Die Nikita an den Gastlosen, wie oft habe ich die schon ins Spiel gebracht, als es um die Auswahl einer MSL-Route ging?!? Es muss wohl unzählige Male gewesen sein. Immerhin geht ihr der Ruf voraus, eine der besten und längsten Routen auf der Südseite der Gastlosen zu sein. Doch jetzt, an Auffahrt 2019, wo in vielen Gebieten noch zu viel Schnee zum MSL-Klettern lag, war der Zeitpunkt gekommen. Tatsächlich trafen wir vor Ort auf beste Bedingungen und die 17 SL Kletterei in prima Kalk erfüllten unsere Ansprüche vollends.
Routenverlauf der Nikita an den Marchzähnen in den Gastlosen. Die ersten 2.5 Seillängen sind auf dem Foto nicht einsehbar. |
Unsere Tour begann um 8.50 Uhr beim kleinen Parkplatz an der Kantonsgrenze BE/FR auf 1480m. Dieser ist bald einmal komplett gefüllt und da ausserhalb davon Parkverbot herrscht, kann man bereits bevor es losgeht auf erhebliche Schwierigkeiten treffen. Dies betraf uns zum Glück nicht. Ebenso ist man geheissen, 7 CHF in Form von Münzen in die montierte Kasse zu werfen. Da die Parkgebühr anonym einkassiert wird, kann nicht kontrolliert werden, wer bezahlt hat und wer nicht. Viele wird es wohl dazu verführen, sich den Obulus zu sparen. Nein, eine Busse gibt's logischerweise keine. Aber der Kassenwart zählt halt einfach das Geld in der Kasse und die Anzahl vorhandener Autos. Gibt's einen Fehlbetrag, so sind "die Kletterer" die Schuldigen und die langfristigen Folgen kann man sich leicht denken. Also, bitte bezahlen!!!
Endlich folgt nach dem regnerischen Mai 2019 ein herrlicher Tag. Es kann losgehen mit der MSL-Saison! |
Der Anmarsch ist dann eine kurze Sache. Aufgrund mühsam zu begehender Geröllreissen sollte man sich davor hüten, sich (zu) direkt zum Einstieg heranzupirschen. Besser ist eine Linksschleife, d.h. erst die Wegspur Richtung Oberbergpass verfolgen und dann am Wandfuss queren. Weil im Boden unterhalb der Wände noch recht viel Schnee liegt, sind wir bald off-track unterwegs. Ist aber nicht weiter wichtig, nach 20 Minuten sind wir am Einstieg, der aktuell noch recht gut lesbar mit goldener Farbe beschriftet ist. Allzu lange brauchen wir nicht, bis wir parat sind, um 9.30 Uhr geht's los. Allerdings sollte man sich auch nicht zu lange und auch nicht zu unvorsichtig im Einstiegsbereich aufhalten. VORSICHT: dieser ist genauso wie die ersten 4 SL etwas dem Steinschlag aus dem markanten Couloir ausgesetzt. Nie ohne Helm und bei ungünstigen Verhältnissen (Schneereste, Gewitter) wird es auf diesem untersten Routenabschnitt sicher heikel.
L1, 6b: Schwieriger Auftakt schon gleich am ersten Haken vorbei mit kniffliger Kletterei an kleinen Löchern. Während es danach zuerst etwas einfacher vorangeht, wartet am Schluss nochmals eine schwierige Querung nach links mit dem Problem, sich in den ansetzenden Wasserrillen zu etablieren. Fand ich im Vergleich eine harte 6b!
Schöne Kletterei in L1 (6b), aber nicht geschenkt. Schon gleich am ersten Haken wartet eine knifflige Stelle. |
L2, 6b: Eine der am wenigsten attraktiven Seillängen. Gerade hinauf, erst geht's noch gut, doch dann wird es ungemein glatt. Man kann aber vorerst rechts ins Gemüse ausbüxen, so ist das wohl auch gedacht (ansonsten sicher deutlich schwieriger wie 6b!). Unweigerlich gilt es dann aber doch, die glatte Platte nach links zu queren. An der richtigen Stelle geht's aber mit 1x entschieden Antreten gut.
L3, 6b: Sehr schöne Seillänge mit plattiger Kletterei. Erst noch keine harte Währung, in der Mitte muss kurz anspruchsvoller auf Reibung angetreten werden, bevor ein prima Ausstieg an Wasserrillen folgt. Dort macht die ansonsten sehr gute Absicherung kurz Pause und es ist ein kleiner Runout über einer Sanduhrschlinge nötig.
Eine plattige Stelle führt in L3 (6b) zu sehr schönen Wasserrillen, wobei ein kleiner Runout zu meistern ist. |
L4, 6b: Kurz rechts, dann gerade hinauf, das Schuttcouloir überqueren und dann in griffig-athletischer Kletterei durch die steile Wand links. Das geht prima, knifflig wird's erst zum Schluss, wo eine vom Steinschlag glatt polierte Platte ziemlich zwingend zum Stand hin erklettert werden muss.
L5, 6c: Nun gilt es das erste Mal richtig ernst mit einer der anspruchsvolleren Seillängen. Schon die ersten Meter nicht ganz einfach, bevor dann unter dem Dach eine Herausforderung wartet. Wenn man es ungünstig macht, ist die Plattenstelle richtig heftig (>6c). Doch wer die richtige Lösung sieht, kommt im angegebenen Grad durch. Dann kurz athletisch am Dach, das sich jedoch prima auflöst. Das Finish dann nochmals knifflig und fordernd über die glatte Platte.
Hier, am Anfang von L5 (6c) legt die Route noch eine Schippe drauf. |
L6, 6b+: Supergeniale, ziemlich anhaltende Turnerei an Löchern und Leisten in der senkrechten Wand, nach meinem Empfinden die beste Seillänge im unteren Teil. Fand ich eher gutmütig für den Grad. Zum Schluss muss man entweder Sanduhren fädeln oder etwas weitere Abstände im 6a-Gelände in Kauf nehmen.
L7, 6a+: Schöne Kletterei über den Pfeiler. An zwei entscheidenden Stellen kann man etwas rechtshaltend ausweichen, das macht's zur 6a+. Fast ein wenig schade, dass man nicht die direkte Linie wählen muss - dann wäre es aber 6c oder mehr.
Der Fels ist meist super, aber im Rückblick ist's selten so richtig fotogen im unteren Teil. Hier in L7 (6a+) aber schon. |
L8, 6c+: Zum Schluss die nominell schwierigste Seillänge im unteren Teil. Die Querung nach rechts ging mir problemlos (evtl. etwas grössen- bzw. reichweitenabhängig?!?), "the meat of the pitch" folgt in der fusstechnischen, linksliegenden Verschneidung danach. Ein paar Mal sauber antreten, schon bald geht's wieder besser. Trotz der guten Absicherung Vorsicht, dass man bei einem Sturz keinen Salto übers Seil macht! Zuletzt geht's dann einfacher hinauf zum Stand.
L9, 2a: Die Überführungslänge zum oberen Teil. Erst 10-15m einen maroden Fixseil entlang. Es wäre schön, wenn eine nachfolgende Seilschaft dieses ersetzen würde und aufs Diagonalband, welches sich für eine Pause anbietet. Schliesslich ist im oberen Teil doch noch einiges an Kraft nötig!
L10, 7a+: Das mit dem "Kraft nötig" gilt hier bereits für die allerersten Meter. Eine nicht sonderlich griffige Schuppe will "très physique" in Gegendruck-Technik gemeistert werden. Für die Füsse gibt's nicht wirklich viel ausser die etwas schmierige Wand. Zu allem übel war diese auch noch stellenweise nass, da es unter der Schuppe noch rausdrückte. Hart am Limit und zuletzt mit einem weiten, dynamischen Zug an den Henkel konnte ich hier onsight passieren. Meine Wahrnehmung: da hat mir die Technik aus den Boulder-Wettkämpfen in letzter Zeit die Idee und die Möglichkeiten zur Ausführung gegeben. Damit ist es aber nicht vorbei. Nach einem Rastpunkt folgt eine Stelle an Tropflöchern mit schwierig zu klippendem Bolt mitten in der Sequenz. Erneuter Schüttler, dann technisch nach rechts moven. Erneute Pause, dann zur abschliessenden, sehr technischen Sequenz bei der Fixschlinge, die nochmals um 7a/+ ist.
L11, 6b+: Eine etwas weniger schöne Länge, teilweise etwas grasig. Erst ein bisschen plattig und problemlos nach rechts, dann an einem Riss aufwärts, wohl teilweise gemeinsam mit einer älteren Schlaghaken-Route. Da muss man schon kurz mal hinschauen, aber für 6b+ fand ich das jetzt eher gängig.
L12, 7b oder 6c/A0: Nun auf in die absolut geniale Cruxlänge "Verdon Memoires". Der Auftakt über die Platte noch problemlos, doch das Steilgelände kommt. Zuerst athletisch in einer grossen links/rechts-Schleife an noch guten Griffen. Charakteristisch der weite Move, der an einem Dreckloch eingeleitet wird. Pfff, da wäre ich doch fast rausgeflutscht. Dann geht's an relativ guten Tropflöchern links aufwärts, bis zur Passage mit den 3 eng steckenden BH. Wie erwartet werden die Griffe/Tritte schlechter, abgefahrene Moves sind gefordert. Zudem gilt es, die richtige Lösung zu erraten, sonst kann man sich gehörig in eine Sackgasse manövrieren. Das ist nicht so einfach... aber mehr zu sagen, wäre leider zu viel ;-) Endlich folgt danach ein besserer Griff, doch wer sich bereits am Ziel wähnt, hat sich getäuscht. Die Klimax besteht in der intensiven, kniffligen und unübersichtlichen Sequenz zur Kette. Leider war ich hier irgendwann über der Schwelle: nur noch graues Flimmern, aufgehende Finger... und fertig war's mit dem Onsight-Gesamtdurchstieg. Schade, aber wäre es nicht ein Spiel, wo man auch verlieren könnte, so wäre das Klettern kein interessantes Game. Subjektiv würde ich der Länge bis zum Henkel nach den 3 eng steckenden Bolts bereits 7b geben, mit dem Finish denke ich, ist's eher 7b+. Aber vielleicht lag's ja an mir... Wer die Schwierigkeit nicht ganz drauf hat, kommt hier wohl schon recht gut A0 durch, ob's aber mit nur 6b obligatorisch reicht, da bin ich dann doch nicht so sicher.
L13, 6b+: Lustiger Auftakt, wenn da nicht gerade dieser Henkel wäre, so wäre diese Stelle dann bald einmal nahezu unmöglich! Bald darauf folgt eine für den Grad 6b+ ziemlich heftige Platten-Einzelstelle. Einmal geschafft, cruist man die Verschneidung hinauf. Schon erstaunlich, wie viel einfacher die Kletterei ist, sobald es ein paar gute Tritte hat! Dann Stand rechts aussen.
L14, 6b+: Der Kante entlang aufwärts... aber wo genau? Links, direkt oder auch mal rechts, wo sich eine alte Schlaghakenroute befindet? Mir war das nicht ganz klar und rückblickend bin ich hier wohl einen kompletten Stiefel zusammengeklettert. Musste mich richtig zusammenreissen und Moves am Limit machen, dass ich durchkam. Mein Kletterpartner blieb dann im Nachstieg konsequent links der Kante und es sah bei ihm viel einfacher aus wie bei mir.
Luftige Linienführung und schöne Kletterei in L14 (6b+). |
L15, 6a: Abschlussstück weiter entlang oder etwas links der Kante, teilweise gemeinsam mit der alten Route. Bisschen gesuchte und umgehbare Cruxsequenz in der Mitte.
L16, Gehgelände: Man kommt hier fast nicht darum herum, den Stand 10m nach links an den Fuss des finalen Aufschwungs zu verschieben. Ansonsten sollte der Vorsteiger zu Beginn der letzten Länge dann definitiv nicht stürzen...
L17, 6c: Der Auftakt schon steil an nicht ganz so griffigen Rissen, ich konnte ihn jedoch trickreich überlisten. Die folgende Passage nach rechts hinaus ist dann aber einfach nochmals schwierig. Plattig antreten bei Bedienung von Unter- und Seitgriffen, inklusive schwierigem Klipp mitten in der Crux. Es braucht nochmals Kraft und ich fühlte mich irgendwie am Limit. Aber wenn das Pulver einmal verschossen ist, so kann einem eben auch 6c auf die Pelle rücken, das ist ja nichts Neues.
Yeah! Il Turista mit den Boulderschüehli auf dem Petit Grenadier. |
Ein paar Minuten nach 16:00 Uhr und damit gut 6:30h Kletterzeit sind wir am Top. Der finale Stand befindet sich etwa 8m unterhalb vom Gipfel des Klein Grenadier. Als echter Alpinist wollte ich aber natürlich nicht dort umdrehen. Ganz oben gibt's auch einen Stand und da man ab hier eh nur bis zum Stand nach L15 zurück kann, war auch das Seil abziehen aus dem eher ungünstig gelegenen Gipfelstand gut möglich. Wir geniessen ein wenig die Rundsicht an diesem fantastischen Bergtag, die Berner Alpen stehen wunderschön aufgereiht vor unserer Nase. Nach einer Weile geht's an den Rückweg. Wir haben die 2x50m-Seile mitgenommen, so sind 8 Manöver fällig. Vom Stand nach L11 reicht's gerade zu jenem nach L8, d.h. die Fixseilpassage und das Seil aufnehmen dazwischen kann man sich sparen. So dauert die Abseilerei knapp 1h und der Abstieg zum Auto danach ist im Nu erledigt, da man schön im Geröll abfahren kann. So braucht's zuletzt nur noch etwas Ausdauer hinter dem Steuer. Unser Fazit: es mögen im 2019 noch manche solche MSL-Tage wie dieser folgen!
Das grandiose Panorama vom Top der Route. |
Facts
Gastlosen - Nikita 7b (6b obl.) - 17 SL, 400m - G. Buchs et al. 1999 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Keile/Friends nicht nötig & kaum einsetzbar
Eine der längsten und besten Routen auf der Südseite der Gastlosenkette. Die untere Hälfte ist eher plattig und verläuft in schönem, wenn auch manchmal etwas glattem Fels. Die Wand ist jedoch stark gegliedert und neben der Route oft grasdurchsetzt. Ein wenig muss man befürchten, dass man während dem Klettern nebenan von einem T6-Hikr überholt wird. Klar ist jedoch, dass die Route das Maximum aus diesem unteren Teil herausholt, trotzdem würde ich für die erste Hälfte nur 3 Schönheitssterne geben. Die obere Hälfte hat dann mehr Schwung, Exposition und bietet richtiges Wandfeeling. Die zwei Cruxlängen bieten recht anhaltende Schwierigkeiten, die Kletterei ist oben generell deutlich athletischer wie unten. Die Route ist von den Abständen her gut bis sehr gut abgesichert, zwingende Stellen oder längere Runouts kommen kaum vor. So ist es komplett unnötig, mobiles Sicherungsmaterial mitzuführen, sowieso wäre dieses auch kaum zu platzieren. Zu erwähnen ist jedoch, dass die ungünstige Mischung von verzinkten Ankern und rostfreien Plättli verwendet wurde. Die Korrosion hat an manchem Sicherungspunkt schon deutlich sichtbar genagt. Stand 2019 lässt sich die Route noch ohne grössere Sorgen machen, noch einmal 20 Jahre werden die Haken aber kaum überdauern. Wie im Text bereits erwähnt: die untere Hälfte, insbesondere der Einstiegsbereich und die ersten 4 Seillängen sind etwas dem Steinschlag ausgesetzt. Helm auf, Ohren spitzen und bei ungünstigen Verhältnissen verzichten. Ein Topo zur Route findet man z.B. im Extrem West oder im Gastlosen-Führer, auch ins Werk Moderne Zeiten hat die Nikita Aufnahme gefunden.
Die Südseite der Gastlosen und damit auch die Nikita sind zur Zeit nach einem Felssturz an den Marchzähnen nicht zugänglich. Siehe hier für nähere Infos.
AntwortenLöschenHoi marcel, zur info: zufahrt, zustieg und die route sind wieder problemlos kletterbar! (Abgesehen von den vielen cruxstellen ;) ) Vom felssturz habe ich nichts gesehen... Lg calina
AntwortenLöschenHoi Calina.
LöschenAh super, vielen Dank für die Meldung! Wäre schade gewesen, wenn die Tour nicht mehr machbar wäre.
Lg, Marcel