diesem Post zu schliessen: man kann sich ja kaum mehr als das wünschen! Doch wenn ich höre, wie Kollegen während dieser Zeit in der Eiger Nordwand, dem Dru Couloir oder der Roseg Nordwand erfolgreich waren, so verbleibt eben doch ein gewisser Rest von Sehnsucht. Ein bisschen hungrig zu bleiben ist jedoch sicher keine Untugend.
Auf ein tolles Bergjahr 2016 und mit bestem Dank an all meine Tourenpartner im 2015!
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