Ich könnte an dieser Stelle von unser idealen Planung berichten, d.h. wie wir es bei widrigen Verhältnissen trotzdem geschafft haben, eine trockene und lohnende Kletterroute zu finden. Das wäre aber dann ein bisschen gelogen. Mit dem Ruchstock ist es nämlich ein bisschen ein Kreuz. Schon lange haben wir die beiden Routen Black Mamba und Dream Team durch die Südwand auf dem Radar. Doch einmal wurde ich in der Nacht vor der Tour plötzlich krank, ein anderes Mal hielt uns die Arbeit kurzfristig von einer Begehung ab und ja dieses Mal, da wurde es auch wieder nichts. Immerhin, so knapp wie dieses Mal sind wir noch nie gescheitert.
Alles wie frisch gewaschen... auf Ristis, bei der Bergstation der Brunnibahn vor dem Aufbruch. |
Die Wetterprognose lautet auf einen trocken-sonnig-warmen Tag, ein bisschen Niederschlag am Vortag sollte der Begehung nicht im Wege stehen. Doch spätabends, als wir unser Ziel bereits fixiert haben, geht über Engelberg noch ein heftiges Gewitter nieder und deponiert 45mm Regen, ein Drittel des durchschnittlichen Monatsniederschlags. So erstaunt es dann nicht, dass die sich Wände im ganzen Talkessel am nächsten Morgen schwarz vor Nässe präsentieren. Da wir vor Ort sind und nicht noch in der Weltgeschichte herumfahren wollen, um an den nächsten Orten dasselbe Bild zu sehen, machen wir uns trotzdem auf den Weg. Womöglich würde ja die starke Sonneneinstrahlung der Nässe rassig den Garaus machen. Bei dem rauen Hochgebirgskalk und der Wandkletterei, welche die Routen bieten, ist das ein durchaus realistisches Szenario.
Schön anzusehen, aber einfach nicht ganz ideal für die Felstrocknung, diese Quellwolken. |
So gondeln wir mit der Bahn nach Ristis und laden auch das Mountain Bike mit ein. Das kostet nur 4 CHF extra, ist somit günstiger als die Retourfahrt und bildet den Joker für einen bequemen Weg ins Tal, falls man die letzte Fahrt abends verpassen würde. Von Ristis (1599m) radelt man bequem auf nicht allzu steil ansteigender Teerstrasse bis zum Rigidalstafel (1747m) bzw. bis zum Vogelloch wenig oberhalb. Dort steht das Schild "Ende der Bikestrecke", und man müsste dieses auch für rund 100hm bis zum Holzstein schieben oder schultern. Danach wäre der mit etwas Auf und Ab nahezu horizontal verlaufende Pfad bis zum Planggenstafel wieder gut fahrbar, für jene die genügend Saft in den Beinen haben mit wenigen Schiebepassagen sogar der ganze Aufstieg bis zur Rugghubelhütte. Vor allem der Downhill von daselbst würde dann allererste Güteklasse aufweisen. Das alles jedoch im Konjunktiv, denn nebst dem ersten Schild am Rigidalstafel trifft man danach auf drei weitere Schilder, welche das Biken im Jagdbanngebiet untersagen.
Die Südflanke des Ruchstock mit dem besten Wegverlauf hinauf zur Route (ca. T5). |
In 1:20 Stunden ab Ristis waren wir in der Hütte, von da wären es noch ca. 20 Minuten an den Einstieg. Leider herrschte aber nicht eitel Sonnenschein, sondern es waberte reichlich Quellbewölkung herum, so dass sich die Situation an der Wand noch nicht zu unseren Gunsten verbessert hatte. Also gingen wir erst mal eins trinken und trafen auf eine weitere Seilschaft, welche auch den Ruchstock auf dem Radar hatte und auf Besserung wartete. Nach einer Weile (bei immer noch unveränderter Lage) beschlossen wir, doch wenigstens mal am Einstieg nachzusehen. Erst noch dem Pfad entlang, dann die Grashänge hinauf und zuletzt die etwas mühsame Querung der labilen Geröllhänge - nur um zu sehen, dass die Wand nicht nur schwarz vor Nässe war, sondern dass ganze Kaskaden über den Routenverlauf tropfen. Da war dann gleich klar, dass dies nicht von einer Stunde Sonne in einwandfreien Zustand kommen würde. Somit war eine gute Alternative gefragt...
Gefunden, irgendwo im nirgendwo. Schon erstaunlich, wie selbst eine ganz einfache Beschreibung ausreicht, um den Einstieg aufzufinden, sofern der Weg dorthin und auch die Route absolut logisch sind. |
Unsere Sandwiches verspeisend entschieden wir, einmal rechtsrum im Schrofengelände aufs Band in Wandmitte zu kraxeln. Dort wollten wir entweder die Speck-Kante (5 SL, 7a) anpacken, welche sich an einem Turm rechts aussen befindet, oder dann notfalls einfach den oberen Wandteil einer der langen Südwandrouten klettern. Der Aufstieg ist nicht allzu schwierig (ca. T5), aber doch exponiert und ein Ausrutscher liegt nirgendwo drin. Zusammen mit dem nassen Gras und dem komplett durchweichten Boden war reichlich Aufmerksamkeit nötig. Der beste Weg ist übrigens absolut logisch, und in der Toposkizze von Erstbegeher Sämi Speck (siehe unten) auch nachvollziehbar eingezeichnet. Im Gelände findet man zudem hier und da einen verblassten, roten Pfeil, der einem die Routenwahl bestätigt. Was wir zu Gesicht bekamen, war immerhin erfreulich. Der freistehende Turm der Speck-Kante, ohne jede Vegetation, war augenscheinlich trocken und würde einen Versuch zulassen. Um 11.55 Uhr und damit nach 3:45 Stunden nach unserem Aufbruch in Ristis waren wir (natürlich mit vielen Pausen und Umwegen) startbereit.
L1, 40m, 6a+: Nach den ersten, noch etwas brüchig-einfachen Metern sehr schöne Kletterei in rauem, kompaktem Hochgebirgskalk. Das Gestein ist speziell geschichtet, es gibt viele grosse, runde Griffe und Aufleger, aber kaum positive Henkel. Beim Klettern gab der Fels (zumindest uns) immer ein bisschen das Gefühl, dass wir uns ungeschickt anstellen - liegt wohl daran, dass das raue und nicht allzu steile Gestein den Eindruck vermittelt, hier einfach hochtänzeln zu können. Wegen der anhaltenden Rundheit müssen die Moves aber sorgfältig geplant werden.
Blick vom Einstieg nach oben. Sieht vielversprechend aus, cooles Wolkenbild dazu! |
L2, 30m, 6b: Nun geht's nur wenig rechts der Kante steiler aufwärts. Sehr schöne Kletterei an immer noch vorwiegend runden Strukturen, mit ab und zu einem (natürlich ebenfalls abgerundeten) Riss, der einen Seitgriff hergibt. An sich gut abgesichert, mit zwei längeren Runouts in einfacherem Gelände in der Mitte, welche den Rahmen von xxxx-Absicherung sprengen. Der Fels natürlich auch super rau, Speck ist wohl der Name des Erstbegehers, aber ganz und gänzlich nicht die Situation am Fels.
Schöne Kletterei in rauem Hochgebirgskalk mit vielen runden Strukturen (wäre ideal für eine Finger-Reha!): L2, 6b. |
L3, 25m, 6a: Es wird noch besser, es kommt die bisher schönste Seillänge. Die Zone unter dem grossen Überhang weist allerbesten, wasserzerfressenen Fels auf. Nun hat's auch einige griffige Tropflöcher und Briefkastengriffe der allerersten Güte. Ein grosser Genuss, hier hochzusteigen.
Sehr schöne Kletterei in fantastischem Fels wartet in L3 (6a). |
L4, 35m, 7a: Achtung, hier gibt's zwei Varianten. Direkt ob dem Stand hoch führt die "Direkte Speck-Kante" (7b, siehe Beschreibung unten). Die Route führt aber eigentlich erst in einem Quergang nach rechts, und dann die Wand hinauf. Erst geht's eng abgesichert und noch recht griffig in schönem Fels aufwärts. In der Mitte kommt dann die Crux: der Fels ist irre rau, aber nicht so wirklich griffig. Technisch zaubern in senkrechtem Fels heisst es da für ein paar Meter, vor allem ist die beste Passage ob den unendlich vielen, etwa ähnlich guten oder eben schlechten Griffmöglichkeiten kaum zu erkennen. Pokern heisst es da, meine Variante geht jedenfalls in einem Onsight auf. Trotz der sehr guten Absicherung hatte ich den Eindruck, dass die schwersten Moves recht zwingend sind - aber vielleicht täuscht's auch, und man würde bei Verwendung einer Trittschlinge doch mit 6b A0 durchkommen. Zuletzt dann noch 10 einfachere Meter in plattiger Verschneidungswand zum Stand.
Coole Kletterei und das Ambiente passt: L4, 7a. |
L5, 25m, 6b: Nun geht's noch auf den steilen Turm hinauf. Das Gestein sieht etwas nach Klausen-Klötzlifels aus. Allerdings entpuppt es sich als solide und ist auch cool zu beklettern. Eher etwas technisch und fein im ersten Teil, grossgriffiger und leicht überhängend dann zum Abschluss, wirklich lässig.
Klötzlifels in solider Ausprägung, hinauf auf den steilen Turm: L5, 6b. |
Etwas vor 14.00 Uhr sind wir nach 2:00 Stunden Kletterei beim Ausstiegsstand. Wir steigen noch die wenigen Meter zum von uns Spitz Speck (oder auf Schweizerdeutsch eben "Schpitz Schpäck") genannten Gipfel auf. Leider gibt's weder ein Routen- noch ein Gipfelbuch, aber wir vermuten, dass hierhin noch nicht viele Begeher ihren Fuss gesetzt haben. In allen anderen Routen von Sämi, die zur selben Zeit erstbegangen wurden, hatte ich mir in den letzten Jahren eine Wiederholung bei noch einstelliger Besucherzahl buchen können. Somit dürfte hier, bei dieser eher kurzen Route mit sehr langem Zustieg bei ähnlichem Charakter und Schwierigkeit, eher noch weniger bzw. eben gar nicht geklettert worden sein. Wir halten uns eine Weile auf, bauen einen Steinmann und geniessen den Ausblick ins wilde, hintere Rugghubelgebiet. Landschaftlich ist's wirklich schön hier oben, das kriegt man definitiv etwas für den weiten Zustieg entschädigt.
Oben auf dem Spitz Speck, wie viele waren vorher schon da?!? |
Mein Plan ist es, der 7b-Länge an der direkten Kante noch einen Versuch zu geben. Wir seilen also 2x25m ab und stehen wieder am Stand nach L3. Meine Erwartungen und Hoffnungen werden erfüllt, ich kann auch diese Seillänge gleich im ersten Go punkten. Nachdem man direkt darüber abseilt habe ich gleich die Exen platziert und die Augen hatte ich natürlich auch nicht verbunden. Je nach persönlicher Ethik also ein Rotpunkt, Flash oder Onsight ;-) Eigentlich ja egal wie es heisst, das Ziel war hier einfach grad durchzusteigen, und das ist gelungen. So richtig schwer ist eigentlich nur eine kurze Passage, welche ein paar originelle kleine Schlitze und Löcher bei mässigem Trittangebot bietet und kurz entschlossenes Durchziehen verlangt. Der Rest der Seillänge bietet Genusskletterei im 6bc-Bereich in prima rauem Gestein. Wer möchte, kann übrigens (obwohl es im Topo nicht so aussieht) auch vom Stand dieser Variante danach noch L5 klettern.
Jonas folgt in der schönen 7b-Länge der direkten Kante, welche wir uns zum Dessert noch gegönnt haben. |
Wir seilen danach zum Einstieg ab und wechseln das Schuhwerk. Sonne sei Dank haben die im Aufstieg komplett durchnässten Socken und Schuhe wieder eine akzeptable Trockenheit erreicht und auch im Gelände ist's nicht mehr so arg nass. Im unteren Wandteil von Black Mamba und Dream Team hat sich die Lage auch gebessert. Es verbleiben aber immer noch ein paar Wasserstreifen, also heute wäre da definitiv nicht zu holen gewesen. So steigen wir an vielen hüttenwandernden Personen (v.a. Familien) vorbei zu unseren Bikes ab, bevor der rasante Downhill nach Engelberg erfolgt. Das Fazit am Schluss ist glasklar: a) die Bike-Abfahrt fägt, das nächste Mal nehmen wir das Bergrad sicher wieder mit und b) auch wenn uns die langen Routen am Ruchstock erneut entgingen, die Speck-Kante war ein ganz nettes Tüürli. Klar, das Verhältnis von Zustieg zu Routenlänge ist leicht suboptimal. Das kümmert uns aber nicht weiter, den Wetterkapriolen zum Trotz gab's doch noch ein ganz gmögiges Tägli mit wirklich lohnender und zudem auch sportlich erfolgreicher Kletterei - a good day out in the mountains!
Facts
Ruchstock - Speck-Kante 7a (6b obl.) - 5 SL, 150m - Sämi Speck 2006 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, Keile/Friends nicht nötig
Nette Route an einem einsamen, abgelegenen Turm in der oberen Ruchstock-Südflanke, welche wohl kaum Begeher sieht. Das liegt am langen Zustieg, welcher von Ristis auch bei zügigem Gehen rund 2.5 Stunden in Anspruch nimmt. Das schmälert die Attraktivität der Route, weshalb als Gesamtunternehmung nur ** angebracht sind. Es sei denn, man wandere gerne, sei gerade in einer Phase mit Konditionstraining oder sonstwie motiviert, diesen Ort aufzusuchen. Die Kletterei allerdings ist wirklich lohnend, der raue Hochgebirgskalk von guter Qualität und wie unsere Erfahrung zeigt, auch sehr schnell trocken. Bei der Absicherung hat sich Sämi Speck nicht lumpen lassen. Die BH stecken regelmässig und in freundlichen Abständen, nur im einfacheren Gelände muss man einmal ein paar Meter weiterklettern, Keile/Friends sind nicht nötig. Weil es in der Einstiegslänge sowie in L4 jeweils zwei Varianten gibt, können Motivierte noch zwei Zusatzlängen klettern. Besonders die 7b-Variante an der direkten Kante ist wirklich prima. Weil auf den Bändern reichlich Schutt herumliegt und ein Abseilen ohne Steine in die Tiefe zu schicken kaum möglich ist, verträgt es in dieser Route nur eine Seilschaft aufs Mal. Das dürfte jedoch aufgrund der tiefen Begehungsfrequenz kaum ein Hindernis darstellen, und eine Eigengefährdung ist nicht vorhanden.
Topo
Das Topo vom Erstbegeher Sämi Speck passt hervorragend, da braucht's nichts anderes. Danke Sämi!
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