Die Nordwand des Graustock thront über dem Trübsee im Engelberger Tal und weist mit einer Wandhöhe von 850m durchaus respektable Ausmasse auf. Egal von wo man sie anschaut, sie wirkt unnahbar und schwierig. Die Tatsache, dass es hier extreme Nordwandrouten von Jasper, Odermatt und Konsorten gibt, hat ihren Ruf noch weiter befeuert. Kaum zu glauben also, dass es durch diese Wand einen Weg von moderater Schwierigkeit gibt. Doch tatsächlich, die Stei Route nützt ein System von Bändern, welches durch eisige Stufen und einfache Mixed-Rampen miteinander verbunden ist.
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Blick auf die Graustock Nordwand vom Trübsee im Skigebiet von Engelberg. |
So wollte ich zusammen mit Sandro im extrem schneearmen Dezember 2016 eine weitere Nordwand anpacken. Gleich an dieser Stelle sei gesagt, dass die Verhältnisse für eine Begehung der Stei Route absolut einwandfrei stimmig sein müssen. Zu fürchten ist vor allem die Lawinengefahr: die Schneepassagen sind mit Steilheiten im Bereich von 35-50 Grad und dem steil abbrechenden Gelände darunter extrem ausgesetzt. Zum aktuellen Zeitpunkt war dies jedoch kein Thema. So konnte unsere Tour am Schalter der Titlisbahnen beginnen. Für 22.50 CHF (mit GA/Halbtax) erwirbt man ein Rundreiseticket nach Trübsee und retour ab Jochpass. Dies ermöglicht es, den spannenden Teil ohne allzu lange Fussmärsche zu erledigen. Insgesamt sind es von der Station Trübsee etwa 2km Horizontaldistanz, 200 Netto-Höhenmeter und eine knappe Stunde Gehzeit bis zum Wandfuss auf 1840m. Alternativ kann man diesen Punkt in knapp 2h Aufstieg über die verschneiten Skipisten auch direkt ab der Talstation in Engelberg erreichen.
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Schöner Tiefblick ins Engelberger Tal vom Wandfuss. Der Graustock thront prominent über dem Talschluss und ist bei der Anfahrt von Stans nach Engelberg gut zu erkennen. Zumindest, wenn es nicht so viel Nebel wie an dem Tag hat... |
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Die Nah-Perspektive vom Wandfuss. Da baut sich schon ziemlich imposant etwas über einem auf! Die in der Führerliteratur beschriebenen Eisfälle (Nerven auf Eis, Horror Show, beide am linken Bildrand sichtbar) sowie die schwierigen Mixed-Routen weisen im Moment keine guten Verhältnisse auf. Es fehlt an Eis - dies nicht etwa, weil es zu warm wäre, sondern weil es zu trocken ist. |
Wir schirrten uns auf, denn der Einstieg in die erste Eiskletterei war bereits sichtbar. In 3 gestreckten 50m-Seillängen (WI2/WI2/WI3) bewältigt man diesen ersten Teil in genussvoller Pickelei. Beim Eis handelte es sich auf die finale Steilstufe meist um bestes Softeis. Als nächstes gilt es, ein rund 45 Grad steiles Schneefeld seilfrei nach links hinauf zu queren. Dessen oberes Ende wird durch eine kurze Stufe markiert, welche in rund 10-15m an Kletterei über etwas lose Felsen, gefrorenen Dreck, Grasbüschel und Schnee erkraxelt wird. Das ist easy (ca. M2/M3), um Sicherungsmöglichkeiten ist es jedoch eher bescheiden bestellt. Mit einer kurzen Querung nach links erreicht man den Eisschlauch, welcher das erste und das zweite Schneefeld verbindet.
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Alles Material ist auf Mann, es sind nur noch wenige Schritte zum Beginn der Eiskletterei. Dabei wählt man den linken Eisstreifen. Der rechte wäre sicherlich auch sehr schön zu begehen, allerdings führt der ins Juhee... |
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Tiefblick auf die erste Eislänge (WI2). Kompaktes Softeis bietet eine richtig genussvolle Kletterei. |
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Yours truly bereits in der dritten Eislänge (WI3), welche mit einer Steilstufe aufwartet. |
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Nachstieg in der dritten Eislänge (WI3), das Ambiente in der Wand grandios! |
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Nach dem ersten Eisschlauch geht's über ein Schneefeld, bevor sich einem diese Mixed-Stufe in den Weg stellt. Die Kletterei über eine Mischung von losen Felsen, gefrorenem Dreck, Gras und Schnee ist nicht so schwierig (M2/3). Allerdings könnte man hier kaum sichern, weshalb man gut zu Fuss sein sollte. |
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Gerade oberhalb dieser Mixed-Stufe, es pfeift ganz schön in die Tiefe, Fehler sind da keine erlaubt! |
Der Eisschlauch bietet weitere zwei gestreckte 50m-Längen an schöner Eiskletterei (WI3/WI2). Hier war das Eis schon etwas älter und teilweise etwas hart/spröde, trotzdem hat es grosse Freude gemacht. Nach diesen beiden Eislängen konnten wir das Seil wieder einpacken und machten uns auf den Weg über das erneut etwa 45 Grad steiile, zweite Schneefeld. Hier gilt es nun, die Abzweigung nach oben nicht zu verpassen! Die Rampe, welche zum Schneeband hinauf führt, ist nicht ganz offensichtlich - man könnte sie auch verpassen und zu weit nach links queren. Jedenfalls muss man bei der ersten Gelegenheit hinauf, wo dies ohne grössere Schwierigkeiten möglich scheint.
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Im Eisschlauch (WI3), welcher das erste und zweite Schneefeld verbindet... |
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Nachstieg in der ersten Länge vom zweiten Eisschlauch (WI3), unten die Kunstschneepiste (Talabfahrt geöffnet!) |
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Hier geht's weiter, Ausblick auf die zweite Länge im zweiten Eisschlauch (WI2). |
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Unterwegs im zweiten Schneefeld, welches zur Mixed-Rampe führt... |
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...und das ist die Rampe, die es zu wählen gilt. Nicht verpassen, man könnte hier auch auf dem Schneefeld nach links weiterqueren, was jedoch schlussendlich auch ins Juhee führt. |
Die Rampe bietet einfache Mixed-Kletterei. Die Felsen sind nicht unbedingt von bester Qualität, schienen jedoch vernünftig festgefroren. Während auf den grossen Schneefeldern guter Stapfschnee vorhanden war, war die Qualität hier eher bescheiden. Ziemlich griesige Ware machte das Antreten etwas heikel - klar, dank der geringen Schwierigkeiten war dies immer noch problemlos. In einer grösseren, schwierigeren Wand würde man bei solchen Schneebedingungen jedoch sicherlich von schlechten Verhältnissen sprechen und die Begehung lieber auf einen besseren Zeitpunkt verschieben. Anyway, nach der Rampe warten einige exponierte Schneepassagen (50 Grad steil), bis ein verstecktes Couloir nach rechts hinauf führt, um via eine letzte Kraxelpassage aufs Schneeband zu leiten. Es sei erwähnt, dass dieser ganze Mixed-Teil mit einem Seil eher schlecht zu sichern ist.
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Im unteren Teil der Rampe, ca. 50 Grad steiler Schnee. |
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Weiter oben in der Rampe wartet dann einfache Mixed-Kraxelei, geprägt durch blockig-abschüssigen Fels und griesigen Schnee. |
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Blick auf das versteckte Couloir, welches nach der Rampe wieder nach rechts aufs Schneeband hinauf führt. Wir sind an dessen Ende im Aufstieg zu sehen. Das Bild wurde von Jan Nagelisen per Zoom vom Wandfuss aufgenommen, vielen Dank! |
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Eine letzte Kraxelstufe führt vom versteckten Couloir hinauf aufs Schneeband. |
Das Schneeband ist dann (bei passenden Bedingungen) ohne grössere Schwierigkeiten zu machen. Die Crux dieses Abschnitts bildet der luftige Schluss, direkt an der Begrenzungskante der Felswand geht's in exponierter Position hinauf und über die Schlusswächte hinweg. Wiederum, Möglichkeiten zum Sichern gibt's hier (ausser Gehen am kurzen Seil mit einem schwächeren Partner) keine, und man muss der Sache gewachsen sein. Um etwa 13.30 Uhr sind wir nach rund 4 Stunden Aufstieg durch die Wand oben angelangt. Heute reicht es im Gegensatz zur Tour am Gross Ruchen (Bericht folgt), damit uns die Sonne am Ausstieg ins Gesicht scheint, welch ein Genuss!
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Auf dem Schneeband, Blick vorwärts. Links der Titlis (3240m). |
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Blick zurück auf das Schneeband. Man quert immer hart am Abgrund, eine coole und luftige Traverse. |
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Der letzte Abschnitt vom Schneeband ist noch ein Stück steiler und exponierter. Eigentlich problemlos, aber... |
Nach einem Vesper machen wir uns auf den Weg in Richtung Jochpass. Schon bald stellt sich eine Felsstufe in den Weg. Hier kann man entweder oberhalb vom Abbruch absteigen, bis man 200hm weiter unten auf den Wanderweg trifft, welcher die Stufe unschwierig überwindet. Wir zogen es hingegen vor, den Abbruch direkt zu überwinden. Hier führt im Sommer ein Klettersteig hinauf, leider waren die Drahtseile jedoch demontiert. So kommt man nicht darum herum 1-2x 25m an den vorhandenen Vorrichtungen abzuseilen. Auch danach ist der Weg zum Jochpass noch weiter wie gedacht, eine weitere Steilstufe erfordert nochmals vorsichtiges Abklettern. Dann aber können wir uns bequem auf den Sessellift setzen und ins Tal gondeln. Das Fazit: das war jetzt ein wirklich schönes Nordwand-Genusstüürli!
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Abbruch in der Graustock-Flanke. An diesen Felsen gibt's Ein- und MSL-Routen zum Sportklettern! |
Facts
Graustock - Stei Route (AD+ WI3 M3) - 850m Wandhöhe - ***
Material: 1x50m-Seil, 8-10 Eisschrauben, Felsmaterial kaum einsetzbar.
Eindrückliche und imposante Nordwand, welche auf einem logischen Weg ohne allzu grosse Schwierigkeiten überwunden werden kann. Im unteren Teil warten 250m an reiner Eiskletterei im Genussbereich. Dazwischen sind einige Schneefelder (40-45 Grad) zu überwinden. Im oberen Teil wartet dann (je nach Verhältnissen und Schneelage) noch etwas Kraxelei und ein paar exponierten, recht steilen Schneepassagen. Insgesamt sicher eine gutmütige und relativ einsteigertaugliche Nordwand. Es sei jedoch erwähnt, dass ein Sichern abseits der Eisfälle kaum möglich ist, so dass eine grosse Sicherheit im Steigeisengehen erforderlich ist. Ebenso ist ein Rückzug nur durch heikles und zeitaufwendiges Abklettern machbar. Vorsicht vor Lawinen - schon ein kleiner Rutsch kann einen hier ins Verderben reissen, alle Schneepassagen spielen sich über hohen Felswänden ab!
Topo
Daniel Perret hat einen
Begehungsbericht mit prima Topo auf der Seite engelbergmountainguide.ch zur Verfügung gestellt, herzlichen Dank dafür! Ganz generell gibt es dort immer wieder sehr interessante Neuigkeiten zu lesen. Ja, im Engelberger Tal, da läuft etwas, man kann schon fast von einem Little Chamonix in der Zentralschweiz sprechen. Eine sehr begrüssenswerte Initiative, von der am Schluss ganz sicher alle profitieren. Wer einen kundigen Vorsteiger für diese Tour oder andere Unternehmungen in Engelberg sucht, findet in Daniel (oder einem seiner Kollegen) einen profunden Führer. Ebenfalls sehr empfehlenswert ist der
Engelberg Outdoor Guide. Die Stei Route fehlt darin zwar (noch), viele andere coole Unternehmungen im Gebiet, wie Wanderungen, alpine Routen, Hochtouren, Biketouren, Skitouren, Freeride-Möglichkeiten, Sport- und Plaisir-Klettereien sind jedoch ausführlich und präzise beschrieben - way to go!