Der weisse Tod hat an diesem Wochenende wieder erbarmungslos zugeschlagen. Mehrere Lawinen reissen insgesamt 8 Wintersportler in den Tod. Soweit die Schlagzeile aus den Medien, an dieser Stelle einige Gedanken zum schwersten Unglück, wo am Vilan im Kanton Graubünden fünf Menschen in derselben Lawine ums Leben gekommen sind. Die grundlegenden Fakten sind bekannt. Gemäss den beim SLF angegebenen Koordinaten hat sich die Lawine im Osthang unmittelbar unter dem Gipfel gelöst. Der Filmbeitrag mit Aufnahmen aus dem Helikopter von SRF bestätigt diese Angabe.
Zur Lawinengefahr
Am Unfalltag herrschte am Vilan gemäss Bulletin in allen Expositionen ab 1800m erhebliche Lawinengefahr (fortan kurz LWS 3, d.h. Lawinenwarnstufe 3), mit dem auf die wesentlichen Passagen gekürzten Zusatz von "Triebschneeansammlungen können von einzelnen Wintersportlern ausgelöst werden [...] Gefahrenstellen [...] hinter Geländekanten [...] vorsichtige Routenwahl [nötig]". Somit eine verschärfte LWS 3, d.h. eine für das Tourengehen als heikel bis sehr heikel einzustufende Situation. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine verschärfte LWS 3 für den Tourengänger eigentlich die höchste relevante Gefahrenstufe darstellt!!! Ja ich weiss, es gibt noch die Gefahrenstufen 4 und 5. Diese warnen jedoch vor spontan anbrechenden, grossen und bis in die Täler vorstossenden Schadenlawinen. Meist gelten sie nur für kurze Zeit, während derer an eine Skitourentätigkeit kaum zu denken ist (schlechtes Wetter, abgeschnittene Verkehrswege, enorme Neuschneemassen, ...)
Lawinenbulletin für das nördliche Prättigau für den Unfalltag. Quelle: SLF |
Die Tour auf den Vilan
Die Tour auf den Vilan an sich ist bei LWS 3 durchaus vertretbar. Den normalen Aufstieg über den E/SE-Rücken kann man auch dann als sicher betrachten, einzig am Gipfelkopf selber überschreitet man kurz und relativ wenig exponiert die kritische Hangneigung von 30 Grad. Diese Stelle wurde am vergangenen Samstag jedoch folgenlos passiert. Wählt man bei der Abfahrt dieselbe Route wie für den Aufstieg, d.h. man hält sich konsequent an den E/SE-Rücken, werden sich kaum Probleme ergeben. Problematisch dabei ist es, dass diese Abfahrtsroute nur mässig lohnend ist, da sie über den engen und oft abgeblasenen Rücken verläuft. Umso mehr lockt da der gefährliche Osthang.
Der Osthang am Vilan
Die von der betroffenen Gruppe gewählte direkte Abfahrt über die Osthänge ist bei LWS 3 generell zu meiden. Der freistehende Vilan ist ein sehr windexponierter Berg, und bei den meist vorherrschenden Windrichtungen von Süd (Föhn) über West bis Nordwest (Staulage mit Schneefällen) handelt es sich beim östlich ausgerichteten Unfallhang um einen Leehang, in welchem der Triebschnee deponiert wird. Der Hang ist praktisch durchgehend steiler als die kritischen 30 Grad, mit Stellen die bis an oder über 40 Grad hinausgehen. Achtung: bei LWS 3 ist nicht die Steilheit am Punkt wo man sich aufhält massgebend, sondern die steilste Stelle im gesamten Hang!!! Weiter ungünstig ist die Tatsache, dass der Hang über keinen sanften Auslauf verfügt, sondern am Fuss stellenweise ungünstiger Staubereich vorhanden ist.
Taktik im Hang
Egal was, wie, wann und wo, aber insbesondere bei erhöhter Lawinengefahr ist es ein grober taktischer Fehler, sich bei der Abfahrt mit mehreren Personen gleichzeitig im gefährdeten Gelände aufzuhalten. Und hier sprechen wir von (mindestens) 8 Personen, welche sich gleichzeitig im Gefahrenbereich aufgehalten haben. Der Unfallhang ist keine 200hm lang, es wäre an dieser Stelle problemlos möglich (und Pflicht!), ihn einzeln zu befahren. Sichere Aufenthaltsorte vor und nach dem Hang sind vorhanden. Selbst bei LWS 2 fährt man einen solchen Hang grundsätzlich immer einzeln ab.
Risikocheck
Die Lawinenprävention zuallererst einmal zuhause in der warmen Stube statt! An erster Stelle steht eine sorgfältige Auswahl der Tour, mit präzisem Kartenstudium soll eine Beurteilung von deren Machbarkeit mit einem Risiko-Check (elementare Reduktionsmethode, Stop or Go und weitere Derivate) durchgeführt werden. Es ist ganz eindeutig nicht der richtige Ansatz bzw. der erste Schritt in Richtung Lawinenunfall, sich einfach einmal "vor Ort zu begeben und dann zu schauen". Es mag wohl sein, dass sich vor Ort manchmal zeigt, dass ein aufgrund der Planung als zu heikel eingeschätzter Hang doch begehen lässt - nämlich dann, wenn er entweder abgeblasen oder total verfahren und sowieso unlohnend ist. Überall dort, wo aber der schöne Pulverschnee lockt, ist nämlich selbst der Experte dann doch auf die Beurteilung via Gefahrenstufe und Hangsteilheit angewiesen...
Risikocheck mit elementarer Reduktionsmethode. Quelle: SLF |
Ich gehe nun seit rund 25 Jahren auf Skitouren und habe den Eindruck, dass die Tourentätigkeit bei schlechten Wetterbedingungen massiv zugenommen hat. Für den Unfall am Vilan war dieser Aspekt zwar irrelevant, aber trotzdem: eingeschränkte Sicht (Nebel, teils sogar schon nur diffuses Licht) vertragen sich nicht mit LWS 3!!! Weil dann nämlich Fernauslösungen möglich sind und für die Beurteilung der Steilheit der ganze Hang massgebend ist. Die Tourerei bei schlechtem Wetter sollte also deutlich kritischer gewertet werden - es macht nicht nur weniger Spass, sondern die Odds für einen Unfall sind höher und die Folgen auch gravierender (schlechte Übersicht über das Geschehen, ausbleiben von Hilfe, schnelleres Auskühlen bei Verletzungen, ...).
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Diesen gibt es hier!
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Hallo,
AntwortenLöschenvielleicht nicht kluge Frage - wie kann ich solche detallierte Karte mit Steilheit am geoadmin finden?
Gruesse, Aga
Hallo Aga,
LöschenIm Menü auf der linken Seite: --> Geokatalog --> Grundlagen und Planung --> Höhen --> Hangneigung ab 30°
Viel Spass damit, es ist wirklich sehr nützlich!
Warst du vor Ort beim Unglück, dass du Anscheinend so genau weisst was passiert ist und was falsch gemacht wurde?
AntwortenLöschenFür mich ist das ganze sehr üble Vorverurteilung.
Zu den Steilheiten der Karte: Ist bei weitem nicht so genau wie du in deinem Bericht sugerierst. Mach die mal schlau bezüglich der Grundlage dieser Daten und deren Genauigkeit!!!!!!!
Mira
Hallo Mira,
AntwortenLöschenIch war beim Unglück nicht vor Ort, habe die Tour aber schon mehrfach begangen und habe dementsprechend Ortskenntnis. Die wesentlichen Fakten zum Unglück sind alle bekannt und in meinem obigen Beitrag wird nichts erwähnt oder kommentiert, das eine Anwesenheit erfordert hätte. Ich bin auch der Meinung, dass nichts und niemand verurteilt wird - das Urteil im weiteren Sinne wurde hier durch die Natur gefällt, und das nicht gerade zimperlich. Und leider können wir von der Natur auch in Zukunft keine Gnade erwarten.
Mein Artikel listet nur einige Grundsätze der Lawinenkunde auf, welche (wie mir aufgrund der Diskussionen ums Unglück wieder einmal bewusst wurde) längst nicht bei allen Skitourengängern bekannt sind. Namentlich, dass "erheblich" bzw. "erheblich+" für Skitourengänger höchste Lawinengefahr bedeutet, dass die Reduktionsmethode konsequent eingesetzt werden soll, dass bei "erheblich" die Steilheit des gesamten Hanges zählt, dass sich diese Gefahrenstufe mit schlechter Sicht nicht verträgt und dass sich jeweils nur eine einzige Person im Gefahrenbereich aufhalten soll.
Was das Gefeilsche um Hangsteilheit und Reduktionsfaktoren (von Dir und anderswo) angeht: da halte ich wenig bis nichts davon. Wer die Steilheit (zu) tief einschätzt und die Reduktionsfaktoren offensiv auswählt, sollte bei der Interpretation des Resultats dann halt eher defensiv agieren. Meiner Meinung nach sollte man im Zweifel immer die nächstgrössere Steilheitsklasse anwenden, bzw. einen Reduktionsfaktor nicht verwenden. Sich ein einziges Mal zu irren ist möglicherweise schon 1x zu viel. Zudem: ich lese hier unmittelbar bei den angegebenen Koordinaten aus der Karte im Massstab 1:1000 eine Steilheit von 38.7 Grad über 40 Höhenmeter, was die orange Einfärbung (35-39 Grad) gemäss dem digitalen Höhenmodell bestätigt. Um vom digitalen Höhenmodell bzgl. Steilheit nach unten abzuweichen sollte man schon sehr gute Gründe haben, welche hier meines Erachtens ganz und gar nicht gegeben sind.
Beste Grüsse, Marcel
Hallo Mira, Hallo Marcel
LöschenIch lese die Sicherheitsrelevanten Beiträge in diesem Blog immer wieder sehr gerne und allermeist mit grösster Zustimmung zur Autorenmeinung. Dies mit dem Hintergrund einer inzwischen über 30ig jährigen Alpinkarriere.
Es erstaunt mich daher nicht sonderlich, dass hier schon bald ein Kommentar auftaucht, den Marcel der Vorverurteilung beschuldigt. Es ist heute leider oft so, und wird als politisch nicht korrekt abgetan, anstelle eines generellen Bedauerns des Ereignisses, einmal klipp und klar Fakten aufzuführen, die zu hören halt nicht besonders angenehm sind.
Wer auf Skitour nur schon die minimalsten Grundregeln die auf dem gut kreditkartengrossen Kärtchen dargestellt sind (Marcel hat es abgeildet) einmal studiert und mit dem dann geltenden Bulletin sowie anderen tourenrelevanten Grundlagen vergleicht, muss zwingend zu den selben Schlüssen wie Marcel kommen.
Ob ich dann den Tourenleiter verurteile ist eine andere Angelegenheit, denn wir wissen tatsächlich nicht, wie der Entscheidungsfindungsprozess zur Befahrung dieses Hanges stattgefunden hat, und welche Kompetenzen die TeilnehmerInnen (vielleicht waren ja auch TL darunter?) ebenfalls besassen. Darüber lese ich im Artikel von Marcel aber auch nichts. Er überlässt es dem Leser sich anzumassen, über den Befahrungsentscheid zu urteilen. Vielleicht traf ja auch gar nicht der TL diesen Entscheid, sondern ein paar (über)motivierte Teilnehmer die nach der Gipfelrast schon mal schnell die "first Lines" ziehen wollten. Fragt sich dann: Wie wurde die Gruppe geführt?
Betreffend der Karten auf geo.admin muss ich sagen, dass das Geländemodell schon beinahe erschreckend genau ist. Woher Mira eine andere Ansicht her hat ist mir schlicht schleierhaft. Ich konnte im Nachgang schon zu einigen Skitouren, Hänge die ich auf der Skitourenkarte als gesamthaft durchschnittlich so und so steil herauslesen konnte, dann anhand der tatsächlich gefahrenen Geländelinie eine unheimliche Differenziertheit der Gefällewiedergabe erkennen.
Sei es darum, ich will jedem selber überlassen wie er es mit grundlegenden alpinen Sicherheitsregeln hält. Ob im Sommer- oder im Winteralpinismus. Er kann sich daran halten und darf sich nicht wundern öfters auf ein Traumziel verzichten zu müssen, oder kann sie zugunsten einer geplanten Zielerreichung uminterpretieren oder relativieren, darf sich dann aber nicht wundern wenn es häscheret und andere dann auf allgemein geltende Grundsätze aufmerksam machen.
Auf eine Unfallfreie Saison
Patrik Müller
Auch ich schätze Marcel's sicherheitsrelevanten Beiträge sehr.
AntwortenLöschenEine genaue Analyse der Ursache solcher Unfälle finde ich sehr wichtig, denn nur so kann man ähnliche Tragödien verhindern. Marcel macht dass immer auf eine sehr sachliche Art. An keiner Stelle kann ich eine Vorverurteilung erkennen.
Dieser Unfall hat für mich leider plötzlich ein ganz persönliches Gesicht bekommen. Besonders deshalb habe ich ein grosses Interesse daran zu verstehen, was falsch lief.... Und dass was falsch gelaufen war ist klar, sich davor zu verschliessen wäre nicht nur falsch sondern dumm.
Die Argumentation mit der (Un)genauigkeit der Karte kann ich nicht verstehen. Wir haben die genausten Karten der Welt. Ausserdem wir's der Entscheid einen Hang zu fahren ja immer vor Ort getroffen und nicht zu Hause bei der Planung.
Alles eine unfallfreie Saison.
adi
Hi Marcel
AntwortenLöschenGuter Beitrag, einige Kommentar dazu unten
Bei uns (Ausserfern) war´s auch recht spannend an dem WE, aber hier hat der Schutzengel gute Arbeit geleistet – siehe links (der 2te ist hammerhart, kommt auch im anderen Beitrag vor)
http://www.alpic.net/forum/skitouren/re-aktuelle-verhaltnisse/msg40277/#msg40277
https://www.lawis.at/incidents/incident_132_000.jpg?cid=1422893731631
Zum Vilan:
Ich stimme Dir in allen Punkten zu. Was wirklich interessant zu wissen wäre, wie es konkret zum Vorfall gekommen ist. (hat sich mir noch nicht erschlossen)
Rein von der Schnee und Lawinenlage und Lagebericht wäre natürlich kompletter Verzicht auf den Hang das sinnvollste gewesen – dazu unten mehr (hinterher weiß man es eh besser)
Das nächste und größte Problem ist: wie konnte es passieren, dass da 8 Leute erfasst wurden
Mögliche Hypothesen:
a) Die Gruppe ist eher ordentlich verteilt oder gar einzeln gefahren, aber dann nicht richtig gestanden
b) es gab keine vernünftige Strategie für die Abfahrt
im ersten Moment mag b) total verwerflich und leichtsinnig erscheinen, („würde mir nie passieren, wie kann man nur?“) ich möchte es aber unter folgendem Aspekt nicht wirklich ausschließen.
Herrlicher Tag –angespannte Lage - man geht es vorsichtig an (klar, die Aufstiegsroute ist zu logisch ) , aber dann: alles ist friedlich, es wird da überall reingefahren, keine Alarmzeichen (gut, man sieht die Dünen im Hang?), gerade an viel begangenem Berg sinkt der Respekt und die Sinne sind nicht mehr auf Alarm. Man kann sich auch vorstellen, dass dann der Leiter nicht konsequent und unmissverständlich ansagt, und/ oder die Leute das auch nicht konsequent umsetzen (war bei meinen Touren immer alles perfekt in dieser Hinsicht?) – trotzdem 8 Personen im Hang ist harter Tobak – doch a)?
Jetzt zum eigentlichen Thema:
Ich glaube, dass es in letzter Zeit eine Verschiebung gegeben hat, immer die noch geileren Bilder noch früher direkt nach dem Schneefall, Powder, Powder, Verzicht ist uncool.
Dann die stärkere Frequentierung der Touren:
einer macht dann schon die erste Spur rein in den geilen Hang, dann kommen die anderen, - geht doch, passiert ja nix - der Berg wird von der undurchschaubaren Wildnis immer mehr zum Funpark, Freeride auch auf Tour, - die Instinkte und Fragezeichen werden dadurch betäubt– immer weiter muss man in die noch steileren Hangpartien, damit´s noch den weißen Rausch gibt – schnell rein, bevor die nächsten uns zuvorkommen
Vielleicht bin ich ja ein alter Trottel, der da die „alten „ Zeiten“ verklärt (wobei wir früher aus der Retroperspektive auch ahnungslos und mit falschen Strategien unterwegs waren), aber mir scheint, die letzten Jahre schwingt das Pendel von einer vorübergehend etwas mehr gelebten Zurückhaltung gerade wieder in die andere Richtung.
An diesem Samstag – ziemlich tricky- (wohl ein 3er, bei dem man nicht so viele Spielräume mehr gehabt hat ) – hat´s der Schutzengel nicht überall geschafft, schlimmes zu verhüten.
Einige werden das als Mahnung verstehen, sich zu hinterfragen und lieber die Bremse etwas anzuziehen –(für ein paar Wochen nur?) . andere wohl eher nicht (wenn ich sehe, wie man am Mittwoch schon wieder unterwegs war, am Dienstag war im Allgäu 4er).
Und dann den Bericht ins Netz: "super war´s, alle, die langsamer tun sind blöd, kein Ansatz von Zweifel und Selbstreflektion.
Vielleicht sicherheitshalber doch in den Süden zum klettern, muss ja nicht am hakenzerfressenden Meeresfels sein
Wolfi
Das Verfahren gegen den Leiter der Skitourengruppe wegen fahrlässiger Tötung wurde von der Staatsanwaltschaft Graubünden im Juni 2017 eingestellt. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hier kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Tourenleiters gegeben ist. Weitere Infos aus der Tageswoche: klick!
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