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Freitag, 19. Dezember 2025

Ruogig / Selezerflue - Sendero Luminoso (7a+)

Im Gebiet des Ruogig war ich zu meinen Anfangszeiten in den 1990er-Jahren oft zugegen für MSL-Klettereien im Winter: Hagelstock, Selezerflue und immer wieder die Ganderflue. Auf diesem Plateau über dem Vorderen Schächental gibt's auch in der kalten Jahreszeit viel Sonne, der Zustieg macht mit einer gemütlichen Skitour keine Mühe und die moderate Länge der Routen passt ideal in die Jahreszeit mit den kurzen Tagen. Nach vielen Jahren wollten wir es wieder einmal dort oben versuchen: sehr bescheidene Schneeverhältnisse und milde Temperaturen in der Vorweihnachtszeit 2025 lockten mehr für MSL-Unternehmungen als für Skitouren.

Hier beim Stall der Alp Gand eröffnet sich ein hervorragender Blick auf die Kletterarena Ruogig.

Ja, da oben schreitet die Zeit nicht ganz so schnell voran, noch immer bringen einen dieselben beiden Sektionen einer 4er- bzw. 6er-Kabinenbahn hinauf auf's Ruogig. Ganz dem Retro-Zeitgeist entsprechend ist der für die Retourfahrt auf 22 CHF angewachsene Obulus noch immer ausschliesslich mit Bargeld zu begleichen. Hier gilt das zeitgenössische Motto "was soll ich mit dem Papier im Hosensack, ich will Geld auf meinem Konto" ganz offenbar noch nicht. Trotz der Schneearmut setzten wir für den Zustieg auf die Ski - auf der Webcam und mit den Schneehöhenkarten hatten wir eine noch geschlossene Decke von der Bergstation bis kurz vor den Einstieg identifiziert. Diese präsentierte sich vor Ort tragend und gefroren, so ging's zügig voran. Der Start der Route ist nicht ganz trivial zu lokalisieren. Angeschrieben ist nichts, die Literatur ist vage und das Material steckt in L1 ebenfalls spärlich - ein charakteristischer, hängender Wacholder und links davon ein weiteres Gebüsch gaben uns aber die Gewissheit, richtig zu sein. Um 10.50 Uhr legten wir los.

Die Wand der Selezerflue mit dem detaillierten Verlauf der Route Sendero Luminoso.

L1, 25m, 6a: Der Anfang ist nicht so das Gelbe vom Ei, eher durchzogenes Gelände und ungenügend abgesichert. Vorsicht ist insbesondere vor dem Klippen des ersten BH in eher lottrigen Terrain angezeigt. Nachher bessert es dann, einer griffigen Kante entlang und zuletzt an schönen Tropflöchern gibt es auch auf diesem Abschnitt noch Klettergenuss.

Der mässig attraktive Start in L1 (6a) wird in der oberen Hälfte mit einer tollen Querung im Tropflochfels versöhnt.

L2, 25m, 7a+/7b: Ich kann nur empfehlen, hier bereits gut aufgewärmt und auch mental parat zu sein (nicht ganz einfach!). Der Weg zum ersten BH ist nicht eben kurz, aber im Vergleich zum Rest ist das noch Nasenwasser. Dann heisst es mittels kräftiger Kletterei in einer Linksquerung schon einmal auf die Tube zu drücken, bevor man sich beim zweiten BH vor der Cruxsequenz nochmals kurz sammeln kann. Zwingende Kletterei an kompakten Tropflochfels steht bevor. Leider fehlen die guten und horizontalen Leisten weitgehend, an seitlichen und diagonalen Strukturen gilt es den Anpressdruck für die Füsse zu generieren. Dies notabene auch zwischen und über den Haken in oft wackligen Positionen, da gilt es durchaus Mut zu beweisen. Ein Verspekulieren bei der Beta beendet meinen Onsight und sorgt für einen etwas ungeschmeidigen Abgang :-/ Im nächsten Anlauf klappt's dann und ich werde auf die etwas einfachere, aber doch auch nochmals kräftige zweite Hälfte der Länge entlassen. Fazit: ich bin mir sicher, dass diese Länge schwieriger als 7a ist, mindestens 7a+ wenn nicht sogar 7b ist hier eine sinnvolle Einstufung.

Kleingriffige, sehr technische Wandkletterei steht in L2 auf dem Programm. Solch gute Griffe, wie Jonas hier in der Hand hält, gibt's über weite Strecken nicht. Die Länge ist ein richtiger Knaller und deutlich anspruchsvoller wie der Rest der Route. Mit 7a ist da unseres Erachtens nix zu holen, mindestens 7a+ wenn nicht 7b wäre eine sinnvolle Einstufung.

L3, 27m, 6b: Den Stand nach L2 bezieht man zusammen mit der historischen Wisis Wäg, auch die ersten Meter in L3 verlaufen gemeinsam. Nach wenigen Metern zieht der leuchtende Pfad dann aber rechts weg, ein kräftiger Move von einem Untergriff hoch an eine kleine Verschneidung stellt die Crux dar. In ganz ordentlicher, wenn auch nicht bestechender Wandkletterei geht's weiter. Nach dem vierten und letzten BH legt sich das Gelände zurück und wird etwas grasig-brüchig. Wohin es gehen soll, bleibt eher unklar, gerade hoch ist aber richtig. Da trifft man dann auch noch auf eine vermoderte SU-Schlinge. Trotzdem, dieser Runout ist trotz tiefer Kletterschwierigkeit eine heikle und nicht ganz harmlose Sache.

L3 ist an beiden Enden nicht so fotogen, darum hier lieber ein Ausblick auf die spektakuläre L4 (6b+).

L4, 30m, 6b+: Eine fantastische Seillänge! Steil geht's los, an Querbänder-Henkeln (fast wie am Ofen!) gewinnt man aber mühelos an Höhe. Auch die folgende, eher plattige Zone ist gut strukturiert. Fordernd wird es erst dort, wo die Wand aufsteilt und ultrascharfer Korallenfels folgt. Sowas schmeckt bekanntlich nicht allen Mündern, mir jedoch sehr: lieber scharf am Fels als im Gaumen, Erinnerungen ans Rothorn oder an den Pic de l'Aigle kommen auf. Man kann jedoch nicht nur in diesen schwelgen, ein wenig Festhalten muss man sich auch noch und v.a. die Linie erkennen. Hier sind übrigens zwei strategisch platzierte Alpinexen durchaus vorteilhaft, um sich nicht an der finalen Kante über Seilzug zu nerven. In der Literatur ist diese Länge mit 6b angegeben. Sie ist gut machbar, aber klar schwieriger wie L3 und L5, deshalb unsere Einstufung von 6b+.

Die Gegenperspektive mit megamässiger Tropflochkletterei in L4 (6b+).

L5, 20m, 6b: Dieser Abschnitt hat sein Pulver recht schnell verschossen. Der Auftakt in steiler Wand fordert aber noch einen zünftigen Blockierer, das folgende Dächli präsentiert sich hingegen griffig, bevor es dann nach der gebohrten SU (für ein wenig Wendenfeeling?!) noch Genusskletterei im wunderbar vom Wasser strukturierten Fels gibt. Ein bequemer Stand auf einem Band beschliesst das Erlebnis, dort wäre auch das Routenbuch. Der Gamellendeckel wurde aber offenbar woanders gebraucht, dementsprechend ist die Büchse leer.

Schade, es wäre spannend gewesen, etwas über die Begehungsfrequenz der Route zu erfahren.

L6, 25m, 6c+/7a: Wow, was für ein Abschluss! Erst hinauf an der Kante, dann in die rechte Wand, welche kurz mit einem Riss aufwartet. Dieser führt hinauf in einen Dachwinkel, unter welchem offenbar oft das Wasser rausdrückt. Der Fels ist da rasch mal ziemlich staubig - der Wulst rechts will geentert werden, was in erster Linie ein Entschlüsselungsproblem ist. Für die folgende Bouldercrux über ein Dächli hinweg ist hingegen viel Kontraktion im Bizeps gefragt - geile Passage! Das gilt auch für das luftige Finish, wo es an Schlitzen, Untergriffen und ein paar Slopern powerig dranbleiben heisst. Alles in allem: kein Geschenk für 6c+, wir meinen eher 7a, der offizielle Grad weicht aber nicht so stark von der Realität ab wie in L2.

Che spettacolo! Marcel packt gerade die entscheidende Sequenz in L6 (6c+/7a) an.

Um 14.20 Uhr hatten wir nach 3:30h der Kletterei das Top erreicht. Während das Klima in der Wand weitgehend angenehm bis sehr angenehm gewesen war, pfiff da oben ein zügiger Föhn. Wir erwogen kurz, ob wir gleich über die Route, oder über die 10m weiter westliche beginnende Piste abseilen sollten. Die letztere war unsere Entscheidung - das bedeutete dann auch, keinen Rotpunkt-Go in L2 mehr zu geben, um noch einen stilreinen Gesamtdurchstieg der Route notieren zu können. Naja, passt schon, da muss ich halt ein anderes Mal wiederkommen ¯\\_(ツ)_/¯ Das Abseilen in 3 Manövern (45m, 45m, 40m) ging zügig, wobei die Standplätze auf dieser Piste aus alter Ware bestehen und auch nicht besser wie jene auf der Route sind. Vermutlich wäre es bequemer, gleich über die Sendero Luminoso in die Tiefe zu gleiten, das sollte ebenfalls in 3 Manövern klappen.

Jonas kurz vor dem Top der Route in L6 (6c+/7a) - Windstopper montieren war definitiv notwendig.

Am Einstieg war es windstill und warm. So konnten wir das Ambiente noch ein wenig geniessen, bevor wir kurz übers Geröll zu den deponierten Brettern abstiegen. Am Südhang hatte der Schnee inzwischen aufgeweicht. Das war aber kein Vorteil, da man so aufpassen musste, um Steinkontakt zu vermeiden. Im flacheren Gelände unterhalb gab's dann für ca. 15 sulzige Schwünge sogar noch etwas Fahrspass, bevor die etwas holprige Schussfahrt retour zur Bergstation folgte. Ja, zu Fuss wäre es an diesem Tag auch gegangen, insgesamt waren die Ski aber bequemer und auch schneller. Mit dieser Erkenntnis konnten wir zusammen mit 3 Bergbauern, 2 Hunden und einer Ladung an Alpkäselaiben zu Tale gondeln. Das war nicht ganz so aussergewöhnlich wie eine frühere Fahrt, wo ein Kalb mit uns in der kleinen Kabine transportiert wurde. Für gute Unterhaltung war aber gesorgt: es sind immer wieder spannende Augenblicke, wenn sich das Leben von uns Touristen und den lokalen Landwirten im Mikrokosmos der Bahn für einen Moment gemeinsam bewegt.

Tolles Ambiente am Einstieg - die Bergstation der Bahn liegt vorne an der Geländekante.

Facts

Ruogig / Selezerflue - Sendero Luminoso 7a+/7b (6c+/7a obl.) - 6 SL, 180m - Bircher/Knechtli/Siegel 1993 - ***,xxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, Cams/Keile nicht nötig

Eine typische Schächentaler Kletterei, weil sie wie ortsüblich Abschnitte mit erstklassigem, strukturiertem, wasserzerfressenem, tropflochigem Fels bietet. Wie so oft fehlen aber auch ein paar rustikale und weniger schöne Passagen nicht - insgesamt aber eine absolut lohnende Sache, wo kurzfristig sogar etwas Wendenfeeling aufkommen kann. Zur Absicherung: diese ist grundsätzlich ganz ordentlich und vernünftig. Die Crux in L2 ist halt einfach anspruchsvoll und auch zwischen den Bolts richtig taff, die untertriebene Bewertung aus der Literatur ist darüber hinaus zu berücksichtigen. Weiter sind die einfacheren Hälften von L1 und L4 im fünften Grad ungenügend gebohrt und etwas heikel, legen kann man dort auch nix Schlaues. Zu erwähnen ist auch, dass die Galva-Kombo mit goldig verzinkten Bolts und rostfreien Plättli die 32 Jahre seit der Erschliessung recht gut überdauert hat. Man kann die Route noch gut klettern, Sanierungsbedarf besteht trotzdem. Das trifft auch für die Standplätze zu. Die Plättli mit kleiner Öse sind mit alten Schlingen zugemüllt, allenfalls ist noch ein alter Schnapper vorhanden - das ist nicht mehr State of the Art. Leider ist die Führerliteratur zu diesem Gebiet entweder veraltet oder dann unvollständig und schlecht. Am besten sind der Extrem Ost (2013) und der Kletterführer Schächental (2005). Alternativ der Uri Excellence oder das SAC Tourenportal, wo sich ein PDF von Alpine Touren Zentralschweizer Alpen Oberalpstock / Windgällen (2010) auffinden lässt. Darum hier im Anschluss ein präzises, schematisches Topo (PDF-Download).

Das Topo zur Sendero Luminoso an der Selezerflue im Ruogig (hier als PDF).

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