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Mittwoch, 15. Dezember 2021

Tête Colombe (3022m) - Le Bal des Boucas (6c)

Zurück in den Sommer und seine Ferien, nach Frankreich und genauer ins Massif des Cerces, das grob zwischen Briançon und dem Col du Galibier liegt. In den vergangenen beiden Jahren hatten wir an der eindrücklichen, relativ leicht zugänglichen Wand vom Tour Termier mit der Ponant Neuf (6b+) und der Marmotta Impazzitta (6c) zwei sehr schöne Touren klettern können. Dort gibt es zwar durchaus noch mehr zu tun, doch ein Besuch an der etwas weiter östlich gelegenen Wand der Tête Colombe drängte sich definitiv einmal auf. Der Hauptgrund, warum wir ihr als Vater/Tochter-Team bisher fern geblieben waren, liegt am steilen, doch rund 750hm umfassenden Zustieg und etwas schrofigem Jägergelände zum Einstieg. Im 2021 waren wir aber bereit dafür und wollten uns mit dem 1985er-Klassiker 'Le Bal des Boucas' Punkte für die Moderne Zeiten Sammelliste sichern. Das klappte, wir fanden die Kletterei grandios, Ambiente und Gestein erinnerten uns sehr an den Drusenfluh Westgipfel, wo wir ja in unserer Lanciamira schon viel Zeit gemeinsam verbracht hatten.

Die breite SW-Wand der Tête Colombe mit dem Verlauf der 'Bal des Boucas' (10 SL, 6c).

Schon am dritten Tag unserer Ferien war die Gelegenheit da, sprich warmes, windarmes und gewitterfreies Wetter. Diese Faktoren sollten schon gegeben sein, denn obwohl wir es mit einer Südwestwand zu tun haben, erfordert die Lage an der Schwelle zum Hochgebirge einwandfreie Bedingungen. Um ca. 10.45 Uhr brachen wir schliesslich vom Ausgangspunkt beim Tunnel Vallois (ca. 1880m, Seite Briançon) auf. Eine gute Wegspur führt hinauf zum Chemin de Roy. Man überquert ihn und steigt weiter durch den Lärchenwald hinauf, wobei da die Pfadspuren manchmal nicht so deutlich sind, bzw. es mehrere davon gibt. Wobei hier viele Wege nach Rom führen, nach der Baumgrenze ist die Spur wieder besser ausgeprägt und führt hinauf in den Kessel unter der Wand. Das lebendige Geröll hinauf zum Einstieg kann auf der falschen Fährte sicherlich sehr mühsam zu begehen sein. Wir stiegen darum von links her über den Schrofensockel auf. Das geht gut, ist aber doch schon ziemlich exponiert. Während wir erst am kurzen Seil gingen, gab's dann zuletzt eine nullte Seillänge (T5 II, 2-3 BH vorhanden) zum eigentlichen, schon ziemlich in der Wand oben gelegenen Einstieg. Gegen 12.30 Uhr stiegen wir ein, der Zustieg hatte uns rund 1:15h gekostet.

Ausblicke auf dem Zustieg zum Col du Lautaret und dem Massiv der Meije.

L1, 45m, 5b: Über von Bändern unterbrochene Aufschwünge geht's hier in die Höhe, bei eher spärlich gehaltener Absicherung. Noch dazu finden sich die kurzen, bouldrigen Schlüsselstellen gleich oberhalb von flachem Gelände. Eine souveräne Beherrschung der Schwierigkeiten ist angeraten, 5b als Bewertung zudem definitiv auf der tiefen Seite.

L1 (5b) überzeugt noch nicht restlos, bzw. darf man als verschärften Teil des Zustiegs sehen.

L2 & L3, 50m, 6a: Die nächsten beiden Abschnitte kann man bei vorausschauender Seilführung verbinden, was jedoch nur mit entsprechend Reserven empfehlenswert ist. Man bewegt sich hier nun auf dem ästhetischen Plattenpanzer. Der Auftakt an einer kompakten Wand fordert gleich in Sachen Fusstechnik und Linienwahl, tatsächlich zeigt auch der an sich raue und exzellente Fels da und dort schon einige Gebrauchsspuren. Später geht's an Wasserrillen und einer griffigen Schuppe einfacher im 5bc-Bereich voran. Die nominell dritte Seillänge begeistert dann in homogener, wasserrillig-technischer Steilplattenkletterei. Hier ist die Absicherung nun enger, allerdings muss man auch für diese 6a durchaus etwas auf dem Kasten haben.

Hervorragende Steilplattenkletterei wartet in der 50m-Kombo von L2 & L3 (beide 6a).

L4, 40m, 6a: Eine weitere, sehr schöne Seillänge, die im steilplattigem Gelände diagonal nach rechts hinauf führt, da und dort mit ein paar Wasserrillen garniert, sehr genussvoll! Auch hier: ohne Vertrauen in die Füsse geht's nicht - die Absicherung zwar in Ordnung, aber zwingend.

Auch in L4 (6a) wartet hervorragendes, steilplattiges und wasserrilliges Gelände.

L5, 30m, 4c: Hier legt sich die Wand etwas zurück, dennoch sieht's für versprochene 4c durchaus "oho" aus! Ob der Grad nun wirklich zutrifft ist für mich schwierig zu sagen. Auf jeden Fall löst sich wirklich alles prima auf, so dass auch die hier nun wirklich sehr distant gehaltene Absicherung mit nur 3 BH nicht für Kopfzerbrechen sorgt. Topoguide schlägt hier einen Umweg rechtsherum über die 'Valse des Boucs' vor, wo mehr Bolts stecken. Kann man machen, nötig ist's nicht.

Auch aus dieser Perspektive würde man es glauben, wenn eine 6b stünde. Aber L5 ist nur 4c!

L6, 30m, 5c: Über die folgenden 2 Seillängen traversiert die Route nun unterhalb des markanten Grats. Das wäre bei entsprechender Linienführung ziemlich einfach zu haben, die Route sucht sich aber die schönen Kletterstellen. Unterhaltsam geht's in griffigem Gelände diagonal nach links.

Etwas gesuchter Verlauf durch das kompakteste Gelände in L6 (5c), aber prima Kletterei in griffig-schönem Fels!

L7, 50m, 5c: Zu Beginn erklettert man kompakte Aufschwünge und muss sich durchaus etwas festhalten, nachher quert man in zunehmend einfacherem Gelände deutlich nach links an den Fuss des Gipfelturms. Der Stand befindet sich am rechten Ende der bequemen Terrasse, das Seil reicht nur bis dahin. 

L8, 30m, 6b: Da ab der Terrasse mehrere Linien starten, besteht die Herausforderung darin, auch wirklich auf der 'Bal des Boucas' zu bleiben - mit gutem Studium des lokalen Topos sollte es gelingen. Die Fortsetzung setzt eher am linken Ende der Terrasse an, was evtl. eine kurze Übergangslänge erfordert. Es lohnt sich: eine fantastische Seillänge in hervorragendem, gefinkeltem Steilplattenfels mit anhaltenden Schwierigkeiten wartet. Nach unserem Empfinden kam die Crux erst am Ende bei einer etwas kniffligen, seichten Verschneidung, wo man sich gut platzieren muss.

Perfekter Fels und geniale Steilplattenkletterei bietet die Route in L8 (6b).

L9, 20m, 5c oder 30m, 6b: Dieser Abschnitt verläuft gemeinsam mit der 'Valse des Boucs' und bietet immer noch sehr schöne, aber etwas einfachere Steilplattenkletterei wie L8. Man gelangt nach ca. 15-20m zu einem Band, wo man bequem Stand beziehen kann. Dies ist sogar zwingend, sofern man die Cruxlänge links in einfacherem Gelände umgehen möchte. Original wartet für die 'Bal des Boucas' aber noch eine zünftige Boulderstelle vom Band weg rechts hinauf zu Stand auf einer Kanzel am Grat. So haben wir das gemacht, doch ich würde aus verschiedenen Gründen den unteren Stand empfehlen (bequemer, Sturz im Boulder heikel wegen Band, gleich nach dem oberen Stand folgt nochmals eine zähe Stelle).

L10, 35m, 6c: Je nach gewähltem Standplatz beginnt diese Länge eben mit dem Boulder auf die Kanzel, oder dann mit einem etwas kniffligen Move an Tropflöchern gleich aus dem Kanzelstand raus. Der nächste Haken ist da zwar nicht weit weg, ein Sturz (in den Stand) wäre aber wohl doch unangenehm. In einer steilen Tropflochwand nähert man sich dem markanten Riss, den man in einer Linksquerung erreicht. Dieser fühlt sich dann etwas abgelutscht-glatt an - so richtig schwierig (v.a. für eine 6c) eigentlich nicht, einfach etwas 'öttelig', sprich rund und abdrängend. Wegen der sehr eng gehaltenen Absicherung sind die Moves aber nicht obligatorisch.

Tiefblick auf die fabelhafte, luftig-exponierte Tropflochkletterei am Beginn der Cruxlänge (L10, 6c).
Bald geschafft! Trotz perfektem Hochsommerwetter und >30 Grad im Tal musste man sich am Ende doch warm anziehen. Die Thermik ist in dieser Gegend brutal stark, da pfeift einem der Wind am exponierten Schlusspfeiler gehörig um die Ohren. Oder vielleicht könnte man auch einfach sagen: "Der Kletterer friert lieber im Hochsommer in der Daunenjacke, als er in der Badehose schmort" ;-)
:-)

Um 16.25 Uhr und somit nach knapp 4:00h Kletterei hatten wir das Top mit einer perfekten Team-Onsight- bzw. Flash-Begehung erreicht. Man könnte von hier noch 1-2 einfachere Seillängen über den sich verflachenden Pfeiler weiterklettern und zuletzt über Schrofen den Gipfel erreichen. Das hiesse, dass man den Retourweg per Pedes bewältigen muss. Der Standard und deutlich zeitsparender ist es jedoch, vom Ende der Route abzuseilen und genau das taten wir auch. Wir hielten uns an die im JMC-Führer empfohlene Piste über die 'Du côté de chez Tronc', was perfekt und zügig funktionierte. In der Mitte, d.h. unterhalb der 'Boule à Tronc' muss über eine geneigt-geröllige Zone zu Fuss abgestiegen werden. Dies erfordert, mitten in der Wand, etwas Zutrauen, das Gelände ist aber wirklich unschwierig und der auf den ersten Blick nicht sichtbare Stand kommt dann schon. Nach 5 Manövern ist man schliesslich zurück im exponierten Schrofengelände und muss erneut linkshaltend zum Einstieg kraxeln. Das ist als Übung durchaus sinnvoll, denn vom Schuhdeport wartet nun ja auch nochmals ein steiler Abstieg aufs Geröll hinunter. Wir hielten uns an die trefflich beschriebene Variante aus dem JMC-Führer. Bald konnten wir entspannen und gemütlich zurück zum Ausgangspunkt wandern, wo wir noch vor 19.00 Uhr eintrafen. 

Edelweiss findet man in der Wand sehr viele!

Facts

Tête Colombe - Le Bal des Boucas 6c (6a+/6b obl.) - 10 SL, 330m - Maure/Pellet 1985 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Cams/Keile kaum einsetzbar

Sehr schöne Kletterei über wasserrillige Steilplatten. Die Route erinnert in verschiedener Hinsicht an den Drusenfluh Westgipfel im Rätikon: einerseits der zuletzt geröllige und steil-schrofige Zustieg, der tolle Fels mit einem Mix aus steilplattigen Zonen, geneigteren Abschnitten und Bändern, sowie das gewaltige Panorama. Obwohl die Route im Plaisir West Band 2 beschrieben ist und (bei Umgehung der Cruxlänge) nirgends schwieriger als 6b ist, so sollte man sich dennoch eher auf alpines Sportklettern einstellen. Sicherlich ist es auch sinnvoll, wenn man zumindest eine 6a+ fusstechnischer Art wirklich gut draufhat. Die Absicherung ist zwar an den Schlüsselstellen (>=6b) sehr gut und ermöglicht sogar A0, im mittelschwierigen Gelände (6a/6a+) aber schon etwas weiter und öfters zwingend. Die einfacheren Stellen sind knapp (5er-Bereich) bis nur spärlich (alles darunter) ausgerüstet, dies auch an Orten mit ungutem Sturzpotenzial. Hier muss man souverän und sicher klettern, denn mobile Sicherungen kann man kaum je zuverlässig anbringen. Die ehrlichste Empfehlung lautet deshalb, sie gleich im Tal zu lassen. Wer sich doch etwas an den Gurt hängen will, ist wohl mit kleinen bis mittleren Cams am besten bedient. Topos zur Route bzw. zur Tête Colombe findet man in manch einem Führer: 'Oisans Nouveau, Oisans Sauvage, Livre Est' von J.M. Cambon, Plaisir West Band 2, Topoguide Band 2 oder der Sammelband Moderne Zeiten.

Dienstag, 14. September 2021

Sanetsch - Axis (7a)

Auf dem Sanetsch war ich das erste Mal vor fast 30 Jahren, noch ganz am Anfang meines Kletterdaseins. Sehr eindrücklich fand ich die Routen dort oben und wunderbar das Leben an diesem abgeschiedenen Ort. Im Lauf der Jahre kehrte ich dann das eine oder andere Mal zurück. Nur relativ selten eben, liegt der Pass halt eben weit abseits, egal woher man kommt und sich gerade befindet. So hatte ich auch noch nie eine "richtig schwierige" Route geklettert, nur gerade für die die steilste Wandpartie flankierenden 'Douce Violence' und 'Ivan' hatte es gereicht. Somit war das eine Lücke, die schon lange einmal gefüllt werden wollte. Dass es nun dazu kam, ist in erster Linie der Verdienst von Tobias und der Tatsache, dass die Axis (7 SL, 7a) im Sammelband Moderne Zeiten gelistet ist. Er als Sammler wollte da unbedingt hin, ich als Aficionado von steilem, bestem Fels liess mich noch so gerne überzeugen. Und ich kann sagen, es hat sich mehr als gelohnt! Fünf Sterne, keinen weniger verdient die Axis, die mit bester Felsqualität und so richtig geiler Kletterei vom ersten bis zum letzten Meter überzeugt.

Die Paroi des Montons am Sanetsch mit dem Verlauf des Remy-Klassikers 'Axis' (7a, 1984).

Nun ja, die nicht eben kurze Anreise zum Sanetsch war ja schon im vorigen Abschnitt erwähnt. Um die Fahrerei noch ein wenig zu limitieren, setzten wir auf den Zugang von Norden, von wo im Talschluss bei Gsteig eine kleine Seilbahn zum Staudamm hinaufführt. Deren Betriebszeiten von 8.30-17.00 Uhr reichen gut als Zeitfenster für so gut wie alle Routen da oben, mit 22 CHF (18 CHF mit Halbtax) auch zu einem fairen Preis. Von der Bergstation sind es knapp 2km der Strasse entlang bis zum Abzweig des Zustiegspfads. Die sind in 20 Minuten gut zu laufen, die Mitnahme eines Bikes (7 CHF pro Weg mit der Bahn) schien uns nicht gerechtfertigt. Um noch ein wenig Zeit zu sparen, setzten wir schliesslich auf die Kickboards unserer Kinder. Die kann man viel einfacher und kostenfrei mitnehmen und ~10 Minuten pro Weg lassen sich damit einsparen. Zudem war's natürlich ein Novum, denn auf ein solches Gefährt im Zusammenhang mit einer MSL-Tour hatte ich noch nie gesetzt.

Das ist ja ein Stausee und somit keine echte Naturlandschaft, trotzdem schööön hier oben!

Zustieg per Tretroller, das ist mal etwas Originelles :-)

Der Zustiegspfad ist gut ausgetreten und mit roten Punkten markiert, es sind rund ~250hm. Vom Wandfuss geht's über steile Schrofen das Diagonalband empor, zuletzt mit leichter Kletterei links auf eine Kanzel unter der steilsten Wandpartie (T5), wir brauchten rund 40 Minuten von der Bergstation. Die Routen sind alle mit Farbe angeschrieben, wobei diese doch schon deutlich abblättert. Trotzdem konnten wir den Start der Axis zweifelsfrei identifizieren. Da schon auf den ersten 10m die Crux der Route wartet, machten wir noch einige Aufwärmübungen, spähten ausgiebig nach den Grifflein an diesem Überhang und legten dann in der Gegend von 9.50 Uhr los. 

Ready to rumble! In L1 (7a) geht's praktisch ab dem ersten Meter gleich volle Kanne los.

L1, 35m, 7a: Nach kurzem Geplänkel geht's wie erwähnt zur Sache - konkret heisst's kleine, scharfe Crimps ohne Rücksicht auf Verluste zuzuballern und die Füsse über den Überhang zu bringen. Aufgrund der Vielzahl von ähnlich guten bzw. eben schlechten Strukturen mag es dazu unzählige Ansätze zu geben und es ist alles andere als einfach, auf die (persönlich) richtige Beta zu setzen. Kommt noch hinzu, dass das Einhängen des dritten BH heikel ist, weil es da einfach keinen komfortablen Klippgriff gibt. Aber nicht falsch verstehen, die Bolts stecken eng da (A0 gut möglich), aber man ist noch nahe am Boden und wenig in Schwung, so muss es auch gleich mit der Psyche passen. Der Leser mag's ob diesen ausführlichen Worten erahnen, ich konnte diese Stelle leider nicht im Onsight passieren, schade! So ging's von BH #4 nach dem Zimmern einer Sequenz retour auf den Boden, um die Stelle im zweiten Angriff sauber zu passieren. Ohne Pause ging's gleich los und es klappte - aber nur am Limit, das ja sonst eigentlich >7a liegt. Der Grip fühlte sich irgendwie mässig an, die Power ebenso, sicher war die Beta nicht perfekt optimiert und so musste wohl oder übel die Brechstange zum Einsatz kommen. Ich vermag nun nicht zu sagen, ob's wirklich so schwierig ist oder ob es an mir lag. Nach diesem kräftigen Auftakt geht's dann von BH #4 wo man leidlich schütteln kann noch anhaltende 25m super schön in steil-griffig-wasserzerfressenem Gelände im Bereich 6b+ hinauf zum Stand - am Ende von der letzten Zwischensicherung auf dem schräg geneigten Band einige Meter nach links, da wäre er dann.  

Nach dem harten Auftakt folgt in L1 (7a) noch sehr genussreiche Kletterei im Bereich 6b+.

L2 & L3, 35m, 6b: Die Route wählt hier eine originelle Linie mit einem grossen Quergang nach rechts auf den Pfeiler hinaus, wobei sie dem schönsten Fels und dem Weg des geringsten Widerstands folgt. In den älteren Topos ist dieser Abschnitt als zwei Seillängen mit Stand in der Mitte aufgeführt. Dieser existiert allerdings nicht (mehr?) und man kann das wirklich problemlos in einer Länge klettern. Der Auftakt dem diagonalen Riss entlang - erst gängig, aber dann doch mit einem kräftigen Zug hinauf zur Nische, wo die 'Amusement Sauvage' kreuzt. Richtung 2 Uhr geht's weiter, der grosse Quergang in der kompakten Wand klettert sich überraschend einfach, weil sich genau an der richtigen Stelle jeweils gescheite Griff- und/oder Trittleisten offerieren - genial. Kurz vor Ende mündet noch die Piola-Route 'Equinoxe' ein, der Stand dann an der Kante drüben, gemeinsam mit der 'Starions', mit welcher man sich auch die folgende Seillänge teilt.

Tobias im grossen Quergang von L2 & L3 (6b), der Stand kommt rechts an der Kante draussen.

Ja, der Luis Trenker hätte an diesem fantastischen Quergang sicher auch helle Freude gehabt!

L4, 25m, 6c: Eine absolut fantastische Seillänge! Nach links hinüber zum Pfeiler, der gleich zum Auftakt mit einer zähen, bouldrigen Stelle aufweist. Der Fels hier vorübergehend ganz speziell, quasi "Dual Texture" - sprich weitflächig glatt mit vereinzelten Tropfloch-Rauigkeiten, echt genial. Dann in sehr stark strukturiertem Gestein griffig-athletisch aufwärts, die Formationen erinnern beinahe an Kalymnos (kein Wunder, haben sich die Remys später dort so daheim gefühlt ;-)). Am Ende der Seillänge dann kurze Verwirrung. Die älteren Topos zeigen den Stand hier links aussen. Dort befindet sich auch einer, der gehört aber zur 'Equinoxe'. Richtig ist es hingegen, den BH folgend nach rechts zu steigen, am Ende nochmals mit einer kniffligen Querung.

Die 'Dual Texture'-Stelle mit der Crux zu Beginn von L4 (6c).

Das Bild erzählt die Geschichte: die Wand ist enorm steil und der Fels einfach vorzüglich (L4, 6c).

L5, 40m, 6c: Hier muss man sich zuerst bewusst sein, dass die 'Starions' vom Stand nach rechts wegzieht. Die 'Axis' nimmt den logischeren Weg Richtung 11 Uhr, wo man gut griffig in einem wenig ausgeprägten Winkel an Höhe gewinnt. Danach wird das Terrain sogar noch gängiger und trumpft mit grossen Sanduhren auf. Selbst hier wurde im Zuge der Sanierung ein BH gesetzt, fast ein wenig schade da man problemlos selber fädeln könnte und die Strukturen bombensolide sind. Dann zieht's aber an, es wird steil und bald auch ziemlich knifflig. Hier ist eine Stelle im 6b+/6c-Bereich obligatorisch zu meistern und es folgt danach in einfacher werdendem Gelände ein ziemlicher Runout - nachdem man einige Meter über den letzten BH hochgestiegen ist eher links halten, es folgt dann schon wieder ein Bolt. Zum Ende der Seillänge dann deutlich linkshaltend in fantastischem Fels mit Löchern. Trotz der Querung ist der Verlauf logisch und gut sichtbar, die Gefahr sich in die hier nochmals kreuzende 'Equinoxe' zu verkoffern klein.

Tütato, Runauto! Ab der Position des Kletterers folgt in L5 (6c) eine der zwingendsten Kletterstellen der Route. Auch wenn bei der Sanierung vor dem ursprünglichen Bolt etwas tiefer ein zusätzlicher gesetzt wurde, muss man sich hier immer noch ziemlich engagieren. Die Route führt später übrigens in L6 und L7 über die beiden Höcker an der Kante, links vom Kopf des Kletterers. 

Der Fels einfach mega, die Kletterei genial - auch hier am Ende von L5 (6c).

L6, 40m, 7a: Traumlänge in Hammerfels mit kniffligem Ende! Am Anfang in gelb-rauem Fels griffig hinauf, um in einer noch griffigeren Linksquerung den steilen Wulst/Überhang nach links zu überqueren. Das gibt ordentlich Luft unter den Hintern und wird mit genialer Kletterei in perfektem, grauem, wasserzerfressenem Fels belohnt - moderat schwierig und einfach genial. Hier steckten früher wohl nicht viele Haken, seit der Sanierung ist es aber gut gesichert, nur zur finalen Querung hin muss man kurz und problemlos mal ein wenig 'wegrennen'. Und diese Querung dann: es sind zwar nur etwa 5m und damit ein Bruchteil der Länge, aber sie verdient in der Beschreibung mehr Platz. Plötzlich und für die Route atypisch ist der Fels glatt und erfordert katzenhafte Schleicherei. Von unmittelbar davor betrachtet, scheinen die Reibungstritte gar nicht mal so schlecht, einmal in der Passage drin ist's aber unangenehm abdrängend, man kann die Füsse nicht wie gewünscht belasten und für die Hände gibt es so gut wie nichts. Balance und Vertrauen sind gefragt, zum Ende der Passage hin dann auch die Intuition, um die nötigen Mikrogrifflein zu erspüren. Schliesslich rückt der 'strategisch positionierte' und deswegen unbequeme Stand in Reichweite. Man kann ihn klippen, bevor die schwierige Kletterei vorbei ist - um die Passage wirklich komplett zu klettern, muss man noch weiter bis zu den Henkeln beim ersten BH der folgenden Länge und sich dann wieder ablassen... Zu erwähnen ist noch, dass die 'Amusement Sauvage' gerade hinauf an denselben Stand führt.

Ausblick auf die glatt-abschüssige Balancecrux und den unbequemen Stand am Ende von L6 (7a).

Vor dieser Querung wartet in L6 (7a) jedoch auch super strukturierter, kletterfreundlicher Hammerfels.

L7, 30m, 6c: Hier wartet die Route mit einem weiteren Special Effect auf - in Form einer henklig-fotogenen Dachquerung, die man fast imperativ zu ein paar Stunts nutzen muss :-) Einmal drüben, ist aber wieder Seriosität gefragt, denn es wartet nochmals eine zupfige Steilplattenstelle in bestem, silbrig-grauem Fels. Der zweite Teil der Länge bietet dann einfacheres Gelände. Hier war mir der Verlauf vor Ort nicht ganz klar und auch im Nachhinein vermag ich nicht sicher zu sagen, was genau hier die Intention ist. Die BH leiten einen nach links, im Nachhinein habe ich aber von oben einen einsamen Kronenbohrhaken rechts unten gesehen, so dass der Originalparcours nach der schwierigen Stelle wohl gerade hinauf ging?!? Das bedeutet aber, etwas unlogisch und ohne erkennbare Sicherungsmöglichkeiten kühn zu steigen. Man erreicht schliesslich eine Art Band, wo sich horizontal um wenige Meter versetzt gleich mehrere Standplätze befinden. Man wähle jenen, der einem am meisten zusagt... welcher der richtige für die Axis ist, vermag ich nicht garantiert zu sagen.

Time to play in L7 (6c), wenn schon die Schwerkraft gerade mal Pause macht :-)

L8, 25m, 5b oder 6a: Die älteren Topos zeigen hier eine Fünferlänge entlang einer kleinen Verschneidung bzw. einer Art Rampe. Die gibt's und sie ist unschwierig zu klettern. Links davon befinden sich auch Bohrhaken in der grau-steilen Wand - das ist wohl der neue Parcours, der im Rahmen der Sanierung gelegt wurde und die eigentliche Schlusslänge der Axis definiert - spielt aber natürlich im Gesamtkontext keine grosse Rolle, da beides im Vergleich zum Rest unschwierig ist. Die letzten 10m klettert man schliesslich in stark quarzhaltigem Sedimentgestein mit runden Formen - eine geniale Abwechslung zum Ende. Auch wenn's so aussieht und manche davon schreiben, Granit ist das meiner Meinung nach nicht - wer geologisch bewandert ist möge mich korrigieren, sollte ich damit falsch liegen. Der Stand dann auf einem bequemen Band gut sichtbar.

Die letzte Länge (L8, 5b oder 6a) ist ziemlich easy und im Rückblick wenig fotogen.

Um 14.25 Uhr und damit nach gut 4:30 Stunden Kletterei hatten wir das Top nach absolut hammermässig genialer Kletterei erreicht. Nachdem ich gleich zu Beginn nochmals auf den Boden (der Realität ;-)) zurückgeholt wurde, konnte ich den Start der Route im zweiten Go punkten und ab dem vierten BH den Rest der Route onsight klettern. Vom Routenende heisst es Abseilen, so zeigen es alle Topos ausser jenes aus Moderne Zeiten, welches von 100m im 3./.4. Grad zum Gipfel spricht. In mir steckt noch genügend alpinistischer Geist, als dass ich das sehr gerne verifiziert hätte. Die Vernunft spricht aber dagegen - wer weiss, wie genau diese Angabe stimmt; wir haben nur minimalst Gear dabei und fixe Sicherung gibt's wohl keine mehr und vor allem müssten wir dann in den Kletterfinken zu Fuss absteigen und mit substanziellem Umweg nochmals zum Einstieg hinauf um die deponierten Sachen aufzulesen. Also werfen wir die Seile aus. Es geht zuerst 50m zu einem Stand auf der Rampe, ca. 5m direkt oberhalb von jenem von L6 der Axis. Dann 30m der Rampe entlang zu einem Stand an der Kante und von dort in 3 weiteren Etappen auf's Grasband am Einstieg. Tranquillo packen wir unsere Sachen, laufen zur Strasse runter und trottinettlen zurück zur Bahn, wo wir um 15.40 Uhr eintreffen und gleich zu Tale fahren können.

Sanetsch Vibes: paradiesische Gegend dort oben, und erst die Kletterrouten...

...wir aber müssen heim, back down to earth, sozusagen. Aber wir kommen wieder!

Facts

Sanetsch - Axis 7a (6b+ obl.) - 8 SL, 230m - C. & Y. Remy 1984 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig

Die erste extreme MSL-Route in der Westschweiz, Trademark Remy im 1984 - das ist eine Ansage! Man kriegt hier aber nicht nur Geschichte geboten, sondern vor allem absolut geniale Kletterei in erstklassigem Fels. Kurzum und vor allem bezüglich des Gesteins etwas vom Besten, was ich je klettern konnte! Die Tour ist die 5* auf jeden Fall wert - nur auf sehr grosse Länge, eine markante Linie à la Blaue Lagune oder ein richtiges Gipfelerlebnis muss man verzichten. Die Route wurde im 2002 von den Erstbegehern "saniert". Das bedeutet konkret, dass alle Stellen, wo früher mit Keilen oder an Sanduhren gesichert wurde, mit Bohrhaken ausgerüstet wurden, sowie der eine oder andere längere Abstand in einfacherem Gelände entschärft wurde. Wie üblich wurde dazu entweder rein verzinktes Material oder Zink/Inox-Mischung verwendet. Die schwierigen Stellen blieben bei dieser "Sanierung" alle unangetastet. D.h., man klettert diese nach wie vor mit originalen Hakenabständen und an den Kronenbohrhaken von 1984. Diese sehen aber optisch noch gut aus und die Stellen >=6b waren schon damals gut gesichert. Insgesamt ist die Route bis auf zwei, drei Reminiszenz-Runouts in einfacherem Gelände sehr gut eingebohrt (Niveau xxxx). Sehr verwunderlicherweise ist das Topgebiet Sanetsch in den neueren Ausgaben (ab 1994) des Extrem West nicht mehr aufgeführt. Die vollständigste, aber auch nicht mehr ganz aktuelle und mässig präzise Beschreibung gibt's im Führerwerk der Erstbegeher von 2010, "Escalades Jura, Vaud, Chablais, Bas-Valais, Sanetsch". Das beste und präziseste Topo zur Route ist wie so oft jenes von Thomas Behm. Es ist noch vor der Sanierung entstanden, wir haben ein Update auf die aktuelle Situation gemacht.

Das hervorragende Topo von Thomas Behm, geupdated auf die Situation seit der "Sanierung" 2002.


Dienstag, 31. August 2021

Alpawand - Wassersymphonie (6c+)

Verrückte Sache eigentlich: zwar konnte ich schon einen hohe, dreistellige Zahl an MSL-Routen klettern, doch in unserem Nachbarland Österreich sind es kaum eine Hand voll, obwohl es da ein äusserst reichhaltiges Angebot gibt. Auf die Initiative von Tobias hin sollte diesem Zustand begegnet werden. Einen Ausflug zur Alpawand in der Gegend von Lofer schlug er vor - nicht gerade in unmittelbarer Umgebung von meinem Zuhause. Aber mit einem Angebot zum Mitfahren schien es mir dann doch zu attraktiv, diese Gelegenheit auszuschlagen. Einerseits, um eine mir noch komplett unbekannte Gegend zu entdecken, aber vor allem auch um die weitherum als eine der schönsten Routen gerühmte und schon mehrere Hundert Male wiederholte Wassersymphonie zu geniessen.

Die stolze, nördlich ausgerichtete Alpawand mit dem ungefähren Verlauf der Wassersymphonie.

Unsere Tour begann mit einer ziemlich langen Anreise am Vorabend. Immerhin, wir hatten uns schon eine Weile nicht mehr gesehen und waren schon länger nicht mehr auf einer gemeinsamen Tour. So gab es viel zu erzählen und die Zeit verging wie im Flug. Ziemlich unerwartet stellte sich dann noch ein Hindernis in den Weg - der Grenzübergang von Deutschland nach Österreich. Im Sommer 2021 habe ich ja schon öfters innereuropäische Grenzen überquert, angehalten worden war ich bis dato kein einziges Mal. Doch tatsächlich, hier wurden wir von einem Grenzer mit geharnischten Blicken empfangen und mit kritischen Fragen eingedeckt. Mit dem Kommentar, dass wir "wie Einbrecher unterwegs" wären "ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung in Österreich" darstellen, wurden wir aber schliesslich doch ins Land gelassen... :-o Verrückte Sache, doch nix dergleichen: wir kehrten sogar noch in einer Pizzeria ein und zahlten brav unsere Zeche inklusive Trinkgeld, bevor wir uns diskret aufs Ohr legten, strategisch günstig positioniert für die Tour am Folgetag. 

Am Ausgangspunkt, die Parkplätze gesperrt und bei der Strasse der Hinweis auf Hochwasserschäden.

Diese Schäden waren tatsächlich massiv, waren aber bereits wieder komplett behoben worden.

Diese Begann mit früher Tagwache, was aber nicht schadet: beim Ausgangspunkt (ca. 640m) zwischen Lofer und Unken sind zumindest derzeit nur relativ wenige Parkplätze (ca. 5) verfügbar, da wegen den massiven Hochwasserschäden von 2021 noch gebaut wird. Die Strasse Richtung Alpawand war aber zum Zeitpunkt unserer Tour bereits wieder komplett renoviert. Nach einem Müesli und einem Kaffee brachen wir um 6.20 Uhr schliesslich auf. Per E-Bike ging es über die breite, aber steile Naturstrasse (ohne Motor müsste man sehr heftig in die Pedale treten) in ~20 Minuten die 400hm zum Bikedepot hinauf. Von dort sind es noch ca. 80-100hm auf dem Alpasteig bis zum eher unscheinbaren Abzweig des Fusspfades zum Einstieg (Rucksackdepot). Der Pfad selber ist dann gut ausgeprägt und problemlos zu verfolgen, zudem sind die Beschreibungen in der Literatur zahlreich und stimmig. Es geht schliesslich zum Wandfuss hinauf und diesem entlang in Auf und Ab mit 2 Fixseilpassagen zum Einstieg hinüber. Aufgrund der Wandbilder ist dieser zwischen 2 hellen Flecken grob zu lokalisieren, für die Feinortung helfen die angeklebten, kleinen Metallplaketten. Nach ziemlich genau 1:00 Stunde nach Aufbruch waren wir am Einstieg (Aufschirren am Rucksackdepot inklusive). Nach dem Vorbereiten der Seile und dem Schuhwechsel stiegen wir um 7.30 Uhr ein.

Kurze Fixseilpassage im Zustieg

Die Routen sind alle mit Metallplakette beschriftet, diese ist jedoch eher klein und unscheinbar.

L1, 40m, 6c: Die steile, abweisend wirkende Wand erheischt Respekt - zum Glück gibt's die ersten Meter noch geschenkt. Nach ein wenig Vorgeplänkel stellt sich dann aber bald einmal die schwierig zu lesende Crux in den Weg, mit steiler Wandkletterei an Seit- und Untergriffen sowie ein paar Leisten. Der Fels hier zwar fest, aber doch ziemlich belagig, zusammen mit der vorherrschenden Feuchte und noch klammen Händen ergab das nicht optimalen Grip. Doch mit der nötigen Geduld wurde diese erste Herausforderung in sauberem Stil gemeistert. Blieb noch der komplett durchnässte Schluss der Seillänge... hier ging es nicht (mehr), ohne im nassen Fels zu greifen und zu treten. An sich wäre diese Sektion nicht so schwierig, weshalb auch die Hakenabstände etwas grösser sind... aber es ging dann schon.

In L1 (6c) geht's bald steil und etwas unübersichtlich zur Sache!

Grasig, nass oder belagig - your choice! Der obere Teil von L1 (6c) etwas alpin - macht aber Spass!

L2, 30m, 4c: Nachdem die erste Seillänge Zeit und Kraft gekostet hatte, geht es hier umso müheloser. Sehr schöne Plattenkletterei in stark strukturiertem Fels, die auch komplett trocken war.

L3, 40m, 5c: Ebenfalls eine sehr schöne Seillänge mit Auftakt mitten durch die plattige Wand. Doch dank der super rauen Struktur klettert sich das alles sehr genussvoll und unschwierig. Später dann entlang von einer Verschneidung, welche sich dank der vielen Struktur auch sehr mühelos klettert.

Beschwingtes und genussvolles Steigen in L3 (5c).

L4, 20m, 4a: Kurze und etwas grasige Überführungslänge zum Steilriegel hinauf - Achtung, unmittelbar rechts verläuft die 'Best of Genuss'. Doch trotz des etwas grünen Anstrichs klettert man auch hier auf bestem Fels.

L5, 25m, 6b: Die nächste Herausforderung - nicht nur klettertechnisch, sondern auch was die Bedingungen antrifft. Der kurze Rissüberhang zu Beginn stellt einen durchaus gesuchten Routenverlauf dar (wäre links deutlich einfacher zu haben!) und ist wie man allethalben lesen kann, oft nass. So trafen wir diese Passage denn auch an. Doch nachdem die Risskante so richtig scharf und griffig ist, kann man seine Kraft trotzdem einsetzen - dies war auch nötig, um die Füsse mit entsprechend Gegendruck auf die schleimige Unterlage zu pressen. Der Ausstieg aus dieser Passage erfordert dann kurz etwas Übersicht und Reserven im Tank, bevor es über eine super zerfressene, breite Wasserrunse hinauf zum nächsten Stand geht.

Der Kletterer hier in L4 (4a), unmittelbar links von seinem Kopf der nass-schwarze Rissüberhang von L5 (6b). In der Folge führt die Route in ziemlich gerader Linie durch die kompakten Wandpartien oberhalb der rechten Schulter von Tobias.

Grosser, frischer Felsausbruch links vom Stand von L3, im Zuge der Starkregenfälle im Sommer 2021.

L6, 30m, 5c: Mitten durch die steile Wand und nicht etwa entlang der flankierenden Risse und Verschneidungen geht es hoch. Doch auch hier ist das Gestein dermassen gut strukturiert, dass sich das im läppischen Grad 5c abspielt - genial! Erst am Ende kommt man den Strukturen näher und nutzt sie auch teilweise.

L7, 30m, 6c+: Klettertechnisch wartet hier in Bezug auf die Schwierigkeit die Hauptherausforderung und mit all der Vorinformation aus den zahlreichen Topos und dem visuellen Eindruck ist ziemlich klar, was einen erwartet. Nach kurzem, griffigem Zustieg folgt eine betont senkrechte Passage, wo das Gestein für einmal nicht mit üppiger Struktur brilliert und man mit einigen Piazmoves an seichten Schlitzen operieren muss. All dem Vorwissen zum Trotz, mit welcher Hand man beginnt, wie hoch die Füsse optimalerweise platziert werden und welche Körperposition effizient Fortschritt ohne Abschmieren verspricht, bleibt nach wie vor der Intuition des Kletterers überlassen. Nach ein paar Moves hat man unverhofft eine veritable Kelle in der Hand und erreicht mit ein paar weiteren, brenzligen Zügen endgültig einfacheres Gelände, in welchem man steil und griffig zum Stand klettert.

Blick auf die Cruxsequenz der Route am Anfang von L7 (6c+).

Rückblick auf die sehr schöne Kletterei im oberen Teil von L7 (6c+).

L8, 40m, 6b: Der Blick nach oben vom Stand sah nicht so erbaulich aus, weswegen ich gleich nochmals mit dem Vorstieg zum Zug kam. Problem war nämlich, dass nach der initialen Rampe nach rechts hinauf eine komplett durchnässte Zone mit der klettertechnischen Crux passiert werden musste. Diese war tatsächlich nicht einfach zu haben! Offenbar drückt es hier oft raus, so dass der Fels einen glitschigen Algenbelag aufweist, noch dazu sind ein paar entscheidende Griffe für einmal eher sloprig anstatt positiv und scharf... nach einigem Tüfteln konnte ich schliesslich eine Lösung identifizieren, welche sich trotzdem kontrolliert klettern liess. Auch die Fortsetzung der Seillänge entlang von Rissen und Schuppen war teils feucht - doch dank weniger Aquaplaning und tieferen Schwierigkeiten nicht mehr die gleich grosse Herausforderung.

Für ein paar Meter direkt durch den Schlonz! Challenge in L8 (6b).

L9, 40m, 6a+: Eine sehr schöne Seillänge, eine der besten der Wand - rein optisch würde man kaum glauben, dass der Weg durch die steile Wand oberhalb des Standes wirklich nur 6a+ sei. Doch ich kann mich nur wiederholen, dank der fantastischen Struktur geht's, wobei man hier effektiv für einmal ziemlich kleingriffig operieren muss. Nachher geht's dann rechts um die Ecke und wieder zurück nach links, nicht mehr ganz so steil und weiter mit unglaublich strukturiertem Fels.

Selbst auf den Fotos sieht das Gestein nicht so griff-adhärent aus, wie es ist - hier in L9 (6a+)!

L10, 25m, 4c: Im Gesamtkontext ein kurzes Überführungsstück an den nächsten Steilriegel, aber das wird der Sache nicht gerecht! Unglaublich vom Wasser zerfressenes Gestein machen diese Passage einmalig! Dem Mathematiker kommt der Gedanke, wie gross wohl die einem Fraktal gleichende Oberfläche eines 1x1m-Quadrats hier wäre?!? Vielleicht wäre das ja eine Masszahl für die Kletterfreundlichkeit eines Gesteins...

Unglaublich zerfressen ist der Fels am Ende von L10 (4c) - genial zu beklettern!

L11, 40m, 6a+: Hier geht's wieder mehr zur Sache - steil hinauf und an einem kleinen Überhang will mit einem weiten Zug eine Schuppe ergriffen werden, um sich in der Wand darob zu etablieren. Dort weiter in homogener, stets anregender Kletterei. Eine Passage mit einer markanten Schuppe erfordert nochmals etwas Nachdenken, wie man sie am besten passieren kann. Zuletzt etwas einfacher aber sehr genussreich zum Stand.

Beweglichkeit und ein paar kräftige Züge sind in L11 (6a+) gefragt...

L12, 40m, 5c: Ein grosser Quergang, der viel Ambiente gibt! Etwas unbedarft hat man zwar den Eindruck, dass eine Routenführung gerade hinauf gut möglich und vielleicht logischer gewesen wäre - die Erstbegeher haben diese Möglichkeit denn auch später in ihre 'Best of Genuss' eingebaut, welche man im Quergang kreuzt (Metallplakette mit Wegweiser vorhanden, Verhauergefahr daher eliminiert). Der Quergang an sich (erst rüber, dann rauf, dann rüber) zum von weither sichtbaren Stand bietet nicht die grossen Schwierigkeiten und war trotz einigen Rinnsalen und ein paar Grasbüscheln genussreich zu klettern.

Die Wand fast wie ein Gemälde - im Bild der grosse Quergang von L12 (5c).

L13, 40m, 5c+: Eine unglaubliche Seillänge! Der von Stand 12 unscheinbare dunkle Streifen in der glatten Wand rechts der klassischen (und nassen) Verschneidung entpuppt sich als stark vom Wasser zerfressene Runse. Mit eleganter Kletterei gewinnt man hier an Höhe, das ist echt wie gemacht für die Kletterei - kaum zu glauben, in solch steilem und wenig grobstrukturiertem Gelände so einfach steigen zu können. In der zweiten Hälfte der Seillänge klettert man dann teils in der (dort nun trockenen) Verschneidung selber, wohl auch weil in dieser eine klassische Route verläuft, sind die Hakenabstände für einmal grösser wie üblich. Zuletzt wieder rechts in die etwas grasige Wand hinaus zu Stand.

Auch hier in L13: wie schwierig ist das? Kaum zu glauben, dass es so gut geht und nur 5c+ ist!

L14, 35m, 6a+: Abschlussbouquet mit einer nochmals tollen Seillänge, die gleich zu Beginn mit einem steilen Wulst aufwartet. Ein paar Seitgriffe erlauben es, die nötige Höhe zu gewinnen, der Mantle ins plattige Gelände dünkte mich fast die heikelste Sache. Die folgenden Platten nun nicht mehr ganz so vom Wasser zerfressen, sondern etwas mehr glatt und geschlossen, so wie man den Nordwandkalk aus vielen anderen Wänden kennt. Und man merkt gleich, wie schwierig die Sache wäre wenn... Doch zum Glück gibt's hier noch eine Leiste und da einen kleinen Absatz und so geht auch diese letzte Challenge in sauberer Manier von der Hand.

Nochmals zupacken heisst es am Wulst zu Beginn von L14 (6a+).

Hier am Ende von L14 (6a+) ist das Gestein deutlich glatter, da sieht man wie es wäre wenn...

L15, 30m, 4a: Wir frotzeln, dass die Erschliesser hier wohl schon müden waren und die Lust verloren hatten?!? Es wäre nämlich durchaus denkbar, den Plattenschild der Abbruchkante entlang noch weiter Richtung Gipfel hinauf zu verfolgen. Aber nein, die Route quert über eine Rampe in eher klassischem Alpingelände nach links hinaus zur Wandkante - der Stand dort an Latschen selber einzurichten.

Die letzten Meter in L15 (4a), hier nahmen die Erschliesser den easy exit aus der Wand.

Um rund 13.00 Uhr und damit nach 5:30 Stunden Kletterei hatten wir es geschafft! Wie erhofft war mir eine komplette Onsight-Begehung gelungen, wobei es die Bedingungen stellenweise nicht so einfach gemacht hatten. Im Überschwang erhoffte ich mir, nicht nur einen Rotpunkt, sondern auch noch einen Gipfelpunkt zu ergattern, da die Alpawand ja schliesslich mit der Höhenquote 1671m in der Literatur aufgeführt ist. Also aufwärts durch die Latschengasse in Richtung des höchsten Punkts. Nach ein paar Minuten erreichten wir den Ausstieg der Route 'Im Nest des Geiers' (Wandbuch, dasjenige am Ausstieg der Wassersymphonie existiert leider nicht mehr). Dies stellte den logischen Endpunkt unseres Aufstiegs dar und bestimmt die Position der Höhenquote. Der Kamm zieht sich aber mit (mehr) Auf und (weniger) Ab noch über eine lange Strecke hin und ist komplett von Föhren überwuchert, einen eigentlich Gipfel gibt es hier nicht.

Am Gipfel der Alpawand (1671m).

Also ging es wieder auf gleichem Weg zurück zum Ende der Wassersymphonie und dem deponierten Material. Ab hier durch kurz durch eine Latschengasse, wenig später trifft man auf offeneres, leicht bewaldetes Gelände. Eine ausführliche Beschreibung des Abstiegs erübrigt sich - Worte dazu findet man in der Literatur genügend, wobei diese nicht zwingend nötig sind. Eine Pfadspur ist meist gut sichtbar, auch wenn sie doch abschnittweise erstaunlich schwach ausgetreten ist, weiter gibt's rote und gelbe Farbmarkierung an Bäumen und Steinen sowie von der Bergrettung angebrachte Reflektoren. Ab der Alpaalm dann über den Steig zum Rucksackdepot, weiter zu den Rädern und in rasanter Fahrt zurück zum Auto, wo wir um 14.45 Uhr (inklusive Gipfelaufstieg und gemütlicher Rast da) eintrafen. Es wartete noch der lange Weg nach Hause aber nach einer solch tollen Tour nimmt man diese Pflicht gerne in Kauf.   

Facts

Alpawand - Wassersymphonie 6c+ (6a+ obl.) - 15 SL, 500m - Brüderl/Amann 1998 - ****;xxxx
Material: mind. 1x40m-Seil (reicht!), 15 Express, Cams/Keile nicht nötig

Plaisirroute in etwas alpinem Ambiente mit anhaltender Kletterei im Bereich 5c/6a, ein paar kurzen 6a+/6b-Intermezzi mit zwei schwierigeren Einzelstellen im 6c/+ Bereich. Die Wand ist sehr imposant und das wasserzerfressene Gestein sehr aussergewöhnlich und bestens für die Kletterei geeignet - eine Tour in dieser Wand muss man einfach einmal gemacht haben. Negativ bemerken kann/muss man, dass das Ambiente teils etwas grasig ist, Wand/Route sehr anfällig auf Feuchtigkeit und der Fels teils auch belagig ist - was umso mehr stört, wenn man bei nicht einwandfrei trockenen Verhältnissen anrückt. Dies ist, wie man allenthalben lesen kann, für den Genussfaktor wirklich unbedingt zu empfehlen und einen warmen Tag zu wählen ist auch sinnvoll. Unsere Begehung war tendenziell auf der frühen Seite, dafür hatten wir Wand und Route für uns alleine, was an den Toptagen sicher nicht der Fall ist. Die Absicherung mit rostfreien Bohrhaken ist sehr gut ausgefallen - dort wo es ganz einfach ist, auch mal ein bisschen weiter aber immer noch völlig im grünen Bereich, auf dem Niveau 6a+ dann top-sportklettermässig, die noch schwierigeren Stellen weisen hallenartige Abstände auf und können A0 begangen werden. Topos gibt es ganz viele, in verschiedenen lokalen Führerwerken und Auswahlbänden, sowie frei auf dem Netz verfügbar - am besten jene von Bergsteigen.com oder bei Thomas Behm.