Eigentlich hatten Jonas und ich unser gemeinsames November-Projekt bereits ausgemacht gehabt, doch der goldene Martinisommer, welcher noch nahezu alle südlich ausgerichteten Klettereien erlaubte, liess uns die Sache nochmals überdenken. Es artete fast zu einem „Qual der Wahl“-Problem aus, doch dann fiel der Entscheid für das Abenteuer und die Herausforderung, d.h. für die „Achtibahn“ an der 7. Kirchlispitze im Rätikon.
Schon seit 1988 existiert diese Route, doch der Kommentar im Topo, „anhaltend schwere Plattenkletterei in allerbestem Fels, ebenfalls nervlich sehr anspruchsvoll“ schreckte ab, genauso wie die Einträge auf italienischen Foren, welche von gescheiterten Versuchen namhafter Alpinkletterer berichten. Auf die Traktandenliste kam die Route dann kürzlich durch die im September 2011 von Erstbegeher Kurt Winkler ausgeführte Sanierung. „Wir haben die Route saniert und dabei die gefährlichen Runouts entschäft. Es ist aber keine Plaisir-Hakenrassel geworden, 6c bleibt nach wie vor obligatorisch“, schrieb dieser. Das tönte machbar(er), und ein Versuch reizte.
Jonas steigt im oberen, einfacheren Teil der 1. SL (6a+) nach. |
So cruisten wir also Mitte November auf trockener und gut ausgeebneter Piste zum Melkplatz ob dem Grüscher Älpli empor. Kein Fleckchen Schnee weit und breit, alles staubtrocken. Der Zustieg bis unter die 7. Kirchlispitze ist in 25 Minuten erledigt, vom Wandfuss warten noch 100 Meter Kraxelei am Vorbau. Eigentlich problemlos, aber ziemlich exponiert (ca. T5+). Kurzzeitig machte das Lokalisieren der Route etwas Probleme. Ein in keinem Topo verzeichnetes, den Bolts nach zu urteilen schon altes Projekt stiftet Verwirrung, dann ist ein weiteres, neues Projekt begonnen. Wohl von Kurt W. im Zuge der Sanierung, auf jeden Fall sind es dieselben Bolts, und es sieht herausfordernd aus. Schliesslich checken wir dann, dass wir zuerst noch eine 4er-Länge der Via Andres klettern müssen, bis es dann um 10.00 Uhr richtig losgeht.
SL 1, 40m, 6a+: Zum 1. BH ist es nicht weit, und der ist mit Fug und Recht da. Nachher wartet gleich eine knifflige, technische Stelle, wo man das erste Mal sehr gut hinstehen muss. Da könnte man wohl auch 6b geben. Danach ist die Kletterei leichter und genussreich, es stecken aber nur noch 2 weitere BH, man kann jedoch prima selber absichern.
Rechtsquerung zu Beginn der 2. SL (6a+) |
SL 2, 50m, 6a+: Vom Stand weg Rechtsquerung über eine geneigte Platte, an deren Ende kommt die Crux. Tief halten hilft! Danach weiter in schöner, gemässigter Kletterei mit wiederum nur 2 weiteren Bolts, aber auch hier kann man prima selber sichern. Diese Länge ist deutlich einfacher wie die erste, ich würde eher nur 6a geben. Dafür wurde im Zuge der Sanierung die Anzahl fixer Sicherungen von 7 auf 4 verringert.
"Huere Runout" über die schwere Platte am Ende von SL 3, Jonas steht bereits über dem letzten Bolt vor dem Stand! |
SL 3, 40m, 6c: Gleich vom Stand weg harte Moves, sehr kleingriffig und nicht einfach zum Stehen. Nach dem 1. BH noch weiter, aber einfacher nach links, dann wieder nach rechts hoch. Das geht erst recht gut (ca. 6a+), bis es nach 25m wieder schwer wird. Zuerst ein fordernder Aufsteher über dem Haken, sorgfältig weitermoven und dann kann der im Zuge der Sanierung um 50cm nach oben verschobene Bolt nicht geklippt werden, trotz meiner 190cm Körpergrösse! Nach Fluchen und Schwitzen schnappt das Express schliesslich ein, uff!
Doch erst dann kommt die Vorstiegscrux dieser Länge: schwer vom Haken weg, und wenn man drüber steht, an einem Hauch von nichts auf glatter Platte anlaufen und sehr unangenehm eine Untergriff-Schuppe gewinnen. Zu psycho für mich! Ich cliffe schliesslich an einem kleinen Leistchen, kann mit einigem Üben, nach alter Väter Sitte, eine Schlinge über einen Felszacken 2m oberhalb werfen und mich daran hochziehen. Damit ist es aber nicht geschafft, es wartet noch ein schwieriger Mantle am letzten Bolt, und ein weiter Runout (ca. 8m, eine Schuppe auf halbem Weg nimmt noch einen Camalot auf) an den Stand, mit schweren, unsicheren Plattenmoves.
Diese Länge stufe ich subjektiv als deutlich schwerer wie 6c ein, 7a dünkt mich da schon eher passender. Meine Seilwurf-Stelle ist zudem die Vorstiegscrux der Route. Der nach oben verschobene Bolt davor verkürzt wohl den drohenden, immer noch weiten, aber eigentlich ungefährlichen Sturz um 1m, dafür kann man ihn kaum einhängen. Wäre ich der Capo bei der Sanierung gewesen, so hätte ich hier ganz sicher einen Zusatzbolt gegeben.
Der glatte Quergang am Ende der 4. SL (6c) |
SL 4, 45m, 6c: Für mich die schönste Seillänge, perfekte Platten- und Wasserrillenkletterei in silbergrauem Fels. Hier ist nun auch die Absicherung richtig gut, gegenüber dem Originalzustand wurde mit 2 oder 3 Zusatzbolts entschärft. Der finale Quergang mutet etwas unlogisch und gesucht an. Er ist wohl da, um eine Kollision mit der Via Andres zu vermeiden. Auch ist er die Crux, klettert man ein grosszügiges S, geht es aber in Ordnung, und der Grad 6c passt auch.
Fantastischer Fels in der etwas gemütlicheren 5. SL (6a+) |
SL 5, 50m, 6a+: Eine weitere hervorragende Seillänge in perfektem Fels, für einmal etwas gemütlicher. In der Mitte versucht ein zusätzlich gesetzter BH einen auf eine schwere, gesuchte Direktvariante zu locken. Wir bevorzugen aber die griffige Schuppe 2m weiter rechts, ätsch! Die Crux dann reibungsmässig auf für einmal etwas glattem Fels kurz vor Schluss, 6a+ kommt gut hin.
Unglaublich, der hat noch Zeit um in die Kamera zu lachen: superkompakte Cruxlänge (6c+) |
SL 6, 40m, 6c+: Nun wird es steiler, aber nicht wirklich griffiger, und darum noch schwerer! Nach dem 1. BH eine grifflose Stelle, wo man zaubern muss. Danach kurz etwas gängiger, bevor es sehr anhaltend eine steile Mauer mit kleinen, scharfen Griffen hochgeht bis zu einer Untergriffschuppe, erst die letzten Meter sind dann etwas einfacher. Obwohl im Zuge der Sanierung sogar 1 BH entfernt wurde, ist die Absicherung gut, wenn auch obligatorisch. Bzgl. Bewertung dürfte man hier sicher auch 7a geben, für die Stelle nach dem 1. BH fand ich auf die Schnelle keine Möglichkeit, sie überhaupt freizuklettern.
Das Lachen ist Jonas auch hier noch nicht vergangen - Ende der Schwierigkeiten! |
SL 7, 20m, 6b: Hier haben die Erstbegeher noch eine kleine, wenn auch lohnende Zusatzaufgabe eingebaut: die Crux rechtsherum gleich nach dem Stand ist gesucht, bietet aber prima Kletterei. Danach bei abnehmenden Schwierigkeiten und etwas minderer Felsqualität zum Zwischen- und Abseilstand, der letzten „offiziellen“ Abseilmöglichkeit.
SL 8, 25m, 6a+: Wir lassen uns den Weg zum Gipfel aber nicht nehmen, obwohl sich die Sonne bereits dem Horizont nähert. Den Ausstieg bewältigt man über die Via Andres, der schöne Riss hinauf durch die steile Wand ist gar nicht so einfach, und erfordert auch bzgl. Absicherung Eigeninitiative.
Die letzte Seillänge (6a+) verläuft gemeinsam mit der Via Andres - man braucht nochmals die Friends. |
Um 16.30 Uhr sind wir schliesslich oben, und ich kann, nach wohl sicher einem Dutzend Besuchen an der 7. Kirchlispitze, das erste Mal meinen Fuss auf deren Gipfel setzen. In Sachen Abseilen sieht es von hier gar nicht so optimal aus, denn es steckt nur ein einziger, verrosteter Kronenbohrhaken, und das obwohl hier sogar zwei sanierte Routen enden! Aber offenbar ist Abseilen vom Gipfel nicht erlaubt... was bleibt uns aber, ohne Schuhe und kurz vor dem Eindunkeln, anderes übrig, als uns doch daran herunterzuseilen?
Auf jeden Fall, das Teil hält, und auch das restliche Abseilen geht über die glatten Steilplatten eventfrei und zügig (Achtung, zwei Abseilstände sind neben der Route, siehe Skizze). So sind wir nach nur 30 Minuten bereits am Einstieg, von wo noch in 2x über den Vorbau abgeseilt werden kann. Um 17.15 Uhr stehen wir am Wandfuss zum Abmarsch bereit, machen uns zügig auf den Weg zum Melkplatz, was gerade noch ohne Stirnlampe geht. Um 17.40 Uhr fahren wir bereits talwärts, und ja: diese Route hat uns die Zähne gezogen, läck bobby!
Facts:
Rätikon - "Achtibahn" 6c+ (6c obl.) - Schoch/Winkler 1988 - 8 SL, 310m - ****, xx(x)
Material: 12 Express, Camalots 0.3-2, evtl. Keile, 2x50m-Seil
Kontinuierlich schwere, hart bewertete Plattenkletterei in allerbestem, superkompaktem Rätikonfels, die hohe Anforderungen an den Vorsteiger stellt. Sämtliche Bohrhaken wurden 2011 durch Inoxmaterial ersetzt, zugleich wurden auch einige heikle Stellen etwas entschärft. Dennoch sind etliche fordernde Stellen verblieben, die angegebenen Schwierigkeiten müssen also auch zwischen den Haken im plattigen, technisch anspruchsvollen Gelände einwandfrei beherrscht werden.
Hinweis: man lese auch meine im Nachhinein geposteten Ergänzungen zu diesem Tourenbericht. Und hier geht es zum selbstgezeichneten PDF-Topo der Route: klick!
Topo von "Achtibahn" im Rätikon |
Wunderschöne Tour! Vom Charakter ähnlich wie Chlini hond nüt z lacha, Dank den Erstbegeher für gut Durchgeführte Sanierung!
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