- -
Posts mit dem Label Kandersteg werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Kandersteg werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 3. August 2022

Ueschenen - Andromeda (7a)

Die Wahl dieses Tourenziels ist für uns durch einige Sachzwänge entstanden - andere Sporteltern werden es uns wohl bestens nachfühlen können. Zuerst mussten wir Jerome zum Treffpunkt für den Aufbruch in sein mehrtägiges Trainingslager bringen. Dann ging es gleich weiter mit dem Lieferdienst: Larina durfte ein Schnupperweekend bei der Kletter-Nationalmannschaft verbringen, das war die nächste anzufahrende Adresse. Nachdem die Mittagsstunde schon bald erreicht war, hatten dann Kathrin und ich freie Wahl bezüglich des weiteren Programms. Was liesse sich denn an einem heissen Sommernachmittag denn noch lohnendes unternehmen? Mit Start in der Region Bern sollte es ein Tourenziel sein, welches wir sonst nicht regelmässig besuchen. So kamen wir auf die mir bisher noch nicht bekannte SE-Wand in Ueschenen. Diese ist zwar mehr als sonniges Herbstziel bekannt. Ich malte mir jedoch aus, dass wir hier mit Thermik, ein paar Quellwolken und dem nachmittags einkehrenden Schatten auch an einem >30 Grad-Tag auf gute Bedingungen träfen - genau so kam es dann auch :-)

Blick auf die Ueschener Flue vom Ausgangspunkt am Rychenbärgli, Ein- und Ausstieg von Andromeda (8 SL, 7a) sind markiert.

Die Anreise erfordert auch ab Bern noch einiges an Sitzleder. Zuerst wird nach Kandersteg bzw. ganz in den Talschluss bei Eggeschwand gekurvt, wo 10 CHF an Taxe für die Fahrt gelöhnt werden müssen. Man kann vorbildlich per App (oder auch mit Münzen) bezahlen. Kurvenreich geht's von da noch weit in die Höhe. Wir wählten die Abstellmöglichkeit bei der Bergwirtschaft Rychenbärgli (ca. 1880m). Es gibt dort allerdings nur wenige Plätze, welche für die Gäste reserviert sind. Man muss also unbedingt nachfragen, wo man abstellen kann/darf und eine Konsumation vor oder nach dem Klettern scheint absolut obligatorisch. Um 13.00 Uhr starteten wir auf die Tour. Der Zustieg führt über einen Pfad die Alpweide hoch und dann in einigem Auf und Ab etwas mühsam dem Wandfuss entlang durchs Kraut noch weit nach links. Um den nicht näher beschrifteten oder bezeichneten Einstieg zu finden, ist etwas Spürsinn nötig. Etwas nach 13.30 Uhr starteten wir in die Route.

L1, 25m, 6b+: Auf los geht's los, nach einem kurzen, einfachen Vorgeplänkel an einer Art Vorbau wartet schon das erste Dächlein. Die Griffe sind aber da, dennoch heisst es die Linie zu erkennen, doch man gelangt noch ohne grössere Schwierigkeiten unter das finale Dach hinauf. Mit einem kniffligen Boulderzug an Untergriff darüber hinweg und powerig ins senkrechte Gelände darob retten. Ein schöner Auftakt, es war auch gar nicht so staubig (liegt wohl am extrem trockenen Sommer 2022).

Steile und athletische Kletterei mit kniffligem Abschlussdach wartet in L1 (6b+)

L2, 20m, 6b: Eher kurze, aber doch anspruchsvolle, steile Seillänge. Sie beginnt mit einer Querung nach rechts, nachher geht's kräftig an griffigen Schuppen in die Höhe, bevor man zuletzt wieder feiner nach rechts zum Stand quert. Hier gilt es trotz der sehr guten Absicherung teilweise auch zwischen den Haken nicht ganz trivial zu klettern.

Tolle Kletterei in wendenmässigem Fels (L2, 6b).

L3, 15m, 6b+: Vom Stand betrachtet sieht dieser Abschnitt fast schon banal aus. Das liegt in erster Linie daran, dass sich das Gelände ziemlich zurücklegt. Eindrücke können aber täuschen und so auch hier: positive Strukturen gibt es kaum mehr, die steilplattige Kletterei ist sehr technisch, erfordert gute Reibungstechnik und die Bedienung von kleinsten Untergriffschüpplein. Nach einem Mantle auf ein Band folgt eine weitere, etwas einfachere Stelle zum Hinstehen, bevor schon der nächste Stand kommt.

Plattige Kletterei mit etwas abschüssigem Charakter steht in L3 (6b+) auf dem Programm.

L4, 20m, 6a+: Beim Auftakt in diese Länge habe ich die fixen Sicherungen vermisst. De fakto findet man auf der ersten Hälfte dieses Abschnitt rein gar nix, was mich bei dieser ansonsten sehr eng abgesicherten Route doch reichlich seltsam dünkte. Klar handelt es sich um relativ unschwierige Kletterei, aber so im 5b-Bereich ist es dann doch und somit etwas heikel (stürzen darf man da jedenfalls nicht). Eine Wandstufe mit athletischer Kletterei an schönen Leisten bringt einen dann schon bald zum gut sichtbaren Stand. Diese Länge kann gut an L3 angehängt werden.

Piekfeine Moves und toller Fels in L4 (6a+).

L5, 20m, 6b+: Ebenfalls eher kurze, aber sehr anhaltende Seillänge mit toller, technisch anspruchsvoller Steilplattenkletterei. Was auf den ersten Blick abweisend erscheint, präsentiert auf genaueres Hinsehen doch immer ein Möglichkeit, ohne extreme Schwierigkeiten zu steigen. Man darf einfach die Ruhe und die Übersicht nicht verlieren - was durch die sehr eng gehaltene Absicherung bestimmt stark erleichtert wird.

Kleine Strukturen nutzen, um die Füsse auf die Unterlage zu pressen heisst es in L5 (6b+).

L6, 15m, 5c+: Noch kürzere Seillänge, die eher den Charakter eines Überführungsstücks hat. Trotzdem schöne Kletterei - sie dünkte mich im Vergleich auch weniger einfach, wie ich es aufgrund der deutlich tieferen Einstufung erwartet hatte. Wer möchte (und genügend Exen am Gurt hat), kann diesen Abschnitt problemlos an L5 anhängen. Einzig der Stand nach dieser Länge liegt für die Fortsetzung (L7, 7a) ungünstig weit rechts und sorgt dort dann für ungünstigen Seilverlauf. Wir haben daher direkt am Beginn der steilen Kletterei von L7 einen improvisierten Stand gemacht, was sich dank 2 nahe steckenden BH (einer von Argus, der erste von L7) anbietet.

Aussicht aus der Wand zum Ausgangspunkt Rychenbärgli (unterer Bildrand), zur Blüemlisalpgruppe (Bildmitte) und zum Oeschinensee, wo Kathrin und ich dieses Jahr ja auch schon ein eisiges Kletterabenteuer hatten.

L7, 20m, 7a: Tolle Seillänge mit athletischer Kletterei an bestem Fels. Zu nutzen gilt es einerseits einige tropflochartige, scharfe Strukturen, andererseits seichte Schlitze. Zuerst heisst es, mit ziemlicher Entschlossenheit ans Werk zu gehen und kräftig zu ziehen, mittig will dann überlegt geklettert werden - es ist alles andere als einfach die beste Sequenz zu lesen und es pumpt gehörig. Jedenfalls wird man sicher sehr froh sein, schlussendlich bessere Griffe in die Hand zu kriegen und am Ende etwas leichter zum Stand zu steigen. Wem es übrigens schon verleidet ist oder wer sich die 7a nicht zutraut, kann diese Länge rechtsherum auf der Argus bei einer Schwierigkeit von 6a umgehen. 

L8, 10m, 6a: Mini-Seillänge über eine Stufe und eine kurze Verschneidung, welche man problemlos an die vorangehende anhängen kann. Der Stand befindet sich dann unmittelbar vor der Gipfelwiese.

Der Nachteil, wenn man Seillängen überspringt: die Foto-Ausbeute wird deutlich schlechter. So gibt es aus der Crux (L7, 7a) eben kein Bild, weil wir die kurze L8 (6a) gleich noch angehängt haben. In letzterer sieht man Kathrin die finalen Meter zum Top klettern.

Um 17.15 Uhr und damit nach 3:45h Kletterei hatten wir das Top erreicht. Die Route war wirklich ein grosser Genuss gewesen - der Fels meist wendenmässig gut, aber natürlich mit viel besserer Absicherung, weniger ernsthaftem Ambiente und damit auch psychisch deutlich tieferem Anspruch. Hier kann man problemlos Vollgas geben und voll angreifen, was wir natürlich auch gerne taten und was mit einer einwandfreien Begehung belohnt wurde :-) Auch die äusseren Bedingungen waren perfekt gewesen, wie erwartet mussten wir weder in der Hitze schmoren noch im Wind schlottern. Trotzdem, eine Rast am Ausstieg bot sich nicht an, viel mehr der Weg auf die Terrasse vom Rychenbärgli. Das Abseilen verläuft hier wirklich sehr speditiv, auch mit 2x50m-Seilen sind nur gerade 3 Manöver nötig, bis man wieder auf dem Boden steht (Top -> Stand 5 -> Stand 2 -> Einstieg), wo man etwas nördlich bei einem Wasserfall gleich eine erfrischende Dusche nehmen könnte. Wir verzichteten darauf, schnürten die Schuhe, querten erneut etwas mühsam in Auf und Ab durchs Kraut und waren bald zurück beim Ausgangspunkt, wo uns ein feines Znacht serviert wurde - ein toller Tag.

Das war dann schon am Folgetag, Sportklettern in Gehrenen mit tollem Blick auf die Niesenkette.

Auch für die folgenden Tage blieben wir im Kandertal. Nachdem wir Larina (die erst einmal etwas Erholung von ihrem anstrengenden Weekend brauchte) abgeholt hatten, beschränkten wir uns auf das Sportklettern in schattigen Gebieten. Davon gibt's in der Gegend ja einige, die mir bis dato noch unbekannt waren. So kletterten wir noch in Gehrenen (Alter Sektor, Schatten bis ca. 15 Uhr) und stiegen danach aufs Gehrihorn, an der Sulzweng in Inner Ueschenen (Schatten ab 13 Uhr) und in Wildi (Schatten bis 15 Uhr), wo wir noch einige harte Nüsse knacken konnte. In Erinnerung geblieben ist mir auch eine Konversation mit einem in Norwegen ansässigen Alpinsportler, der auf dem Camping unser Nachbar war. Ich erklärte ihm, dass ich die (Fels-)Klettermöglichkeiten in der Gegend bisher nicht so ausgiebig kennen würde, da sie von uns 'zu weit weg' lägen (bzw. sich ebenbürtige Möglichkeiten halt eben näher befinden). Wie lange wir denn ins Kandertal zu fahren hätten, fragte er zurück. Ob meiner Aussage, es dauere ca. 2-2.5h, war er ziemlich verwundert - ist es doch für sie normal, selbst für eine Skitour einen Anfahrtsweg von 5-7h in Kauf zu nehmen. "Verrückte Sache, Maloney", kann man da nur noch sagen.

Auch 2 Tage später fanden wir den erwünschten Schatten beim Sportklettern an der Sulzweng.

Facts

Ueschenen - Andromeda 7a (6b+ obl.) - 7 SL, 180m - Erik Detmer 1995 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express

Sehr schöne MSL-Sportkletterei mit kurzem Zustieg und noch kürzeren Seillängen. Die Felsqualität ist weitestgehend sehr überzeugend und erreicht beinahe Wenden-Niveau. Die Kletterei schwankt zwischen steilplattig-technisch, fingerkräftigen Wandpassagen und ein paar kleinen Dächlein. Die Absicherung steckt meistens eng, einige wenige etwas zwingende Passagen verlangen aber doch ein gewisses Vorstiegsniveau. Zu erwähnen ist, dass das Material von 1995 mit der ungünstigen Mischung von verzinkten Dübeln und rostfreien Laschen schon etwas angejahrt aussieht. Mobile Mittel sind nicht nötig und auch kaum anzubringen. Wer einige Seillängen verbinden möchte (z.B. 3/4, 5/6, 7/8 sind sehr gut möglich), sollte etwa 6 Exen zusätzlich zu den 10 empfohlenen mitführen - man entscheide selbst, ob das Sinn macht. Zu beachten ist noch, dass die Route unmittelbar neben (quasi-)permanenten Wasserläufen durchführt. Nach intensiven Niederschlägen und/oder der Schneeschmelze kann ich mir gut vorstellen, dass gewisse Teile der Route betroffen sind. Das Originaltopo aus dem Schweizer Klettermagazin Ravage 1/96 ist unten abgebildet, ansonsten ist das Gebiet bestens in den Filidor Führern Plaisir West und Extrem West beschrieben.

Originaltopo aus Ravage 1/96

Dienstag, 25. Januar 2022

Kandersteg - Januarloch (WI5)

Die Berichte zum Eisklettern sind rar geworden auf diesem Blog. Das liegt einerseits daran, dass man die gefrorene Materie aktuell und auch sonst meist nur in ein paar verlorenen Ecken der Alpen findet. Mit, aber nicht nur aus diesem Grund ist die Eiskletterei etwas aus meinem Fokus gerückt. So war es auch dieses Mal mehr dem Faktor Zufall zuzuschreiben, dass wir diese sehr schöne Tour am Oeschinensee in Angriff genommen haben. Neben der Beschreibung unserer Ausflugs sollen hier auch ein paar ganz grundsätzliche Gedanken zum Eisklettern erörtert werden. Ja der Faktor Zufall, der beruhte hier in erster Linie auf der Tatsache, dass für eine Truppe von Skispringern dringend ein Fahrer für den Teambus gesucht wurde. So beschlossen Kathrin und ich, aus der "Not" eine Tugend zu machen und das Outdoor-Programm im Berner Oberland zu bestreiten, wo wir ja normalerweise für eine Tagestour nicht hinreisen. Blauer Himmel, milde Temperaturen und sichere Lawinenverhältnisse hätten sowohl Skitouren wie Felskletterei zugelassen. Doch wenn man schon ins Mekka reist, so war wieder einmal im steilen Eis zu pickeln natürlich eine grosse Verlockung. Aber da fangen die Probleme eben schon an: während die Bedingungen in Schnee und Fels aus der Ferne, d.h. mit Webcams und Tourenberichten problemlos einzuschätzen waren, so war dies für die Eistouren nur sehr eingeschränkt möglich. Die Sache beschränkte sich auf ein paar vage Hinweise, dass ein Versuch nicht komplett aussichtslos wäre...

Blick vom Oeschinensee auf den Sektor mit den Eisrouten. Januarloch sieht von hier klein und unbedeutend aus, aber das ist schlicht und einfach der Perspektive geschuldet. Zudem sind aus dieser Ansicht die ersten 1.5 Seillängen nicht erkennbar.

Somit haben wir also die Unsicherheit über die Bedingungen als eine erste, grosse Unbekannte. Denn über Eisfälle auf Tourenportalen oder in den Social Media zu posten haben die meisten aufgegeben. Aus naheliegenden Gründen, denn kann man irgendwo öffentlich lesen, dass die Tour XY in perfekten Bedingungen ist, so weiss man gleich, dass man aufgrund vom massiven Andrang nicht mehr hinfahren muss. Das ist ja sowieso der Fluch an der Eiskletterei... die Auswahl an Touren ist relativ klein und es verträgt genau eine einzige Seilschaft pro Route, sofern man nicht ungebührliche Risiken auf sich nehmen will. Somit besteht, auch wenn man sonst alles richtig macht, das massive Risiko am Ende ohne einen gekletterten Eismeter wieder nach Hause zu fahren. Am Oeschinensee hatten wir diesbezüglich einiges Glück. Wir reisten sowieso schon spät an, Kathrin leitete noch das Aufwärmen der Skispringer und wir beobachteten deren erste paar Sprünge. So war es schon Mittag, bis wir mit der Bahn (11CHF/Person mit Halbtax) hinauffuhren. 

Schon der Zustieg über den See ist ein Erlebnis, für welches normale Touristen in Scharen anreisen.

Eine Traverse bringt einen dann zum gefrorenen See, den wir auf hartgetretenem Untergrund im Skatingschritt überqueren konnten. Für den letzten, kurzen Aufstieg zur Route montierten wir aber dann doch die Felle, was eindeutig die effizienteste Fortbewegungsmöglichkeit war. Sehr eindrücklich war es, als wir die ca. 20-30m dicke Kaltluftschicht über dem See verliessen. Die Temperaturen stiegen schlagartig um wohl ca. 15 Grad an, ein extremer Wechsel. Von Weitem hatte die ganze Ecke hinten am Oeschinensee verlassen ausgesehen und genau so hatte ich dies erwartet, bzw. zumindest erhofft. Wer geht denn schon in diesem verlassenen Winkel in diesem kaum bekannten Routen Eisklettern - ausser vielleicht ein paar Cracks, wenn die NIN (M8+, WI6) 'in condition' ist. Doch einmal näher gerückt zeigte sich dann, dass bereits 3 Seilschaften vor Ort waren, welche wohl dieselben "vagen Hinweise" wie ich interpretiert hatten. Ein Team kletterte im obersten Teil vom Januarloch, die anderen waren angebrannt und hatten sich auf inferiore, nicht in Topos beschriebene Ersatzlösungen in dieser Zone verlegt. Wir hatten insofern viel Glück mit unserer späten Anreise, als dass das Timing perfekt aufging. D.h. bis wir aufgeschirrt waren, hatte die im Fall engagierte Seilschaft das Top erreicht und wir konnten ohne jegliche Wartezeit angreifen. Das war auch nötig, denn sah die Route aus der Ferne noch klein und niedlich aus, so standen wir hier am Fuss einer grösseren und anspruchsvollen Aufgabe. Da würden wir auf die Tube drücken müssen, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit zu vollenden.

Wie so oft, aus dieser Perspektive ist alles verkürzt und flach...

Über das Januarloch kann an 3 gebohrten Ständen mit Strecken von je ~50m abgeseilt werden. Die Route aber auch in 3 Teilstrecken zu klettern ist vermutlich schon möglich, war aber für uns nicht im Bereich des real Erreichbaren - mit nur 10 Schrauben am Gurt klettere ich keine 60m-Längen in solch steilem Gelände, bzw. bei dieser Schwierigkeit. Während der erste Abseilstand in einer noch relativ moderaten, nahezu 60m messenden Länge direkt erreichbar war, teilten wir die steileren oberen Abschnitte jeweils in 2 Sequenzen auf, was mit einem jeweils vernünftig geschützten Schraubenstand gut implementierbar war. Die Crux folgte in L2, hier klettert man auf rund 15m anhaltend im senkrechten Gelände. Die Bedingungen waren gut im Sinne von schön kompaktem Eis, wo die Geräte gut griffen - dies allerdings zu einem Preis von einer Dauerdusche, wo man quasi bis auf die Unterwäsche durchweicht wurde, mit den üblichen Folgen für die komplett getränkten Handschuhe und einem vaterländischen Kuhnagel. Das ist offensichtlich ein weiterer Nachteil vom Eisklettern - es ist ja schon eher Type II Fun... aber immerhin damit kann ich recht gut leben.

Letztes Foto aus der Route zu Beginn von L2, nachher haben wir die Handys lieber 100% wasserdicht verstaut - was absolut nötig war, anders kann man es definitiv nicht sagen.

Ein weiterer, bedenklicher Punkt ist natürlich das Risiko eines Sturzes. So ertappte ich mich beim Klettern dabei mir auszumalen, wie das jetzt wohl enden würde, wenn das Eisgerät ausbräche. Ein übler Bruch am Knöchel mit Beeinträchtigung einer ganzen Klettersaison (oder auch mehr) wäre wohl nicht grosses Pech, sondern das womit man kalkulieren muss. Wie bitter es doch wäre, deswegen für längere Zeit aufs Klettern verzichten zu müssen... Aber das half nichts, die dunklen Gedanken mussten ob der gestellten Aufgabe auf die Seite geschoben werden. Der Fokus war darauf zu richten, die Geräte so solide wie möglich in die Materie zu versenken und ja immer kontrolliert zu steigen. Natürlich ging's dann, wie bisher immer, ohne den befürchteten Gau. Ab Seillänge 3 wechselten sich steilere Abschnitte mit Ruhepunkten ab. Trocken war es nicht immer, aber anders als in der Crux liess sich das Vollwaschprogramm doch meistens vermeiden. Grandios abgeschlossen wird die Route mit der einmaligen Passage durch den Tunnel - schlicht der Hammer! Bis wir wieder am Boden waren, war das Tageslicht längst verschwunden. Mit dem Vollmond und der Schneedecke war es aber nicht einmal nötig, die Stirnlampe zu zücken. In grandiosem Ambiente begaben wir uns auf eine stimmungsvolle Mondscheinwanderung über den gefrorenen See und fuhren dann über die Skipiste nach Kandersteg. Ja, für heute war es trotz aller Zweifel zwar mit einer späten Rückkehr, sonst aber perfekt aufgegangen und eine einmalige Sache ist eine solche Eisklettertour dann eben doch. Somit ist es nicht ausgeschlossen, dass es mich allen Unbillen zum Trotz doch wieder an die gefrorenen Wasserfälle zieht. 

Auf dem Heimweg im Mondenschein - auch ein spezielles Erlebnis!

Facts

Kandersteg/Oeschinensee - Januarloch WI5 - 5 SL, 180-200m - ****

Relativ wenig bekannt und im Vergleich zu den Klassikern am Oeschinensee wohl nicht eben häufig begangen, stellt diese Route nach meinem Gusto eine der besseren Touren im Bereich WI5 der Schweiz dar. Bis auf die etwas einfachere erste Seillänge wartet recht anhaltende Kletterei, ohne dass die Schwierigkeiten je extrem wären. Eine gute Vergleichstour ist der Pingu im Oeschiwald, das Januarloch ist nach meiner Einschätzung sicherlich ebenso anspruchsvoll und wohl dazu auch noch viel seltener komplett ausgehackt. Wie oft es im Januarloch genügend Eis für eine Begehung hat, kann ich nicht wirklich einschätzen. Der schattige Winkel auf ~1600m zusammen mit dem Kältebecken des Sees garantiert aber wohl doch eher tiefe Temperaturen. Das Gelände direkt oberhalb der Route ist nicht extrem steil, im Grossen und Ganzen befindet man sich aber am Fuss der 2000m hohen Steilwand der Blüemlisalp. Also einem Gebiet mit allen alpinen Gefahren, man berücksichtige dies bei der Tourenplanung entsprechend. Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht auch, dass die Tour wirklich nur von einer einzigen Seilschaft geklettert werden kann. Die gebohrten Standplätze bestehen jeweils aus 2 verzinkten 8mm-BH, an welchen die Korrosion bereits genagt hat. Darüber hinaus ist auch der Fels in welchem sie stecken von eher moderater Qualität. Update: ja kaum zu glauben, eine Woche nach unserem Versuch waren Bekannte im Januarloch unterwegs. Tatsächlich war inzwischen ein BH am zweiten Stand ausgebrochen! Daher kann man nur zu höchster Vorsicht bei der Nutzung dieser Standplätze raten, bzw. muss ein Abseilen mittels Abalakovs im Eis empfehlen. Neuerliches Update: Adrian Vögeli hat inzwischen den ersten Stand saniert und den zweiten neu gebohrt. Er befindet sich etwas rechts der Eislinie, einige Meter tiefer als der bisherige Stand (siehe hier). Vielen herzlichen Dank dafür!

Nach unserer Begehung ausgebrochener Standbohrhaken - Vorsicht! Foto by Andreas H.

Wichtige Anmerkung: wegen der Felssturzgefahr vom Spitzen Stei ist die Begehung der Touren "in den Fründen" sowie im Sektor um den Blue Magic (Rübezahl, Bück Dich, Lochroute, usw.) durch eine Behördenanweisung verboten. Hinten beim Januarloch darf geklettert werden, ebenso alle üblichen Routen rechts vom Bäretritt im Oeschiwald.

Donnerstag, 4. Februar 2021

Kandersteg - Allmenalpfall (WI4)

Im Eiskletterführer Hot Ice wird der Allmenalpfall auf Position 9 der besten Schweizer Eisfälle aufgelistet. Doch trotz dieser Tatsache und dem Fakt, dass er gut erreichbar quasi mitten in Kandersteg steht, erhält er gar nicht so viel Aufmerksamkeit. Das liegt wohl daran, dass er sich nicht im Epizentrum Oeschiwald befindet, sondern an den sonniger exponierten Osthängen des Tals. Da er ab Mitte Februar in den Morgenstunden tatsächlich schon etwas Sonne erhält, gilt es die Begehung gut zu planen. Belohnt werden die Mühen auf jeden Fall, mir hat die Kletterei exzellent gefallen.

* Ein Bericht von meinem zur Zeit vorletzten Eisklettertag im Februar 2019

Blick aus dem Kessel unter dem Einstieg hinauf zur Route. Wie so oft ist hier alles perspektivisch ziemlich verzerrt. Sprich, der Eisfall sieht kürzer und flacher aus, als er sich dann klettert. Und auch der Weg bis zum Einstieg sieht ziemlich nach sanftem Gelände aus, doch sind diese Hänge zum Schluss tatsächlich an die 45 Grad steil!
Vom Bahnhof geht's westlich der Bahnlinie entlang in Richtung Allmenalpbahn, welche im Winter nicht in Betrieb ist. Über geräumte Strassen erreicht man den Waldrand, dort wo sich auch der Beginn des Kandersteger Klettersteigs befindet. Man verlässt dessen Verlauf aber sofort und muss den Vorbau P.1464 rechts umgehen. Bald geht's steil aufwärts durchs Gehölz, die Orientierung nicht eben einfach und wenn (wie zum Zeitpunkt unserer Begehung) keine Spur liegt, kann das eine anstrengende Sache sein. Eindrücklich, aber noch bunter wird es, wenn man aus dem Wald tritt, um die Ecke biegt und im Kessel unter dem Einstieg steht. Hier kann einem steile Wühlerei drohen und man muss sich nicht nur wegen der Lawinengefahr absolut sicher sein, sondern es drohen bei Tauwetter auch Eis- und Steinschlag aus den Felsen rechts. Das Ambiente ist aber grandios, ebenso wie die Vorfreude auf die Kletterei, welche bereits hellblau leuchtend lockt. Der Weg vom Bahnhof an den Einstieg hatte uns gerade etwa 1 Stunde gekostet, bei guter und vorhandener Spur geht's bestimmt noch mindestens eine Viertelstunde schneller.

Der letzte Abschnitt unserer ersten Seillänge reicht von der Steilheit an die Senkrechte heran.
Die Kletterei am 250m langen Eisfall umfasst 5-6 Seillängen. Nach etwa 20 moderat steilen Einstiegsmetern geht's dann bald zur Sache und es folgt der steilste Abschnitt der ganzen Tour. Auf rund 10 Metern reicht die Steilheit an die Senkrechte heran. Die Eisqualität zum Zeitpunkt unserer Begehung war grundsätzlich in Ordnung, aber mangels Begehungen halt nicht ausgeräumt und ausgehackt. Sprich, das Eis war generell wenig strukturiert und trittarm, an den flacheren Stellen auch stellenweise krustig überschneit. Unter diesen Voraussetzungen fühlte sich die WI4 nicht wesentlich weniger anspruchsvoll an wie die oft begangenen, schwieriger bewerteten Eisfälle à la Pingu, Rattenpissoir oder Haizähne im Oeschiwald. Das ist sozusagen der Preis, den man hier für die Exklusivität bezahlt. Einen guten Stand findet man frühestens nach 50m, ein echtes Flachstück sogar erst nach gestreckten bzw. gar überreizten 60m vom Einstieg. Wir brauchten schliesslich wider besseres Wissen zwei Seillängen, um diesen Punkt zu erreichen.

Ausblick auf die fantastische Eismauer, die wir in unserer dritten Seillänge erklettert haben. 20m oben streift das letzte Licht der Sonne den Eisfall seitlich. Wie beim Eisklettern üblich haben wir keinen einzigen Strahl vom wärmenden Gestirn abbekommen.
Nun wartet eine fantastische, breite und ziemlich homogen um die 75 Grad steile Eismauer von erneut rund 60m Höhe. Es war schlicht ein Riesenspass, sich hier in die Höhe zu pickeln. Eine etwas flachere Sequenz führt schliesslich zum schon von weither sichtbaren Schlussbouquet. Die letzte Seillänge bietet erneut fantastische Eishackerei mit über längerer Zeit 80 Grad Steilheit. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu weit nach links zu halten. Von unten sieht das zwar prima aus, das Eis wird links oben jedoch immer dünner und der Ausstieg ist nur ganz rechts möglich. Über einen kurzen Schneehang gelangt man schliesslich zum ersten, soliden Baum. Erneut sind es gestreckte 60m von der letzten Verflachung unterhalb. Da wie bereits erwähnt die Allmenalpbahn im Winter nicht in Betrieb ist, ist das Abseilen die einzig sinnvolle Option für den Abstieg. Für die ersten beiden Strecken stehen Bäume zur Verfügung, für die beiden folgenden müssen Abalakovs eingerichtet werden. Mit 4 Manövern à 60m reicht's gerade retour zum Einstieg.

Viel Ambiente in unserer dritten Seillänge!
Es verbleibt der Rückweg: durch die steile Rinne geht's im Abstieg freilich deutlich besser wie aufwärts. Im Wald unterhalb war der Schnee während unserem Abstieg bereits heftig angefeuchtet und stollte an den Steigeisen. Noch ganz anders war die Situation am Eisfall selber gewesen: der war nämlich kalt geblieben, die dortige Schneeauflage war sogar noch pulvrig. Noch erstaunlicher war dann jedoch das Klima am Bahnhof: mit einem Kaffee in der Hand setzten wir uns an der Sonne auf die Bank und warten auf den Zug. Hier konnten wir uns gleich etlicher Schichten entledigen, selbst im T-Shirt war's schön angenehm. Gut, wer oft in die Berge geht, kennt diese schnelle Temperaturwechsel ja zur Genüge. Eigentlich hätte es sich gut noch etwas verweilen lassen, um die Eiskletterer-Blässe in einen Skifahrer-Teint umzuwandeln. Freilich stiegen wir dann aber doch ein, als der Zug einfuhr.

Facts

Kandersteg - Allmenalpfall D+ II WI4 - 5-6 SL, 250m - *****
Material: 2x60m-Seile, ca. 14 Eisschrauben, Abalakov-Material

Der Allmenalpfall ist absolut zurecht ein Klassiker, in diesem Schwierigkeitsgrad dürfte es sich um eine der schönsten Routen in der Schweiz handeln. Die Kletterei ist homogen und ohne Flachstücke, zwei Sektionen von je rund 10m reichen an die Senkrechte heran (je nach Eisbildung und Linie). Die breite Eismasse und die Lage in einem wilden Kessel geben der Sache trotz der Nähe zur Zivilisation ein alpines Ambiente. Trotz der hohen Qualität der Kletterei und der Nähe zum Epizentrum Kandersteg herrscht am Allmenalpfall viel weniger Verkehr wie im Oeschiwald. Die Route selber ist nach NE ausgerichtet und erhält bis Mitte Februar nur ca. 1 Stunde seitliches Streiflicht von der Sonne. Die im Aufstiegssinn rechts vom Fall liegenden Felsen und die dort möglicherweise hängenden Säulen, Zapfen oder gleich ganze Eisfälle werden jedoch viel stärker beschienen und sorgen vor allem auf dem Zustieg und kurz vor dem Einstieg für Stein- und Eisschlaggefahr. Daher ist ein gutes Zeitmanagement zentral. Ebenso wenig darf man die Lawinengefahr im teils über 45 Grad steilen Zustiegskessel unterschätzen. Einmal auf der Route sind die objektiven Gefahren durch Eis- und Steinschlag sowie Lawinen dann deutlich geringer.

Freitag, 29. Januar 2021

Wieder einmal im Eis!

Schon fast 2 Jahre ist es her, seit das letzte Mal die Pickel geschwungen wurden, dies am Allmenalpfall (WI4) in Kandersteg und wie ich jetzt wahrnehme, steckt der fertig redigierte Blog dazu schon für eine kleine Ewigkeit im Entwurfsmodus. Naja, das zeigt etwas, welch (nicht)zentrale Stellung diese Disziplin in der vergangenen Zeit genossen hat. Mit Jonas war heute der richtige Partner am Seil und wir stellten uns die Frage, wohin es denn gehen sollte. In meinem letzten Beitrag hatte ich ja noch die Ziele abseits des Mainstream gepriesen. Doch wir waren im Zweifel, ob abseits der Hotspots denn auch gute Bedingungen herrschten, während in Kandersteg augenscheinlich erfolgreich und mit Genuss geklettert wurde. Auf ein Anbrennen aufgrund mangelnden Eises, dem Abräumen von Dezimeter dicker Schneekruste oder dem Herumpickeln auf hohl tönenden Eisschildern wollten wir uns aber nicht einlassen. Im Gegenteil, da waren die gut ausgehackten Kandersteger Fälle gerade das richtige Programm, um wieder in die Gänge zu kommen.

Wie cool, wieder einmal diese Perspektive zu haben - am Fuss vom Pingu (WI5+) in Kandersteg.

Einige Fragezeichen gab es aber doch: in der Woche davor gab es auch in Kandersteg eine Föhnphase,  wo die Temperaturen während rund 48h deutlich im positiven Bereich, ja durchgehend zwischen 5-10 Grad lagen. Für mich tönte das a priori stark abschreckend, doch wir wussten aus sicherer Quelle, dass nach wie vor alles im grünen Bereich und viele Fälle bestens begehbar wären. Natürlich erklären diese Zweifel auch, warum wir in der Wahl des Tourenziels wie oben dargestellt auf Innovation lieber verzichteten, schliesslich hatte ich mit eigenen Augen gesehen, wie z.B. bei uns zuhause im Tösstal das Eis von den Wänden geputzt wurde. Anyway, ich kann an dieser Stelle bestätigen, dass die Bedingungen in Kandersteg tatsächlich einwandfrei waren. Nur nützt das leider auch nicht so viel, mit der aktuellen Regen-Warmfront werden die Karten neu gemischt.

Temperaturdiagramm aus Kandersteg mit der  48h dauernden Föhnphase markiert (Quelle).

Nun denn, wir liefen in den Oeschiwald. Zwar durchaus mit gewissen Absichten, aber genaue Ziele zu haben ist eher schwierig, da jene ja vielleicht schon durch andere Kletterer besetzt sind. Ziemlich genau so entwickelte sich die Lage. Da Kletterer, dort Kletterer, nur im Pingu war gerade niemand zugegen. Diese Route hatte ich bereits im Januar 2013, damit also vor 8 Jahren bei meinem allerersten Besuch in diesem Eisklettermekka, begehen können (siehe Blog). Nun, eigentlich mag ich es deutlich lieber, in meinem Tourenbuch eine noch nie zuvor gekletterte Route hinzufügen zu können, aber nun war das schlicht und einfach die logische und vernünftige Wahl. Zudem ist's im Eis ja weniger entscheidend, weil die Route(n) sich doch jedesmal wieder anders präsentiert. Noch dazu war ich damals noch am Beginn meiner bescheidenen Eiskletter-"Karriere", so konnte ich gerade prüfen, welche Entwicklung sich durch etwas regelmässigeres Pickeln und Toolen gefolgt von 2 Jahren Abstinenz ergeben hatte.

Vorstieg in der ersten Länge der oberen Routenhälfte.

Pingu (III, WI5+, 200m)

Einen Tourenbericht habe ich ja bereits das letzte Mal geschrieben, das wird an dieser Stelle nicht komplett wiederholt. Der Fall war dieses Mal deutlich fetter gewachsen, das Eis solide aber strukturiert und mit bereits vorhandenen Begehungsspuren - vermutlich ist die Route in diesem Zustand näher bei einer WI4+ als bei der offiziellen WI5+. Die erste Seillänge (35m) kletterten wir wieder zum linken Stand, der inzwischen top saniert ist. Im zweiten Abschnitt (50m) war erneut diese rampenähnliche Struktur vorhanden, welche eine elegante Passage von rechts nach links über die Steilstufe erlaubt. Im oberen Routenteil kletterten wir die dritte Seillänge (40m) dieses Mal komplett anders von rechts nach links zu einem BH-Stand am linken Rand. Das folgende, vierte Teilstück (35m) bietet dann anhaltend steile Meter auf ein Plateau, bzw. zu Stand an Baum rechts aussen. Die einfachere Abschlusslänge war tief verschneit und offenbar schon länger nicht mehr begangen worden. Das sah nicht attraktiv aus und so schenkten wir uns diese letzten 30m, obwohl ich sie das letzte Mal als interessante Herausforderung erlebt hatte.

Classic Shot! Nachstieg in der ersten Länge vom oberen Teil.

Der Plan war nun, noch einen zweiten Eisfall zu klettern. Arbonium, Rattenpissoir, Haizähne, Reise ins Reich der Eiszwerge,  alles  wurde bekrabbelt und beklettert - das ist halt der Nachteil davon, in einem Hotspot unterwegs zu sein. Unter dem Strich wäre es wohl das Schlauste gewesen,  die Gelegenheit im gerade verwaisten und mir noch unbekannten Namenlos zu nutzen. Wir aber wollten dem weniger bekannten Bärentritt einen Go geben, insbesondere als wir sahen, dass eine Seilschaft dort gerade mit der letzten Länge beschäftigt war und somit danach freie Bahn herrschen müsste. Für den Zustieg kann ich nur empfehlen, dem Doldenhorn-Hüttenweg möglichst lange/weit zu folgen und auf jegliche direkter erscheinende, abkürzenden oder "dem Wandfuss entlang" Varianten zu verzichten. Das endet nur in unerquicklichem Kondi-Schneegestapfe zwischen den Büschen hindurch. 

Bärentritt (WI5+), mit Kletterer auf den letzten 15m.

Nun denn, die andere Seilschaft hatte nicht eben ein hohes Tempo an den Tag gelegt, doch bis wir parat waren, wäre die Bahn frei gewesen. Aber nun ja, anstatt die Bühne den nächsten, am Einstieg bereit stehenden zu überlassen, entschieden sie sich dann, den Fall ab der Mitte nochmals zu klettern. Kann man natürlich machen, aber ob man unbedingt muss?!? Gehört vielleicht in dieselbe Kategorie wie die ungebührlichen Sitten, auf einer Skitour den Nachfolgenden die Spur zu verfahren (bzw. sie nicht so gut wie möglich zu schonen) oder als Nachfolgender frühzeitig umzudrehen, um den Spurenden die First Line zu stehlen :-/ Naja, deswegen durften wir uns nicht den Tag vergällen lassen - es war alles in allem ein tolles Erlebnis an einem richtig kalten Wintertag gewesen und der Pingu war leicht von der Hand gegangen, das war eine sehr erfreuliche Erkenntnis. Nun hoffen wir, dass die Regenfront nicht alles  Eis schmilzt und die Pickel diese Saison nochmals zum Einsatz kommen.

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Kandersteg - Rattenpissoir (WI5+)

Soweit ich es in Erinnerung habe, hat die Outdoor-Klettersaison auf der Alpennordseite noch nie so früh geendet wie dieses Jahr. Ja, in jüngster Vergangenheit war es geradezu zur Norm geworden, dass man bis Silvester nur wenig bis gar nicht eingeschränkt war und es nur gerade im Januar jeweils eine kurze Phase gab, wo man nicht (oder höchstens unter sehr erschwerten Bedingungen) an den Fels hätte gehen können. Nicht so im November/Dezember 2017, da sind Schnee und Eis Trumpf.

Aktueller Blick auf den rechten Teil der Eisarena im Oeschiwald: v.l. Rattenpissoir, Arbonium und der obere Teil von Pingu.
Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, herrschten in Kandersteg bereits gute Bedingungen, also war das Ziel gesetzt. Wir entschieden uns für eine gemütliche Anreise per öV, allzu grossen Andrang befürchteten wir noch nicht, so dass ein extrem früher Aufbruch nicht nötig schien. Allerdings hatten wir die Rechnung ohne die SBB gemacht. Auf offener Strecke blieben wir stecken und trafen schliesslich eine ganze Stunde verspätet an der Destination ein. Nun gut, solange man das Büro und einen interessanten Gesprächspartner mit dabei hat, ist dies ja nicht allzu tragisch. Für unser Projekt, das Rattenpissoir, sollten Zeit und Tageslicht trotzdem ausreichen.

Der Blick nach unten auf die tolle erste Länge vom Rattenpissoir (WI5+).
Vor Ort zeigte sich dann, dass sowohl das Arbonium wie auch Pingu bereits beklettert wurden. Im Rattenpissoir war eine Seilschaft auf den ersten 15m am Topropen. Sie sicherte jedoch zu, das Feld zu räumen, wenn wir aufgeschirrt wären. Die Kletterei entpuppte sich als sehr interessant und die Bedingungen waren gut. Es war genügend Eis vorhanden, stellenweise war es feucht, einen massiven Duschgang musste man jedoch nicht vergegenwärtigen. Die Highlights sind sicherlich die lange, anhaltende erste Länge mit ihrem Finish an ein paar Blütenblättern und die luftige, beinahe säulenartige Passagen in L2. Oberhalb vom Band kann man die Route bei deutlich tieferen Schwierigkeiten für 2 SL fortsetzen. Dieser Abschnitt heisst eigentlich Groll. Hier waren die Bedingungen eher bescheiden. Das Eis war überschneit und oft krustig, es hatte nur wenig davon und gute Placements zum Schrauben mussten zusammengesucht werden.

Seitenblick, nebenan im Arbonium ist eine Seilschaft am Werk.
Zuletzt eine kurze Einschätzung der aktuellen Bedingungen: Rattenpissoir gut, Groll schlecht. Im Arbonium ist der Einstieg nass und röhrig (wurde jedoch geklettert), die folgenden beiden Seillängen sind überschneit und tönen dumpf-hohl, in der letzten Seillänge ist der Bachlauf noch offen (kaum kletterbar). Pingu sieht recht gut, jedoch reichlich feucht aus. White Magic on Rocks dürfte auch machbar sein. Den linken Sektor habe ich nicht gesehen, die Haizähne und Reise ins Reich der Eiszwerge sind machbar, Details zu den Bedingungen weiss ich nicht. De visu sieht's im Sektor Staubbach noch nicht nach üppig Eis aus, angeblich seien Blue Magic und Bück Dich bereits geklettert worden.

Ausblick auf die tolle L2 vom Rattenpissoir.

Facts

Kandersteg - Rattenpissoir/Groll - TD- III WI5+ - 4 SL, 180m - ***
Material: Eisschrauben, 2x50m-Seile sind auch ausreichend.

Interessante Kletterei im Oeschiwald, bei welcher v.a. die ersten beiden Seillängen über die Eisspur neben einer grossen Verschneidung sehr interessant sind. Die Ausstiegslängen über Groll bieten die logische Fortsetzung, sind deutlich einfacher und erlauben bei guten Bedingungen eine Genusskletterei. Wer im oberen Teil noch mehr Hunger auf steiles Eis hat, kann auch beliebig mit anderen Routen kombinieren, weil auf dem Band problemlos in eine andere Route gewechselt werden kann. 

Donnerstag, 9. Februar 2017

Kandersteg - Reise ins Reich der Eiszwerge (M6+)

Die Reise ins Reich der Eiszwerge, das kann man auch im übertragenen Sinn verstehen. Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal von dieser Route im Oeschiwald bei Kandersteg hörte, haftete ihr etwas Extremes an. Erstbegangen durch Robert Jasper. Und nein, nicht nur schwierige Eiskletterei, stellenweise musste sogar im Fels geklettert werden. Das schien mir damals ins Reich der Träume zu gehören. Im Lauf meiner an sich sehr bescheidenen Eiskletterkarriere verschoben sich die Massstäbe aber trotzdem etwas, ein Versuch war plötzlich greifbar. Schwierig gestaltete sich hingegen die Partnersuche: diejenigen, die es drauf haben, hatten die Route meist schon geklettert, und wollten nicht deswegen nochmals nach Kandersteg. Bei vielen anderen spielte hingegen genau jener Abwehrreflex, den ich über lange Jahre auch hatte. Umso besser, dass es im Januar 2017 endlich mal jemand mit von der Partie sein wollte.

Überblicksbild auf den Routenverlauf der Reise ins Reich der Eiszwerge vom ersten Stand aus gesehen.
Nach frühmorgendlichem Aufbruch bogen wir als erstes Fahrzeug auf den Parkplatz ein, das verhiess schon einmal Gutes. Unsere Säcke waren bereits fertig gepackt, also rasch die Schuhe geschnürt und zum noch verwaisten Oeschiwald marschiert. Von guten Bedingungen war heftig gezwitschert worden und tatsächlich: es war zwar an der unteren Stufe nicht üppig Eis vorhanden, aber es hatte genügend und es schien (und war) bestens kletterbar. Somit galt es, nicht noch länger herum zu trödeln, sondern "auf ins Vergnügen" war die Devise. Um 8.30 Uhr ging es los.

L1, 40m, WI4: Die ganz klassische Linie befindet sich vermutlich ganz links an der Verschneidung. Dort tropfte es allerdings heftig, so dass es deutlich empfehlenswerter schien, einige Meter rechts in schön homogen geneigtem Gelände in Genusskletterei aufzusteigen. BH-Stand mit Kette rechts im Fels.

Hier geht's los! Blick auf die erste Seillänge der Reise (WI4).
L2, 40m, WI3: Überführungsstück zum oberen und interessanten Teil. Flacher Beginn, das Ende auf dem Schneeband, nur in der Mitte befindet sich eine wenige Meter hohe Steilstufe. BH-Stand mit Kette am Fuss des nächsten Aufschwungs.

L3, 30m, M6-: Üblicherweise klettert man hier auf einer Eisglasur in einer schwach ausgeprägten Verschneidung und wechselt dann an den hängenden Zapfen. Zur Zeit unserer Begehung war dieser allerdings so fett gewachsen, dass man im Fels hinter dem Zapfen beinahe eingeschlossen gewesen wäre, und kaum mehr ins Eis hätte wechseln können. So hatte es sich in diesen Tagen etabliert (bzw. es war die logische, korrekte Linie) unmittelbar links an ein paar filigranen Säulen und Zapfen zu klettern, wobei hier und da auch der Fels links und rechts benutzt wurde. Ziemlich aufregende Sache, die Absicherung erforderte auch etwas Kreativität und war nicht à discretion möglich. Nötigenfalls kann diese Seillänge ca. 5-10m rechts einfacher erklettert werden, sogar eine Komplettumgehung weit rechts herum übers Band ist möglich. BH-Stand mit Kette am linken Rand der Eiszwergli-Höhle.

Blick auf L3 (M6-). Die Originalroute ist die orange Linie, welche allerdings zur Zeit unserer Begehung wegen dem fett gewachsenen Zapfen kaum zu machen gewesen wäre, weil man zuoberst im Fels hinter dem Zapfen eingeschlossen gewesen wäre. Somit wählten alle Begeher in diesem Fenster die linke, rote Linie - elegant an ein paar filigranen Säulen an den Zapfen, ein paar Hooks im Fels waren auch noch dienlich.
L4, 35m, M6+: Und nun folgt also das Kernstück der Route. Die Eiszwerge, kleine Eis-Stalagmiten, welche vom Tropfwasser in der Höhle entstehen, waren tatsächlich gewachsen. In einer fetten Glasur liess sich erst noch eine Schraube drehen, welche den Quergang nach rechts absicherte. Relativ einfach gelangt man zum rechten Höhlenrand, wo sich ein NH befindet. Nun exponiert rechts aufs Eck hinaus, die Position wird schlagartig unglaublich luftig. Nun beginnen die Schwierigkeiten. Linkerhand befindet sich ein meist griffiger Riss, welcher sich mit Klemmgeräten sehr gut absichern lässt. Die etwas grobblockige Felsqualität ist nicht überragend - ich fand es unbedenklich und gut zu handeln, eine Nachfolger-Seilschaft beförderte hier aber tatsächlich einen ordentlichen Block in die Tiefe. Das Problem an diesem Teilstück ist, dass man rechts auf einer plattigen Rampe subtil mit den Steigeisen antreten muss - mit einer sauberen Monozack-Technik geht's aber gut. Am schwersten ist eigentlich gleich der erste Schritt nach dem Quergang, dieser lässt sich allerdings mit einem Rock #10 perfekt absichern. Die zweite Crux ist dann der Wechsel ins Eis, der wohl auch ziemlich von den Verhältnissen abhängig ist. Bei unserer Begehung vollzog sich der unmittelbar auf der Höhe des zweiten NH dieser Länge. Wie so immer an solchen Stellen, es ist kurz etwas schwierig, die Füsse zu platzieren und ein kleiner Runout ist fällig, bis man sauber im Eis etabliert ist und an einer soliden Stelle eine Schraube setzen kann. Schliesslich stand ich in der Nische am Fuss der Abschlusssäule, aber wo weiter?!? Viele Wege schienen denkbar. Aussen um die Säule queren, links hinauf oder dann eben die korrekte Variante, hinten durchs Loch kriechen. So erreicht man eine weitere Nische mit einer Art Eiskamin, wo man sich in die Höhe und zum BH-Stand links oben emporarbeiten kann.

Unterwegs in der Querung aus der Eiszwergli-Höhle raus (M6+) und damit der Moment, auf den ich fast 20 Jahre lang gewartet bzw. gehofft habe. Tatsächlich war es eine super Kletterei, auf dem Eck rechts draussen wird es dann auch so richtig luftig.
Frieder kriecht aus dem Durchschlupf hinter der Säule von Reise Integral, welcher das Ende der Cruxlänge markiert.
L5, 35m, WI5: Hier gibt's zwei Möglichkeiten: falls vorhanden kann man die steile Säule von Reise Integral direkt erklettern, was wir aber erst später gemacht haben (WI6, siehe unten). Die klassische Linie führt jedoch rechts über die Eisspur, welche an der Felswand aufliegt und knapp senkrecht ist. Je nach Verhältnissen ist wohl ein mehr oder weniger grosser Spreizschritt nötig, um dieses Eis zu erreichen. Für mich war's absolut problemlos und auch die weitere Fortsetzung kletterte sich sehr gut. Die Bedingungen waren ideal, hier gab's nun auch deutliche Kletterspuren und so fühlte es sich eher einfacher wie der Fünfer an, den ich hier am Beginn dieses Absatzes proklamiere. Zuletzt flacht's dann etwas ab und man erreicht das einfachere Gelände oberhalb, wo man links an einem Baum Stand macht (Schlingen und Maillon vorhanden).

Genussreiche Kletterei in sehr luftiger Position in L5 (ca. WI5).
L6, 30m, WI2: Die allermeisten drehen nach L5 um, was sich auch in der Hinsicht ausbezahlt, dass man vom Baum mit 1x60m Abseilen gerade so knapp aufs Zentralband kommt. Mein Alpinistenherz liess es jedoch nicht zu, hier schon vor Ende Schluss zu machen. Über ein paar Stufen geht's nämlich noch 30m aufwärts, bis sich das Eis definitiv im Wald unter der Schneedecke verliert und nur noch flaches Gelände folgt.

Blick auf die Abschlusslänge (L6, WI2), welche die meisten Begeher wohl auslassen...
...aber auch hier gibt's noch was zum Pickeln, mit einem Cuore Alpinistico lässt man das nicht aus.
Um 12.30 Uhr hatten wir den Ausstieg erreicht und seilten uns in zwei Etappen an den BH-Stand am Ende der Cruxlänge zurück. Mein Kletterpartner meinte, die Säule von Reise Integral (WI6) würde doch noch ein ideales Dessert abgeben. Meinereiner meinte "von mir aus gerne, wenn du vorsteigen magst". Das Eis war nämlich sehr grümschelig und alles andere als kompakt, es tropfte heftig von oben und die Absicherbarkeit schien mir sehr fragwürdig - sogar von der Tatsache abgesehen, dass man in solche Säulen sowieso besser weder Schrauben setzt noch Stürze hinlegt. Kurzum, ich traute mir nicht zu, diesen 15m langen Abschnitt in kühnem Stil souverän und sicher durchzusteigen, so dass mir ein Verzicht die vernünftige Strategie schien. Mein Begleiter war in Bezug auf Sicherungsmöglichkeiten und auch auf die Stabilität der ganzen Struktur viel optimistischer, und wollte sich versuchen. Mit Kampf, Einsatz, viel Zeit, Nässe bis auf die Unterhosen und zwei Stürzen konnte er den Durchstieg erzwingen. Und in einem Punkt hatte er absolut recht, die Säule hielt der Belastung stand und in die Schrauben konnte man sogar stürzen. Im Nachstieg konnte ich das Teilstück dann mit etwas Einsatz ohne grössere Probleme punkten. Wobei ich teilweise schon Placements in fragilem, wässrigem Eis nutzte, wo der Pickel auch jederzeit hätte durchrutschen können. Nein, da hätte ich definitiv nicht vorsteigen wollen!

Frieder in der kompromisslos senkrechten, nassen und teils fragilen Säule von Reise Integral (WI6).
Nun denn, zwei Stunden später waren wir erneut am Baum nach L5 angelangt, und schwebten an den Seilen in die Tiefe. Wie bereits erwähnt, reicht es von dort mit 60m gerade knapp bis aufs Zentralband. Dort steigt man wenige Meter zu Fuss zu einem Block mit Kettenstand ab, von wo man mit einer weitere 60m-Abseilstrecke den Einstieg erreicht. Mein Kletterpartner war total durchnässt, somit wollten wir uns nicht mehr lange aufhalten. Allerdings galt es noch, die Suche nach den 3 Schrauben aufzunehmen, welche dem Ruf der Gravitation gefolgt waren. Leider liess sich nur eine davon wieder auffinden, die anderen beiden lagen wohl zu verlockend zum Mitnehmen auf dem bereits niedergetrampelten Schnee am Einstieg. Bald waren wir retour beim Auto. Mit trockenen Kleidern am Leib und einem warmen Kaffee in der Hand ging's dann in angenehmem Ambiente heimwärts. Tja, die Reise ins Reich der Eiszwerge, die ging irgendwie einfacher von der Hand, als ich das lange Jahre gedacht und im Vorfeld befürchtet hatte. Mit der schwierigen Säule der Reise Integral zeigte dann das Eisklettern aber doch wieder seine Zähne und mahnte sogleich, nicht übermütig zu werden.

Facts

Kandersteg - Reise ins Reich der Eiszwerge (III TD+ M6+ WI5) - 6 SL, 210m - R. & D. Jasper 1996 - *****
Material: 2x60m-Seile (auch 2x50m möglich), 6-8 Eisschrauben, Camalots 0.5-3, Rock #10

Ein grosser Kandersteg-Klassiker, der dem Ruf des Extremen anhaftet. Er bietet abwechslungsreiche, stets interessante Kletterei und hat nichts bösartiges an sich. Die Eiskletterei gestaltet sich bei guten Verhältnissen genussreich und nicht extrem schwer. Die mit M6+ bewertete Schlüsselstelle ist eindrücklich und sehr luftig, jedoch im Fels prima mit Klemmgeräten abzusichern. Für den schwersten Move passt ein Rock #10 perfekt - trotzdem ist der irgendwie fakultativ mitzunehmen, weil 50cm darunter auch ein sehr guter Cam liegt. Am heikelsten ist je nach Verhältnissen die erste, nominell etwas einfachere Mixedlänge vom Band weg. Falls nötig, lässt sich diese wenige Meter rechts aber auch einfacher haben. Die Stände sind alle fix eingerichtet, bis auf den letzten an einem Baum sogar topsolide mit BH und Ketten. Zum Abseilen sind 2x60m-Seile praktisch, weil man so vom Top von L5 mit 2 Manövern zum Einstieg gelangt, mit 2x50m ist die Route aber auch möglich. Vorsicht vor Eisschlag: wenn jemand oberhalb klettert, dann fällt alles bis zum Einstieg runter. Die untere Stufe ist sehr exponiert, das im Bereich der Route vereiste Zwischenband vermag die fallenden Stücke nicht aufzuhalten!

Dienstag, 8. März 2016

Breitwangflue - Dreh den Swag auf (M8+)

Der extrem milde und eisarme Winter 15/16 hatte bisher nicht viele Gelegenheiten geboten, um die Eisgeräte bestimmungsgerecht einzusetzen. Dafür hatten wir ausgiebig dem Einhaken ebendieser Geräte ins Felsritzen, Löcher und sonstiger Vertiefungen gefrönt. Sprich, das Drytooling war bei dem häufig vorherrschenden nassmilden Sauwetter nicht zu kurz gekommen. Für die einen von uns mit grossem, für die anderen mit eher bescheidenem Erfolg. Immerhin, für zwei Touren im Grad M9 hatte es auch für mich gereicht. Nun war der Tag gekommen, um diese Fertigkeiten auch in einer längeren Route einzusetzen. Obwohl in Kandersteg zu dieser Zeit keine einzige reine Eisroute begehbar war, wurden wir uns gewahr, dass die Dreh den Swag auf an der Breitwangflue machbar sei. Die schwersten Stellen bieten dort sowieso immer Drytooling und an den einfacheren Stellen war ausreichend Eis präsent.

Der linke Teil der Breitwangflue mit der von uns gekletterten Linie. Ebenfalls sichtbar: Flying Circus, Mach 3, Panic Room.
Rechter Wandteil im Februar 2016 mit u.a. Tsunamix, Elementarteilchen, Beta- und Alphasäule sowie Crack Baby.
Zuerst galt es, die Frage nach den Zustiegsmodalitäten zu klären. Fürs Crack Baby waren wir damals aufgrund der guten Spur zu Fuss mit Bergschuhen und ohne Hilfsmittel aufgestiegen. Zur Alphasäule, wo noch keine Spur lag, gingen wir mit den Schneeschuhen. Nun sollten die Tourenski zum Einsatz kommen: einerseits ist die Swag-Route ganz links hinten an der Breitwangflue gelegen, andererseits lag bester, tiefer und noch komplett unverspurter Pulverschnee. Im Nachhinein betrachtet war das Verwenden der Ski die absolut richtige Entscheidung. Zwar lag bis auf 1250m nur ein Hauch Weiss, so dass wir die Bretter im ersten Viertel des Aufstiegs zu buckeln hatten. Oberhalb nahm die Schneemenge aber rasch zu, so dass sich der Aufstieg bequem, effizient und kraftsparend erledigen liess. Mit Schneeschuhen oder gar zu Fuss wär's hingegen am Schluss ein echter Murks gewesen. In der Abfahrt waren die oberen 500hm dann ob der famosen Schneequalität trotz dem Rucksack ein richtiger Genuss, danach liess es sich noch 250hm gut fahren, bevor wir wieder per Pedes abstiegen.

Falls man mit den Ski zusteigt, so stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Schuhwerk denn geklettert werden soll. Wenn man welche hat, so stellen Toolyboots bestimmt die beste Lösung dar. Mir scheint zwar, dass diese, bzw. deren Einsatz im alpinen Gelände nicht unumstritten sind - aber sie sind leicht, sowohl zum Tragen wie zum Mitnehmen, und nachdem ich inzwischen auch einmal solche ausprobieren konnte muss ich sagen, dass auch die Präzision und Direktheit absolut überzeugt. Sicherlich eine sehr interessante Anschaffung, für alle die ernsthaft im Drytool- und Mixed-Bereich unterwegs sind. Tja, diesen Zeilen zum Trotz zeigen die Fotos, dass ich selber (mangels eigener Toolyboots) die Route sogar mit den Skischuhen geklettert bin. Wobei mein Modell nicht schwerer wie meine Bergschuhe ist und mit der steiferen Sohle und der besseren Kälteisolation punktet. Nur der etwas höhere Schaft ist natürlich bisweilen hinderlich, bei der Kletterei eingeschränkt fühlte ich mich durch diese Wahl jedoch nicht entscheidend.

Steigeisen: Petzl. Schuhe: Scarpa. Hose: Mammut. Socken: Rohner. Unterwäsche: Odlo - so haben fast alle etwas davon ;-)
Unser Tourentag startete wie üblich wenn's nach Kandersteg geht mit frühem Aufstehen, um 3.00 Uhr schrillte der Wecker. Einige Minuten nach 6.00 Uhr starteten wir noch im Schein der Stirnlampen mit gebuckelten Ski, um schliesslich nach rund 2:00 Stunden Zustieg am Ort der Begierde einzutreffen. Hier oben war alles jungfräulich, keine Spuren von anderen Begehungen waren erkennbar. Wir rüsteten uns zum Klettern und während der Vorsteiger in L1 engagiert war, traf prompt noch eine zweite Seilschaft ein. Diese hatte dasselbe Ziel wie wir auf dem Radar, eine ungünstige Situation. Nach dem Studium der Alternativen (sämtliche anderen Routen schienen entweder gar nicht oder höchstens unter deutlich erschwerten Bedingungen begehbar) blieb ihnen nichts anderes übrig, als wieder von dannen zu ziehen. Ein Hinterhersteigen ist hier wie immer eine schlechte Idee, vor allem auch weil alles was in L4 und L5 abgeräumt wird, unweigerlich auf L3 hinunter fällt.

L1, 30m, M8+: Eine reine Drytooling-Länge, komplett ohne Eis. Der erste Teil ist senkrecht und bietet interessante, noch nicht ganz so schwere (ca. M7) Kletterei an Topfels mit kleinen Wasserlöchlein. In diesem Abschnitt muss man doch zünftig über die Haken steigen und darf ob der eher klein-wackligen Hooks nicht zweifeln. Der zweite Teil der Länge hängt dann deutlich über. Einige positive Hooks säumen den Weg, die Kletterei ist bei nun enger gehaltener Absicherung aber athletisch und auch nicht so einfach zu lesen. Die Climax folgt, wenn man es vermeintlich schon geschafft hat, mit dem Ausstieg ins flachere Gelände zum Standplatz.

Dieser gewaltige Überhang (man beachte die hängenden Zapfen!) wird in L1 (M8+) in reinem Drytooling überwunden.
Der erste, noch nicht ganz so steile Teil (ca. M7) bietet feine Kletterei an tollen Wasserlöchlein.
Der Ausstieg zum Stand nach L1 erfordert dann nochmals gefühlvolles Klettern an eher feinen Hooks in glattem Fels.
L2, 30m, M6+: Vom Stand weg nach rechts über eine plattige Zone hinweg, die Passage erinnert (ausser dass man auf die falsche Seite quert und das Fixseil fehlt) etwas an den Hinterstoisser-Quergang. Je nach Verhältnissen kann dieser Abschnitt wohl zwischen Spaziergang und unmöglich variieren. Bei uns gab es eine dünne Semifreddo-Auflage (d.h. Schnee/Eis-Gemisch). Absichern war auf den ersten 10m unmöglich, doch wenn man ganz vorsichtig zu Werke ging, dann hielt die Glasur. Eine weitere Seilschaft, welche die Route ein paar Tage nach uns bei wärmeren Temperaturen angriff, musste hier jedoch die Segel streichen, nachdem Geräte und Eisen an dieser Stelle überhaupt keinen Halt fanden. Die eigentliche Crux folgt dann erst danach, man quert im Tooly-Gelände überhängend um eine Kante herum ins Eis. Uns dünkte es recht schwer für den Grad, vermutlich ist's aber kommoder zu haben, wenn es rechts mehr Eis gibt. In diesem (ca. WI4) noch ca. 20m zu Stand.

Die zweite Seillänge (M6+) mit dem heiklen Beginn im Ausblick (der Akteur ist in der Crux engagiert).
So sieht's im Rückblick aus, wenn das Eis einmal erreicht ist. Die heikle Glasur wird ohne Zwischensicherung geklettert.
L3, 55m, WI4: Reine Eislänge, auf welcher wir ein bisschen wider Erwarten sehr gute Bedingungen antrafen. Der schwerste Abschnitt (ein paar Meter senkrecht) gleich nach dem Stand, danach geht's etwas einfacher dahin. Wo gewünscht liessen sich gute Schrauben drehen, obenraus im Tropfbereich gab's dann sogar perfektes Softeis wie man sich das immer wünscht.

Dieses Foto zeigt die letzten Meter der Eislänge von L3 sowie den Weiterweg in der zweiten Cruxlänge. Es geht in L4 erst über die Eisglasur am linken Bildrand hoch, dann in einer Links/Rechtsschleife am Überhang an den Eisvorhang oberhalb, und schliesslich durch einen engen Spalt hinter den Säulen durch.
L4, 35m, M8+: Vom Standband über eine Eisglasur zu einem überhängenden Wulst, der in einer Links-Rechts-Schleife rein im Fels überwunden wird. Das Gestein ist hier nicht ganz so gut und die Kletterei weniger elegant als in L1, sondern von leicht murksigem Zuschnitt. Dafür ist die Absicherung mit BH hier löblich gut ausgefallen. Sofern nötig, käme man hier wohl auch A0 drüber - für meinen Vorsteiger aber nicht nötig, der liess hier seinen Komplett-Onsight der ganzen Route nicht anbrennen, saggstarch :-) Nach der Felspassage wechselt man dann ins Eis. Bei uns waren die Verhältnisse ideal, vom letzten BH konnte man ins moderat schwere Eis wechseln - hat es zu wenig davon, könnte diese Passage natürlich herausfordernd werden. Nach einigen Metern im Eis war für uns schliesslich der Durchschlupf durch einen schmalen Spalt hinter der grossen Säule durch möglich - aussenrum ginge es bestimmt auch, was jedoch natürlich schwerer, exponierter und weniger spannend wäre.

Diese Foto gibt vielleicht den Eindruck, dass auch L4 (M8+) im Felsteil massiv überhängend ist.
Vom Stand hat man den perfekten Einblick in die Cruxlänge (M9) von Mach 3. Ein gewaltiger Zapfen muss hier abgebrochen sein und ist bestimmt mit Überschallgeschwindigkeit ins Tal gedonnert. Da ist es von deutlichem Vorteil, zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe zu sein.
L5, 30m WI4: Sehr, sehr schöne, reine Eiskletterei mit homogenen, aber nicht allzu grossen Schwierigkeiten und nebenbei zum Zeitpunkt unserer Begehung auch perfekten Bedingungen. So geht's dahin, bis die Route etwas abrupt in einer Nische endet, wo das Nass aus einer moosigen Grotte quillt.

Ausblick auf die stimmungsvolle und sehr schöne, reine Eiskletterei von L5 (WI4).
Hier endet die Route abrupt, das Eis bildende Nass quillt aus der moosigen Grotte, oberhalb ist alles trocken.
Um 14:15 Uhr hatten wir es geschafft und die tolle, sehr genussreiche Kletterei bewältigt. Wir hielten uns nicht lange auf, sondern machten uns umgehend ans Abseilen. Dieses ist hier keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Gerade beim ersten Abseiler galt es, das Seil geschickt so zu legen, dass man exakt zwischen den riesigen, hängenden Zapfen in die Tiefe gleiten konnte, ohne diese zu belasten. Insgesamt eine extrem bedrohliche Kulisse, mit der richtigen Linienwahl sind die objektiven Gefahren aber sicher vertretbar, da man sich dann auch nicht exakt in Falllinie der Zapfen aufhält. Ein nächstes Manöver führte uns zu einem BH-Stand der Route Tränen der Eisprinzessin, von welchem wir mit einem gestreckten 60m-Abseiler den Boden erreichten.

Alles Gute kommt von oben und das Schlechte bleibt hoffentlich dort. Zirkeln zwischen den Zapfen beim Abseilen.
Ambiente vom Typ "wow" beim Abseilen, hier am Stand von Tränen der Eisprinzessin.
Es blieb noch Zeit und Motivation für weitere Taten. So wurde mit einem Versuch in Flying Circus (M10) geliebäugelt, wir stiegen sogar L1 (WI1) hinauf und richteten uns am Stand im hintersten Punkt der Grotte ein. In der Route hingen zwar einige Zapfen, es war jedoch deutlich weniger Eis wie in anderen Jahren und die Vorhänge und Zapfen machten einen extrem fragilen Eindruck. Man hätte sich wohl auf noch schwerere Kletterei und noch heiklere Absicherung wie sonst gefasst machen müssen, weshalb ein Weitersteigen schliesslich verworfen wurde. Weil wir selbst danach noch Mumm hatten, kletterten wir noch L1 (M7) von Mach 3, welche sich unmittelbar bei unserem Depot befand. Eine relativ kurze, aber interessante Länge mit einem giftigen Dächli, das man an einem Riss bei Trittarmut toolend überwindet, um sich nachher an einer dünnen Eisglasur zu etablieren. Es steckt in dieser Länge nur gerade 1 NH, für den Vorsteiger eine psychisch ziemlich fordernde Geschichte.

Die Monthy Python Cave mit u.a. Flying Circus, welche aus dem tiefsten Punkt der Grotte emporführt.
In  L1 (WI1) von Flying Circus, welche eine schöne Genusskletterei plus Traverse über das Bruchband bietet.
Das Weitersteigen über Mach 3 schien hingegen eine weniger gute Idee. Die zweite Länge führt mittels Drytooling (M8+) ins Eis. Dieses war jedoch extrem mager gewachsen, so dass beim Übergang von Fels zu Eis ein längerer Runout zu kalkulieren gewesen wäre, zudem sah das Eis auch nach einer abgelösten, fragilen und potenziell gefährlichen Glasur aus. So seilten wir uns neuerdings ab und packten unsere Kletterausrüstung zusammen. Im seidenfeinen Pulver ging's hinunter zur Alp Giesenen und über die offenen Hänge darunter noch 150hm sehr genussreich weiter. Danach leisteten die Beinmuskeln noch etwas Bremsarbeit, bis wenig später der Ausgangspunkt wieder erreicht war. Wir fuhren los, um wenig später in der Drytooling-Area von Mitholz neuerlich einen Stopp einzulegen. Seil und Gurt blieben da zwar im Auto, doch ein paar Boulder am Wandfuss mussten dennoch sein. Hier könnte man sich bei einem Scheitern in einem der Kandersteger Projekte trotzdem noch einen interessanten Tag gestalten. Zu unserem Glück war dies für uns an diesem Tag aber nicht nötig gewesen. Hochzufrieden mit unseren Erlebnissen setzten wir uns wieder aufs Polster und traten den langen Heimweg an.

Fast ein bisschen grimmig-alpines Ambiente in der kurzen, aber giftigen L1 von Mach 3 (M7).

Facts

Breitwangflue - Dreh den Swag auf M8+ (M7 obl.) - 5 SL, 220m - Stofer/Seuren/Diener 2013 - ****
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, 10 Eisschrauben, Keile/Friends nicht nötig

Sehr schöne Route im linken Teil der Breitwangflue, welche zwei schwere, längere, gut mit BH abgesicherte Drytooling-Passagen bietet. Metermässig spielen sich ca. 2/3 bis 3/4 im reinen Eis ab, welches schöne Kletterei bei nur relativ moderaten Schwierigkeiten bietet. Die Felspassagen sind bis auf die Startmeter gut bis sehr gut mit BH abgesichert, zusätzliches Felsmaterial ist nicht notwendig. Allerdings ist der Zustand des Hakenmaterials eher bescheiden, die Korrosion hat schon stark genagt. Man beachte bei der Bestückung mit Eisschrauben, dass die beiden Stände nach L2 und L4 im Eis einzurichten sind und danach jeweils eine komplette Seillänge im Eis folgt. Zu beachten ist im gesamten Einstiegsbereich und in den Startlängen die enorme objektive Gefahr durch die riesigen Zapfen oberhalb. Deshalb ist bei Tauwetter, abrupten Temperaturwechseln oder stark fliessendem Wasser höchste Vorsicht angebracht.

Beim Abseilen über L1 der Swag-Route. Der korrodierte Haken im Vordergrund am linken Bildrand ist leider ziemlich repräsentativ.
Topo

Dani hat nach unserer Begehung ein perfektes Topo der Route angefertigt. Es lässt sich auch als PDF-File herunterladen.