Die Jack Daniels befindet sich auf der überhängenden Rückseite der Sandbalm-Platten, welche prominent über der Voralpkurve im Göschener Tal trohnen. Sie ist nicht überaus lang, nicht überaus bekannt und nicht in einer überaus eindrucksvollen Wand. Trotzdem darf man sie mit gutem Recht als eine der besten und eindrücklichsten Granitrouten der Schweiz bezeichnen. In sehr homogener, stets bouldrig interessanter Kletterei bewältigt man die steile Wand an bestem, sauberem Fels, der gerade mit den nötigen Strukturen gespickt ist. Blickt man nach links und rechts, so ist das Gestein entweder zu glatt oder flechtig zum Klettern. Wer das Niveau drauf hat, sollte sich dieses Highlight nicht entgehen lassen!
Blick auf die durchgehend überhängende Wand mit der Route. |
Schon lange hatte ich mit einem Versuch geliebäugelt, am mutmasslich letzten Sommertag im 2016 kam es nun dazu. Wir beschlossen, die Route im Sportklettermodus anzugehen. Sprich mit Einfachseil, Haulbag, allem nötigen Komfort und der Absicht, die Seillängen zu punkten. Das ist bei dieser Routenlänge (oder bzw. eben Routenkürze) ein realistisches Unterfangen. So machten wir uns bei der Voralpkurve auf den Weg, gingen ins Tal hinein und überquerten kurz nach dem Gatter den Bach (verblassende Aufschrift "Sandbalmhöhle" auf dem Fels, Fundamente der demontierten Brücke sichtbar). An den Klettereien auf der Sandplatte vorbei, wo man bis zum Grad von 7a den Gummi testen könnte, ging's ins grosse Couloir.
Omnipräsent im Bereich der Sandplatte: der Salbit-Westgrat, da waren wir auch schon unterwegs. |
Und das ist so eine Sache: das Couloir konnte nie wirklich als ungefährlich bezeichnet werden, doch es führte früher sogar ein weiss-blau-weiss markierter Wanderweg hinauf - bis zu diesem ominösen 28. August 2011. An diesem Tag ereignete sich ein grosser Felssturz, zimmergrosse Blöcke polterten hinunter. Wäre man da in der Nähe gewesen, es wäre der sichere Tod gewesen, ja sogar auf den Wanderweg ennet dem Bach polterten viele Geschosse. Der Zufall wollte es, dass Kathrin und ich zu genau diesem Zeitpunkt die Makita (6c+) an den Sandbalm-Platten kletterten und das Schauspiel aus sicherer Warte verfolgen konnten (Bericht). Auch das Urner Kletter-Urgestein und Haupterschliesser dieser Zone, Bruno Müller war zugegen und entging einem Unglück nur knapp.
Das Couloir hinauf zur Sandbalmhöhle ist gefüllt mit labilem Schutt - eine gefährliche Zone! |
Seit diesem Vorfall ist der Weg zur Sandbalmhöhle offiziell gesperrt, und meinen Ambitionen auf die Jack Daniels versetzte das natürlich auch einen Dämpfer. Ich denke, es ist einfach wichtig zu wissen, dass diese Zone und insbesondere das Couloir nicht völlig sicher sind. Andererseits herrschte nun über die letzten 5 Jahre Ruhe, es gab keine grösseren Felsstürze mehr. Aus dieser Optik "darf" man die Jack Daniels also sicher angehen - was wir per Zufall beobachtet hatten, war wohl ein Jahrzehnt- oder gar Jahrhundertereignis. Wollte man in den Alpen alle Zonen meiden, wo in den letzten 100 Jahren einmal grössere Brocken hinunterpolterten, tja dann sähe es mit dem Kletterpotenzial wohl ziemlich düster aus.
In der Sandbalmhöhle drin ist man hingegen sicher - dafür sieht's aus wie in einem Emmentaler! |
Mit etwas Herzklopfen, einerseits eben wegen der Vorgeschichte, andererseits weil wir möglichst zügig unterwegs sein wollten, begingen wir das Couloir und bogen in die Sandbalmhöhle ein. Diese ist als die grösste Kristallhöhle der Alpen bekannt, vor über 300 Jahren begann deren Ausbeutung. Die Gesamtlänge aller ausgehöhlten Stollen beträgt über 250m - an dieser Stelle kann man mehr darüber nachlesen. Es wird empfohlen, eine Stirnlampe mitzuführen - wie blöd, dass ich meine vergessen hatte. Tatsächlich ist der längste Abschnitt im Berg zappenduster, doch mit der Taschenlampe-App auf dem Handy konnte man sich behelfen. Nachdem wir den spannenden Ort ausgiebig ausgekundschaftet hatten und noch einen Znüni genommen hatten, starteten wir mit der Kletterei.
L1, 25m, 7b+: Früher kletterte man aus der Höhle eine Mini-Seillänge (5m, 6a) aufs erste Band, doch im Zuge der Sanierung wurde gleich beim Höhlenausgang ein bequemer Stand zum Sichern eingebohrt, so dass die Mini-Seillänge nun entfällt. Nach diesem Abschnitt wartet ein Teilstück an meist gutgriffigen Schuppen - trotzdem nicht ganz geschenkt, ca. 7a. Nach einem Ruhepunkt wartet dann die Crux in satter Wandkletterei: ein paar Crimps und Seitgriffe wollen bei akuter Trittarmut zu einer Sequenz zusammengefügt werden. Dani stieg hier beinahe mühelos darüber hinweg. Ich versuchte mich dann mit seiner Beta (bzw. der markierten, in der ganzen Route waren bei unserer Begehung ausnahmslos ALLE Griffe und Tritte mit Chalk getickt), was jedoch nicht gelang. Es zeigte sich, dass diese Lösung für mich sehr schwer bis undurchführbar war - nach etwas Tüfteln war dann eine tragfähige, alternative Lösung gefunden.
Hopp... |
...und zack! Dynamische Kletterei in der satten Wandstelle, welche die Crux von L1 (hart 7b+) markiert. |
L2, 20m, 7b+: Vom Stand einfach nach rechts hinüber und dann mit Bolt- und Fixkeilsicherung bouldrig über das Dächli hinauf. Oben hat's Griffe, aber halt keine Henkel, ziemlich knifflig bis die Füsse einmal oben sind. Damit ist's aber noch nicht ganz gegessen, die ersten 2m dem diagonalen Riss entlang sind auch nochmals schwierig - wobei es hier wohl ganz entscheidend ist, dass man die Sache richtig anpackt, um nicht blöd in die offene Tür zu kommen. An dieser Stelle wartet ein etwas längerer Abstand zum nächsten Bolt, wobei die Schwierigkeiten am Riss nach den ersten Moves sofort nachlassen. Mit den beiden Camalots 0.5 & 0.75 kann man hier aber sehr gut mobil absichern. Nach einem letzten BH erreicht man den eher unbequemen, dritten Stand. Hier wurde zwar ein Sitzbrett aus Mahagoni-Holz (!!!) platziert, weil die Standhaken etwas tief stecken und es nichts für die Füsse hat, ist's aber leider doch nicht so komfortabel.
Ausstieg aus dem Crux-Dächli von L2 (7b+): krall... |
L3, 20m, 7c: Hier wartet als erstes der cleane, horizontal nach links führende Riss. Mit dem Blick auf die glatte Platte unterhalb mag man den Zeilen im Netz die von "einfacher Kletterei" schreiben, nicht so recht glauben - doch tatsächlich geht's problemlos. Man kann hier ebenfalls wieder die Camalots 0.5 & 0.75 legen, wer kühn ist und über den Schwierigkeiten steht, muss aber nicht mal unbedingt. Der Aufrichter zum ersten Bolt geht nämlich auch unerwartet gut und dann heisst's einfach an Leisten, Seit- und Untergriffen durch diese überhängende Wand riegeln. Wirklich total geniale Moves, man benützt wohl alles, was der Fels hier an Strukturen überhaupt hergibt - inklusive einer an den Fels zurückgebolteten Schuppe mit guter Leiste, aber ohne diese ginge es nicht. Die letzten Meter nach dem Ausstieg über die Lippe dann etwas einfacher und griffiger, mit einer Extraschleife rechtsrum zum Stand. Während Dani hier Mühe hat und erst im zweiten Go mit einem gewaltigen Dyno an der Crux passieren kann, gelingt es mir, diese Seillänge sogar zu flashen. Daraus muss man wohl schliessen, dass diese Länge etwas grossenabhängig ist, und es zeigt wieder einmal schön, wie relativ Kletterbewertungen zu interpretieren sind.
Super Kletterei an Leisten, Seit- und Untergriffen durch die stark überhängende Wand von L3 (7c). |
L4, 25m, 7b+: Vorerst geht's noch nicht so schwer über die steile Platte oberhalb vom Stand - wobei Platte tönt nach Schleichen, das stimmt nicht. Es ist Wandkletterei an ein paar perfekten Leisten, welche die Natur hier im genau richtigen Abstand platziert hat. Danach eine luftige Traverse nach links an die Kante des ausgeprägten Bugs, ein bisschen Campus-like. Man klettert rein, setzt den Hook und denkt sich: huiuiui, jetzt habe ich mir ein Ei gelegt... Die Crux besteht im Abfangen des Körperschwungs beim Lösen des Hooks. Es fühlt sich irgendwie so an, als ob man beim Lösen der Ferse durchpendeln würde, um dann in hohem Bogen gleich in die Voralpreuss hinunter zu spicken. Vorstellung und Realität sind aber zwei verschiedene Dinge: tatsächlich können wir hier beide entsprechend Spannung aufbauen und den Schwung ausreichen abbremsen. Gleich danach wird's markant einfacher, der Rissverschneidung entlang kann man wieder die Camalots 0.5 & 0.75 versorgen und gelangt zum bequemen Stand mit dem Wandbuch.
Blick beim Abseilen auf L4 (7b+). Erst über die orangen Flechten, dann Querung nach links an den Bug. |
L5, 15m, 7c+: Zum Routenende sind's nur noch ein paar wenige Meter. Die Bewertung suggeriert zwar das härteste Gerät, auf den ersten Blick sieht's aber nicht unbedingt danach aus (es täuscht aber). Speziell auch, dass man am Routenende nicht Stand bezieht (was viel zu unbequem wäre), sondern gleich wieder zum Stand nach L4 ablässt. Ja eben, und die Kletterei: an einer diagonal verlaufenden Säule geht's in die Höhe. Was erst nach passablen Seitgriffen aussieht, entpuppt sich dann als slopriger wie erhofft und vor allem hat's einfach auch keine guten Tritte, wo man das Körpergewicht platzieren könnte. Nachdem man sich erst so hochgeschrubbt, hochgehookt und hochgepatscht hat, wartet dann am Ende noch ein kräftiger Untergriffmove an eine kleine Leiste und ganz zum Schluss kniffliges Balance-Gelände, um den Stand zu klippen. Dani fehlt nur wenig zum Onsight, im zweiten Go packt er's souverän. Ich für meinen Teil muss das erst einmal etwas befühlen - es gibt in der Tat unzählige Lösungsoptionen mit Hooks und selbst für die Hände. Im zweiten Go geht's mir dann besser wie erwartet, allerdings ist die Sequenz noch nicht perfektioniert und um einfach mit Kraft drüberzubügeln fehlen mir am Ende die Körner.
Die letzte Länge (7c+) ist definitiv oberhalb meines Onsight-Könnens... also erst mal schauen, befühlen und putzen... |
Hmm ja, hier den Punkt zu holen wäre verlockend - allerdings wäre nun nach diesem "all-out" Go erst einmal eine längere Pause fällig, und der Erfolg scheint trotzdem unsicher, nachdem die Reserven bereits angezapft sind. Um die Punktebuchhaltung komplett ins Reine zu bringen, wären zudem die ersten beiden Seillängen auch noch zu wiederholen, was doch eher unrealistisch erscheint. So beschliessen wir, die Abseilfahrt anzutreten. So "muss", oder eben darf und kann ich an einem anderen Tag die Herausforderung von einem stilreinen Gesamtdurchstieg annehmen. Das ist eigentlich gar nicht zu bedauern, denn diese absolut geniale Route verdient sehr wohl mehr als nur einen einzigen Besuch.
Tiefblick zum Stand nach L4 von ganz oben. Die Seitgriffe hängen leider nicht so gut an, wie man gerne möchte... |
Der beste Vergleich zur Jack Daniels sind für mich die beiden Sportkletterklassiker "Kein Wasser kein Mond" an der Schafbergwand, sowie die New Age am Schweizereck. Beide ähnlich lang, ähnlich schwer und (wenn auch kühner), ähnlich im Charakter. Nachdem ich dort jeweils 5 Sterne vergeben hatte, dann ist das hier auch klar der Fall - alles in allem hat mir die Kletterei in der Jack Daniels sogar deutlich am besten gefallen. Bouldrig, interessant, so richtig coole Moves an angenehmen Griffen, irgendwie einfach noch schöner wie der Kampf mit der runden Wasserrille in der KWKM oder die beiden heftig-schweren Einzelstellen der New Age. Einzig einen über die Landesgrenzen hinaus bekannten Alpinsportkletterklassiker hat man mit der Jack Daniels nicht gemacht, aber das ist ja auch sowas von egal.
...einigermassen überhängend ist die letzte Seillänge dann auch noch - vom Stand aus schätzt's man's flacher ein. |
Wenn man nach dem Ablassen wieder zurück an den Stand will, so gilt's das Thank-God-Ledge zu nehmen. |
Mit der Hilfe des fix installierten Geländerseils gelangen wir an den Stand nach L1 unter dem grossen Dach. Von hier ist's ein kurzes Abseiler an den Einstiegsstand, von wo wir es bevorzugen, einen 50m-Abseiler ins Kraut hinunter zu ziehen, statt durch die Höhle zurück zu kriechen. Hurtig rollen wir die Seile auf, im Couloir wollen wir uns nicht länger als zwingend nötig aufhalten. Wobei an dieser Stelle erwähnt sei, dass sich dort den ganzen Tag über kein einziger Stein geregt hatte. Wir spazieren zurück und können dann der Verlockung "Horrible" nicht widerstehen. Hierbei handelt es sich um einen überhängenden, ca. 10m hohen Block im Bett der Voralpreuss mit einem idealen Splitter-Crack, welcher im Grad 5.11c (entspricht 6c+, das ist aber nicht wirklich repräsentativ, wenn man in diesem Stil nicht geübt ist). Wobei, es ist vor allem mein Kletterpartner, welcher der Verlockung nicht widerstehen kann - ich für meinen Teil bin da schon ein paar Mal tatenlos daran vorbeispaziert.
So einigen wir uns darauf, dass er vorsteigt und die Cams platziert und ich nachher ausräume. Bis auf einen (unnötigen) Zwischen-BH ist der Riss clean. Wir haben immerhin 2x den Camalot 1 dabei, allerdings könnte man den auch etwa fünffach brauchen. Mit etwas Nachschieben und dem Ausnützen der weniger breiten Stellen geht's dann aber auch so. Horrible oder fantastic? Tja, das hängt wohl vom persönliche Können, der Leidensbereitschaft und allenfalls Riss-Handschuhen oder Tape Gloves ab. Dani steigt begeistert durch, ich finde v.a. den zweiten, steilen Teil mit den schmerzhaften Klemmern (mit bare hands) irgendwie naja, halt eben doch nicht so fantastic. Irgendwie bin ich einfach froh, dürfen wir uns hierzulande vor allem der Wandkletterei widmen, und müssen uns nicht wie anderswo auf der Welt an den eher mühsam-schmerzhaften Rissen herumplagen. Ich glaube, wäre es immer so, mir würde die Kletterei nicht ganz so viel Spass machen.
The Horrible Fingercrack (5.11c) |
Wenn man nicht tapt, so ist eine gewisse Schmerztoleranz unabdingbar. |
Facts
Sandbalm - Jack Daniels 7c+ (7a obl.) - 5 SL, 100m - Mike Schwitter et al. 1993 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seil, 10 Express, Camalots 0.5 & 0.75
Kurze, aber herausragende MSL-Sportkletterei. Schon der Zustieg durch die Sandbalmhöhle ist aussergewöhnlich, die Moves in der beständig überhängenden Wand dann erst recht. Es handelt sich um bouldrige Kletterei der allerhöchsten Güteklasse, auch in einem Klettergarten würde sicher jede Sequenz als echte Perle gehandelt. Auf der Linie ist der Fels prima und gerade eben mit der nötigen Struktur (Leisten, Seit- und Untergriffe, dann und wann ein Riss) gespickt - unmittelbar daneben schaut es hingegen entweder flechtig oder unkletterbar aus. Herzlichen Dank den Erstbegehern, welche diese Linie zu dem optimiert haben, was sie heute ist (man klettert nur gerade in L2 durchgehend auf der originalen, ersten Linie durch die Wand). Ich vergebe gerne die Höchstnote, wer's drauf hat, sollte sich diese Route nicht entgehen lassen. Im 2015 hat Spiri die Route verdankenswerterweise einer Komplettsanierung unterzogen. Es steckt nun perfektes Inoxmaterial, die Absicherung ist sehr gut und hat Klettergartencharakter, man kann bedenkenlos voll angreifen. An ein paar einfacheren Kletterstellen sind die Cams 0.5 & 0.75 mehrmals zu platzieren, mehr Trad-Material ist weder einsetzbar noch nötig.
Topo
Die Route wird im Extrem Ost beschrieben, im Wandbuch hat's ein perfektes Topo, welches hier an dieser Stelle abgebildet wird.
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