Die Berichte zum Eisklettern sind rar geworden auf diesem Blog. Das liegt einerseits daran, dass man die gefrorene Materie aktuell und auch sonst meist nur in ein paar verlorenen Ecken der Alpen findet. Mit, aber nicht nur aus diesem Grund ist die Eiskletterei etwas aus meinem Fokus gerückt. So war es auch dieses Mal mehr dem Faktor Zufall zuzuschreiben, dass wir diese sehr schöne Tour am Oeschinensee in Angriff genommen haben. Neben der Beschreibung unserer Ausflugs sollen hier auch ein paar ganz grundsätzliche Gedanken zum Eisklettern erörtert werden. Ja der Faktor Zufall, der beruhte hier in erster Linie auf der Tatsache, dass für eine Truppe von Skispringern dringend ein Fahrer für den Teambus gesucht wurde. So beschlossen Kathrin und ich, aus der "Not" eine Tugend zu machen und das Outdoor-Programm im Berner Oberland zu bestreiten, wo wir ja normalerweise für eine Tagestour nicht hinreisen. Blauer Himmel, milde Temperaturen und sichere Lawinenverhältnisse hätten sowohl Skitouren wie Felskletterei zugelassen. Doch wenn man schon ins Mekka reist, so war wieder einmal im steilen Eis zu pickeln natürlich eine grosse Verlockung. Aber da fangen die Probleme eben schon an: während die Bedingungen in Schnee und Fels aus der Ferne, d.h. mit Webcams und Tourenberichten problemlos einzuschätzen waren, so war dies für die Eistouren nur sehr eingeschränkt möglich. Die Sache beschränkte sich auf ein paar vage Hinweise, dass ein Versuch nicht komplett aussichtslos wäre...
Somit haben wir also die Unsicherheit über die Bedingungen als eine erste, grosse Unbekannte. Denn über Eisfälle auf Tourenportalen oder in den Social Media zu posten haben die meisten aufgegeben. Aus naheliegenden Gründen, denn kann man irgendwo öffentlich lesen, dass die Tour XY in perfekten Bedingungen ist, so weiss man gleich, dass man aufgrund vom massiven Andrang nicht mehr hinfahren muss. Das ist ja sowieso der Fluch an der Eiskletterei... die Auswahl an Touren ist relativ klein und es verträgt genau eine einzige Seilschaft pro Route, sofern man nicht ungebührliche Risiken auf sich nehmen will. Somit besteht, auch wenn man sonst alles richtig macht, das massive Risiko am Ende ohne einen gekletterten Eismeter wieder nach Hause zu fahren. Am Oeschinensee hatten wir diesbezüglich einiges Glück. Wir reisten sowieso schon spät an, Kathrin leitete noch das Aufwärmen der Skispringer und wir beobachteten deren erste paar Sprünge. So war es schon Mittag, bis wir mit der Bahn (11CHF/Person mit Halbtax) hinauffuhren.
Schon der Zustieg über den See ist ein Erlebnis, für welches normale Touristen in Scharen anreisen. |
Eine Traverse bringt einen dann zum gefrorenen See, den wir auf hartgetretenem Untergrund im Skatingschritt überqueren konnten. Für den letzten, kurzen Aufstieg zur Route montierten wir aber dann doch die Felle, was eindeutig die effizienteste Fortbewegungsmöglichkeit war. Sehr eindrücklich war es, als wir die ca. 20-30m dicke Kaltluftschicht über dem See verliessen. Die Temperaturen stiegen schlagartig um wohl ca. 15 Grad an, ein extremer Wechsel. Von Weitem hatte die ganze Ecke hinten am Oeschinensee verlassen ausgesehen und genau so hatte ich dies erwartet, bzw. zumindest erhofft. Wer geht denn schon in diesem verlassenen Winkel in diesem kaum bekannten Routen Eisklettern - ausser vielleicht ein paar Cracks, wenn die NIN (M8+, WI6) 'in condition' ist. Doch einmal näher gerückt zeigte sich dann, dass bereits 3 Seilschaften vor Ort waren, welche wohl dieselben "vagen Hinweise" wie ich interpretiert hatten. Ein Team kletterte im obersten Teil vom Januarloch, die anderen waren angebrannt und hatten sich auf inferiore, nicht in Topos beschriebene Ersatzlösungen in dieser Zone verlegt. Wir hatten insofern viel Glück mit unserer späten Anreise, als dass das Timing perfekt aufging. D.h. bis wir aufgeschirrt waren, hatte die im Fall engagierte Seilschaft das Top erreicht und wir konnten ohne jegliche Wartezeit angreifen. Das war auch nötig, denn sah die Route aus der Ferne noch klein und niedlich aus, so standen wir hier am Fuss einer grösseren und anspruchsvollen Aufgabe. Da würden wir auf die Tube drücken müssen, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu vollenden.
Wie so oft, aus dieser Perspektive ist alles verkürzt und flach... |
Über das Januarloch kann an 3 gebohrten Ständen mit Strecken von je ~50m abgeseilt werden. Die Route aber auch in 3 Teilstrecken zu klettern ist vermutlich schon möglich, war aber für uns nicht im Bereich des real Erreichbaren - mit nur 10 Schrauben am Gurt klettere ich keine 60m-Längen in solch steilem Gelände, bzw. bei dieser Schwierigkeit. Während der erste Abseilstand in einer noch relativ moderaten, nahezu 60m messenden Länge direkt erreichbar war, teilten wir die steileren oberen Abschnitte jeweils in 2 Sequenzen auf, was mit einem jeweils vernünftig geschützten Schraubenstand gut implementierbar war. Die Crux folgte in L2, hier klettert man auf rund 15m anhaltend im senkrechten Gelände. Die Bedingungen waren gut im Sinne von schön kompaktem Eis, wo die Geräte gut griffen - dies allerdings zu einem Preis von einer Dauerdusche, wo man quasi bis auf die Unterwäsche durchweicht wurde, mit den üblichen Folgen für die komplett getränkten Handschuhe und einem vaterländischen Kuhnagel. Das ist offensichtlich ein weiterer Nachteil vom Eisklettern - es ist ja schon eher Type II Fun... aber immerhin damit kann ich recht gut leben.
Letztes Foto aus der Route zu Beginn von L2, nachher haben wir die Handys lieber 100% wasserdicht verstaut - was absolut nötig war, anders kann man es definitiv nicht sagen. |
Ein weiterer, bedenklicher Punkt ist natürlich das Risiko eines Sturzes. So ertappte ich mich beim Klettern dabei mir auszumalen, wie das jetzt wohl enden würde, wenn das Eisgerät ausbräche. Ein übler Bruch am Knöchel mit Beeinträchtigung einer ganzen Klettersaison (oder auch mehr) wäre wohl nicht grosses Pech, sondern das womit man kalkulieren muss. Wie bitter es doch wäre, deswegen für längere Zeit aufs Klettern verzichten zu müssen... Aber das half nichts, die dunklen Gedanken mussten ob der gestellten Aufgabe auf die Seite geschoben werden. Der Fokus war darauf zu richten, die Geräte so solide wie möglich in die Materie zu versenken und ja immer kontrolliert zu steigen. Natürlich ging's dann, wie bisher immer, ohne den befürchteten Gau. Ab Seillänge 3 wechselten sich steilere Abschnitte mit Ruhepunkten ab. Trocken war es nicht immer, aber anders als in der Crux liess sich das Vollwaschprogramm doch meistens vermeiden. Grandios abgeschlossen wird die Route mit der einmaligen Passage durch den Tunnel - schlicht der Hammer! Bis wir wieder am Boden waren, war das Tageslicht längst verschwunden. Mit dem Vollmond und der Schneedecke war es aber nicht einmal nötig, die Stirnlampe zu zücken. In grandiosem Ambiente begaben wir uns auf eine stimmungsvolle Mondscheinwanderung über den gefrorenen See und fuhren dann über die Skipiste nach Kandersteg. Ja, für heute war es trotz aller Zweifel zwar mit einer späten Rückkehr, sonst aber perfekt aufgegangen und eine einmalige Sache ist eine solche Eisklettertour dann eben doch. Somit ist es nicht ausgeschlossen, dass es mich allen Unbillen zum Trotz doch wieder an die gefrorenen Wasserfälle zieht.
Auf dem Heimweg im Mondenschein - auch ein spezielles Erlebnis! |
Facts
Kandersteg/Oeschinensee - Januarloch WI5 - 5 SL, 180-200m - ****
Relativ wenig bekannt und im Vergleich zu den Klassikern am Oeschinensee wohl nicht eben häufig begangen, stellt diese Route nach meinem Gusto eine der besseren Touren im Bereich WI5 der Schweiz dar. Bis auf die etwas einfachere erste Seillänge wartet recht anhaltende Kletterei, ohne dass die Schwierigkeiten je extrem wären. Eine gute Vergleichstour ist der Pingu im Oeschiwald, das Januarloch ist nach meiner Einschätzung sicherlich ebenso anspruchsvoll und wohl dazu auch noch viel seltener komplett ausgehackt. Wie oft es im Januarloch genügend Eis für eine Begehung hat, kann ich nicht wirklich einschätzen. Der schattige Winkel auf ~1600m zusammen mit dem Kältebecken des Sees garantiert aber wohl doch eher tiefe Temperaturen. Das Gelände direkt oberhalb der Route ist nicht extrem steil, im Grossen und Ganzen befindet man sich aber am Fuss der 2000m hohen Steilwand der Blüemlisalp. Also einem Gebiet mit allen alpinen Gefahren, man berücksichtige dies bei der Tourenplanung entsprechend. Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht auch, dass die Tour wirklich nur von einer einzigen Seilschaft geklettert werden kann. Die gebohrten Standplätze bestehen jeweils aus 2 verzinkten 8mm-BH, an welchen die Korrosion bereits genagt hat. Darüber hinaus ist auch der Fels in welchem sie stecken von eher moderater Qualität. Update: ja kaum zu glauben, eine Woche nach unserem Versuch waren Bekannte im Januarloch unterwegs. Tatsächlich war inzwischen ein BH am zweiten Stand ausgebrochen! Daher kann man nur zu höchster Vorsicht bei der Nutzung dieser Standplätze raten, bzw. muss ein Abseilen mittels Abalakovs im Eis empfehlen. Neuerliches Update: Adrian Vögeli hat inzwischen den ersten Stand saniert und den zweiten neu gebohrt. Er befindet sich etwas rechts der Eislinie, einige Meter tiefer als der bisherige Stand (siehe hier). Vielen herzlichen Dank dafür!
Nach unserer Begehung ausgebrochener Standbohrhaken - Vorsicht! Foto by Andreas H. |
Wichtige Anmerkung: wegen der Felssturzgefahr vom Spitzen Stei ist die Begehung der Touren "in den Fründen" sowie im Sektor um den Blue Magic (Rübezahl, Bück Dich, Lochroute, usw.) durch eine Behördenanweisung verboten. Hinten beim Januarloch darf geklettert werden, ebenso alle üblichen Routen rechts vom Bäretritt im Oeschiwald.
Update vom 28.1.2022: Adrian Vögeli hat den ersten Stand saniert und den zweiten neu gebohrt. Er befindet sich einige Meter tiefer als der bisherige Stand, rechts von der Eislinie. Vielen herzlichen Dank Adrian!
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