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Dienstag, 23. April 2024

Gastlosen - Ground Zero (7b+)

Wenn man (wie er) nur sporadisch zum Klettern komme, dann müsse es eine richtig kernige Tour sein, so war die Logik meines Kletterpartners. Meinerseits war ich viel mehr eingelullt im Sportklettern und den dortigen Projekten, so hätte ich mich vermutlich auch mit einem gemütlichen Sonntagsausflug zufrieden gegeben. Umso besser, wenn man Kollegen hat, die einem sagen, was zu tun ist 😁 Denn auf meiner Projektliste figurierte die im 2021 erschlossene Ground Zero natürlich auch: sie ist eine der längsten Routen an der Gastlosenkette und die Namen der Erschliesser bürgen für eine "Top Büez", wie wir zuletzt im Gantrischmassiv in Erfahrung bringen konnten.

Blick auf die Marchzähne an den Gastlosen mit dem Verlauf von Ground Zero.

In höchst freudiger Erwartung fuhren wir der Destination entgegen, endlich wieder einmal auf Felskontakt plangend (Viktor) bzw. "gut aufgewärmt" von den Efforts am Vortag (Marcel). Interessant auch, dass wir quasi gleich nebenan mit der Nikita unsere erste gemeinsame Tour unternommen hatten. Die Anfahrt zum Ausgangspunkt beim Parkplatz Oberberg an der Kantonsgrenze BE/FR (ca. 1490m, Taxe 7 CHF/Tag, bezahlbar mit Münzen oder Twint) war zwar weit, verlief aber smooth. Also eigentlich bis auf die Tatsache, dass unten beim Abzweig (P.1133) ein offenbar ganz neues Schild steht, welches ein Fahrverbot für Motorfahrzeuge im Winterhalbjahr (bis am 15.4.) verheisst. Sollte dies mehr als nur eine Empfehlung sein, so müsste beim nächsten Mal das E-Bike mit - denn die etwa 5km und fast 400hm auf der geteerten Strasse betrachtet wohl niemand als willkommenes Fitnesstraining beim markant verlängerten Zustieg. Dieser beträgt nämlich normal nur 20 Minuten, welche aber zum Schluss über loses Geröll doch noch etwas mühsam werden. Eine weitere Erschwernis besteht potenziell durch einen Felssturz, welcher sich im 2023 an der Glattewandspitze ereignet hat. Wir konnten im Gelände aber weder sehen wo, noch waren bei unseren Zustieg irgendwelche Trümmer sichtbar (die Route Ground Zero ist mit Sicherheit nicht betroffen bzw. gefährdet). Um 9.15 Uhr hatten wir uns dick mit Sonnencrème eingeschmiert und die weiteren Vorbereitungen abgeschlossen, so dass wir bei sehr sommerlichen Temperaturen loslegen konnten.

Unzweifelhaft, hier geht's los!

L1, 20m, 5b: Kurze Zustiegslänge zum wesentlichen Business, welche zur Toto Pépone gehört. Der Fels ist eher unschön-splittrig, so dass sich auch die Absicherung als distanter anfühlt, wie sich beim Anblick von unten präsentiert. Zudem hätte ich eher mit 6a bewertet - aber alledem zum Trotz, dieser Abschnitt wird für ernsthafte Anwärter kein Showstopper sein.

Bisschen ein alpiner Start in die Tour, der Anseilplatz da am Auslauf der Schlucht ist durchaus etwas spooky, um diese Jahreszeit befindet sich ein grosser Schneekegel gleich daneben und die erste Länge (5b) spricht dann auch gleich noch eher die rustikalen Gemüter an.

L2, 40m, 7a+: Was für eine Seillänge! Los geht's gleich mal steil-athletisch, der Fels ist mit oft diagonalen Strukturen garniert, so dass man sich sauber zu positionieren und anzupressen hat. Mittig folgen dann ein Piazriss (welcher mir wie man es schon fast erwartet trotz nicht extremer Schwierigkeiten doch einen Seufzer provoziert hat) und einen Riss an einer Rampe, wo ein paar Jams nicht schaden. Das Schlussbouquet ist dann in jeder Hinsicht die Krönung: es kommt eine Passage an Sinterbobbeln wie in Kalymnos und dann die Crux. Da heisst es erst einmal die richtige Beta zu erkennen und auch noch über die Körner zu verfügen, um sie auszuführen. Wobei dabei zusätzlich noch das Seilgewicht nach unten zieht, gut verlängert zu klippen zahlt sich bestimmt aus. Alles in allem dünkte mich dies für den Vorstieg die anspruchsvollste und zwingendste Seillänge. Aber wer weiss, vielleicht hatte ich mich danach einfach wieder an die Materie gewöhnt.

Steile Wandkletterei höchster Güteklasse mit taffem Finish in L2 (7a+).

L3, 25m, 7b+: In ähnlichem Stil geht's weiter: steile, fordernde Wandkletterei an strukturiertem Fels, wo man stets nach den Griff- und Trittmöglichkeiten zu suchen hat. Einfach vielleicht noch einen Tick schwieriger wie unten, dafür enger abgesichert. Oder war es nur die Bewertung, welche mir dies suggeriert hat?! Die Crux jedenfalls folgt bei der Überwindung des Dachs, wo ich bald einmal klein beigab. Man muss sich da an eher abschüssigen Strukturen auf Gegendruck geschickt positionieren und vor allem den richtigen Plan haben, noch dazu ohne zu wissen, wo und wie oberhalb vom Dach die Griffe kommen. Sprich, sicherlich sackschwer zum Onsighten. Nachher folgen dann noch die "einzigen 5m an klassischer Südwand-Plattenkletterei". Für meinen Teil hat das gut ausgereicht - super schlabbrig an sloprigen Vertikalstrukturen ist da das Motto.

Die super-schlabbrigen 5m an klassischer Südwand-Plattenkletterei am Ende von L2 (7b+).

L4, 35m, 6c+: Wenn man vom Standplatz aufwärts blickt, so bietet sich rechterhand eine knapp senkrechte Wand mit bestem Plattenkalk an. Links ist das Gelände steiler: ein paar grosse Löcher zieren die dortige Wand, augenscheinlich sind die Schwierigkeiten aber dort höher. Die Realität dürfte aber gerade andersrum sein und so haben die Erschliesser hier wohlweislich den linken Weg gewählt. Erst ein paar Meter einfach hinauf in die Ecke, dann sind die grossen Löcher wirklich so griffig wie erhofft (oder sogar noch besser). Dass der Ausstieg ins flachere Gelände darob aber dann ohne extreme Schwierigkeiten aufgeht, da hat wohl doch ein wenig das Glück mitgespielt. Ein seichter Schlitz an der richtigen Stelle hilft, sonst wäre es wohl gleich eine ganze Ecke schwieriger. Ganz so leicht habe ich mich da nicht getan - lag womöglich daran, dass es sehr warm war und für die sloprigen Strukturen nicht ganz optimal. In anregend-anhaltendem 6b/+ Gelände klettert man dann noch gute 15m zum nächsten Stand.

Sieht gemütlich aus, ist auch nicht so schwierig: das Finish von L4 (6c+).

L5, 35m, 6c: Insgesamt die "klassischste Seillänge". Erst verbleibt die Route in moderner Linienführung für 2 Haken noch in der rechten Wand, bevor man linkerhand den breiten Riss bzw. dessen linke Begrenzungskante gewinnt. Mich dünkte das die Crux, mein Seilpartner meinte danach, mit Offwidth-Technik (Stacked Hands) am Riss sei das "einfach". Nein, Herr Dettling hat das natürlich "ganz normal" gelöst, geht auch. Von einer Terrasse weg folgt dann ein Riss - die Felsqualität da nicht superduper. Aber doch ganz ok, der Riss klettert sich entgegen erster Befürchtungen auch sehr gutmütig, da mit scharfer Kante sehr griffig und wegstehen kann man meist auch optimal. Wenn man L5 auf 6c einstuft, so müssen die deutlich anspruchsvolleren L4 und L6 auf 7a hoch (oder umgekehrt L5 auf 6b/+ runter).

Kante oder Offwidth-Riss - jeder nach seinem Gusto! Im Bild der Start von L5 (6c).

L6, 30m, 6c+: Old-School-Kletterei versprechen die Erschliesser für diesen letzten Abschnitt hinauf zum Mini-Matterhorn. Nun, wenn eine Boulderhalle so etwas verspricht, dann beginnen meine Augen gleich zu leuchten. Hier vor Ort gar nicht mal so sehr: der wesentliche Abschnitt bietet nämlich trittarme Gegendruck-Kletterei auf eher glattem Fels, was bekanntlich eher mein Antistyle ist. Kurzzeitig heisst es auch mal ziemlich entschlossen zu riegeln, allerdings lässt es auch recht schnell wieder nach. Das technische Positionieren ist hingegen schon sehr cool! Der obere Teil ist dann einfacher und leitet hinauf zum Spitz, den bequemeren (und für die Fortsetzung idealeren) Stand findet man hingegen im Sattel gleich rechts (Fixseil und BH).

Die letzten Meter auf den Turm in Wandmitte bieten einfache Kletterei: L6 (6c+).

L7, 30m, 5c+: Die Traverse zum nächsten Stand verläuft südseitig, d.h. links und unterhalb vom Grat. Erst fast noch Gehgelände, braucht es später schon die Hände zum Festhalten und der letzte Move um die Ecke zum Stand verdient die 5c+ dann durchaus. 

Rückblick vom Stand nach L7 (5c+) auf den Turm, mit super Panorama in die Berner Alpen.

L8, 35m, 6c: Eine super schöne, luftige und extrem genussreiche Turnerei an super strukturiertem Fels. Zur Abwechslung taucht mittig noch ein wie gefräst aussehender Fingerriss auf, wo man nicht nur einige Jams platzieren kann, sondern diese wohl tatsächlich auch die kommodeste Lösung darstellen. Nur die letzten 3m hinauf zum Stand auf dem Pfeilerkopf sind dann nicht erste Sahne, da ist bei der Griffwahl etwas Umsicht nicht verkehrt und man klettert wohl besser rechtsrum über die Kante als links in die Verschneidung.

Super genussreiche Kletterei erwartet einen in L8 (6c).

Am Stand läutet das Telefon, am Draht ist die (Ruhetag haltende) Tochter. Wir hätten doch abgemacht, den Final vom Lead-WC in Wujiang zusammen zu schauen. Der sei schon im Gang und jetzt klettere dann gleich Sascha Lehmann. Ich erkläre, mit schauen sei es eher schwierig, aber radiomässiger Livestream per Telefon, das wäre jetzt beim Nachsichern durchaus machbar. So lief das und Athlet um Athlet kam an die Reihe. Ich schreibe hier jetzt aber mit Absicht nicht, wie viele ihren Final während der Zeit absolvierten, während Viktor L7 nachgestiegen ist 😁

L9, 25m, 7b+: Irgendwann ist er aber da, somit ist die Reihe wieder an mir und noch ist die Entscheidung in China nicht gefallen. Aufhängen kommt aber nicht in Frage und somit klettern Toby Roberts und Daddy zeitgleich. Den ersteren verfolgt die Tochter am Video, der zweite kann ja mündlich live berichten, wie es so geht. Bestimmt ist die Weltcup-Route sauschwer, von daher sollte Daddy mit seiner 7b+ eigentlich ein leichtes Spiel haben. Doch der Leser wird es vermuten, meine Begehung kommt deutlich schneller ins Stocken wie jene des jungen Engländers. Aber gut, der hat auch nicht gleich zu Beginn die 3pa-Stelle, welche die Crux markiert. Eine heikle, sehr griffarme, überhängende Kante wo sich bestimmt jeder Anwärter mit Blick nach oben die Strategie "Hooken" vornimmt. Es ist nicht so, dass die falsch wäre... nur ist das mit dem Hooken deutlich leichter gedacht wie getan. Sonst hilft der Griff zum Textil hier bequem zum henkligen Querriss, welcher super luftig links hinaus auf die Nase führt - spektakulär! Einmal um die Ecke rum, legt sich das Gelände stark zurück und es geht hinauf zum Stand auf einem Klemmblock über dem grossen Spalt. Als ich da ankomme, ist der gute Toby schon beim Siegerinterview.

Ab da geht's jetzt dann gleich zur Sache mit der 7b+ Crux in L9.

L10, 25m, 3a: Einfache, horizontale Traverse: zuerst verläuft dieser Abschnitt "im Berg", dann quert man wieder ausserhalb auf dem Band. Meist Gehgelände, zudem gut mit BH abgesichert.

Durch die dunkle hohle Gasse kam er: Horizontaltraverse in L10 (3a).

L11, 30m, 7a: Nun gilt's aber nochmals ernst: los geht's rechterhand mit einem breiten Riss. Im Angesicht der Tropflöcher rundherum hat (soweit ich weiss) sogar Viktor im Nachstieg auf die Stacked Hands verzichtet. Später ist fertig Riss und die Steilheit legt nochmals eine Schippe zu. Ein Wanderl verlangt ein paar anhaltende Moves an fetzenscharfen Tropflöchern à la Rothorn. Geilo, da wird geprüft, wie viel Energie noch im Tank ist! Schliesslich verlässt man diese Passage zu Gunsten der breiten Rinne rechts - für den Nachsteiger kurz gar nicht mal so optimal gesichert, da bei den schwierigen Moves ein etwas unangenehmer Pendler droht. Einmal drüben dann relativ easy zum Stand, wo noch ein etwas ätzender und zwingender Move wartet.

Die im Text erwähnte Stelle in L11 (7a), welche für den Nachsteiger nicht ganz so angenehm ist. Schon vor der Kante nicht einfach, darum herum erst recht nicht - und wenn's nicht gelingt, so gibt's einen zwar nicht gefährlichen, aber irgendwie doch ungeschmeidigen Pendler.

L12, 35m, 7a: Nochmals steil geht's los, die Unterarme werden aber nicht einer ganz so harten Prüfung unterzogen wie befürchtet. Man befindet sich in einer Art Winkel und kann es gut wegstehen, zudem hat's super griffige Strukturen und ein paar megacoole Löcher. Vermeintlich geht's dann um die Ecke in sich zurücklegendes Gelände. Nicht ganz falsch, aber die Schwierigkeitsreduktion gibt's nicht so wie erhofft. Erst nochmals steil und doch etwas pumpig an Seitgriffen, zuletzt an einem Wulst die Füsse raufbringen und um die Ecke auf die wasserrillige Abdachung kommen, das stellt die Cruxzone dar. Das geneigte, wasserzerfressene Gipfeldach klettert sich dann easy (~5b), erst aufwärts, dann stark nach rechts traversierend (strategisch klippen, sonst starker Seilzug). Der letzte Stand befindet sich an einem Turm rechts von einem Grascouloir, etwas rechts um die Ecke.

Nach L12 (7a) ist der Gipfel erreicht - trotz Schneeresten im Background, es war alles andere als kalt.

Um 17.45 Uhr sind wir nach 8:30h Kletterei am Top. Tönt jetzt nicht gerade nach einer Speedbegehung, aber dass es gleich so lange gedauert hat, hätte ich subjektiv nicht gedacht. Sprich, es lief eigentlich alles ganz flott. Der amerikanisch geprägte Optimist würde von einem 99% Free Ascent sprechen, de fakto waren es nämlich effektiv ca. 4m (auf 400m), welche mir nicht auf Anhieb gelungen sind. Diese beiden 7b+ Stellen sind aber schon harte Knacknüsse, alles andere als onsightfreundlich und zudem noch komplett ohne Kletterspuren. Weil dieser Grad selbst bei optimalen Voraussetzungen im Klettergarten so in etwa First-Go-Limit darstellt, würde es schon eher an ein Wunder grenzen, das im MSL-Setup einfach gleich so rasch mal wegzuspitzen... Somit wartet die Route weiterhin auf die erste komplette RP- oder gar Onsight-Begehung aller Seillängen an einem Tag. Trotzdem trugen wir mit Freude und Stolz die 7. Begehung ins Routenbuch ein, machten noch den kurzen Abstecher zum Gipfel des Grand Grenadier und warfen dann bald einmal die Seile aus, um in die Tiefe zu gleiten. 

Sowieso eine fantastische Gegend und dann haben wir noch einen absoluten Traumtag erwischt!

Im oberen Routenteil vollzieht sich dies über eine routenunabhängige Piste. Deren erste Zwischenstation befand sich nach 45m eher weiter rechts (facing the wall, d.h. Richtung NE) als ich gedacht hätte. Vor dem Seilabziehen beschlich uns dann ein etwas mulmiges Gefühl. Bliebe es irgendwo hängen, so wären wir da, abseits von einer anderen Route und mit der nächsten Station 45m weiter unten, subito in der Patsche und kämen kaum mehr ohne fremde Hilfe vom Berg. Aber es ging alles glatt und ich konnte mich auf die Suche nach der nächsten Station machen. Nun ja, meistens werden Abseilpisten auf diesem Blog nicht so ausführlich mit Absätzen gewürdigt und so mag sich der Leser schon denken, was nun kommt. Jedenfalls bin ich mal 45m abgefahren und es war kein Stand in Sicht. Die Konsultation des Topos hiess mich, weiter nach links (d.h. Richtung SW) zu pendeln. Und tatsächlich, da steckten zwei nackte Dübel. Mein Gedanke: "so ein schräger Abseiler ist ja doch eher ungünstig, also wurde dieser Abseilstand wohl an einen besseren Ort verlegt". Doch alles Suchen half nichts, eine Weile später war ich mir schliesslich sicher, dass es tatsächlich keinen anderen Stand gibt. Das bestätigte mir unmittelbar darauf auch der Erschliesser Adrian mit seinem Rückruf. Die nackten Dübel seien der richtige Ort, da müsse jemand den Stand willentlich demontiert haben 😨

Hm ja, das war jetzt wirklich eine ziemlich suboptimale Situation...

Zum Glück baumelte die Lösung zu diesem Dilemma am Gurt: der Grübler, der mit einer M10-Lochung (behelfsmässiger 17er-Schlüssel) ausgestattet ist. Die Strategie war klar: am oberen, kompletten Stand ein Plättli mit Mutter mitnehmen und unten montieren. Das klappte wie gewünscht, trotz etwas Nervosität und leicht zitternder Hand trat auch weder Mutter noch Lasche den befürchteten Weg in die Tiefe an. Auch das nochmals heikle Seilabziehen verlief eventfrei und so waren wir wenig später "back on track", d.h. zurück am Mini-Matterhorn in Routenmitte und konnten ab da über die Route zurück zum Einstieg seilen, wo wir schliesslich um 19.30 Uhr den Fuss auf den Boden setzten. Nun war es nur noch ein Katzensprung retour zum Parkplatz, bevor noch ein langer Heimweg wartete. Die Kehle musste noch eine Weile durstig bleiben (Tankstellenshops sind im Kt. Fribourg sonntags ab 19.00 Uhr zu 😬), aber bald fuhren wir in Berner Gefilden und konnten wie gewünscht hydrieren. Wow, das war ein echt cooler Auftakt in die seriöse MSL-Saison 2024 gewesen!

Ohne den Grübler mit der M10-Lochung wären das Abseilen an den Prusikschlingen oder der Helikopter wohl so in etwa die gängigsten Optionen gewesen. Oder hätte sich vielleicht doch noch eine andere Möglichkeit ergeben... Gut, dass wir dies nicht ergründen mussten.

Hinweis: die Erschliesser sind über die inkompletten Abseilstände informiert und wollen die Sache so bald wie möglich in Ordnung bringen. Da es sich um Locals handelt, wird das sicher bald der Fall sein. Sprich, bevor die nächste Seilschaft in der Route klettert. Ich werde an dieser Stelle informieren und sowieso: nachdem wir ein Plättli umplatziert haben, ist das Abseilen möglich. 2x halt nur an einem Einzelbolt, aber es handelt sich um moderne, rostfreie BH welche in solidem Fels stecken, ein überschaubares Risiko also. A propos, ein "Notfallkit" (Grüber mit M10-Lochung, Plättli, Mutter, Messer und etwas Reepschnur) wiegt nur wenig und bietet in Fällen wie oben noch Optionen, wo sonst potenziell nur noch die Rettung hilft. Immerhin war bei uns mit dem Grübler der wichtigste Teil dabei... den Rest werde ich zukünftig wieder konsequenter mitnehmen.

Update vom 27.5.2024: Wie schon im Kommentar von Christian vom 10.5.2024 erwähnt, sind die Abseilstände nun wieder komplett ausgerüstet - vielen herzlichen Dank dafür. Beim zweiten Abseiler gibt es einen Zwischenstand, um diese Strecke in zwei Etappen aufzuteilen und so das Risiko eines Seilverhängers beim Abziehen zu minimieren. Entscheide selber, ob du diesen nutzen willst. Hier der Link zum neusten Routentopo, das ich von Erschliesser Adrian zugesandt erhalten habe. Der erwähnte Zwischenstand zum Abseilen ist dort eingezeichnet. Ebenso wurde der Text leicht angepasst, zudem wurden einzelne Bewertungen geändert (L5 von 6c zu 6b+, L6 von 6c+ zu 7a, L12 von 7a zu 6c+). Mein Blog bleibt jedoch in der Originalfassung, da er eine Momentaufnahme unseres Erlebens repräsentiert.

Facts

Gastlosen/Grand Grenadier - Ground Zero 7b+ (6c obl.) - 12 SL, 400m - A.Voegeli & A.Klaus - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 16 Express, evtl. Cams 0.3-1

Super lässige, genussreiche und imposante MSL-Sportkletterroute mit hervorragender Absicherung. Durch die sonnige und relative tiefe Lage ein ideales Ziel für früh oder spät in der Saison. Die Kletterei ist meist steil, griffig und bietet viel Abwechslung: Leisten, Löcher, Aufleger, scharfer Tropflochfels, Tufas, Risse und Verschneidungen trifft man unterwegs an. Die Absicherung mit rostfreien BH ist einwandfrei. Die Abstände sind nie weit, trotzdem muss man auch einmal ein wenig klettern zwischen den Haken. Hier und da könnte man schon etwas legen - wirklich nötig ist es nicht, wir führten keine Cams mit und haben sie nicht vermisst. Das V2-Version vom Fototopo der Erschliesser ist hier unterhalb abgebildet. Inzwischen gibt es eine neuere Version V3, das man hier als PDF beziehen kann.

Das Topo der Erschliesser, vielen herzlichen Dank für eure Arbeit!


Freitag, 7. Juli 2023

Gastlosen - Voie des Biennois (7b+)

In den letzten Wochen herrschte bei uns Ausnahmezustand. Der war darin begründet, dass Larina das Schweizer Nationalteam an drei European Youth Cups im Leadklettern vertreten durfte 😍 Mit der Selektion, allen Trainings, Vorbereitungen und der Begleitung zu den Wettkämpfen blieb mir zum Bloggen keine Zeit und auch meine persönliche Kletterei stand weniger im Vordergrund. Immerhin, quasi "auf dem Heimweg" von der Comp in Saint-Pierre-en-Faucigny hatte ich die Gelegenheit, noch eine Route in der westlichen Landeshälfte oder im angrenzenden Ausland klettern. Logischerweise war es eine organisatorische Herausforderung, noch dazu gab es Last-Minute-Planänderungen, so dass die Sache schliesslich zu den Gastlosen konvergierte. Für einen warmen Sommertag ist deren NW-Seite definitiv eine sehr geeignete Destination. Die Wahl fiel schliesslich auf die Voie des Biennois am Gross Turm, welche 1961 als klassische Kletterei mit Schlaghaken und sehr abenteuerlichen Fortbewegungs-BH eröffnet worden war. In den letzten Jahren wurde das Equipment modernisiert, für die Freikletterei optimiert und eine teilweise neue Linie gefunden. Bei einem Grad von 7b+ liebäugelt man gerne mit einem freien Gesamtdurchstieg und genau das wollten wir probieren.

Der begeisternde Blick auf die Gastlosenkette vom Ausgangspunkt Chli Sattel.

Zu Anreise und Zustieg gibt's nicht viel zu vermerken - es war erst mein zweiter Besuch an der Gastlosen NW-Seite. Da kann ich keine Insider-Tricks geben, wir hielten uns an die Literatur. D.h. Ausgangpunkt bei Chli Sattel (1430m), dann zum Chalet du Soldat (1751m) und über den in der Landeskarte verzeichneten Climbers Trail zur prominenten und im Aufstieg sichtbaren Wand (1880m). In zügigem Schritt brauchten wir ca. 40 Minuten für die 450hm. Der Wandfuss ist als Sportklettersektor eingerichtet - das scheint am Fusse einer 250m hohen Wand aus Alpinisten- und MSL-Sicht ein wenig "lazy" 🦥 Doch es ist ein bequemer Platz, schön schattig und eben, dazu hat der untere Wandteil richtig Schwung, somit macht es absolut Sinn. Für uns galt es noch, den richtigen Einstieg zu identifizieren. Von Wand über überhängende Verschneidung bis zu Fingerriss gibt's da mancherlei Option im untersten Stockwerk. Schliesslich waren wir uns nach einer Analyse trotz eher rudimentärem Fototopo sicher, wo es losging. Präzise Informationen zu diesem Sektor und dem Einstieg der Biennois wären übrigens im brandneuen Extrem West Band I von Filidor zu finden. Um 9.45 Uhr stiegen wir ein.

Der Gross Turm mit dem Verlauf der Voie des Biennois.

L1, 25m, 6c: Ja, der markante Fingerriss gleich links der überhängenden Verschneidung ist es - was die Bewertung von 6c gleichzeitig beruhigend wie unberuhigend macht. Denn der Riss sieht irgendwie grausam glatt und kompromisslos aus. Zu des Sportkletterers Glück lässt es sich dann jedoch weitestgehend in normaler Wandkletterei moven. Der Riss ist nämlich effektiv glatt und seifig, da ist man froh, nicht ausführlich auf Jams angewiesen zu sein. Mich dünkte die Sache doch ordentlich pumpig, irgendwie war der Grip so richtig ätzend schlecht und ich musste tiefer in die Tasche greifen wie in dem Grad üblich 🥵 Vielleicht eher eine 6c+?

L1 (6c) ist steil und kam mir sehr pumpig vor!

L2, 50m, 6b+: Hier hatten wir mit unserem Fototopo, das nur eine einzige Linie ausweist, kurz etwas Orientierungsschwierigkeiten. Als Fortsetzung von L1 liessen sich nämlich ca. 4 verschiedene Linien klettern. Die Biennois quert 5m horizontal nach rechts und nimmt die Fixé-Plättli, die erst Wandkletterei bieten und ultimativ in eine Verschneidung führen. Diese in anhaltender, aber nie extremer und vor allem sehr interessanter 3d-Kletterei hinauf, meist ist der Fels toll strukturiert und der Riss prima griffig. The Meat of the Pitch ist das Dach ein paar Meter vor dem Ende der Seillänge. Nach meinem Empfinden deutlich leichter wie L1.

Schöne Wand- und später Verschneidungskletterei in L2 (6b+).

L3, 25m, 7a oder 7b (?): In dieser Seillänge wurde die Route augenscheinlich schon zu einem früheren Zeitpunkt saniert und mit einer neuen, für die freie Kletterei besseren Linienführung optimiert. Das bedeutet dafür weitere Hakenabstände, gerade der zweite Klipp ist durchaus etwas engagiert. Die Wandkletterei im scharfen Tropflochfels ist aber genial. Nach einer Rastposition geht's dann in die zweite Wand hinein - kräftige Tropflochpuncherei mit einem erneut recht engagierten Klipp führen zur Crux. Da lässt sich die Sache dann kaum mehr mit Kraft wegdrücken und es wird verdammt knifflig. Mein Onsight-Go endet mit dem Move an die grundsätzlich rettende Kante, wobei die von mir gewählte, offensichtliche (oder vielleicht besser "in Spekulation und Hoffnung auf den Henkel") Beta halt einfach keine machbare Lösung darstellt. Summa summarum finde ich die Bewertung von 7b oder 6c A0 laut altem Topo passender wie jene im neuen (7a oder 6b+ A0).

Too much information?!? Ein genaues Studium des Fotos hilft womöglich beim Ausstieg aus der Cruxpassage in L3 (7a oder 7b, von mir aus gesehen eher zweiteres). Wobei das Foto dann vermutlich höchstens dazu hilft, nicht machbare Lösungen zu erkennen...

L4, 35m, 6c A0 oder 7b+ (?): Der Stand bietet eine bequeme Ruheoase, wo man sich auf die Crux vorbereiten kann. Wobei sich diese vorerst nicht zeigt, denn dass die Verschneidung ob dem Stand nicht die 7b+ ist, lässt sich zweifelsfrei prognostizieren. Wobei der Fels aufgrund seiner Glattheit diese Passage doch schwieriger macht, wie man zuerst gedacht hätte - lässig zu klettern ist der Part aber absolut. Auch dass es später beim Linksknick nach dem Zwischenstand verdammt schwierig wird, braucht dann keinen Propheten. Die Stelle ist uns schliesslich auch nach längerem Tüfteln und Probieren aller erdenklicher Beta nicht frei gelungen. Das passiert in einer 7b+ sonst nicht - ob das als Richtschnur für eine höhere Bewertung dient ist zwar durchaus fraglich. Jedoch sollte man sich als Normalsterblicher vielleicht nicht zu viel Hoffnung machen, diese Stelle klettern zu können, schon gar nicht im Onsight. Es hat den Charakter von einer extremen Zauberstelle, welche zudem sehr 'aleatory' scheint. Angetreten wird auf der äusserst glatten Seitenwand, dann heisst es von quasi inexistenten Griffen den nötigen Druck auf die Sohlen zu bringen und gleichzeitig weite Moves nach oben zu machen ohne dass die Füsse wegflutschen. Nach ca. 2m geht's wieder "normal schwierig" (ca. 6c) weiter. Der Fels ist wieder strukturiert, bietet lässige 3d-Kletterei, die durchaus etwas Engagement erfordert. Fast ein wenig schade, dass die Natur hier kurz mit den Strukturen gegeizt hat.

Ergänzung: erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass der Originalparcours der Biennois vom Zwischenstand in einer Rechtsschleife hochführt. Dieser Abschnitt wurde inzwischen auch saniert und ist als 6b bewertet. Somit kann man die für uns nicht frei kletterbare 7b+ Crux umgehen.

Sowas à la Raupentechnik hilft am Anfang von L4 (6c A0 oder für uns nicht nachvollziehbar, 7b+).

L5, 40m, 6b+: Hier trifft man mit der 2ème à Emile zusammen. Offenbar führt(e) die Biennois original dem sehr alpinen Schuppensystem entlang gerade hoch, was aber auch modernen Gesichtpunkten keine lohnende Kletterei darstellt. Die neue Variante geht in der linken Verschneidung den Fixé-Plättli entlang. Eine klassische Linie, überaus steil, cool zu klettern! Dank dem meist sehr griffigen Riss und den stets guten Trittmöglichkeiten zwar durchaus athletisch und luftig, jedoch ohne extreme Schwierigkeiten. Zu erwähnen ist, dass der Fels bisweilen etwas mehlig-belagig ist, passt aber schon. Ebenso wurde zum Zeitpunkt unserer Begehung kürzlich geputzt, so dass auch teilweise der Dreck rieselte und für noch etwas alpinere Verhältnisse sorgte (das dürfte sich bestimmt wieder legen).

Steile, klassisch anmutende, aber gut eingebohrte Verschneidung in L5 (6b+).

L6, 40m, 5b: Ab hier legt sich das Terrain zurück und wird auch weniger lohnend - der Weiterweg zum Gipfel gehört aber absolut dazu und wird in der letzten Seillänge auch nochmals belohnt. Erst links in gutgriffiger Wandkletterei über die gut sichtbaren Haken, womit man eine ziemlich grasige Rampe erreicht. Auf dieser nach links aufwärts, die Bolts sind dabei wie auch der Stand auf der rechten Seite zu suchen (nicht so gut sichtbar). Ein letzter Hinweis noch: das Sanierungstopo der 2ème à Emile zeigt deren Routenverlauf im oberen Teil sehr ähnlich wie bei der Biennois, aber in verschiedenen Details doch nicht 100% deckungsgleich. Ob sich da nun tatsächlich 2 unterschiedliche Linien befinden oder nicht, kann ich beim Schreiben dieses Blogs nicht wirklich klären.

Sieht gar nicht so nach "Gelände legt sich zurück" aus: L6, 5b.

L7, 50m, 6a+: Hier folgt ein durchaus nochmals lässiges Schlussbouquet. Erst wenige Meter weiter der Rampe entlang, dann rechts die Seitenwand erklettern, um eine grasige Fläche unter der markanten Rissverschneidung zu erreichen. Der breite Riss klettert sich lässig, wenn auch ein wenig mit Techniken 'à l'ancienne'. Die BH sind da zwar nicht weit auseinander, aber aufgrund vom Seilverlauf führt ein Sturz in der Crux auf den ersten 5-7m vom Riss doch mit einer nicht zu vernachlässigenden W'keit zurück auf den Grasboden. Wer dies Entschärfen will, kann Cams der Grösse 3 und/oder 4 shuffeln - zwingend ist das nicht, wer den Grad einigermassen im Griff hat, verspürt wohl einige aufgestellte Nackenhaare, aber nicht Lebensgefahr. Zum Ende hin dann wieder etwas flacheres Gelände und etwas Gras zum Abschluss-Kettenstand bei kleiner Föhre am Grat.

L7 (6a+) kriegt man nicht adäquat vor die Linse. Unten das Chalet du Soldat.

Um 15.00 Uhr hatten wir nach 5:15h der Kletterei das Top erreicht. Tönt nach ziemlich lange für die bloss 7 Seillängen. Die Erklärung dazu: die meisten SL sind relativ lang und anhaltend steil, wir hatten uns nicht übermässig gestresst und auf eine komplette RP oder zumindest freie Begehung aspiriert. Und natürlich hatten wir auch die Zeit dazu gehabt. Gerade zum Zeitpunkt unseres Ausstieg begann die Sonne, die Wand zu bestreichen. Wir indessen stiegen die wenigen Meter zum Gipfel des Gross Turms hinauf, um das vollständige Panorama zu bewundern. Retour ging es auf dem gleichen Wege, in 6 Manövern (zuletzt über einen routenunabhängigen Stand) geht's zurück an den Einstieg. Wobei sich zeigte, wie steil die Wand doch ist. Der Schlappen, der an Stand 5 vom Fuss rutschte, fiel im freien Fall zu Boden und traf etwa 15m vom Einstieg entfernt auf - was übrigens auch die Steinschlaggefahr für allfällige Sportkletterer in den Baseclimbs relativiert. Um 16.30 waren wir schliesslich retour am Parkplatz und machten uns auf den ziemlich langen Heimweg. Auch mein (erst) zweiter Ausflug an die NW-Seite der Gastlosen hatte mich begeistert. Auch wenn's nicht gleich um die Ecke ist, da komme ich sicher wieder hin - es gibt noch viel zu tun!

Facts

Gastlosen / Gross Turm NW-Wand - Voie des Biennois 7b+ (6c obl.) - 7 SL, 255m - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 15 Express

Eigentlich eine klassische Kletterei aus dem Jahr 1961, welche über weite Strecken einer naturgegebenen Verschneidungslinie folgt. Dazwischen gibt es diverse Passagen in Wandkletterei und zusammen mit einer üppigen Sanierung (leider verzinktes Material) mit teilweiser Linienverbesserung sprechen wir heutzutage von einer aus modernen Alpinsportkletterperspektive tollen Unternehmung. Die Felsqualität ist im unteren Teil sehr gut bis super, zudem sind die ersten 5 SL überaus steil, für Ambiance ist also gesorgt. Oben wird es dann ein wenig klassisch-alpiner mit stellenweisen Grasbewuchs, das passt aber schon. Die Hakenabstände sind meist klettergartenmässig eng gehalten, trotzdem besteht ein gewisser Anspruch an den Vorsteiger, so 6b+/6c obl. kommt durchaus hin. Cams und Keile könnte man wiederholt anbringen um für noch kürzere Sicherungsabstände zu sorgen, nötig ist dies jedoch nicht (wir hatten kein mobiles Material dabei). Zur Route gibt es 2 unterschiedliche Online-Topos mit auch unterschiedlichen Bewertungen. Aus unserer Sicht passen die älteren Bewertungen (L3 als 7b oder 6b+ A0, L4 als 6c A0) besser wie die neueren und tieferen. Vielleicht ist die Route sowieso am lohnendsten für eine 7a-Kletterer, der in L3 und L4 zwei Stellen à je 3m hakentechnisch macht. Denn ob's für einen 7c-Kletterer frei geht, steht dann doch eher in den Sternen... Anbei mein schematischer Toposudel (vielleicht hilft's ja für mehr Klarheit in der Wand) und die beiden erwähnten Fototopos. Ebenfalls hilfreich sein kann das Sanierungstopo zur 2ème à Emile.

Meine persönliche, schematische Toposkizze der Biennois.

Älteres Fototopo zur Biennois, für mich passen da die Bewertungen von L1-L5 (Quelle)
Das neuere Fototopo zur Biennois. 7a hard in L3 und L4 war für uns definitiv A0 (Quelle)

Dienstag, 11. Juni 2019

Gastlosen - Nikita (7b)

Die Nikita an den Gastlosen, wie oft habe ich die schon ins Spiel gebracht, als es um die Auswahl einer MSL-Route ging?!? Es muss wohl unzählige Male gewesen sein. Immerhin geht ihr der Ruf voraus, eine der besten und längsten Routen auf der Südseite der Gastlosen zu sein. Doch jetzt, an Auffahrt 2019, wo in vielen Gebieten noch zu viel Schnee zum MSL-Klettern lag, war der Zeitpunkt gekommen. Tatsächlich trafen wir vor Ort auf beste Bedingungen und die 17 SL Kletterei in prima Kalk erfüllten unsere Ansprüche vollends.

Routenverlauf der Nikita an den Marchzähnen in den Gastlosen. Die ersten 2.5 Seillängen sind auf dem Foto nicht einsehbar.
Unsere Tour begann um 8.50 Uhr beim kleinen Parkplatz an der Kantonsgrenze BE/FR auf 1480m. Dieser ist bald einmal komplett gefüllt und da ausserhalb davon Parkverbot herrscht, kann man bereits bevor es losgeht auf erhebliche Schwierigkeiten treffen. Dies betraf uns zum Glück nicht. Ebenso ist man geheissen, 7 CHF in Form von Münzen in die montierte Kasse zu werfen. Da die Parkgebühr anonym einkassiert wird, kann nicht kontrolliert werden, wer bezahlt hat und wer nicht. Viele wird es wohl dazu verführen, sich den Obulus zu sparen. Nein, eine Busse gibt's logischerweise keine. Aber der Kassenwart zählt halt einfach das Geld in der Kasse und die Anzahl vorhandener Autos. Gibt's einen Fehlbetrag, so sind "die Kletterer" die Schuldigen und die langfristigen Folgen kann man sich leicht denken. Also, bitte bezahlen!!!

Endlich folgt nach dem regnerischen Mai 2019 ein herrlicher Tag. Es kann losgehen mit der MSL-Saison!
Der Anmarsch ist dann eine kurze Sache. Aufgrund mühsam zu begehender Geröllreissen sollte man sich davor hüten, sich (zu) direkt zum Einstieg heranzupirschen. Besser ist eine Linksschleife, d.h. erst die Wegspur Richtung Oberbergpass verfolgen und dann am Wandfuss queren. Weil im Boden unterhalb der Wände noch recht viel Schnee liegt, sind wir bald off-track unterwegs. Ist aber nicht weiter wichtig, nach 20 Minuten sind wir am Einstieg, der aktuell noch recht gut lesbar mit goldener Farbe beschriftet ist. Allzu lange brauchen wir nicht, bis wir parat sind, um 9.30 Uhr geht's los. Allerdings sollte man sich auch nicht zu lange und auch nicht zu unvorsichtig im Einstiegsbereich aufhalten. VORSICHT: dieser ist genauso wie die ersten 4 SL etwas dem Steinschlag aus dem markanten Couloir ausgesetzt. Nie ohne Helm und bei ungünstigen Verhältnissen (Schneereste, Gewitter) wird es auf diesem untersten Routenabschnitt sicher heikel.

L1, 6b: Schwieriger Auftakt schon gleich am ersten Haken vorbei mit kniffliger Kletterei an kleinen Löchern. Während es danach zuerst etwas einfacher vorangeht, wartet am Schluss nochmals eine schwierige Querung nach links mit dem Problem, sich in den ansetzenden Wasserrillen zu etablieren. Fand ich im Vergleich eine harte 6b!

Schöne Kletterei in L1 (6b), aber nicht geschenkt. Schon gleich am ersten Haken wartet eine knifflige Stelle.
L2, 6b: Eine der am wenigsten attraktiven Seillängen. Gerade hinauf, erst geht's noch gut, doch dann wird es ungemein glatt. Man kann aber vorerst rechts ins Gemüse ausbüxen, so ist das wohl auch gedacht (ansonsten sicher deutlich schwieriger wie 6b!). Unweigerlich gilt es dann aber doch, die glatte Platte nach links zu queren. An der richtigen Stelle geht's aber mit 1x entschieden Antreten gut.

L3, 6b: Sehr schöne Seillänge mit plattiger Kletterei. Erst noch keine harte Währung, in der Mitte muss kurz anspruchsvoller auf Reibung angetreten werden, bevor ein prima Ausstieg an Wasserrillen folgt. Dort macht die ansonsten sehr gute Absicherung kurz Pause und es ist ein kleiner Runout über einer Sanduhrschlinge nötig.

Eine plattige Stelle führt in L3 (6b) zu sehr schönen Wasserrillen, wobei ein kleiner Runout zu meistern ist.
L4, 6b: Kurz rechts, dann gerade hinauf, das Schuttcouloir überqueren und dann in griffig-athletischer Kletterei durch die steile Wand links. Das geht prima, knifflig wird's erst zum Schluss, wo eine vom Steinschlag glatt polierte Platte ziemlich zwingend zum Stand hin erklettert werden muss.

L5, 6c: Nun gilt es das erste Mal richtig ernst mit einer der anspruchsvolleren Seillängen. Schon die ersten Meter nicht ganz einfach, bevor dann unter dem Dach eine Herausforderung wartet. Wenn man es ungünstig macht, ist die Plattenstelle richtig heftig (>6c). Doch wer die richtige Lösung sieht, kommt im angegebenen Grad durch. Dann kurz athletisch am Dach, das sich jedoch prima auflöst. Das Finish dann nochmals knifflig und fordernd über die glatte Platte.

Hier, am Anfang von L5 (6c) legt die Route noch eine Schippe drauf. 
L6, 6b+: Supergeniale, ziemlich anhaltende Turnerei an Löchern und Leisten in der senkrechten Wand, nach meinem Empfinden die beste Seillänge im unteren Teil. Fand ich eher gutmütig für den Grad. Zum Schluss muss man entweder Sanduhren fädeln oder etwas weitere Abstände im 6a-Gelände in Kauf nehmen.

L7, 6a+: Schöne Kletterei über den Pfeiler. An zwei entscheidenden Stellen kann man etwas rechtshaltend ausweichen, das macht's zur 6a+. Fast ein wenig schade, dass man nicht die direkte Linie wählen muss - dann wäre es aber 6c oder mehr.

Der Fels ist meist super, aber im Rückblick ist's selten so richtig fotogen im unteren Teil. Hier in L7 (6a+) aber schon.
L8, 6c+: Zum Schluss die nominell schwierigste Seillänge im unteren Teil. Die Querung nach rechts ging mir problemlos (evtl. etwas grössen- bzw. reichweitenabhängig?!?), "the meat of the pitch" folgt in der fusstechnischen, linksliegenden Verschneidung danach. Ein paar Mal sauber antreten, schon bald geht's wieder besser. Trotz der guten Absicherung Vorsicht, dass man bei einem Sturz keinen Salto übers Seil macht! Zuletzt geht's dann einfacher hinauf zum Stand.

L9, 2a: Die Überführungslänge zum oberen Teil. Erst 10-15m einen maroden Fixseil entlang. Es wäre schön, wenn eine nachfolgende Seilschaft dieses ersetzen würde und aufs Diagonalband, welches sich für eine Pause anbietet. Schliesslich ist im oberen Teil doch noch einiges an Kraft nötig!

L10, 7a+: Das mit dem "Kraft nötig" gilt hier bereits für die allerersten Meter. Eine nicht sonderlich griffige Schuppe will "très physique" in Gegendruck-Technik gemeistert werden. Für die Füsse gibt's nicht wirklich viel ausser die etwas schmierige Wand. Zu allem übel war diese auch noch stellenweise nass, da es unter der Schuppe noch rausdrückte. Hart am Limit und zuletzt mit einem weiten, dynamischen Zug an den Henkel konnte ich hier onsight passieren. Meine Wahrnehmung: da hat mir die Technik aus den Boulder-Wettkämpfen in letzter Zeit die Idee und die Möglichkeiten zur Ausführung gegeben. Damit ist es aber nicht vorbei. Nach einem Rastpunkt folgt eine Stelle an Tropflöchern mit schwierig zu klippendem Bolt mitten in der Sequenz. Erneuter Schüttler, dann technisch nach rechts moven. Erneute Pause, dann zur abschliessenden, sehr technischen Sequenz bei der Fixschlinge, die nochmals um 7a/+ ist.

Am Anfang von L10 (7a+) hat der Sicherer nicht wirklich die Hände frei, um Fotos von seinem Vorsteiger zu schiessen. Danach hat man keinen Sichtkontakt mehr und im Rückblick ist die Seillänge wiederum nicht fotogen. So präsentiere ich an dieser Stelle halt schon einen Ausblick auf die fantastische Cruxlänge L12 (7b).
L11, 6b+: Eine etwas weniger schöne Länge, teilweise etwas grasig. Erst ein bisschen plattig und problemlos nach rechts, dann an einem Riss aufwärts, wohl teilweise gemeinsam mit einer älteren Schlaghaken-Route. Da muss man schon kurz mal hinschauen, aber für 6b+ fand ich das jetzt eher gängig.

L12, 7b oder 6c/A0: Nun auf in die absolut geniale Cruxlänge "Verdon Memoires". Der Auftakt über die Platte noch problemlos, doch das Steilgelände kommt. Zuerst athletisch in einer grossen links/rechts-Schleife an noch guten Griffen. Charakteristisch der weite Move, der an einem Dreckloch eingeleitet wird. Pfff, da wäre ich doch fast rausgeflutscht. Dann geht's an relativ guten Tropflöchern links aufwärts, bis zur Passage mit den 3 eng steckenden BH. Wie erwartet werden die Griffe/Tritte schlechter, abgefahrene Moves sind gefordert. Zudem gilt es, die richtige Lösung zu erraten, sonst kann man sich gehörig in eine Sackgasse manövrieren. Das ist nicht so einfach... aber mehr zu sagen, wäre leider zu viel ;-) Endlich folgt danach ein besserer Griff, doch wer sich bereits am Ziel wähnt, hat sich getäuscht. Die Klimax besteht in der intensiven, kniffligen und unübersichtlichen Sequenz zur Kette. Leider war ich hier irgendwann über der Schwelle: nur noch graues Flimmern, aufgehende Finger... und fertig war's mit dem Onsight-Gesamtdurchstieg. Schade, aber wäre es nicht ein Spiel, wo man auch verlieren könnte, so wäre das Klettern kein interessantes Game. Subjektiv würde ich der Länge bis zum Henkel nach den 3 eng steckenden Bolts bereits 7b geben, mit dem Finish denke ich, ist's eher 7b+. Aber vielleicht lag's ja an mir... Wer die Schwierigkeit nicht ganz drauf hat, kommt hier wohl schon recht gut A0 durch, ob's aber mit nur 6b obligatorisch reicht, da bin ich dann doch nicht so sicher. 

Die Cruxlänge (L12, 7b, 'Verdon Memoires') ist wirklich hammermässig gut. Nach einer noch machbaren ersten Hälfte werden die Griffe immer kleiner und die Kletterei ziemlich technisch. Fürs Anklettern und saubere Klippen (!!!) der Kette behält man besser noch ein paar Körner im Tank!
L13, 6b+: Lustiger Auftakt, wenn da nicht gerade dieser Henkel wäre, so wäre diese Stelle dann bald einmal nahezu unmöglich! Bald darauf folgt eine für den Grad 6b+ ziemlich heftige Platten-Einzelstelle. Einmal geschafft, cruist man die Verschneidung hinauf. Schon erstaunlich, wie viel einfacher die Kletterei ist, sobald es ein paar gute Tritte hat! Dann Stand rechts aussen.

L14, 6b+: Der Kante entlang aufwärts... aber wo genau? Links, direkt oder auch mal rechts, wo sich eine alte Schlaghakenroute befindet? Mir war das nicht ganz klar und rückblickend bin ich hier wohl einen kompletten Stiefel zusammengeklettert. Musste mich richtig zusammenreissen und Moves am Limit machen, dass ich durchkam. Mein Kletterpartner blieb dann im Nachstieg konsequent links der Kante und es sah bei ihm viel einfacher aus wie bei mir.

Luftige Linienführung und schöne Kletterei in L14 (6b+).
L15, 6a: Abschlussstück weiter entlang oder etwas links der Kante, teilweise gemeinsam mit der alten Route. Bisschen gesuchte und umgehbare Cruxsequenz in der Mitte.

L16, Gehgelände: Man kommt hier fast nicht darum herum, den Stand 10m nach links an den Fuss des finalen Aufschwungs zu verschieben. Ansonsten sollte der Vorsteiger zu Beginn der letzten Länge dann definitiv nicht stürzen...

L17, 6c: Der Auftakt schon steil an nicht ganz so griffigen Rissen, ich konnte ihn jedoch trickreich überlisten. Die folgende Passage nach rechts hinaus ist dann aber einfach nochmals schwierig. Plattig antreten bei Bedienung von Unter- und Seitgriffen, inklusive schwierigem Klipp mitten in der Crux. Es braucht nochmals Kraft und ich fühlte mich irgendwie am Limit. Aber wenn das Pulver einmal verschossen ist, so kann einem eben auch 6c auf die Pelle rücken, das ist ja nichts Neues.

Yeah! Il Turista mit den Boulderschüehli auf dem Petit Grenadier.
Ein paar Minuten nach 16:00 Uhr und damit gut 6:30h Kletterzeit sind wir am Top. Der finale Stand befindet sich etwa 8m unterhalb vom Gipfel des Klein Grenadier. Als echter Alpinist wollte ich aber natürlich nicht dort umdrehen. Ganz oben gibt's auch einen Stand und da man ab hier eh nur bis zum Stand nach L15 zurück kann, war auch das Seil abziehen aus dem eher ungünstig gelegenen Gipfelstand gut möglich. Wir geniessen ein wenig die Rundsicht an diesem fantastischen Bergtag, die Berner Alpen stehen wunderschön aufgereiht vor unserer Nase. Nach einer Weile geht's an den Rückweg. Wir haben die 2x50m-Seile mitgenommen, so sind 8 Manöver fällig. Vom Stand nach L11 reicht's gerade zu jenem nach L8, d.h. die Fixseilpassage und das Seil aufnehmen dazwischen kann man sich sparen. So dauert die Abseilerei knapp 1h und der Abstieg zum Auto danach ist im Nu erledigt, da man schön im Geröll abfahren kann. So braucht's zuletzt nur noch etwas Ausdauer hinter dem Steuer. Unser Fazit: es mögen im 2019 noch manche solche MSL-Tage wie dieser folgen!

Das grandiose Panorama vom Top der Route.

Facts

Gastlosen - Nikita 7b (6b obl.) - 17 SL, 400m - G. Buchs et al. 1999 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Keile/Friends nicht nötig & kaum einsetzbar

Eine der längsten und besten Routen auf der Südseite der Gastlosenkette. Die untere Hälfte ist eher plattig und verläuft in schönem, wenn auch manchmal etwas glattem Fels. Die Wand ist jedoch stark gegliedert und neben der Route oft grasdurchsetzt. Ein wenig muss man befürchten, dass man während dem Klettern nebenan von einem T6-Hikr überholt wird. Klar ist jedoch, dass die Route das Maximum aus diesem unteren Teil herausholt, trotzdem würde ich für die erste Hälfte nur 3 Schönheitssterne geben. Die obere Hälfte hat dann mehr Schwung, Exposition und bietet richtiges Wandfeeling. Die zwei Cruxlängen bieten recht anhaltende Schwierigkeiten, die Kletterei ist oben generell deutlich athletischer wie unten. Die Route ist von den Abständen her gut bis sehr gut abgesichert, zwingende Stellen oder längere Runouts kommen kaum vor. So ist es komplett unnötig, mobiles Sicherungsmaterial mitzuführen, sowieso wäre dieses auch kaum zu platzieren. Zu erwähnen ist jedoch, dass die ungünstige Mischung von verzinkten Ankern und rostfreien Plättli verwendet wurde. Die Korrosion hat an manchem Sicherungspunkt schon deutlich sichtbar genagt. Stand 2019 lässt sich die Route noch ohne grössere Sorgen machen, noch einmal 20 Jahre werden die Haken aber kaum überdauern. Wie im Text bereits erwähnt: die untere Hälfte, insbesondere der Einstiegsbereich und die ersten 4 Seillängen sind etwas dem Steinschlag ausgesetzt. Helm auf, Ohren spitzen und bei ungünstigen Verhältnissen verzichten. Ein Topo zur Route findet man z.B. im Extrem West oder im Gastlosen-Führer, auch ins Werk Moderne Zeiten hat die Nikita Aufnahme gefunden.