Drei Wochen waren seit meinem letzten Besuch am Guggernüll vergangen. Die Lage präsentierte sich weiterhin ähnlich: noch beinahe nirgendwo auf der Alpennordseite liess es sich so richtig gut Eisklettern, im Rheinwald aber waren die Bedingungen gut geblieben. Das Eis war weiterhin fett und solide gewachsen, ebenso hatte es in der Zwischenzeit nur wenige Zentimeter Schnee gegeben. Dieses Mal wollte Kerstin mit von der Partie sein. Ohne genauen Plan wollten wir einmal schauen...
... und entschieden uns schliesslich für die Linie, welche im Sertori-Führer als Cascata del Novizio beschrieben ist. Diese ist vom Parkplatz aus deutlich auffälliger wie die Via Abalakov, welche ich drei Wochen zuvor geklettert war. Die Kletterlänge wird im Führer bloss mit 170m angegeben. Diese Angabe kann ich jedoch nicht unterstützen, wir fanden jedenfalls auf über 400m Strecke lohnendes Eis. Aber naja, auf Papier kann man eben alles drucken. Auf den ersten Blick würde man auch meinen, dass diese Route einen deutlich kürzeren Zustieg aufweist. Aber das täuscht: klar, man spart sich etwa 10 Minuten Horizontalmarsch nach links, der Einstieg in die Cascata del Novizio befindet sich aber sogar 40 Höhenmeter weiter oben wie für die Via Abalakov. Wir sind entlang einiger Spuren durch den Buschwald rechts auf- und abgestiegen, womöglich wäre es im Bachbett selber gar nicht so viel schlechter.
Nachdem wir aufgeschirrt waren, beginnt die Sache gleich mit der anspruchsvollsten Seillänge. Bei L1 handelt es sich um einen recht steilen Vorhang in einem Fels-Amphitheater. Da und dort tropfte es etwas, einige Eisblüten waren sogar auch vorhanden. Insgesamt fand ich das etwa ähnlich oder vielleicht ein bisschen einfacher wie die mit WI4 bewertete Cruxlänge des Tutto Relativo in Cogne. Somit also etwas zwischen WI3+ und WI4, vermute ich. Nach 60m erreicht man einen bequemen Stand in einem flachen Becken. In L2 ist der Fall sehr breit und übersichtlich. Es will erst eine kurze Steilstufe von maximal 10m Höhe mit dafür gut 80 Grad geklettert sein. Danach geht's eine ganze Weile im 60-70 Grad geneigten Gelände dahin, bevor man zum Schluss nochmals 15m steileres Eis (75-80 Grad) klettert. Alles in allem wohl etwa WI3 und auch 60m lang. In L3 nimmt die Steilheit dann ab, die Bachrinne ist etwas tiefer eingeschnitten. Genüssliches Steigen in bis zu 60 Grad steilem Eis, Schwierigkeit im Bereich WI1-2, auch wieder 60m lang. Danach folgt in L4 erst beinahe Gehgelände, wo man auch gut gemeinsam steigen kann. Zuletzt folgt dann eine ca. 15m hohe Stufe mit Kletterei in etwa 70-75 Grad steilem Kompakteis, Schwierigkeit ca. WI3-. Weitere ca. 40m an Gehgelände führen an den Fuss der nächsten Steilstufe (L5). Diese ist ca. 15m hoch und säulenartig steil, ca. 85 Grad. Ideale Eisverhältnisse auch hier, somit nicht schwerer wie WI3+. Erneut muss man nach der Steilstufe etwa 30-40m im Gehgelände verschieben, um zur letzten, rund 40m hohen Stufe zu kommen. Hier in L6 ist der Fall nochmals richtig breit und mehrere Linien sind möglich. Steilheit so im Bereich von 70 Grad, Schwierigkeit auch so WI3.
Auf ca. 2060m erreicht man das "Ende" der Route. Der Bach führt noch gute 100hm weiter vereist nach oben, das Gelände ist jedoch flach und Seilsicherung ist nicht nötig. Danach wird die Rinne dann erst trocken, bevor weit oben nochmals eine steile, ca. 50m hohe Säule grüsst. Diese wurde nach den Angaben im Sertori-Führer auch schon begangen und wird mit WI6 bewertet. Auf dieses Abenteuer wollen wir uns nicht einlassen und treten den Weg ins Tal an. Dieser vollzieht sich durch Abseilen an Abalakovs. Da ein paar Tage zuvor eine Seilschaft unterwegs war, haben wir Glück und können von deren Arbeit profitieren. Im oberen Teil ist es am bequemsten, die wenig steilen Abschnitte kurz gehend zurückzulegen und nur über die Steilstufen abzuseilen. So kommt man in total 6 Manövern wieder zum Einstieg. Wollte man alles komplett Abseilen, so sind 1-2 zusätzliche Abseiler notwendig.
Selbstgezeichnetes Topo der Route, sowie auch der Via Abalakov. |
Für uns geht soweit alles gut, bis beim zweiletzten Abseiler das freie Seilende ganz offensichtlich an der Verankerung blockiert. Verflixt und zugenäht, was ist denn da passiert? Wir probieren es erst mit roher Gewalt, müssen aber bald die Sinnlosigkeit von diesem Unterfangen konstatieren. Wenn wir das Seil nicht aufgeben wollen, so bleibt nur der Aufstieg. Dumm nur, dass es bei diesem ausgereizten 60m-Abseiler nicht mal in 1x raufklettern reicht. So beschliesse ich, es vorerst einmal seilfrei rechtsherum im Erlengebüsch zu versuchen. Mit ein paar grösseren Umwegen und Schlichen über Bänder kann ich an Höhe gewinnen und in einer Flachpassage oberhalb ins Bachbett gelangen. Nun nur noch zur Abalakov-Schlinge runter und was sehe ich da: das freie Seilende hat es wohl durch das schnelle Durchlaufen herumgewirbelt und perfekt verknotet. Das wäre nie freigekommen, ja da hätte man (wenn man es gewusst hätte) auch getrost mit dem Tibloc am Seil aufsteigen können (darf man natürlich nie machen!). Schade, kann ich kein Foto liefern!
Nach bisher viele 1000x Seil abziehen in meiner Kletterkarriere ist es nun das zweite Mal, dass so etwas passiert ist. Das erste Mal war an den Wendenstöcken nach der Begehung von Passion bei der linken Abseilpiste am Pfaffenhuet. Da dort keine Route hochführt, wären wir definitiv in der Falle gesessen und auf Rettung angewiesen gewesen. Zum Glück kam da noch eine Seilschaft hinterher. Dieses Mal liess sich das Malheur zum Glück selber beheben, auch wenn die Plaisir-Eistour so doch noch eine ziemlich alpine Note erhalten hatte. Nun denn, im zweiten Versuch klappte das Abziehen wie gewünscht und bald waren wir retour am Einstieg. Während unseren Manövern hatte heftiger Schneefall eingesetzt, Zeit um retour zum Ausgangspunkt zu kommen. Wir legten unsere ziemlich durchnässte Ausrüstung ab und fuhren durch ein wahres Sauwetter mit dichtem Schneetreiben (zuerst) und heftigem Regen (danach) zufrieden retour Richtung Unterland.
Facts
Guggernüll - Cascata del Novizio WI3+ - D- III P4 3+ - 400m - Erstbegeher unbekannt - ***
Material: 2x60m-Seile, 10-12 Schrauben, Material für Abalakovs
Schöne und lange Plaisir-Eiskletterei mit einigen steileren Stellen und flacheren Abschnitten dazwischen. Im Vergleich zur Via Abalakov vielleicht einen Tick anhaltender, dafür landschaftlich nicht ganz so eindrücklich und deutlich kürzer. Auch hier gilt, dass man nur bei 100% lawinensicheren Verhältnissen einsteigen soll. Am lohnendsten ist die Route sowieso im Frühwinter, wenn noch praktisch kein Schnee liegt. Wichtig zu wissen: es gibt keinen bequemen Fussabstieg und eingerichtete Abseilstellen sind nicht vorhanden. Man muss für den Abstieg. also selber Abalakovs anbringen.
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