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Sonntag, 17. November 2024

Horefelliflue - Mastermind (6b+)

Die Horefelliflue ist eine 350m hohe, eindrückliche Wand mit grossen, glatten Plattenschüssen in der Voralp, einem Seitental der Göschenernalp. Schon verschiedentlich hatte ich dieses verlockende Gemäuer bestaunt, das erste Mal als wir vor 25 Jahren durch die Spicherribichelen aufstiegen, um die Via Hammerbruch am Salbit Westgratturm 2 in einer Tagestour zu klettern. Später dann auf alpinen Skitouren wie dieser oder jener. Schon immer hatte es mich sehr gereizt, durch diese Wand zu steigen. Genauso erging es den Pionieren der ersten Freiklettergeneration, die hier in den 1980er-Jahren einige Routen erschlossen. Zeitgenössisch wurden diese spärlich ausgerüstet, 35 Jahre Korrosion hatten irgendwelchen Ambitionen erst recht einen Dämpfer versetzt. Doch dann drang die Kunde an mein Ohr, dass die Route Mastermind im 2020/2021 saniert worden sei. Das klang wie Musik in meinen Ohren. Schliesslich kam der Tag mit einwandfreiem, mildem und sonnigem Herbstwetter, der uns ins Voralptal aufbrechen liess. Für diese Jahreszeit eignet sich die exakt nach Süden ausgerichtete Wand perfekt. Wir genossen viel Ruhe und Bergeinsamkeit im abgeschiedenen Tal, ein geschenkter Tag!

Der Blick auf die gewaltige Wandflucht der Horefelliflue mit dem Verlauf der Route Mastermind.

Unsere Tour startete um 10.15 Uhr (Sommerzeit) bei der Voralpkurve (1402m). Man könnte in der zweiten Oktoberhälfte vermutlich auch schon eine Stunde früher losgehen und wäre nicht zu früh dran, was für uns organisatorisch aber nicht möglich war. Larina setzte sich an die Spitze und wir liefen in sehr zügigem Tempo die Kehren durch den Wald hinauf, mit flüchtigen Blicken auf die Sandbalm, wo wir ja auch schon tolle Klettererlebnisse (z.B. 1,2) hatten. Nach und nach öffnet sich das Tal und wird flacher. Ziehen erst einige durch Urner Kletterer erschlossene Wände die Aufmerksamkeit auf sich, so rückt nach einer Weile die Horefelliflue in den Fokus. Es lohnt sich aber, geduldig zu bleiben und bis zu den Gebäuden der Alp Horefelli zu wandern. Erst dort strebt man dem Wandfuss entgegen, wobei sich auf der logischen Linie eine gute Pfadspur präsentiert. Nach gerade einer guten Stunde waren wir bei sehr angenehmen Klima am Einstieg. Im Bereich von Mastermind starten drei Routen. Links die Knecht Klemenz, welche mit einem eingemeisselten "KK" markiert ist, mittig die von uns angepeilte Tour und rechts ein Projekt, welches zur Zeit noch nicht ganz fertiggestellt ist. Wir rüsteten uns für die verlockende Kletterei und stiegen um 11.45 Uhr ein.

Herrliche Herbstwanderung durchs verlassene Voralptal. Am linken Bildrand der Schijenstock, wo ich dereinst meine allererste Klettertour auf einen 3000er hatte erleben können. In Bildmitte das Sustenhorn mit seinem Ostgrat. In der rechten Bildhälfte die Felsen bei Mittwald, wo auch einige Routen erschlossen wurden.

L1, 35m, 9 BH, 6b+: Der erste Bolt steckt erst auf ca. 10m Höhe oberhalb vom kleinen Dach. Der Vorbau darunter ist zwar nicht sehr schwierig, aber Konzentration ist trotzdem nötig. Hat man geklippt, so geht's gleich los - das Dach an Seit- und Untergriffen zu überwinden ist die Crux, gleich mal ordentlich knifflig und ohne Vertrauen in die Haftreibung geht's nicht! Auch danach bleibt's anhaltend fordernd, die vielen Käntchen, Dellen und Leisten wollen in eine Sequenz eingeordnet werden und es gilt die Optimallinie zu erschnüffeln - wirklich hervorragender Klettergenuss, genial! Der Stand dann mitten in der plattigen Wand ziemlich unbequem.

Wunderbar strukturierter Fels in L1 (6b+), eine sehr lässige Kletterei!

L2, 35m, 9 BH, 6a: Ähnlich wie die erste Länge aufgehört hat geht es weiter, nämlich mit anregender Plattenkletterei, die einen wachen Geist und solide Fusstechnik erfordert. Mit einem Rechtsschlenker erreicht man dann aber eine Rippe, wo man zügiger Voranschreiten kann. An deren Ende geht's mit einer gängigen Linksquerung zum Stand, der sich kurz vor der ansetzenden Verschneidung befindet und leider auch nicht mit allzu viel Bequemlichkeit auftrumpfen kann.

Chillige Linksquerung am Ende von L2 (6a), davor gibt's aber feine Plattenmoves!

L3, 40m, 10 BH, 6b: Um die Ecke und die Verschneidung hinauf heisst's erst, für die ersten 10-15m ist das nicht sonderlich schwierig. Ab dieser Stelle würde die Verschneidung dann sogar noch einfacher, aber eben auch gemüsig und unschön. Somit führt die Route kühn nach links in die Plattenwand hinaus. Bald einmal sind gewagte Moves nötig - die Absicherung ist zwar super, aber trotzdem einigermassen zwingend und ohne am (gefühlten?!?) Limit auf Reibung anzutreten und mit den Fingern auf kleinsten Unebenheiten für Stabilität beim Aufrichten zu sorgen geht's nicht. Wow, das mit den Schuhen aus den 1980ern, nur mit dem Handbohrer und bei damals deutlich weiteren Abständen - Chapeau an die Erstbegeher!?! Das Finish dann mit ein paar griffigen Schuppen gut machbar, der Stand etwas angenehmer als gehabt, aber auch keine bequeme Ruheoase.

Blick das Voralptal hinaus, selbst im späten Herbst geniess man hier noch viel Sonne!

L4, 40m, 12 BH, 5c+: Um die Ecke geht's auf die verblüffende, sich diagonal nach links ziehende Rampe. Vorerst turnt man am Verschneidungsriss zügig und sehr genussvoll in die Höhe. Hat man nach 30m das Ende erreicht, so sieht ein System von griffigen, jedoch teilweise etwas hohl tönenden Schuppen weiter hinauf. Da muss man sich das eine oder andere Mal noch geschickt positionieren oder etwas kräftiger ziehen. Und wie fast schon befürchtet, bequem ist auch dieser Stand nicht.

Kathrin und Larina schreiten über die schöne und verblüffende Rampe in L4 (5c+).

L5, 40m, 14 BH, 6a+: In anregender, reibungslastiger Wandkletterei an Strukturen und Schuppen klettert man hier auf dem Pfad eines 'S' durch die Wand. Die Bolts stecken zahlreich, es geht mal links, mal rechts. Am oberen Ende des 'S' behält man dann die Richtung und am besten auch den Schwung bei, folgen nun doch die schwierigsten Moves an einer dünnen Rissspur - wo Reichweite vermutlich keinen Nachteil darstellt, denn ich fand es chillig, aber Larina meinte es sei taff. Schliesslich erreicht man um die Ecke eine Rampe mit etwas grasigem Fels, steigt diese ca. 8m in einem Runout hinauf und findet den wirklich maximal unbequemen Stand rechts um die Ecke. Zu erwähnen ist auch, dass hier vorbeugende Massnahmen gegen den Seilzug (lange Exen, Halbseiltechnik) sinnvoll sind.

Blick aus der Wand auf's Sustenhorn - diese Herbsttage sind schon einfach fantastisch!

L6, 40m, 14 BH, 6b: Da hat die Route noch einmal etwas zu bieten! Los geht's mit schöner Wandkletterei, wobei man oft nach links offene Schuppen greift, die manchmal etwas fragil sind - mit einem wachsamen Auge aber kein Problem. Um die Ecke geht's auf eine geneigte Plattenzone, jenseitig dann an einer Rippe die steile Wand empor. Das wird durch den abschüssig-glatten Fels subito knifflig, ist aber eine echt coole Bewegungspassage! Hier habe ich mich aber gefragt, ob der Originalparcours nicht dem Riss unter dem Dach entlang führte?!? Leider ist das Topo im SAC-Führer Urner Alpen 2 so vage, dass wohl nur die Erschliesser eine Antwort geben können. Jedenfalls, hat man den Ausläufer des Dachs erreicht, so heisst es scharf nach rechts abzubiegen und mit einem Hangelquergang an Leisten den Stand zu erreichen. Auch in dieser Länge heisst es, sich nicht mit Seilzug auszubremsen und die Standbequemlichkeit war leider auch hier nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten.

Kathrin noch in der Wandpassage, Larina quert über die geneigte Plattenzone in L6 (6b).

L7, 45m, 10 BH, 5c+: Erst geht's in der rechten Wand hinauf (unschwierig), dann überquert man den markanten Riss und steigt an Schuppen und Rissen steiler hinauf, wo man dann für die 5c+ schon noch auf seine Kosten kommt. Die letzten 10m legen sich zurück und man erreicht (endlich!) einen richtig bequemen Rastplatz, wo sich das bei der Sanierung gelegte Routenbuch befindet. Auf dieser letzten Seillänge ist der Fels teilweise etwas mit Flechten überzogen und nicht mehr ganz so schön wie zuvor. 

Larina auf der Zielgerade in L7 (5c+), der Schatten ist inzwischen an den Wandfuss vorgerückt.

Erst kurz vor Schluss der letzten Länge nimmt man aber wahr, dass man nicht den Gipfel erreicht, sondern die Route an einem gratartigen Vorsprung endet, der hinten in einer Schlucht abbricht. Zwar wäre es sicher möglich, noch weiter zu steigen, wegen Grasbändern und inhomogenen Anforderungen sieht's aber tatsächlich nicht mehr lohnend aus. Die Uhr war auf 16.30 Uhr vorgerückt, somit hatte uns die Route gute 4:30 Stunden anregend beschäftigt. Mir war eine komplette Onsight-Begehung gelungen. Man könnte meinen, die sei ein Umstand, der bei einer so tiefen Bewertung kaum der Rede wert ist. Subjektiv ist das aber nicht der Fall, in L3 (6b) musste ich definitiv Moves am Limit ausführen. Gut, Granit ist immer etwas speziell, in etwas griffigerem Gelände empfinde ich ähnliche Emotionen in Bezug aufs Gelingen oder nicht üblicherweise etwa zwei Buchstabengrade höher - was jetzt aber nicht heissen soll, dass die Route dementsprechend aufgewertet werden muss... nur dass sie für Kletterer auf meinem Niveau eine durchaus spannende Beschäftigung bietet.

Top erreicht, Routenbuch natürlich beschrieben - Aufkleber und Initiative lehnen übrigens die Massentierhaltung ab, auch wenn's auf den ersten Blick einen anderen Eindruck machen könnte. Aufkleber hin, Aufkleber her, das Stimmvolk hat die Initiative später dann sowieso versenkt.

Uns blieb noch eine Viertelstunde, um die letzte Abendsonne geniessend am Routenende über solche Fragen zu philosphieren, einen Vesper zu geniessen und den Eintrag im Buch zu machen. Seit der Sanierung Anfang Juli 2021 waren wir erst die vierte Seilschaft, die sich eingetragen hatte. Aber ich bin mir sicher, es werden noch viele weitere folgen, denn die Route verdient einen Besuch auf jeden Fall! Der trockenen Luft wegen sanken die Temperaturen beim Verschwinden der Sonne sofort markant. Zeit also, um die Seile auszuwerfen und in die Tiefe zu gleiten. Da die Wand nicht viele Bänder aufweist, geht das recht zügig vonstatten. Aufgrund der langen Seillängen muss man nach dem routenunabhängigen Abseilstand zu Beginn jede Station nutzen, nur am Ende reicht mit 60er-Stricken schon das sechste Manöver auf den Boden. Dort packten wir flugs unsere Sachen und liefen der Voralpkurve entgegen. Nach einer knappen Stunde waren wir da und setzten uns... in den Kühlschrank. Gerade mal 2 Grad versprach die Anzeige - verrückt nach diesem genussvollen Tag an der Herbstsonne!

Facts

Horefelliflue - Mastermind 6b+ (6a+ obl.) - 7 SL, 275m - Binsack/Lötscher/Meier 1986 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 15-16 Exen (ca. 6 verlängerbare), Cams/Keile nicht nötig

Sehr schöne Kletterei in meist bestens strukturiertem Granit, der v.a. in den unteren Seillängen etwas an das Gestein in Ailefroide erinnert. Auch wenn natürlich das Antreten auf Reibung einen wichtigen Aspekt ausmacht, so klettert man oft auf Steilplatten, wo auch Leisten und Aufleger bedient werden müssen. In den oberen Längen gibt's dann auch athletischere Passagen, wo man an Schuppen herzhaft ziehen darf. Die ursprünglich spärliche und veraltete Absicherung wurde im 2020/2021 durch Silvia Kempf und André Arnold komplett saniert, vielen herzlichen Dank dafür! In L1-L3 trifft man nun auf prima MSL-Absicherung, wobei richtigerweise immer noch der eine oder andere Schritt auf Reibung zwischen den Haken nötig ist. Die oberen Längen sind spürbar üppiger saniert, wobei mich die Haken manchmal etwas inhomogen verteilt dünkten. Mobile Sicherungen sind nicht nötig, sowieso gäbe es in der oft kompakten Wand kaum Placements dafür. Ein rudimentäres Topo zur Route gab es dereinst im SAC-Führer Urner Alpen 2, prima ist hingegen jenes vom Sanierungsteam - besten Dank auch dafür!

Sonntag, 24. Dezember 2023

Gandschijen - Up in the Sky (7a+, 6 SL, Erstbegehung)

Der Gandschijen mit seiner imposanten Südwand thront in sehr sonniger Lage prominent über der Göscheneralp. Besten, rau strukturierten Granit findet man da, so dass schon die erste Freikletter-Generation in den 1980er-Jahren in dieser Wand ihre Herausforderungen suchte. Im Laufe der Zeit geriet das Gebiet etwas in Vergessenheit. Der steile Kalk der Wendenstöcke war bei den Spitzenleuten 'en vogue' und die Masse folgte ihnen. Kommt noch hinzu, dass die Routen der Pioniere zeitgenössisch knapp abgesichert waren und die alten Bohrhaken mehr und mehr Rost ansetzten. Weil man darüber hinaus wenig über einige durchaus erfolgte Sanierungen wusste und die Gandschijen-Routen kaum mehr in den modernen Topos verzeichnet wurden, beschränkten sich die Besucher allermeistens auf die beiden klassischen Linien des Südpfeilers und der Gatsch. Es gibt aber für den alpinen Sportkletterer definitiv noch viel mehr zu entdecken am Gandschijen. Hier der Bericht zu unserem Beitrag dazu, der Neutour Up in the Sky.

Die Gandschijen-Südwand mit dem Verlauf unserer Up in the Sky (6 SL, 7a+).

Erschliessung

Die Geschichte dieser Route beginnt mit unserem Besuch am Gandschijen am 3. Juli 2021. Eigentlich wollten wir da den bekanntesten Sportkletterklassiker der Wand, die Super Gwüest klettern. Da es in den Tagen zuvor stark geregnet hatte, verunmöglichte verbleibende Restfeuchte dieses Unterfangen. Die Suche nach einer trockenen Alternative brachte uns schliesslich zur Golden Flake, die in der westlichen Südwand mehr oder weniger direkt in der Fallinie des Gipfels emporführt. Die Route der Gebrüder Jud aus dem Jahr 2014 bescherte uns einen spannenden und intensiven Klettertag. Wie so oft schweiften die Blicke beim Sichern umher. Linkerhand lockten mit Strukturen gespickte, gewaltige Granitplattenschüsse. Ja gäbe es hier die Möglichkeit für eine weitere Linie?!? Könnte sein... Beim Abseilen gingen wir der Sache noch etwas konkreter auf den Grund. Wir beurteilten die Lage positiv und vereinbarten in freudiger Erwartung, die Sache baldmöglichst in Angriff zu nehmen.

Moody Weather bei unserem Besuch im Juli 2021, hier der Blick aufs Börtli.

Eine Sache galt es allerdings im Vorfeld noch zu erledigen: es gab in diesem Wandteil eine alte Artif-Route von Sepp Inwyler aus dem Jahr 1968. Was wir damals wussten: sie startete rechts der Golden Flake in einem kolossal grasigen Riss, verlief Ende L1/Anfang L2 teils gemeinsam mit dieser, um sich dann nach links zu entfernen und auf der letzten Seillänge wieder abschnittweise den Parcours der Golden Flake zu teilen. Sie schien schon sehr lange nicht mehr begangen und ausser sehr rudimentären Infos im SAC-Führer Urner Alpen 2 von 1996 (mit wie sich später zeigte komplett falsch eingezeichnetem Routenverlauf) liess sich gar nichts in Erfahrung bringen. Also wählte ich die Telefonnummer von Sepp Inwyler, um mich aus erster Hand zu informieren und meine Idee mit ihm zu besprechen. Er freute sich sehr über meine Kontaktaufnahme und erzählte von damals. Seine Hoffnung war es, eine Freikletterei direkt zum Gipfel zu realisieren. Sie hätten einen ersten Versuch etwas weiter links gemacht, der jedoch scheiterte. Solch kompakter und schwieriger Fels hätte sich damals schlicht und einfach nicht klettern lassen. Bei diesem Vorstoss handelte es sich übrigens genau um die von uns nun realisierte Linie, der immer noch vorhandene Umkehrhaken von Sepp in unserer L1 zeugt heute noch davon. Ihre Alternative bestand schliesslich darin, etwa 10m weiter rechts zu starten, wo man weniger attraktiven, erdig-grasigen Rissen folgen konnte. Trotzdem entstand "nur eine Nagelroute", wo viele Schlaghaken im 1m-Abstand platziert wurden und man sich fast ausschliesslich artif fortbewegte. Einige besonders kompakte Passagen erforderten sogar den Einsatz von altertümlichen BH. Sie sind noch heute sichtbar, z.B. einige Meter rechts unserer heutigen Linie am Ende von L2. Weil Sepp damals schon die Freikletterei bevorzugte (wie seine grandiose Route am Tällistock zeigt) und ein begnadeter Kletterer war, entsprach seine Tour am Gandschijen nie seinem Gusto. Sie war ihm nicht wichtig und erlangte nie Popularität. So war er "zu 100%" damit einverstanden, dass wir unser Projekt mit einer Linie für die moderne Freikletterei in Angriff nähmen, auch wenn sie seine alte Linie potenziell tangieren würde. Er meinte, er würde das als die Verwirklichung seiner ursprünglichen Idee sehen, das sei ganz in seinem Sinne. Wir bedankten uns gegenseitig für das herzerwärmende Gespräch, wo ich ihm auch versprach, seine damalige Leistung zu würdigen. Das geschieht hier an dieser Stelle und damit, dass der originale Verlauf in unserem Topo wiedergegeben ist. 

Der Spitzistein (P.2024), den man im Aufstieg passiert - auch am ersten Bohrtag im Juli 2021.

Nachdem wir grünes Licht für unser Projekt hatten, wurde es nicht lange aufgeschoben, schon ein Wochenende nach der Golden Flake war es soweit. Frühmorgens nach einem langen und intensiven Wettkampftag an der ZKM im Griffig reiste ich auf die Göscheneralp - höchst motiviert und trotz den Efforts am Vortag topfit. Vor Ort traf ich auf Viktor, welcher nicht ganz meine sprühende Motivation und Vitalität zeigte. Kein Wunder, er hatte sich am Vortag einen wahren Klettermarathon mit 75 SL am Grimsel gegönnt, der noch heftig in seinen Knochen steckte. Doch Ausruhen und Zurücklehnen war vorerst nicht angesagt, in harter Arbeit waren unsere kolossal schweren Säcke an den Einstieg zu befördern. Da wir im Projekt 'zugängliche' Schwierigkeiten vermuteten, gingen wir davon aus, schon an diesem Tag weit vorstossen zu können und führten dementsprechend viel Ausrüstung mit. Endlich am Wandfuss angekommen, behängte ich mich mit allerlei Material und packte an. Tatsächlich liess sich die angepeilte Wandzone dank strukturiertem, mit Leisten gespicktem Fels prima klettern. Allerdings lagen die Schwierigkeiten mindestens einen Buchstabengrad höher, als wir uns dies beim ersten Augenschein während dem Abseilen ausgemalt hatten. Eigentlich sollte ich es langsam aber sicher wissen, denn diese Sensation hatte ich schon viele Male davor erlebt.

Der Bohrstaub verrät es, Viktor folgt in L1 (6c), kurz nachdem diese quasi 'erfunden' wurde.

Noch mehr Einsatz zeigen hiess es beim Start in L2. Da geht's gleich steil und anspruchsvoll los, so dass mir Viktor den Vortritt überliess. Zum Glück bietet der rau strukturierte Granit hervorragende Reibung für Füsse und Hände, so dass auch die Sloper und vage Unebenheiten gut genutzt werden können. Noch dazu tauchten an entscheidender Stelle ein paar Crimps auf, so dass sich die Stelle entschlüsseln liess. Wie sich erst später bestätigen sollte, handelte es sich dabei um die klettertechnische Crux der Route. Die logische Fortsetzung unseres Wegs führte in eine steile, kleine Verschneidung, wo von rechts her die 1968er-Linie von Sepp Inwyler einmündete. Über ca. 15m verläuft unsere Route hier gemeinsam. Während die alte Route später gerade hinauf an einem sich schliessenden Riss in einen glatten, nicht frei kletterbaren Plattenschuss führt (wo die bereits erwähnten, altertümlichen Bohrhaken stecken), fand ich einen Ausweg mit einer zwar kniffligen, aber machbaren Plattentraverse nach links und einer Verschneidung entlang hinauf zu Stand 2. Der Tag war inzwischen zeitlich schon fortgeschritten, doch Viktor gab mir grünes Licht, um noch die dritte Seillänge anzugreifen. Unser Plan war, den famosen Splitter Crack einzubauen, den wir beim Abseilen über die Golden Flake entdeckt hatten - er stellt durchaus ein Highlight unserer Route dar. Erreicht wird er über eine leistig-listige Wand, bevor der Riss zum grössten Teil mobil absichernd erstiegen wird. Damit war der Tag nun definitiv um, inzwischen war nicht nur Viktor sehr müde, sondern ich nach 3 anspruchsvollen Bohrseillängen ebenfalls.

Der superschöne Splitter Crack am Ende von L3 (6c).

Weiter ging es aus verschiedenen Gründen schliesslich erst ein knappes Jahr später am 2. Juli 2022. Der entscheidende Faktor war, dass Viktor für die Fortsetzung nicht abkömmlich war. Meine Motivation war nach dieser langen Zeit jedoch am Überborden und so war es Zeit, um alleine loszuziehen. Notgedrungen mit nicht mehr ganz so viel Material wie bei der Initiierung des Projekts, noch schwerer war mein Rucksack mit der kompletten Ausrüstung aber dennoch. Die vierte Seillänge kostete mich schliesslich mehr oder weniger einen ganzen Tag an Arbeit. Es dauerte seine Zeit, bis ich im Solomodus in die Gänge kam. Zudem war die Ideallinie an jener Stelle nicht so klar vorgegeben und nichts kostet beim Erschliessen mehr Zeit, wie wenn das Werweissen über die einzuschlagende Richtung beginnt. Am Ende ging dann doch alles gut auf, selbst die unvermeidliche Querung über eine scheinbar blanke Zone hinweg offerierte die für zugängliche Freikletterei nötigen Strukturen und Stand 4 war erreicht. Die Zeit reichte mir noch, um einen ersten Vorstoss in die fünfte Länge zu machen. Sie startet mit einer athletischen Hangeltraverse unter einem Dach. Jetzt wo alles fertig ist und man diese 6b-Passage im Wiederholer-Modus klettern kann keine grosse Sache - Rope Solo im steilen Gelände mit all dem Gear und nach schon vielen Stunden in der Wand sah das damals anders aus. Erfreut nahm ich beim Blick nach oben zur Kenntnis, dass die Weiterführung der Seillänge hinauf zum Jardin unter der Headwall gut machbar aussah. In der Hoffnung, das Projekt in einem weiteren Bohrtag abschliessen zu können, machte ich mich zufrieden auf den Heimweg.

Zurück in der Göscheneralp im Juli 2022. Alleine am Bohren, da gibt's jeweils nur wenige oder gar keine Fotos davon. Ausnahme davon ist der Zustieg, da war ich mit dem extrem schweren Rucksack natürlich um die eine oder andere (Foto)pause sehr froh.

Normalerweise setze ich mir beim Klettern ja keinen Zeitdruck und verzichte auf terminierte Ziele. Doch das Gandschijen-Projekt noch im 2022 abzuschliessen, das reizte mich dann doch. Am 19. Oktober dieses Jahres konnte dann zumindest die Linie vollendet werden. Wiederum alleine machte ich mich auf den Weg. Wie erhofft liess sich der fehlende Teil von L5 recht zügig einbohren. Zwar hat es auch da durchaus ein paar knifflige Moves, aber die Kombination von etwas liegendem Gelände und nicht ganz so hohen Schwierigkeiten machen die (Einbohr-)Sache eben schon spürbar leichter. Für die abschliessende Sequenz war mir dann schon seit der Begehung der Golden Flake klar, wo die Route durchführen sollte. Die kompakte Headwall sah einfach super attraktiv aus, mit einigen abgerundeten, rissähnlichen Strukturen sollte man auch das nötige Material zum Festhalten finden. Zwei etwas bouldrige Stellen säumen zwar den Weg, aber auch da ging alles tiptop und mit sehr lohnender Kletterei auf. So waren es nur noch eine Piazschuppe und zuletzt ein paar Meter durch die Wacholder-Stauden, welche mich vom finalen Standplatz wenig unter dem Gipfel trennten. Das Routenende war erreicht, alles komplett eingerichtet, welch ein Erfolg! Wie nahe Freud und Leid beisammen liegen, musste ich aber kurz darauf erfahren. Wie abgemacht wollte ich Sepp Inwyler telefonisch berichten, dass ich mit meinem Projekt den Gipfel erreicht hatte. Das war leider zu spät... wie ich erfahren musste, war Sepp am 13. Oktober 2022, also nur 9 Tage vor meinem letzten Bohrtag, im Alter von 82 Jahren, völlig unerwartet und noch voller Tatendrang und Pläne, an einem Herzstillstand verstorben. Diese, unsere Route, soll darum Sepp, einem Pionier des Alpinkletterns in der Schweiz und dieses Wandteils am Gandschijen gewidmet sein.

Route fertig eingebohrt im Oktober 2022! Blick vom Top zu Lochberg, Galenstock und Dammastock.

Fertig gebohrt heisst aber noch nicht gepunktet. Liebend gerne hätte ich diese Aufgabe gleich unmittelbar noch im Herbst 2022 erledigt. Doch weil die Rotpunktbegehung immer die Krönung eines Projekts darstellt, in welches viel Zeit, Herzblut (und auch Geld) geflossen ist, soll dafür alles passen: Wetter, Partner, Motivation, Gelegenheit, undsoweiter. Schlussendlich kam das Saisonende, bevor alle diese Signale auf Grün standen und die Sache musste auf das Folgejahr vertagt werden. Am Pfingstsamstag, 27. Mai 2023, war es dann soweit: Viktor war motiviert mit von der Partie und wollte sich live anschauen, wovon ich ihm schon lange vorgeschwärmt hatte. Es war ein grandioser Klettertag, welcher so verlief, wie ich mir das vorgestellt hatte. Tatsächlich konnte ich alle Seillängen punkten 🏆, eine geniale Sache. Ich kann mich noch gut an meine Emotionen damals am Top erinnern, die Minuten während ich Viktor gemütlich an der Sonne sitzend nachsicherte. Ich liess das Handy einen guten Beat spielen und kontemplierte - Larina hatte da unmittelbar davor die Selektion für ihren ersten Europacup geschafft. Ein extrem wichtiges Ziel für sie und natürlich auch für mich als Vater und naher Begleiter ihrer Karriere eine sehr emotionale Sache. Eine solche Selektion und das Geschehen an einem internationalen Wettkampf selber würde ich nur mehr von der Seitenlinie verfolgen können. Aber hier am Gandschijen war ich mittendrin, das war meine Welt, mein Projekt, mein grosses Ziel. An diesem Tag war aus einer Vision Realität geworden, in welche viel Zeit, Motivation und auch Vorbereitung geflossen war. Ich war sehr glücklich damit - einfach eine geniale Sache der Klettersport, mit all seinen Facetten.

Das Top erreicht bei der Rotpunktbegehung am 27. Mai 2023, yeah🏆!

Zustieg

Eine Postautohaltestelle und einige wenige Parkplätze gibt's beim Gwüest (P.1573), sonst alternativ 500m vorher in grösserer Quantität beim Zeltplatz unten. Man folgt noch 250m der Strasse taleinwärts und nimmt den zweiten Rechtsabzweiger (Schotterstrasse). Zuerst zwischen den wenigen Häusern durch nach Chehren (P.1704) und via die Abkürzung zum Stall auf dem schönen Boden vom Börtli (1800m). Nun Richtung WNW auf Wegspuren via Oberbort zum markanten Spitzistein (P.2024). Ab hier entweder pfadlos aber auf logischem Weg direkt hinauf durch das Blockfeld zu den tiefsten Felsen, alternativ das Blockfeld nach WNW queren und im Wiesengelände wieder Wegspuren aufgreifen, welche zentral unter die Gandschijen Südwand führen. Nun links hinauf Richtung WNW ins Couloir, wo man nach ca. 50m den Einstieg erreicht. Dieser befindet sich bei den Koordinaten CH LV95 2'682'073/1'168'373 bzw. WGS84 46.66155/8.51101 auf 2195m (Kartenlink). Der Routenname wurde 2023 mit Farbe angeschrieben, wobei diese im Couloir möglicherweise nicht ewig hält. Die beiden BH-Linien von Up in the Sky (links, Austrialpin-Laschen) und Golden Flake (rechts, Petzl-Laschen) sind jedoch gut zu identifizieren. Als Gehzeit für die 620hm ist je nach Fitness mit ca. 1:00h zu rechnen.

Impression vom Zustieg, der für sich alleine schon eine spektakuläre Wanderung ist.

Routenbeschreibung

Gandschijen - Up in the Sky 7a+ (6b/6b+ obl.) - 6 SL, 220m - M. Dettling, V. Wegmayr 2021-2023
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-2 plus evtl. Grösse 3

L1, 35m, 6c: Los geht's erst noch ein paar Meter gemächlich, dann heisst es an einem ersten Wulst (Umkehrpunkt von Sepp Inwylers erstem Versuch) zupacken, bevor bis zum Standplatz hinauf anhaltende Wandkletterei wartet. Der Fels ist super strukturiert mit Leisten und Rissspuren, oft auch helfen Seitgriffe weiter. Mit guter Planung entschlüsselt sich aber alles, ein toller Auftakt.

Da war der Bohrstaub längst weggewaschen. Viktor folgt in L1 (6c) bei der RP-Begehung.

L2, 45m, 7a+: Gleich nach dem Stand geht's in die Crux, welche subtile Wandkletterei an sloprigen Griffen bietet, wobei mit den Füssen entschieden auf Reibung angetreten werden will - athletisch, auch wenn's nicht so steil ist. Weiter geht's dann einer Schuppe bzw. kleinen Verschneidung entlang, die kräftige Moves im 6c-Bereich bereithält. Das war's noch nicht, eine knifflige und auch nicht so leicht zu entziffernde, plattige Traverse nach links verteidigt den Zugang zur Kante, die einfacher zum Stand führt.

Viktor engagiert sich in der kniffligen, plattigen Querung am Ende von L2 (7a+).

L3, 35m, 6c: Links ums Dächli rum, dann zieht man an Schuppen und Leisten in die Wand rechts. Dabei gehen die Griffe aus, Spannweite oder noch viel mehr eine geschickt gewählte Beta helfen weiter. Steil hinauf zu einem Band, von wo man rechtshaltend den Splitter Crack anpeilt. Darüber, wie schwierig der ist, scheiden sich die Geister. Im Yosemite 5.x, wobei x mit grösster W'keit einstellig wäre... Jedenfalls muss man diese Passage zwingend mit 3-4 mittleren bis grossen Cams mobil absichern.

Von wegen Urgestein und so... Local Bunschi in der Golden Flake. Für ein Foto von L3 siehe oben!

L4, 35m, 6c: Kurz nach links und obsi, der Fels ist in dieser Plattenzone zum Glück prima strukturiert (cit. Michel Piola "dalle à grattons"). Notfalls helfen dort auch Rapunzels Haare, zumindest solange sie noch keine neue Frisur hat 😁. Rissspuren, Schuppen und eine kleine Verschneidung ermöglichen es, recht kommod zur plattigen Crux voranzukommen. Deren Linkstraverse geht dank vorhandener Struktur aber zum Glück ohne extreme Schwierigkeiten auf und lässt einen das athletische Finish an Schuppen geniessen. In dieser Seillänge ergänzt man die BH auch gerne noch mit der einen oder anderen mobilen Sicherung.

Da befindet sich der Akteur gerade in der Cruxzone von L4 (6c).

L5, 25m, 6b: Der Auftakt bietet eine linksorientierte Hangelquerung an guten Griffen mit einem abschliessenden Mantle-Boulder-Problem, um in einfacheres Gelände zu kommen. Dieses klettert sich an strukturiertem Fels genussvoll. Später drängt es einen nach links um die Kante, doch schliesslich heissen einen die Bolts, doch wieder zurückzukommen. Zum Ende geht's ein paar Meter durch die Wacholderstauden zum Stand gerade voraus.

Viktor in der Hangelquerung zu Beginn von L5 (6b). 

L6, 45m, 7a: Anhaltende Wandkletterei über eine toll aussehende Wand, die mit runden Rissspuren als Struktur garniert ist. Meist geht's an Kanten und Leisten recht gut im 6bc-Bereich voran, doch zwei Wulste bieten je ein kniffliges Boulderproblem und fordern ein paar entschlossene Moves, teilweise auf Gegendruck an Unter- und Seitgriffen. Als Dessert gibt's dann noch eine launige Piazschuppe und ganz am Ende noch etwas Gemüse, sprich ein paar Meter durch die Wacholderstauden, um den bequemen Stand am Ende zu erreichen.

Tolle Wandkletterei 'dem Himmel entgegen' an Rissspuren in L6 (7a).

Hat man die Route geschafft, so vergesse man den Eintrag im Routenbuch nicht! Es befindet sich beim letzten Stand, 1.5m links in einer Felsspalte, ich habe mit Farbe einen Pfeil aufgemalt, um darauf hinzuweisen. Bitte die Dose wieder gut verschliessen und den Behälter an seinem Platz verstauen.

Abstieg

Die Route ist mit Raumer-Kettenständen zum Abseilen eingerichtet. Vom Top seilt man nach ➡ 5 ➡ 4 ➡ 3 ➡ 2, von wo es mit 2x50m-Seilen knapp auf den Boden reicht, wenn man sich deutlich seitlich weiter oben ins Couloir hält. Alternativ kann auch Stand 1 zum Abseilen benutzt werden. Tipp: beim Abseilen mit 2x60m sollte Stand 4 keinesfalls ausgelassen werden. Das reicht zwar metermässig, dafür ist ein Verhänger praktisch garantiert. Bei Nutzung von Stand 4 ergeben sich hingegen keine Verhänger-Probleme. Ein Fussabstieg ist eine mögliche Alternative und ermöglicht es, den Gipfel vom Gandschijen mitzunehmen. Vom Routenende entweder direkt über die 3m hohe Stufe hinauf in einfaches Grasgelände, oder einfacher linkshaltend über exponierte Bänder ansteigen. Mit ein wenig Aufstieg erreicht man den Gipfel, der tolle Ausblicke ins Voralptal und zum Salbit bietet. Von dort westwärts haltend durch die Nordflanke absteigen (teilweise Wegspuren). In der Lücke westlich des Gandschijen (Steinmann) in die Südflanke wechseln und +/- der Wand entlang und schliesslich ins Couloir, welches zurück zum Einstieg führt. Der Abstieg ist ca. T4 und nimmt etwa ähnlich viel Zeit in Anspruch wie das Abseilen (ca. 30 Minuten, Zustiegsschuhe nötig). 

Auch da gibt's erstklassigen Granit. Blick vom Gandschijen-Gipfel hinüber zum Salbit.

Topo

Bevor wir das lange ersehnte Topo präsentieren, noch ein paar Infos zum Begehungsfenster. Nach unseren Erfahrungen trocknet die Up in the Sky deutlich schneller als andere Routen am Gandschijen und ist nach schlechtem Wetter zügig wieder begehbar. Bei den Touren weiter rechts (Super Gwüest, Gatsch, Sali Konrad) sifft es hingegen nach Regenfällen gerne noch lange nach. Die Saison der Route wird durch die Öffnungszeit der Strasse ins Gwüest bestimmt. Wenn diese im April/Mai öffnet, sind die Wand und die steilen Südhänge in der Regel aper und die Route kletterbar. Bei nicht extremer Hitze geht's auch im Sommer dank der Höhenlage gut. Besonders schön ist es im Herbst, wobei man selbst dann noch sehr viel Sonne geniessen kann (21.10. von ca. 8.30-17.30 Uhr Sommerzeit, 21.11. von ca. 8.30-15.45 Uhr Winterzeit). Die Saison endet mit der Schliessung der Strasse, die meist irgendwann im November ist. Auf der Seite vom Kanton Uri gibt's Infos zur aktuellen Situation.

Topo zu unserer Route Up in the Sky am Gandschijen. Gibt's auch als PDF!

Sonntag, 15. Oktober 2023

Horefelliflue - Knecht Klemenz (7a+)

Die Horefelliflue ist eine 350m hohe, eindrückliche Wand mit grossen, glatten Plattenschüssen in der Voralp, einem Seitental der Göscheneralp. Lange Zeit hatte ich dieses verlockende Gemäuer auf meinen Touren im Gebiet nur bestaunt, denn die wenigen Routen aus den 1980er-Jahren waren spärlich abgesichert und in Vergessenheit geraten. Im 2021 wurde Mastermind (6b+) dann saniert, ich konnte sie kurze Zeit später mit Kathrin und Larina an einem Top-Herbsttag wiederholen. Nicht nur mir hatte diese Wand gefallen, auch die Urner Locals Bruno und Kurt Müller waren so begeistert, dass sie kurzum eine neue Linie in die Wand legten. Es dauerte dann noch einige Zeit bis zu deren kompletter Fertigstellung und Freigabe im 2023. Nachdem der Kalender auf Oktober vorgerückt war, kam für uns die Chance zu einer frühen Wiederholung.

Blick auf die tolle Wand der Horefelliflue mit dem Verlauf von Knecht Klemenz

Unsere Tour startete um 8.30 Uhr bei der Voralpkurve (1402m), wo wir das Glück hatten, den letzten freien Parkplatz zu ergattern. Auf bekanntem Weg liefen wir die Kehren durch den Wald hinauf und ins Tal hinein. Es ergab sich ein interessantes Gespräch mit einem Urner Wanderer, der mit seiner Oldtimer-Ducati angereist war. Er erzählte von den winterlichen Töfffahrten mit seiner Maschine zum Nordkap, bei Temperaturen von bis zu -40 Grad. Wir Kletterer seien etwa gleich verrückte Vögel, war schlussendlich das Fazit. So verging die Zeit rasch, wir erreichten die Alp Horefelli und folgten der inzwischen recht deutlichen Spur zur Wand hinauf. Nach einer Stunde und ein paar Zerquetschten waren wir am durch das Bohrmaschinen-Graffitti gut identifizierbaren Einstieg und bereiteten uns auf die Kletterei vor. Um 10.00 Uhr ging es los, die Sonne hatte gerade eben den Wandfuss erreicht.

L1, 45m, 6a+: An einem kleinen Pfeiler geht's los, erst kann dieser einfach erstiegen werden. Doch schon bei dritten BH wartet eine knifflige Stelle, wo man mit Seitgriffen seine Füsse auf Reibung anpressen und durchmoven muss. Einfacher geht's zu einem Riegel hinauf, wo man sich einen geschickten Weg zwischen einigen dumpf klingenden Schuppen hindurch suchen muss. Der Weiterweg zum Stand ist dann Formsache.

Los geht's! Von L1 haben wir allerdings kein Lichtbild, das ist schon der Start in L2 (6b).

L2, 40m, 6b: Zuerst geht's über einen einfachen, etwas durchzogenen Vorbau hoch und dann um die Ecke (was in der Fortsetzung leider ziemlich Seilzug generiert). Die steil-imposante Wand danach klettert sich schliesslich leichter, wie man von unten zuerst denken würde. Der Fels ist da toll strukturiert und die Crux besteht darin, den Wechsel von der einen zur anderen Rissspur gut zu erwischen. Nach meinem Empfinden leichter wie L1, ich würde die Schwierigkeitsgrade tauschen.

Prima strukturierter, kletterfreundlicher Fels am Ende von L2 (6b).

L3, 40m, 6b: Mit einem Piaz-Vorgeplänkel geht's zu einer steilen Stufe, welche an Seit- und Untergriffen erklettert wird. Mir ging das problemlos auf, wobei die Körpergrösse da vermutlich recht stark hilft. Danach legt sich das Gelände wieder zurück und bietet schliesslich anspruchsvolle und auch recht zwingende Plattenkletterei. Für den Vorstieg vermutlich die anspruchsvollste Passage der Route.

Die Sequenz in der oberen Hälfte von L3 (6b) fand ich taff, aber vielleicht bin ich da im Nachstieg auch ein wenig unbedarft reingeklettert.

L4, 45m, 6a: Eine sehr gemütliche Seillänge zum Erholen. Der Anfang über Rampen und Piazschuppen klettert sich total lässig, zügig und genussreich. Auf etwa zwei Drittel habe ich einen kurzen, etwas schwierigeren Einzelmove im 6a-Bereich gemacht, der womöglich auch hätte umgangen werden können. Am Ende geht's nochmals über einen Aufschwung, aber auch das geht gut. Vielleicht auch eher nur eine 5c, diese Länge.

Wow, so richtig fotogen - dabei ist L4 (6a) echt ein chilliger Abschnitt.

L5, 40m, 6b: Zuerst geht's in gut strukturiertem, schuppigen Gelände rasch und ohne besondere Schwierigkeiten vorwärts. Das ändert sich im oberen Teil, wo sich eine relativ glatte Plattenzone in den Weg stellt. Der ökonomische Kletterer fragt sich schon, ob er das Teil mit Ausweichen ins erdige Gelände links leichter bewältigen kann. Dem ist kaum so, denn dies wäre a) mühsam und b) offeriert die Platte bei genauem Hinsehen genau an der richtigen Stelle eine kleine Leiste. Elegant über die Kante geht's zum Stand.

Die Stelle in L5 (6b) wo der ökonomische Kletterer... im Fels bleiben soll.

L6, 40m, 7a: Nun gilt's ernst - das sagt nicht nur das Topo, sondern das wird auch im Gelände subito klar. Die superkompakte Platte mit der eng gesteckten Absicherung gleich ob dem Stand macht es aus. Ich mache mich mal ans Werk, das aber nicht so einfach ist. Klar sind die Abstände kurz, aber grifflos und mehr im Schlittern wie im Stehen das Seil einzuhängen ist dann eben doch schwierig. Schliesslich lässt sich aber eine tragfähige Beta entschlüsseln und wenn man einmal weiss wie und wo, so kann das Seil mit Minimalaufwand in den Karabiner einschnappen. Einzig der letzte BH dieser Sequenz steckt nach unserem Gusto ausserhalb der einfachsten Linie und ist nur erschwert zu klippen. Ich entschliesse mich zu einem 2nd Go und kann tatsächlich Rotpunkt passieren - gefühlt mit 0.0% Marge an der Abrutschgrenze, aber es geht, geilo! Wirklich eine extrem fusslastige Bewegungspassage, bei der man einfach den Glauben in die Haftreibung nie verlieren darf! Den einfacheren, oberen Teil der Seillänge klettere ich dann im Onsight. Er bietet genüssliche, abwechslungsreiche Granitkletterei mit am Ende tollem Tiefblick in die Schlucht linkerhand.

Das Foto zeigt nicht so viel von L6 (7a), aber nach der Cruxzone geht's noch lange einfacher weiter zum Stand hoch.

L7, 25m, 7a+: Als Viktor bei mir ankommt, heisst er mich die nächste Seillänge ebenfalls zu führen, ich hätte es ja so gut gemacht (in der Tat sind es wohl eher seine nach dem Effort schmerzenden Füsse, welche eine Pause verlangen). So mache ich mich auf den Weg in die grosse, diagonale Querung. Die Haken stecken auch da freundlich, ob dem diagonalen Verlauf kann man auch im Vorstieg fast beständig im Toprope moven. Das macht es sicher (noch) einfacher als in L6, voll das Limit auszuloten. Zudem ist dieser Abschnitt doch einen Tick weniger fusslastig, sprich mehr mit kleinen Leisten gespickt, welche das Aufbauen des nötigen Drucks erlauben. Ich kann alle Klippen umschiffen (von denen es zwei wesentliche und etliche kleinere gibt) und mir den Onsight holen.

L7 (7a+) ist zwar die Crux, auf dem Foto sieht's aber blanker aus, wie ich es empfunden habe.

L8, 30m, 5c: Während die Route bis dato fast ausschliesslich Wandkletterei bot, kommt nun doch noch ein Riss. Viktor korrigiert mich gleich, das sei bloss eine "Schuppe" und kein "Riss". Stimmt vermutlich und ist kein Nachteil, denn so kann man sich an dem Ding wenigstens gut festhalten. So ist trotz der Steilheit der Grad wirklich nur bei einer 5c, die man vielleicht noch mit einem Plus versehen darf. Genau genommen hatte ich diesen Abschnitt schon damals auf der Mastermind geklettert. Das gereicht mir besonders insofern zum Vorteil, dass ich aus puristischer Sicht ja sowieso keinen Komplett-Onsight der Route hätte holen können... so spielt auch der "nur" 2nd Go Erfolg in L6 keine Rolle 😁

Viktor turnt dem Himmel entgegen in L8 (5c), welche eigentlich zur Mastermind gehört.

Um 15.00 Uhr sind wir nach ziemlich exakt 5:00 Stunden der Kletterei am Top. Während ich auf den ersten zwei Seillängen noch nicht ganz restlos überzeugt war, bin ich später in einen tollen Kletterflow gekommen und erreichte das Top komplett begeistert. Wir notieren im Buch die sechste Begehung der Route, halten uns sonst aber nicht lange auf, denn Viktor muss noch weiter ins Tessin. Eventfrei geht's über die Mastermind in die Tiefe und dann wandernd das Tal hinaus. Wir diskutieren, was das Tal wohl sonst noch an Klettererlebnissen für uns zu bieten hat... da wird wohl noch etwas kommen in Zukunft 😎 Um rund 17.00 Uhr sind wir zurück bei der Voralpkurve. Glücklich über diesen tollen Klettertag mache ich mich auf den Heimweg.

Facts

Horefelliflue - Knecht Klemenz 7a+ (6b obl.) - 8 SL, 300m - B. & K. Müller 2023 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig und kaum einsetzbar

Eine richtig lässige Route vom Typ Sportkletter-Plaisir. Der Fels ist über weite Strecken prima und gut mit Schuppen, Leisten und hin und wieder einer Rissspur (bzw. Verschneidung, Piazschuppe) garniert. Die beiden schwierigsten Sequenzen bieten 15m an extremen Reibungsmoves und 25m an plattiger Wandkletterei. Die Absicherung mit rostfreien BH ist prima. An den einfacheren Stellen bzw. Seillängen sind die Abstände etwas weiter. Nie aber heikel, gefährlich oder psycho, die Haken stecken auch einfach am richtigen Ort. Die beiden Cruxlängen sind eng gebohrt, so dass die Schwierigkeiten mit Griff zum Haken entschärft werden können. Wir hatten mangels genauerem Wissen ein kleines Camset mitgenommen, welches aber ungenutzt blieb und bald einmal den Platz am Klettergurt des Nachsteigers innehatte. Das Topo zur Route sowie den Bericht zur Erstbegehung findet man auf der Seite von Bruno Müller. Vielen Dank für die Route und die Informationen dazu, das ist einfach toll!

Donnerstag, 8. Juni 2023

Gandschijen - Golden Flake (7a)

Der Gandschijen hoch über dem Göschener Tal bietet prima Granitkletterei an sehr schöner, sonniger Lage mit einwandfreiem Fels. In den 1980er-Jahren war er sogar ein Szene-Hotspot, doch heute scheint er mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Es liegt wohl einerseits daran, dass für Extreme der Salbit bekannter ist und längere Routen bietet, andererseits die Plaisirkletterer im Gebiet der Bergseehütte ein umfassenderes Angebot finden. Doch für Tagestouren würde einem am Gandschijen eigentlich sehr viel geboten, gerade für Tage mit unsicheren Prognosen oder bis weit in den Spätherbst hinein. Dass dieses Angebot nicht häufiger genutzt wird, liegt bestimmt auch daran, dass die Touren in den Filidor-Auswahlführern nicht verzeichnet sind und man auch sonst keine aktuellen Topos findet, so dann man auch wenig bis nichts über Sanierungen und aktuelle Gegebenheiten weiss. Kommt noch hinzu, dass das Hakenmaterial in manch einer der älteren Touren verrostet und unzuverlässig ist. Hier ein Versuch, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Gandschijen mit seiner breiten Südwand und dem Verlauf der Golden Flake (7a).

Am Gandschijen war ich soweit auch kein Habitué, nur ein einziges Mal bewegte ich mich vor Jahren für den Südpfeiler vor Ort. So reisten wir an einem Samstag, für welchen nachmittägliche Schauer prognostiziert waren früh an, um mit der sanierten Super Gwüest (7a) eine der Toptouren der Wand zu klettern. Ein wenig fürchteten wir nach den vielen gewittrigen Regenfällen schon, auf nicht einwandfrei trockene Verhältnisse zu treffen. Doch da die Wand aus dem Tal perfekt einsehbar ist und in der Gegend auch noch viele Alternativziele vorhanden sind, dünkte uns das Gebiet trotzdem die richtige Wahl. Ein Abgleich vom Topo aus dem Uri Excellence bzw. dem SAC-Tourenportal mit den durchaus vorhandenen Wasserstreifen im rechten Teil der Gandschijen-Wand ergab uns am Parkplatz grünes Licht - auf dem (leider falsch!!!) verzeichneten Verlauf mied die Route die feuchten Zonen und wir machten uns auf den Zustieg.

Bergidylle auf dem Zustieg mit dem Börtli im Vordergrund.

Offizielle Parkplätze findet man nur unten beim Campingplatz, so muss man erst 800m/60hm der Strasse entlang gehen, um dann auf Güterstrassen zum Börtli hinaufzusteigen. Ab da dann auf schwacher Wegspur durchs hohe, benetzte Gras hinauf zum markanten Spitzistei. Ab dort führen dann viele Wege nach Rom bzw. zum Wandfuss - im Blockchaos hat es hier und da Wegspuren, aber keine durchgehende, richtig verfolgbare Spur. Spielt aber auch keine Rolle. Wir nahmen es eher gemütlich und benötigen gerade ca. 1:00 Stunden für die rund 550hm. Subito hatten wir die weiss lackierten Bolts der Super Gwüest lokalisiert. Während die erste Länge bekletterbar gewesen wäre, so führte die zweite ganz offensichtlich einer siffig nassen Verschneidung entlang, halt eben rund 15-20m weiter rechts wie im SAC-Topo eingezeichnet. Das machte nun wirklich absolut keinen Sinn, da einzusteigen. Grrr, solch irreführenden Informationen sind doch immer wieder sehr ärgerlich!

Der markante Spitzistei, sieht ein wenig aus wie Fuchur, der Glücksdrache.

Somit war eine gute Alternative gefragt. Der Südpfeiler war mir halt schon bekannt, das wäre nur eine Notlösung gewesen. Weiter rechts sind auch Sali Konrad (6c+) und Gatsch (6b) saniert. Doch da war nichts zu holen, dieser Bereich war grossflächig wasserüberronnen, das war uns bereits aus dem Tal klar. Andere schwierige und laut Topo durchaus interessante Touren in diesem Wandteil wären Börtlergrind (7a), Titanic (7b) und Weg durch die Muschel (7b+). Diese wären nässetechnisch möglicherweise gegangen, jedoch weisen sie dermassen veraltetes Hakenmaterial auf, dass es uns schauderte und sie keine Option darstellten. Somit erkundeten wir als nächstes den linken Wandteil. Da und dort war eine alte Linie zu erkennen, doch auch hier nur mit stark veraltetem Material und wer wollte da schon mit den nur vagen Angaben bzw. Vermutungen was das sein könnte einsteigen?!? Schliesslich stach der letzte Trumpf und das war die Golden Flake (7a) der Gebrüder Jud aus dem Jahr 2014, deren Topo ich dereinst auf dem World Wide Web ergattert hatte. Hier war der Fels trocken, es steckten moderne Inoxbolts und die Linie sah attraktiv aus. Einzig verfügten wir nur über ein Camset 0.2-2, während das Topo teils cleane Längen verhiess und ein Doppelset empfahl. Naja, irgendwie würde es sich vielleicht doch ausgehen, dachten wir uns, notfalls halt via Backcleaning. Und vor allem hatten wir ja auch keinen vernünftigen Alternativplan und so stiegen wir schliesslich um 9.15 Uhr ein.

Los geht's - die Säcke verstauten wir lieber ziegensicher am ersten BH.

L1, 35m, 6c: Über die ersten paar einfachen Meter kommt man noch gut voran, auch die Absicherung ist auf diesem Abschnitt sehr eng gehalten. Doch der Schwung wird von einem heftigem Boulderproblem bald gebremst. Ich konnte schliesslich total überstreckt die rettende Leiste fassen und die Stelle ziehen, während dem wenig kleiner gewachsenen Viktor ein guter Dezimeter fehlte und er keine kletterbare Lösung fand - unter 190cm dürfte man da mit 6c sehr, sehr knapp bedient sein. Man folgt dann dem Verlauf einer Schuppe, die vorerst ein paar bessere Griffe hergibt, sich bald aber schliesst und nur noch so etwas à la 4mm Micros bereithält. Man muss an dieser Stelle auch sehr abschüssig auf die Füsse stehen und etwas Gegendruck erzeugen, noch dazu zwingend zwischen den Haken! Gut abgesichert zwar, jedoch voll obligatorisch und etwas unangenehm, es ist die Crux in Bezug aufs Hochkommen der Route. Wir empfanden das eher als Fb 6C Boulderproblem wie als eine 6c-Route - aber vielleicht waren wir noch nicht aufgewärmt oder es fehlte noch die Form in einer langsam anlaufenden Saison?!? Hat man diese Passage einmal geschafft, geht's immer noch anhaltend, aber wieder machbarer voran, bei sehr eng steckenden Haken. Sprich, die Absicherung ist hier etwas inhomogen - sehr dicht da, wo es nicht unbedingt nötig wäre, mit dem weitesten Abstand da wo es am schwierigsten ist.

Schöne, aber fordernde Kletterei der dünnen Schuppe entlang mit zwei sehr schwierigen Einzelstellen in L1 (offiziell 6c, nach unserem Gusto deutlich schwieriger). 

L2, 30m, 6b+: Laut Topo ist diese Länge komplett clean, so waren wir erstaunt, aber mit unserem knappen Camset erfreut, hier auf insgesamt 8 BH zu treffen. Diese stecken auf dem einfacheren ersten Drittel etwas links der Linie, was aber wohl daran liegt, dass die Erschliesser erst nach dem Einrichten einige fragile Schuppen ausgeräumt haben. Der Hauptgang folgt dann im zweiten Drittel mit einer cleanen, halbmondförmigen Verschneidung. Man kann aber gut Cams legen, wenn auch aus anstrengender und teils blinder Position. Der Riss an sich ist meist schon ordentlich griffig, hingegen ist es steil und die Tritte sind schlecht bzw. nahezu inexistent. Burly Layback heisst es also, da kann das Blut schon in Wallung kommen. Ich konnte es im Nachstieg (viel) näher am Limit als ich in einer 6b+ erwarten würde durchsteigen. Doch der Leser weiss es ja schon längst, diese Art von Kletterei ist der dettling'sche Antistyle - trotzdem dürfte die Bewertung hier auf der harten Seite sein. Einmal um die Ecke gebogen, geht's dann im letzten Drittel an sich einfacher zum Stand. Problematisch ist hingegen, dass die Flake hier nur Zentimeter dünn ist und grossflächig abbrechen könnte. Das wäre sowohl für den Vorsteiger (Kappen des Seils) wie für den Sichererer (direkt unterhalb) ein ungünstiges Szenario - VORSICHT!!! Also möbelte sich Viktor hier technisch über die beiden BH in der Wand hoch. Im Nachstieg war das Klettern an der Flake zu verantworten - wie geschrieben im Gesamtkontext unschwierig, die dünne Schuppe hielt bei pfleglicher Behandlung stand.

Auftakt mit gut gebohrter Schuppenkletterei in L2, am Horizont die cleane Verschneidung (hart 6b+).

L3, 40m, 7a: Augenscheinlich sieht diese Länge gut mit BH abgesichert und vorerst auch nicht so schwierig aus, da kann man guten Mutes lossteigen. Tatsächlich warten vorerst keine bösen Überraschungen und entlang dickerer und dünnerer Schuppen und Schüpplein gewinnt man an Höhe. Im zweiten Teil der Länge verschärft sich die Sache und im Hinterkopf schlummert der Gedanke, dass die 7a unweigerlich kommen muss - wie die Erstbegeher in ihrem Topo proklamieren sogar als 7a obligatorisch. Tatsächlich gibt es eine Stelle, wo das sonst durchgehende Schuppensystem quasi unterbrochen ist, bzw. nur noch als ganz dünnes Risslein mit Mikrokanten auftritt. Voll daran zu dübeln und den Füssen im Nichts zu vertrauen lautet das Motto - es fühlt sich etwas ungeschmeidig an. Die Strukturen fragil einerseits, aber auch für Finger und die Haut auf den Fingerkuppen nicht so sorgenfrei. Und tatsächlich muss man wenig später auch sehr gut auf den Füssen stehen und mit diesen ca. 1m über dem letzten Haken einen delikaten Klipp ausführen. Das ist nicht geschenkt, doch unter dem Strich dünkt mich die Stelle in L1 nicht einfacher punkto schieres Hochkommen. Nach dieser Cruxsektion auf 3/4 Höhe der Seillänge geht's wieder besser, wenn auch immer noch fordernd zum Stand hinauf. Nachtrag: bei einer späteren Begehung Ende Mai 2023 gab's im Bereich der Crux offenbar einen Griffausbruch, was diese Stelle nun einerseits markant schwieriger, gleichzeitig auch markant zwingender mache.

Fordernde, plattige Wandkletterei in L3 (7a) - mit der Crux da, wo die Schuppe unterbrochen ist.

L4, 30m, 6b: Hier oben hatte das Topo zwei weitere, weitgehend cleane Seillängen versprochen. Mit unserem abgespeckten Camset waren wir gespannt auf deren Anblick. Zum Glück fiel dieser nicht beängstigend aus. Hier in L4 geht's erst einfacher dahin - der erste BH steckt hoch und zum Legen ist's eher dürftig, da wäre die Transplantation von einem der teils dicht steckenden BH in den unteren Längen gar nicht mal so blöde. Anyway, es ging auch so, vorbei an 2 eng steckenden Silberlingen wechselt man von der linken an die rechte Schuppe, die dann mit durchaus fordernder Piazerei aufwartet und bis auf einen weiteren BH mit Cams gesichert werden muss. Die 6b passt hier wohl recht gut, deutlich einfacher wie L2 aber schwieriger wie L5 lautet unsere Einschätzung. Sofern man nur über 1 Camset verfügt und nicht extrem 'bold' am Weg ist, ist die Nutzung des Standes nach L4 durchaus sinnvoll. Er ist nicht sehr bequem, aber auch nicht voll übel.

Blick auf das Schuppensystem, entlang welchem L4 (6b) und L5 (6b) verlaufen.

L5, 30m, 6b: Die Erstbegeher schlagen hier eine 6b vor, uns dünkte es die einfachste Länge der Tour. Weiter geht's entlang von teils pfleglich zu behandelnden Schuppen. Zwei BH vermitteln Sicherheit, der Rest kann mit Cams gesichert werden, was gut möglich ist. Schlussendlich warten nirgendwo die extremen Schwierigkeiten, im Kontext der anderen Längen wäre man hier mit 6a auch bedient. Am Ende steigt man dann ins Wachholdergebüsch aus - unschwierig zwar, aber legen kann man da halt nicht mehr, ausrutschen aber sehr wohl.

Blick auf den Ausstieg von L5 (6b) mit dem Ausstieg ins Wacholdergebüsch.

L6, 30m, 6a+: Das Topo schlägt den Weg rechts durch die Büsche vor, wir haben die Schuppe zentral ob dem Stand geklettert - geht easy. Gleich danach wird es aber kniffliger - ein Riss mit 2 alten Schlaghaken verlockt zum Jamming, de fakto klettert sich die Passage leicht rechts über den dortigen Bohrhaken aber wider Erwarten deutlich einfacher. Weiter geht's in Wandkletterei, die irgendwie weder richtig schwierig noch richtig einfach ist und uns beiden das Gefühl gegeben hat, dass wir uns dumm anstellen. Ob's am Fels oder den Kletterern liegt?!? Ein weiteres Gustostück wartet dann mit dem Ausstieg in die Botanik am Ende der Wand.

Ausstieg aus L6 (6a+) mit Blick zum Göscheneralpsee und den Feldschijen.

Um 14.00 Uhr und damit nach doch 4:45h Kletterei waren wir am Routenende angelangt. Am Gipfel des Gandschijen war ich damals anlässlich der Südpfeiler-Begehung nicht gewesen, doch nun liess sich dies gut nachholen. Seilfrei geht's noch ca. 20hm durch einen Graskanal hinauf auf das geräumige Plateau. Wir vergnügten uns an einem sauberen Jam-Riss-Boulder und erfreuten uns an der Aussicht ins Voralptal und die Salbittürme - deren Lockrufen werden wir vermutlich noch schneller erliegen als jenen der saftigen Risstouren in der K1 Nordwand, die wir auf der letzten gemeinsamen Tour gehört hatten. 

Schöner Jam-Boulder am Gipfelplateau mit Sicht zum umwölkten Sustenhorn.

Plötzlich, und obwohl es schon eingetrübt hatte unerwartet, setzte leichter Regen ein. Das war das Zeichen zum Aufbruch. Wir stiegen wieder zum letzten Stand ab und fädelten die Seile ein. Mit zwei kürzeren und zwei bis auf die letzte Faser ausgereizten Manövern (6-5-3-2-Boden) waren wir zügig retour am Einstieg. Das Wetter hatte noch mehr oder weniger gehalten. Weiterhin fiel zwar leichter Regen, so richtig nass wurden wir aber doch nicht - mit Ausnahme von Füssen und Beinen, denn das hohe Gras hatte natürlich nicht abgetrocknet. Doch dies musste uns nicht weiter stören, bald waren wir retour im Gwüest und beschlossen sehr zufrieden die Tour. Ja, unseren Plan mit der Super Gwüest hatten wir an diesem Tag nicht verwirklichen können, dafür eine andere, spannende Linie kennen gelernt. Diese stand zwar vorab nicht zuoberst auf unserer Projektliste, unterhielt uns aber mit schöner, spannender und fordernder Kletterei. Noch besser war allerdings der Umstand, dass wir nebenan ein schönes Bohrprojekt für uns entdecken konnten. Schon im Aufstieg war uns linkerhand der oft prima strukturierte Fels aufgefallen, nähere Einblicke beim Abseilen überzeugten uns dann umso mehr von diesem Vorhaben. Mittlerweile haben wir diese tolle Linie eingebohrt und gepunktet - mehr dazu in einem späteren Beitrag auf diesem Blog :-)

Facts

Gandschijen - Golden Flake 7a (6c+ obl.) - 6 SL, 190m - A. & P. Jud 2014 - ***;xxx(x)
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams 1x 0.2-2 plus evtl. 1x 0.3-1.

Schöne Kletterei in sauberem, körnigem Granit entlang von dicken, dünnen, grossen und kleinen Schuppen. Die eine oder andere davon wirkt fragil und etwas Erfahrung in pfleglichem Umgang mit solchen Strukturen schadet sicherlich nicht. Uns brach aber kein einziger Griff aus, nicht dass dies falsch verstanden wird! Die im Topo angegebenen Schwierigkeiten passen für 95% des Geländes gut, zwei Boulderstellen in L1, eine weitere in L3 und den cleanen Riss in L2 fanden wir jedoch anspruchsvoller wie proklamiert. Die Absicherung der Route mit Inoxbolts und Kettenständen ist sehr gut ausgefallen, in L2/L3 stecken mehr Bolts wie im Topo verzeichnet. Einige Abschnitte in L2, L4 und L5 sind mobil mit Cams abzusichern, was dort gut möglich ist. Wir kamen notgedrungen mit 1 Set Cams 0.2-2 durch, die Grössen 0.3-1 zu verdoppeln schadet aber nicht - ausser man empfinde 6bc-Piazrisse als Spaziergelände. Den als 7a angegebenen, obligatorischen Schwierigkeitsgrad habe ich etwas nach unten korrigiert. Die im Vorstieg heikelste, zwingende Stelle ist in L1 (nominell 6c, könnte auch 7a sein). Auch in L3 warten nochmals delikate Moves ein wenig über dem Haken, wobei uns die eher nur 6c als 7a obl. dünkte (wobei dies nach einem Griffausbruch im Mai 2023 so möglicherweise nicht mehr zutrifft, siehe den Text zu L3). Das Topo der Erstbegeher ist hier abgebildet, in gedruckter Literatur wurde die Route noch nie publiziert. Weitere Infos zu den anderen Routen am Berg findet man sonst nur im leider stark veralteten und unpräzisen SAC-Führer Urner Alpen 2 von 1996.

Topo der Erstbegeher von Golden Flake - vielen herzlichen Dank für eure Arbeit!