- -

Samstag, 14. Januar 2017

Cascata da Cavloch (WI5)

Der Winter hatte lange auf sich warten lassen, doch just jetzt wo die Gelegenheit zum Eisklettern da war, schüttelte Frau Holle ihre Kissen wie verrückt. In weiten Teilen der Schweizer Alpen war die Lawinengefahr auf Stufe 4 und bei Neuschneemengen von bis gegen 100cm macht das Eisklettern auch nicht mehr so richtig Spass. Von diese Wetterkapriolen einigermassen ausgenommen waren die Bündner Südtaler. Hier fielen nur 10-15cm Schnee, die Lawinengefahr blieb auf Stufe 2, da ging noch was. In unserem Fall die formidable Cascata da Cavloch, sie bietet 250m genüssliches Eis und einen Couloiraufstieg von 150hm, welchen man seilfrei gehen kann.

Der Blick auf die Cascata da Cavloch (WI5), da wird dem Eiskletterer warm ums Herz!
Nun ja, das Engadin und erst recht das Val Forno liegen leider von mir daheim aus nicht gerade um die Ecke. Da aber mein Seilpartner sowieso auf dem Weg ins Engadin war, wollte ich die weite Reise anpacken. Auf der langen Bahnfahrt zurück (welche genau jetzt stattfindet), bleibt dann ideal Zeit für den Tourenbericht, das Erledigen der Korrespondenz und etwas Arbeit. Wie beschrieben, nach Maloja ist es ja eh schon ziemlich weit. Nicht kürzer wird die Fahrzeit natürlich, wenn man mit einem Wohnmobil und dann gerade noch im heftigsten Schneetreiben unterwegs ist. Das Tempo war meist beschaulich, auch sonst lief nicht alles glatt. Beim Ketten aufziehen gab's prompt einen Defekt, stecken gebliebene Fahrzeuge sorgten für weitere Verzögerung. Aber um 11.30 Uhr liefen wir dann schliesslich in Maloja los, dies notabene bei milchig scheinender Sonne.

Monochrome Töne bei unserer Wanderung in das Val Forno hinein - geniale Stimmung!
Der Zustieg wird in den Kletterführern mit 2 Stunden angegeben, eben kurz ist die Cascata auch nicht wirklich und so hiess es vor allem eins: Gas geben und Stirnlampe einpacken. Das Strässchen zum Lägh da Cavloc ist im Winter als Wanderweg und Langlaufloipe präpariert, hier kann man immer zu Fuss gehen. Nach 35 Minuten war der zugefrorene See erreicht und die Kaskade rückte ins Blickfeld. Super sah es aus, was die Motivation zum Einstieg heraufzukeuchen gleich nochmals erhöhte. Etwa 100m nach dem (geschlossenen) Restaurant verlässt man den Weg, überquert die Ebene gegen den Eisfall hin, traversiert den Fluss und dann sind es noch ca. 160hm zum Einstieg. Bei viel Schnee kann dieser Aufstieg sicher anstrengend sein, Skis oder Schneeschuhe mitzunehmen lohnt sich aber vermutlich doch eher nicht. Lawinentechnisch ist's unkritisch, die Hänge sind unter 30 Grad steil. Nach einer Stunde ab dem Parkplatz hatten wir den Einstieg erreicht. Nun hiess es aufrödeln und Achtung, Fertig, Los! Um möglichst effizient voranzukommen wollte, ich die ganze Route vorsteigen.

Die Perspektive von dort, wo es bald losgeht! Hier sichtbar die ersten 2 Seillängen, total ca. 80 Klettermeter.
L1, 40m, WI3+: der untere Teil der Cascata sieht super aus und klettert sich auch so. Extrem breit gewachsen, homogen in der Steilheit, absatzlos, super Ambiente. Es lohnt sich, bereits etwa nach 40m bei einer Verflachung Stand zu machen. Nachher kommt nicht so bald wieder eine gute Gelegenheit und bis zum Ende des ersten Abschnitts sind's vom Einstieg rund 80 Klettermeter.

Sven folgt in L1 (WI3+), super Ambiente an diesem riesigen Eismonster.
L2, 40m, WI3+: ähnlicher Charakter wie die erste Länge. Nie extrem, immer gut zu machen und ein grosser Genuss. Das Eis war von guter Qualität, der neu gefallene Schnee störte nicht gross. Je nach Linienwahl softer oder härter - aber gang geng gredi ist hier doch die richtige Strategie.

L3, 50m, WI3-4: erst ein kurzes Flachstück über Schnee, dann leichtes Eis und schliesslich ein Aufschwung. Je nachdem, ob man links herum die schwächste Linie wählt oder lohnend direkt hinaufklettert, variiert die Schwierigkeit zwischen WI3 und WI4. Stand macht man, wo das Eis aufhört und das Schneecouloir anfängt.

Ausblick auf L3, die Tigerlinie checkt bei etwa WI4 ein, mit Auskneifen ist's auch einfacher zu haben.
L4, ca. 150hm, WI2 und 40-45 Grad: Die ersten Meter von der unteren Kaskade weg können heikel sein und sind exponiert, allenfalls kann man an den Büschen rechts oben nochmals nachnehmen. Das Couloir zum oberen Abschnitt hinauf kann man bei geeigneten Verhältnissen gut seilfrei begehen. Es stellen sich 2 Eisstufen (5m, 15m) in den Weg, wo man auch sichern könnte.

Blick vom Ende von L3 auf die obere Stufe (links WI5, rechts WI4). Von hier sieht das alles bubieinfach aus und das Couloir beinahe flach. Wie so oft, die Perspektive täuscht. Wer es auf diesen 40 Grad steilen Schneehängen im Vordergrund ganz dumm anstellt, kann sogar einen nicht zu stoppenden Sturz fabrizieren.
L5, 50m, WI5: im oberen Teil gibt es 2 Varianten. Links die Kerze, welche auf etwa 20m nahezu senkrecht ist und mit WI5 bewertet wird. Die etwas weniger steile Mauer rechts geht als WI4 durch. Wir wählten die Kerze, welche an sich tiptop zu beklettern war - wobei es wie immer einen ziemlich grossen Unterschied macht, ob man eine WI5 als allererster klettert oder man wie z.B. in Kandersteg oder Cogne schon alles schön ausgehackt vorfindet. Teilweise tropfte es auch noch, ich konnte nicht immer ausweichen... und prompt gab's nasse Handschuhe und bei Temperaturen von -12 Grad prompt einen so richtig vaterländischen Kuhnagel.

Schwierig einzufangen, wie die WI5-Länge wirklich ist. Jedenfalls auf 20m kompromisslos steil!
L6, 25m, WI2: Wenn es (noch) nicht allzu viel Schnee hat, kann man noch in einfachem, gestuftem Gelände bis zum Ende des Eises klettern. Im Vergleich zu den vorherigen Seillängen fällt diese ab, andererseits ist sie auch schnell erledigt.

Wen erstaunt's, bis wir oben waren war es 17 Uhr und es ging mit dem Tageslicht natürlich schon rapide dem Ende entgegen. Das war von vornhinein klar, aber deswegen auf die Cruxlänge zu verzichten wäre auch schade gewesen, vor allem weil das Abseilen im Dunkeln jetzt ja auch kein grösseres Hindernis darstellt. Eingerichtet ist allerdings rein gar nichts, und man muss zwingend Abalakovs drehen. Einige hatte ich im Aufstieg schon vorbereiten können, trotzdem zieht es sich. Im Couloir sind wir soweit wie möglich zu Fuss abgestiegen, die beiden Eisstufen und das letzte Stück zur unteren Kaskade seilt man jedoch sinnvollerweise ab, was dann insgesamt 8 Manöver und eben auch Abalakovs ergibt. Prompt passierte der nächste Event mit leichtem Sch...-Faktor: wir hatten beide einen Draht dabei, beide sind zerbrochen. Kruzifix nochmal! Somit dauerte es halt dann doch ein bisschen länger, bis das Seil jeweils ergrübelt war. Aber spielte ja keine Rolle mehr, es war ja eh schon dunkel. Ein Hinweis noch, falls jemand demnächst hingeht: ich habe nur bei den abziehtechnisch kritischen Abseilstellen eine Schlinge gefädelt, bei den anderen haben wir das Partieseil durchgezogen.

Eine letzte Impression von der Cascata da Cavloch.
Ohne Pause und mit dem kompletten Gear auf Mann traten wir dann den Rückweg an. Der zog sich gefühlt noch ziemlich in die Länge! Schon erstaunlich, wie kurz einem der Zustieg vorkommen kann, wenn man topmotiviert und voller Vorfreude auf eine Tour ist. Aber auch den Rückweg haben wir natürlich geschafft. Blöd war dann hingegen eher, dass der Wagen nicht mehr ansprang, als der Zündschlüssel gedreht wurde. Nochmals etwas Aufregung, etwas hin und her. Schliesslich klappte es aber doch noch und wenn ab jetzt nichts mehr schiefgeht, dann lege ich mich auch bald schon gehörig müde ins Bett. Ja, heute war nicht ganz alles rund gelaufen, aber auch nichts entscheidendes schief. Der Plan mit der Cascata da Cavloch war jedenfalls super aufgegangen und hatte eine höchst zufriedenstellen Eisklettertag ergeben.

Abstrakte Kunst? Tja, heute war nicht alles rund gelaufen, nur meine Schlinge rund gefroren. Aber ein super Tag!
Facts

Val Forno - Cascata da Cavloch (TD- III WI5 45°) - 5 SL, 250m Eis + 150hm Schneecouloir - ****
Material: 2x50m-Seile, 12-16 Schrauben, Material für Abalakovs

Eher selten begangener Eisfall im landschaftlich schönen Val Forno. Dass hier nicht viele Besucher vorbeikommen, liegt natürlich an der Lage weit abseits der grossen Ballungszentren. Teilweise sind auch die Angaben in den Kletterführern etwas pessimistisch ausgefallen. Natürlich kann man auf dem Zustieg zwei Stunden verbraten, vor allem wenn sehr tiefer Schnee liegt. Eigentlich sind es aber nur gerade 250hm Aufstieg, so dass es auch in einer Stunde zu machen ist. Wenn es sehr viel und tiefen Schnee hat, ist man hier sowieso nicht unbedingt am richtigen Ort. Es handelt sich um alpines Gelände in der steilen Westflanke des Piz da la Margna (3159m). Die Exposition ist WSW, somit ist auch zu berücksichtigen, dass hier ab Mittag die Sonne diese Hänge erreicht. Darüber hinaus erachte ich die Cascata da Cavloch aber nicht überaus extrem lawinengefährdet. Die Hänge zum Einstieg und oberhalb der zweiten Stufe sind weniger als 30 Grad steil. Das Couloir dazwischen hingegen schon, überaus kritisch ist es jedoch sicher nicht. Trotzdem sollte man hier schon wissen, was man macht. Es ist sicher keine jederzeit machbare Plaisirtour unmittelbar neben der Strasse - sondern eine genüssliche Eistour in alpinem Ambiente, wo man auch für Standplätze und den Rückweg über die Tour komplett auf seine eigenen Fähigkeiten vertrauen muss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich über Ergänzungen zu diesem Blog via Kommentarfeld!
Kontakt: mdettling74@gmail.com.