Die Schattenbachschlucht dürfte bis vor wenigen Jahren nur gerade Einheimischen und vielleicht noch wenigen Insidern ein Begriff gewesen sein. Das änderte sich schlagartig, als Jeb Corliss das äusserst spektakuläre Video 'Grinding the Crack' veröffentlichte. Es zeigt ihn beim Wingsuit-Flug vom Wartgang am Hinterrugg durch die Schattenbachschlucht nach Walenstadt. Nach rund 25 Millionen Views (Stand September 2013) darf man wohl von einer weltbekannten Szenerie sprechen. Dennoch ist es bestimmt nur wenigen bekannt, dass man einerseits die Schlucht im Rahmen einer Abenteuerkletterei terrestrisch durchsteigen kann und andererseits an der Seitenwand, direkt in Falllinie eines Wasserfalls, eine alpine MSL-Tour im Grad 7a+ (Topo) zu finden ist.
Unser Plan war es eigentlich, das gemeinsame Projekt namens 'Salto de Agua' zu befreien, doch fiel dieser leider buchstäblich ins Wasser (mehr darüber zu einem späteren Zeitpunkt…). Nach einer kalten Dusche besannen wir uns der Alternativen. Das Zauberwort hiess 'Aqualandia', eben diese Tour in der Schattenbachschlucht. Erstbegangen natürlich von Dani himself, und zwar teilweise im Alleingang und in Begleitung von verschiedenen Gefährten anno 2004/5. Der Ausgangspunkt im ‚Lee‘ ob Walenstadt war rasch erreicht. Auch der Zustieg ist an sich keine Sache, er dauert bloss ca. 30 Minuten. Während das Bachbett 'Hinterlaui' meist problemlos begehbar ist (T3/T4, mit kurzer, nicht exponierter Kletterstelle III oder deren Umgehung T6), so ist möglichem Steinschlag aus der Schlucht oder den Seitenwänden Beachtung zu schenken. Da man aber einigermassen gut ausweichen kann oder unter Blöcken Deckung findet, kann man hier von einem kalkulierbaren Risiko sprechen. Der Einstieg und die Route selbst sind hingegen als steinschlagsicher zu werten, ausser natürlich man löst beim Klettern selber Steine aus. Um 13.30 Uhr waren wir schliesslich bereit und packten es an.
Blick von oberhalb Walenstadt Richtung Schattenbachschlucht, die Route hier noch nicht sichtbar. |
Blick aus der Hinterlaui hinunter in Richtung Walenstadt. Die Atmosphäre ist freundlich. |
SL 1, 50m, 6b: Der Auftakt noch recht gemütlich, aber bald einmal gilt es ernst. Spätestens bei der Prallplatte sollte man parat sein, ist hier (direkt geklettert) doch das Halten von einigermassen kleinen abschüssigen Leisten und gute Fussarbeit nötig. Eventuell findet man links herum auch einen einfacheren Weg, das wäre dann aber nicht die Idee. Auch danach bleibt die Sache anspruchsvoll, in nicht immer perfektem Fels müssen die Haken doch manchmal ordentlich überstiegen werden und auch ein Camalot will obligatorisch platziert sein. Fazit: nach dieser Seillänge hat man sicher warm! Als Bewertung fand ich 6b+ auf jeden Fall angemessen.
SL 2, 40m, 5c: Bei erst ziemlich weiter Absicherung geht es über eine Stufe hoch und in einfacherem Gelände unter den nächsten Wulst. Dieser bildet die nicht ganz optimal abgesicherte Schlüsselstelle. Den Move am guten Griff werden die meisten Anwärter sicher draufhaben, allerdings tönt die Henkelschuppe etwas hohl und ist daher behutsam zu behandeln. Wer sie ausreisst, darf sich auf eine unangenehme Landung auf den Bändern etwa 5-7m tiefer gefasst machen. Der Rest ist dann vergleichsweise wieder easy, trotzdem würde ich die Bewertung hier doch auch bei mindestens 6a veranschlagen.
Blick vom Einstieg auf die ersten Seillängen. |
SL 3, 35m, 6a+: Etwas linksherum steigt man hoch, BH gibt es hier vorerst keine, aber es ist auch noch nicht allzu schwer. In der zweiten Hälfte der Länge dann schöne und steile Kletterei an rauhem, griffigem und solidem Fels. Dies fand ich bis zu dieser Stelle die schönstem Meter, und irgendwie auch die angenehmsten bzw. einfachsten. Obwohl, objektiv betrachtet dürfte die Bewertung von 6a+ durchaus passen.
SL 4, 18m, 6c+: An einer schwach ausgeprägten Verschneidung/Rippe entlang geht es hier in die Höhe. Die Seillänge ist leicht überhängend und da von Dani im Alleingang eingebohrt, auch wirklich gut abgesichert. Wirklich harte Einzelstellen warten auch keine, man bedient meist rauhe, bisweilen etwas staubige Henkel und wird mehr bezüglich der Ausdauer gefordert. So kann ich hier ohne Probleme onsight durchsteigen. Ob dies nun an der guten Absicherung oder an mit eher als 6c zu bewertenden Schwierigkeiten liegt, ist halt für mich nicht ganz einfach zu sagen.
Schöne und steile Kletterei in SL 4 (6c+). |
SL 5, 25m, 7a+: Der Auftakt führt noch gut gesichert bis unter die Schlüsselstelle hoch. Dort will ein Wulst mit einem abgefahrenen Boulder überlistet werden. Eventuell kann man sich hier (falls nötig) vom Bolt gerade noch bis zu den wieder besseren Griffen hochnullen, danach sind dann aber gleich mehrere Meter im 6b+-Bereich obligatorisch zu klettern und auch mit einem Camalot abzusichern. Der nächste BH steckt auf jeden Fall in weiter Ferne, so dass hier durchaus solides Können vonnöten ist. Der Boulder an sich ist alles andere als trivial und obwohl ich vom Vorsteiger eine Lösung vordemonstriert erhielt, konnte ich nicht im Flash durchsteigen. Oberer achter UIAA-Grad passt aber wohl…
Die Crux (7a+) der Route ist an diesem unscheinbaren Wulst. Sie ist anspruchsvoller, wie man auf den ersten Blick meint. |
SL 6, 25m, 6b+: Den Zwischenstand (gemäss Topo) sollte man auf jeden Fall nutzen. Unmittelbar nach dem Band, auf welchem sich dieser befindet wartet nämlich die Crux des oberen Teils. Ziemlich obligatorisch will die athletische 6b+-Stelle geklettert sein. Ein sehr aufmerksamer Sicherer am Zwischenstand könnte den Sturz wohl gerade noch schonend für das Geläuf bremsen, von 30m weiter unten (ohne Sichtverbindung) ist dies ausgeschlossen. Danach dann auch noch über 2 Aufschwünge hoch, und erst zuletzt einfacher an den Stand auf einer Art Terrasse.
Die Schwierigkeiten sind gemeistert, Ausstieg aus SL 6 (6b+). |
SL 7, 45m, 5b: In dieser Seillänge stecken keine Bohrhaken mehr. Vom Stand weg klettert man links hoch und einem Riss entlang, welcher vorerst noch gut abgesichert werden kann. Nach einer glatten Plattenquerung hört man dann auf einmal ein Bächlein im Felsinneren gurgeln und bald erreicht man auch den Pool, wo das Wasser in einer Felsspalte versickert. Nun gilt es noch, neben dem Wasser die 10m bis zum Ausstieg zu bewältigen. Das ist zwar nicht sonderlich schwierig, aber expo: es gibt keine Sicherungsmöglichkeit! Im Sturzfall würde man wohl erst auf der Stufe mit dem Pool aufschlagen, und danach die Wand runterpurzeln, autsch!
Die letzte Seillänge ist nicht sehr schwierig (5b), aber clean und daher nicht zu unterschätzen. |
Anyway, das ist alles hypothetisch, wir meistern auch diese letzte Hürde und stehen um 17.05 Uhr am Ausstieg. Von hier könnte man bequem in 5 Manövern über die Route abseilen und in 20 Minuten retour zum Auto laufen. Wir wollen uns dem möglichen Steinschlag in der Hinterlaui aber nicht ein zweites Mal aussetzen und folgen dem Bachlauf Richtung Alp Büls. Meist ist dieser problemlos begehbar, es warten aber auch einige anspruchsvolle Stufen (T6, III), welche man vermutlich teilweise links und/oder rechts durchs dichte Strauchwerk umgehen könnte (mühsam!). Hat man dann einmal eine Höhe von 1360m erreicht, so hält man sich nach rechts in Richtung Alp Vorder Büls. Nun gilt es noch, den Einstieg in den schwach markierten Wanderweg bei Wissenberg zu finden, und diesem via Chriesistein zum P.546 an der Strasse zum Walenstadtberg zu folgen. Zuletzt muss man dann noch eine Viertelstunde zum Auto hochsteigen, wo sich um 19.00 Uhr der Kreis schliesst. Somit nahm also der Weg vom Ausstieg bis zum Parkplatz nochmals fast 2 Stunden in Anspruch - mit Abseilen wäre man bestimmt schneller.
Unterwegs im Bachbett Richtung Alp Büls. Meist gut begehbar, aber einige T6-Stufen mit Dreierstellen hat es auch. |
Material: 10 Express, Camalots 0.3-3
Aussergewöhnliche, alpine und trotz vernünftiger BH-Absicherung eher abenteuerliche Kletterei, welche dem oft ausgetrockneten Schattenbachfall folgt. Der Fels ist eigentlich zumeist solide und von guter Qualität. Dennoch gilt es oft, auch wegen den sehr seltenen Begehungen, Griffe und Tritte mit einer gewissen Sorgfalt zu wählen. Während in den Startlängen eher technische Moves in etwas ausgewaschenen Fels warten, dominiert oben steile Kletterei an grossen und rauhen Griffen. Das Wasser hat übrigens vielerorts eine Dreck- bzw. Staubschicht hinterlassen, welche aber beim Klettern nicht über Gebühr stört.
Die Route verläuft durch den klar erkennbaren, ausgetrockneten Wasserfall. |
Wissenswertes
Die Absicherung ist an den schweren Stellen gut aber dennoch etwas fordernd (obere Stufe von xxx). An den einfacheren Stellen (unter 6a) gibt es hingegen etliche Runouts (xx), welche auch nicht immer entschärft werden können. Hier sollte der Vorsteiger wissen was er tut, bzw. welche Griffe er nutzt und welche er besser sein lässt.
Insgesamt kann man von einer typischen **-Route sprechen. Der Fels ist nicht top, die Linie durch einen ausgetrockneten Wasserfall ziemlich eigenartig und auch mit einigen Nachteilen (Staub, Dreck) behaftet. Wem jedoch der Sinn nach einem besonderen Erlebnis steht, kann hier auch tolle Klettermoves finden – eine mega weite Anreise lohnt sich jetzt vielleicht nicht unbedingt, für Kletterer aus der Region aber doch ein Unterfangen, das man auf die Projektliste setzen darf.
Tolle Moves in SL 4 (6c+). |
Damit man die Route klettern kann, muss die Wand trocken sein. Im Frühling hat man vielfach noch schlechte Karten, im Sommer und Herbst ist es hingegen die meiste Zeit gut. Wie schon erwähnt versickert eine ziemlich grosse Menge an Restwasser durch einen unterirdischen Abfluss – eine geologisch und hydrologisch äusserst interessante Sache!
Dieser Abfluss hat sich gemäss Aussage von Dani wahrscheinlich im Zuge der intensiven Regenfälle im Juni 2013 erweitert/vergrössert. Einerseits sieht er nicht mehr genau gleich aus wie zuvor, andererseits gibt es einen neuen Überlauf bzw. Wasserstreifen oder –fall etwa 30m rechts der Route. Dies zeugt von Verschiebungen „im Berg“ – mit dem Fazit, dass Aqualandia dadurch wohl häufiger trocken/begehbar ist wie in den Jahren zuvor.
Nur auf den obersten 10m hat es Wasser, danach versickert dieses komplett in der Wand. |
Der Schattenbachfall wurde im Februar 2012 von mindestens 3 Seilschaften als Eisklettertour begangen. Die Schwierigkeiten wurden dabei auf WI6/M7+ taxiert. In der vierten SL der Felsroute hatte es nur eine dünne Säule, welche in Mixed-Kletterei bewältigt wurde (die BH waren nutzbar). Der ganze Rest wurde im Eis geklettert, der Panzer war an etlichen Stellen mehrere Meter dick.
Blick vom Ausstieg, schön war's! |
Erst kürzlich habe ich entdeckt, dass die Schlucht zum Ausstieg von den Base Jumpern auch durchflogen wird. Die Sache ist als 'The Trench' vom Exit 'Sputnik' bekannt. Ein entsprechendes Video ist hier zu finden: klick. Wem das noch zu langweilig war, der sollte die Sache auch noch in der krassen Variante anschauen: klack! Da hatten wir wohl Glück, dass wir nicht zum falschen Zeitpunkt am Ausstieg waren und abgeschossen wurden. Ich frage ich mich echt ein bisschen, wie kontrollierbar diese extremen Tiefflüge sind. Und für alle Baser, welche dies lesen: habt ihr die Schlucht einmal zu Fuss durchstiegen? An einem Ort haben die Älpler nämlich den elektrischen Draht für den Viehhüter quer vom einen zum anderen Ende gespannt. Wer den trifft, ist wohl erledigt?!?
Weitere Wingsuit-Videos hinzugefügt - den Flug vom Hinterrugg durch den 'Trench' zum Ausstieg der Aqualandia sollte man sich nicht entgehen lassen. Die Links finden sich im letzten Abschnitt des Beitrags.
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