Heelzapfen, noch nie gehört?!? So wird es manch einem Kletterer in der Schweiz gehen, ja vermutlich nicht nur da. Tief in einem Seitental der Lechtaler Alpen versteckt, abseits der Zivilisation befindet sich diese Wand. So wie es die Situation im Gipfelbuch und im Internet vermuten lässt, sind bzw. waren es in erster Linie ein kleiner Kreis von eingefleischten Fans, welche sich immer wieder auf den langen Zustieg gemacht und das Zapfenfieber gespürt haben. Verrückt eigentlich, denn solch anhaltende, steile, griffige aber doch nicht extrem schwierige Kletterei findet man nicht allenthalben. Noch dazu gibt der Gipfel, ein richtiger Haifischzahn echt etwas her. Auch wenn der Weg ins Lech- bzw. eben ins Parseiertal nicht eben kurz ist, da gehe ich definitiv wieder einmal hin!
Der Haifischzahn des Heelzapfens links, rechts die ebenso tolle Südwand der Freispitze. |
Eine kurzfristige Anfrage erreichte einen gut ein- bzw. eher 'ausgeboulderten' Mann. Doch 7 Seillängen bis maximal 6c, das sollte auf jeden Fall noch drin liegen. Und da es die Familie nach dem Wettkampf bzw. einem Trainingstag und vor der nächsten Arbeitswoche eher gemütlich nehmen wollte, war die Zusage gemacht - zumal der Föhn im Osten noch nicht so stark wie in den heimischen Bergen pfeifen, aber trotzdem für schönes Wetter sorgen sollte. So wurde der Wecker auf "früh" gestellt und der Weg über bisher unbefahrene Strassen in Angriff genommen. Ja, Österreich und Lechtal, das ist nicht gleich nebenan, aber ehrlich gesagt auch nicht viel weiter wie ins Berner Oberland.
Nicht nur im Profil ist der Heelzapfen toll, auch frontal gesehen ist die Wand sehr eindrücklich! |
Jedenfalls, ins Lechtal muss man und dort entweder von Stockach oder Bach ins Madautal abbiegen. Schon nach ca. 1km erreicht man den Wanderparkplatz (1170m), von wo die Weiterfahrt per Auto verboten ist. Bis zum Ende der Strasse im Parseiertal auf ~1430m sind es aber noch rund 10km Distanz - das will und kann der Kletterer nicht wandern. Im Sommer gibt's einen Taxidienst, flexibler ist man mit dem Bike, kraftsparender natürlich die Elektrovariante. In letzterem Fall ist mit ca. 30 Minuten Aufwärts-Fahrzeit auf der gut ausgebauten Naturstrasse zu rechnen, die Abfahrt schafft man in ca. 20 Minuten.
Um ca. 7.15 Uhr machten wir uns also bei der Materialseilbahn der Memminger Hütte per Pedes auf den Weg. Die Hoffnung, mit dem Bike noch ein wenig des immer noch weiten Zustiegs abzuzwacken hatten wir schon im Vornhinein abgeschrieben - Kollegen hatten uns diese absolut zutreffende Information überwiesen. Auf einem schmalen Pfad ging's weitere 3km ins Tal hinein, immer wieder einmal mit etwas Auf und Ab. Schliesslich biegt man gegen rechts (Westen) ab und verfolgt den Pfad, der zur Ansbacher Hütte führt. Man verlässt ihn in Richtung der auffälligen Schafgufel mit ihrer Hütte (ca. 2000m). Von dieser weiter auf meist gut sichtbaren Wegspuren ins Kar zwischen der plattigen Rätkalk-Wand der Freispitze und dem eindrücklichen Heelzapfen. Nach rund 1:45h strammen Marsches hatten wir die doch fast 1000hm ab der Materialseilbahn absolviert und konnten den angeschriebenen Einstieg identifizieren. Am Einstieg konnten wir noch etwas Sonne tanken, die NO-Wand lag hingegen bereits grösstenteils im Schatten. So montierten wir die mutmasslich nötigen Kleiderschichte und stiegen um ca. 9.30 Uhr ein.
Der Einstieg ist nicht schwierig zu finden, aber auch nicht sonderlich auffällig. |
L1, 25m, 5c+: Gemütliche, gut abgesicherte und griffige Einstiegslänge. Da kann man warm werden oder vielleicht auch nicht zu sehr - jedenfalls gab's bei mir das erste Mal kalte Finger. Aber genau das war nötig, um danach genussvoll zu klettern.
L2, 30m, 6c: Jetzt heisst es parat sein. In steilen Gelände verwendet man erst eine griffige Schuppe und eine Rissspur, so nähert man sich einem Überhang. Dieser bietet (Seit-)Griffe, trotzdem braucht es hier bei richtig cooler Kletterei eine gewisse Entschlossenheit um voranzukommen. Denn einerseits muss man seine Füsse eher hoch und auf Reibung platzieren. Andererseits ist die Absicherung zwar top, aber gerade an der Crux heisst es etwas wegsteigen und A0 geht diese Stelle nicht. Das Finish der Länge dann entweder gesucht und schwierig direkt in der Wand oder logisch links an der Schuppe bzw. Verschneidung, man drifte dabei aber nicht in die 'Diebstahl und Heelerei' ab.
Schuppe, Rissspur und dann übers Dächlein: hier spielt die Musik in L2 (6c). |
L3, 45m, 6a+: Lange und echt coole Seillänge. Gleich zu Beginn ist's leicht überhängend und gar nicht mal etwa sonderlich grossgriffig - nicht geschenkt für den Grad! Wenig später sorgt ein nackter Dübel für Fragezeichen, auch ist 'Diebstahl und Heelerei' noch sehr nah. Es folgt aber eine gebohrte SU, dann zieht's rechtshaltend weg (BH). Damit nicht genug, es folgt noch viel Programm, dies u.a. in der Form von zwei Rechtsquerungen und anhaltender, recht athletischer Kletterei (für den Grad!). Gut verlängern ist hier empfehlenswert, sonst kämpft man am Ende gegen den Seilzug!
Ausblick vom Stand nach L3 auf den Akteur, der eben die zähe und steile L4 (6b) anpackt. |
L4, 35m, 6b: Fantastische Seillänge, Reminiszenz an die Blaue Lagune an den Wendenstöcken, so erwähnen es die Erschliesser sogar in ihrem Topo. Ja, diese graublauen Wasserstreifen (wie man ihnen auch in der Deep Blue Sea und im 11. Gebot folgt) haben eine magische Anziehungskraft! Wobei man hier erst im gelb-orangen, scharf-zerfressenen Gelände klettert und den Streifen dann relativ zügig nach links hin überquert. Spielt keine Rolle, die Kletterei ist genial - ich fand diesen Abschnitt nicht einfacher wie die drei mit 6c bewerteten Längen, eher im Gegenteil sogar... aber vielleicht stand ich da auf dem Schlauch, wer weiss.
Geniale Kletterei in L4 (hart 6b), gut sichtbar die typische Felsschichtung am Berg. |
L5, 45m, 6c: Tolle, anhaltende Kletterei in typischem Heelzapfen-Gelände! Und das heisst scharfe Crimps, Seitgriffschlitze und Chickenheads, etwas tüftelig im Charakter und sehr homogen im Anspruch. Auch hier bestens gebohrt jedoch mit der gewissen Verpflichtung zu steigen - so macht es enorm Spass, auch wenn man dabei ins Schnaufen kommt! Erst das letzte Drittel der Länge legt sich dann etwas zurück. Mit einer Linksschleife weicht man einigen Grasmutten der direkten Linie aus, jedoch ist der Umweg über das kleine Dächlein trotzdem etwas murksig - vielleicht fast die schlechteste Passage der Route.
Steiles Gemäuer in L5 (6c), suuuuper Kletterei! |
L6, 45m, 6a+: Diagonal nach rechts oben geht's über "schwarzes Gold" - dunkel gefärbtes Gestein von bester Güte, stark wasserzerfressen und griffig. So kommt man vorerst trotz beachtlicher Steilheit zügig voran, auch wenn die Absicherung mit 8 BH auf 45m gar nicht mal so üppig ist. In der zweiten Hälfte zieht's dann richtig an, die längere Passage gegen das Ende hin dünkte mich für den angegebenen Grad doch reichlich fordernd - da kamen ja fast schon Erinnerungen an die berüchtigte Wenden-Einstufung von 6a+ auf!
L7, 45m, 6c: Ohlala, so genial, dieser letzte Test wie viel Strom in den Armen verblieben ist. Athletisch-crimpy klettert man hier in der stark zerfressenen, überhängenden Wand, super! Die Absicherung hier nun wieder sportklettermässig top, wobei einem nach Abschluss des ersten Wanderl ein Runout an die nächste Steilstufe bringt. Genial die grossen Chickenhead-Briketts, welche dort formidable Henkel hergeben. Danach klingen die Schwierigkeiten graduell aus, in gerader Linie erreicht man den einzelnen Schlussbolt (das Cam-Placement gleich daneben war/ist zu gut, um einen zweiten Haken zu bohren!) kurz unter dem Gipfelgrat.
Yeah, gleich geschafft! Erst die letzten Meter in L7 (6c) lassen in der Schwierigkeit nach, dafür findet man am Routenende einen schön bequemen Rastplatz mit weichem, moosigem Gras. |
Um 13.45 Uhr und damit nach rund 4:15h an toller Kletterei waren wir da und stiegen die wenigen Meter zum Top of Heelzapfen (2518m) hinauf. Gut gelaufen war's, ich hatte im Prinzip alles onsight klettern können - nur in L3 (6a+) hatte ich im Nachstieg an einer einfachen Stelle die klammen Hände schützen wollen und mich nicht richtig festgehalten... dabei bin ich prompt weggerutscht und habe kurz das Seil belastet. Naja, solcherlei passiert mir doch eher selten... aber lieber hier, als auf einer Tour wo mir ein 100% einwandfreier Durchstieg sehr wichtig ist. Erwähnt sei aber auch, dass ich schon unterwegs in den letzten Längen und erst recht am Top müde Arme hatte - ob der Wettkampf am Vorabend in den Knochen steckte, die ausgekühlten Glieder verantwortlich waren oder das steile Gelände?!?
Im Prinzip ist der Gipfel nur ein hier mehr oder weniger horizontal verlaufender Grat zur 300m höher kulminierenden Roten Platte. Aber wie immer im Leben ist alles eine Frage der Perspektive, denn aus dem Parseiertal ist es doch ein gehörig stolzer Spitz und alles andere als einfach erreichbar ist er ebenfalls nicht. Wir blätterten im Gipfelbuch, das bis zur Erschliessung der ersten Touren und Erstersteigung des Tops um die Jahrtausendwende zurückgeht. In den ersten Jahren herrschte am Heelzapfen emsiges Treiben, die Erschliesser und sonstige Habitués gaben sich da die Klinke in die Hand. Doch das ist eine Weile her, im 2021 schrieben wir anfangs Oktober und damit zum Saisonende gerade einmal den dritten Eintrag ins Buch - kaum zu glauben, aber es gibt halt immer wieder Phänomene, die man nicht genau ergründen kann.
Abgeseilt wird am besten über die Piste im Bereich der "Zone 90". Dafür traversiert man unterhalb des Grats lange 25m oder kurze 30m nach Westen zum gut sichtbaren Stand. Ab da sind es 30m, 50m, 50m, 50m und 40m zurück an den Wandfuss. Die steile Wand ist natürlich sehr freundlich, doch der Wind hatte inzwischen einen deutlichen Zacken zugelegt und verblies die Stricke in alle Richtungen. Dennoch ging alles glatt, doch aufgrund der nun fehlenden physischen Aktivität gelangten wir doch etwas ausgekühlt an den Wandfuss. Wir packten unsere Siebensachen, beim langen Abstieg würde das Blut schon wieder in die Glieder fliessen. So war es dann auch, unterhalb von der Schafgufel liess der inzwischen richtig lästige Föhn nach. Wenige Minuten nach 17 Uhr waren wir retour beim Parkplatz auf 1170m. Es wartete noch der Heimweg, im Gegensatz zur frühmorgendlichen Hinfahrt hatte ich die Strassen mit dem einen oder anderen "Clown de Route" zu teilen und musste an der Grenze noch etwas Wartezeit vergegenwärtigen. Rechtschaffen müde kam ich an, mit einem weiteren Moderne Zeiten Punkt im Gepäck und glücklich darüber, ein vielversprechendes Klettergebiet entdeckt zu haben.
Facts
Heelzapfen - Ohne Heel und Tadel 6c (6b+ obl.) - 7 SL, 270m - Hofer/Elsner 2001 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Camalots 0.3-1
Anhaltende, steile und homogen schwierige Wandkletterei in meist sehr gutem, oft scharfem, griffigen Fels, der auch noch mit originellen Chickenheads gespickt ist. Auch optisch bzw. landschaftlich geben die Wand und die Umgebung echt etwas her, so dass sich der weite Zustieg auf jeden Fall lohnt. Sportliche Gemüter können diesen vermutlich mit dem Klettern einer zweiten Route umso mehr amortisieren, wobei dies an den langen Sommertagen natürlich besser zu bewerkstelligen ist wie im Herbst. Da die Wand ab Mitte Vormittag im Schatten liegt, ist der Sommer sowieso die beste Jahreszeit, um am Heelzapfen zu klettern. Einzig zu früh im Jahr oder nach anhaltenden Regenfällen könnte drückende Nässe ein Problem darstellen. Die Absicherung mit einer Mischung von verzinkten und rostfreien Einschlagankern und vereinzelten Verbundankern ist sehr gut aber nicht übertrieben ausgefallen. Ob der anhaltenden Schwierigkeiten will doch die eine oder andere schwierige Kletterstelle auch zwingend zwischen den Sicherungen bewältigt werden, ohne dass es jedoch psychisch besonders anspruchsvoll wäre. An einigen Stellen kann/muss mobil gesichert werden, ein Set Cams von 0.3-1 empfand ich dafür als ausreichend. Keile könnte man sicher auch hier und da anbringen, wir haben sie allerdings nirgends eingesetzt. Sehr gute Topos und Wandbilder findet man auf der Webseite vom Erschliesser Wolfi Hofer, vielen herzlichen Dank für die harte Arbeit an der Wand und auf dem Netz!
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