Eine richtig schwierig Planung war es gewesen für dieses Wochenende: die Tage zuvor war bis auf 2000m hinunter der erste Herbstschnee gefallen und gleichzeitig war eine hartnäckige Hochnebeldecke prognostiziert. Deren Obergrenze wurde zwar von den Wetterdiensten auf eine optimistische Tiefe um 1300m veranschlagt. Ich für meinen Teil glaubte aber nach einem detaillierten Studium nicht so wirklich an diese Angabe und wollte defensiv planen - wer will denn schon in der Suppe klettern, wenn oberhalb die Sonne scheint. So schien schliesslich der Hintisberg im Sweet Spot zwischen Nebelobergrenze und dem verbleibenden Schnee zu sein. Noch nicht oft war ich hier zu Gange: für eine Tagestour ist es einfach ziemlich weit da rauf, zudem sind die Routen eher kurz und auch wenn sie sehr genussvoll sind, aber irgendwie doch zu wenig 'majeur' für den weiten Weg. Aber klar, man kann ja gleich 2 Touren machen oder mehr als 1 Tag in der Region bleiben... das letztere haben wir schliesslich gemacht :-)
Die tolle SE-Wand der Burg (2240m) am Hintisberg mit dem Verlauf der Route TNT (7a). |
Nach wegen Bauarbeiten etwas stauträchtiger Anfahrt dem Brienzersee entlang kurvten wir schliesslich die vielen Höhenmeter zum Hintisberg hinauf. Die Taxe von 10 CHF wird schon seit einer Weile nicht mehr wie in den Kletterführern angegeben im (derzeit geschlossenen) Restaurant bei der Abzweigung bezahlt, sondern ein paar Kilometer weiter oben am Hang bei einem Taxautomaten. Dieser akzeptiert Münzen oder auch die gängigen Parking-Apps (Twint, Parkingpay, ...). Um 11.25 Uhr brachen wir schliesslich am Parkplatz auf - selbst im späten Herbst könnte man schon deutlich früher dran sein - für uns war's nicht möglich, wir mussten morgens erst noch Jerome in sein Trainingsweekend verabschieden. Der Zustieg ist aber kurz und in 25 Minuten rasch erledigt. Viel zu bemerken gibt's dazu nicht, ausser dann man den Wanderweg verlassen soll/muss, dort wo eine deutliche Wegspur nach links an die Wand zieht. Am Wandfuss herrschte ein sehr angenehmes Klima, wir nahmen es gemütlich und stiegen um 12.15 Uhr ein.
L1, 50m, 6b: Der Einstieg ist gar nicht mal so einfach zu identifizieren, denn es gibt viele Touren, die Topos sind nicht super präzise, es ist wenig bis nichts angeschrieben und einige in der Literatur nicht verzeichnete Linien erschweren die Sache zusätzlich. Bei der TNT gibt's aber ein tief eingemeisseltes Bohrmaschinen-Graffiti am ersten Haken. Allerdings befindet sich dieser erst 8-10m über dem Wandfuss oberhalb des plattigen Vorbaus, den man direkt oder von links einquerend bewältigen kann. Gleich zu Beginn hat der gute Kaspar dann wohl das Wendenfieber gespürt - bei griffiger, aber nicht trivialer Kletterei muss man sich ziemlich engagieren, ein Sturz würde da ungut enden. Die Schwierigkeiten dieser Länge befinden sich dann bei 2 markanten, gut abgesicherten Dächern, wo man den Bizeps auspacken und die grauen Zellen einsetzen muss, um eine effiziente Lösung zu finden. Ich meine, dass uns dies gut gelungen ist, trotzdem würden wir die hier veranschlagte 6b mit der 6b+ von L3 tauschen wollen.
Grau-rauer, sonnengewärmter Kalk, eine perfekte Herbstkletterei - Larina in L1 (6b). |
L2, 30m, 6c: Die Mauer gleich oberhalb vom Stand hat es in sich, kleingriffig und eher trittarm geht's zur Sache, die zu nutzenden Strukturen sind sogar schon ein wenig abgespeckt - fordernd und nicht die beste Passage der Route. Man quert dann nach rechts unter das obligate Dach, welches aber im Vergleich zum Rest einigermassen zahm daherkommt. Oberhalb davon geht's dann wieder nach links und in einem längeren Runout hinauf zu bequemem Stand auf dem Querband. Man kann auf dem letzten Abschnitt noch einen Cam platzieren (0.5 ging gerade, besser wäre 0.75 oder 1, mit kleinen Exemplaren oder wie in der Literatur empfohlen Keilen kann man da aber nichts anfangen!). Zu erwähnen ist auch hier: teils stecken die Haken etwas kreuz und quer, manchmal auch ungünstig unterhalb von Dächern und der Routenverlauf schlägt manch eine Ecke - man sollte mindestens 6 verlängerbare Alpine Draws mitführen und diese an den entscheidenden Stellen einsetzen, sonst bremst man sich arg aus. Zur Bewertung ist noch zu sagen, dass wir die 6c mit der 6c+ von L4 tauschen würden.
L3, 25m, 6b+: Hinauf und rechts tendierend über 2 Dächli hinweg geht's hier zuerst einmal. Wie immer gilt es zu erkennen, wo oberhalb der Dächli sich die Henkel befinden. Hier war's aber nicht allzu schwierig und wir empfanden diese Länge alle 3 als klar die einfachste der Route, somit dürfte hier ein 6b als Bewertung gut ausreichen. Zu erwähnen ist noch, dass man sich nach dem zweiten Dächli fast horizontal entlang von einer Querfuge nach rechts hält. Es kommt nochmals ein BH, von welchem man neuerlich etwa 5m quert, um dann hinauf und an tiefen, äusserst griffigen Tropflöchern wieder etwas zurück nach links zu steigen. Da steckt nichts mehr, daher durchaus etwas kühn - passt aber schon und sowieso würde man nur mit unmöglichem Seilzug bezahlen.
Super-griffiger Tropflochfels am Ende von L3 (6b+), genial zu klettern! |
L4, 25m, 6c+: Ob dem sich aufsteilenden Gelände und der höheren Bewertung machen wir uns auf etwas gefasst. Das entpuppt sich jedoch gutmütiger wie gedacht. Klar sind da ein paar athletische Moves im Steilgelände gefragt, aber die Griffe sind alle zwischen 'gut' und Idealhenkel. Einzig in der Querung auf die Nase an der fixen Schlinge vorbei sind ein paar etwas kleinere Leisten zu riegeln, aber wir meinen, dass hier eine 6c als Bewertung nicht übertroffen wird. Nach dieser Passage gibt's dann kurz etwas Fragezeichen über den Routenverlauf: gerade hinauf scheint möglich, man sieht oberhalb auch Bolts. Aber das ist scheinbar eine namenlose Variante, welche in die 'Floh' führt. TNT führt horizontal nach rechts, der Quergang sieht zwar auf den ersten Blick eindrücklich aus, ist aber nach den ersten Moves wirklich total unschwierig.
Sehr fotogener Quergang am Ende von L4 (6c+). Und der Nebel macht's wie wir, der steigt auch in die Höhe. Mittlerweile war die Obergrenze schon auf gute 1900m angestiegen. |
L5, 35m, 7a: Das Schlussbouquet, das noch einmal allen Power verlangt! Vom Stand aus hat man gute Einsicht in den ersten Wulst, welcher offensichtlich die Crux darstellt und kann allerlei Vermutungen darüber anstellen, wo sich denn die Griffe befinden. Wobei es ehrlich gesagt fast ein Überangebot von Leisten gibt, nur sind die eben alle klein, das Gelände ist steil und die Schwierigkeit besteht v.a. auch darin, dass unterhalb vom Wulst die Füsse bescheiden eingesetzt werden können und es schwierig ist, die Haxen darüber hinweg zu bringen. Ich musste jedenfalls heftig auf die Tube drücken, um diese Stelle sauber zu passieren, aber es ging - jedoch mit dem Eindruck, dass es deutlich mehr wie nur ein '+' schwieriger ist wie L4. In der Fortsetzung legt sich das Gelände etwas zurück (bleibt aber leicht überhängend) und die Griffe werden grösser. Nichtsdestotrotz, den Pump wurde ich nur so halbwegs los. Das drohende Dach geht dann leichter von der Hand wie befürchtet, hingegen schwinden danach die positiven Strukturen. Das Finish ist eher plattig-sloprig und bietet mit einer etwas gesuchten Linksecke (um den Verlauf der Todi zu vermeiden) noch stehtechnische Herausforderung.
Um 15.40 Uhr und damit nach rund 3:30 Stunden sehr vergnüglicher Kletterei bei besten Bedingungen waren wir mit dem angepeilten Komplett-Onsight am Top. Dieses befindet sich etwas antiklimaktisch am Übergang zu eher brüchig-grasigem Fels. Ausser einem Selfie zu schiessen und nochmals die Aussicht zu geniessen gibt es da nicht viel zu tun. Also fädelten wir die Seile und glitten in die Tiefe. Obwohl man im Aufstieg gefühlt eine ziemlich lange Strecke zurücklegt, reicht es mit 2x60m-Seilen in nur gerade 2 Manövern (5 -> Abseilstand auf dem Band auf Höhe von Stand 2 -> Boden) zurück an den Einstieg, mit 2x50m muss man (vermutlich) 4x Abseilen. Wobei die gefühlte Länge durch die Steilheit der Route und den Quergängen in der Routen gut erklärt werden kann, zudem reichen die Stricke jeweils auch nur knapp, insbesondere zum Erreichen des Einstiegs!
Ein Panorama mit dem Dreigestirn Eiger-Mönch-Jungfrau darf natürlich nicht fehlen! |
Schön wäre es gewesen, nun entweder noch eine zweite Route zu klettern oder am Einstieg etwas in der Sonne zu baden. Für ersteres waren wir schon etwas spät dran und v.a. trieb die Thermik die Nebelschwaden tatsächlich bis auf 2100m hoch. Dank sporadischer Sonne war es zum Glück immer noch genügend warm für einen Vesper und zur mystischen Stimmung trug die Sache definitiv bei. Bevor es talwärts ging, entschloss ich mich noch für eine kleine Herausforderung. Diese bestand darin, die erste Länge der Remy-Route 'Be Strong' (7a+) als Baseclimb anzugehen, um noch ein wenig die Kräfte zu testen und hoffentlich einen weiteren Punkt zu buchen. Diese bietet durchaus spannende Kletterei. Die Felsqualität ist dort, unmittelbar rechts der grossen Höhle zwar nicht superperfekt, aber doch klar genügend gut - das Gestein hat mich sogar sehr an gewisse Wandbereiche z.B. an der Spartan Wall auf Kalymnos erinnert, wo die Remy auch Routen hinterlassen haben. Das erste Drittel bietet athletische Kletterei mit weiten Moves an guten Griffen. Im Mittelteil fordert eine knifflige, überhängende Spreizverschneidung, während der Schluss etwas alpiner und mit einfacherer Leistenkletterei daher kommt. Ziemlich am Limit gelang mir auch hier der Onsight-Durchstieg, das hatte richtig Freude gemacht! Nach diesem tollen Dessert ging es talwärts, um den Herbstabend mit rechtschaffener Müdigkeit gemütlich bei echter Speis und Trank zu verbringen.
Facts
Hintisberg - TNT 7a (6b obl.) - 5 SL, 165m - Chäppi Ochsner 2003 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express (davon 6 verlängerbare), evtl. Cam 0.75
Sehr schöne, alpine Sportkletterei in steilem, gutgriffigem, mit vielen Dächlein durchsetztem Gelände an Querschlitzen und Tropflöchern. Der Routenverlauf schlägt einige Ecken, um dem am besten kletterbaren Gelände zu folgen und benachbarten Touren auszuweichen, für eine solch genussvolle Turnerei in diesem Ambiente darf man gerne 4 Sterne verteilen. Die Absicherung ist an den schwierigen Stellen sehr gut, d.h. klettergartenmässig ausgefallen. An einigen wenigen einfacheren Stellen (z.B. Beginn L1, Ende L2) sind die Abstände weiter - passt aber schon. Mit mobilen Sicherungen kann man nur wenig anfangen, am meisten hilft ein Cam 0.75 oder 1 am Ende von L2. Zu erwähnen ist, dass verzinkte Bolzen mit rostfreien Irniger-Plättli stecken, eine ungünstige Kombination. Die galvanische Korrosion hat hier aber augenscheinlich noch wenig genagt, somit scheint es momentan unproblematisch. Der Routenverlauf hat einige Ecken, zudem stecken einige der Bolts auch noch etwas ungünstig unterhalb von Dächern. Verlängerbare Exen sind durchaus anzuraten, sonst leidet man vermutlich in den meisten Seillängen am Ende an starkem Seilzug. Topos und Infos zu den weiteren Routen am Berg findet man in den Filidor-Führern (Extrem West, Interlaken Vertical, Plaisir West Band I).
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