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Sonntag, 22. September 2024

Tour Termier - L'usure du temps (7c+)

Eine MSL-Tour am Col du Galibier, dieser Programmpunkt gehört fix in die Sommerferien. Schliesslich führen wir diese Tradition seit 2019, als ich mit der damals 9-jährigen Larina die Ponant Neuf (6a+) am Tour Termier geklettert hatte. So packten wir in den vergangenen Jahren jeweils die erste Gelegenheit, um in dieser rauen Umgebung auf 3000m zu klettern. Diesen Sommer war ein längerer Schnauf gefragt: wir waren in wechselnder Besetzung in erster Linie zum Sportklettern vor Ort und konnten nicht nach Belieben an den Galibier aufbrechen. Mit etwas Geduld kam aber in diesem schönen Sommer 2024 natürlich die Chance und wir erkoren erneut den Tour Termier als Ziel. Gut, dass Larina inzwischen ein wenig älter geworden ist und beim Klettern massive Fortschritte gemacht hat. Denn die logische Steigerung nach der von uns zuletzt begangenen Feu Sacré (7a) war eben die hier beschriebene L'usure du temps (7c+), welche dann gleich mit mehreren Längen im siebten Franzosengrad auftrumpft und mit Fels, Anspruch und in der Schärfe des Gesteins den Vergleich mit den Routen am Rothorn im Färmeltal nicht zu scheuen braucht.

Die fantastische Westwand des Tour Termier mit dem Verlauf von L'usure du temps (7c+)

So fuhren wir, wie aus den früheren Jahren gewohnt, hinauf Richtung Col du Galibier bis zur Kehre auf 2500m. Dort schlugen wir um 11.20 Uhr den mehr oder weniger horizontalen Climbers Trail in Richtung der Wand ein, nur rund 300hm sind bis zum Einstieg zu absolvieren. Wie schon in den früheren Berichten beschrieben, macht es wenig Sinn, hier tageszeitlich früh zu starten, da die Westwand des Tour Termier erst am Nachmittag besonnt ist und man selbst an Hitzetagen (und sonst natürlich sowieso) morgens wahrscheinlich nur Frostzittern und kalte Griffel kriegt. Wir liefen zügig und waren um 12.05 Uhr am Einstieg. Dieser ist nicht näher bezeichnet und relativ unscheinbar, man muss ihn anhand der Fototopos identifizieren, was eine gewisse Orientierungsfähigkeit am Fuss dieser Riesenwand voraussetzt. Für uns war es nicht so schwierig, da wir 4 Jahre zuvor die rechts daneben startende Marmotta Impazzitta (6c) geklettert hatten, deren Startpunkt wir noch zweifelsfrei zuordnen konnten.

Zustieg auf dem ziemlich bequemen Climbers Trail zum Tour Termier.

Bei einem kleinen Imbiss diskutierten wir die zu wählende Strategie. Eigentlich klettert Larina ja inzwischen universell besser als ich. Also nicht nur Indoor und im Steilgelände, sondern ebenso (wenn auch weniger deutlich) am vertikalen, knapp strukturierten und schwierig zu lesenden Fels, der auf MSL typisch ist und auch etwas Erfahrung und Selbstvertrauen erfordert. Trotz meinen Ermunterungen entschied sie, dass wir an diesem Tag noch bei den gewohnten Traditionen blieben und der Vorstieg komplett meine Aufgabe wäre. Dankbar darum, diesen in einer solch schwierigen Route noch ausführen zu können und noch nicht zum alten Eisen zu gehören, nahm ich diese Aufgabe an und startete in der Gegend von 12.20 Uhr mit der Kletterei.

Super Panorama: die Écrins-Berge und der Col du Lautaret, welcher Briançon mit Grenoble verbindet.

L1, 25m, 6a+: Eine relativ kurze Seillänge, mit einem ersten Haken, der nicht gerade bodennah steckt. Die Kletterei im plattigen Terrain hat Rätikon-Feeling und nach dem zweiten und letzten Bolt kommt eine Crux, die es in sich hat: ein richtig taffer Move von einem Seitgriff, dann Mantle ins flachere Gelände. Kurzum, eine 6a+ die man vermutlich nur kann, wenn man viel schwieriger klettert. Falls das zutrifft, dann kommt's ja auch nicht so darauf an, wie der Abschnitt bewertet ist... im Vergleich zu dem was später noch kommt, ist's ja effektiv "einfach".

L2, 30m, 6b+: Anhaltende und bereits recht steile Seillänge an vom Wasser zerfressenem Fels. Sie hat sich schwieriger angefühlt, wie ich dies aufgrund vom Schwierigkeitsgrad her erwartet hätte. Larina und ich teilten uns den Eindruck, dass man hier nie so recht weiss, ob man sich einfach ungeschickt anstellt, oder ob man tatsächlich schon solch kräftige Moves ausführen muss. Hinweis: das Plättli am zweiten Bohrhaken ist vom Steinschlag plattgebogen, mit schmalem Karabiner oder einer Schlinge aber noch klippbar. Der Bolzen sieht noch ok aus.

Steile Kletterei an wasserzerfressenem Fels in L2 (6b+), man muss sich durchaus schon festhalten!

L3, 35m, 7b: Hier startet man mit einer noch gut machbaren Querung nach links (ca. 6c), welche einen zu einer athletischen Sektion an Unter- und Seitgriffen bringt. Da heisst es zupacken und gleichzeitig möglichst effizient durchkommen, um die Körner für das kleingriffige Finale zu sparen. Entschlossenheit und hohes Antreten sind dort neben ein wenig Fingerkraft wohl der Schlüssel zum Erfolg. Diese Stelle ist zwar dicht abgesichert (A0 dürfte problemlos sein), dafür ist es wegen der feingriffigen Natur nicht so einfach, stabile Klipp-Positionen zu finden. Ich dachte schon mal kurz, es gehe nicht mehr, bevor ein magischer Toehook mich aus der brenzligen Situation gerettet und den Onsight konserviert hat. Larina marschierte im Nachstieg dann völlig easy über die Stelle - wer kann der kann!

Diese Seillänge (L3, 7b) ging ihr leicht von der Hand - mir nicht ganz so sehr.

L4, 30m, 6a: Henklige Fun-Kletterei einem System von Schuppen entlang. Im weiteren Verlauf dann der Ausstieg auf eine gebänderte Zone und linkshaltend zum Stand auf dem Pfeilerkopf hinauf. Dieser bequeme Platz bietet sich für eine Pause an, bevor es wieder zur Sache geht.

Das Finish von L4 (6a) ist nix fotogen, so zeigen wir lieber, wie wir uns mit einem Pain au Chocolat für die verbleibenden Seillängen gestärkt haben. Ich glaube man kann sagen, dass diese Sportlernahrung ziemlich gut funktioniert hat ;-)

L5, 40m, 7a: Schön zu kletternde Traverse nach rechts in griffigem Gelände, dann am Pfeiler aufwärts zur Crux, welche sich in einer seichten Verschneidung bzw. dem linkshaltenden Ausstieg aus dieser präsentiert. Wir fanden das ziemlich harmlos für den angegebenen Grad. Weiter oben wartet dann noch eine technische Sektion der Art "gewusst wie" bzw. "erkannt wie", wo man sich ein wenig engagieren muss. Am Ende muss man aufpassen, nicht zu hoch zu geraten. Beim letzten Bohrhaken heisst es scharf links abzubiegen und in einer horizontalen Traverse von 6-7m den nicht sehr offensichtlichen Stand zu erreichen. Die Orientierungs-Challenge besteht (weiterhin) darin, herauszufinden welches der letzte Bolt in dieser Länge ist... 😁

Im Bild die Traverse am Ende von L5 (7a), die für ängstliche Nachsteiger problematisch sein könnte.

L6, 35m, 7c+ oder 7a+ 3pa: Tolle, luftige Kletterei, welche einer Art Rampe folgend nach links in die steile Wand hinauszieht, zum markanten grauen Streifen hinüber. Lange geht's gut, aber dann ist wirklich fertig. Die Crux scheint extrem kleingriffig und ohne Tickmarks oder sonstigen Plan zu haben was es da zu tun gibt, waren wir völlig chancenlos. Wenn man die Lösung entziffern kann, so habe ich gelesen, sei es anscheinend nicht so schwierig (für eine 7c+). Hier haben wir beide, nachdem jeweils der Onsight/Flash vergeigt war, zügig das Handtuch geschmissen. Ein Restart zum Punkten würde zudem eine ziemlich mühsame Abseilaktion mit Traverse im Steilgelände bedingen. Mit dem Textilgriff lässt sich der kurze, schwierige Abschnitt problemlos meistern. Allerdings geht's danach gleich nochmals zäh weiter mit einer (gut abgesicherten) ~6c-Stelle, die relativ zwingend zu meistern ist. Dann kommt vermeintlich schon der Stand nahe. Jedoch ist der erste/untere nicht die richtige Adresse (er gehört zur En Short au Paradis), sondern es ist besser noch zwei Bolts höher zu klettern und den dortigen Stand zu verwenden (die beiden Routen verlaufen auf diesem letzten Abschnitt gemeinsam).

Orange-graues Gestein mit Struktur der Marke "extrascharf", so lautet das Programm in L6 (7c+).

L7, 30m, 6a+: Auf dem Papier ein einfacherer Abschnitt, beginnt es in der Realität gleich mit einem "pas si facile que ça"-Abstand zum ersten Haken. Die L'usure du temps ist die rechte Linie, d.h. rechtshaltend gewinnt man eine Verschneidung, ignoriert den Abseilstand rechts aussen und gewinnt in sehr schöner Kletterei im Winkel bzw. der Tropflochwand links daneben an Höhe - tolle Moves und Genuss satt!

Die rechte Verschneidungswand geschickt in die Sequenz eingebaut heisst Kraft gespart in L7 (6a+).

L8, 45m, 6c: Ulala, ulalalala! Hier verspürte ich schon beim Nachsichern ein gewisses Muffensausen, denn die furchtsamen Ankündigungen online ("un pas bien teigneux et obligatoire entre les points #2 et #3") schienen sich für einmal zu bewahrheiten. Der Abstand ist tatsächlich markant und während man im Vorfeld noch auf gut versteckte (oder versteckte gute) Griffe hoffen kann, so zeigt sich: sie existieren nicht wirklich, die Kletterei spielt sich im feinen, leicht überhängenden Tropflochgelände bei mässigem Trittangebot ab. Die schwersten zwei Meter, d.h. drei, vier Moves startet man, wenn man mit den Füssen auf Hakenhöhe steht, nachher wartet noch ein etwas wackliger Klipp. Nicht extrem wild also, auch nicht gefährlich, aber die Crux ist zwingend, mit dem Potenzial für einen etwas unangenehm harten Sturz. Dies umso mehr für mich, da wir wegen dem potenziellen High-Energy-Fall und der Gewichtsdifferenz auf die wenig dynamische Fixpunktsicherung setzen mussten. Nein, locker habe ich diese Stelle ganz sicher nicht bewältigt... aber geschafft habe ich sie, uff! Ehrlich gesagt kam sie mir deutlich schwieriger vor wie 6c, aber mit der Angst im Nacken verschiebt sich da der Bewertungsraster ja gerne einmal. Auch Larina konnte die Stelle natürlich ziehen, doch selbst im Nachstieg mit ein wenig Beta-Vorinfo befand sie es für taff. Sicher schwieriger wie die 7a-Stelle in L5, meinen wir. Zur Entschädigung ist der Rest der Länge in strukturiert-griffigem Fels dann leicht zu haben (ca. 6a). Oben zieht's etwas nach rechts, man kommt auf das Abschlussdach, wo der finale Stand ein paar Meter gerade voraus gut sichtbar ist und über sehr schöne Wasserrillen erreicht werden kann.

Am Ende von L8 (6c) gibt's noch Plaisir-Wasserrillen, allerdings ist der Start nicht ganz so Plaisir.

Es gibt etwas Unklarheit darüber, ob man am Stand nach L8 das Routenende erreicht hat oder nicht. Die Literatur gibt variable Informationen und das Fototopo im ONOS ist schlicht und einfach falsch. Zu dieser Einsicht waren wir schon bei der Begehung der Marmotta Impazzitta (6c) gelangt, wo wir diesen Stand nach L8 ebenfalls passiert hatten. Damals kletterten wir noch etwa 10-15m höher hinauf, dies entspricht wohl dem als 5b gelisteten Teilstück in einigen Topos. Klettertechnisch bringt das wenig, nur die Abseilerei wird umständlicher, somit liessen wir es gerne sein. Auf 17.50 Uhr war die Uhr zu diesem Zeitpunkt vorgerückt, was eine Kletterzeit von 5:30h ergibt. Ich glaube, als extremen Zeitverschleiss muss man das nicht taxieren: wir hatten versucht, die Route onsight/flash zu klettern. Das war uns für die 7b-Version, d.h. bis auf die p.a.-Haken in L6 gelungen. Oder halt eben nicht gelungen, wenn man die Wand als Ganzes betrachtet... es wäre spannend zu wissen, wie oft (und ob überhaupt) die 7c+ schon onsight geklettert wurde.

Yeehaa - happy on the top!

Wie schon bei den früheren Gelegenheiten hatten wir auf das Abseilen gesetzt, was als letzte bzw. einzige Seilschaft in diesem Wandbereich gut machbar ist. Mit 2x60m-Seilen ist das zügig zu meistern. Es sind 50m zum Abseilstand der sich (im Aufstiegssinn) rechts in L7 befindet, dann eine kurze 30m-Strecke zum Stand nach L5. Wer sich dann 55m gerade runter wagt, findet auf der Höhe von einem kleinen Band den Stand nach L3 von Ici mieux qu'en face (7b), von welchem man in 58m zurück auf Terra Firma (etwas oberhalb vom Einstieg) gelangt. Hinweis: auf den Bändern liegen lose Steine herum, das Seilabziehen geht kaum vonstatten ohne dass Material in die Tiefe fällt. Die Eigengefährdung dadurch ist gut überschaubar, jedoch sind andere Seilschaften in der Wand oder im Einstiegsbereich gefährdet. Daher nur dann Abseilen, falls man die Wand für sich alleine hat, sonst wählt man besser den Fussabstieg.

Dieser Shot und ebenso wenig der Spruch dazu darf natürlich nicht fehlen: "la fille n'est plus parmi les  petites, mais la paroi reste parmi les grandes". Man vergleiche mit den früheren Editionen: Ponant Neuf (6a+)Marmotta Impazzitta (6c), Feu Sacré (7a).  

Wir packten unsere Sachen und liefen bei schöner Abendstimmung zügig zurück zur Passstrasse. Der Galibier bzw. der Tour Termier hatte wieder einmal geliefert, was wir uns versprochen hatten. Und natürlich ist die Vorfreude auf die Rückkehr gross. Spannende Projekte gibt's gleich noch mehrere, für den nächsten Besuch müssen wir uns aber steigern: diese Routen sind alle anhaltend im siebten Franzosengrad und 7a obligatorisch. Ob das dannzumal dann eine (Vorstiegs-)Aufgabe für den immer älter werdenden Herr oder die immer stärker werdende Dame ist, werden wir dann ja sehen 😎

Facts

Tour Termier - L'Usure du Temps 7c+ (6c obl.) - 8 SL, 270m - Desseux/Voldoire 2005 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (zum Abseilen besser 2x60m), 14 Exen, Cams/Keile nicht nötig bzw. einsetzbar

Hervorragende alpine Sportkletterroute, welche durch steiles, wasserzerfressenes Gestein führt. Ein bisschen ähnlich wie am Rothorn im Berner Oberland oder auch in Taghia, so sagt man. Nach meinem Gusto reicht's nicht ganz für die vollen 5 Sterne. Dafür ist die Linie zu wenig luftig-attraktiv, die Kletterei zu wenig aussergewöhnlich und der Fels zu wenig durchgehend perfekt. Also schon sehr, sehr gut, aber irgendwie fehlt mir persönlich der Wow-Effekt, den es für die Höchstnote zwingend braucht. Die Kletterei ist relativ anhaltend im 6bc-Bereich, die schwierige(re)n Stellen sind jeweils kurz. Die Absicherung mit verzinktem Material (Fixé-Plättli, Zustand 2024 gut) ist meist prima. An den Schlüsselstellen sogar eher xxxxx als nur xxxx, jedoch gibt's ein paar 6bc-Stellen, wo man dann doch auch über dem Haken etwas bieten muss. Und die angegebene 6c obligatorisch findet man spätestens in der letzten Seillänge definitiv. Als gedruckte Literatur gibt's (glaube ich) nur den Oisans Nouveau, Oisans Sauvage. Sehr nützlich sind die Hinweise auf C2C, wo man auch gleich mehrere Topos vorfindet.

Samstag, 14. September 2024

Le Ponteil - Rôle en Dalles (6c)

Es war wieder einmal Zeit für einen Tag Abstinenz vom steilen Sportklettern. Unsere Devise war, es den Radfahrern an der Tour de France gleichzutun. Die machen an ihrem Ruhetag auch keine Pause, sondern strampeln eben mal 150km in (relativ) gemütlichem Tempo ab, um im Rhythmus zu bleiben. Des Vertikalathleten Pendant zu dieser Strategie ist das Klettern einer schönen Recovery-MSL mit ein paar genussreichen Seillängen. Das attraktive Gesamtpaket von einfacher Zugänglichkeit per Bike, nachmittäglichem Schatten und spannend-steiler Kletterei sprachen erneut für das Gebiet von Le Ponteil, dieses Mal war Larina mit von der Partie.

Sicht auf die S-Wand vom Gebiet Le Ponteil mit dem Verlauf der Rôle en Dalle (6c)

Allzu viele Routen kenne ich an dieser Wand noch nicht (Surplomb Jaune, Nid d'Aigle), aber nach einhelliger Meinung sei die von uns anvisierte Rôle en Dalles die beste Route im Gebiet. Was natürlich die Frage aufwirft, ob es denn weise ist, beim ersten (oder einem der ersten) Besuche in einem Gebiet gleich die beste Route zu klettern. Was kommt denn danach?!? Eigentlich gibt's nur zwei Optionen, entweder 1) gibt man sich danach mit weniger (Schönheit) zufrieden, oder 2) man zieht weiter zum nächsten Gebiet, um dort auch wieder (nur) die schönste Route zu klettern. So richtig das Gelbe vom Ei ist weder das eine noch das andere, jedenfalls führt die ausschliessliche Jagd nach dem Perlen vielleicht nicht unbedingt zu nachhaltiger Befriedigung beim Klettern, so scheint es mir die Logik zu diktieren. Nun denn, die snobistische Haltung zuerst bzw. nur die besten Routen zu klettern ist mir generell fremd, an diesem Tag war aber die Rôle en Dalles trotzdem das am besten passende Projekt, für die anderen Linien an der Wand kommt die Gelegenheit hoffentlich auch einmal.

Das Panorama vom Einstieg - es ist wirklich ein sehr schöner Ort zum Klettern!

Mit dem Bike gondelten wir, so wie ich es kürzlich schon mit Jerome gemacht hatte, die ca. 10km hinauf nach Le Pont (P.1447). Auch für die Rôle en Dalles startet der Zustieg bei der Infotafel, von wo man in 10 Minuten zur Wand gelangt. Eigentlich ist der Start angeschrieben (nicht so gut lesbar), aber die Routendichte ist so hoch, dass es trotzdem nicht ganz trivial ist, die richtige Linie zu verfolgen. Auch die Topos entschlüsseln die Sache nicht einwandfrei, am besten beschreibt die Situation meines Erachtens der Oisans Nouveau, Oisans Sauvage (ONOS). Jedenfalls startet die Rôle en Dalles gemeinsam in der steilen Verschneidung mit der Les Diables und hält sich dann im weiteren Verlauf an die Rampe links der Verschneidung. Um 13.50 Uhr ging es los mit der Kletterei, dies bei angenehmen Bedingungen. Damit man diese im Sommer vorfindet, ist eine gewisse Planung nötig. An diesem Tag im enorm heissen Sommer 2024 waren die Temperaturen für einmal ca. 5 Grad tiefer angekündigt, zusätzlich minderten Schleierwolken die Einstrahlung der Sonne, welche die Wand am Nachmittag sowieso nur noch seitlich bescheint und es ging ein thermischer Wind - so passte es perfekt.

L1, 30m, 6b+: Zuerst gut 10m steil durch die Verschneidung an speckigen Henkeln gemeinsam mit der Les Diables, nachher sehr schöne Tropflochkletterei in der Wand links der Verschneidung. Die Crux an ein paar Tropflochleisten gegen das Ende hin, da muss man sich durchaus mal kurz festhalten! Wer möchte, kann diesen Abschnitt komplett durch die Verschneidung einfacher umgehen, dort führt eine in den meisten Topos nicht verzeichnete, gut mit BH abgesicherte Route/Variante durch, welche offenbar bei 6a+ eincheckt.

Sehr schöne Tropflochkletterei im oberen Teil von L1 (6b+), fast wie im Gufechüssi auf der Galerie.

L2, 25m, 6a+: Steile Wandkletterei im Tropflochgelände, toll! Die Crux im Wandstück kurz vor dem sehr bequemen Standband, da muss man sich schon wirklich festhalten für eine 6a+. Vielleicht in etwa so wie in der Crux vom Zigerchrapfe (hart 6a+) auf der Galerie, wenn wir schon dabei sind, derartige Vergleiche zu ziehen.

Das Finish von L2 (6a+) hat es in sich!

L3, 20m, 6c: Fulminanter Auftakt in drückender Wand, athletisch und technisch-knifflig zugleich. Topoguide bewertet hier mit 6c+/7a, in diese Richtung zielen auch die Berichte auf C2C, wobei jene Autoren die Stelle meist nicht klettern konnten. Uns gelang dies und wir fanden die 6c schon taff, im Vergleich zum Rest aber nicht extrem unpassend. Dann ist es noch so, dass eine harte 7a in Céüse definitiv höhere Anforderungen stellt... aber ob dies die Messlatte sein soll, ist dann halt auch wieder fraglich. Jedenfalls, nach der anfänglichen Cruxzone legt sich das Gelände etwas zurück, eine Rissspur will erobert werden. Eine Special-Mention verdient noch das Finale, wo es vor allem die richtige Beta zu erkennen gilt.

"Think lateral" heisst es am Ende von L3 (6c) bei dieser fotogenen Stelle.

L4, 15m, 5b:  Schöne, steile Wandkletterei, welche man vermutlich besser mit einer 5c bewerten würde. Es ist eine eher kurze Seillänge, welche an L3 angehängt werden könnte, wenn man genügend Exen mitführt. Wobei auch die Kombo L4/L5 fast noch besser möglich ist und auch weniger Hardware erfordert.

L5, 25m, 4b: Generell nur eine Übergangslänge durch den Gemüsegarten, die paar Moves vom Stand weg in plattigem Fels haben es allerdings durchaus noch in sich! Ich bin logisch gerade hoch aufs Band zu einem Kettenstand geklettert. Die Fortsetzung im steilen, roten Fels sieht sehr attraktiv aus, hierbei handelt es sich jedoch um die FOMEC. Wer auf der Rôle en Dalles bleiben will, muss...

Ein attraktiveres Foto kriegt man da kaum hin: die letzten Meter der Kombo L4/L5 (5b, 4b).

L5bis, 25m, 2a:  ...auf dem Band ca. 10-15m nach links queren, dann über eine einfache Stufe eine Etage höher steigen und am Fuss einer steilen Verschneidung Stand beziehen (zur Zeit unserer Begehung war da ein Stein mit stark verblasster Aufschrift vorhanden). Ab Stand 3 reicht das Seil sicher nicht bis dahin.

L6, 25m, 6b: Geniale 3d-Turnerei durch die eindrückliche Verschneidung hoch - immer schön fordernd, aber genau dann, wenn's nötig ist, taucht wieder wieder eine Struktur auf, welche die Sache im 6b-Rahmen hält. Toll!

L7, 25m, 6b+: Hier verlässt man die Verschneidung nach links hinauf und klettert in fantastisch schönem und auch 45 Jahre nach der Erschliessung noch beinahe jungfräulich wirkendendem Tropflochfels (schaffen es viele von den Anwärtern etwa nicht bis hier hinauf?). Es gibt nur eine kurze Crux, die für 6b+ gutmütig ist. Man könnte auch mit 6a+ bewerten, wir fanden die Länge einfacher wie L1, L2 oder L6. Der Stand am Ende links und eher unbequem, alternativ gleich gerade hinauf ins Gemüse und Stand am BH vom Drahtseil machen. Tipp: der Link von L6/L7 ist mit 50m-Seilen möglich, allerdings braucht es ca. 17-18 Exen, wenn man alle Bolts klippen will. Ich habe jeweils dort, wo sie eng stecken die untere Exe wieder mitgenommen, so ging es auch gut mit nur 12 Stück.

Sehr schöner, rauer Tropflochfels in L7 (6b+).

Um 16.50 Uhr waren wir nach ziemlich genau 3:00h Kletterei am Top - natürlich mit einer beidseitigen Onsight/Flash-Begehung. Dies war nicht die grosse Challenge gewesen (welche wir ja auch nicht gesucht hatten), doch ein wenig anstrengen mussten wir uns dann doch einige Male. Aber das entsprach genau unserem Gusto. Obwohl im ONOS strikt davon abgeraten wird, wäre das Abseilen über die Route/Wand in 3x oder 4x ziemlich sicher die schnellste und beste Abstiegsvariante (zumindest wenn keine anderen Seilschaften präsent sind, was bei uns der Fall gewesen wäre). 

Der Vorteil vom Abstieg zur empfohlenen Abseilvariante: man sieht den oberen Teil der Wand sehr schön im Profil. Und da zeigt sich, dass dass Terrain da schon richtig steil ist!

Wir hielten uns indessen ohne viel zu überlegen an die empfohlene Option und stiegen zu Fuss zum Top von Nid d'Aigle ab. Der Weg dahin war weiter als gedacht, der Pfad in den Schrofen ob der Wand ist nicht so ausgeprägt und teils recht ausgesetzt (an einigen Stellen sind Drahtseile vorhanden). Die letzten 5m von der Kanzel ob der SE-Wand müssen dann an einem (maroden) Fixseil noch abgestiegen werden, bevor zwei sehr bequeme, steile ja teils freihängende Abseiler (50m, 40m) zurück auf den Boden führen. Von da brachte uns ein kurzer Marsch zu den Velos und wenig später waren wir nach einer Schussfahrt retour bei unserem Camp. Sehr zufrieden, denn das war wirklich eine prima Art gewesen, an unserem Ruhetag noch zu etwas Bewegung zu kommen.

Steile Abseilerei über Nid d'Aigle.

Facts

Le Ponteil - Rôle en Dalles 6c (6b obl) - 7 SL, 190m - M. & JJ. Rolland 1978 (!!!) - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig

Die Route bietet 4.5 SL mit wirklich superschöner Tropflochkletterei, dazu in Wandmitte zwei einfachere Überführungsabschnitte. Meist handelt es sich um Wandkletterei und doch wird einem Abwechslung geboten mit 3d-Verschneidungskletterei und Risspassagen. Das einzige was fehlt ist das Feeling einer grossen MSL-Tour, dafür ist die Route dann doch eher zu kurz, zu wenig isoliert bzw. zu fest im Gemüse rundherum eingebettet. Auf jeden Fall ist es aber eine prima Möglichkeit, bei überschaubarem Aufwand und Zeitbudget mehrere Seillängen am Stück zu klettern. Bei geschickter Planung ist dies auch im Sommer möglich, die Vorzüge der Wand zeigen sich umso mehr in der kälteren Jahreszeit, wobei man dann tageszeitlich früh genug starten sollte. Die Absicherung der Route mit verzinkten BH ist sehr gut ausgefallen. Nicht ganz so eng wie in den Routen von JMC, aber doch so, dass man eigentlich alle schwierigen Passagen ab ca. 6a+ mit Griff zum Haken entschärfen kann. Um die Route weitgehend frei und zügig absolvieren zu können, sollte man jedoch schon über ein Onsight-Niveau von 6b/6b+ verfügen, die Cruxpassage verlangt dann noch ein wenig mehr (ist aber A0 machbar). Topos von unterschiedlicher Qualität findet man im ONOS, im Briançon Climbs, im Plaisir Sud, im Topoguide Band III und womöglich weiterer Literatur. Sehr nützlich wie immer auch die Beiträge auf C2C.

Freitag, 30. August 2024

Ailefroide - Arafadam (7b+)

Eine Eigenheit des Outdoor-Kletterns ist es insbesondere, dass jeder und jede genau dort einsteigen kann, wo es ihm/ihr beliebt. Niemand ist von der Gunst von Selektionären abhängig oder muss erst eine Qualifikation durchlaufen, bevor man selbst die schwierigste Route probiert. Widmet man sich hingegen dem (Indoor-)Wettkampfklettern, so ist das eben nicht der Fall. Warum ich das hier schreibe? Weil die hier beschriebene Tour an dem Samstag stattfand, wo in Zilina (Slowakei) ein European Youth Cup abgehalten wurde, welcher das primäre Ziel meiner beiden Begleiterinnen darstellte. Aber eben, die Gnade an diesem Event klettern zu können war ihnen nicht gegeben... Kein Grund Trübsal zu blasen oder Groll zu hegen, doch ehrlicherweise war die Arafadam nicht ein Objective, worauf die beiden lange hingefiebert hatten. Sondern mehr etwas "pour bien s'amuser" an einem Sportkletter-Ruhetag - und das gelang tiptop! 

Der Blick auf die Paroi de la Fissure bei Ailefroide mit dem Verlauf der Arafadam.

Unsere Tour startete wie üblich für die Touren an der Paroi de la Fissure in der Umgebung der Camping-Reception in Ailefroide, wo es sich kreativ einen Parkplatz zu ergattern gilt. Man durchquert dann den Camping und geht über den Fluss, bevor man über eine der vielen Wegspuren an den Fuss der Wand gelangt. Da wir schon 6 und 4 Jahre zuvor in diesem Gebiet kletterten (A tire d'ailes froidesSnoopy directe) und ich mich vorgängig schlau gemacht hatte, konnten wir den Start der Arafadam am Fuss einer dunklen, nach rechts offenen Verschneidung zweifelsfrei und subito anlaufen. Ein bisschen erstaunt waren wir darüber, dass schon zwei Seilschaften in dieser doch mit ambitionierten Graden angegebenen, nicht top abgesicherten und als "peu frequentée" bezeichneten Route engagiert waren. Doch es war heiss und schattige MSL mit kurzem Zustieg ein dementsprechend begehrtes Gut. Und schlussendlich waren die anderen Seilschaften für uns kein wesentlicher Faktor: sie kamen genügend rasch voran und von hinten drängelte niemand nach. Um ca. 12.30 Uhr fiel der Startschuss und ich legte los.

L1, 50m, 6a: In einfachem, noch etwas durchzogenem Gelände geht's los, im ersten Teil der Länge klettert man eine grosse Rechtsschleife (weite Abstände, kleine Cams nützlich). Nach links traversierend erreicht man schlussendlich die Verschneidung. Auch in deren oberen Teil sind die BH-Abstände nicht ganz so kurz, man könnte auch hier mit kleinen bis mittleren Cams ergänzen. Unbedingt nötig ist es nicht, wenn man 6a gut beherrscht. Wobei, den Grad macht man sowieso erst im finalen Boulder unter dem Stand. Der sei stark grössenabhängig, sagt man. Ich kann das in dem Sinne bestätigen, als dass ich ihn easy fand. Dann Stand an 1 BH und 1 soso NH.

Tja, so kommt es, wenn man am Wettkampf 1 Griff zu wenig weit klettert... Grass Scrambling statt EYC. Wenn ich dieses Foto sehe, dann habe ich schon ein wenig Bedauern mit den Girls und frage mich auch, ob das gute Werbung für die Route ist 😉 ??? Im Bild hier L1 (6a), welche hier einen arg grasig-vegetativen Eindruck macht. Beim Klettern hatte ich weniger diesen Eindruck, als es auf dem Foto den Anschein macht. Was noch wartet ist der finale Boulder, vom Podest weg wo das graue Seil liegt.

L2, 30m, 7a+: Hier überwindet die Route einen überhängenden Steilriegel mit einer wirklich lässigen Seillänge. Zuerst in der Wand muss man seinen Weg etwas finden, aber es hat wirklich sehr gute Griffe - allerdings liegen sie ziemlich weit auseinander. Und dann muss man am finalen Wulst schauen, dass man sich die Sache nicht schwieriger macht wie nötig. Danach legt sich die Wand gleich zurück. Stand entweder an solidem Bäumen oder oben an der Wand, allerdings hat es dort nur 1 BH (man kann mit kleinen Cams ergänzen).

Blick zu unseren Vorgängern im Steilriegel von L2 (7a+).

L3, 25m, 6b oder 7b+: Feine, delikate und eher noch steilplattige Kletterei wartet auf dem ersten Teil der Länge, eine tolle 6b-Passage! Man pirscht sich so an einen weiteren Steilriegel hinan. Dieser ist wohl kürzer als in L2, aber auch massiv steiler. Da wir diesen Grad beherrschen, wählte ich die 7b+ Direktvariante. Die ist aber echt noch taff und ein gutes Stück schwieriger wie L2 - es ist fast dachartig, die weit voneinander entfernten Töpfe sind nicht juggy sondern sloprig und zum Schluss wartet noch ein halbwegs zwingender Mantle-Exit, den ich nur auf dem letzten Blatt zustande brachte. Nach kurzer Rücksprache habe ich die Girls dann auf die einfachere Variante umgeleitet, welche den Steilriegel über die linke Seitenwand mit einer 6a+ Passage umgeht und die logischere Linie definiert. Im Nachstieg ist die 7b+ wegen dem Seilverlauf nämlich ziemlich ätzend und gleich nochmals deutlich schwieriger zu flashen, dazu trugen die Girls einen Rucksack, kletterten simultan und es war ja eigentlich ein Restday - somit war die easy-Lösung für sie die richtige Option.

L4, 35m, 6a: Plattige Wandkletterei ohne grosse Vorkommnisse, der mittlere Teil führt durch eine Verschneidung. An deren Ende stark rechts halten und nicht gerade hinauf zum gut sichtbaren Stand der Snoopy klettern (auf der Traverse ist kein fixes Material vorhanden, Möglichkeit für Cams). Der Stand der Arafadam befindet sich in eher unbequemer Lage bei einer Gruppe von Bäumen an 1 BH und Schlinge.

L5, 45m, 6b: De visu sieht der erste Teil recht steil und unnahbar aus. Ziemlich unerwartet trifft man hier jedoch auf super strukturierten, griffigen Fels, so dass die Schwierigkeiten im Rahmen bleiben. Erst am Ende der Länge, wo das Gelände schon abflacht, wartet noch eine plattige Einzelstelle. Die ist auch ziemlich grössenabhängig, meinen wir - für mich eine easy 6b. Der Stand ist dann nicht offensichtlich: er ist nicht bei der Baumgruppe, sondern links oberhalb an der Wand im Gemüse an 2 BH.

L6, 40m, 6b: Holla Ziege, da wähnt man sich beinahe auf einer Remy-Route. Nach einem noch gut machbaren und vernünftig eingebohrten Start warten dann taffe und obligatorische Reibungsmoves. Insbesondere nach dem vierten BH heisst es für eine längere Strecke dranzubleiben und dem Gummi voll zu vertrauen. Der Blick nach unten ist dabei wenig beruhigend, ein Sturz ist da absolut zu vermeiden. Nach meinem Dafürhalten klar die schwierigste der 6b-Längen und die Crux der Route in Sachen Hochkommen. Im oberen Teil gehen die Schwierigkeiten dann zwar zurück, dafür ist es ziemlich unklar, wo es langgeht. Man hält sich links auf eine Art Rampe, noch weiter links davon in der steileren Wand befindet sich eine Schlinge (welche sich farblich dem Fels angeglichen hat, schlecht sichtbar) an einer kleinen Lärche - Bohrhaken gibt es auf den letzten 15m keine mehr. Der Stand ist dann noch weiter oben links an zwei BH (kühnes und eher knapp gesichertes Finish, klettertechnisch allerdings einfach).

Mit zwei simultan kletternden Nachsteigerinnen gibt es halt leider nicht so viele Kletterfotos. Kommt noch dazu, dass etliche Längen einen einfachen Ausstieg auf gemüsige Bänder haben und im Rückblick überhaupt nicht fotogen sind. Darum sind wir hier schon beim Exit von L6 (6b). Im Hintergrund der Zeltplatz von Ailefroide (bzw. ein kleiner Teil davon).

L7, 40m, 5c: Relativ flache Platten, geht gut. In der Mitte auf dem Band mal deutlich nach links traversieren. Lässige Kletterei aber, die man zügig erledigen kann und gegenüber der vorangehenden Seillänge ist es richtig entspannt.

L8, 35m, 6a: Ebenfalls flache Platten mit ein paar nochmals fordernd-glatten Schritten. Die Girls haben es auch barfuss geschafft... was ihnen die angenehmere Option schien, wie sich nochmals in die engen (Comp- und Sportkletter-)finken zu zwängen. Tja, andere Zeiten als früher, als Larina jeweils noch in ihren traditionellen, gross bemessenen Red-Chili-FINKEN ohne Downturn kletterte, die so quasi den ganzen Tag inkl. Zustieg, Abstieg und Abendprogramm an den Füssen bleiben konnten...

Barfuss-Begehung der letzten Seillänge (L8, 6a) - besser als mit den engen Comp-Finken.

Die Uhr war tatsächlich schon auf 17.45 Uhr vorgerückt, bis wir am Top waren. Nach Adam Riese macht das 5:15h auf der Route, was nun vielleicht doch etwas lang erscheint?!? Doch wir hatten an den ersten Standplätzen noch etwas auf die vorangehenden Seilschaften warten müssen, weiter oben legten wir auch nochmals eine ausgiebige Futterpause ein und solche Stunts wie die Barfuss-Begehung von L8 drücken die Begehungszeit auch nicht. Das ist aber genau richtig so, denn es sollte ja auch ein Fun & Chill Day zur Erholung vom steilen Sportklettern sein und nicht ein Zeitrekord. Jedenfalls konnten wir alles sauber klettern, der Autor sogar inkl. der 7b+, die Girls dort auf der einfacheren Variante. Den Abstieg machten wir zu Fuss über den teils mit Drahtseilen versicherten Pfad, was eine sehr zügige Sache ist. Sodann führten wir noch unsere Mini-Tradition mit dem Verspeisen einer Tartelette aux Framboises aus dem Sherpa-Magazin nach einer Ailefroide-MSL fort, wonach es dem Badesee, dem Znacht und an den nächsten Tagen wieder dem steilen Fels entgegen ging.

Facts

Ailefroide / Paroi de la Fissure - Arafadam 7b+ (6b obl) - 8 SL, 300m - Kempf/Roulx 2007 - ***;xx-xxxxx
Material: 1x oder 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1

Talnahe, rasch zugängliche MSL, welche im Hochsommer ab ungefähr Mittag im Schatten liegt. Sie unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von manchen anderen MSL in Ailefroide: erstens gibt es Passagen mit verschärft/zwingend abgesicherter 6b-Plattenkletterei und zweitens warten zwei Steilriegel in den Graden 7a+ und 7b+. Der erste kommt ziemlich zahm daher und wird jenen Climbern, welche mit den späteren 6b-Platten klarkommen wohl kaum grosse Mühe bereiten (unter der Prämisse, dass die meisten im gut abgesicherten Steilgelände höhere Grade meistern wie in plattigen Runouts). Die 7b+ dürfte hingegen nur von ambitionierten Sportkletterern einfach so zäck-bum-flash zu machen sein und sie geht auch gar nicht mal so gut A0. Aber da gibt's die 6b-Umgehungsvariante, welche eigentlich sowieso die logischere Linie darstellt. Das Ganze spielt sich in einer Wand ab, die optisch ziemlich nach Gemüsegarten aussieht und es zwischendurch in flacheren Abschnitten und auf den Bändern auch ist. Das stört aber nicht sehr und an den schwierigen Kletterstellen ist der Fels solide und von prima Qualität. Die Absicherung der Route ist leicht inhomogen: die Steilriegel sind sehr eng auf Niveau xxxxx gebohrt, die Platten im Ortsvergleich eher etwas knapper als üblich, aber weitgehend doch ganz ordentlich. Im einfachen Gelände gibt es ein paar weite Abstände und auch die 6b-Plattencrux in L6 braucht Erfahrung in dieser Art der Kletterei und kühles Blut. Ein Topo gibt's im Oisans Sauvage, Oisans Nouveau Livre Est, super Infos findet man auch auf C2C.

Montag, 26. August 2024

Gorges de la Biaysse - Gorge Profonde (5c+)

Wir sind wieder einmal in den Ferien im Haut Val Durance - wo wir uns in erster Linie dem Sportklettern widmen. Hin und wieder gibt's als Restday-Activity eine Recovery-MSL. Dieses Mal hier wirklich ganz chillig, in der Nähe von unserem Basecamp und mit Jerome am Seil. Die Comp-Girls wollten nämlich schon die Quali am Weltcup in Briançon verfolgen, während wir die Zuschauerrolle auf den Semifinal am Abend verschoben. Am Rive Droite der eindrücklichen Biaysse-Schlucht gibt's ein paar kurze, leicht zugängliche Plaisir-MSL. Bei früherer Gelegenheit war ich mit Larina schon in der Plouf dans l'eau und auf der anderen Schluchtseite hatte ich einst die Super Viagra im Rope Solo gemacht. Mit Jerome wählten wir nun die nominell einfachste Variante mit der Route Gorge Profonde.

Der Blick auf die leicht zugängliche, schattige Wand am Rive Droite der Gorge de la Biaysse.

Von unserem Basecamp ist die Wand bequem mit ein paar Kilometer Velofahrt über Nebenstrassen zu erreichen. Da wir mit einem Fussabstieg über den Römerweg planten, nahmen wir nur ein Einfachseil mit. Doch an diesem wird zurzeit gebaut und es gilt dort eine 'arrête municipale' mit Zutrittsverbot. So mussten wir halt eine Bike-Extrarunde drehen, um noch ein Halbseil zu holen, damit wir die "Abseilpiste" (es ist nur 1 Manöver à 45m) nutzen konnten. Kein Thema, eine halbe Stunde später waren wir wieder vor Ort und griffen um 12.00 Uhr mittags schliesslich an. Die Wand ist nach NNW orientiert und bis am späten Nachmittag im Schatten - es lässt sich auch im Hochsommer bei angenehmen Bedingungen klettern. Für eine genaue Beschreibung des Zustiegs verweise ich auf meinen früheren Beitrag. Die Gorge Profonde beginnt eigentlich subito, nachdem man den Fels erreicht - leicht zu übersehen, da derzeit nicht angeschrieben, der erste BH mit Petzl-Plättli ist unscheinbar platziert. Auch ich merkte erst 10m weiter bei der Aufschrift der Cool à Pic, dass wir schon am Ziel vorbei waren.

L1, 20m, 5b: Griffig-henklige Kletterei, beständig nach rechts traversierend, mittig eine coole Traverse.

L2, 20m, 5c: Überhängende Kletterei mit Riesen-Jugs in luftiger Exposition, geniale Sache!

L3, 20m, 5c: Nach griffigem Auftakt wird es etwas technischer, dafür auch weniger steil.

L4, 20m, 5c+: Über die Plattenrampe hoch, um die Ecke zum Cruxmove der Route an kleiner Leiste

L5, 20m, 4b: Einfaches und gemütliches Schlussbouquet "an der Kante zum Abgrund"

Man sieht's, genussvolle Kletterei mit sehr guter BH-Absicherung (L1, 5b).

Spannend-fotogene Moves in L2 (5c), welche für den Grad echt steil daherkommt.

Der Plaisir geht auch in L3 (5c) und L4 (5c+) weiter!

Die letzte Länge (L5, 4b) packt Monsieur gleich selber an!

Schon um 13.45 Uhr waren wir am Top, das war also ziemlich zügig gegangen (dabei hatten wir am bequemen Stand 3 noch mindestens 15 Minuten auf eine vorangehende Seilschaft gewartet). Um wieder vom Berg zu kommen bietet sich eben normalerweise der Fussabstieg über den Römerweg an - der vom Top horizontal querende Pfad zu diesem hinüber ist gut erkennbar. Oder alternativ absteigen zu Stand 4 und dort 10-15m (am Ende mit Fixseil) nach Osten an die Abbruchkante raus zu BH-Stand. Von diesem wird eben 1x45m teilweise freihängend in den Wald abgeseilt, von wo man in wenigen Schritten zurück beim Einstieg ist. Eine kurze Velofahrt später waren wir am Badesee, wo wir uns abkühlen konnten, bevor nach etwas Relaxen dann doch noch die Kletter-Zuschauerrolle zum Zuge kam: beim Semifinal am Weltcup in Briançon herrschte eine tolle Stimmung und wir konnten das Spektakel zusammen mit Freunden aus der CH geniessen.

Facts

Gorge de la Biaysse - Gorge Profonde 5c+ (5b obl) - 5 SL, 100m - J.M. Cambon 2011 - ***;xxxxx
Material: 1x30m-Seil (bei Fussabstieg, sonst 2x50m), 10 Express

Eine richtig unkomplizierte, genussreiche Ferien-MSL - fast schade, ist der Spass nicht noch ein wenig länger. Aber wer nicht genug hat, kann gleich nebenan nochmals einsteigen. Die Kletterei am henkligen Fels ist für den geforderten Grad eindrücklich steil und man gewinnt doch für eine solche einfache und kurze Route gehörig-luftige Exposition über dem Fluss. Das Gestein an sich ist jetzt nicht Premium-Quality, aber doch sehr kletterfreundlich und genügend fest. Die Absicherung mit verzinkten BH ist superkomfortabel. Einige wenige BH-Laschen sind im Lauf der Zeit entweder runtergefallen oder wurden entfernt. Davon auch eine in L2, wo ein paar kräftige Moves nun relativ zwingend sind und bestimmt etwas Mut erfordern, wenn man sich am Limit befindet (sehr gutes Sturzgelände jedoch, der Hakenabstand ist trotz dem fehlenden Haken nicht weiter als 3m, aber A0 geht da halt nicht). Das Topo findet man im JMC-Führer Oisans Nouveau Oisans Sauvage, sehr gute Infos gibt's auch auf C2C.

Montag, 23. Oktober 2023

Val Calnègia - Tis-sa-ack (6c+)

Schon seit im Jahr 2006 der erste SAC-Kletterführer von Glauco Cugini über die Tessiner Klettereien erschienen ist, habe ich das Topo der Tis-sa-ack bestaunt und mich auf eine Begehung gefreut. Dieser Zustand dauerte also geschlagene 17 Jahre, da war einiges an langem Schnauf gefragt. Ganz erstaunlich ist das nicht: ziemlich peripher liegt das Val Calnègia, als Seitental des Val Bavona, welches wiederum ein Ast des Valle Maggia ist. Hinzu kommt ein zwar schöner, aber mit 1.5-2.0h relativ langer Zustieg und eine eher kurze Saison: im Sommer ist es auf diesen südexponierten Platten viel zu heiss, während im Frühjahr lange Schnee liegt und es im Herbst wegen den hohen Bergen rundherum nur noch eingeschränkt Sonne gibt. Dementsprechend existieren auch nicht viele Berichte und Erzählungen, welche das Unternehmen anpreisen. Naja, all dies ist nun Geschichte - die Geduld hat sich sehr gelohnt, denn weit hinten in den Tessiner Tälern schlummert ein wahres Juwel für die amici dell'arrampicata in aderenza.

Yosemite Vibes im Val Bavona, einfach wunderschön das Tal und die Cascata di Foroglio.

Ich war in einer speziellen und intensiven Herbstferienwoche mit Larina unterwegs, als uns die Begehung gelungen ist. Sie begann mit der Realisierung einer 6-SL-Neutour im Rätikon (Blog folgt...) und nahm ihre Fortsetzung mit dem Punkten eines 8a-Sportkletterprojekts. Die darauf folgende, 2-tägige Pause scheint aufgrund von diesem Programm vielleicht logisch, war jedoch durch unverrückbare Arbeit bedingt, welche intensiv, zügig und effizient erledigt wurde. Nach dem Neustart widmeten wir uns erst einmal 2 Tage dem Bouldern in Chironico, bevor wir ins Maggiatal dislozierten und den gehörig zum Rauchen gebrachten Fingerspitzen und -flexoren etwas Pause gönnen wollten. Dies nicht mit einem Ruhetag, sondern mit dem Versuch, denselben Zustand auch in den unteren Extremitäten und der Gummisohle zu erreichen. Von unserem Basecamp in Bignasco hatten wir nur eine kurze Anfahrt nach Foroglio, wo sich die eindrückliche und wunderschöne Cascata befindet, die wie das ganze Tal stark an das Yosemite Valley erinnert (nur die Frequentierung ist im Val Bavona zum Glück markant tiefer). Für 5 CHF kann man sich auf dem grossen Platz unmittelbar an der Strasse den ganzen Tag stationieren. Um 9.40 Uhr starteten wir von dort zur Tour.

Mit grosser Vorfreude geht's los, im Background die Cascata di Foroglio.

Steil geht es zuerst über einen treppenartig angelegten Weg neben dem Wasserfall hinauf. Um lange Sightseeing zu betreiben waren wir eher etwas zu spät aufgebrochen. Trotzdem, hat man einmal den Sockel erklommen und kommt dem Wasserverlauf vor den Hütten von Puntid nahe, so sollte man unbedingt einen Blick auf den absolut fantastischen, tief in den Granit eingefressenen Verlauf des Fiume Calnègia werfen. Wenig später ist man beim gepflegten Maiensäss, von wo man den Sektor Puntid rasch erreichen könnte. Auch diese Felsen sehen toll aus und dürften einen Besuch absolut verdienen, ich freue mich schon sehr darauf. Wir indessen überquerten die markante Bogenbrücke aus Natursteinen und gingen weiter ins menschenverlassene Hochtal hinein. Der Weg verläuft ab Puntid am Nordhang, wobei es im tief eingeschnittenen Schlitz im Herbst wie bereits erwähnt sowieso kaum mehr Sonnenstrahlen zu geniessen gibt. Immer wieder aber geben sich spannende Ausblicke frei, ebenso könnte man mit mehr Zeitbudget einige wunderbare 'Splüi' (unter die Felsen gebaute Ställe bzw. einfache Unterkünfte) bestaunen. Kurz vor 11.00 Uhr waren wir beim verlassenen Steindorf von Calnègia. Nun nur noch den Fluss überqueren, einen kurzen Hang hinauf und schon ist man am Einstieg, so schien es. Doch die zunehmend verbuschende Wiese zog sich irgendwie in die Länge. Nichtsdestotrotz, nach 1:30h Zustieg waren wir am mit dem Fototopo aus dem SAC-Führer problemlos zu identifizierenden Start der Route (Kartenlink) und konnten uns bei angenehmen Bedingungen auf die Kletterei vorbereiten, bzw. um 11.40 Uhr loslegen.

Natursteinbrücke bei Puntid, ab dieser Siedlung wird es deutlich einsamer.

L1, 45m, 6c+: Ja, vom Boden aus sieht's plattig aus. Auf den ersten Blick eigentlich nicht mal allzu steil oder gar schwierig, doch einerseits verriet uns die Erfahrung, andererseits die wenigen Berichte zur Route, dass dies eine Täuschung wäre. Dem kann ich absolut beipflichten, denn wenn man einmal (schon alles andere als trivial) vom Boden abgehoben und den ersten BH geklippt hat, so folgt gleich die Crux der Route. Prädikat 'unlösbar', so liest man auf dem Netz... uns ist die Stelle nach einigem Nachdenken und Befühlen aller Lösungsansätze onsight/flash gelungen, aber sie ist echt knifflig. Ob ich den Trick hier verraten sollte?!? Naja, sicher nicht im Haupttext, aber wenn einmal jemand danach fragt (und ich es bis dann nicht vergessen haben sollte), so bin ich gerne bereit, ihn in einem Kommentar hinzuzufügen. Einen Bewertungsvorschlag abzugeben ist nicht so einfach. Ganz bestimmt bereitet einem eine 6c+ in der Halle nicht adäquat darauf vor und auch den den Tessiner Blöcken würde dieser Cruxboulder vermutlich mindestens im Bereich von 6B/6B+ gehandelt, somit wäre eine 7a/+ in Routenbewertung nicht zwingend übertrieben. Aber item, es gilt nicht einen Schwierigkeitsgrad zu klettern, sondern ebendiese Stelle... oder auch nicht, denn falls nötig ist sie auch A0 zu haben. Das gilt jedoch nicht für das Stück von BH #2 zu #3, in welchem man so richtig gescheit und zwingend auf die Füsse zu stehen hat, 6b obbligatorio, oho! Darauf legt sich das Gelände etwas zurück, wodurch sich die weiter werdenden Abstände als unbedenklich erweisen und selbst die finale, nun wieder steilere Querung nach rechts zum Stand entpuppt sich als gut machbar.

Nach dem vielen Text fühlt sich dieses Foto von L1 (6c+) womöglich fast etwas banal an. Doch nach dem taffen Auftakt geht's im Mittelteil dann tatsächlich für eine gewisse Zeit kommod voran. Vielleicht kann man auch sagen, dass man auf den ersten Metern gleich auf das härteste kalibriert wird, so dass einem jedes Grad weniger an Neigung nachher geschenkt erscheint.

L2, 50m, 6a: Nach rechts hinaus und hinauf, etwas kühn und womöglich gleich der schwierigste Abschnitt in L2. Ist man einmal um die Ecke, so wird es flacher und die Schwierigkeiten beschränken sich auf zwei, drei Schritte. Diese befinden sich zum Glück jeweils in Nähe der Haken, denn global gesehen muss man hier mit 7 BH auf 50m Kletterstrecke schon jeweils wegsteigen. Nicht so aber, dass es besonders unangenehm oder gefährlich wäre.

Sommerliche Vibes beim Klettern von L2 (6a). Wie man sehen kann, bleibt der Talboden aber Mitte Oktober bereits ganztags schattig, weiter vorne im Tal sogar auch die Felswände am Südhang. Der Klettersektor von Calnegia hat jedoch auch um diese Jahreszeit noch ein schönes Sonnenfenster, welche eine Begehung bei angenehmen Bedingungen erlaubt.

L3, 40m, 6b: Der Blick nach oben verrät es glasklar, hier wartet eine richtige Knallerplatte. Wobei sich der Auftakt am oder sogar neben derer linkem Rand abspielt, man wähle seine Linie geschickt. Die Linienwahl bleibt auf dem ganzen Abschnitt ein Thema. Die BH geben wohl das Ziel vor, wie man jedoch vage Dellen, ein paar Verflachungen und hin und wieder den Ansatz von einem Griff in eine Sequenz zusammenreimt, bleibt der Intuition des Kletterer überlassen. Spannend ist's auf jeden Fall, sehr sogar - denn auch die Option A0 hülfe wohl meistens nur sehr beschränkt weiter und es muss doch ordentlich zwischen den Haken geklettert werden. Später führt dann eine lässige Diagonale in eine quarzig-weisse Zone, wo man für den Abschnitt vom letzten BH zum Stand noch einmal spekulieren darf, auf welchem Weg die kontrollierbarsten und am wenigsten rutschgefährdetsten Moves abgefragt werden. Eine absolute Hammerlänge für 'Lovers of the game'.

Hammermässige Kletterei über superkompakte Platten in sauberem Gneis, hier L3 (6b).

L4, 45m, 6b: Ähnlich toll geht es weiter, wobei hier im ersten Teil der Seillänge einige diagonal verlaufende Strukturen ein vergleichsweise kommodes Vorankommen erlauben. Bei der Crux im letzten Drittel will dann aber wieder sehr entschlossen angetreten werden, ebenso darf man sich bei der Beta wiederum nicht verspekulieren - wobei man da vielleicht auch einfach alles mögliche zusammenklettern kann, wenn man einfach noch einen Tick besser auf den Füssen stehen kann wie das bei der Familie Dettling der Fall ist.

Kompaktissimo auch hier, das ist die Cruxzone gegen das Ende von L4 (6b) hin.

L5, 35m, 6b: Ein HIGHLIGHT, ein absolutes Wunderwerk der Natur! Nach einem kurzen, sorgenlosen plattig-piazigen Auftakt stellt sich ein überhängender Riegel in den Weg, der bei der lokal vorherrschenden Felsstruktur in freier Kletterei garantiert unbezwingbar wäre - wenn es nicht diese absolut fantastische, ca. 50cm breite Quarzader gäbe, welche mit Griffen und kantigen Henkeln nur so auftrumpft. So turnt man elegant in die Höhe, einfach total genial - allfällige Bedenken, wie stabil die Griffe wohl seien, kann man nach einem Anklopfen und Anprobieren auch in den Wind schlagen. Wobei die eng gehaltene Absicherung einen kompromisslosen Angriff erlaubt. Es scheint, als ob sich der Erschliesser Glauco auf den glatten Platten viel mehr im Element fühlt als bei dieser athletischen Kletterei. Die 6b gibt's auch da global gesehen nicht geschenkt, logischerweise waren wir da aber um Meilen weiter von unserem Limit weg wie bei den plattigen Passagen in den anderen Seillängen, welche mehr oder weniger die Grenze unserer Leistungsvermögens ausreizen. 

Oberhalb vom Dach in L5 (6b) ist die Quarzader eher braun als weiss und schmaler.

L6, 45m, 6b: Hier setzt sich die zuvor genutzte Ader noch fort - nicht mehr als weisses, henkliges Quarzband, sondern nur noch als bronzene Spur, die vorwiegend für die Füsse genutzt wird. Das hilft aber doch auch recht gut weiter, so dass die erste Hälfte der Länge ohne maximale Schwierigkeiten über die Bühne geht. Die folgen dann aber schon noch, in Form einer steileren Crux. Diese offeriert jedoch ein paar seichte Ansätze von Löchern, die mit abgefahrenen Bouldermoves nutzbar sind. Zum Stand hin geht's dann wieder etwas einfacher. Ein Foto können wir leider keines präsentieren, da der Rucksack mit dem Handy drin ungeplant am Standplatz zurück blieb und für einmal auf dem Rücken der Nachsteigerin transportiert wurde.

L7, 45m, 6b: Nun heisst es aber nochmals parat sein! Über die ersten 3 BH wartet nochmals ein Hammerplatte, wo man den Füssen zu 100% zu vertrauen hat. Zwar sind die Abstände nicht weit (oder gar gefährlich), wegen der anhaltenden Schwierigkeit ist es aber doch zwingend und echt aufregend. Mich dünkte diese Passage im Vergleich zu den anderen 6b-Längen fordernder, so dass ich da eher zur 6b+ oder 6c greifen würde. Doch wer weiss, vielleicht ungünstig erwischt oder schon mit der Angst im Nacken, die saubere Begehung noch zu vergeigen? Die 'fear of onsight failure' kann ja schon auch ein ziemlich hartnäckiger Gegner beim Klettern sein und das Schwierigkeitsempfinden in die Höhe treiben. Diesen Auftakt einmal geschafft, geht's mit einer Querung nach rechts und später links einer ungenutzt bleibenden Verschneidung ziemlich gut voran, auch die Linkstraverse zum scheinbar mitten in einer blanken Plattenzone gelegenen Stand geht lange gut... bis es kurz vor Schluss nochmals glatter wird und sich unweigerlich wieder ein paar Stimmen aus dem Hinterkopf melden. Mit einer geschickten Linienwahl lassen die sich aber hoffentlich besänftigen.

Bei dieser Perspektive auf L7 (6b) gilt erneut: YOSE...MITICO!

L8, 25m, 6a+: Gleich zu Beginn nochmals fordernd, aber mit der richtigen Beta dann doch recht gängig. Nach BH #1 bot sich der nach rechts führende geniale Dike Walk zum offensichtlichen Silberling an, von welchem man in sich zurücklegenden Terrain bald einmal den finalen Standplatz erreicht. Erst beim Abseilen habe ich dann wahrgenommen, dass wir da womöglich in die Nachbartour rechterhand abgedriftet sind?!? Die Tis-sa-ack führt wohl nicht über den Dike, sondern nicht unbedingt logisch leicht links nach oben. Es kommt dann nochmals ein BH, der aber deutlich weniger gut sichtbar und offensichtlich wie jener der Nachbarlinie ist. Im Gesamtkontext spielt es aber auch keine grosse Rolle, auf welchem Parcours man die letzten zehn, sich zurücklegenden Meter klettert.

Erst die allerletzten Meter der Route in L8 (6a+) sind etwas einfacher.

Um 16.20 Uhr und somit nach 4:40h an genialer und anspruchsvoller Kletterei hatten wir es geschafft und die Route einwandfrei onsight/flash durchstiegen. Das war sehr befriedigend, denn es war über weite Strecken ein "Tanz auf der Bananenschale", wo man jederzeit hätte wegflutschen können. Nachdem wir unterwegs nie auf einen richtig bequemen Standplatz für eine ausgiebige Pause getroffen waren, so holten wir dies nun am Top nach, auch wenn wir dafür ein Jäcklein überziehen mussten. Sonst hatte uns während dem ganzen Tag die Sonne gebadet, die Temperaturen waren sommerlich warm gewesen und zwar nicht unangenehm, aber tendenziell doch eher an der oberen Grenze für den Grip und vor allem das Wohlbefinden der Füsse in den Kletterfinken. Wobei die Temperaturen im Oktober 2023 ja generell auf Rekordwerten waren. Zu erwähnen ist, dass die Sonne den Einstieg Mitte Oktober von ca. 10.30-15.30 Uhr bescheint. Am Routenende gibt's noch ca. eine Stunde länger Wärmestrahlung, wobei deren generierende Quelle am Ende längere Zeit nur haarscharf über den Grat kratzte. Sprich, wenn der Kalender noch weiter voranschreitet, so verkürzt sich das Sonnenfenster täglich und womöglich stark - bereits Mitte November sieht die Route wohl keinen einzigen Sonnenstrahl mehr. 

Doch noch Gelegenheit gefunden, um die Glücksbällchen zu verspeisen.

Wir machten uns an Abseilen. Die Standplätze von Tis-sa-ack sind dazu eingerichtet, jedoch mit älteren, rostigen Kettengliedern, nicht verbunden und nur beschränkt Einhängepunkten. So wichen wir nach 2 Manövern gerne auf die Nachbartour Una sfuggente vena di follia aus. Da ist alles etwas kommoder und man spart sich auch noch ein Manöver, so dass man nach 6 Strecken zurück am Boden ist. Noch dazu gab's natürlich detaillierte Einblicke in diese Linie, welche ja ab sofort eines der nächsten logischen Projekte an dieser Wand ist. Im SAC-Führer und auch im Extrem Sud sind alle Routen der Wand mit 3 von 4 bzw. 3 von 5 Hakensymbolen bewertet. Was uns etwas fragwürdig dünkt, denn in der Sfuggenta vena ist die Hakendichte definitiv markant höher. De visu sehen die Cruxlängen eher nach Stufe 4 bis 5 von 5 aus und auch die einfacheren Passagen scheinen freundlicher geboltet wie in der Tis-sa-ack. Schlussendlich wird aber nur Ausprobieren die Antwort liefern ob dem effektiv so ist, ebenso für die Frage, ob die bis 7b+ angegebenen Schwierigkeiten tatsächlich nochmals so viel höher wie in der Tis-sa-ack sind. 

Die Tour passte gut in den Herbsttag, das Znacht gab es aber trotzdem erst in Dunkelheit.

Um 17.50 Uhr waren wir schliesslich abmarschbereit. Dies mit der Erkenntnis, dass wir es a) entweder bis um 19.00 Uhr in den Coop von Cevio schaffen oder b) einen etwas schmalen Znacht aus den übrig gebliebenen Vorräten geniessen. Einen Plan C hätte es natürlich schon auch noch gegeben, aber man muss es ja nicht übermässig kompliziert machen. Auf jeden Fall schien die Einkaufsmöglichkeit noch wahnwitzig weit weg dafür, dass nur noch eine gute Stunde Zeit zur Verfügung stand. Aber man glaube es oder auch nicht. Es reichte und das sogar noch relativ komfortabel. Um 18.35 Uhr waren wir nach 45 Minuten zügigen Gehens (um jetzt nicht zu sagen einem Trailrun) retour beim Parkplatz, so konnten wir den Einkauf sogar noch vor Ladenschluss beenden und diesen genialen Tag bei einem feinen Campingznacht mit den gewünschten Frischprodukten geniessen. Wenn's läuft dann läuft's und an diesem Tag ging es wie geschmiert. Vielen Dank Larina, das war einfach genial!

Facts

Calnègia - Tis-sa-ack 6c+ (6b obl.) - 8 SL, 310m - Cugini/Branca/Zanda 1995 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, Cams/Keile nicht nötig und kaum einsetzbar

Der Erschliesser Glauco sagt, es handle sich bei der Tis-sa-ack um die schönste Reibungsroute im Tessin. Das glaube ich nur zu gerne und nach meinen bisherigen Erfahrungen würde ich sie auch schweizweit unter den absoluten Toprouten dieses Genres einreihen. Der Gneis ist super, sehr sauber und adhärent, die Kletterei stets spannend und von bemerkenswert homogener Schwierigkeit. Aber natürlich, man muss diese Art der Kletterei mögen, allzu viel Abwechslung gibt's nicht. Wobei der Überhang mit der einzigartigen Quarzleiter in L5 schon für sich alleine fast die Anreise lohnt. Nimmt man noch die absolut geniale Umgebung hinzu, so darf man sehr gerne von einer 5*-Route sprechen! Die Absicherung mit rostfreien BH darf man als gut bezeichnen, wobei sie alles andere als üppig ist und man viele gewagte Schritte auf Reibung auch zwischen den Haken macht. Die Bolts stecken aber fair und vor allem auch an den genau richtigen Orten, so dass es nie gefährlich scheint. Es sei hier auch noch erwähnt, dass es da hinten keinen Handyempfang gibt, im menschenleeren Tal ein bei der Kletterei zu berücksichtigender Faktor. Auch hierhin gehört, dass die angegebenen Schwierigkeiten nur dann einigermassen zutreffend erscheinen mögen, wenn man in dieser Art der Kletterei versiert ist. Topos und Infos zu Route und Gebiet findet man wie erwähnt im SAC-Kletterführer Tessin oder im Extrem Sud.