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Donnerstag, 5. März 2020

Onsernone / Parete Sud - DMMP (7a+)

Wenn man am Tag zuvor in der Dimitri an der Parete ai Monti unterwegs war, so drängt sich ein Ausflug in die DMMP (9 SL, 7a+) an der Parete Sud gleich nebenan auf. Für uns ging das allerdings nicht ohne Umwege, wollten wir an diesem Tag doch eigentlich im Valle Bavona klettern. Obwohl die ausgesuchte Route ebenfalls südexponiert und auf ähnlicher Höhenlage wie die Onsernone-Touren war, gab's dort nichts zu holen - feucht, kalt, grimmig, die Lage in einem Alpental statt voralpiner Hügellandschaft macht den Unterschied. Als vernünftige Ausweichgelegenheit präsentierte sich dann fast alleinig die DMMP, auf welche ich a priori gar nicht so scharf war. Zwar wird sie im SAC-Kletterführer Tessin als "eine der schönsten Routen des Onsernone-Tals" bezeichnet. Andererseits schreiben zwei mir persönlich bekannte, hervorragende Plattenkletterer auf dem Web (1,2) auch davon, dass die Cruxlängen "unmachbar" seien. Mein persönlicher Blick auf die glatte, abweisende Einstiegsplatte lag zwar schon bald 13 Jahre zurück, als allzu machbar hatte ich die Sache de visu aber auch nicht in Erinnerung. Nun denn, mit Blick auf die fehlenden Alternativen willigte ich doch für die DMMP ein - und es sollte schliesslich viel besser kommen als gedacht!

Plattenknaller im Onsernone! Viktor folgt in L2 der DMMP, einer unterbewerteten 6b. Auch sichtbar das Band, über welches man zusteigt. 
Nach dem Hin und Her starteten wir erst um 10.00 Uhr den Marsch bei der Kirche in Mosogno. Zügig liefen wir die 330hm auf gutem, gelb markiertem Pfad nach Piano. Dort befindet sich der Einstieg in die "offizielle" Zustiegsroute rechts der Hütten (Steinmann). Sehr spärlich gibt's mal eine rote Markierung an einem Baum, aber einen Pfad dann definitiv nicht. Während der Vegetationszeit dürfte man sich auch durch einen regelrechten Farndickicht zu kämpfen haben. Immerhin war das im Februar absolut kein Thema. Womöglich wäre es bequemer, die Stufe hinter den Piano-Hütten etwas nordwärts ausholend via Serta zu umgehen. Laut Landeskarte scheint das Gelände dort offener und weniger steil, aber wer weiss. Jedenfalls gilt es, nach Piani und hinter den P.1272 zu gelangen, wo man der verfallenen Steinmauer entlang zur Kante geht. An der logischen Stelle (Steinmann vorhanden, eine Markierung konnten wir nicht erkennen) beginnt die Querung, die mit etwas auf und ab in gut 10 Minuten über breite Bänder zum Einstieg führt. Nach total 50 Minuten Gehzeit waren wir vor Ort und machten uns umgehend startbereit. Auf mein Zweifeln an der DMMP hin hatte mir mein Kletterpartner das Angebot gemacht, sich die Cruxlängen (soweit nötig) technisch hochzukämpfen, damit ich als Seilzweiter die Moves bestmöglich frei probieren könnte. An einen Onsight glaubte ich in der vorliegenden Situation von Vornhinein nicht - welch mutige (aber ehrlich gesagt absolut objektive) Einstellung :-/. Um 11.00 Uhr kletterte Viktor los.

Hier geht's los und es ist von Beginn weg klar, gute Griffe findet man auf dieser Extremplatte nicht.
L1, 40m, 7a+ (bzw. subjektiv 7c): Gleich die allerersten Meter haben es heftig in sich, immerhin kommt man da noch mit Trittschlingen und auf die Bolts stehen durch. In der zweiten Hälfte der Seillänge hilft dann aber mehrmals nur noch der mutige Schritt über die Platte, da sind die Abstände deutlich weiter! Nur schon den Stand zu erreichen gleicht hier also einer Leistung, die nicht gering geschätzt werden darf. Ich nehme mir dann hintendrein die Zeit, einer freien Passage auf den Zahn zu fühlen. Kritisch ist der Weg vom ersten zum zweiten Bolt. Linksrum mit Nutzung der Quarzeinschlusses finde ich schliesslich eine machbare Lösung. Weil man da allerdings ca. 1m links der Hakenlinie ist und den zweiten BH erst auf Brusthöhe klippt, würde ein Sturz im Vorstieg trotz an sich kurzem Hakenabstand zurück auf Terra Firma führen. Notabene bei Moves, die (für mich) unkontrollierbar an der Abrutschgrenze sind. Nach anhaltend schwerem Gelände, das ich ohne weiteres als durchgehend 7a+-Platte einstufen würde, folgt die nächste Crux auf dem Weg vom sechsten zum siebten Haken, wo ein Minimal-Percentage-Plattendynamo nötig ist. Auf einer leichten Verflachung Schwung holen, mit Fuss auf rutschigstem Parkett weitere Energie ins System bringen und dann das Ganze an einem miesen Sloper wieder unter Kontrolle bringen. Für den Rest der Seillänge braucht's dann "nur" noch etwas Mut und Zuversicht über den Haken, aber das geht dann wohl so als 6c/7a-Platte durch, wobei die Schuppe am Ende der Länge mobil mit Cams abgesichert werden muss. Fazit: als frei kletterbar würde ich diese Länge einstufen, für einen Rotpunkt im Vorstieg müsste ich aber, falls überhaupt möglich, viel, viel mehr investieren als für eine "normale" 7a+ (das ist ein Grad, den ich bei griffiger Kletterei fast immer onsight kann). Plattenbewertungen sind ja immer so eine Sache - aber damit die Sache subjektiv und persönlich etwa im Einklang mit athletischen Seillängen steht, müsste man hier mindestens 7c geben. Nachtrag: die Tatsache, dass ich inzwischen in Osogna die extreme Plattenroute 'Fazzini Riccarda' (7c) rasch punkten konnte, gibt mir bei dieser Einschätzung noch mehr Gewissheit (auch wenn man aus 2 Einzelbeobachtungen keine Statistik machen soll und die beiden Seillängen in ihrem Charakter nicht zu 100% identisch sind).

Anhaltend anspruchsvoll präsentiert sich L1 (offizielle 7a+, eher 7c). Erst die letzten Meter sind dann gängiger.
L2, 50m, 6b (bzw. subjektiv 6c/7a): Das Gelände wird zwar vermeintlich etwas flacher und der im Topo verzeichnete Schwierigkeitsgrad nimmt schon banale Züge an. Für die Kletterei trifft das aber nicht zu. In der ersten Hälfte warten weitere, sackschwierige Plattenboulder, die nach meinem persönlichen Empfinden nichts mit dem Grad 6b zu tun haben - schon manch einer soll hier dankbar die Hakenlasche als Tritt akzeptiert haben. In der zweiten Hälfte legen dann vor allem die Hakenabstände eine Schippe drauf. Bei (vermeintlich) ähnlichen Schwierigkeiten muss man auf einmal 5m und mehr zur nächsten Rettungsinsel steigen. Allerdings ist die Absicherung fair. Dort wo man weit über dem Haken ist, geht's dank etwas Struktur dann doch ohne übertriebene Angstattacken und bevor es wieder schwierig wird, kann man wieder klippen. Überhaupt erstaunlich, wie winzige Leisten und ein paar Dellen hier rasch einen Unterschied zwischen beinahe Komfort-Cruising und nahezu unmöglich machen.

Um eine 6b-Länge macht man meist kein grosses Tamtam. Aber hier ist echt sogar das hart.
L3, 50m, 6a (bzw. subjektiv 6b): "La longeur facile de la voie", allerdings muss man dieses Prädikat irgendwie im Gesamtkontext sehen. Auch hier stecken die Bolts nicht eng. Doch erneut geht's schon, in den Runouts ist die Sache etwas strukturierter und bei entsprechendem Können kontrollierbar. Nichtsdestotrotz, aufregend ist es schon: da machst du mal ein paar nicht rückgängige zu machende Moves über den Haken weg, dann stehst du 3m darüber und weisst genau: zurück - geht nicht; stürzen - keine Option mehr. Also Augen zu und durch. Der erste Teil der Seillänge entlang der markanten Schuppe muss übrigens mobil abgesichert werden.

Leider ist die Parete Sud nicht freistehend - unter dem Strich ist es nämlich ein gewaltiger Gneisdom. Hier L3 (6a).
L4, 40m, 6b+ (bzw. subjektiv 6c+): Ab hier wird das Gelände steiler, d.h. es wartet nicht mehr Reibungskletterei, sondern technisch anspruchsvolle Wandkletterei. Mit den Füssen steht man natürlich weiterhin meist "im Nichts", aber ohne dass es Griffe hätte, käme man hier nun nicht mehr weiter. Zuerst einmal geht's hier weit zur ersten Sicherung, aber dank ein paar Leisten geht's gut auf. Auch sonst kommt man mit geschickter Planung und inzwischen etwas Gewöhnung an die Gegebenheiten recht gut zur Stelle, wo definitiv die Linksquerung ansetzt. Erst arbeitet man sich an einem Dächlein mit miserablen Untergriffen auf Gegendruck nach links (hinter dem Grün versteckt sich da übrigens ein erst noch unsichtbarer BH), dann entscheidet am Bolt mit dem Umkehr-Maillon vorbei die exakte Körperpositionierung, ob man die markante Schuppe erreicht. An dieser sitzt ein Cam 0.5 perfekt - zum nächsten BH ist's zwar nicht mehr so weit, aber das Klippen desselbigen ohne die mobile Sicherung könnte für Panikattacken sorgen. Zuletzt dann nochmals ein affengeiler Plattenboulder: irgendwie geschickt in die Seitgriffe kommen, Sloper patschen, Gegendruck aufbauen und auf die rettende Trittleiste manteln (5*-Deluxe!!!).

Auftakt in die geniale L4 (6b+), die nachher dem Dächlein entlang diagonal nach links führt.
L5, 30m, 6b (bzw. subjektiv 6b+): Auch eher eine der einfacheren Seillängen dieser Route, die einer schönen Rissspur folgt. Doch auch diese entpuppt sich bald als kniffliger wie sie aussieht. Für den Stand gibt's zwei Möglichkeiten. Der erste, den man erreicht ist wohl prinzipiell zum Abseilen gedacht, der originale Kletterstand ist der obere - spielt aber nicht wirklich eine Rolle. Kritisch ist einzig zu bewerten, dass von beiden Ständen weg gleich ziemlich schwierige Kletterei bei grösserem Hakenabstand folgt - ein Sturz wäre da unangenehm.

Weiterhin anspruchsvolle Kletterei, ein paar Rissspuren machen in L5 (6b) das Fortkommen für einmal ein wenig einfacher.
L6, 40m, 6b+ (bzw. subjektiv 6c+): Was für ein Gerät, diese Länge! Hier muss man alle Register ziehen und Schliche benutzen, um an Höhe zu gewinnen. Fast jeder Meter im ersten Teil der Seillänge will mit technischen Boulderstellen erkämpft werden. Aber was für tolle Moves es da gibt! Man erreicht schliesslich ein Band, bei welchem sich ein improvisierter Stand befindet (BH+NH). Dieser wird aber besser überklettert. Die folgenden beiden Haken stecken bizarr weit rechts der logischen und machbaren Kletterei. Das Finish ist dann nochmals hart und kühn. Unmittelbar neben einem senkrechten, nicht nutzbaren Graskanal will die steile Wand an minimaler Struktur bezwungen werden. Sind einmal ein paar Moves vom Haken weg gemacht, bleibt nur noch die Flucht nach vorne. Läck Bobby, war ich froh als die aus der Ferne identifizierten Leisten endlich erreicht waren und schliesslich der Mantle darauf hinauf gelungen war - eine überaus zwingende Passage!

Man kann es auf diesem Foto gut erahnen: das Finish von L6 (6b+) ist echt anspruchsvoll, muss doch die steil-glatte Platte oberhalb der letzten Sicherung bewältigt werden!
L7, 30m, 7a+ (bzw. subjektiv 7b): Hier wartet die berüchtigte "Placca dell'Alfio". Nach einem gangbaren Linksbogen folgt am zweiten BH die knifflige Crux, welche einen auf eine mit , Dellen, Noppen und kleinen Strukturen gespickte Platte befördert. Cool bleiben und moven, dann geht's, notfalls besteht hier noch die Möglichkeit um A0 zu tricksen. Aber nicht mehr lange. Just dort, wo sich die Wand ein wenig zurücklegt, wird sie auch weniger strukturiert und es gilt, 4-5m in einem Runout über die Platte zu schleichen. Eine richtige Herzschlag-Passage und nur nicht daran denken, was wäre wenn! Im Rest der Seillänge geht's dann besser voran, bzw. es entpuppt sich immer wieder eine Lösung für das, was zuvor herausfordernd ausgesehen hat. Einzig der Move an den Stand hat es nochmals in sich. Alles in allem dünkte und dieser Abschnitt doch klar einfacher wie L1 - weniger anhaltend und weniger an der Grenze des Machbaren. Aber sicher nicht geschenkt.

Rückblick auf die obere Cruxlänge (L7, 7a+).
L8, 50m, 6b+ (bzw. subjektiv 6c): Originell geht's über die Kante hinweg, wo nach einer flachen Platte nochmals ein Steilaufschwung wartet. Der sieht easy aus, sich darob auf der folgenden Platte zu etablieren ist jedoch nicht wirklich einfach. Schieben, schieben, schieben und schlussendlich aufstehen bevor man nach hinten wegkippt, so lautet in etwa das Motto. Nach ca. 40m erreicht man einen Abseilstand - diesen besser überklettern und noch 10m durch die Botanik hinauf, ansonsten wird das (50m-)Seil auf der letzten Länge knapp.

Steil nach rechts über eine erste Kante hinweg in L8 (6b+), die Crux folgt allerdings erst später.
L9, 40m, 6b (bzw. subjektiv 6b): Von unten sieht's reichlich grasig-botanisch und trivial aus, auch scheint die obere Kante der Wand zum Greifen nah. In der Tat klettert sich der erste Teil bei für einmal moderaten Schwierigkeiten zügig. Der Standplatz kommt aber erst viel später und um diesen zu erreichen, sind auch noch ein paar nichttriviale Plattenmoves in nun deutlich weniger grasdurchsetztem Fels zwingend. Nichtsdestotrotz ist es die einzige Seillänge, wo der von mir gefühlte Schwierigkeitsgrad nicht von der offiziellen Vorgabe abweicht.

Erst ein wenig botanisch, oben dann aber nochmals plattig. Das Finish der Route mit L9, 6b.
Um 17.00 Uhr und damit nach doch 6:00h fordernder Kletterei sind wir am Top angelangt. Es gibt nur einen kurzen Handshake, dann machen wir uns subito ans Abseilen. Weder kann man sich am Top frei bewegen, noch bietet es neue Ausblicke. Zudem ist das Ambiente eher fröstelig: wie ich später anhand der Wetterstationen ausmache, beträgt die Temperatur ca. 3 Grad und die Sonne schien auch nicht wirklich. Trotzdem, kalt war es unterwegs nicht und in Retrospektive sind das wohl sogar echt gute Bedingungen für die DMMP. Bei Wärme haben die Füsse auf dieser Route sicher enorm zu leiden und die Winzgriffe lassen sich bestimmt auch nicht besser bedienen. Mit dem Nutzen der separaten Abseilstände und Ausnutzung der letzten Faser unserer 50m-Seile reicht es mit 7 gestreckten Manövern in 35 Minuten retour zum Einstieg. Auch hier hält uns nichts mehr lange auf, wir packen die Säcke und laufen gen Tal. Wenn man will, geht das in 30 Minuten ziemlich zügig. Also sitzen wir schon bald auf dem Polster und fahren heimwärts. Tja, unverhofft kommt vielleicht nicht ganz so oft. Aber das war nun wirklich eine unerwartet geniale Kletterei. Anhaltend, mental und technisch fordernd - so viele coole Plattenboulder habe ich noch selten an einem Tag erledigt.

Facts

Parete Sud - DMMP 7a+ (6c+ obl.) - 9 SL, 380m - Petazzi, Tanner et al. - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-2 (evtl. nur jede zweite Grösse)

Der Plattendom der Parete Sud am Pizzo della Croce ist zwar schon von weither im Locarnese sichtbar, lockt aber schlussendlich doch nicht allzu viele Kletterer an. Woran das genau liegt, ist nicht ganz einfach zu ergründen. Ich bin mir sicher, dass diese Route mit ihrer Kletterei, stünde sie z.B. im Yosemite National Park, endlos gehypt würde. Ja, die Sache ist eher reibungslastig, wobei die Wand nach 3 Seillängen steiler wird und nicht mehr nur grifflos geschlichen werden muss, sondern ein wahres Feuerwerk an technisch anspruchsvollen Kletterstellen folgt. Die Anforderungen sind erstaunlich homogen und geschenkte Meter gibt's nur wenige. Auf meiner persönlichen Skala ist das die 4* auf jeden Fall wert! Positiv hinzu kommt auch, dass das sportliche Absicherungskonzept für mein persönliches Können gerade tiptop aufgeht. Viele Stellen sind mental fordernd, wo es einfacher wird werden die Abstände auch sofort länger. Es bleibt aber alles fair und gerade noch im grünen Bereich. Ich würde sagen, unteres Level von xxx trifft es in etwa. Auch wenn es nicht allzu oft der Fall ist, so müssen doch einige Stellen zwingend mobil abgesichert werden. Auf ein komplettes Set Camalots von 0.2-2 hätten wir nicht verzichten wollen, wer kühn drauf ist kann (weniger empfehlenswert) allenfalls noch jede zweite Grösse (0.3, 0.5, 1) weglassen. Nach unserem Empfinden sind die offiziellen, in der Literatur publizierten Schwierigkeitsangaben zu tief, daher habe ich teils massiv nach oben korrigierte Einstufungen oben im Bericht angegeben. Ebenso ist der offizielle, obligatorische Schwierigkeitsgrad von 6b gerade z.B. im Quervergleich mit der Dimitri (6c obl.) zu optimistisch. In der DMMP am Ausstieg anzukommen stellt mich Sicherheit deutlich höhere Anforderungen. Aber es lohnt sich absolut, sich dieser Herausforderung zu stellen!

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