Zu Beginn meiner Kletterkarriere in den 1990er-Jahren war ich einige Male am Vorder Mattstock: Fatal Morgana, Schnuddernase, mehrmals die Furggelenverschneidung und die Furggelenplatte, das waren die Routen, die damals hoch gehandelt wurden. Heutzutage läuft in diesem Gebiet nicht mehr viel: die Filidor-Führer schenkten ihm nie Aufmerksamkeit, vielerorts ist das Material auch etwas angejahrt, die Routen sind in Vergessenheit geraten. So restlos nachvollziehbar ist das nicht: klar sind die Klettereien eher kurz, sie bieten aber tollen Fels und anhaltende Moves, noch dazu ist das Gebiet nicht abgelegen, rasch zugänglich und bietet eine lange Saison.
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| Blick auf die Wand am Vorder Mattstock mit dem Verlauf der Route Millenium. |
Jedenfalls: die hier beschriebene Tour existierte bei meinen Besuchen in den 1990er-Jahren noch gar nicht. Das nach ihrer Erschliessung ergatterte Topo musste aber lange auf meiner Festplatte lagern, bis es nun endlich zu dessen Nutzung kam. Spontan ergab sich die Möglichkeit für ein paar freie Stunden, doch mit einem tiefen Cut im Finger war an Limit-Sportklettern oder Bouldern nicht zu denken. So kurzfristig einen Kletterpartner für eine MSL zu finden gelang mir logischerweise nicht, doch ich sinnierte, dass diese kurze und dem Vernehmen nach sehr gut abgesicherte 6c-Route sich in meiner Lead Rope Solo-Kragenweite befinden würde. Das war zwar keine falsche Einschätzung, schlussendlich war ich aber mehr gefordert, wie ich mir das gedacht hatte... der Bericht erklärt warum.
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| Fantastisches Ambiente mit einem kompakten Nebelmeer über dem Walensee. |
Den Zustieg machte ich ab Weesen per E-Bike. Das ist insofern nicht nötig, dass man bis zur Durschlegi auch mit dem Auto fahren kann (Fahrverbot am Sonntag von 13-17 Uhr, Nachtparkverbot 21-8 Uhr) oder auch mit dem Sessellift ab Amden nach Niederschlag. Ich startete im Tal bei dichten Nebel, es war stimmungsvoll, gegen Amden hin das Licht immer stärker zu spüren und die kompakte Decke schliesslich auf rund 800m zu durchstossen, wobei die Temperatur schlagartig massiv anstieg. Von Durschlegi kommt man via Hasebode bis ca. 1270m gut mit dem Bike, wer's unbedingt darauf anlegt, schafft es wohl sogar fast bis Ober Furgglen, oder zumindest von da runter. Ab dieser Alp sind es nur wenige Minuten bis zum Wandfuss. Etwas LRS-unfreundlich steckt am Einstieg kein BH, aber ich fand natürlich meine Lösung und legte um 10.45 Uhr los.
L1, 35m, 6b: Sicherlich die einfachste Seillänge der Route und auch freundlich, um die Systeme auf Betriebstemperatur zu bringen. Dennoch: schon am zweiten Haken muss man erstmals etwas "bieten", nach dem dritten gibt's einen (harmlosen) Runout. Die folgende steile Wandpassage mit der Crux ist sehr schön, genial dass das alles so aufgeht! Wobei der Exit aus dieser Passage für Personen, welche eine gewisse Körpergrösse nicht übertreffen, dann schon irgendwann eine andere Dimension annimmt. Anschliessend klettert man eine kurze Passage an interessanten Griffen gemeinsam mit der Furggelenplatte, findet danach griffige Schuppen und quert kurz nach links zum Stand.
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| Rückblick auf L1 (6b), das Gras lässt man weitgehend rechts liegen und klettert im kompakten Gelände. |
L2, 25m, 6b+ 1pa oder frei (mind.) 7a: Es ist etwas seltsam: in den Topos von Thomas Wälti war diese Länge immer nur mit 6b+ bewertet, im GL Climbs steht hingegen 6b+ 1pa. Sämtliche im Netz greifbaren Berichte übernehmen diesen Hilfspunkt oder schreiben gar von 6b+ A0. Und das ist auch nicht erstaunlich: mit nur 6b+ ist die Crux definitiv nicht zu haben. Anyway, los geht's an einer kleinen Verschneidung, dann kommt eine etwas mühsame Passage an einem abgestorbenen, morschen Baum vorbei, bis dann endlich der erste BH folgt. Nach einer plattigen Querung geht's dann steil zur Sache, mit ein paar kniffligen Aufstehern in Untergriffe. Man folgt hier offenbar einem alten Versuch und dort, wo die Pioniere nur noch ein halbes (leeres) Bohrloch geschafft haben, ist dann eben die Crux. Es gilt, aus dem Steilen auf eine Platte zu manteln. Zur Verfügung stehen Untergriffe an der Kante beim Übergang, die eher glatte Slab weist nur ein paar kleine, sloprige Unebenheiten auf. Voll am Limit konnte ich das ultrawacklig gerade noch auflösen und meine fundierte Analyse im Nachstieg zeigte: es gibt da (für mich) keinen anderen, einfacheren Approach. Als gefühlten Grad könnte ich der Sache eine harte 7a andichten, wer weniger Reichweite mitbringt als yours truly, empfindet es möglicherweise gleich nochmals schwieriger?!? Sonst halt 1pa bis auf die Platte, nach zwei, drei Schritten über diese erreicht man eine steile Wand, die kräftig-weite Moves an guten Leisten im Bereich 6b+ bietet. Enden tut die Länge dann wie sie angefangen hat. Man steigt in die Botanik aus und muss sich dafür an einem morschen, abgestorbenen Baum bedienen. Möge er noch lange halten, denn der letzte BH liegt schon ein Stück zurück. Übrigens, links am Baum vorbei ist richtig.
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| Die Felsqualität in der Millenium ist über weite Strecken vorzüglich! |
L3, 35m, 6b+ (eher 6c+): Los geht's kommod durch eine griffige Wand, welche einen auf eine fantastische Raspelplatte mit hammermässigen Fels führt. Über 2 BH wird diese recht zwingend durchgemovt, bevor die Herrlichkeit mit dem Ausstieg auf ein bewachsenes Band endet. Das ist ziemlich heikel, es hat nur lose Erde und dürres Gras, der letzte BH liegt einige Meter zurück. Vom Band weg geht's in eine tolle, steile Wand hinein. Dort wo der Fels von grau zu gelb wechselt, kommt die Crux. Es gilt den Füssen auf abschüssigen Reibungstritten zu vertrauen, weit von Crimps in ein kleines 2-Finger-Schüppli zu ziehen und die Position mit Untergriffen aufzulösen. Das bringt einen auf die Zielgerade, die in einem langen Quergang nach links besteht. Erst noch gängig mit griffig-zerfressenem Fels, wartet dann doch plötzlich noch eine schlabbrig-glatte Stelle, bevor eine Art Rampe zum Stand leitet. Alles in allem liegt meine persönliche Einschätzung für diese Länge bei 6c+. Ist's der Rope-Solo-Bammel oder hab ich's einfach nicht gecheckt?!? Restlos beantworten kann ich das nicht... doch ich meine, meine Einschätzung ist objektiver wie die gedruckte auf dem Papier.
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| Dieser auf einem kurzen Abschnitt ziemlich glatte Quergang prägt den oberen Teil von L3 (6c+). |
L4, 20m, 6c: Zum Abschluss noch was ganz anderes: eine rustikale, überhängende Verschneidung mit 3d-Kletterei. Los geht's aber nochmals mit einer kurzen Plattenstelle, bevor es dann bald steil aufwärts geht. Dank der sehr kurz gehaltenen Absicherung lässt es sich sorgenfrei in die Höhe arbeiten. Kräftig ist's schon, de fakto kann man es aber schon durchgehend recht gut wegstehen, wenn man die Übersicht behält. Nicht dass ich mich nicht hätte anstrengen müssen, doch mir fiel wesentlich leichter, wie ich aufgrund meiner Erfahrungen in L2 und L3 befürchtet hatte. Kurzum, 6c passt, nach meinem Gusto: klar schwieriger wie L1, aber auch deutlich einfacher wie L2 und L3. Zuletzt habe ich das Routenende nicht ganz verstanden: irgendwie sieht es so aus, als ob man auch nochmals 7-8m hätte weitermachen können. Trivial sieht's schon nicht aus, aber auch nicht schwieriger wie unten...
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| Hier an dieser Kamin-/Rissverschneidung führt L4 (6c) in die Höhe. |
Um 14.45 Uhr hatte ich es geschafft, das macht gerade 4:00h für das Rope-Solo-Programm (2x Klettern und 1x Abseilen), plus auch noch einige Pausen um den Zehen etwas frische Luft zu gönnen und das Panorama zu geniessen, was beim Rope Solo sonst gerne zu kurz kommt. Zum Abseilen geht man eine Etappe zurück zu Stand 3, dann am besten gerade runter, was einen in den Bereich der Furggelenverschneidung bringt. Mit Nutzung eines Abseilstands wären mit 2x50m-Seilen noch 2 Manöver nötig, mit meinem 1x70m war es noch eines mehr. Jedenfalls, bald war ich wieder zurück am noch schön besonnten Einstieg und konnte da noch eine Siesta geniessen. Fussabstieg und Bike-Downhill hiess das Restprogramm. Eindrücklich, wie ich von der wohligen Wärme zurück in die feucht-kalte Nebelsuppe zurückspediert wurde. Welch gute Idee war das gewesen, die schönsten Stunden des Tages am sonnigen Vorder Mattstock zu verbringen!
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| Welch ein wunderbarer Novembertag! |
Facts
Vorder Mattstock - Millenium 6c A0 oder 7a (6b obl.) - 4 SL, 115m - ***;xxxx
Material: 1x70m oder 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig
Kurze, aber anhaltend anspruchsvolle Kletterei mit Steilplattenpassagen, anspruchsvollen Wandabschnitten und auch noch etwas an steiler Risskletterei. Langweilig wird es einem also bestimmt nicht und trotz der Kürze der Route kann man sich eine Weile damit beschäftigen. Umso mehr, wenn man die ganze Route freiklettern will. Entgegen den Angaben in einigen Topos verlangt das nach meinem Empfinden klar mehr wie den Grad 6b+. Die Felsqualität ist meistens gut bis sehr gut, an ein paar wenigen Stellen gibt's etwas störende Botanik. Die Absicherung mit verzinkten BH ist sehr gut. An vielen der schwierigen Stellen kommt man sicherlich auch recht gut A0 durch, bei einigen plattigen Passagen heisst es dann aber doch etwas mutig auf die Füsse zu stehen. Das beste und aktuellste Topo zur Route und Gebiet findet sich im Kletterführer St. Galler Oberland.







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