Man kann sagen, es handle sich um alte Kamellen – stimmt! Meine Besteigung des Nevado Chachani (6057m) datiert aus dem Jahr 2004 und liegt heute schon fast 20 Jahre zurück. Weil die Tour auf meinen bisher höchsten je terrestrisch erreichten Punkt noch nie dokumentiert wurde und mir dieser schon länger getippte Bericht kürzlich wieder einmal in die Hände kam, soll sich dies hiermit ändern - auch wenn's von der Tour selber leider nicht allzu viele Fotos gibt.
Der Nevado Chachani (6057m) im ersten Morgenlicht. |
Im Sommer 2004 war ich auf einer 14-wöchigen Tour durch Südamerika unterwegs. Sie startete in Quito (Ecuador) und führte via Peru, Bolivien und Chile an die Enddestination Lima (Peru). Mit dabei waren zahlreiche Wanderungen, Bergtouren und sonstige Abenteuer, zu Fuss und mit anderen Untersätzen. Da ich mit nichtkletternder Begleiterin unterwegs war, standen steile Felsen oder ambitioniertes Bergsteigen nicht auf dem Programm. Ganz grob und mit etlichen Auslassungen der Ablauf:
- Akklimatisierung in Quito und Umgebung, Cotopaxi
- Trekkings und Bergsteigen in der Cordillera Blanca ab Huaraz
- Sightseeing und Touren von Cuzco aus (Macchu Picchu, uvm.)
- Arequipa und Umgebung mit Nevado Chachani
- Trekkings am Titicacasee, Bergsteigen in der Cordillera Real
- Trip in den bolivianischen Dschungel bei Rurrenabaque
- Touren und Trips: Salar de Uyuni, San Pedro de Atacama
- Fantastisches Gleitschirmfliegen in Iquique
- Sightseeing und Touren auf der Rückreise nach Lima
Während es davon noch unzählige Erlebnisse zu berichten gäbe, will ich mich hier auf die Besteigung des Nevado Chachani (6057m) fokussieren. Zum Zeitpunkt der Besteigung waren wir bereits etwa 6 Wochen in Südamerika unterwegs, wovon wir uns praktisch ständig oberhalb von 3000m aufhielten. Vorangegangen waren auch diverse Besteigungen von 5000ern, somit waren wir also gut akklimatisiert. Denn während die Besteigung des Chachani technisch einfach ist, ist eine gute Höhenvorbereitung unerlässlich.
Nicht der Chachani - sondern Vulkanberge im Norden von Chile. |
Beim Chachani handelt es sich um einen Vulkanberg, der gut 20km nördlich der Grossstadt Arequipa gelegen ist. Mit einer Schartenhöhe von gegen 2000m und einer Dominanz von über 50km ist klar, dass er ziemlich isoliert in der ariden, peruanischen Hochebene steht. Er gilt als einfach zu besteigender 6000er, was ich als zutreffend bezeichnen kann. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass man bis auf über 5000m mit Fahrzeugen fahren kann, von wo man den Gipfel im Prinzip in einer Tagestour erreicht. Der erste Schritt zur Besteigung ist denn auch die Organisation eines Transportes zum Berg.
LogistikWir entschieden uns, den Berg auf eigene Faust anzugehen. Bei den Agenturen in Arequipa werden aber auf Wunsch auch Führer vermittelt. Wer selber über Bergerfahrung verfügt, kommt hier, wo die Wegfindung recht einfach ist, auch gut selber zurecht. Ebenso lassen sich in Arequipa auch Zelt und Schlafsack, sowie Alpinmaterial (Steigeisen, Pickel, Stöcke) ausleihen. Unter Umständen sind sogar Bergschuhe zu kriegen, wobei man sich darauf nicht verlassen sollte. Natürlich sind auch die anderen Dinge qualitativ mässiges, älteres Gebrauchtmaterial – wir selber liehen uns nur je ein paar Steigeisen.
In einer Agentur buchten wir schliesslich den Transport zum Ausgangspunkt, das kostete damals 90 US$. Das tönt nach viel, ist es aber nicht unbedingt: Die Strecke von Arequipa zum Ausgangspunkt betrug nämlich 95km pro Weg, die Fahrzeit war etwa 3 Stunden. Es war eine Piste der übleren Sorte, nur mit einem 4x4 mit Kriechgang und viel Bodenfreiheit befahrbar. Der Fahrer ging natürlich, nachdem er uns abgesetzt hatte, wieder heim und holte uns am Folgetag wieder ab, das heisst, er fuhr für uns 12 Stunden und rund 380km Auto, musste das Benzin noch bezahlen und die Abnützung am Gefährt dürfte auch höher als normal sein. Das gibt schliesslich einen nicht mehr so fürstlichen Stundenlohn.
Lager und Übernachtung
Auf einer Höhe von ca. 4950m wurden wir vom Fahrer, am Beginn einer Sandebene, ausgeladen. Von dort stiegen wir zum Lagerplatz auf ca. 5300m auf. Weil wir die Information erhielten, dass absolut kein Wasser aufzufinden sei, nahmen wir 10 Liter mit, dementsprechend schwer war der Rucksack. Es hätte in der näheren Umgebung genügend Schnee gehabt, wir lasen aber auch, dass dieser schweflig sei und daher auch in abgekochtem Zustand nicht verträglich.
Der Lagerplatz selbst war aber prima, mit sandigem, flachem Boden perfekt zum Zelten. Es stellte sich heraus, dass wir die einzige Partie am Berg waren, was uns natürlich erfreute. Am Abend begann es dann aus den wenigen Quellwolken auf einmal zu schneien, es gab doch immerhin ca. 5-10cm Neuschnee und wir fürchteten schon, den Weg vergebens gemacht zu haben. Doch um 22 Uhr hatte es schon wieder den schönsten Sternenhimmel.
Wir stellten den Wecker auf 2 Uhr morgens und legten uns aufs Ohr. Die Nacht war eisig kalt, es war gute 10 Grad unter null. Mit einem warmen Schlafsack (der aber zwingend nötig war) ging das gut, doch das Aufstehen mitten in der Nacht war wie immer der eindeutig unangenehmste Punkt. Leider hatte meine Begleiterin laut ihrer Aussage keine Sekunde geschlafen und fühlte sich generell unwohl. Dennoch wollte sie versuchen, die Tour zu machen.
Tourentag
Um 3 Uhr gingen wir los. Die den Transport organisierende Agentur in Arequipa hatte uns geraten, spätestens um 2 Uhr zu starten. Eigentlich finde ich beides deutlich zu früh. Nach einer guten Stunde Aufstieg erreichten wir den Sattel auf etwa 5600m, von wo wir die alpinistische Crux angigen, die Querung der Südflanke (Achtung, Südhemisphäre, dies ist die sonnenabgewandte Seite!) des ca. 5850m hohen Nebengipfels. Diese würde ich als T5 bzw. L/WS einschätzen, sie war jedoch (ohne Spur) bei Dunkelheit sehr unübersichtlich. Es ist sicher kein Nachteil, wenn man dort bereits auf Tageslicht zählen kann.
Das war nicht der Fall und es schien durchaus unheimlich, sich in diesem steilen Gelände zu engagieren. Meine Begleiterin fühlte sich darüber hinaus überhaupt nicht fit und hatte deswegen umso grössere Bedenken. Dies vor allem auch, weil man auf der Traverse einige Höhenmeter vernichtet, die man auf dem Rückweg wieder aufsteigen muss. Kurzum, es fiel die Entscheidung, dass wir nicht gemeinsam weitergehen würden. Ich begleitete sie zurück zum Zelt, wo sie sich in den Schlafsack legte. Die gute Frage war bloss, was ich nun mit dem angebrochenen Tag tun würde.
Eine zweite Tourenchance gab es eigentlich nicht, da wir unseren Rücktransport auf den Abend vereinbart hatten. Ohne jegliche Kommunikationsmittel war eine Verschiebung natürlich unmöglich. Ich zog in Erwägung, die Tour im Alleingang anzugehen und rang etwas mit mir: technische Schwierigkeiten oder gefährliche Gletscher warteten nicht, der Chachani ist eine problemlose Solotour. Dennoch würde ich in bisher nie erreichte Höhen vorstossen und komplett auf mich alleine gestellt sein. Kommunikation unmöglich, Bergrettung inexistent und meine Tourenpartnerin angeschlagen alleine im Zelt, Zweifel konnte man da mehr als genug haben.
Nachdem mir meine Begleiterin erst wiederholt versichert hatte, einstweilen gut alleine zurechtzukommen und später endlich in wohlverdienten Schlaf gefallen war, entschloss ich mich zum Go – im Rückblick auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Bald war ich wieder im Sattel 5600m angelangt, mit dem Hin und Her war nun auch Tageslicht vorhanden. Für die folgende Traverse zog ich meine Steigeisen an, welche sich als durchaus nützlich erwiesen. Mit einem Eiertanz wäre es aber vermutlich auch ohne gegangen. Zuerst mehr fallend, dann wieder mehr aufsteigend erreichte ich über etwas mühsames, loses, teilweise schneebedecktes und vereistes Gelände nach der Traverse einen weiteren, etwa 5630m hohen Sattel.
Von diesem Sattel galt es, die Ostflanke gegen den Fatima (ca. 5970m) genannten Vorgipfel anzusteigen. Hier waren im Geröll deutliche Wegspuren vorhanden, welche aber meist von bis zu 20cm Neuschnee überdeckt waren. Somit war Schneestapfen gefragt. Doch ich fühlte mich sehr gut und war dank der guten Akklimatisierung trotz der grossen Höhe zügig unterwegs. Der Höhenmeter zeigte beständig Steigwerte von 8-10m/min an.
Die Fatima (d.h. den 5970m-Vorgipfel) umgeht man kurz unter dem Kulminationspunkt linkerhand in einer weiteren, verschneiten Südtraverse. Nun warteten nur noch die letzten 130hm in der sonnigeren und wieder gerölligeren NE-Flanke zum Hauptgipfel, welchen ich schliesslich nach ca. 3 Stunden Aufstieg vom Lager, gemessen ab dem zweiten Aufbruch, um 8:30 Uhr erreichte. Von der Höhe spürte ich nicht viel, bzw. fühlte mich subjektiv dank der guten Akklimatisation nicht wesentlich anders als bei einer Wochenendtour auf einen 3000er in der Schweiz. Eher hatte ich ein Gefühl von „schon oben“ und „das war ja kein Problem“. Ja, wenn da noch „mehr Berg gewesen wäre“, so hätte ich mich sicher die Lust gepackt, auch gleich noch die 7000er-Grenze zu packen.
Cumbre! Die 6000 sind geschafft, das Panorama und die Weite der Landschaft grenzenlos! |
Vermutlich wäre ich dann schon irgendwann gebremst worden, aber das ist ja sowieso alles hypothetisch. Da ich bereits zuoberst auf dem Berg stand, war das Ziel erreicht. Es geschafft zu haben war toll, und auch der Ausblick vom Gipfel war speziell. Der Chachani erhebt sich mehr als 3000m aus der umliegenden Ebene und in der Nähe befinden sich ausser dem El Misti (5822m) keine gleich hohen Gipfel. Man ist daher sehr isoliert, dafür fehlen aber auch die uns aus den Alpen bekannten Nahblicke auf weitere, vergangene oder zukünftige Tourenziele. Da ein zügiger Wind ging und es frisch war, machte ich mich nach einer halbstündigen Gipfelrast wieder an den Abstieg.
Dieser ging, im Schnee oder im Schotter, sehr zügig vonstatten. Einzig die Traverse unter dem 5850er-Nebengipfel musste wieder mit Bedacht angegangen werden. Nach 1.5 Stunden Abstiegszeit und somit 5 Stunden nach Aufbruch war ich wieder im Lager und traf auf meine immer noch schlafende Begleiterin, die meine Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte. Die Ruhe hatte ihr gut getan, nach dem Aufstehen waren ihre Lebensgeister wieder zurück. Gemeinsam bauten wir - sie ohne jede Betrübnis über die verpasste Gelegenheit, ich glücklich mit meinem 6000er-Raid - das Lager ab und stiegen zur Sandebene hinab. Sogar vor der vereinbarten Zeit traf unser Transport ein, und brachte uns in 3 holprigen Stunden Fahrt retour nach Arequipa, von wo die Reise weiter ging. Noch an viele Plätze in Südamerika führte sie uns und mein späterer Lebensweg liess mich noch manchen Gipfel erreichen. Allerdings bis dato keinen mehr, der über 6000m hoch ist.
Facts
Nevado Chachani (6057m) – Peru - 16°11′29″ S, 71°31′47″ W
Einfacher 6000er-Gipfel welcher über die alte Normalroute je nach Verhältnissen ca. als T4/T5 bzw. als L/WS zu werten ist. Wenn man alleine am ungespurten Berg unterwegs ist, sind gewisse alpin- und orientierungstechnische Kenntnisse unerlässlich. Ebenso ist eine gute Höhenakklimatisation unabdingbar. Ausser wenn man zuverlässige Informationen hat, die dagegen sprechen, ist ein Paar Steigeisen auf jeden Fall anzuraten. Allenfalls ist auch ein Pickel nützlich, sicher hilfreich sind Stöcke. Als Vergleichstour im Alpenraum würde ich das Lagginhorn nennen, auch wenn der Chachani nicht ganz so anhaltend steil ist. Auf C2C finden sich einige weitere Berichte über die Route. Anzumerken ist, dass sich mittlerweile anscheinend ein neuer Weg durch die Nordflanke direkt auf den Hauptgipfel etabliert hat.