Die Horefelliflue ist eine 350m hohe, eindrückliche Wand mit grossen, glatten Plattenschüssen in der Voralp, einem Seitental der Göschenernalp. Schon verschiedentlich hatte ich dieses verlockende Gemäuer bestaunt, das erste Mal als wir vor 25 Jahren durch die Spicherribichelen aufstiegen, um die Via Hammerbruch am Salbit Westgratturm 2 in einer Tagestour zu klettern. Später dann auf alpinen Skitouren wie dieser oder jener. Schon immer hatte es mich sehr gereizt, durch diese Wand zu steigen. Genauso erging es den Pionieren der ersten Freiklettergeneration, die hier in den 1980er-Jahren einige Routen erschlossen. Zeitgenössisch wurden diese spärlich ausgerüstet, 35 Jahre Korrosion hatten irgendwelchen Ambitionen erst recht einen Dämpfer versetzt. Doch dann drang die Kunde an mein Ohr, dass die Route Mastermind im 2020/2021 saniert worden sei. Das klang wie Musik in meinen Ohren. Schliesslich kam der Tag mit einwandfreiem, mildem und sonnigem Herbstwetter, der uns ins Voralptal aufbrechen liess. Für diese Jahreszeit eignet sich die exakt nach Süden ausgerichtete Wand perfekt. Wir genossen viel Ruhe und Bergeinsamkeit im abgeschiedenen Tal, ein geschenkter Tag!
Der Blick auf die gewaltige Wandflucht der Horefelliflue mit dem Verlauf der Route Mastermind. |
Unsere Tour startete um 10.15 Uhr (Sommerzeit) bei der Voralpkurve (1402m). Man könnte in der zweiten Oktoberhälfte vermutlich auch schon eine Stunde früher losgehen und wäre nicht zu früh dran, was für uns organisatorisch aber nicht möglich war. Larina setzte sich an die Spitze und wir liefen in sehr zügigem Tempo die Kehren durch den Wald hinauf, mit flüchtigen Blicken auf die Sandbalm, wo wir ja auch schon tolle Klettererlebnisse (z.B. 1,2) hatten. Nach und nach öffnet sich das Tal und wird flacher. Ziehen erst einige durch Urner Kletterer erschlossene Wände die Aufmerksamkeit auf sich, so rückt nach einer Weile die Horefelliflue in den Fokus. Es lohnt sich aber, geduldig zu bleiben und bis zu den Gebäuden der Alp Horefelli zu wandern. Erst dort strebt man dem Wandfuss entgegen, wobei sich auf der logischen Linie eine gute Pfadspur präsentiert. Nach gerade einer guten Stunde waren wir bei sehr angenehmen Klima am Einstieg. Im Bereich von Mastermind starten drei Routen. Links die Knecht Klemenz, welche mit einem eingemeisselten "KK" markiert ist, mittig die von uns angepeilte Tour und rechts ein Projekt, welches zur Zeit noch nicht ganz fertiggestellt ist. Wir rüsteten uns für die verlockende Kletterei und stiegen um 11.45 Uhr ein.
L1, 35m, 9 BH, 6b+: Der erste Bolt steckt erst auf ca. 10m Höhe oberhalb vom kleinen Dach. Der Vorbau darunter ist zwar nicht sehr schwierig, aber Konzentration ist trotzdem nötig. Hat man geklippt, so geht's gleich los - das Dach an Seit- und Untergriffen zu überwinden ist die Crux, gleich mal ordentlich knifflig und ohne Vertrauen in die Haftreibung geht's nicht! Auch danach bleibt's anhaltend fordernd, die vielen Käntchen, Dellen und Leisten wollen in eine Sequenz eingeordnet werden und es gilt die Optimallinie zu erschnüffeln - wirklich hervorragender Klettergenuss, genial! Der Stand dann mitten in der plattigen Wand ziemlich unbequem.
Wunderbar strukturierter Fels in L1 (6b+), eine sehr lässige Kletterei! |
L2, 35m, 9 BH, 6a: Ähnlich wie die erste Länge aufgehört hat geht es weiter, nämlich mit anregender Plattenkletterei, die einen wachen Geist und solide Fusstechnik erfordert. Mit einem Rechtsschlenker erreicht man dann aber eine Rippe, wo man zügiger Voranschreiten kann. An deren Ende geht's mit einer gängigen Linksquerung zum Stand, der sich kurz vor der ansetzenden Verschneidung befindet und leider auch nicht mit allzu viel Bequemlichkeit auftrumpfen kann.
Chillige Linksquerung am Ende von L2 (6a), davor gibt's aber feine Plattenmoves! |
L3, 40m, 10 BH, 6b: Um die Ecke und die Verschneidung hinauf heisst's erst, für die ersten 10-15m ist das nicht sonderlich schwierig. Ab dieser Stelle würde die Verschneidung dann sogar noch einfacher, aber eben auch gemüsig und unschön. Somit führt die Route kühn nach links in die Plattenwand hinaus. Bald einmal sind gewagte Moves nötig - die Absicherung ist zwar super, aber trotzdem einigermassen zwingend und ohne am (gefühlten?!?) Limit auf Reibung anzutreten und mit den Fingern auf kleinsten Unebenheiten für Stabilität beim Aufrichten zu sorgen geht's nicht. Wow, das mit den Schuhen aus den 1980ern, nur mit dem Handbohrer und bei damals deutlich weiteren Abständen - Chapeau an die Erstbegeher!?! Das Finish dann mit ein paar griffigen Schuppen gut machbar, der Stand etwas angenehmer als gehabt, aber auch keine bequeme Ruheoase.
Blick das Voralptal hinaus, selbst im späten Herbst geniess man hier noch viel Sonne! |
L4, 40m, 12 BH, 5c+: Um die Ecke geht's auf die verblüffende, sich diagonal nach links ziehende Rampe. Vorerst turnt man am Verschneidungsriss zügig und sehr genussvoll in die Höhe. Hat man nach 30m das Ende erreicht, so sieht ein System von griffigen, jedoch teilweise etwas hohl tönenden Schuppen weiter hinauf. Da muss man sich das eine oder andere Mal noch geschickt positionieren oder etwas kräftiger ziehen. Und wie fast schon befürchtet, bequem ist auch dieser Stand nicht.
Kathrin und Larina schreiten über die schöne und verblüffende Rampe in L4 (5c+). |
L5, 40m, 14 BH, 6a+: In anregender, reibungslastiger Wandkletterei an Strukturen und Schuppen klettert man hier auf dem Pfad eines 'S' durch die Wand. Die Bolts stecken zahlreich, es geht mal links, mal rechts. Am oberen Ende des 'S' behält man dann die Richtung und am besten auch den Schwung bei, folgen nun doch die schwierigsten Moves an einer dünnen Rissspur - wo Reichweite vermutlich keinen Nachteil darstellt, denn ich fand es chillig, aber Larina meinte es sei taff. Schliesslich erreicht man um die Ecke eine Rampe mit etwas grasigem Fels, steigt diese ca. 8m in einem Runout hinauf und findet den wirklich maximal unbequemen Stand rechts um die Ecke. Zu erwähnen ist auch, dass hier vorbeugende Massnahmen gegen den Seilzug (lange Exen, Halbseiltechnik) sinnvoll sind.
Blick aus der Wand auf's Sustenhorn - diese Herbsttage sind schon einfach fantastisch! |
L6, 40m, 14 BH, 6b: Da hat die Route noch einmal etwas zu bieten! Los geht's mit schöner Wandkletterei, wobei man oft nach links offene Schuppen greift, die manchmal etwas fragil sind - mit einem wachsamen Auge aber kein Problem. Um die Ecke geht's auf eine geneigte Plattenzone, jenseitig dann an einer Rippe die steile Wand empor. Das wird durch den abschüssig-glatten Fels subito knifflig, ist aber eine echt coole Bewegungspassage! Hier habe ich mich aber gefragt, ob der Originalparcours nicht dem Riss unter dem Dach entlang führte?!? Leider ist das Topo im SAC-Führer Urner Alpen 2 so vage, dass wohl nur die Erschliesser eine Antwort geben können. Jedenfalls, hat man den Ausläufer des Dachs erreicht, so heisst es scharf nach rechts abzubiegen und mit einem Hangelquergang an Leisten den Stand zu erreichen. Auch in dieser Länge heisst es, sich nicht mit Seilzug auszubremsen und die Standbequemlichkeit war leider auch hier nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten.
Kathrin noch in der Wandpassage, Larina quert über die geneigte Plattenzone in L6 (6b). |
L7, 45m, 10 BH, 5c+: Erst geht's in der rechten Wand hinauf (unschwierig), dann überquert man den markanten Riss und steigt an Schuppen und Rissen steiler hinauf, wo man dann für die 5c+ schon noch auf seine Kosten kommt. Die letzten 10m legen sich zurück und man erreicht (endlich!) einen richtig bequemen Rastplatz, wo sich das bei der Sanierung gelegte Routenbuch befindet. Auf dieser letzten Seillänge ist der Fels teilweise etwas mit Flechten überzogen und nicht mehr ganz so schön wie zuvor.
Larina auf der Zielgerade in L7 (5c+), der Schatten ist inzwischen an den Wandfuss vorgerückt. |
Erst kurz vor Schluss der letzten Länge nimmt man aber wahr, dass man nicht den Gipfel erreicht, sondern die Route an einem gratartigen Vorsprung endet, der hinten in einer Schlucht abbricht. Zwar wäre es sicher möglich, noch weiter zu steigen, wegen Grasbändern und inhomogenen Anforderungen sieht's aber tatsächlich nicht mehr lohnend aus. Die Uhr war auf 16.30 Uhr vorgerückt, somit hatte uns die Route gute 4:30 Stunden anregend beschäftigt. Mir war eine komplette Onsight-Begehung gelungen. Man könnte meinen, die sei ein Umstand, der bei einer so tiefen Bewertung kaum der Rede wert ist. Subjektiv ist das aber nicht der Fall, in L3 (6b) musste ich definitiv Moves am Limit ausführen. Gut, Granit ist immer etwas speziell, in etwas griffigerem Gelände empfinde ich ähnliche Emotionen in Bezug aufs Gelingen oder nicht üblicherweise etwa zwei Buchstabengrade höher - was jetzt aber nicht heissen soll, dass die Route dementsprechend aufgewertet werden muss... nur dass sie für Kletterer auf meinem Niveau eine durchaus spannende Beschäftigung bietet.
Uns blieb noch eine Viertelstunde, um die letzte Abendsonne geniessend am Routenende über solche Fragen zu philosphieren, einen Vesper zu geniessen und den Eintrag im Buch zu machen. Seit der Sanierung Anfang Juli 2021 waren wir erst die vierte Seilschaft, die sich eingetragen hatte. Aber ich bin mir sicher, es werden noch viele weitere folgen, denn die Route verdient einen Besuch auf jeden Fall! Der trockenen Luft wegen sanken die Temperaturen beim Verschwinden der Sonne sofort markant. Zeit also, um die Seile auszuwerfen und in die Tiefe zu gleiten. Da die Wand nicht viele Bänder aufweist, geht das recht zügig vonstatten. Aufgrund der langen Seillängen muss man nach dem routenunabhängigen Abseilstand zu Beginn jede Station nutzen, nur am Ende reicht mit 60er-Stricken schon das sechste Manöver auf den Boden. Dort packten wir flugs unsere Sachen und liefen der Voralpkurve entgegen. Nach einer knappen Stunde waren wir da und setzten uns... in den Kühlschrank. Gerade mal 2 Grad versprach die Anzeige - verrückt nach diesem genussvollen Tag an der Herbstsonne!
Facts
Horefelliflue - Mastermind 6b+ (6a+ obl.) - 7 SL, 275m - Binsack/Lötscher/Meier 1986 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 15-16 Exen (ca. 6 verlängerbare), Cams/Keile nicht nötig
Sehr schöne Kletterei in meist bestens strukturiertem Granit, der v.a. in den unteren Seillängen etwas an das Gestein in Ailefroide erinnert. Auch wenn natürlich das Antreten auf Reibung einen wichtigen Aspekt ausmacht, so klettert man oft auf Steilplatten, wo auch Leisten und Aufleger bedient werden müssen. In den oberen Längen gibt's dann auch athletischere Passagen, wo man an Schuppen herzhaft ziehen darf. Die ursprünglich spärliche und veraltete Absicherung wurde im 2020/2021 durch Silvia Kempf und André Arnold komplett saniert, vielen herzlichen Dank dafür! In L1-L3 trifft man nun auf prima MSL-Absicherung, wobei richtigerweise immer noch der eine oder andere Schritt auf Reibung zwischen den Haken nötig ist. Die oberen Längen sind spürbar üppiger saniert, wobei mich die Haken manchmal etwas inhomogen verteilt dünkten. Mobile Sicherungen sind nicht nötig, sowieso gäbe es in der oft kompakten Wand kaum Placements dafür. Ein rudimentäres Topo zur Route gab es dereinst im SAC-Führer Urner Alpen 2, prima ist hingegen jenes vom Sanierungsteam - besten Dank auch dafür!