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Mittwoch, 21. Juni 2023

Rätikon - Sabra (7a)

Rätikon Sabra, das stand schon viele Male auf dem Zettel, als es um die Auswahl einer Route ging. Irgendwie kam es doch nie dazu, restlos genau zu erklären ist das nicht. Möglicherweise ist es eine Kombination der mit 8 SL auf dem Papier kurz scheinenden Kletterstrecke und einiger nicht durchwegs positiver Online-Rezensionen. Aber spät(er) ist nicht nie, der Tag kam wo wegen abendlicher Verpflichtungen, einem nicht zu 100% gewitterfreien Wetter und einem schon weit zurückliegenden letzten Rätikon-Besuch die Sabra genau das richtige Ziel war. Zudem sollte ich ja sowieso für den im 2024 geplanten Kletterführer recherchieren, das passte umso besser. Mit der Aussicht auf diesen sollte man online vielleicht nicht alle Körner verpulvern - den textlastigen, einen Kletterführer weit sprengenden Blog gibt's nun trotzdem, für ein aktualisiertes Topo und das Wandbild mit dem Routenverlauf verweise ich aber gerne auf das zu erscheinende Schriftstück.

Die Kirchlispitzen mit der Sabra ganz rechts an der noch grösstenteils schattigen 7. Spitze.

Ich habe es auf diesem Blog nun schon mehrmals erwähnt: die Strasse von Schuders zum Parkplatz bei der Kletterhütte oberhalb des Grüscher Älpli ist neu kostenpflichtig (10 CHF/Tag, bezahlbar mit den Apps Twint oder Parkingpay, Details am Ortseingang von Schuders). Ich präferiere inzwischen das E-Bike für die Strecke: es ist gleich geschwind oder tendenziell schneller wie mit dem Auto (bis Melkplatz 26min hin, 18min retour), es schont die Karrosse und vermeidet Parkplatzprobleme, welches es an Wochentagen in der Vorsaison zwar kaum gibt, im Sommer und Herbst an Weekends aber durchaus. Zur Erinnerung, man darf sich nur auf dem Platz unterhalb vom Kletterhüttli stationieren, wo es für ca. 8 Fahrzeuge Platz hat. Vom Melkplatz stiegen wir zügig in ca. 25 Minuten hinauf zum Einstieg, der sich ca. 20m links vom mir wohlbekannten Start der Kamala befindet. Um 9.45 Uhr hatten wir alles parat und legten mit der Kletterei los.

Die beste Variante, um ins Gebiet zu kommen...

L1, 25m, 6b+: Der Start befindet sich bei einem angelehnten Pfeiler bei einer stark verwitterten Sanduhrschlinge. Dieser bietet problemlose erste Meter zur kompakten Wand hinauf, wo es dann gleich volle Kanne losgeht. Die Absicherung ist gut, dennoch will engagiert gestiegen werden. Es wartet mehr oder weniger senkrechte Wandkletterei an schönem Fels - teilweise mit leichter Staubschicht von der Feuchtigkeit, welche hier wohl doch hin und wieder drückt. Sollte letzteres der Fall sein, so erachte ich die Länge als unpassierbar. Das hat auch mit einem längeren Abstand zum letzten BH hin zu tun, welcher in einem zwar nicht sehr schwierigen, aber doch ziemlich kühnen Quergang erreicht werden will.

Trotz der moderaten Bewertung: schon in L1 (6b+) muss man richtig parat sein!

L2, 25m, 6c+: Dieser Abschnitt bietet eine etwas eigenwillige Routenführung. Der erste BH ob dem Stand ist gut sichtbar und wird mit einer Linksschleife erreicht. Dann quert man weit nach rechts und klettert in einem grossen Bogen dem schönsten Fels und den homogenen Schwierigkeiten entlang (?!?). Der Ausweg aus diesem Wandteil führt aber unweigerlich durch den überhängenden Abschluss der Rissverschneidung. Diese kann bestimmt auf zig verschiedene Arten bewältigt werden, von Riss-Jamming über Kamin-Fortbewegung, Ausspreizen und derlei 3d-Manöver ist vieles vorstellbar. Auch das ist übrigens eine Stelle, wo die Feuchtigkeit lange drückt. Insgesamt handelt es sich hiermit um die vermutlich am besten abgesicherte Seillänge der Route.

Ich sage nur "es täuscht". Dieses Foto gibt keinen adäquaten Eindruck der lässigen L2 (6c+). Vor allem befindet sich der Akteur (auch wenn es trivial aussieht) in der Crux, dem kaminartigen Rissüberhang zu entsteigen ist dann im Fall alles andere als einfach!

L3, 50m, 5c+: Nun ja, gerade attraktiv sieht dieser Abschnitt vom Standplatz unterhalb nicht aus. Das Gelände wirkt eher splittrig und lässt rustikale Verschneidungskletterei bei spärlicher BH-Sicherung vermuten. Schlussendlich entpuppt es sich als weniger schlimm wie befürchtet. Nicht alles was lottrig aussieht fällt gleich auseinander und während auf die gestreckten 50m tatsächlich nur 3 BH stecken, so befinden sich diese genau am richtigen Ort, dazwischen können mobile Sicherungen in anfoderungsgerechten Abständen platziert werden.

In L3 (5c+) macht das Gelände einen etwas splittrigen Eindruck. Sicherlich ist es die alpinste Seillänge der Route, schlussendlich ist es aber doch deutlich angenehmer zu beklettern wie man auf den ersten Eindruck befürchten könnte.

L4, 40m, 6a+: Auch diese Sequenz hat mehr den Charakter einer Übergangslänge zum fantastischen oberen Teil. Hier hätte man sich bestimmt auch eine relativ einfach Linie im vierten Grad zimmern können, doch die Erschliesser wählten einen Weg der erst links eine (erstaunlich knifflige) Plattenstelle einbaut, sich dann rechts schöne Meter sucht und zum Ende einen elegant-griffigen Abschluss findet. Aus der Optik "schöne Klettermeter maximieren" wäre m.E. der Weiterweg über die kompakte Plattenzone links oberhalb des ersten BH logischer gewesen, so hätten sich 40 homogene und sehr schöne Meter im Bereich 6b ergeben (ich hab's im Nachstieg ausprobiert und würde die Route bei der Sanierung dahin verlegen).

Aussichten auf den oberen Routenteil, Jonas in L4 (6a+) unterwegs.

L5, 40m, 6c+: Bis zu diesem Punkt war die Route vielleicht nicht gerade leichtverdaulich, aber doch noch nicht extrem anforderungsreich. Ich schreibe das, weil es ab L5 definitiv einen Gang höher zu schalten gilt. Und zwar schon bald! Über die geneigte Platte pirscht man sich noch problemlos ans aus dem Netz und Erzählungen bereits bekannte Corpus Delicti hinan. Dies besteht aus einer zu 100% zwingenden 6c/+ Reibungsstelle vom zweiten zum dritten BH. Rein metermässig ist der Abstand nicht megaweit, die zwei, drei harten Moves beginnen, wenn man mit den Füssen etwas links oberhalb des Hakens steht. Doch die Stelle ist absolut zurecht berüchtigt - mit dem eher ungünstigen Seilverlauf, den wackligen Moves und einer geneigten Plattenzone unterhalb ist der Mix absolut da, dass es einen womöglich sehr unangenehm runterpaniert. Immerhin wurde der offenbar stark in Mitleidenschaft gezogene Original-BH an dieser Stelle von einer guten Seele durch ein neuwertiges Exemplar ersetzt. Danach geht's vorerst recht gemässigt voran, bis am Ende eine taffe Sequenz nochmals fordert - je nach persönlicher Präferenz zwischen fusslastiger vs. athletischer Kletterei ist das sogar die Crux. In einer Rechts-/Links-Schleife warten coole, zügige und nicht so einfach zu lesende Leistenmoves - echt super, obschon die Felsqualität an der Stelle nur 1b ist.

Erst typische Rätikonplatten, dann powerige Leistenkletterei: in L5 (6c+) wartet das volle Programm.

L6, 50m, 6a: Für Abwechslung ist gesorgt und die folgt hier im Rahmen einer relativ einfachen Seillänge in steilem Gemäuer, wo die Absicherung abschnittweise mobil zu erfolgen hat. Im Auftakt trifft man auf einen Schlaghaken des historischen CFC-Wegs, der hier (wohl teilweise gemeinsam?!?) verläuft. Nach einem Bolt folgt eine abdrängende Schuppe, dann griffige Kletterei über tolle Platten - man achte bloss darauf, seine Sicherungspunkte gut zu verlängern! Denn am Ende (wo man sich mangels weiterem Material möglicherweise zum Verlauf fragt) quert man erst markant an einem geradlinigen Riss vorbei nach rechts, steigt über Platten hinauf um schliesslich den Stand links auf dem Pfeiler zu finden.

Das etwas grasige wirkende Foto wird der langen Reise in L6 (6a) nicht wirklich gerecht. Die Kletterei ist weitgehend super, teilweise selber abzusichern und somit für den tief angesetzten Schwierigkeitsgrad überhaupt nicht langweilig.

L7, 45m, 6c+: Eine wahre Monsterseillänge in prima Fels! Schon gleich aus dem Stand raus geht's los und so richtig "lugg" lässt es nie mehr. Wiewohl wartet nirgends die Megahärte in Form einer extremen Boulderstelle. Doch gleich zu Beginn ist's kräftig an Löchern, Leisten und Slopern, dann bahnt man sich den Weg über sehr schönen, teils mit prima Griffen gespickten Fels. In der zweiten Hälfte wird es dann mehr und mehr fusslastig - erinnerungswürdig v.a. die Linksquerung mit einem einzigartigen 3-Finger-Schlitz (ohne den die Stelle im sonst blanken Gelände wohl kaum kletterbar wäre) mit seinem engagierten Klipp danach. Einfach dran bleiben heisst es, zum Ende wird es dann an einem Riss nochmals athletisch, wobei da selbst bei verlängerten Sicherungen (und sonst erst recht) das Seil in die ungünstige Richtung zieht. 

Mit Aussichten aufs Schweizertor in der Monsterlänge L7 (6c+)

L8, 45m, 7a: Zum Ende folgt die am höchsten bewertete Seillänge und tatsächlich findet man da klar die schwierigsten Kletterstellen. Los geht's mit einer leicht überhängenden, griffarmen Wandstufe, die zu einer einfacheren Verschneidung führt. Die Moves sind erst hart und der Exit ins einfacher werdende Gelände heikel. Man kann da durchaus fallen und sollte das passieren, so kommt man wegen dem tief steckenden BH mit dem Belayer und dem Standband sehr viel schneller in intimen Kontakt als einem lieb ist. Man kann zwar einen 0.2er Cam platzieren der das verhindert, aber auch nur wenn man so viele Reserven hat, dass man wohl einfacher gleich durchzieht, bis man oben steht (Anmerkung der Redaktion: der Cam lässt sich auch aus einer Trittschlinge platzieren - was, wenn man sich nicht ganz sicher ist, der Gesundheit zuliebe vielleicht nicht der dümmste Approach ist). In griffigem Gelände gelangt man zu den nächsten Herausforderungen, welche in einem reibungslastigen Runout in einem seichten Winkel zu hoch steckendem Bolt und einer Boulderstelle mit nicht offensichtlicher Routenwahl bestehen. Das ist es aber noch nicht, das Schlussbouquet folgt erst danach in Form von einer grifflosen Zauberstelle (in senkrechtem Gelände, notabene). Für uns hat sich da keine machbare Lösung erschlossen, schon gar nicht in 7a-Kragenweite. Immerhin geht's da kommod A0 und die letzten 10m zum Stand stellen auch kein unüberwindbares Hindernis dar.

Kein Top-Foto und aussehen tut's ähnlich wie davor. Das ist aber am Routenende in L8 (7a).

So erreichen wir um 16.15 Uhr nach doch 6:30h der Kletterei das Top. Nun ja, die für 8 SL doch recht lange Kletterzeit ist schnell erklärt: in den meisten Längen wird das Seil ausgeklettert, vielfach ist es über längere Passagen schwierig und während die Absicherung wohl als "gut" bezeichnet kann, so erlaubt sie kein zügiges Durchmarschieren, sondern wohlüberlegtes Vorgehen. Noch dazu sind die einfacheren Abschnitte eher spärlich geboltet, so dass dort mit selber absichern, Wegsuche und zurückhaltendem Vorgehen auch nicht aufs Tempo gedrückt werden kann. Für den Rückweg kann man entweder über die NE-Flanke abkraxeln und dann via Schweizertor zu Fuss absteigen oder auch Abseilen, wozu 7 Manöver fällig sind. Um die Schuhe nicht mitnehmen zu müssen, hatten wir uns dafür entschieden. Je nachdem wie speditiv man ist, dauert es wohl nur ein bisschen oder auch ein Stücklein länger wie der Fussabstieg. Nachher machten wir uns zügig auf die Socken, genossen den Bike-Downhill nach Schuders und fuhren einer 40. Geburtstagsparty entgegen, die genau wie die Sabra und die Erinnerungen an die Kamala daneben in Erinnerung rief, dass es schon eine gute Weile her ist, seit ich auch noch so jung war.

Facts

Rätikon / 7. Kirchlispitze - Sabra 7a (6c+ obl.) - 8 SL, 320m - Wyser/Morel/Tischhauser 1991 - ****;xxx
Material: 50m-Seil, 12 Express (min. 5 verlängerbare), Cams 0.2-0.75 (evtl. 1 und 2), Keile

Tolle Rätikontour, welche unten noch etwas verhalten startet aber auch dort schon schöne Passagen bietet. Die obere Hälfte weist dann durchgehend besten Fels und geniale Kletterei auf. Die Route ist eher länger, wie die nur 8 SL suggerieren, da diese meist lang sind, sowie komplexe und anhaltende Kletterei bieten. Da zusätzlich die Haken nicht immer in einer Linie stecken, kämpft man am Ende der Seillängen meist gegen Seilzug - man beherzige sich den Tipp, genügend verlängerbare Alpine Draws mitzunehmen und diese auch einzusetzen. Die schwierigen Stellen sind gut eingerichtet, weisen aber doch immer wieder zwingende Passagen nahe der Höchstschwierigkeit auf. An den einfacheren Stellen stecken die Bolts eher spärlich und mit grossen Abständen. Das ist aber insofern wenig problematisch, als dass dort meist gut mit mobilen Mitteln ergänzt werden kann. Die Geräte der Wahl sind kleine Cams 0.2-0.75 - entweder doppelt oder dann mit einem Satz Keile ergänzt. Grössere Cams (1-2) bringt man sicher auch mal unter, sie scheinen mir aber verzichtbar. Hinweis: Jahreszeit beachten, da im Schatten vom Schweizereck gelegen, erscheint die Sonne trotz SE-Ausrichtung erst recht spät und verschwindet aus den oberen Seillängen spätestens Mitte Nachmittag. Topo und weitere Details zu den Routen im Panico-Führer Rätikon Süd, dessen Neuerscheinung für 2024 geplant ist.

Donnerstag, 29. April 2021

Rätikon - Haldejohli (6c oder 6a A0)

Eigentlich wollte ich diesen Rätikon-Klassiker schon lange einmal machen! Doch wenn man an den Kirchlispitzen schon alle modernen, viel höher bewerteten alpinen Sportklettertouren begangen hat, so fragt man sich dann doch, ob man sich dieses (laut den alten Topos) Geschnafel im dritten bis fünften Grad noch antun möchte. Die Gelegenheit kam schliesslich an einem Tag, wo für eine Dreiviertel-Familientour eine Route ohne allzu grossen Anmarsch, ohne allzu hohe Schwierigkeiten, aber doch mit einem tollen, gesamtheitlichen Klettererlebnis inklusive Abenteuerfaktor, Gipfel und lässiger Kletterei gefragt war. Haldejohli hat denn auch auf auf der ganzen Linie überzeugt! Die Moves sehr abwechslungsreich, viele spannende Passagen warten, trotz der tiefen Bewertungen ist die Kletterei nie banal oder langweilig, zudem trifft man weitestgehend auf Fels in Top-Qualität.

Die Südwand der 5. Kirchlispitze im Rätikon mit dem Verlauf von Haldejohli.

Unsere Tour begann um 10.15 Uhr beim sehr gut besuchten Parkplatz der Kletterhütte. Schon die ersten fünf Minuten des Zustiegs brachten viel Spannung. Einige Wochen zuvor waren wir nämlich für einen Besuch in unserem Lanciamira-Projekt Richtung Melkplatz gelaufen. Dabei mussten wir ein gewaltiges Exemplar von einem Stier passieren, welcher unmittelbar neben dem Weg in einem separaten Gehege gehalten wurde. Argwöhnisch und schnaubend beobachtete er uns damals, das Einzige das dazwischenstand, war ein dürftiger Elektrozaun, für eine solche Bestie ja nicht wirklich ein Hindernis. Nun ja, wir konnten damals unbehelligt passieren... aber für Larina besteht die Crux eines jeden Rätikon-Besuchs nun in dieser Passage, ganz egal ob die Route Haldejohli, Lanciamira, Silbergeier oder Wogü heissen wird. Doch, und das ist eben der Punkt, der Stier war gar nicht mehr erst zugegen... somit konnten wir entspannt unter die Kirchlispitzen hinauflaufen und uns der Frage widmen, ob das Prachtsstück wohl inzwischen bereits zu Wurst verarbeitet worden wäre.

Hier ist das Prachtsstück, für einmal ganz chillig - das Foto ist aber weder vom Haldejohli- noch vom Lanciamira-Tag. So klein und niedlich ist der nämlich nicht, wie er hier aussieht. Erst recht, wenn er böse dem Zaun entlang tigert...

Der Zustieg führt über den Wanderweg bis zu dem Punkt, wo er sich verzweigt. Ab da am besten direkt weglos Richtung Einstieg, der sich wirklich direkt in Falllinie der Scharte zwischen 5. und 6. Kirchlispitze befindet. Wir konnten dabei zusehen, wie schon 4 Seilschaften in der Kamala engagiert waren - auch eine Route, die wir in dieser 3er-Konfiguration einmal noch begehen müssen, war die Tochter da bei der Erschliessung ja noch in Mamas Bauch mit dabei. Anyway, über etwas Geröll geht's an die deutlich Rinne heran. Man kann diese bis ganz hinauf zum Einstieg verfolgen, einfacher geht's wenn man mittig bei einer Verflachung etwas links ausholt. Der Start von Haldejohli ist bei der kamin- resp. höhlenartigen Verschneidung gut zu identifizieren, mit einem rostfreien BH mit Fixé-Lasche markiert und zudem auch angeschrieben. Um 11.15 Uhr hatten wir alles bereit und stiegen in die Route ein. Meine beiden Damen stiegen jeweils in Unwissenheit der offiziellen Bewertung nach und gaben ihre unverfälschte Einschätzung frei von der Leber weg kund. Diese Einstufungen, auch wenn sie nicht immer harte Münze sein mögen, sind in der folgenden Beschreibung angegeben.

Der Einstieg befindet sich direkt unter der Scharte zwischen 5./6. Kirchlispitze und ist angeschrieben.

L1, 45m, 5c+: Laut der einschlägigen Literatur soll das ein Dreier sein, weit gefehlt! Das war mir bereits bekannt, da ich diese Seillänge schon früher einmal als Zustieg zum Komet begangen hatte. Ein paar Meter rechts der markanten, teils höhlenartigen Verschneidung geht's aufwärts, der erste BH steckt hoch, dementsprechend stellen sich auch Fragen zur Detail-Routenwahl und man muss mobil absichern. Die Crux folgt über dem dritten Bolt, wo man rechts aussen eine steile Wandpassage überwindet (relativ kurz, aber antibanal). Dann wieder einfacher mehr oder weniger gerade hinauf, der Stand befindet sich auf der Kanzel rechts.

L1 (5c+) bietet noch etwas durchzogenes Gelände, insbesondere in deren oberstem Teil.

L2, 35m, 6b: Eine sehr schöne Seillänge, welche etwas unscheinbar daherkommt, aber über weite Strecken prima plattige Rätikonkletterei bietet. Erst gängig über den Wulst hinweg, sieht man sich nach dem dritten BH einer plattigen Stelle gegenüber, die sauberes Antreten verlangt. Nach einigen wiederum gängigeren Metern wartet zum Ende hin nochmals eine knifflige Aufgabe über die mit Wasserrillen verzierte Platte, gefolgt vom Wechsel an die Verschneidung und einem einfachen Ausstieg über die Rampe (hier mobile Sicherungen für die Nachsteiger nicht vergessen).

Sehr schöne Kletterei über die wasserrillige Platte in L2 (6b).

L3, 40m, 5c: Hier gibt's scheinbar gleich mehrere Möglichkeiten, an Verschneidungen hinaufzusteigen. Richtig ist die mittlere, bei genauerer Beobachtung erkennt man da ein Stück weit oben auch einen Bolt. Steil aber griffig an stark wasserzerfressenem Fels geht's aufwärts. Nachdem man auf eine Plattform ausgestiegen ist, erkennt man bereits die markante Schuppe der Haifischflosse, welche sich direkt in der Hauptrinne befindet. Dort schlüpft man entweder durch den Kamin oder bezwingt sie piazend auf der Aussenseite. Bald darauf erreicht man den etwas unbequemen Stand direkt in der Rinne.

Durch diese hohle Gasse müssen sie kommen... stimmt aber nicht ganz. Wer schmal ist, passt ganz gut durch den kaminartigen Schluff hinter der Haifischflosse in L3 (5c), bei mehr Körperumfang klettert es sich hingegen im Piaz auf der Aussenseite womöglich kommoder.

L4, 50m, 5b: Auf den ersten Zügen heisst es gleich etwas zupacken, links herum geht's einfacher. Bald flacht es etwas ab, es folgt nun gemütliche Kletterei über die Platten rechts der eigentlichen Rinne. Eine kurze, anspruchsvollere Stelle wird durch 2 BH markiert, der Rest ist selber mit mobilen Geräten abzusichern.

Gemütlich und genussvoll klettert man im oberen Teil von L4 (5b).

L5, 45m, 5c+: Erst nochmals über die Wand rechts der Verschneidung hinauf, allerdings gilt es den Abzweiger nach links hinaus nicht zu verpassen. Mich dünkte das absolut offensichtlich, dem Verhauer-Gear zu Folge ist da aber schon der eine oder die andere fälschlicherweise gerade hinauf geklettert, bis es nicht mehr weiter ging. Über eine Art Rampe geht's diagonal nach links hinauf zur markanten Verschneidung. Hier löst sich alles viel besser auf wie man aufgrund derer eindrücklichen Erscheinung befürchten könnte, auch die Wand daneben ist super griffig - sehr schöne Kletterei!

L6, 35m, 6a: Eine plattige Seillänge, welche zu Beginn sehr schöne Rätikonkletterei bietet und auch super mit BH abgesichert ist. Nach einem kurzen Linksschwenker geht's dann im zweiten Teil der Seillänge dem schönsten Fels entlang +/- gerade hinauf. Da nur noch 1 BH steckt, ist die Linie hier nicht so einfach zu erkennen und es muss zusätzlich mit mobilen Geräten abgesichert werden.

Zum Ende von L6 (6a) ist das Gelände wieder etwas grasdurchsetzt, davor aber wartet beste, kompakte Plattenkletterei.

L7, 20m, 4a: Links vom Stand in relativ steilem, aber gut griffigem Fels durch eine Art Verschneidungsrinne aufwärts, dank 2 BH gut aufzufinden. Man steigt dann auf ein überraschend grosses Grasband aus, an der hinteren Wand befindet sich gut sichtbar der Stand. Mit 60m-Seilen kann dieser Abschnitt wahlweise mit L6 oder mit L8 kombiniert werden (beides gut möglich).

L8, 40m, Gehgelände: Über die breite und gut begehbare Grasrampe geht es links hinauf, bis man kurz vor dem grottenähnlichen Riss rechterhand den mit einem zweiten BH aufgebesserten Muniring findet.

Kurz vor Ende der Grasrampe in L8, hinten den beiden kleinen Türmen im Vordergrund quert die Route hier nach rechts und verläuft nachher +/- an der Kante, die hier den Horizont bildet.

L9, 35m, 5c: Nun geht's wieder nach rechts, Ziel ist der Durschlupf hinter dem grossen, zackenförmigen Turm. Bis dahin handelt es sich um mässig schwierige Kletterei. Einmal in der Turmscharte angekommen, bin ich den ersten, steilen Riss hinaufgeklettert. Der ist prima zu klettern, mobil abzusichern und garantiert keine 3c, wie der SAC-Führer behauptet. Wer weiss, vielleicht gäbe es weiter rechts ausholend eine leichtere Möglichkeit - egal, wenn dem so wäre, dann wäre trotzdem dieser Riss die attraktive Variante! Zuletzt trifft man dann auf einen BH, der eine kurze Plattenstelle zum Stand hin absichert. Wer die Kletterei an diesem Stand beenden möchte (oder muss), quert 10m in einfachem Gelände nach rechts, von wo man problemlos über die hier flache Nordabdachung absteigen kann.

L10, 30m, 6a+: Hier bietet die Route eine schöne, etwas glatte und geneigte Plattenkletterei. Schon am ersten Bolt vorbei heisst es etwas hinschauen und hat man das Exemplar Nr. 2 geklippt, so muss man erst recht die Hirnmasse in Bewegung bringen. Direkt zum dritten Haken ist es arschglatt und sauschwer (>=6c), um im Grad 6a/+ zu verbleiben, ist eine kleine Linksschleife gefordert. Wo/wie man für die 4c im SAC-Führer klettern muss, hat sich mir nicht erschlossen. Nach dieser Stelle schön und gemütlich zum Stand.

Schöne, plattige Kletterei auf dem Ostrücken der 5. Kirchlispitze wartet in L10 (6a+).

L11, 35m, 6c: Freiklettertechnisch folgt nun noch die Crux und am Haken zu ziehen ist ja definitiv etwas, was heute nicht mehr en vogue ist! Allerdings könnte man hier dann doch noch bald einmal versucht sein, den Joker A0 zu Rate zu ziehen. Rechtshaltend gelangt man zur etwas kleinsplittrig wirkenden, wulstigen Stufe (kein Problem aber, es hält alles) und klippt den BH. Jetzt heisst es kleine Leisten dübeln - ginge ja noch, nur hat es kaum Tritte. Ein zweiter (Hilfs)haken folgt sogleich, allerdings ist der aus der Kletterstellung echt fast nicht (sicher) zu klippen. Die beste Option zum Freiklettern ist es, diesen Haken auszulassen und gleich weiterzusteigen. Ein Sturz wäre zwar wohl unangenehm (Pendler, flaches Gelände unterhalb), doch nicht echt gefährlich. Und zum Glück kommen auch bald wieder Griffe, wo man nicht mehr loslässt. Nach ein paar einfacheren Moves geht's nicht (wie man versucht sein könnte) rechts um die Ecke, sondern links über 2 BH die steile Verschneidung hinauf mit nochmals schönen Bewegungen im 5c/6a-Bereich. Zuletzt dann noch in bereits grasigem Gelände weiter, der Stand kommt dann schon. 

Die Cruxlänge (L11, 6c) führt einen auf den Grat, über welchen man den Gipfel erreicht. Hinten die Drusenfluh.

L12, 50m, Gehgelände: Zum Gipfel sind es noch 50m in einfachem Gelände. Es steckt nur noch ein einziger Bohrhaken (mehr ist auch nicht nötig). Während es zur Zeit unserer Begehung keinen Stand gab und man per Totmannsicherung nachnehmen musste, so wurde im Juli 2025 ein solcher eingerichtet. Er liegt 2m westlich vom höchsten Punkt und stellt auch den Start für die beste Abseilvariante dar. Hinweis: routinierte Kletterer können das Seil nach L11 auch aufnehmen und diesen Abschnitt seilfrei begehen.

Wie sagt man schon wieder?!? Mit vollem Maul fotografiert man nicht (oder so etwas) ;-)

Um 16.15 Uhr und somit nach 5:00 Stunden genussreicher Kletterei in Dreierseilschaft waren wir auf dem isolierten Gipfel angelangt und konnten bei besten Bedingungen eine gemütliche Rast halten. Dies inklusive einem super Ausblick auf die obere Südwand der 4. Kirchlispitze, durch welche unsere Prix Garantie verläuft. Immer wieder toll, so in Erinnerungen schwelgen zu können! Schliesslich hiess es dann, an den Weg zurück nach Hause zu denken. Dazu waren mir die Gegebenheiten nicht ganz klar, da es mindestens 4 Optionen gibt:

  1. Über den Grat zurücksteigen zum Stand nach L11, von dort gelangt man mit 1x50m Abseilen nach NE auf eine flache Zone, wo man dann Richtung NW geht und mit den folgenden Möglichkeiten zusammentrifft.
  2. Die beste Option: seit der Sanierung im Juli 2025 kann man direkt vom Stand am Gipfel 30-35m Richtung NW abseilen. Dies zuerst durch eine seichte, 2m breite Rinne, dann über eine Steilstufe, wodurch man in eine 4-5m breite Schuttrinne gelangt. Dort, wo diese senkrecht abbricht, befindet sich der nächste Stand mit 2 BH (gut sichtbar und zugänglich). Mit einem 50m-Manöver gelangt man in flaches Gelände und kann zu Fuss absteigen. 
  3. Wir folgten indessen dem Grat mit etwas Auf und Ab weiter nach Westen bis in die erste, deutliche Scharte - an sich unschwierig, aber doch eine exponierte Bergsteigen-Einlage. Hier befindet sich eine mit neuen BH ausgestattete Abseilmöglichkeit (3x25m, 1x60m plus Abkraxeln ginge auch).
  4. Wer komplett zu Fuss absteigen möchte, der folgt dem Grat besser noch 30m weiter nach Westen bis in die markante, tiefste Scharte zwischen den Spitzen 4 und 5 und klettert nordseitig ab (T6, II). 
Die Rückseite der 5. Kirchlispitze, über welche der Abstieg verläuft.

Alle Varianten führen schliesslich auf die plateauartige Verflachung unter dem Gipfelkopf der 5. Kirchlispitze. Nun in einfachem Gelände nochmals steiler die markante schuttige Rinne auf den Grasboden hinunter, falls wegen Altschnee nötig geht's auch rechts über den viel schneller aperen Rücken. Dann ist es nur noch Formsache, im Gras erreicht man den Wanderweg zum Schweizertor, kehrt zurück auf die Südseite und läuft auf bestens bekanntem Weg retour zum Ausgangspunkt, wo wir um 18.15 Uhr eintrafen. Lange hatte ich mir die Haldejohli aufgespart, aber dieser Tag war genau der richtige dafür gewesen, ein richtiger Klettergenuss für die ganze Familie!

Facts

5. Kirchlispitze - Haldejohli 6c (6a A0 obl.) - 12 SL, 460m - Eggenberger et al. 1981 - ***; xxx
Material: 1x oder 2x50m-Seil, 12 Express, Camalots 0.3-2, evtl. Keile

Schöne, genussreiche und absolut lohnende Kletterei mit viel Abwechslung, insgesamt eine der leichtesten Kletterrouten im Bereich des Grüscher Älpli. Die in manchen Führern auch heute noch abgebildeten, historischen Bewertungen ("meist 3a-5a mit 2 Stellen 6a+ oder A0") entsprechen nicht mehr den heute gängigen Massstäben. Es wartet anhaltende Kletterei im Bereich 5c/6a in fast durchgehend gutem Rätikonfels mit zwei schwiergeren Seillängen, die mit Hakenhilfe entschärft werden können. Nach der letzten Sanierung im 2019 kann die Absicherung auf jeden Fall als gut bis gut+ bezeichnet werden, dies insbesondere an den schwierigen Kletterstellen ab 5c+ und mehr. Im einfacheren Gelände sind die Abstände manchmal grösser und die Platzierung von mobilen Sicherungen ist da und dort sinnvoll/nötig. Ein Rückzug bzw. Abseilen über die Route ist eigentlich jederzeit möglich. Vom Gipfel, bzw. bereits ab dem Stand nach L9 ist es aber bequemer und schneller, den Berg über die Nordseite zu verlassen.

Geschichte 

Der Erstbegeher Vital Eggenberger hat mir folgende, sehr interessante Zeilen gesendet: "Seit der Erstbegehung des Haldejohli ist einige Zeit vergangen und damit auch die Einstellung und Einschätzung zum Klettern. Zu dieser Zeit (1981) war das Abenteuer grösser als die Absicherung und der Einsatz des Bohrhakens war verpönt. Wir konnten die Route damals mit nur einem guten Duzend Normalhaken und einigen Keilen eröffnen und haben trotzdem von Genusskletterei gesprochen. Da die Route recht beliebt wurde, habe ich im Jahre 2002 eine sanfte Sanierung vorgenommen und ein, zwei Jahre später mit einem Gast zum letzten Mal geklettert. Deine Schwierigkeitsbewertung entspricht wohl dem heutigen Standard. Die erste Seillänge wird wohl nicht mehr auf der Originalroute geklettert, deshalb diese grosse Abweichung der Schwierigkeiten". Interessant ist auch die Herkunft des Routennamens: "Eine einheimische Sage erzählt von einem Senn auf der Alp Drusa, der in die Flüh verbannt wurde. Immer bei Föhn kann man die Rufe des Haldejohli hören. Diese Rufe begleiteten uns bei der Erstbegehung, die in einem starken Föhnsturm vonstatten ging".

Topo

Die Route ist in diversen Kletterführern enthalten (SAC-Führer Graubünden, Panico-Führer Rätikon Süd, Topoguide). Keines dieser Topos zeigt "moderne" Schwierigkeitsgrade und es enthält auch keines den neusten Stand nach der Sanierung im 2019. Deshalb habe ich selber eine Skizze angefertigt.

Montag, 7. Dezember 2020

Rätikon - Via Acacia (7c+)

Bei der Via Acacia (9 SL, 7c+) an der 5. Kirchlispitze im Rätikon handelt es sich um die letzte Neutour von Martin Scheel, eingebohrt anno 1988. Viele interessante Dinge kann man über diese  Route lesen, z.B. "die schönste der extremen Routen im Rätikon" oder auch "trotz moderater Bewertung auch heute noch ein grosses Testpiece". Überzeugend ist auf jeden Fall die Linie mitten durch den grauen Plattenpanzer und mit einer herausragenden Felsqualität ist im Rätikon ja sowieso zu rechnen. Nun denn, obwohl die Absicherung gemeinhin als "gut" bezeichnet wird ist schon nur wegen den vielen, anhaltend schwierigen Seillängen klar, dass da eine ganz grosse Herausforderung wartet. Angie konnte mich davon überzeugen, hier an einem Novembertag bei besten Bedingungen einen Versuch zu starten.

Die Südwand der 5. Kirchlispitze im Rätikon mit dem Verlauf der Via Acacia (7c+)

Nach einer längeren Schönwetterperiode waren die Schneefälle von Ende September, welche damals bereits das vermeintliche Saisonende eingeläutet hatten, wieder Geschichte. So konnten wir problemlos auf's Grüscher Älpli kurven, südseitig war auch alles trocken und schneefrei. Perfekte Bedingungen also, trotzdem war  im Rätikon nur wenig los. Nur gerade 4 Seilschaften waren vor Ort und es wurden nur anspruchsvolle Routen angegangen. Konkret Silbergeier, dann eben von uns die Via Acacia, Pandora und Solo Para Locos. Den Einstieg der Acacia kann man entweder direkt über zuletzt ziemlich steile Schrofen (T5) erreichen, etwas einfacher/günstiger ist es von rechts her zu queren, d.h. an den Einstiegen von Haldejohli und Via Pardutz vorbei. Um ca. 9.45 Uhr hatten wir alles parat und stiegen bei angenehmen Bedingungen ein.

Los geht's! Die Luft an diesem Tag voller Saharastaub, daher kein tiefblauer Himmel, aber trotzdem angenehme Temperaturen.

L1, 40m, 6c: Zuerst noch durchzogenes Gelände, nach ca. 15m dann aber der Wechsel zu Bombenfels mit steilplattiger Rätikonkletterei erster Güte. Da dann recht anhaltend und auch eher luftig gesichert. Die Bolts stecken aber fair und sinnvoll, doch ein Sturz vor dem nächsten Klipp wäre dann doch eher meist ziemlich unangenehm. 

Der obere Teil von L1 (6c) bietet steilplattige Kletterei in Top-Rätikonfels, allerdings luftig gesichert.

L2, 35m, 7c+: Sehr verzwickte Linienführung! Der Einstiegsquergang erfordert Beweglichkeit, löst sich aber für die angedrohte 8- im Originaltopo prima auf. Dann geht's nicht direkt über den Haken, sondern mit einem Loop rechtsherum, was dann wiederum für die 7 sehr hart ist. Nun etwas leichter voran, einer Art Riss/Schuppe folgend in etwas splittrigem Fels. Dann aber links hinaus in die kompaktere Wand und eine Art Rampe hinauf. Hier wird es subito schwierig, wobei 2 Lösungen möglich sind (auf der Rampe oder links davon, unklar welche besser ist, 9-). An deren Ende Rechtsquerung (9-, unübersichtlich, kleingriffig, kaum Tritte - tough!). Der zweitletzte Bolt schwierig zu klippen, bis man fast daran vorbei ist, zuletzt leichter zum Stand. Diese Länge ist eng à la Klettergarten abgesichert, daher wenig zwingend. Trotz der deutlich höheren Bewertung fand ich sie eher zugänglicher als L5 und L6.

Genau hinschauen heisst es in L2 (7c+) mit ihrer verzwickten Linienführung, gerade beim Loop hier.

L3, 30m, 7b+ (oder 6c A0): Aus dem Stand einfache Querung nach links, selbst der Klipp vom zweiten BH löst sich entgegen aller Befürchtungen gut auf, vor allem gibt's da noch einen erstaunlich guten Seitgriff. Nun heisst es aber auf die Trittmulde beim Seitgriff zu manteln, ohne dass noch gross andere Strukturen beim Aufrichten helfen würden. Haben wir beide als einzige Stelle der Route (soweit wir gekommen sind) nicht freiklettern können. A0 geht der Mantle kommod, ach wie gerne hätten wir einen Könner an dieser Stelle (9-) beobachtet... wobei es dann vermutlich aber doch nur unspektakulär aussieht. Danach eine zwar nicht harte, aber unangenehme Stelle zum (zu) weit links in einer Mulde steckenden Haken. Dies gefolgt von einer grossen Rechtsschleife, bevor es in Riesenslalom-Manier einfacher diagonal links hinauf geht - zuletzt mit einer Mutprobe über die glatte Platte, Seilzug inklusive...

Über diese abschüssig-glatte, nahezu grifflose Platte musst du am Ende von L3 (7b+) gehn...

L4, 55m, 6c+: Über 50m lange Seillänge, eine richtig gute Möglichkeit für einen Zwischenstand bietet sich jedoch tatsächlich nicht an. Mit einem 60m-Seil aber gut zu machen. Erst kurzer Boulder in den Graskanal hinunter, diesen ein paar Meter hinauf zu BH #1. Die unscheinbare Passage dort hat es in sich (eine Scheel 7+ Einzelstelle gibt's nicht geschenkt). Nun leichter und etwas grasig zu Aufschwung (BH), gefolgt von einem unschön-splittrigen Abschnitt. Nach nochmals etwas Gras wird der Fels dann aber top. Erst erstaunlich gutgriffig, dann plötzlich knifflig (8-) und schliesslich etwas schlabbrig in Top-Rätikonfels hinauf. Erst zuletzt wird das Gelände wieder grasdurchsetzt und einfach, man erreicht schliesslich das Mittelband.

Der erste Teil der langen L4 (6c+) bietet nicht Top-Kletterei, bei der Position der Akteurin ist es dann aber super!

L5, 30m, 7b+: Über eine Sanduhr in die sehr schöne Tropflochwand hinein, die nach dem Einstiegsboulder vorerst verschwenderisch griffig daherkommt. Bald werden die Strukturen kleiner und schon fordernd geht's unter den Wulst hinauf (original 7 und 7+). Die "erste Welle" geht noch gut, dann folgt aber die 8+ Crux: Seitgriff - Löchlein - Zange (leider etwas staubig), die Frage ist bloss, wohin mit den Füssen und wie kommen diese über das Overlap?!? Kräftig weiter an Seitgriff und hepp an den Thank-God-Jug. Der Rest, vorwiegend ausdauernd an Seitgriffen, dann etwas einfacher zum unbequemen Hängestand. Zwar gut abgesichert, an der Crux aber trotzdem recht zwingend. Ich fand diese Stelle hart, die Seillänge insgesamt nicht leichter wie L2.

Aussichten auf L6... superkompakt, supertechnisch, leider kein Action-Foto von L5 (7b+) gemacht.

L6, 30m, 7b+: Es wird etwas weniger steil, dafür extrem technisch in super Fels. Erst an scharfen Seitgriffschüpplein hinauf, die einfachste Linie verläuft etwas links der Haken, natürlich zum Preis einer kniffligen Rechtsquerung vor dem dritten Klipp. Die 8+ Stelle danach hat uns grosse Probleme bereitet... schwierig in schlechten Seitgriff reinkommen, auf kleinsten Rauigkeiten hoch anlaufen und irgendwie die offensichtliche Schuppe links oben fassen - nach zig Versuchen ging es dann doch, gefolgt von heiklem Klipp. Anhaltend technisch geht's weiter, von gutem Seitgriff wieder plattig anlaufen und auf Tropflöcher, der nächste Abstand eher über seichte Wasserrillen, dann eine Wandstelle wo eine Schuppe ausgebrochen ist, bis uns schliesslich die 8+ Stelle nach dem BH #7 dieser Länge endgültig ausgebremst hat. Vom Haken weg ein paar Meter schwierig, man käme schliesslich zu seichten Wasserrillen und nach heikel aussehendem Mantle zu einem weiteren Bolt (sprich, es stecken auch hier mehr Bolts als laut Originaltopo, sie sind aber trotzdem weit auseinander!). Leider ist gerade dieser entscheidende Bolt #7 zu wenig tief gebohrt und steht ziemlich weit vor... wenn der dann auch noch versagen würde, so würde es definitiv unangenehm bei einem Sturz. Alles in allem dünkte uns diese Länge extrem taff, sehr zwingend und trotz an sich vernünftiger Sicherung psychisch anspruchsvoll. Zudem ist sie für kleiner gewachsene möglicherweise gleich nochmals schwieriger.

Brutal fusstechnisch an Mikrokratzern ist L6 (7b+) - hier mit Pause, nachdem eine zwingende Stelle nach zig Versuchen geglückt ist.

Tja, inzwischen war es bald 16.00 Uhr, unsere Reserven an Kraft, Haut, Psyche und natürlich Tageslicht waren aufgebraucht. Auf dem Programm wären erst noch 2 weitere, laut Topo vermeintlich etwas einfachere Seillängen (6c+, 7a), das Grande Finale im Bereich 7c+/8a und die Ausstiegslänge (6a+) der Via Pardutz zum Gipfel gestanden - ein happiges Restprogramm für 2 ausgepowerte Athleten. Somit gab es für einmal eine (wenn auch im voraus absehbare) Schlappe - wie immer fuxt es mich gewaltig, eine Route nicht beenden zu können. Heisst aber natürlich nicht, dass es nicht dennoch ein toller Klettertag und eine gewaltige Horizonterweiterung war. Unter dem Strich machten wir in den athletisch schwierigen Sektionen der Route die beste Figur, mit etwas Übung wäre das zu meistern. Aber diese extrem (fuss)technisch-koordinativen Steilplatten, da fehlt (mir) vielleicht einfach das ultimative Können dafür. Und logo, sofern man eben das Rüstzeug nicht hat, um auf Minidellen an der Haftgrenze des Schuhs präzise, balanciert und trotzdem mit der nötigen Dynamik zu moven, so fühlt sich das dann mangels Kontrolle auch für die Psyche sehr herausfordernd an, was dann auch noch zu Lasten der notwendigen Lockerheit in diesem Gelände geht. Auf jeden Fall, so viel ist sicher: die Acacia ist keine Route, wo man mit brutaler Leistenpower zum Erfolg kommt. Da braucht es Klettertalent und die nötige Souplesse. Aber wie schön, dass der Klettersport solch vielfältige Challenges bereithält!

Time to go home with the promise to come back...

Facts

5. Kirchlispitze - Via Acacia 7c+ (7b obl) - 10 SL, 370m - Martin Scheel et al. 1988 - *****;xxx

Material: 2x60m-Seile, 10 Express, evtl. Camalots 0.2-0.75

Eine Scheel-Nimbusroute durch den kompakten Plattenpanzer der 5. Kirchlispitze. Es wartet für das  Rätikon typische Steilplattenkletterei, vielfach in rauem Topfels. Soweit wir gekommen sind, haben wir auch einige Stellen angetroffen, wo das Gestein mal etwas splittrig, staubig oder grasig war, aber das ist kein Stilbruch, so dass aufgrund von Position und Nimbus die vollen 5* sicher berechtigt sind. Die Kletterei ist auf weite Strecken extrem (fuss)technisch und diffizil, d.h. sie erfordert viel Vertrauen in die Reibung, Balance und Koordination. Etwas Athletik schadet natürlich nie, sie kann aber nur vergleichsweise schwierig an den Fels gebracht werden, somit sicherlich nicht das dankbarste Projekt für reine, starke Überhang-Sportkletterer. Die Absicherung der Route ist an sich gut, nur im einfacheren Gelände unter ca. 6bc gibt es weite Abstände. Da konnten wir in den Längen 1-4 noch den einen oder anderen kleinen Cam zur Beruhigung der Nerven versorgen, Könner kommen vermutlich ohne aus. Doch auch in den schwierigen Passagen, wo die Route gut abgesichert ist, ist die Kletterei oft zwingend und psychisch anspruchsvoll. Gute, bzw. überhaupt so richtig nutzbare Griffe fehlen eben oft und man bewegt sich beständig an der Abschmiergrenze, das fühlt sich halt einfach immer speziell an. Doch auch hier gilt, wer's richtig drauf hat, für den ist vielleicht alles halb so wild. In Sachen Topo ist das hier abgebildete Original von Martin Scheel nach wie vor die Referenz.

Originaltopo der Via Acacia von Martin Scheel @ azoom.ch.

Sanierung

Aufgrund der Bilder von der Erstbegehung wurde die Via Acacia mit der Maschine gebohrt. Verwendet wurden aber (bis auf ganz vereinzelte Exemplare) nicht die heute üblichen Expansionsdübel, sondern so etwas à la Kronenbohrhaken, wo eine flache Schraube kleineren Durchmessers in den M10-Dübel geschraubt ist. An den Standplätzen handelt es sich um rostfreie Ware, die Zwischenhaken sind aber nur verzinkt und öfters rostig. Immer mal wieder trifft man auf ein Exemplar, welches zu wenig tief gebohrt wurde, d.h. wo das Plättli wackelt/dreht bzw. der Dübel etwas vorsteht (das bedeutet sicherlich erhöhte Bruchgefahr). Unter dem Strich: das Hakenmaterial hat >30 Jahre nach der Erstbegehung ein Update verdient. Natürlich 1:1, d.h. blosser Ersatz der Haken. Trotzdem ist das eine Herkulesaufgabe, denn einerseits stecken total 90 BH, andererseits kann man die neuen Bolts ja nicht genau an demselben Platz wie die bestehenden positionieren. Oft entscheiden hier aber Zentimeter über Klippbarkeit und Anspruch der Route, d.h. die Ausführenden müssen sehr sorgfältig arbeiten und es kommt ihnen eine grosse Verantwortung zu, dieses Monument zu pflegen. An gewissen Stellen (z.B. L2, L3) gibt es auch ein gewisses Optimierungspotenzial der Hakenpositionen (in Bezug auf geradlinigen Seilverlauf), ohne dass der Charakter der Route geändert würde... ein Job für Eastbolt?

Rostfreier Kronen(?)bohrhaken, dieser Typ kam an den Standplätzen zum Einsatz. Die Zwischenhaken sind leider weitgehend von deutlich schlechterer Qualität.

Dienstag, 4. Juli 2017

Rätikon - Silbergeier (8b+)

Der Silbergeier ist eine der bekanntesten, extremen MSL-Routen der Alpen. Das hängt vor allem mit seiner Erschliessungsgeschichte zusammen. Anno 1994 wurde die sogenannte alpine Trilogie geboren. Diese bestand eben durch Beat Kammerlanders Silbergeier, der End of Silence von Thomas Huber und der Route Des Kaisers neue Kleider von Stefan Glowacz. Alle diese befanden sich im Grenzbereich zwischen zehntem und elftem UIAA-Grad und legten damit den Bereich des Möglichen im Rahmen von MSL-Touren höher. Der Silbergeier hat sich im Lauf der Zeit als die schönste und beliebteste Route dieser Trilogie entpuppt. Auch wenn nach heutigen Massstäben nicht mehr ganz Cutting Edge - die Dawn Wall am El Cap ist doch ein ganz anderes Kaliber - so reisen doch immer wieder Kletterer von Nah und Fern für einen Versuch an. Inzwischen haben sich über 20 Aspiranten den roten Punkt gesichert.

Wandbild der 4. Kirchlispitze mit dem Verlauf vom Silbergeier (8b+)
Nun denn, obwohl ich im Klettergarten bereits einmal nominell ähnlich schwer wie die Hauptschwierigkeit im Silbergeier geklettert bin, so befindet sich diese Route ziemlich offensichtlich oberhalb meiner Kragenweite. Anders für meinen Seilpartner Dani: er hat das drauf und Ambitionen auf mehr als nur ein blosses Hochkommen. Ich freute mich sehr, als sich die Gelegenheit zum Mitgehen ergab. Irgendwie ist das ja auch so cool am Klettersport. Die Meisterleistungen der Klettergötter stehen da und jedermann kann sich daran versuchen. Das ist halt in etwa so ähnlich, wie wenn ein Fussballfan einfach so mal eine Partie bei Real Madrid mitspielen könnte, der Wintersportler unter Rennbedingungen einen Lauf am Lauberhorn machen könnte oder der Motorsport-Freak sich mal in einen Formula 1 Boliden setzen könnte. Somit wollte ich dann auch probieren, möglichst weite Teile der Route freizuklettern und dabei eine gute Figur abzugeben - irgendwo im Hinterkopf mit der ganz leisen Hoffnung, dass auch für mich vielleicht dereinst noch ein paar Punkte zu holen wären. Nur nicht zu tief zielen mit den Ambitionen...

Hier beginnt die Fixseilpiste, welche in ca. 150hm über den Vorbau zum Elefantenbauch hinaufführt.
Da wir Konkurrenz befürchteten, begann unsere Tour bereits um 7.30 Uhr auf dem Melkplatz. Viele Fahrzeuge aus ganz Europa waren bereits parkiert und die Leute schälten sich eben aus ihren Zelten oder Vans - was ja gemäss den Infos in der Literatur so eigentlich nicht gerne gesehen ist. Flugs stiegen wir hinauf unter die Kirchlispitzen, hach wie schön, wieder einmal im vertrauten Rätikon unterwegs zu sein! Die Gegebenheiten mit dem Aufstieg zum Elefantenbauch an der 4. Kirchlispitze waren uns natürlich bestens bekannt, waren wir doch schon mehrfach hier, zuletzt für die Prix Garantie und Hannibals Alptraum. Da wir bereits Kunde von diesjährigen Wiederholungen ebendieser Prix Garantie und von Versuchen im Silbergeier hatten, konnten wir uns den Fixseilen hinauf zum Einstieg ein bisschen beruhigter anvertrauen. Derjenige, welcher im Frühling als Erster kommt, der soll und muss diese schon ein wenig mit Bedacht verwenden. Doch auch sonst ist die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung durch Steinschlag halt nicht null und sollte entsprechend einkalkuliert werden. Mit den Vorbereitungen liessen wir uns gütlich Zeit und starteten schliesslich erst etwa um 9.15 Uhr mit der Kletterei. Die Temperaturen lagen eher auf der frischen Seite und hiessen uns, einige Extraschichten an Kleidern zu montieren. Der Kletterei am extrem scharfen und kleingriffigen Gestein würde dies allerdings sicher zu Gute kommen.

L1, 35m, 8b: Ehrlich gesagt, dünkte mich dies bis auf die 7a+ fast noch die machbarste aller Seillängen. Als einzige ist sie überhängend, total etwa 4-5m und hat damit so etwas wie Klettergartencharakter. Nach einem Eintrittsboulder zum und am zweiten Haken vorbei ist die erste Hälfte bis zu dem Punkt am Beginn der kleinen Verschneidung, wo Martin Scheel das Projekt aufgegeben hatte, noch relativ gutmütig und über weite Strecken vergleichsweise griffig  (ca. 7b+/7c). Dann folgt die obligatorische, kleingriffige Wand rechts der Verschneidung. Das fordert bereits die Psyche, der nächste Bolt steckt nämlich ungünstig weit links. Dann ein Dächli, ein paar weite Moves an ordentlichen Tropflöchern und eine feine Mover-Stelle an sloprigen Strukturen. Schon bald rückt der Stand näher. Der ist allerdings kein No-Hand-Rest, es gibt nicht einmal einen Absatz für die Füsse - nur gerade ein henkliger Griff markiert hier das Ende des ersten Abschnitts. Zu erwähnen ist auch, dass diese Länge an ein paar entscheidenden Stellen bereits etwas abgeschmiert ist.

Hier geht's los! Ästhetische Wandkletterei in L1 (8b). Ab dem ersten Bolt bis zur Position, wo sich der Kletterer befindet, warten bereits einige nicht ganz triviale Moves. Ab jener Stelle geht's dann für die nächsten 10m im Vergleich zur Rest der Route noch einmal richtig gemütlich und grossgriffig daher.
L2, 25m, 7c+: Ein unglaublicher Plattenknaller. Die ersten Meter gehen mit einer Linksschleife noch relativ gut über die Bühne, am nächsten Bolt vorbei wartet dann aber eine steile Wandstelle an ein paar extrascharfen Mikrocrimpern, so gut wie trittlos. Nach dieser Crux setzt beim nächsten Bolt eine lange Querung nach links an - Steilplattenkletterei par Excellence mit ein paar kleinen, scharfen Strukturen für die Hände, es ist extrem schwierig, den Druck auf die Füsse zu bringen. Besonders spassig ist's im Nachstieg: man hat genau einen einzigen Shot, sitzt ein Move nicht, so gibt's einen Pendler und man kommt nicht mehr in die ursprüngliche Position zurück. Die Filmsequenz zeigt klar auf, wie das so vonstatten geht, wenn einer wie ich es versucht. Das Finish dann an einer rissartigen Struktur mit runden Löchern liefert bereits einen Vorgeschmack auf die nächste Seillänge.



L3, 25m, 8a+: Der Auftakt in diese Seillänge konnte auch schon oft auf Fotos in den Klettergazetten betrachtet werden. An kleinen, scharfen Strukturen will man eine Art sloprige Wasserrille rechts aussen auf Schulter nehmen und sich daran etablieren, dies bei minimalem Trittangebot. Der Abstand zum nächsten Bolt ist zwar nicht so weit, man knallt aber doch heftig in die erste Zwischensicherung rein - da gilt es dann, am Hängestand für eine ausreichend dynamische Sicherung zu sorgen, was alles andere als einfach ist. Danach geht's dann eben der Struktur entlang, welche eine Mischung zwischen Wasserrille, Riss und offenen Löchern ist. Gemäss Nina Caprez sei es extrem wichtig, diese Stelle "locker zu klettern", damit man gut durchkomme. Ich habe mein bestes versucht, aber ehrlich gesagt hätte ich im Angesicht all dieser extrem runden, abschüssigen Strukturen und der akuten Trittarmut am liebsten auch noch in den Fels gebissen, um ausreichend Halt zu finden. Somit war das sicherlich das absolute Gegenteil von "locker klettern". Das Finish der Länge dann an seichten Wasserrillen mit einem ziemlichen Runout, die Kletterei wird aber beständig einfacher.

Super Plattenkletterei an seichten Wasserrillen am Ende von L3 (8a+), einige der einfachsten Meter der Route.
L4, 20m, 7a+: Im Vergleich zum Rest beinahe eine Plaisirlänge, jedoch auch nicht zu unterschätzen. Vom Stand weg auf Spritzbeton-Fels in beinahe purer Reibung zum ersten Bolt. Der zweite folgt bald, ebenso eine knifflige Wandstelle an kleinen Leisten am Haken vorbei. Danach nimmt man eine Wasserrille auf Gegendruck und klettert den nicht allzu schweren Runout. Hinein geht's ins Geiernest, endlich ein uneingeschränkt bequemer Stand. Ähm nein, dann doch nicht, weil der Vorsteiger in der nächsten Seillänge von rechts ausserhalb der Nische gesichert sein will.

Sagenhafter Spritzbeton-Fels in L4 (7a+), welche trotz der moderaten Bewertung nicht zu unterschätzen ist.
L5, 25m, 8b+: Die Cruxlänge ist nicht einmal senkrecht, verlangt aber doch eine hohe Portion an Athletik. Zum Greifen gibt's hier nur gerade ein paar wenige, kleine Untergriffschüpplein und hier und da ein extrascharfes Tropfloch. Für die Füsse gibt's so gut wie gar nichts, bis auf die extrascharfe Raufasertapete der Wand selbst. Im wesentlichen Teil sind die Hakenabstände im Prinzip kurz, dafür die Kletterei unglaublich diffizil. Die zweite Hälfte der Seillänge mit einer grossen Querung nach links ist dann etwas einfacher, bietet dafür aber weite Abstände. Besonders zum Stand hin ist's ein heftiger Runout, wo man seine Nerven beisammen halten muss. Bis zuallerletzt will sauber auf Reibung angetreten werden - wenn hier das Blut in Wallung kommt, so kann's jederzeit zum Abgang kommen.

Ein solcher Gangstertyp muss man sein, um den Silbergeier hochzukommen. Ich bin leider etwas zu nett ;-)
L6, 40m, 7c+/8a: Auch die letzte Länge ist nochmals ein echtes Testpiece und mancher Versuch von einem Gesamtdurchstieg ist hier noch gescheitert. Die zugänglich aussehende Rampe zu Beginn ist aufgrund vom glatten, strukturarmen Gestein schon deutlich schwieriger wie erhofft. Dann folgt eine Linksquerung - der Hakenabstand ist zwar nicht weit, aber es droht ein unkontrollierter Abgang mit nachfolgendem Pendelsturz, unangenehm. Dann wird's nochmals athletisch, eine psychisch und physisch fordernde Sequenz leitet in eine Verschneidung hinein. Erst ganz zuletzt wird's dann einfacher und der Silbergeier gibt sich endgültig geschlagen.

Da wir mit einem Einfachseil geklettert sind, nahmen wir für den Runterweg den Helikopter ;-) Nein im Ernst, an diesem Tag gingen nicht alle Rätikonkletterer glücklich und unversehrt nach Hause. Im Bereich der 5. Kirchlispitze war eine Luftrettung im Gange.
Nun waren unsere Kraft-, Haut- und Zeitreserven aufgebraucht. Tja, für eine stilreine Begehung ist beiderseits noch etwas Übung notwendig ;-) Aber eigentlich ist ja eine Rotpunktbegehung sowieso einfacher, wie das was wir gemacht haben: da klettert man dann nämlich jede Stelle nur genau 1x, während wir aufgrund von Ausbouldern und Stürzen wohl mindestens das Dreifache der Klettermeter zurückgelegt haben. Schönreden kann man sich fast alles! Das Abseilen über die Route präsentiert sich ob der steilen und absatzlosen Wand natürlich ohne Schwierigkeiten, wobei man unter Umständen teilweise auch auf Fixseile zurückgreifen kann. Zum Zeitpunkt unserer Begehung war dieses nur bis zum ersten Stand installiert. Aber ich gehe davon aus, dass es im Verlauf des Sommers wie üblich bis hinauf zum Ausstieg eingezogen wird. Die unteren Fixseile über den Vorbau waren in einem guten Zustand, so dass man in wenigen Minuten retour am Wandfuss war. Einen kurzen Geröllsurf später standen wir im Grünen und konnten die Ausrüstung definitiv ablegen.

Für diese Pose hat es immerhin gereicht! Auf dem einzigen guten Tritt in der langen Linksquerung von L2 (7c+).
Auf dem Rückmarsch blieb Zeit zur Kontemplation. meine Gefühle zu dieser Silbergeier-Begehung schwanken irgendwo zwischen Begeisterung und Ernüchterung. Die Begeisterung darüber, an diesem berühmten Stück Fels Hand angelegt zu haben und es einmal erlebt zu haben. Die Ernüchterung kommt von der Erkenntnis, wie weit ich von einem stilreinen Rotpunkt-Durchstieg entfernt bin. Da fehlt es an allen Ecken und Enden: die Fingerkraft ist nicht einmal das Hauptelement, sondern vor allem Körperspannung, Koordination und Fusstechnik genügen einfach nicht. Leider Gottes, dürften sich die nötigen Fähigkeiten in diesem Leben nicht mehr ausreichend entwickeln. Aber sag niemals nie, hehe. Ein weiterer Punkt, der im Silbergeier gegenüber einer einfacheren Route auch fehlt, ist der Flow. Das tolle am Alpinklettern ist es ja gerade, einen ganzen Tag lang herausfordernde Aufgaben gestellt zu kriegen, welche man im Idealfall alle lösen kann und sich am Ende den Onsight-Durchstieg verbucht. Gut, der Silbergeier ist für kaum jemanden auf dem Planeten in diesem Stil denkbar, da kommt dann eher sportkletterorientiertes Ausbouldern ausserhalb vom Klettergarten zum Zug. Ich will das nicht werten, jedem Tierchen sein Plasirchen und der Mix ist das, was das Klettern spannend und abwechslungsreich macht.

Facts

4. Kirchlispitze - Silbergeier 8b+ (7c obl.) - 6 SL, 200m - Beat Kammerlander et al. 1993 - *****;xxx
Material: min. 40m langes Seil zum Klettern plus Tagline zum Abseilen, 10 Express

Der weltberühmte Extremklassiker mitten durch den Elefantenbauch an der 4. Kirchlispitze. Während die erste Seillänge noch durch überhängenden Fels führt, sind die folgenden kaum senkrecht. Dementsprechend technisch präsentiert sich die Kletterei. Man bedient sich oft an kleinsten, scharfen Strukturen oder dann an rätikontypischen Slopern und muss sich ständig darum kümmern, den Druck auf den Füssen in extrem trittarmem Gelände aufrecht zu erhalten. Das erfordert ein hohes Mass an Fusstechnik, Körperspannung, Koordination und auch Psyche. Die Hakenabstände sind eigentlich nie sonderlich weit - wäre die Route maximal im 6c/7a-Bereich, so würde man bei dieser Behakung von einer super Absicherung sprechen. Die hohen und anhaltenden Schwierigkeiten weit jenseits vom Komfortbereich sowie die schwer kontrollierbare Kletterei geben aber halt doch ein anderes Gefühl. Online-Topos findet man an verschiedenen Stellen, die besten Kletterführer als Übersicht zum Gebiet sind der Extrem Ost von Filidor und der Rätikon Süd von Panico, welche man bei Bächli Bergsport bestellen kann.

Topo von planetmountain.com

Dienstag, 25. Oktober 2016

Rätikon - Hannibals Alptraum (7c)

Diese Route ist ein Meisterwerk von Martin Scheel und Röbi Bösch aus dem Jahr 1986 und damit bereits über 30 Jahre alt. Auch wenn in den Kletterführern bloss eine Maximalbewertung von 7c steht, so gilt Hannibals Alptraum auch heute noch als Testpiece für den alpinen Sportkletterer. Plattig, technisch und anspruchsvoll gesichert, ja einfach so richtig Old-School. Dementsprechend rar sind auch die erfolgreichen Begehungen. Obwohl es viele lockt, so schrecken doch die meisten vor dem Ruf zurück. Nina Caprez hat diesen nach ihrer Begehung mit der Aufwertung von 3 Seillängen auf 8a noch weiter befeuert, siehe (1,2). Trotzdem wollten wir einmal schauen... beide hatten wir kürzliche Erfolge im Grad 8b und darüber hinaus in der Tasche, ob wir wohl auch auf die Welt kommen würden?!?

Die Südwand der vierten Kirchlispitze mit dem Verlauf von Hannibals Alptraum (7c).
Der Oktober 2016 zeichnete sich nicht gerade durch sommerliche Wärme aus, und so waren auch für den Tag unserer Begehung tiefe Temperaturen und eine ziemlich unklare Nebelobergrenze angesagt. Wir kurvten ins gottverlassene Gebirge und tatsächlich: die Temperaturanzeige am Auto mit dem Bindestrich vor den Zahlen war nicht falsch, auch der Boden war gefroren. Immerhin konnten wir das Nebelmeer auf 1500m aber unter uns zurücklassen und bei schönstem Sonnenschein und grandioser Herbststimmung zum Elefantenbauch an der vierten Kirchlispitze hinaufsteigen. Der Weg war uns natürlich bestens bekannt, waren wir doch beide erst kürzlich für die Prix Garantie vor Ort. Wir stellten fest, dass jemand die nicht mehr taufrischen Fixseile ausgetauscht hatte - vielen Dank an unbekannt für diesen Service. Bei angenehmen Temperaturen machten wir uns in der Nische unter dem Silbergeier bereit. Reichlich warme Kleider wurden aber dennoch in den Haulbag eingepackt, denn... wer weiss schon. Bereits jetzt war sichtbar, dass die Nebelschwaden vor allem eine Richtung kannten, nämlich die nach oben. Um 10.30 Uhr ging's los mit der Kletterei.

Der Nebel hatte an diesem Tag das Konzept der Obergrenze leider nicht so ganz richtig intus... überall wölkt's und quellt's!
L1, 40m, 7b+: Entgegen aller Befürchtungen denkt man sich vom Einstieg, dass die Bohrhaken ja eigentlich recht dicht stecken. Dieser Eindruck täuscht zwar nicht, allerdings sind sie natürlich auch nicht grundlos da. Schon vom ersten Meter an ist die Kletterei anspruchsvoll und es lässt nicht nach. Es folgt die erste im Originaltopo mit 8+ bewertete Einzelstelle - wir finden aber eine gute Lösung und kommen zum Rastpunkt nach dem ersten Wandl durch. Die Crux der Seillänge dann aber am steilen Auftakt zur zweiten Hälfte (obwohl hier im Topo nur eine 8 steht). Das vermeintliche Reichweitenproblem lässt sich auch mit meiner Spannweite unmöglich lösen, saublöd antreten und schwer moven ist die einzige Alternative. Danach weitere, erstaunlich athletische Moves dafür, dass die Wand kaum senkrecht ist. Weil es aber auch kaum Tritte gibt und man ständig den Druck auf den Füssen aufrecht erhalten muss, fordert es dennoch enorm Körperspannung, Finger- und Oberarmkraft. Danach kommen tatsächlich ein paar gemütliche Meter (mit 7 bewertet), bevor das etwas weniger schöne Finish nochmals sorgfältige Planung erfordert. Dani steigt Onsight, mich spickt's an der Stelle am Anfang der zweiten Hälfte. Wir gelangen zur Einsicht, dass die Länge vielleicht einen Tick einfacher wie die L1 der Prix Garantie (7c) gleich nebenan ist. Somit ist 7b+ sicherlich ein passender Grad, 7a+ wie in diversen Kletterführern ist fernab jeder Realität, sowieso auch im Angesicht der Tatsache, dass die schwersten Einzelstellen bereits den Grad 8+ (7a+/7b) verlangen.

In L1 (7b+) von Hannibals Alptraum, die schwersten Meter sind eben gemeistert. Rechts vom Haulseil Prix Garantie (7c).
L2, 35m, 7c: Die ersten Meter nach dem Stand klettern sich ohne grössere Schwierigkeiten (7+), doch dann kommt die Stelle mit dem ominösen Doppelbohrhaken. Den unteren der beiden kann man anklettern, derjenige 30cm weiter oben... naja, der hilft halt eben optimal, um den folgenden, heftigen Plattenboulder (Crux der Länge, 9-) A0 zu bewältigen. Wir schmieren an dieser Stelle beide ab - sie ist praktisch grifflos, sauber antreten und Gleichgewicht halten sind gefragt. Da noch viele Meter warten, halten wir uns (dummerweise) nicht länger damit auf und steigen weiter. Die A0-Möglichkeit bezahlt man mit einem fordernden Platten-Runout (8) an kleinen, etwas fragilen Schüppchen, bevor dann ein richtig langer Abstand bei einfacher Kletterei (7) folgt. Die nun folgende Linksquerung ist tricky (8, sehr gut gesichert), das Finish dann einfach affengeil. Genau in der richtigen Menge hat's hier ein paar kleine Schüppchen und Tropflöcher in der ansonsten arschglatten Wand, damit's gerade aufgeht - ein wahres Wunderwerk der Natur. Nachdem wir den Plattenboulder dieser Länge beide nicht lösen konnten, ist es natürlich schwierig, einen präzisen Bewertungsvorschlag abzugeben. So 7c (und damit gleich wie L1 von Prix Garantie) könnte aber etwa hinkommen - man muss hier wohl einfach etwas Üben, damit man einmal schnallt, wohin genau angetreten werden muss, und wie man genau das Gewicht verlagern muss.

Die Stelle am ominösen Doppelbohrhaken in L2 (7c). Von dieser, gut erreichbaren Position muss man horizontal und quasi grifflos über die fein ziselierte, raue Platte klettern, bis man die erkennbaren Schuppen links aussen zu fassen kriegt. Am schwersten sind gleich die Moves aus der abgebildeten Position weg.
L3, 35m, 7c: Schon gleich aus dem Stand raus ist die Kletterei bei sehr guter Absicherung fordernd (8). Total geniale und abgefahrene Moves aber. Hoch antreten, reinstemmen, Tropflochcrims krallen, alles was das Herz begehrt, die Felsqualität super. Nach dieser ersten Mauer geht's kurz easy dahin (ohne Bewertung, ca. 7). Auch die ersten Meter der diagonalen Rechtsquerung klettern sich noch besser, als man vermuten könnte. Die fixen Petzl-Exen in den folgenden Bolts (vielen Dank!) lassen dann aber hohe Schwierigkeiten vermuten und prompt kommt es so (9-). Gut gesichert zwar, aber zwingend gilt es die senkrechte Wand zu klettern. Wiederum für die Steilheit erstaunlich athletisch, aber eben erneut so gut wie trittlos - von den Seitgriffen Druck auf die Füsse zu bringen und vorwärts zu moven ist enorm schwierig. Über etwa 5m ist's anhaltend, dazu mit einem heiklen Klipp garniert, danach lässt's nach und geht mit einem einfacher werdenden Runout zum Stand. Dani zieht es durch, ich kriege die Crux hingegen nicht auf Anhieb gebacken. Als Bewertung würden wir hier in etwa den Grad 7c vorschlagen.

Ausblick auf L3 (7c). Erst formidable Wandkletterei, dann etwas einfacher bei der Schuppe und die Crux durch die obere Wand.
In der Crux von L3 (7c), für links ein Seitgriffsloper, für rechts der ultimative Henkel ;-), die Tritte so gut wie inexistent.
L4, 35m, 7c: Gemäss diversen Topos wird diese Länge als Crux (7c) bezeichnet, uns ist sie hingegen in Summe fast am besten gelaufen. Nach wenigen gut machbaren Metern wird's schon schwierig (8) - rechtsrum oder linksrum ist die Frage. Beide gehen, einfach ist keine, der linke Weg ist aber etwas weniger kühn. Nach einem ziemlichen Runout (8-, eher etwas einfacher), wo die Griffe aber da sind, folgt dann das Herzstück dieser Länge. Eine seichte Verschneidung unter dem Abschlusswulst. Auf einem aus der Luft aufgenommenen Foto von Nina Caprez hatte ich diesen Abschnitt "als sicher noch coole, wohl dem Aussehen nach nicht allzu schwere Kletterei" eingestuft. Aber wie man sich täuschen kann! Griffe und Tritte hat es irgendwie keine nennenswerten, der Fels ist aber rauh und strukturiert. So stemmt, schiebt und patscht man sich in die Höhe... und tatsächlich, es geht, voll genial! Im Vorstieg ist diese Stelle (8+) sicherlich sehr unangenehm. Die Hakenabstände sind wohl nicht extrem weit, aber es ist doch ultrazwingend und so griff- und trittlos 2m über dem Bolt an der absoluten Abschmiergrenze cool zu bleiben, das erfordert einfach ein ultrasolides Nervenköstum. Dani weist das auf und steigt Onsight durch, der absolute Wahnsinn. Mir gelingt dann im Nachstieg etwas überraschend der Flash - irgendwie fühlte es sich vom Schauen her unmöglich an, trotz Seil von oben auch etwas unangenehm, aber mangels Alternativen ich habe einfach gemacht, und irgendwann war die Stelle vorbei. Zum Schluss geht's dann noch über den Wulst hinweg, aber da hat's griffige Risse und daher ist das kein Problem. Schwierigkeit: in etwa gleich wie die Längen davor, ergo 7c. Schwerer kaum, sonst hätten wir das wohl nicht auf Anhieb durchgestiegen. Aber wie erwähnt, für den Vorsteiger psychisch sicher der anspruchsvollste Brocken.

Hey yo, brother, 8a flash!!! L4 (hier die leichten, letzten Meter) fordern vom Vorsteiger alles ab, da man hier deutlich über dem Haken sehr gewagte und kaum kontrollierbare Stemm-Moves an der äussersten Haftgrenze vornehmen muss. Irgendwie waren Grip und Gravitation aber gnädig gestimmt, und so konnten wir hier beide sauber durchsteigen. Deshalb dürfte sich diese Länge kaum oberhalb von 7c bewegen.
L5, 25m, 7b+: Bis zu dieser Stelle hatten wir von prima Bedingungen profitieren können. Wiewohl, die Lufttemperaturen lagen bestimmt unter dem Gefrierpunkt. Das schliesse ich jetzt mal daraus, dass die Nullgradgrenze auf 1900m lag, während wir auf 2400m kletterten. Dank der Sonne, wenig Wind und der trockenen Luft oberhalb des Nebels ging's gut, der Grip war natürlich ideal. Doch nun wurden wir eingenebelt. Feuchte Luft, plötzlich lästiger Wind, unternull - trotz Ausrüstung wurde es rasch garstig. Somit haben wir von dieser letzten Seillänge vielleicht einen schlechteren Eindruck erhalten, als es in Realität ist. Mit klammen Händen geht's gleich los mit einer schweren Boulderstelle (8+/9-) an scharfen Tropflöchern - voll reinkrallen (autsch!) und auf den Sloper links aussen patschen, diffizil auflösen. In der Folge ist dann nicht ganz klar, ob man sich besser an das nicht ganz so kompakte Gelände links hält, oder direkt am Pfeiler klettert. Wir können es nicht recht beantworten - direkt sieht's nicht recht griffig aus, links ist's aber auch mühsam an reichlich runden Rissen. Gemäss dem Originaltopo warten hier nochmals zwei 8er-Stellen und es geht die Wand hoch. Die Absicherung ist prima, die Linie sicher etwas gesucht - wobei ich's bestimmt auch so eingebohrt hätte. Nach einem letzten, heiklen Move (8-) geht's dann ums Eck auf den Pfeilergipfel und wir haben's geschafft. Als Bewertung schreibe ich hier einmal 7b+ auf, ob der garstigen Bedingungen stiegen wir aber beide nicht durch und sind in dieser Hinsicht unsicher. Sicherlich ist's aber nicht markant einfacher wie die unteren Seillängen, zumal auch die Einzelstellenbewertung (8+/9-) höher liegt als in L1 und L4.

Das Top am Ende von L5 (7b+) erreicht, die Temperaturen inzwischen ganz schön frisch...
Vom Top der Route wären es noch rund 60m bis auf den Gipfel. Etwas linkshaltend käme man da in Vierer- bis Fünfergelände hin. Oder aber, man könnte die 20m hohe Wandstufe diagonal rechts hoch zum gut sichtbaren, vorletzten Stand der Prix Garantie klettern (für beides: Keile/Friends nötig). Eine weitere Idee von uns war es noch, über den Silbergeier abzuseilen, um dort mal einen Blick werfen zu können. Aber da hatten wir die Rechnung noch ohne den Nebel und den Windchill gemacht. Die gefühlte Temperatur lag wohl so bei -10 Grad, und was als gemütliches MSL-Sportklettern bei Sonnenschein begonnen hatte, entwickelte sich langsam zum seriösen Alpinabenteuer. Nix wie runter, hiess also die Devise - aber dabei natürlich trotzdem konzentriert bleiben und ja keinen Fehler machen. Effizient gelangten wir zurück zum Einstieg, dort unten blies der Wind nicht mehr so stark und es war schon deutlich angenehmer. Nach einem Vesper und letzten Aufräumarbeiten am Einstieg der Prix Garantie ging's dann an den Fixseilen und per Geröllsurf zügig in die Tiefe. Zurück beim Auto der gespannte Blick auf die Temperaturanzeige - ja, die waren den ganzen Tag nicht über den Gefrierpunkt gekommen. Zwei Spinner auf Tour im bereits winterlichen und deshalb verwaisten Rätikon, könnte man also konstatieren. Für uns war's aber ein genialer Tag, gut den genutzt zu haben. Und Hannibals Alptraum hatte genau das geliefert, was wir uns davon versprochen hatten.

Wie immer, tolles Ambiente im Rätikon. Im Herbst, wenn so ganz menschenleer ist, umso besser!
Ob die Route auch für mich Rotpunkt möglich sein könnte? Immerhin konnte ich bis auf wenige Meter alle Stellen gleich auf Anhieb klettern. Natürlich, dies dann auch im Vorstieg und mit dem Rotpunkt-Druck noch zu machen, ist eine ganz andere Geschichte... Man muss aber auch bedenken, wie solche Route üblicherweise in den Beiträgen geklettert wird, welche wir in den sozialen Medien mit "gefällt mir" beurteilen (habe es nun oft genug live vor Ort gesehen) - da wird die Route komplett mit Fixseilen eingerichtet, so dass man sich die Seillänge, welche man bearbeitet nach Belieben aussuchen kann. Selbstverständlich wird zuerst im Toprope genau ausgecheckt, ausführlich markiert und mit verlängerten Schlingen usw. ideal präpariert. Und selbst so sind sturzfreie Gesamtdurchstiege eine grosse Seltenheit - oft wird die Sache schon abgehakt, wenn alle Längen einmal gepunktet sind. Man darf sich einfach nicht der Illusion hingeben, dass man eine solche Route (noch dazu als Amateur) erfolgreich Rotpunkt meistert, indem man unten mit seinen 10 Express am Gurt einsteigt und dann in einem Anlauf bis zum Top durchklettert. Bei den Profis läuft's meist ein bisschen anders, als wir Normalos das üblicherweise beim Alpinklettern machen. Ob diese Belagerungstechnik hingegen Spass macht, oder der rote Punkt ungeachtet von Aufwand und Stil über allem anderen stehen soll, ist dann hingegen wieder eine andere Frage...

Facts

4. Kirchlispitze - Hannibals Alptraum 7c (7b obl.) - 5 SL, 170m - Scheel/Bösch 1986 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Steigklemme fürs Fixseil, Keile/Friends nicht nötig

Ein Meisterwerk des alpinen Sportkletterns in der berühmten Südwand der vierten Kirchlispitze. Praktisch vom ersten bis zum letzten Meter wartet anspruchsvolle Kletterei, welche sich bis auf ein paar noch schwerere Einzelstellen fast durchgehen im achten UIAA-Schwierigkeitsgrad abspielt. Die Moves sind sehr technisch - die Wand ist meist knapp senkrecht und dabei arm an Griffen und Tritten. Der Fels ist aber zum grössten Teil vorzüglich, rau und mit hervorragender Reibung, so dass man sich auch an einem Hauch von nichts in die Höhe zaubern kann. Monieren kann man einzig, dass man sich teilweise an kleinsten Schüppchen bedient, welche hie und da etwas fragil wirken und teils auch schon weggebrochen sind. Trotzdem reicht's auf jeden Fall für 5 Schönheitssterne - Weltklasse! Von den Aspiranten werden gute Fusstechnik, Balance, Körpergefühl, Fingerkraft und trotzdem auch Athletik und Körperspannung gefordert. Und vor allem natürlich ein solides Nervenkostüm. Die Absicherung darf man zwar durchaus als "gut" bezeichnen (xxx), weite Abstände kommen kaum, und wenn dann wirklich nur auf den wenigen einfacheren Metern vor. Trotzdem ist die Kletterei halt aber einfach auch zwischen den Haken anhaltend schwer und zwingend zu meistern, noch dazu in einem mit reiner Kraft schwer kontrollierbaren Stil, oft hart am rauskippen. Keile und Friends kann man getrost zuhause lassen, auch wenn an 2-3 einfacheren Stellen noch die eine oder andere Sicherung platziert werden könnte - in der Regel ist da aber auch ein Bohrhaken in unmittelbarer Nähe, oder man würde nur riskieren, eine zum Klettern wichtige Schuppe beim Sturz abzusprengen.

Topo

Das Originaltopo von Martin Scheel stimmt nach wie vor uneingeschränkt. Die Route befindet sich 30 Jahre nach der Erstbegehung noch im Originalzustand. Das Hakenmaterial besteht aus Mammut-Ringhaken und Kronenbolts, es wirkt ein bisschen veraltet und sanierungsbedürftig. Nachdem die Haken aber relativ eng stecken, fanden wir es durchaus noch im akzeptablen Bereich.

Nach wie vor aktuelles Originaltopo von Martin Scheel. Quelle: azoom.ch
Weiteres

Sehenswert auch das brandneue Video von Dani Arnold, welcher die Route am Tag nach unserer Begehung Rotpunkt klettern konnte...